Kalina - Bärbel Junker - E-Book

Kalina E-Book

Bärbel Junker

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Beschreibung

"Die Zeit des Leidens darf nicht umsonst gewesen sein", sagt Kalina, die sprechende schwarze Katze, zu der Menschenfrau Roberta, die sie aus Professor Sierbachs Laboratorium befreite, wo sie ohne dessen Wissen zu übersinnlichen Fähigkeiten gelangte. Mit Hilfe des Katers Bobo und dessen Gang macht sich Kalina auf, ihre Peiniger und deren Helfershelfer zu bestrafen. "Wir töten keine Menschen, denn wir sind nicht so grausam wie sie", besänftigt Bobo seinen Freund Henry, den Fetzer, der Schreckliches in der Vergangenheit erlebte. Und doch kommen Menschen zu Schaden. Zwar durch eigenes Verschulden, aber es ruft Kommissar Hartmann auf den Plan. Und dann kommt Kalina durch den unheimlichen Kater Tenko, der Brecher genannt, hinter die ungeheuerlichen Machenschaften Professor Liebermanns und des Albinos Eugen Natas, die Mischwesen erschaffen wie Brosko, ein Wesen halb Katze, halb Mensch. In einem furiosen Finale werden die Schuldigen bestraft. Und Kalina und ihre Freunde können sich endlich erfreulicheren Dingen zuwenden. "Ich wünschte, du wärst eine richtige Katze geworden", sagt Kalina im Andenken an das Mischwesen Brosko, der ihr eine gemeinsame Zukunft mit Roberta ermöglichte.

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Bärbel Junker

Kalina

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

ZUM BUCH

BOBOS KATZENGANG

KÖSTLICHKEITEN FÜR KALINA

SIERBACHS LABORATORIUM

ROBERTA UND KALINA

KOMMISSAR HARTMANN ERMITTELT

ÜBERFALL!

KALINA EILT ZU HILFE

RÜCKBLICK

DER TIERFÄNGER

WO IST IRIS?

TENKOS REVIER

TOLLKÜHNE RATTENMEUTE

BOBO MACHT SICH VORWÜRFE

TENKOS HAUPTQUARTIER

STIMMEN IM KOPF

KALINA IST EMPÖRT

LADY ASTOR FÜRCHTET SICH

TOTE MÄUSE

KALINAS RACHE

KATZENLIEBE

GEFANGEN!

DER TIERPRÄPARATOR

FREUNDE IN GEFAHR

BÖSE ABSICHTEN

TELEKINESE

HÖPFNERS GIER

DR. HÖPFNER DREHT DURCH

TRAURIGE ERKENNTNISSE

MARTAS ENTOMOPHOBIE

MARTA MERTENS SPIELT VERRÜCKT

DER JOURNALIST

UNERFREULICHE BEGEGNUNG

TENKO GREIFT AN

KALINAS FÄHIGKEITEN

VERLIEBTER KOMMISSAR

TEUFLISCHER ALBINO

SENATOR STEIN

KALINA BEOBACHTET TENKO

EUGEN NATAS´ GESCHÖPFE

BROSKO

ROBERTA IST SCHOCKIERT

UNGEBETENER BESUCH

WO IST DIE AKTE?

AUF DEM WEG ZUR FABRIK

NATAS UND SENATOR STEIN

XZAMOS

DER TUNNEL

DIE FABRIK

ANGRIFF!

ROBERTA WIRD ENTFÜHRT

DER FESCHE PONGO

PROFESSOR LIEBERMANN

BROSKOS RACHE

FLUCHT

STIMMEN IN BOBOS KOPF

VERRAT!

KALINAS FREUNDE GREIFEN EIN

EPILOG

Leseprobe

Impressum neobooks

ZUM BUCH

„Die Zeit des Leidens darf nicht umsonst gewesen sein“, sagt Kalina, die sprechende schwarze Katze, zu der Menschenfrau Roberta, die sie aus Professor Sierbachs Laboratorium befreite, wo sie ohne dessen Wissen zu übersinnlichen Fähigkeiten gelangte.

Mit Hilfe des Katers Bobo und dessen Gang macht sich Kalina auf, ihre Peiniger und deren Helfershelfer zu bestrafen.

„Wir töten keine Menschen, denn wir sind nicht so grausam wie sie“, besänftigt Bobo seinen Freund Henry, den Fetzer, der Schreckliches in der Vergangenheit erlebte. Und doch kommen Menschen zu Schaden. Zwar durch eigenes Verschulden, aber es ruft Kommissar Hartmann auf den Plan.

Und dann kommt Kalina durch den unheimlichen Kater Tenko, der Brecher genannt, hinter die ungeheuerlichen Machenschaften Professor Liebermanns und des Albinos Eugen Natas, die Mischwesen erschaffen wie Brosko, ein Wesen halb Katze, halb Mensch.

In einem beispiellosen Finale werden die Schuldigen bestraft und Kalina und ihre Freunde können sich endlich erfreulicheren Dingen zuwenden.

BOBOS KATZENGANG

Nicht jetzt, dachte Kalina, als Roberta nach ihr rief. Ich habe zu tun. Sie legte die Ohren an und flitzte aus dem Haus.

„Sei vorsichtig“, hörte sie Roberta noch rufen, bevor sie hinter der hohen Ligusterhecke und damit aus dem Blickfeld ihrer Freundin verschwand.

Geschmeidig eilte sie an den gepflegten Einfamilienhäusern ihres Wohnviertels vorbei, durchquerte in langen Sätzen einen parkähnlich angelegten Garten und ... wich im letzten Moment dem hier wachenden Dobermann aus.

„Das war knapp“, murmelte Kalina und rannte weiter. Im Schutz der hereinbrechenden Nacht eilte sie durch unbekannte Straßen, rannte über zahllose Grundstücke, bis sie endlich ein für ihr Vorhaben geeignetes Stadtviertel erreichte.

Hatte sie dreißig Gärten durchquert oder mehr, um in diese scheußliche Gegend zu gelangen? Sie wusste es nicht. Aber letztendlich war das ja auch egal. Jetzt war sie hier und würde finden, was sie suchte. Jedenfalls hoffte sie das.

Nachdenklich musterte sie die verwahrlosten Gärten und schäbigen Häuser zu beiden Seiten der Straße. Alle waren bewohnt wie unschwer an dem Lärm der Fernseher und dem bierseligen Gegröle zu erkennen war, das durch die geöffneten Fenster nach draußen drang. Sie musste weitersuchen. Aber wo? Vielleicht etwas abseits gelegener?

Sie mied das Licht der spärlichen Straßenbeleuchtung und lief weiter. Aber nicht sehr lange, denn die Straße endete als Sackgasse. Und was nun? Sie huschte in den Schatten einer von dichtem Gebüsch umgebenen Eiche und sah sich erst mal um.

Auch hier waren die Häuser bewohnt und deshalb ungeeignet. Aber links von ihr, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, erspähte sie einen schmalen Weg, der sich in der Dunkelheit verlor. Einen Versuch war es wert! Sie wollte gerade ihre Deckung verlassen, da fiel krachend eine Tür ins Schloss. Kalina zuckte erschrocken zurück. Sie verschmolz mit der Dunkelheit und wartete mit angehaltenem Atem.

Ein Mann trat schimpfend auf die Straße und kam auf ihr Versteck zu. „Wo ist bloß dieser verdammte Schlüssel“, fluchte er. Er blieb stehen und kramte in seinen Taschen.

Kalina duckte sich.

Doch der Mann ging dicht an ihr vorbei, ohne sie zu bemerken. Ein schrottreifer Opel war sein Ziel. Er stieg ein und fuhr davon.

Jetzt aber nichts wie weg! Kalina flitzte über die Straße und hinein in den Weg, der an ungepflegten Einfamilienhäusern und halb zerfallenen Bauernhäusern vorbeiführte. Sie rannte so lange weiter, bis die Häuser weit hinter ihr lagen. Im Schatten einiger Rhododendronbüsche blieb sie stehen und sah sich aufmerksam um. Aus dem gepflasterten Weg war inzwischen ein holpriger Pfad geworden, der sich an wild wucherndem Gebüsch vorbeischlängelte.

Wohin würde er sie bringen? Kalina lief weiter. Da tauchte am Ende des immer schmaler werdenden Weges ein windschiefes Gebäude mit kantigen Erkern, zerbrochenen Fensterscheiben und nur noch halb in den Angeln hängenden Türen auf.

Das alte Gemäuer könnte genau richtig sein, dachte Kalina und schlich näher heran. Doch ihr niemals schlummerndes Misstrauen riet ihr, nichts zu überstürzen. Also zog sie sich in den Schatten einer Blutbuche zurück und wartete.

Aber hier war niemand. Alles blieb still. Also gut!

Sie löste sich aus dem Schatten des Baumes und rannte auf die nur noch als morsches Fragment vorhandene Tür zu. Hastig schlüpfte sie hindurch. Und was jetzt? Wo sollte sie mit der Suche beginnen? Unentschlossen musterte sie die zahlreichen Zimmereingänge deren Türen entweder längst irgendwo anders eingebaut oder dem wärmenden Feuer Obdachloser zum Opfer gefallen waren. Sie entschied sich für den gegenüberliegenden Raum und huschte hinein.

„Igitt! Hier stinkt´s ja eklig“, zischte sie. Naserümpfend sah sie sich in dem vor Gerümpel und Abfällen schier überquellenden Raum um und machte, dass sie weiterkam. Doch die nebenan liegende Küche war noch schlimmer! Kopfschüttelnd musterte sie den mit verschimmelten Speiseresten und angetrockneten Bierlachen übersäten Küchentisch, auf dem sich eine Kompanie Schmeißfliegen tummelte, während auf der in Streifen von der Wand hängenden Tapete gut genährte Küchenschaben geschäftig auf und ab eilten.

„Was für eine Sauerei“, zischte sie und fuhr im selben Moment erschrocken über das Rascheln in dem total verdreckten Küchenschrank zusammen. Wahrscheinlich nur eine Maus, vermutete sie und schalt sich für ihre Zimperlichkeit.

Sie verließ die Küche und lief zum Ende des Korridors, wo sich eine morsche Holztreppe zum oberen Stockwerk emporschwang. Skeptisch musterte sie den brüchigen Treppenbelag.

„Na ja, meine paar Kilo wird sie schon noch tragen“, machte sie sich Mut und sprang auf die erste Stufe. Die Treppe ächzte zwar protestierend, aber sie hielt. Sie eilte mit weiten Sprüngen nach oben und huschte über die knarrenden Dielen zu einem Zimmer am Ende des Flurs, aus dem ihr wohlbekannte Gerüche in die Nase stiegen.

KATZEN! frohlockte sie!

Sie lief zum Eingang und spähte in den Raum. Das Zimmer war leer, bis auf ein zerschlissenes Sofa und einen ramponierten Couchtisch, um den sich mehrere klobige Sessel gruppierten, die sich jedoch gegen den auf einem Podest an der Stirnseite des Tisches thronenden Ohrensessel geradezu zierlich ausnahmen.

Sollte sie hier richtig sein? Sie huschte ins Zimmer und lauschte. War da nicht eben ein Geräusch gewesen? Tatsächlich! Es kam jemand. Sollte sie sich verstecken? Nein! Sie schüttelte den Kopf und sprang mit einem Satz auf den Ohrensessel. Sollten sie nur kommen. Sie war bereit.

Und sie kamen! Die leisen Geräusche waren bereits ganz nah.

„Aha“, zischelte Kalina nun doch aufgeregt. „Jetzt bin ich aber mal gespannt, was das für Typen sind.“

Und im selben Moment stürmte ein muskulöser, silbergrauer Kater ins Zimmer, dem eine Horde Artgenossen auf dem Fuße folgte. Als wäre er gegen eine Wand gelaufen blieb der Silbergraue so ruckartig stehen, dass seine Gefolgschaft auf ihn auflief und unter wildem Geschrei übereinander purzelte. Ein kleiner, kugelrunder Kater kreischte empört:

„Bobo, sieh nur! Da hat sich jemand in deinem Sessel breit gemacht!“

„Ja, Karlchen“, grollte Bobo. „Noch dazu ein Katzenweib! Das glaube ich einfach nicht.“

„Wahrscheinlich ist sie lebensmüde, Boss“, grinste der kleine Dicke.

Kalina reckte sich und bildete einen imponierenden Buckel. „Bist du der Boss?“, fragte sie gelassen den Silbergrauen von ihrem erhöhten Sitz aus.

„Das will ich wohl meinen“, knurrte Bobo. „Raus aus meinem Sessel oder ich mach dich alle. Das hier is´ mein Revier, kapiert?!“

Kalinas kohlrabenschwarzes Katzengesicht blieb unbewegt, aber ihre funkelnden goldgelben Augen ließen den Kater nicht los.

„Soll ich ihr ´ne Lektion erteilen, Chef?“, bot sich ein Kater an, dessen verstümmeltes Ohr auf einen Raufbold schließen ließ.

„Lass man, Henry. Ich mach das schon. Doch bevor ich sie mir vornehme, möchte ich wissen, was sie hier zu suchen hat“, zischte Bobo.

Um es nicht zum Äußersten zu treiben gab Kalina nach, denn schließlich war sie ja nicht ohne Grund hierhergekommen. Sie sprang vom Sessel herunter und baute sich selbstbewusst vor dem Silbergrauen auf.

Dieser zwinkerte irritiert. Mit der sollte ich mich vielleicht besser nicht anlegen, dachte Bobo unbehaglich, als er seine ungebetene Besucherin in voller Größe vor sich sah. Aber er fasste sich schnell wieder.

Kalina spürte sein innerliches Zusammenzucken und grinste insgeheim. Aber sie war klug genug, sich nichts anmerken zu lassen. Der Kater vor ihr war der Boss und sie hatte nicht vor, sich mit ihm und seinem Gefolge anzulegen. Schließlich suchte sie für ihr Vorhaben Verbündete. Feinde nützten ihr nichts.

„Also? Was willst du hier?“, fragte Bobo streng.

„Ich brauche eure Hilfe. Ich will Mitglied deiner Gang werden“, sagte Kalina.

Stille folgte ihren Worten. Die Bande starrte sie erst sprachlos an, um plötzlich wie auf Kommando loszuprusten.

Karlchen, der kleine Dicke, schmiss sich auf den Boden und hielt sich sein schwabbeliges Bäuchlein vor Lachen. „Na, das is´ vielleicht ´ne Type, Boss“, kreischte er amüsiert.

„Spinnst du?“, knurrte Bobo, der die allgemeine Heiterkeit nicht teilte. „Du kannst doch nich´ einfach bei der besten Straßengang der ganzen Gegend auftauchen und sagen: Ich will in eure Gang und ihr müsst mir, wobei auch immer, helfen. Nee, meine Liebe, so einfach ist das nicht. Mitglied wird nur, wer etwas Besonderes zu bieten hat und gefallen muss er uns natürlich auch.“

„Genau, der Boss hat recht. Die Tussi tickt doch nicht ganz richtig“, grölte der vernarbte Henry frech. „Lass mich mal machen, Boss. Ich schmeiß sie einfach raus.“

Kalina sah ihn furchtlos an. Ein Straßenkämpfer, dem verkrüppelten Ohr und den vielen Narben nach, mutmaßte sie.

„Gehst du freiwillig oder muss ich nachhelfen?“, zischte er und baute sich siegessicher vor ihr auf. Der arme Kerl konnte ja nicht ahnen, mit wem er sich da anlegen wollte. „Glotz nich´ so blöd. Hau lieber ab“, fauchte Henry irritiert, als sie auf seine Drohgebärden nicht reagierte

Da erstrahlten ihre Augen in goldenem Licht. Erschrockenes Raunen ließ die Katzenhorde erbeben und ...

HENRY BEGANN ZU SCHWEBEN!

Erst fünfzig, dann achtzig, dann hundert Zentimeter über dem Boden kreiste der Kater sanft der Zimmerdecke entgegen. Höher und höher stieg sein vernarbter Katzenleib, bis er etwa zwei Meter über ihnen einen seltsamen Tanz aufführte.

„Bitte, lass mich runter“, jammerte Henry. „Mir wird schlecht.“

Ein lang gezogener Seufzer schwebte durch den Raum und ein dünnes Stimmchen fragte: „Was macht Henry dort oben?“

Bobo schüttelte seine Erstarrung ab. Seine kupferfarbenen Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen. „Machst du das etwa?“, zischte er.

Kalina nickte.

„Okay, dann hol ihn da runter. Sofort! Oder ich werde verdammt ungemütlich, kapiert?“

„In Ordnung, aber unter einer Bedingung.“

„Und welche?“

„Ihr hört euch in Ruhe an, was ich zu sagen habe. Und wenn ihr dann noch immer nichts mit mir zu tun haben wollt, verschwinde ich, abgemacht?“

Bobo überlegte. „Also gut“, sagte er endlich. „Sobald Henry wieder unten ist, hör´n wir dir zu.“

Und so geschah es.

Bobo erklomm seinen Chefsitz, den Ohrensessel. Und seine Anhänger machten es sich auf den übrigen Sitzgelegenheiten bequem. „Also gut. Was willst du uns erzählen?“, fragte Bobo ungeduldig.

„Über die entsetzlichste Zeit meines Lebens und wie mich meine Menschenfreundin Roberta vor einem schrecklichen Ende bewahrte“, sagte Kalina. „Es geschah an ...“

„Lüge! Pure Lüge!“, kreischte Henry und sprang mit einem Satz zu ihr auf den Tisch. „Menschen retten keine Katzen! Menschen sind falsch und voller Heuchelei. Sie verfolgen uns! Sie fangen uns! Aber sie helfen uns nicht. So etwas würden sie niemals tun. Niemals! Ich wusste es! Du hilfst ihnen. Ich mach dich alle, du verdammte Spionin!“, schrillte der Kater und wollte sich auf sie stürzen.

Doch Bobos donnerndes: „Stopp!“, ließ ihn innehalten.

Henry erstarrte. Er senkte zwar seine zum Schlag erhobene Pfote, doch die scharfen Krallen zog er nicht ein.

„Beruhige dich, Alter, und geh zurück an deinen Platz“, befahl Bobo.

„A...aber sie lügt, Boss“, stotterte Henry verwirrt. „Du...du weißt doch auch wie die sind.“

Bobo nickte. „Klar weiß ich das, aber mein Wort gilt. Also lass sie erzählen. Danach seh´n wir weiter, in Ordnung?“

Henry nickte stumm und trottete zurück zu seinem Sessel.

„Weiter“, knurrte Bobo. „Aber fasse dich gefälligst kurz.“

„Das kann ich nicht“, widersprach Kalina. „Ich muss es so erzählen wie Roberta und ich es erlebt haben und das braucht seine Zeit.“

„Also gut, Süße. Dann mach voran.“

Kalina nickte. „An einem strahlend schönen Sommertag saß meine Freundin Roberta an ihrem Schreibtisch“, begann sie, „als plötzlich Professor Sierbach, ihr Chef, aufgeregt in ihr Büro stürzte und sagte, sie müsse sofort mit ihm kommen.

Sie fuhren zu seinem Labor, in dem es einen Unfall gegeben hatte, bei dem seine Assistentin so schwer verletzt worden war, dass sie ins Krankenhaus musste und einen für den Professor äußerst wichtigen Bericht nicht mehr schreiben konnte. Roberta sollte das nun für ihn erledigen.

Roberta fuhr in ihrem Wagen hinter Sierbach hinterher. Vor einem roten Backsteingebäude hielten sie. Doch bevor sie das Gebäude betraten, verdonnerte der Professor sie zu strengstem Stillschweigen über alles, was sie hier sehen würde. Sie versprach es und folgte ihm mit einem mulmigen Gefühl.

Beißender Gestank schlug ihnen entgegen, als sie im zweiten Stockwerk aus dem Fahrstuhl traten. Der Professor eilte den langen Korridor entlang. Vor der letzten Tür blieb er stehen, öffnete sie und trat ein.

Roberta, die ihm gefolgt war, sah sich neugierig um. Was sie sah schockierte sie so sehr, dass sie taumelte und sich festhalten musste. Entsetzt starrte sie auf Reihen verchromter Käfige, in denen die verkrümmten Körper toter Affen und Hunde, Katzen und Kaninchen, Mäuse und Ratten von einem schrecklichen Ende zeugten.

Robertas Magen rebellierte. Ihr wurde schlecht. Sie taumelte vor Schwäche und vor Scham. Halt suchend umklammerte sie mit zitternden Händen die chromblitzenden Stäbe eines Käfigs und drückte weinend ihr bleiches Gesicht dagegen.

Da spürte sie eine sanfte Berührung an ihren Händen. Sie hob den Kopf und erschrak, als sie ein Katzengesicht dicht vor sich sah.“

„Und diese Katze warst du“, flüsterte Karlchen so dicht neben Kalina, dass diese erschrocken zusammenzuckte. Sie hatte ihn nicht kommen hören.

„Ja, die war ich.“

„Sei still, Dicker“, befahl Bobo. „Lass sie weiter erzähl´n.“

„Ich gab keinen Laut von mir“, fuhr Kalina fort, „ließ die Frau vor meinem Gefängnis jedoch nicht aus den Augen, denn sie war meine letzte Chance. Wenn sie mir nicht half, dann war ich verloren. Und das versuchte ich ihr auf meine Art klarzumachen. Da kehrte Sierbach zurück. Und Roberta drehte sich instinktiv so zu ihm um, dass ihr Körper mich verdeckte.

Sierbach erklärte ihr kalt, dass der Unrat (er meinte meine toten Leidensgenossen) sofort beseitigt würde, damit nicht doch noch zu guter Letzt die Presse oder irgendwelche spleenigen Tierschützer von dem Schlamassel Wind bekamen und ihm Schwierigkeiten machten.

Roberta sollte sofort mit dem Schreiben des Berichts anfangen und diesen zu ihm nach Hause bringen, egal wie spät es werden würde.

Und dann fiel Sierbachs Blick auf mich und er knurrte:

„Ausgerechnet diese Bestie hat überlebt. Aber nicht mehr lange! Noch ein letztes Experiment morgen, danach schicke ich das Biest zur Hölle.“ Als ihn Roberta fassungslos ansah, ließ er sich zu einer Erklärung herab: „Diese Kreatur dort verdient ihr Mitleid nicht, meine Liebe.

Unsere Experimente machten sie so groß und stark, obwohl das keineswegs beabsichtigt war. Und das gemeine Biest nutzt das aus. Sie kratzt und beißt rücksichtslos um sich, sobald sich ihr jemand nähert. Na ja, noch bis morgen Nachmittag, dann ist es mit ihr vorbei.“

Roberta war über seine gefühllosen Worte entsetzt und das sagte sie ihm auch.

Doch er starrte sie nur kalt an. „Wieso Schmerzen und Qualen?“, sagte er eisig. „Es sind doch nur Tiere und jetzt kommen Sie.“

Roberta folgte ihm, aber vorher flüsterte sie mir noch zu: „Keine Angst. Ich hole dich heute Nacht hier raus, das verspreche ich dir.“

Als gegen einundzwanzig Uhr die letzten Angestellten das Gebäude verlassen hatten, kam Roberta zu mir. Sie hatte den wenigen, für Laien verständlichen Passagen des Berichts entnommen, für was wir Tiere hier benutzt wurden und war zutiefst schockiert. Für Forschungen, die der Menschheit eher schaden, als nützen würden, dachte sie. Aber zu viele Wissenschaftler schrecken ja vor nichts zurück. Es ist machbar, also tun sie es. Hauptsache, es bringt Ruhm und Geld. Besonders Geld!

Eingepfercht in dem extrem engen Käfig der mich zur Bewegungslosigkeit verdammte, einer immerwährenden, von meinen Peinigern gewollten Tortur, beobachtete ich die Frau, die laut mit sich sprach. Sie fragte sich nämlich, wie sie zusammen mit mir unbemerkt an den Wachen im Erdgeschoss vorbeikommen sollte.

Ich schob meine Pfote durch die Gitterstäbe und legte sie Roberta vorsichtig auf den Arm. Ich hatte keine Wahl. Ich musste dieser Frau vertrauen. Entweder sie befreite mich oder ich war in wenigen Stunden tot.

„Frag doch einfach mich“, wisperte ich.

Roberta erschrak. Mit offenem Mund starrte sie mich an.

„Ich heiße Kalina“, sagte ich. „Und wie heißt du?“ Denn da kannte ich ihren Namen ja noch nicht. Ich beobachtete sie und fragte mich gespannt, wie sie wohl auf eine sprechende Katze reagieren würde. Natürlich wie alle anderen Menschen auch. Sie sagte: Tiere können nicht sprechen.

„Ich schon“, erwiderte ich. „Ein unbeabsichtigter Nebeneffekt der Experimente. Allerdings weiß das niemand außer dir. Lässt du mich jetzt hier raus? Ich bin nämlich schon ganz steif.“

„Wow!“, stöhnten Karlchen und seine Freunde. „Ist das spannend! Und wie ging´s weiter?“

„Kannst du wirklich wie die Menschen sprechen und sie auch verstehen? Auch, warum sie so vieles tun, was wir Katzen nicht begreifen?“, wollte Bobo wissen. Und als Kalina nickte: „Nicht schlecht. Das könnte nützlich sein. Ich glaube ...“

„Lass sie weiter erzähl´n, Boss“, unterbrachen ihn die anderen. „Das is´ ja ´ne Wahnsinnsgeschichte.“ Bobo nickte und Kalina fuhr fort:

„Nachdem sie mir ihren Namen gesagt hatte, entriegelte Roberta den Käfig und half mir heraus, denn ich war vollkommen steif von der langen Bewegungslosigkeit. Sie zog mich Stück für Stück aus dem Käfig. Dann massierte sie mich vorsichtig so lange, bis die Starrheit aus meinen Gliedern wich. Sie war wirklich rührend um mich besorgt und erstaunlich gefasst für einen Menschen, der zum ersten Mal auf die wahrscheinlich einzige sprechende Katze trifft.

So weit so gut. Jetzt mussten wir uns noch etwas einfallen lassen, mich unbemerkt aus dem Gebäude zu bringen. Und dann hatte ich eine Idee. Damit Sierbach nicht nach mir forschte, musste er denken, ich sei tot, andernfalls würde er keine Ruhe geben, denn ich war der lebende Beweis für seine geheimen Versuche, die von vielen Menschen verurteilt wurden. Er konnte sich keinen Skandal erlauben, sonst sprangen seine Geldgeber ab.

Kurz und gut. Ich würde also über den Baum verschwinden, der so dicht vor dem Bürofenster stand, dass er es fast berührte und auf Robertas Auto warten. Und sie musste den Professor davon überzeugen, dass ich auf meiner Flucht vor ein Auto gelaufen und überfahren worden war. Roberta sollte sagen, sie habe meinen Leichnam dann verschwinden lassen, damit der liebe Professor keinen Ärger bekäme.

Die Story war zwar ein bisschen dünn, aber mit ein bisschen Glück würden wir damit durchkommen. Roberta musste eben sehr überzeugend sein.

Roberta stürzte dann noch meinen Käfig vom Tisch und verbog mit einer Zange die Riegel, um Sierbach weiszumachen, ich hätte mich aus eigener Kraft befreit.

Kurz nach Mitternacht legte Roberta den fertigen Bericht in ihre Mappe und stand auf. Sie öffnete das Fenster und ließ mich raus. Ich turnte geschickt den Baum runter und verschwand so lange im Gebüsch, bis Robertas Wagen neben mir hielt und mich aufnahm.

Danach lief alles wie geplant.

Roberta brachte mich in ihr Haus, und ich plünderte ihren Kühlschrank, während sie zu Sierbach, diesem verdammten Tierschinder, fuhr.

Und Roberta war so überzeugend, dass sich der Mistkerl bei ihr sogar für die Beseitigung meines Leichnams bedankte und ihr zur Belohnung eine Woche Urlaub gab.

In dieser Nacht schlief ich zum ersten Mal seit langer Zeit ruhig und ohne Angst ein.

Und am nächsten Morgen beschlossen Roberta und ich dann beim Frühstück, dass Sierbach und sein grausamer Assistent Elmar Thomsen ebenso wenig ungestraft davonkommen sollten wie Marta Mertens, Sierbachs herzlose Assistentin, die zu mir und meinen Leidensgenossen besonders grausam gewesen war. Nur wie die Bestrafung aussehen soll, das haben wir noch nicht besprochen. Obwohl ich da schon so meine Vorstellungen habe“, beendete Kalina ihre Geschichte.

„Du meinst, da kommen wir ins Spiel?“, fragte Bobo.

Kalina nickte und bewunderte seine Intelligenz. Sie hatte die richtige Gang gefunden. Bobo war nicht nur ein starker, sondern auch ein sehr kluger Anführer. Würde er sie als neues Mitglied in seiner Gang haben wollen? fragte sie sich bang.

„Was meint ihr? Nehmen wir sie in unsere Gang auf und helfen ihr?“, fragte Bobo.

Als hätte er auf einen Knopf mit dem Befehl „Kreischen“ gedrückt brach ein solches Stimmengewirr los, das kein einziges Wort zu verstehen war.

Kalina hielt vor Spannung den Atem an. Wer würde als Erster für oder gegen sie entscheiden? Vielleicht der unverschämte Henry, der wohl ziemlich sauer auf sie war, weil sie ihn dank ihrer besonderen Fähigkeiten an die Zimmerdecke steigen ließ?

„Ruhe! verdammt noch mal“, fluchte Bobo genervt. „Man kann ja sein eigenes Wort nicht versteh´n.“ Schlagartig flaute der Lärm ab und acht Augenpaare richteten sich auf ihn. „Gut so“, knurrte er zufrieden. „Wir machen es wie immer, Leute.“

„Wir stimmen ab“, erklang es im Chor.

„Genau. Wer dafür ist, Kalina in unsere Gang aufzunehmen, hebt die rechte Pfote. Los geht´s!“

Plötzlich war es mucksmäuschenstill.

Vor Aufregung wie betäubt, starrte Kalina vor sich hin. Sie müssen mich aufnehmen, wünschte sie inbrünstig. Sie sind die Richtigen. Nirgendwo werde ich geeignetere Verbündete finden für das, was ich mir vorgenommen habe.

Und obwohl sie natürlich keine Engel sind, sondern eine hartgesottene, vom täglichen Überlebenskampf geprägte Bande, so sind sie doch ehrlich und zuverlässig, das sagt mir mein erstklassig funktionierender Katzeninstinkt.

Bobos: „Okay, es ist entschieden“, ließ sie den Kopf heben.

„Und wie habt ihr entschieden?“, flüsterte sie.

„Hast du das etwa nicht mitgekriegt?“, grinste Bobo.

„Ich dachte, du bist so cool“, lästerte Henry dicht neben ihr.

Von wegen cool! Sie hatte ihn noch nicht mal kommen hören.

„Du gehörst jetzt zu uns“, wisperte ein weiches Stimmchen hinter ihr.

Sie drehte sich mit einem Ruck um. „Echt?“

„Dir liegt wohl sehr viel daran?“, fragte die weiße Kurzhaar-Katze mit dem schwarzen Brustfleck.

Kalina nickte stumm.

„Dass die Weiber aber auch immer alles verraten müssen. Ich hätte die Neue zu gerne noch ´n bisschen zappeln lassen“, schimpfte Henry und sprang vom Tisch.

„Ich heiße Katinka, aber alle nennen mich Kati“, erklärte die kleine Schwarzweiße ungerührt und kein bisschen beleidigt.

„Genug geschwafelt“, unterbrach Bobo sie und an Kalina gewandt: „Deine Geschichte hat uns überzeugt. Du bist einstimmig aufgenommen. Selbstverständlich musst du dich an unsere Regeln halten und meine Anordnungen befolgen, sonst gibt es Zoff, ist das klar?“

„Natürlich, Boss, vollkommen klar“, versicherte Kalina. Nein, sie hatte nicht vor seine Autorität anzuzweifeln, aber sie würde ihm ihre Ideen so geschickt unterjubeln, dass er sie für seine eigenen halten würde, dachte sie.

„Gut, dann will ich dich mal mit der Bande bekannt machen. Die Männer einzeln vortreten“, befahl er.

Kalina konnte sich gerade noch ein Grinsen verkneifen, als Karlchen so hastig aufsprang, dass er vom Sessel fiel.

„Das ist Karlchen, der Verfressene“, stellte Bobo den vielfarbigen Kurzhaarkater vor. „Woher er seinen Spitznamen hat ist ja wohl klar. Aber täusche dich nicht. Unser Kleiner ist trotz seines Hängebäuchleins äußerst agil.“

„Henry, den Fetzer, hast du ja bereits kennengelernt. Er kann sich leider manchmal nicht beherrschen, ist aber ansonsten eine treue Seele. Stimmt´s Alter?“

„Bei dem, was hinter mir liegt, ja wohl auch kein Wunder“, brummelte der graue Kater mit dem beige-schwarz gemusterten Gesicht und an Kalinas Adresse gemünzt: „Aber wehe, du lässt mich jemals wieder fliegen, dann kann ich für nichts garantieren!“

„Hab ich nicht vor“, erwiderte sie.

„Und hier haben wir den nächsten Rabauken“, flachste Bobo. „Vor dir steht Jonny, die Kralle. Los Jonny, lass sie mal sehen.“

Der Kater, eine ziemlich gewagte Kurzhaar-Persermischung in graublau, fuhr stolz seine wahrhaft beängstigenden Waffen aus und ließ die langen Krallen im hereinfallenden Mondlicht blitzen.

„So, und das ist Einstein, der Professor. Neben mir das Gehirn unserer Gang“, stellte Bobo den beige-braunen Kater vor, dessen Fell ein strahlend weißes, über dem linken Auge pfeilförmig bis zum Hinterkopf verlaufendes Muster aufwies. Ockerfarbene Augen unter buschigen Fellpolstern musterten Kalina prüfend.

„Schön, dass du jetzt zu uns gehörst“, hieß der Professor sie Willkommen.

„Und jetzt die Damen, Chef“, krähte Karlchen.

„Genau, Kleiner. Also, Kati, die weiße Kurzhaar, kennst du ja bereits. Und dort drüben die attraktive Rothaarige mit dem wuscheligen Fell ist Fanny, die Verruchte, hinter der fast jeder Kater her ist. Stimmt´s, Süße?“

„Klar, du Schwerenöter“, flötete Fanny und rekelte sich verführerisch.

„Die gut proportionierte Braun-Weiße in dem geblümten Sessel dort drüben ist unsere mütterliche Molly“, erklärte Bobo. „Und neben ihr die kleine Anthrazitfarbene mit den ockerfarbenen Pfötchen ist Pinky, die Verspielte, unsere Jüngste. Klasse Gang, was?“

„Ja“, nickte Kalina. „Und ich bin sehr stolz und glücklich, dass ich von jetzt an zu euch gehöre.“

„Hört, hört“, konnte sich der Fetzer das Lästern nicht verkneifen. „Unsere neue Superbraut kann ja sogar charmant sein.“

„Jetzt kennst du die wichtigsten Mitglieder, den harten Kern unserer Gemeinschaft“, fuhr Bobo fort, ohne Henrys Zwischenruf zu beachten. „Meine restlichen Anhänger leben wie du bei den Menschen und fühlen sich dort sehr wohl. Aber sie helfen und unterstützen uns in vielen Dingen.“

„Erzähl ihr von der schönen Iris“, krähte Karlchen begeistert.

„Was ist mit ihr?“, fragte Kalina neugierig.

„Tja, Iris!“, erwiderte Bobo verträumt.

„Sie ist die Lieblingspuppe vom Boss“, flüsterte Fanny, die Verruchte, die sich lautlos angeschlichen hatte, Kalina zu.

„Iris ist etwas ganz Besonderes“, schwärmte Bobo. „Hast du schon jemals eine schneeweiße Perserkatze mit seegrünen Augen gesehen?“ Und als Kalina den Kopf schüttelte: „Traumhaft, kann ich dir sagen. Wunderschön! Und dazu ihr gütiger Charakter. All die Leckerbissen von denen unsereiner sonst nur träumen kann. Iris besorgt sie uns, ohne was dafür zu verlangen.“

„Und sie hilft unserer kleinen Kati, wo sie nur kann“, fügte Molly mit weicher Stimme hinzu.

„Ja, Iris ist sehr, sehr lieb“, wisperte Kati. „Sie hat mir sogar das Leben gerettet.“

„Und wie?“, fragte Kalina neugierig.

„Los, Kati, erzähl´s ihr“, grölte Henry, der Fetzer.

Als das kleine weiße Kurzhaar sich so plötzlich im Mittelpunkt des Interesses sah, senkte sie den Kopf und begann sich vor Verlegenheit zu putzen.

„Erzähl´s ihr, Kleines“, bat Molly weich.

„Meinst du?“, wisperte Kati. Als Molly nickte hob sie entschlossen den Kopf und sah Kalina an. „Weißt du, mein Bein war nicht immer steif“, begann sie. „Schuld daran ist ein Tierfänger. Er verletzte mich, bevor ich ihm in letzter Minute doch noch entkommen konnte. Halb ohnmächtig vor Schmerzen schleppte ich mich mit letzter Kraft in einen Garten, wo ich erschöpft zusammenbrach.

Und hier fand mich Iris, denn der Garten gehörte zu ihrem Zuhause. Sie versteckte mich im Gartenhaus, versorgte mich mit leckerem Essen und leistete mir Gesellschaft. Mein Bein heilte, aber ein Teil davon blieb leider steif, sodass ich nicht mehr flink genug zum Jagen war.

Was nun? dachte ich verzagt, denn schließlich konnte ich Iris ja nicht ewig zur Last fallen. Doch meine Wohltäterin tröstete mich. Lass mich nur machen, sagte sie. Ich hab da schon so eine Idee.“

„Und dann kamen wir“, krähte Karlchen aus dem Hintergrund.

„Ruhe, Dicker! Lass Kati erzählen“, rügte Bobo.

„Aber Karlchen hat recht“, nickte Kati. „Zwei Tage nach meinem Gespräch mit Iris tauchte Bobo mit seiner Gang im Gartenhaus auf. Ich hatte schreckliche Angst, doch Iris beruhigte mich.

Bobo ist auf meinen Wunsch gekommen, erklärte sie. Und wenn du ihm und den anderen sympathisch bist, nehmen sie dich in ihrer Gang auf.

Und tatsächlich nahmen sie mich, einen Krüppel, in ihre Gemeinschaft auf und sorgen seitdem gemeinsam mit Iris für mich“, sagte Kati mit tränenerstickter Stimme.

„Ach was, Kati. Ganz so ist es ja nun auch wieder nicht“, wandte Molly ein. „Du leistest deinen Teil der Arbeit genauso wie alle anderen. Du bist noch immer flink und ganz schön gerissen.“

„Genauso is´ es“, brummte Karlchen mit vollem Mund.

„Ja, Iris ist wirklich ganz bezaubernd“, knurrte Jonny, die Kralle.

„Ja, und Lady Astor ist dagegen das reinste Charakterschwein“, keifte Henry.

„Wer ist denn nun wieder Lady Astor?“, fragte Kalina verwirrt.

„Diese blöde, eingebildete Gans“, zischte Fanny giftig.

„Reg dich nicht auf, Fanny“, besänftigte Molly sie. „Sie ist es doch nicht wert.“

„Lady Astor, genannt „Die Gräfin“, ist die eingebildetste, arroganteste, hinterlistigste und habgierigste Siamkatze, die jemals lebte“, giftete Henry.

„Aber sie ist außerdem wunder...wunderschön“, schwärmte Einstein verträumt.

„Bist du etwa scharf auf sie, Professor?“, kicherte Karlchen.

„Ach was! Ich sehe das vom rein ästhetischen Standpunkt aus. Man könnte auch rein wissenschaftlich sagen“, beteuerte Einstein.

„Hört, hört! Rein wissenschaftlich nennt man das heute. Ich lach mich kaputt“, lästerte Henry, der Fetzer.

„Hört auf zu streiten“, befahl Bobo. „Kalina soll uns jetzt erzählen, was sie vorhat. Du willst es diesem Professor heimzahlen, stimmt´s?“ Und als sie nickte. „Na, dann leg mal los.“

KÖSTLICHKEITEN FÜR KALINA

Roberta starrte auf die Katzenklappe in der Küche, die sie gleich am nächsten Tag hatte einbauen lassen.

„Wo bist du, Kalina?“, flüsterte sie besorgt. Eine sprechende Katze alleine dort draußen. Und Mitternacht war längst vorbei. Was konnte nicht alles passieren! Sie hätte sie nicht alleine gehen lassen dürfen. Was, wenn sie auf Tierfänger stieß?

„Ich passschon auf mich auf, Roberta“, hatte sie gesagt. „Aber bei dem, was ich vorhabe, können mir nur meine Artgenossen helfen.Schließlich willst du doch auch, dass man diese Tierschinder bestraft“.

„Hallo“, sagte Kalina und gab der Katzenklappe einen Schubs. Sie stolzierte zu ihrem Fressnapf und sah hinein. Leer! Na, das musste sich aber sehr schnell ändern!

„Mein Gott, bin ich froh, dass du wieder zu Hause bist“, sagte Roberta erleichtert. „Wo hast du nur so lange gesteckt?“

„Mann, das war vielleicht ein Tag“, murmelte Kalina und wandte sich ihrem Trinknapf zu. Ah, tat das gut. Von dem vielen Erzählen war ihr Hals ganz ausgedörrt. Noch ein Schluck und dann drehte sie sich zu Roberta um, die hinter ihr stehen geblieben war. „So, und jetzt habe ich einen Mordshunger“, verkündete sie.

Das Summen des elektrischen Dosenöffners ließ Kalinas Barthaare erwartungsvoll erzittern. Was für ein herrliches Geräusch! Und dann erst das, was es bedeutete! Köstliche Fleischbrocken in saftiger Sauce, dieses Mal Huhn, schnupperte sie. Wenn man das richtige Zuhause erwischte, war das Leben bei den Menschen wahrlich nicht schlecht. Schade, dass nicht alle so waren wie Roberta. Und dann dachte sie nicht mehr, sondern machte sich heißhungrig über ihr Essen her.

Hattest du Erfolg?“, fragte Roberta später im Wohnzimmer, als Kalina auf dem Sofa lag und sich putzte.

Kalina nickte und erzählte ihr von Bobo und seiner Gang.

„Und wie geht es jetzt weiter?“

„Morgen Abend treffe ich mich mit ihnen.“

„Und dann? Was habt ihr vor?“

„Wir werden uns um Sierbachs verdammtes Labor kümmern“, zischte Kalina.

„Aber ihr werdet ihm doch nichts antun, oder?“

„Wir zerstören nur sein Labor.“

„Sein Laboratorium?!“, rief Roberta mehr überrascht, als entsetzt. „Das geht doch nicht. Wie wollt ihr das denn machen?“

„Das weiß ich erst, wenn ich dort bin“, erwiderte Kalina lässig. „Mir wird schon was einfallen.“

Zuzutrauen wäre es ihr, dachte Roberta, obwohl es natürlich unmöglich ist. Schließlich können Katzen keine Bomben oder Molotowcocktails werfen oder was immer man dafür braucht. Wir müssen irgendwie die Öffentlichkeit mobilisieren, anders kommen wir an diese Schinder nicht ran.

Sie sagte es Kalina. Aber die ließ sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen. Schließlich hatte Roberta keinen blassen Schimmer von ihren vielfältigen Möglichkeiten, denn Sprechen war bei weitem nicht die einzige Fähigkeit, die sie in dieser Hölle erworben hatte!

SIERBACHS LABORATORIUM

Im diffusen Licht der hereinbrechenden Dämmerung hockte Kalina zusammen mit Bobo und den anderen im Gebüsch. Sie beobachteten das rote Backsteingebäude gegenüber, in dem sie die schlimmste Zeit ihres Lebens zugebracht hatte.

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Bobo. „Woher willst du eigentlich wissen, dass der Professor da ist?“

„Um diese Zeit ist er immer hier, das weiß ich aus leidvoller Erfahrung.“

„Schön und gut“, knurrte Henry neben ihr. „Und wie soll´s jetzt weitergeh´n?“

„Hmm.“ Kalina kratzte sich hinterm Ohr und überlegte. Das verdammte Labor musste verschwinden, das war mal sicher. Aber wie? Informationen! Sie brauchte Informationen. Also gut. „Ich muss mir die Sache einfach mal aus der Nähe ansehen“, dachte sie laut. „Ihr seid meine Rückendeckung und wartet hier. Einverstanden, Boss?“

Bobo nickte zufrieden. Sie fragte ihn. Sehr gut, so gehörte sich das.

Kalina grinste in sich hinein. Solange sie nichts tat, was seine Autorität untergrub, würden sie großartig miteinander auskommen.

Sie huschte aus ihrer Deckung hinüber zum Haus. Es würde nicht schwer werden, denn das morgens aufgestellte Baugerüst unterstützte ihr Vorhaben. Glück musste man eben haben!

Sie legte ihre Pfoten auf die erste Sprosse der Leiter und kletterte nach oben. Helligkeit würde sie nicht verraten, denn nur im Labortrakt brannte noch Licht. Sie erreichte mühelos die zweite Etage und balancierte leichtfüßig wie eine Ballerina über eine Planke zu einem der beleuchteten Fenster hinüber und lugte hindurch.

Und da war er, Sierbach!

Fauchend beobachtete sie ihn, während ihr buschiger Schwanz erregt über den Fenstersims peitschte und dünne Staubwolken aufwirbelte. Unbeweglich saß sie da und belauerte und registrierte alles, was er tat. Oh ja, sie kannte diesen Raum! Dieses Laboratorium, in dem sie und ihre Leidensgenossen so unendliche Qualen erdulden mussten.

Durch die schrecklichen Versuche war sie größer und stärker, schneller und intelligenter als jede andere Katze geworden. Und das musste einen Sinn haben. Die Zeit des Leidens durfte nicht umsonst gewesen sein!

Monsterkatze hatte der Professor sie genannt. Eine unheimliche, mordgierige Kreatur. Aber das bin ich nicht! schrie es in ihr. Ich würde niemals aus niederen Motiven töten wie es manche Menschen tun. Doch es gibt auch gute Menschen, Menschen wie Roberta, die andere Lebewesen beschützen und ihnen helfen wollen, dachte Kalina zärtlich.

„Gut, dass sie kommen“, riss sie des Professors Stimme aus ihren Gedanken. Wer war gekommen? Hatte sie etwas verpasst?

„Elmar Thomsen“, zischte sie. Zitternd beobachtete sie den schmächtigen Mann, während grauenhafte Bilder aus ihrem Unterbewusstsein an die Oberfläche zu gelangen suchten, Bilder, die sie seelisch instabil machen und damit ihre Mission gefährden würden. Sie wehrte sich dagegen, drängte die Schreie ihrer beiden Kinder in die hintersten Winkel ihrer Erinnerungen zurück.

Sie wimmerte vor Qual.

Nein! Sie musste einen kühlen Kopf bewahren. Das Zittern verging. Sie konzentrierte sich auf die Vorgänge in dem von kaltem Licht erfüllten Raum, aus dem die Stimmen ihrer beiden Feinde durch das geklappte Fenster zu ihr drangen. Sie hörte ihnen zu und fasste schon bald einen Plan.

„Klappt alles mit dem neuen Gerät, Herr Professor? Soll ich Sie jetzt ablösen?“, fragte Elmar Thomsen.

Sierbach nickte. „Ja, aber Sie können nicht eher gehen, bis Sie diese Versuchsreihe abgeschlossen haben. Ist das klar?“

„Natürlich.“

„Gut, dann hören Sie zu. Achten Sie unbedingt auf diese Skala. Sie dürfen sie keine Sekunde aus den Augen lassen.“ Sierbach deutete auf ein ovales, durchsichtiges Gefäß mit grünem Inhalt, auf dem leuchtend rot die Ziffern eins bis neun aufgemalt waren. „Der Inhalt darf sich bis zur Ziffer fünf ausdehnen, er zeigte darauf, sollte sich jedoch bei vier einpendeln.“

„Und wenn er sich weiter ausdehnt?“

„Die absolute Toleranzgrenze liegt bei sieben. Erreicht die grüne Substanz jedoch die Marke neun, fliegt uns das Labor um die Ohren und wir sind aller Sorgen ledig“, sagte der Professor sarkastisch. „Aber wenn Sie aufpassen, kann nichts passieren. Hier, sehen Sie, der blaue Knopf regelt die Ausdehnung nach oben und der rote daneben schaltet die Anlage aus.“

„Interessant“, zischte Kalina.

„So, mein Lieber. Ich habe noch etwa eine Stunde im Büro zu tun. Sollten noch Fragen auftauchen, rufen Sie. Alles klar?“

Thomsen nickte.

Ich muss da hinein. Aber wie?, überlegte Kalina. Wenn er ein Fenster öffnen würde, wäre alles Weitere ein Klacks.

„Brauchst du Hilfe?“

Kalina zuckte zusammen. „Henry und Jonny“, stöhnte sie. „Mein Gott, habt ihr mich erschreckt!“

„Der Boss lässt fragen, weshalb du hier herumsitzt“, grinste Jonny, die Kralle.

„Hast du etwa Schiss vor dem Typen da drin?“, lästerte Henry, der Fetzer. „Das brauchst du nich´. Wir sind ja jetzt bei dir.“ Er konnte es einfach nicht lassen!

Der Klügere gibt nach, dachte Kalina und überhörte sein Gelaber. „Ich muss da rein“, sagte sie kühl. „Er muss das verdammte Fenster öffnen. Hat einer von euch ´ne brauchbare Idee?“

„Aber klaro“, grinste Jonny. „Menschen sind neugierig, also locken wir ihn her. Aber lasst euch nicht sehen.“ Er legte sich flach vors Fenster und knallte seine langen, harten Krallen in kurzem, stakkatoartigem Rhythmus immer wieder gegen die Scheibe.

„Verdammt noch mal, was ist denn da los?“, schimpfte Elmar Thomsen und riss wütend das Fenster auf.

„Hallo“, zischte Kalina und sprang auf seine schmale Brust. Die Überraschung und ihr Gewicht ließen ihn mit rudernden Armen zurücktaumeln. Er stolperte, verlor das Gleichgewicht und stürzte. Mit Kalina auf seiner Brust schlug er auf dem Boden auf.

„Die Skala“, stöhnte er und versuchte sich aufzurichten. Kalina fauchte warnend und er blieb liegen.

„Mach ihn alle“, zischte Henry neben ihr. „Mach den verdammten Sadisten alle!“

Kalina sah ihn an und erkannte die Not in seinen weit aufgerissenen Augen, die ängstlich über die vielen, blitzenden Apparaturen huschten. „Bring ihn um“, keuchte Henry zitternd vor Entsetzen.

Mein Gott, Henry, dachte Kalina schaudernd. Deine vielen, vielen Narben! Und sie verstand.

„Später, Henry, beruhige dich“, flüsterte sie, obwohl sie nicht vorhatte, ihr Versprechen zu halten. Wir sind Katzen und keine Mörder wie sie, dachte sie still. Und wir dürfen und wollen es auch niemals werden.

„Verdammtes Katzenvieh“, knurrte Thomsen, der sich von seiner Überraschung erholt hatte und versuchte Kalina abzuschütteln.

„Rühr dich ja nicht, du Sadist“, zischte sie voller Hass.

„Wa...was?! Ha...hast du gesprochen?“, stotterte Thomsen und starrte sie an.

Sie antwortete nicht. Wozu auch. Die Zeit drängte und es gab noch viel zu tun. Jeden Moment konnte der Professor hier auftauchen und bis dahin musste alles erledigt sein. „Halt ihn am Boden, Jonny. Ich muss was erledigen“, bat sie. „Zeig ihm deine Krallen, wenn er sich mausig macht. Das wird ihn zur Vernunft bringen.“

„Kein Problem“, erwiderte Jonny. Flink wechselten sie den Platz.

„Was hast du vor?“, wollte Henry wissen, der sich wieder beruhigt hatte.

„Ich jage das verdammte Labor in die Luft“, zischte Kalina. „Hört gut zu. Sobald ich JETZT schreie, springt ihr durchs Fenster und macht, dass ihr wegkommt, sonst fliegt ihr mit in die Luft. Verstanden? Ja? Gut so. Dann komm mit, Henry.“

Sie liefen hinüber zu dem Metalltisch, auf dem das Gefäß mit den roten Zahlen stand. Jetzt fehlte nur noch ein schwerer Gegenstand und dann konnte es losgehen. Kalina sah sich suchend um. Da, der massive Aschenbecher war genau richtig. „Und jetzt pass gut auf“, flüsterte sie Henry zu, der sie verständnislos beobachtete.

Sie konzentrierte sich auf den Aschenbecher. „Sieh her“, sagte sie und ... der Aschenbecher begann wie damals Henry zu schweben! Sie dirigierte ihn zu dem ovalen Gefäß mit dem grünen Inhalt und der roten Skala. Auf den blauen Knopf ließ sie ihn niedersinken. Augenblicklich kletterte der Pegel die Skala hinauf.

FÜNF…

„Elmar? Elmar, wo sind Sie?“

„Is´ das der Professor?“, wisperte Henry.

„Ja, und er...“

„Zum Teufel nochmal, was geht hier vor? Verdammt Thomsen! Wie kommen diese Viecher hier rein?!“, keifte Sierbach hinter ihnen.

„Durchs Fenster, Professor“, antwortete Kalina und drehte sich zu ihm um.

„Was...?!“ Er starrte sie an.

„Na, wer bin ich wohl?“, fragte sie und behielt dabei die Skala im Auge.

„Du...du...! Das gibt es doch nicht“, keuchte er.

„Was? Dass ich spreche? Ein Nebeneffekt. Nur einer der kleinen Nebeneffekte der Experimente.“

„Du...du bist doch tot“, stotterte er.

„Sehe ich etwa so aus?“, grinste Kalina. „Aber du und dein feiner Assistent werden es gleich sein, falls ihr nicht augenblicklich von hier verschwindet.“

SECHS...

Er fing sich erstaunlich schnell wieder, der feine Herr Professor, das musste man ihm lassen. „Wo ist Thomsen?“

„Ihm ist nichts geschehen. Er liegt da hinten am Boden. Ein Freund von mir bewacht ihn. Nimm ihn und verschwinde, bevor in wenigen Minuten das Labor in die Luft fliegt“, warnte sie. Schließlich hatte sie Roberta versprochen, dem verdammten Kerl nichts zu tun.

„Quatsch“, knurrte er und machte einen Schritt auf sie zu.

„Keinen Schritt weiter“, zischte Kalina mit gesträubtem Fell.

„Du jagst mir keine Angst ein! Was glaubst du, was ich mit dir mache, wenn ich dich in die Hände bekomme, du blödes Vieh?“, keifte er und sprang auf sie zu.

Er erreichte sie nie!

Ein grauer Schatten flog auf ihn zu, riss ihn zu Boden, stürzte sich auf ihn und schlug ihm wutentbrannt und voller Hass die Krallen ins Gesicht.

„Nein, Henry!“, schrie Kalina. „Tu es nicht. Er ist es nicht wert!“

„Ich bring ihn um!“, kreischte der Fetzer. „Für alles, was sie uns angetan haben, bring ich ihn um!“

„Nein, Henry! Bitte nicht, denn dann wärst du nicht besser als er.“ Er hob den Kopf und starrte sie aus blutunterlaufenen Augen an. „Tu es nicht, Henry“, bat sie noch einmal. Stöhnend schüttelte er sich und die Wildheit wich aus seinem Gesicht. Aber den Mann unter sich ließ er nicht los.

Nur wenige Sekunden lang hatte Kalina die todbringende Skala aus den Augen gelassen. Doch dieser kurze Moment wäre ihr und ihren Freunden fast zum Verhängnis geworden! Sie sah hinüber zu dem Pegel und erschrak.

ACHT...

„JETZT!“ kreischte sie schrill. „Raus hier!“

Henry reagierte sofort. Doch bevor er ihr hinterherhetzte, fetzte er dem Professor die ausgefahrenen Krallen noch ein letztes Mal durchs Gesicht. Sierbachs Wimmern begleitete ihren Sprung durchs Fenster hinaus in die Nacht. Jonny turnte bereits dem Boden entgegen. Henry und Kalina folgten ihm.

Sie schafften es!

Mit heraushängender Zunge ließen sie sich neben Bobo und den anderen Katzen zu Boden fallen. „Gleich könnt ihr was erleben“, keuchte Kalina und starrte gebannt zu dem Backsteingebäude hinüber.

„Was?!“, fragte Bobo.

Und im selben Augenblick flog unter gewaltigem Getöse Sierbachs Laboratorium in die Luft. Eine gigantische Feuersbrunst jagte dem Himmel entgegen und ließ Metallteile und Steine regnen. Etwas Glühendes schrammte schmerzhaft über Kalinas Hüfte.

„Aua!“, kreischte Einstein, der Professor, als ihn ein Stück Rohr traf. Sie warteten nicht, bis noch mehr von ihnen getroffen wurden, sondern machten schleunigst, dass sie außer Reichweite kamen.