Die Vorsehung - Bärbel Junker - E-Book

Die Vorsehung E-Book

Bärbel Junker

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Beschreibung

"Ich werde der Prophezeiung entsprechen und dich vernichten, Schattenfürst", schwört Ariella, nachdem sie erfahren hat, dass dieser hinter dem tödlichen Anschlag auf ihren Mann und ihre kleine Tochter steckt. Die Hohe Herrin, die Elfen-Zauberin Lisha'yinn, sendet die beiden Halblinge Samwinn und Finntam zur Erde. Sie sollen helfen, eine Prophezeiung zu erfüllen, welche ihre Heimat, die Parallelwelt Smethama, vor den Machenschaften des Schattenfürsten zu retten vermag. Einzig die von der Erde stammende Auserwählte Ariella de Boer, die von ihren magischen Fähigkeiten noch nichts weiß – und deren Mann Ingner und Inaella, ihre vierjährige Tochter, von dem gedungenen Mörder Koktos getötet wurden – verfügt über die Macht, die Parallelwelt Smethama zu retten, die außer dem Schattenfürsten niemand auf der Erde kennt, und unwiderruflich von der Erde zu trennen. Doch dafür muss sie drei Artefakte erringen: Das Schwert der Ehre, welches die Zwerge in der Festung Finsterfels beschützen. Das Elixier des Lebens, im Schicksalssee auf der Insel Korach von dem Ungeheuer Rundringol bewacht. Und den Ring der Wahrheit, der als Gabe der Waldgöttin Kierada von den Maliki, den Baummenschen, in ihrem Dorf als Heiligtum verehrt wird. Mit ihren Gefährten, dem Krieger Atranos, dessen Drachen Fankorus, dem Zwerg Sakon, dem Mexla WanKlam, einem Gestaltwandler vom Volk der Ninai sowie den Halblingen Samwinn und Finntam, macht sich Ariella auf, der Vorsehung gerecht zu werden und ihre Bestimmung zu erfüllen.

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Bärbel Junker

Die Vorsehung

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

ZUM BUCH

WARTEN AUF ARIELLA

RÜCKBLICK

FINNTAM UND SAMWINN

DAS GESPRÄCH

DER KUTTENMANN

ARIELLAS ENTSCHEIDUNG

DIE HOHE HERRIN

EINE ANDERE WELT

DER SCHATTENFÜRST

DER SUMPFWALD

GEWALT IN DER MINE

SPRUNG NACH ISHA’ARAN

FÜNF TAGE SPÄTER

FEINDSCHAFT

AUFBRUCH

DER HINTERHALT

SAKON EISENBLICK

BEGEGNUNG

DIE HILFE DER BRUMMTA

MACHTGELÜSTE

DER MAGISCHE ZIRKEL

IN DER UNDARA-WÜSTE

MÖRDERISCHE WUT

DIE DIAMANTENMINE

STEINSCHLAG

DER SPION

GEFÄHRDETE PLÄNE

ANGRIFF DER KLATORK

AUF DEM WEG ZUR FESTUNG

WIEDERAUFERSTEHUNG

DIE FESTUNG FINSTERFELS

DAS SCHWERT DER EHRE

DER GEFANGENE

DAS ARTEFAKT

AM RANDE DER WÜSTE

UNBEKANNTE GEFAHREN

VERFOLGT

GEFANGEN

WELLEN IM WÜSTENSAND

TREUE FREUNDE

VERÄNDERTE SITUATION

VERDIENTES ENDE

ENTTÄUSCHUNG

DER DRACHE

ZUSAMMENKUNFT

DRACHENFLUG

AUF DER SUCHE

ZWISCHENLANDUNG

DER FOLIANT

DAS TREFFEN

SCHWARZE MAGIE

SORGE UM ARIELLA

RUNDRINGOL

EXPERIMENTE

ANGRIFF AUS DEM NICHTS

VISIONEN

WUT!

UNERWÜNSCHTER BESUCH

DAS ELIXIER DES LEBENS

FATALER IRRTUM

WIEDER ZURÜCK

RICHTUNG WESTEN

BEI DEN MALIKI

DER RING DER WAHRHEIT

NOCH EIN VERRÄTER

BEDROHLICHE BEGEGNUNG

FALSCHER FREUND

SEELENSCHMERZ

EPILOG

Impressum neobooks

ZUM BUCH

„Ich werde der Prophezeiung entsprechen und dich vernichten, Schattenfürst“, schwört Ariella, nachdem sie erfahren hat, dass dieser hinter dem Anschlag auf ihre kleine Familie steckt.

Die Hohe Herrin, die Elfen-Zauberin Lisha’yinn, sendet die beiden Halblinge Samwinn und Finntam zur Erde. Sie sollen helfen, eine Prophezeiung zu erfüllen, welche ihre Heimat, die Parallelwelt Smethama, vor den Machenschaften des Schattenfürsten zu retten vermag.

Einzig die Auserwählte Ariella de Boer, die von der Erde stammt und die von ihren magischen Fähigkeiten noch nichts weiß – und deren Mann Ingner und Inaella, ihre vierjährige Tochter, von dem gedungenen Mörder Koktos zu Tode kamen – verfügt über die Macht, die Parallelwelt Smethama, die außer dem Schattenfürsten niemand auf der Erde kennt, zu retten und unwiderruflich von der Erde zu trennen.

Doch dafür muss sie drei Artefakte erringen:

Das Schwert der Ehre, welches die Zwerge in der Festung Finsterfels beschützen.

Das Elixier des Lebens, im Schicksalssee auf der Insel Korach von dem Ungeheuer Rundringol bewacht.

Und den Ring der Wahrheit, der als Gabe der Waldgöttin Kierada von den Maliki, den Baummenschen, in ihrem Dorf als Heiligtum verehrt wird.

Mit ihren Gefährten, dem Krieger Atranos, dessen Drachen Fankorus, dem Zwerg Sakon, dem Mexla WanKlam, einem Gestaltwandler vom Volk der Ninai sowie den Halblingen Samwinn und Finntam, macht sich Ariella auf, der Vorsehung gerecht zu werden und ihre Bestimmung zu erfüllen.

Doch zuvor müssen die Gefährten Wüsten durchqueren, Kämpfe überstehen und Verräter erkennen. Freunde wie die Brummta helfen ihnen ebenso wie die magische Flamme im Tempel des Lichts.

Wird Ariella die Prophezeiung erfüllen? Wird es ihr gelingen, den Schattenfürsten und dessen Handlanger, einen machtbesessenen Magier, zu vernichten und Smethama von der Erde zu trennen?

Die kommenden Ereignisse werden es zeigen!

WARTEN AUF ARIELLA

Die schräg geschnittenen Augen funkelten wie Edelsteine in den schmalen Gesichtern der beiden kleinen Gestalten, die in einer Nische hockten und aßen. Sie waren Halblinge. Etwas kleiner als ein Zwerg, aber von schmächtiger Gestalt.

Bekleidet waren sie mit braunen Kniebundhosen aus Leder, Wollstrümpfen und derben Lederstiefeln, zur Hose passender brauner Lederjacke, grün kariertem Hemd und einem grauen Umhang mit Kapuze, den sie sich lässig um die Schultern gelegt hatten. Die Haare des einen Halblings waren schwarz, die des anderen rotbraun. Auf den ersten Blick hätte man die beiden für Zwillinge halten können.

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Finntam und strich sich eine vorwitzige Strähne seiner rotbraunen Haare aus dem schmalen Gesicht. Seine saphirfarbenen Augen huschten unruhig hin und her. Ungeduldig rutschte der drei Fuß und sieben Zoll große Halbling auf seinem Hosenboden hin und her.

„Keine Ahnung“, erwiderte Samwinn, Finntams ein Zoll größerer, schwarzhaariger Freund. „Aber die Hohe Herrin Lisha’yinn hat gesagt, wir müssen so lange hier warten, bis die Menschenfrau kommt.“

„Und wenn sie nicht kommt?“, fragte Finntam missmutig. „Ich habe keine Lust, hier tagelang rumzuhängen. Außerdem bin ich schon wieder hungrig, obwohl ich gerade erst etwas gegessen habe; allerdings war das ja auch nur eine Kleinigkeit.“

Samwinn lächelte. Er kannte seinen Gefährten, war mit ihm zusammen aufgewachsen. Finntam war ein so liebenswerter und treuer Freund, doch wenn er hungrig war – und das war er sehr oft – konnte er unausstehlich sein.

„Die Magie unserer Hohen Herrin wird schon dafür sorgen, dass die Menschenfrau hierher nach Eichensee kommt. Du zweifelst doch wohl nicht an ihrer Macht, oder?“, fragte Samwinn, und seine smaragdgrünen Augen blitzten vorwurfsvoll.

„Ich würde niemals an unserer Hohen Herrin Lisha’yinn zweifeln!“, erwiderte Finntam empört.

„Dann ist es ja gut. Wenn unsere Zauberin sagt, dass wir diese Frau unbedingt zu ihr bringen müssen, weil nur sie unsere Welt vor dem Schlimmsten bewahren und retten kann, dann tun wir das ebenso wie wir alles andere tun, was die Hohe Herrin verlangt, denn sie beschützt uns und wacht über Smethama, unsere Heimat, wie dir ja bekannt sein dürfte. Wir brauchen diese Frau. Also warten wir hier so lange, bis sie kommt. Ist das jetzt klar?“

Finntam nickte beschämt.

„Fein. Dann sei ab jetzt gefälligst ein bisschen geduldiger. Ich fühle mich hier auch nicht besonders wohl, das kannst du mir glauben. Ich vermisse auch unser gemütliches Zuhause, sehne mich nach den sanften Wiesen und klaren Flüssen“, seufzte Samwinn. „Aber das lässt sich nun mal nicht ändern.“

„Ist ja schon gut, Samwinn. Ich habe es nicht böse gemeint“, murmelte Finntam. „Ich frage mich allerdings, ob uns die Menschenfrau überhaupt versteht?“

„Ich denke schon, jedenfalls hat die Herrin Lisha’yinn das gesagt.“

„Aber wieso? Hört sich denn die Menschensprache nicht anders an?“, wunderte sich Finntam.

„Sie sagt, die Menschensprache ähnelt unserer Sprache.“

„Aber wieso?!“

„Das weiß ich doch auch nicht, Finntam“, erwiderte Samwinn genervt. „Oder sehe ich aus wie ein Zauberer?“

Finntam schüttelte kichernd den Kopf. Dann holte er seinen letzten Apfel aus der Jackentasche und biss herzhaft hinein.

RÜCKBLICK

Ariella de Boer strich seufzend ihre langen dunklen Haare zurück, während sie lustlos auf dem Stück Toast herumkaute, welches immer mehr in ihrem Mund zu werden schien.

Es war ein schöner Tag!

Die Sonne schien strahlend vom wolkenlosen Himmel herab. Verliebte hielten sich an den Händen. Kinder spielten vergnügt.

Ja, der Tag war wirklich wunderschön!

Aber nicht für Ariella.

Für sie gab es keine schönen Tage mehr, seitdem ihr Mann Ingner und ihre erst vierjährige Tochter Inaella mit dem Auto tödlich verunglückten.

Das Leid fraß sie innerlich auf. Obwohl erst achtundzwanzig Jahre alt, fühlte sie sich wie eine sehr, sehr alte Frau, die ihr Leben gelebt und fast schon hinter sich hatte.

Schon wieder rannen Tränen aus ihren großen ultramarinblauen, mit goldenen Pünktchen gesprenkelten Augen. In glücklichen Tagen hatten diese goldenen Punkte ihre Augen wie kleine Sonnen erstrahlen lassen.

Doch das war seit drei Monaten vorbei.

„Was soll ich nur tun?“, flüsterte sie verzweifelt in die Stille und Leere des Raumes. „Wie soll, wie kann ich weiterleben?“

Aber weiterleben musste sie!

Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Schuldigen am Tod ihrer Lieben zu finden. Es war das Einzige, was sie aufrechterhielt. Seit dem schrecklichen Anschlag suchte sie nach den Mördern, doch bislang ohne jeden Erfolg.

Weinend starrte sie auf das Bild, das neben ihrem Teller lag. Ein Bild aus glücklichen Tagen.

Ein so schöner Tag war es gewesen, damals, zusammen mit Ingner und ihrer kleinen Tochter im Kunstzentrum Eichensee. Inaella hatte mit strahlenden Augen von den schönen Farben geschwärmt. In ihr ruht eine Künstlerin, hatten sie mehr als einmal gesagt.

Vorbei! Alles vorbei!

Das Unglaubliche passierte auf der Rückfahrt vom Kunstzentrum Eichensee. Sie sah es Nacht für Nacht in ihren Träumen, spürte die Hitze, hörte die Schreie.

Ein Mann in einer schwarzen Kutte stand bewegungslos am Waldrand, als warte er auf jemanden.

Heute wusste sie auf wen!

Als sie in ihrem Cabrio an ihm vorbeifuhren, hob er die Hand und schleuderte eine Feuerlohe auf den Rücksitz, auf dem ihre Tochter in ihrem Kindersitz mit ihrem Teddybär spielte.

Der Wagen geriet augenblicklich in Brand!

Ingner trat vor Schreck das Gaspedal bis zum Anschlag durch und verlor die Gewalt über das Fahrzeug.

Spring raus! schrie er, bevor der Wagen an einem dicken Baum zum Stillstand kam.

Sie sprang zwar nicht, wurde jedoch durch den Aufprall irgendwie herausgeschleudert. Bewusstlos blieb sie am Waldrand liegen.

Als sie wieder zu sich kam, brannte der Wagen lichterloh und strahlte eine solche Hitze aus, dass an Hilfe nicht zu denken war. Entsetzt floh sie in den Wald zwischen dichtes Gebüsch.

Für ihren Mann und ihre kleine Tochter konnte sie nichts mehr tun. Beide kamen in dem Höllenfeuer um.

Zusammengekrümmt wie ein Fötus lag sie auf dem Waldboden. Anfangs schluchzend, später wie erstarrt. Sie begriff nicht, was geschehen war; konnte nicht glauben, dass ein Mensch mit der Hand Feuerlanzen zu schleudern vermochte. In Fantasy-Geschichten mochte das möglich sein, aber doch nicht in der Realität!

Sie lag da wie gelähmt, spürte weder Schmerz noch Trauer. Diese Gefühle würden sich erst später einstellen, dann, wenn sie die Tragweite des Geschehens wirklich begriff.

Doch etwas drang durch ihre momentane Betäubung zu ihr durch. Der Gedanke, dass dieser Unfall – wenn man es denn so nennen wollte – vielleicht gar kein Unfall, sondern ein gezielter Anschlag war!

Sie hatte diesen Gedanken kaum zu Ende gedacht, da flog der Wagen unter gewaltigem Getöse in die Luft. Brennende Gegenstände und glühende Metallteile sausten durch die Gegend, drohten sie zu verletzen.

Hastig verkroch sie sich tiefer im Gebüsch.

Nach einer Weile, sie wollte gerade ihr Versteck verlassen, gewahrte sie den Mann in der schwarzen Kutte. Er stand regungslos vor dem brennenden Wagen und starrte ihn an. Die noch immer gewaltige Hitzeabstrahlung schien ihm nichts auszumachen.

Plötzlich warf er den Kopf in den Nacken und lachte, lachte so schrill, so grässlich, so böse, dass es ihr kalt den Rücken runterlief.

Sie zitterte vor Furcht!

Plötzlich verstummte das Gelächter. Den Blick aufmerksam auf den Boden gerichtet, ging der Fremde langsam um den noch immer lodernden Wagen herum. Immer weiter zog er seine Kreise, bis er in die Nähe des Gebüschs gelangte, hinter dem sie zitternd lag.

Vor Schreck hielt sie den Atem an.

Nur wenige Schritte von ihr entfernt blieb der Mann stehen. Langsam drehte er sich um und musterte den Wald.

„Nein, aus diesem Höllenfahrzeug kann niemand entkommen sein“, murmelte er in einem Selbstgespräch gefangen. „Die Prophezeiung wird sich nicht erfüllen. Der Schattenfürst kann mit mir zufrieden sein. Schon sehr bald werden beide Welten ihm gehören, denn seine Macht ist grenzenlos.“

Ariella begriff nicht, was da vor sich ging. Von was für einer Prophezeiung sprach der Fremde? Und von welchem Schattenfürsten? Was war das überhaupt für ein Name? Sie starrte den Mann in der Kutte aus dem Schutz des üppigen Gebüschs an und … verstand nichts!

Verstohlen musterte sie den Teil seines Gesichts, den die Kapuze nicht verbarg. Es war ein hartes, ein gnadenloses Gesicht. Bleich war es, mit tiefen, zu den Mundwinkeln führenden Falten, einer scharf geschnittenen Nase, dichten Augenbrauen über eiskalten grauen Augen und schmalen Lippen. Dieser Mann war skrupellos und kannte keine Gnade, das versprach dieses erbarmungslose Gesicht!

Nach einem letzten, scharfen Blick, drehte sich der Fremde um, ging zurück zur Straße und verschwand aus ihrem Blickfeld. Sie wartete noch fast eine Stunde, bevor sie es wagte, sich der Straße zu nähern. Als sie dort ankam, war der furchteinflößende Fremde verschwunden.

Sie verstand nicht, warum das Schicksal sie so hart traf. Aber ihr war durch diese Begegnung eines klar geworden, nämlich, dass es für sie besser war, weiterhin als tot zu gelten.

Sie würde diesen Mann und dessen Auftraggeber, den er Schattenfürst nannte, finden, und sollte es Jahre dauern! Sie hatte nichts mehr zu verlieren. Sie hatten ihren Mann und ihre Tochter getötet. Sie durften ihrer Strafe nicht entgehen!

Durch einen schmalen, unterirdischen Gang, der noch aus der Zeit ihrer Großmutter stammte, kehrte sie heimlich und ungesehen in ihr Haus zurück, das abgelegen auf einem weitläufigen Grundstück stand. Ihre Großmutter hatte es ihr vererbt.

Hastig packte sie die wenigen Wertsachen, Kleidung und einige persönliche Gegenstände zusammen und schaffte sie durch den Tunnel zum Ende des Geländes. Hier stand in einer baufälligen Scheune der noch immer fahrbereite Wagen ihrer Mutter, den sie nach deren Tod weder ab- noch umgemeldet hatte.

Nachdem sie ihre Ersparnisse aus dem Versteck geholt hatte, das sie und ihr Mann einer Bank vorzogen, startete sie den Wagen und fuhr in eine ungewisse Zukunft davon.

Jetzt saß sie hier in der kleinen Eigentumswohnung ihrer Mutter, die vor einem Jahr gestorben war und weinte sich wieder einmal die Augen aus. Dabei konnte sie froh sein, die Wohnung noch nicht verkauft zu haben, sonst hätte sie nicht gewusst wohin.

Hier kannte sie niemand. Und in einer Großstadt wie Hamburg war es einfacher sich zu verbergen, sollten ihre Feinde an ihrem Tod zweifeln und nach ihr suchen.

Sie sehnte sich so sehr nach ihrer kleinen Familie, benötigte so dringend die Liebe und den Zuspruch ihres Mannes.

Da fiel ihr in ihrer Verlassenheit plötzlich Marvin Schygalla ein, Ingners und ihr bester Freund, der mit ihrem Mann in derselben Gegend aufgewachsen war. Ja, an ihn konnte sie sich mit der Bitte um Hilfe wenden. Er würde für sie da sein, und seine ausgezeichneten Beziehungen würden ihr vielleicht sogar bei ihrer Suche nach den Mördern nützen. Wieso nur hatte sie daran nicht schon eher gedacht!

Außerdem würde er sich Sorgen über das plötzliche Verschwinden seiner Freunde machen, wenn er plötzlich nichts mehr von ihnen hörte.

Aber durfte sie ihren treuen Freund, der auch der Patenonkel ihrer Tochter war, in diese schreckliche Sache hineinziehen? Ihn unter Umständen vielleicht sogar gefährden?

Nein, sicherlich nicht!

Trotzdem war sie einen Moment lang versucht, ihn anzurufen. Sie sehnte sich so sehr nach Zuspruch, benötigte so dringend einen guten Freund, eine Schulter, an die sie sich anlehnen konnte.

Zögernd nahm sie ihr Handy aus der Tasche.

Und wenn ihn mein Anruf zur Zielscheibe dieser Mörder macht? Könnte ich das mit meinem Gewissen vereinbaren?

Hätte Ingner ihn angerufen?

Nein, das hätte er sicherlich nicht! Er hätte seinen engsten Freund niemals einer eventuellen Gefahr ausgesetzt!

Außerdem besteht ja auch noch die Möglichkeit, dass das Handy angepeilt oder abgehört wird. Schließlich habe ich nicht die leiseste Ahnung, wer hinter dem Anschlag steckt! dachte Ariella verzagt. Später vielleicht, wenn einige Zeit vergangen ist und ich mehr über diese schreckliche Tragödie in Erfahrung gebracht habe.

Und um nicht doch noch in Versuchung zu geraten, steckte sie das Handy hastig zurück in ihre Tasche.

Wer kann ein Interesse an meinem und dem Tod meiner Familie haben? grübelte sie niedergeschlagen. Für wen verkörpern wir eine solche Gefahr, dass unser Tod der einzige Ausweg zu sein scheint?

Wie schon so oft zermarterte sie sich das Gehirn. Zu einem Ergebnis gelangte sie nicht. Sie stellte die verwegensten Überlegungen an, um sie im nächsten Moment wieder zu verwerfen. Sie hatten keine Feinde und keine Geheimnisse, waren weder reich, noch berühmt, waren nur eine ganz normale Familie.

Und trotzdem hatte es irgendjemand auf sie, ihren Mann und ihre kleine Tochter abgesehen.

Aber WER und WARUM?

Ihr Leben war bis zu diesem unglücksseligen Tag völlig normal verlaufen. Ingner und sie hatten sich ineinander verliebt, geheiratet und Inaella, ihre wundervolle Tochter bekommen.

Da Ingner zwei Mietshäuser von seinem Onkel geerbt hatte, musste sie nicht arbeiten und konnte sich ganz ihrer kleinen Tochter widmen.

Und da Ingner ihr Eigentum von zu Hause aus verwaltete und hier auch seinen Interessen nachging, passte er bei Bedarf auf Inaella auf, sodass sie ihrem liebsten Hobby nachgehen und an Schwert-Wettkampf-Turnieren teilnehmen konnte. Sie hatte sich anstelle von Puppen schon seit frühester Jugend für Waffen und Sportkämpfe interessiert.

Obwohl finanziell besser gestellt als andere Familien, hatten sie doch stets ein ganz normales, unauffälliges Leben geführt. Zwar mussten sie nicht jeden Tag aus dem Hause gehen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, aber das konnte ja wohl kaum ein Grund sein, ihr und ihrer kleinen Familie nach dem Leben zu trachten!

Warum also dieses schreckliche Verbrechen?

Auch im Leben ihres Mannes, der gutmütig und hilfsbereit war, hatte es nichts gegeben, das eine solche Tat hätte herausfordern können.

Ingner hatte Geschichtswissenschaften studiert und mit dem Masterabschluss das Studium beendet. Da er ein weit gefächertes Interessengebiet sein eigen nannte, war er eines Tages zufällig auf die Genealogie gestoßen. Und die Ahnenforschung war ein so vielschichtiges Gebiet, dass es ihn schon bald gefangen nahm.

Besonders die Erforschung ihrer Abstammung hatte es ihm angetan. Und je länger er forschte, desto besessener wurde er. Und trotzdem er in der Erforschung ihrer Herkunft immer wieder auf Hemmnisse stieß, hatte ihn dies nicht entmutigt, sondern vorangetrieben.

Sie hatte sich nicht sehr dafür interessiert und daher auch keine Ahnung, wie weit er mit seinen Recherchen gekommen war. Er hatte ihr am Abend vor dem Unglück zwar etwas über die Fortschritte seiner Nachforschungen erzählen wollen, doch sie war zu müde gewesen und eingeschlafen.

Gefangen in ihren Erinnerungen starrte Ariella blicklos vor sich hin. Und bei dem Gedanken an ihren geliebten Mann und ihre geliebte Tochter stöhnte sie vor Schmerz.

„Warum nur, warum?“, wimmerte sie verzweifelt.

Doch niemand antwortete ihr.

Vielleicht hilft es mir ein wenig einen Ort zu besuchen, an dem ich mit meiner kleinen Familie so glückliche Stunden verbrachte, dachte Ariella.

Und plötzlich überfiel sie ein solches Verlangen das Kunstzentrum Eichensee aufzusuchen, dass ihre Tränen versiegten und sie aufsprang. Sie eilte ins Schlafzimmer und begann sich so hastig anzukleiden, als liefe ihr das Kunstzentrum davon.

Jeans, T-Shirt, Stiefel und Lederjacke. Noch die Schultertasche, die Autoschlüssel und ab ging es zur Garage. Wenig später fuhr sie davon.

FINNTAM UND SAMWINN

Da das Zentrum Eichensee nicht so stark besucht wurde, wie andere Attraktionen, waren die beiden Halblinge Finntam und Samwinn vor Entdeckung ziemlich sicher.

Zumal sie für die Menschen unsichtbar waren, denn dafür hatte ihre Herrin, die Zauberin Lisha’yinn, mit Amuletten gesorgt, in deren Oberfläche der Kopf eines Einhorns geprägt war. Sie trugen es an einer Kordel versteckt unter ihrem Hemd. Sehen konnte man die Halblinge also nicht, doch fühlen würde man sie, sollte ein Mensch versehentlich über sie stolpern.

Finntam und Samwinn hatten sich in eine Nische zurückgezogen, die dicht beim Übergang in ihre Welt lag. Mit einem großen Stück Speck in der einen und einem dicken Knust Brot in der anderen Hand strahlte der kleine Halbling Finntam mit der Sonne um die Wette. Das leckere Essen in seiner kleinen Hand hatte seine Ungeduld von vorhin längst besänftigt.

Er biss gerade herzhaft in sein Stück Speck, als ihm Samwinn einen groben Schubs versetzte, dass er sich verschluckte. Keuchend rang er nach Luft. Er wollte grade zu einer Schimpftirade ansetzen, da hielt ihm Samwinn den Mund zu.

„Sie ist da!“, zischte sein Freund.

„Wo?“, krächzte Finntam.

„Da hinten bei der bunten Tür. Es ist die Menschenfrau mit der schwarzen Jacke und den langen Haaren.“

Jetzt hatte auch Finntam die Frau entdeckt. Er musterte die kleine Silberscheibe in seiner Hand, in die ein Bild eingraviert war. Es war sehr fein gearbeitet und zeigte eindeutig Ariella de Boer.

„Und was machen wir jetzt?“, wollte Finntam wissen. „Reden wir zuerst mit ihr oder bringen wir sie gleich in unsere Welt?“

Samwinn sah seinen Freund nachdenklich an. Ja, was sollten sie tun? Die Menschenfrau einfach so aus ihrer Welt herauszureißen, widerstrebte ihm nicht nur, nein, er durfte es auch nicht!

Es ist äußerst wichtig, dass sie freiwillig mit euch geht, hatte die Hohe Herrin Lisha’yinn eindringlich gesagt.

Und was ist, wenn sie nicht will? hatte er gefragt.

Sie muss, Samwinn. Ohne sie sind wir verloren. Alleine Ariella vermag das Dunkel zu besiegen, obwohl sie es noch nicht weiß.

„Vielleicht können wir sie überzeugen“, flüsterte Samwinn.

„Aber wie sollen wir sie überzeugen?“, wisperte Finntam.

Ja, wie? Das ist die Frage, dachte Samwinn besorgt.

„Was ist? Was sollen wir tun, Samwinn?“, flüsterte Finntam nervös. „Sag doch was, bevor sie vielleicht wieder verschwindet.“

„Nur das nicht, Finntam! Mal bloß nicht den Teufel an die Wand!“

Nein! Sie durften nicht versagen!

Das Wohl und die Zukunft ihrer Welt hingen von ihm und seinem Freund ab. Sie hatten nur diese eine Chance die Menschenfrau von ihrer Aufgabe zu überzeugen, welche die Prophezeiung ihr zugewiesen hatte.

Fürchte dich nicht Samwinn. Du wirst wissen, was zu tun ist, wenn du mit Ariella sprichst, hatte die Herrin so sicher gesagt, als bestünde nicht der geringste Zweifel daran.

Hoffentlich hat sie recht, dachte der kleine Halbling besorgt.

„Sieh nur Samwinn. Ich glaube, sie kommt hierher“, raunte Finntam in seine Gedanken hinein.

Und wirklich bewegte sich die schlanke Menschenfrau auf die bunte Tür zu, neben der die beiden unsichtbaren Halblinge in einer Mauernische auf sie warteten.

DAS GESPRÄCH

Ariella schlenderte in Gedanken versunken an dem Kunsttempel mit den sechs farbenprächtigen Türmchen vorbei, welche ihrer Tochter immer so gut gefallen hatten. Inaella hatte die Gebäude, Bilder und Skulpturen des Kulturzentrums geliebt.

Obwohl erst vier Jahre alt, war sie von einem Ausflug hierher immer wieder aufs Neue begeistert gewesen.

Ariella wischte sich verstohlen eine Träne von der Wange und lenkte ihre Schritte durch die Skulpturenallee auf das Atelierhaus zu.

Verwundert musterte sie die beiden Kinder, die in einer Nische neben der mit einem Gemälde verzierten Holztür hockten und sie aus glitzernden Augen anstarrten.

„Habt ihr euch verlaufen?“, fragte Ariella freundlich.

„Sie kann uns sehen, Samwinn“, flüsterte Finntam. „Wieso kann sie uns sehen?“

„Wieso sollte ich euch nicht sehen können?“, fragte Ariella verwundert.

„Keiner dieser Menschen hier kann uns sehen“, erwiderte Samwinn. „Für alle, außer dir, sind wir unsichtbar.“

Ariella lachte. „Was ist das für ein Spiel, Samwinn?“, fragte sie. „Du heißt doch Samwinn, oder?“

Samwinn nickte. „Mein Name ist Samwinn und das ist mein Freund Finntam“, erwiderte er. „Und du bist Ariella de Boer. Wir haben auf dich gewartet, Ariella. Und wir spielen kein Spiel.“

„Wer seid ihr? Und woher kennt ihr meinen Namen?“, fragte Ariella und trat einen Schritt zurück. Misstrauisch musterte sie die beiden kleinen Gestalten.

Es waren ohne Zweifel von der Größe her Kinder. Aber waren sie auch wirklich harmlos? Und dann diese seltsam funkelnden Augen! Sie hatte so etwas noch nie gesehen.

„Wer seid ihr?“, fragte sie noch einmal.

„Das ist eine längere Geschichte“, erwiderte Samwinn. „Hier können wir sie dir jedoch nicht erzählen.“

„Und warum könnt ihr das nicht?“

Samwinn kicherte amüsiert. „Wir verstehen, dass du misstrauisch bist, Menschenfrau Ariella. Aber wir hegen keinerlei böse Absichten“, beruhigte er sie. „Doch da die Menschen hier uns nicht sehen können, muss es doch sehr seltsam auf sie wirken, wenn du mit der Luft sprichst, oder?“

Ariella drehte sich um und betrachtete die Menschen hinter sich. Samwinn hatte recht. Einige der Besucher musterten sie bereits kopfschüttelnd.

„Und was schlägst du vor, Samwinn?“, fragte sie neugierig geworden.

„Das ist die Gelegenheit“, flüsterte Finntam. „Nimm sie einfach mit in unsere Welt.“

Doch so leise er auch gesprochen hatte, Ariella hatte seine Worte doch vernommen und ihr Misstrauen loderte erneut empor.

Samwinn sah seinen Freund strafend an. „Nein Finntam, nur wenn sie freiwillig mitkommen will“, erwiderte er.

„Worüber redet ihr eigentlich?“, fragte Ariella. „Wohin will mich dein kleiner Freund mitnehmen?“ Und damit die übrigen Besucher des Kulturparks sie nicht für absonderlich hielten, nahm sie ihr Handy aus der Jackentasche und hielt es an ihr Ohr.

Ihre Mitmenschen verloren augenblicklich das Interesse und hielten sie auch nicht mehr für gestört. Sie spricht in ein Handy, wer tut das heutzutage nicht!

Finntam und Samwinn musterten verständnislos den kleinen schwarzen Kasten in Ariellas Hand. „Was machst du da?“, fragten die beiden Halblinge wie aus einem Mund.

„Jetzt denken die Leute ich spreche in mein Handy und halten mich nicht mehr für verrückt“, erklärte Ariella.

„Was ist ein Handy?“, wollte Finntam wissen.

Ariella starrte ihn wortlos an. Will der Kleine mich etwa verkohlen?

„Das ist doch egal, Finntam. Hauptsache der kleine Kasten ermöglicht es uns, mit Ariella zu sprechen, und ihr alles zu erklären“, meinte Samwinn.

„Hinter dem Gebäude erstreckt sich ein weitläufiges Parkgelände“, sagte Ariella nach einer Weile des Nachdenkens. „Dort könntet ihr mir ungestört eure Geschichte erzählen.“

Die beiden Halblinge sahen sich an. Es behagte ihnen nicht, sich weiter von dem Übergang zu ihrer Welt zu entfernen.

„Was ist?“, fragte Ariella, die ihr Zögern bemerkte.

Samwinn erklärte es ihr.

Ariella starrte ihn ungläubig an. Ein Übergang in eine andere Welt! Das gibt es doch nur in Fantasy-Geschichten! „Ihr wollt mich auf den Arm nehmen“, murmelte sie.

„Nein, Ariella. Ich spreche die Wahrheit“, erwiderte Samwinn. „Und wir sind auch keine Menschenkinder, sondern erwachsene Halblinge“, fügte er hinzu.

Ariella starrte ihn an. Halblinge! Halblinge aus der Fantasy-Literatur! Ich glaub das einfach nicht!

„Das kann nicht sein“, sagte sie. „Es gibt keine Halblinge, Zwerge oder gar andere Welten. Und mit Sicherheit gibt es keine Magie. Woher kommt ihr wirklich? Und was wollt ihr ausgerechnet von mir?“

„Wir kommen von einer Parallelwelt und wurden hierhergeschickt, um mit dir zu sprechen“, erwiderte Samwinn.

Ariella starrte ihn ungläubig an. Eine Parallelwelt! Das ist doch nicht zu fassen!

DA FIEL IHR PLÖTZLICH DER MÖRDER IN DER KUTTE WIEDER EIN!

Wenn es ein Lebewesen mit derartigen Fähigkeiten gab, wieso sollte es dann keine Halblinge geben?

Ihre Neugier war geweckt.

Samwinn und Finntam hatten gespannt das Wechselspiel der Gefühle auf Ariellas Gesicht beobachtet.

Würde sie ihnen glauben?

„Also gut“, sagte Ariella nach einem Moment des Überlegens. „Wir gehen ein kleines Stück hinter das Haus. Da können uns die Leute nicht sehen, und ihr seid von eurem Übergang, so er denn wirklich existiert, nicht allzu weit entfernt.“

Die beiden Halblinge nickten. Sekunden später waren sie gemeinsam mit Ariella um die Ecke herum verschwunden.

DER KUTTENMANN

Der Mann in der schwarzen Kutte starrte beeindruckt auf die überlebensgroße Skulptur eines in Rot und Gold prächtig gekleideten Hünen, dessen Haupt eine fein gearbeitete, goldene, mit zahlreichen Edelsteinen geschmückte Krone zierte. Die Statue stand in einem kleinen Tempel nahe einer Wand, die ein Mosaik schmückte, welches eine Wasserlandschaft darstellte, auf der ein ebenso feuchter Schimmer lag wie auf den übrigen Wänden.

Wahrscheinlich waren die Nähe eines ausgedehnten Gewässers und das Grundwasser die Ursache für die Feuchtigkeit.

Die Skulptur vermittelte Macht, Gewalt und Skrupellosigkeit so deutlich, als würde das lebende Original vor dem Betrachter stehen.

Nur ein Gesicht besaß die Skulptur nicht!

Anstelle dessen hatte der Künstler schwarze Opale dicht an dicht gesetzt, bis sich eine kantige Gesichtsform ergab. Zwei taubeneigroße Rubine ersetzten die Augen. Weitere Ausformungen gab es nicht.

Das harte, mitleidlose Gesicht des Kuttenmannes verzog sich ekstatisch, als die Rubinaugen plötzlich leuchtendrot erglühten und seinen Blick gefangen nahmen.

Ehrerbietig fiel er auf die Knie.

Und dann sprach sein Herr zu ihm, sein Herr und Gebieter, dem er weder in der Menschenwelt Erde, noch in der Parallelwelt Smethama, jemals persönlich begegnet war.

„Berichte Koktos. Was hast du mir zu sagen?“

„Die Prophezeiung kann sich nicht erfüllen, Herr. Die Frau, der Mann und das Kind sind tot.“

„Bist du ganz sicher? Hast du es überprüft?“

„Gewiss, Herr. Sie verbrannten in der Höllenglut ihres Wagens. Das Feuer war so gewaltig, dass selbst ich mich nicht dicht heranwagen konnte.“

„Dann hast du ihre Leichen nicht gesehen? Wie kannst du dann sicher sein, dass nicht doch einer von ihnen entkam?“

„Der Wagen brannte sofort lichterloh. Dieses Inferno hat niemand überlebt, Herr. Aber vorsorglich habe ich danach die Gegend abgesucht, jedoch keinerlei menschliche Spuren gefunden. Das hatte ich nach dem Höllenfeuer auch nicht erwartet, doch ich wollte ganz sichergehen.“

„Hast du wie befohlen ihr Haus danach überwacht?“

„Selbstverständlich, mein Gebieter. Niemand interessierte sich dafür. Fürchtet Euch nicht, Herr. Die Prophezeiung kann Euch nichts mehr anhaben“, sagte Koktos selbstbewusst.

Für einen Moment herrschte gespenstische Stille. Koktos hob irritiert den Kopf.

Und im selben Moment raste eine glühende Feuerlanze aus dem rechten Auge der Skulptur auf ihn zu und verwandelte seine linke Gesichtshälfte in eine schwelende Kraterlandschaft.

Der Schmerz war grauenhaft!

Kribbelnde Hitze breitete sich über seinem Gesicht aus, wurde heißer und heißer. Koktos sprang schreiend auf. Sein Gesicht warf Blasen. Die Schmerzen wurden zur Qual. Er stürzte zur Wand und rieb hektisch sein Gesicht an dem feuchten Stein um sich Linderung zu verschaffen. Doch er verschlimmerte nur die grauenhaften Schmerzen.

Er drehte sich um. Da schoss eine zweite Feuerlanze auf ihn zu und säbelte ihm das rechte Ohrläppchen ab.

„Ich habe dir nicht erlaubt aufzustehen“, dröhnte des Herrschers Stimme durch den Saal. „Und wage es nicht noch einmal, mir Furcht zu unterstellen. Ich fürchte nichts und niemanden, auch die Prophezeiung nicht. Sie ist mir lästig, mehr nicht. Hast du das begriffen, oder muss ich dir eine weitere Lektion erteilen?“

„Nein, Herr“, flüsterte Koktos demütig und fiel wieder auf die Knie. In seiner verbrannten Gesichtshälfte pochte der Schmerz wie ein zweites Herz, doch er wagte nicht die Hand zu heben, um sich ein wenig Linderung zu verschaffen. Die Fähigkeit dazu besaß er, doch im Augenblick nützte ihm seine Gabe nichts.

Die Furcht vor seinem gnadenlosen Gebieter hielt ihn im Griff, denn mit Gewalt kannte er sich aus. Er wandte sie nur allzu gern und allzu oft selber an.

Ein Wesen wie er, war einzig durch Furcht und Gewalt zu lenken. Gnade oder Barmherzigkeit verachtete er. Bei seinem Herrn würde er derartige Gefühle als Schwäche empfinden und ihn vielleicht sogar töten, sollte sich die Gelegenheit dazu bieten.

Der Schattenfürst, der ihn richtig einschätzte, war sich über den Charakter seines Helfers im Klaren, und richtete sich danach. Aber auch er fragte sich, war Koktos ein Mensch oder nicht?

Rein äußerlich musste man ihn wohl dazu rechnen. Doch seine besonderen Fähigkeiten wie die Macht über das Feuer oder seine Selbstheilungskräfte machten ihn den meisten Menschen überlegen.

„Steh auf, Koktos, du kannst gehen“, befahl der Schattenfürst. „Wenn ich dich brauche, lasse ich es dich wissen.

„Soll ich mich um die Diamantenmine kümmern?“, fragte der Kuttenmann unterwürfig. „Da hat es neulich einigen Ärger gegeben.“

„Der Aufruhr wurde blutig niedergeschlagen. Aber die Idee ist trotzdem nicht schlecht. Sieh zu, dass das Gesindel härter rangenommen und mehr Diamanten gefördert werden“, wies ihn die Stimme an.

„Ja, mein Gebieter“, erwiderte Koktos ehrfürchtig. Erst als die Stimme schwieg und das Leuchten der Rubinaugen erlosch, erhob er sich.

Nachdenklich musterte er die Statue. Er fragte sich, wieso die Skulptur sprechen und ihn sehen konnte, obwohl sich sein Gebieter wahrscheinlich überhaupt nicht in der Nähe aufhielt. Denn der Kuttenmann war zwar gewalttätig und absolut skrupellos, aber keinesfalls dumm!

Er hatte bei seinen Aufträgen, die ihn in die Menschenwelt führten, vieles beobachtet, mehr, als sein Herr ahnte. Und er hatte ohne Wissen seines Gebieters Menschen gezwungen, ihm einige dieser unglaublichen Dinge zu erklären, bevor er sie tötete.

Dabei hatte er erkannt, dass ihm die Menschenwelt Erde weitaus bessere Möglichkeiten bot seinen Sadismus und seinen Machthunger auszuleben, als Smethama, seine Heimat. Grinsend musterte er die imposante Skulptur, die seine Helfershelfer in Ehrfurcht erstarren ließ. Aber die wussten ja auch nichts von der Menschenwelt und ihren technischen Möglichkeiten, denn keiner außer ihm hatte die Erde jemals gesehen.

Mit einem bösen Lachen tastete er nach der Waffe in seiner Tasche, die er aus der Menschenwelt mitgebracht hatte. Pistole hatte der Mann in dem Laden die Waffe genannt. Und dann hatte er ihm zitternd vor Furcht die Handhabung des Kampfgeräts erklärt.

Der Mann hatte sich allerdings nicht sehr lange über die unglaublich schnell erlernte Treffsicherheit seines unheimlichen Kunden wundern können.

Nachdem Koktos alles über die Waffe erfahren hatte und die dazugehörigen Kästen mit Patronen in seinem Rucksack verstaut waren, hatte er die Pistole an dem um Gnade winselnden Menschen mit Erfolg ausprobiert.

In seiner Heimatwelt würde er die Waffe jedoch nicht anwenden, denn der Schattenfürst sollte auf keinen Fall von seinen kleinen Heimlichkeiten erfahren.

Er würde diesem auch weiterhin dienen, denn er fürchtete sich trotz seiner Fähigkeiten vor seinem unbekannten Herrn, der daran arbeitete, seine eigene Welt und vielleicht auch Smethama zu unterjochen. Er strebte nach Macht, schien besessen davon.

Doch solange das seine eigenen Interessen nicht gefährdete, war ihm das egal.

Nach einem letzten Blick auf die Skulptur trat der Kuttenmann grinsend ins Freie, wo sein Reittier auf ihn wartete, ein braun und gelb gemusterter Grimaki, eine Riesenhyäne, so groß wie ein Pferd.

ARIELLAS ENTSCHEIDUNG

Hinter dem Gebäude in Eichensee stand eine schmale Bank, auf die sich Samwinn und Finntam mit Ariella in ihrer Mitte setzten.

Ariella musterte die beiden Halblinge, die sie für Kinder gehalten hatte.

Kinder! Ihre Augen umflorten sich. Eine Träne rann ihre weiche Wange hinunter. Sie schluckte, bemühte sich das Weinen zu unterdrücken.

Da schmiegte sich eine kleine Hand tröstend in ihre. Samwinns Sternenaugen sahen zu ihr hoch. „Warum weinst du?“, fragte er sanft.

Ariella schüttelte den Kopf, denn zu sprechen vermochte sie nicht. Die mühsam unterdrückten Tränen saßen wie ein Kloß in ihrer Kehle und ließen ihre Stimmbänder versagen.

Samwinn wartete geduldig, dass sich Ariella wieder beruhigte, während Finntam unruhig hin und her rutschte. Tränen beunruhigten und verwirrten den kleinen Halbling. Er lachte gerne und viel. Und er liebte gutes und reichliches Essen. Traurigkeit war nicht seine Sache, davon hielt er sich lieber fern.

Allerdings war das hier und jetzt nicht möglich. Also hieß es Warten und darauf hoffen, dass sich diese Menschenfrau wieder beruhigte. Er starrte auf seine weichen Lederstiefel, um die Frau nicht ansehen zu müssen.

„Da kommt jemand“, flüsterte Samwinn warnend und stellte sich neben die Bank. „Komm her zu mir, Finntam, damit sie uns nicht bemerken, falls sie sich auf die Bank setzen wollen.“

Finntam glitt von der Bank und stellte sich dicht neben seinen Freund. Gerade noch rechtzeitig, denn in diesem Moment bog ein eng umschlungenes Pärchen um die Ecke, welches abrupt stehen blieb, als es Ariella sah. Sie hatten wohl gehofft, hier ein verstecktes Plätzchen zum Kuscheln zu finden. Kichernd verschwanden sie wieder. Die beiden Besucher aus einer anderen Welt blieben für sie unsichtbar.

Die beiden Halblinge setzten sich wieder neben Ariella. Finntam baumelte mit den Beinen und warf einen vorsichtigen Blick auf die Menschenfrau. Weinte sie noch? Nein, dachte er erleichtert und entspannte sich.

„Samwinn, wir haben nicht mehr allzu viel Zeit“, erinnerte er seinen Freund. „Erzähl der Menschenfrau von der Prophezeiung damit sie versteht, weshalb sie mit uns kommen soll.“

„Finntam, würde es dir etwas ausmachen, mich bei meinem Namen zu nennen? Menschenfrau hört sich nicht besonders freundlich an“, bat Ariella.

Finntams Gesicht lief knallrot an. Verlegen starrte er eine Weile auf seine Stiefel, als sähe er sie zum ersten Mal. Endlich hob er den Kopf, sah Ariella schüchtern an und nickte.

„Ich danke dir“, sagte diese lächelnd. „So, und um was geht es nun in dieser Prophezeiung?“

„Sie besagt, dass eine menschliche Frau dazu ausersehen ist, Smethama, unsere Welt, vor der Willkür des Schattenfürsten zu retten“, erwiderte Samwinn.

„Und wie kommt ihr darauf, dass ich diese Frau bin?“, fragte Ariella verwundert.

„Unsere Hohe Herrin, die Elfen-Zauberin Lisha’yinn, hatte eine Vision, in der sie dich erkannte. Sie ist eine mächtige Zauberin und irrt sich nie“, meldete sich Finntam zu Wort, der seine Verlegenheit überwunden hatte.

„Das mag wohl so sein, Finntam. Doch ich glaube nicht an Visionen“, erwiderte Ariella.

„Und woher wusste sie dann wie du aussiehst?“

Ariella sah ihn überrascht an.

„Ja, Men … äh, Ariella“, verhaspelte sich Finntam. „Dieses Bild hat die Hohe Herrin für uns angefertigt, damit wir dich erkennen“, fuhr er triumphierend fort und hielt ihr die kleine Silberscheibe hin.

Ariella griff danach.

Staunend betrachtete sie ihr wie aus dem Gesicht geschnittenes Konterfei auf der glänzenden Scheibe. Selbst das winzige Muttermal unter ihrem linken Auge, welches einem Schönheitspflästerchen glich, fehlte nicht.

„Finntam hat recht, Ariella“, sagte Samwinn. „Unsere Herrin hat sich noch nie geirrt. Selbst deine Traurigkeit stimmt mit der Prophezeiung überein die da sagt, dass diese Retterin gebeugt von Kummer ist.“

„Wie kommst du darauf, dass ich Kummer habe?“, fragte Ariella leise.

„Du hast geweint und deine Augen blicken sehr traurig“, war die schlichte Antwort.

„Ich würde euch gerne helfen“, sagte Ariella. „Ich weiß zwar nicht, ob ich es kann, aber ich werde es mir überlegen.“

„Die Zeit drängt. Wenn du uns wirklich helfen willst, dann musst du hier und jetzt entscheiden, ob du noch heute mit uns gehst“, erwiderte Samwinn.

Damit hatte Ariella nicht gerechnet. Sollte es diese Parallelwelt – oder wie immer man sie nennen wollte – wirklich geben, und die beiden Halblinge sprachen für deren Existenz, würde sie jedoch auf keinen Fall so Hals über Kopf ihre Welt verlassen, nicht, bevor sie den Tod ihrer Lieben gerächt hatte.

„Ich kann noch nicht mitkommen“, sagte sie aus diesen Gedanken heraus. „Nicht bevor die Schuldigen am Tod meiner Familie ihre gerechte Strafe erhalten haben. Wer weiß wie viele unschuldige Menschen dieser schwarze Kuttenmann sonst noch in Flammen aufgehen lässt“, fügte sie leise und nur für sich hinzu.

Doch Samwinn hatte ihre geflüsterten Worte vernommen, denn Halblinge verfügen über ein überaus feines Gehör.

„Die Prophezeiung verlangt, dass du freiwillig mit uns gehst. Freiwillig bei uns bleibst. Und dass du freiwillig dazu bereit bist, wenn es darauf ankommt, für unsere Zukunft zu leiden“, erklärte er.

„Das hättest du ihr vielleicht nicht sagen sollen“, flüsterte Finntam seinem Freund zu. „Jetzt kommt sie bestimmt nicht mit und dann greift das Böse in Smethama weiter um sich.“

„Doch, Finntam. Ariella muss alles wissen. Nur dann kann sie eine Entscheidung fällen“, erwiderte Samwinn bestimmt.

Ariella hatte schweigend und mit zunehmender Verwunderung dem Gespräch der beiden Halblinge gelauscht. Sie sollte eine ganze Welt vor der Willkür eines mächtigen Schattenfürsten retten? Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein! Wären nicht die beiden ungewöhnlichen Halblinge gewesen, hätte sie an irgend so einen Fernseh-Schabernack geglaubt.

Sie fand diesen Samwinn und seinen Freund Finntam zwar ausgesprochen liebenswert. Doch langsam wurde ihr diese Sache zu viel. Auch wenn sie alles verloren hatte, diese Welt war ihre Heimat. Dass es noch andere Welten geben sollte, daran hatte sie nie geglaubt.

„Ich kann nicht mit euch gehen“, sagte sie aus diesen Gedanken heraus. „Es tut mir sehr leid.“

Finntam riss entsetzt die Augen auf, während sein Freund ganz ruhig blieb. Er lächelte sogar.

„Und wenn ich dir sage, dass du Koktos, den Kuttenmann, nur in Smethama finden wirst. Wärst du dann bereit, mit uns zu gehen?“, fragte Samwinn leise.

Ariella starrte ihn sprachlos an. „Du kennst diesen Mörder?“, flüsterte sie.

„Viele in unserer Welt kennen Koktos, den Schlächter des Schattenfürsten“, erwiderte Samwinn traurig. „Er hat schon viel Leid über mein Volk und all die anderen Völker gebracht. Er wechselt zwischen deiner und unserer Welt je nach Belieben hin und her. Doch er stammt aus unserer Welt, in der er auch lebt.“

„Warum hat er meine Familie getötet? Ich kenne doch weder ihn noch den Schattenfürsten“; stieß Ariella verzweifelt hervor.

„Niemand kennt den Schattenfürsten“, erwiderte Samwinn. „Keiner hat ihn je gesehen. Die Prophezeiung verspricht, dass nur du ihn zu erkennen vermagst. Warum das allerdings so ist, das weiß ich auch nicht. Antworten kannst du nur von unserer Hohen Herrin Lisha’yinn erhalten. Vielleicht hat sie eine Erklärung für den Tod deiner Familie.“

„Dann glaubst du, dass mein Schicksal mit der Zukunft eurer Heimat verknüpft ist?“, fragte Ariella nachdenklich.

„Ja, das meine ich“, erwiderte Samwinn. „Ich bin fest davon überzeugt, dass Smethama und seine Völker eine schreckliche Zukunft erwartet, solltest du nicht mit uns gehen.“

„Ihr bürdet mir da eine ungeheure Verantwortung auf“, sagte Ariella. Und der leise Vorwurf in ihren Worten war nicht zu überhören.

„Wir haben es uns nicht ausgesucht. Es tut mir leid“, erwiderte Samwinn leise.

Ariella sah die beiden Halblinge nachdenklich an. Was habe ich schon zu verlieren? dachte sie traurig. Meine Lieben sind tot. Dieser unheimliche Schattenfürst darf nicht wissen, dass ich überlebt habe. Hier muss ich mich ständig verstecken und trotzdem immer auf der Hut sein, dass mich dieser grauenhafte Kuttenmann nicht bemerkt.

In meiner Welt, sieht die Zukunft also ziemlich trostlos für mich aus. Vielleicht bietet sich mir in der Welt der Halblinge ja tatsächlich viel eher die Gelegenheit, den Kuttenmann und dessen Auftraggeber zu bestrafen.

„Aber ich brauche Kleidung und einige andere Dinge, sollte ich mich dazu entschließen, euch zu begleiten“, sagte sie aus ihren Gedanken heraus.

Samwinn und Finntam sahen sich an. Sie kommt mit, dachten sie erleichtert. Wir haben sie doch noch überzeugt.

„Du bekommst in Smethama alles, was du benötigst“, erwiderte Samwinn. „Deine übliche Kleidung würde dir bei unserem Vorhaben sowieso nichts nützen. Und was du außerdem noch brauchst, das besorgen wir.“

„Unserem Vorhaben? Werdet ihr mir helfen und mich begleiten?“, fragte Ariella überrascht.

„Ja, aber nicht nur wir“, erwiderte Samwinn geheimnisvoll wie ein Orakel.

„Sehr unterschiedliche Lebewesen werden dir zur Seite stehen“, mischte sich Finntam ein, der bislang still zugehört hatte. „Und viele nützliche Gegenstände wirst du erhalten“, fügte er hinzu.

Samwinn sah ihn warnend an, denn sie waren ermahnt worden, nichts zu verraten.

„Also gut“, erwiderte Ariella und überwand ihre Skepsis und ihre Befürchtungen. „Dann lasst uns gehen, denn in dieser Welt hält mich nichts mehr.“

DIE HOHE HERRIN

Die Hohe Herrin Lisha’yinn starrte entsetzt auf die toten Füchse, die dichtgedrängt auf der von hohen Bäumen gesäumten Waldlichtung lagen.

Allein aus purer Grausamkeit und Mordgier waren sie mit einer Brutalität hingemetzelt worden, dass es ihr die Tränen in die Augen trieb.

„Koktos, du gemeiner Schlächter! Verflucht sollst du sein bis ans Ende deiner Tage“, flüsterte die Elfen-Zauberin, wobei ihr schimmernde Tränen über die Wangen liefen.

Nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, murmelte sie einen alten Zauberspruch, hob die schmalen Arme in Höhe des Kopfes und verharrte unbeweglich in dieser Stellung.

Doch klägliches Wimmern störte schon bald darauf ihre Konzentration. Sie senkte die Arme und sah sich um.

Was hatte sie gestört?

Sie lauschte und ließ sich von dem kläglichen Wimmern führen. Unter einem gewaltigen Baumstumpf wurde sie fündig.

Vier Augenpaare musterten sie ängstlich, als sie sich zu dem Fuchsbau hinunterbeugte.

„Keine Angst, meine Kleinen“, beruhigte Lisha’yinn die vier jungen Füchse. „Ich sorge dafür, dass euch nichts passiert. Aber zuerst einmal muss ich mich um eure Eltern und das Rudel kümmern.“

Sie versiegelte den Eingang mit einem Zauberspruch, um ihre Schutzbefohlenen am Fortlaufen zu hindern. Danach konzentrierte sie sich erneut auf ihren Zauber.

Als würde ein Trupp Bauarbeiter eine Grube ausheben, hob sich die Erde und stapelte sich um die immer größer werdende Gruft. Als der Vorgang abgeschlossen war, schwebten die Körper der toten Füchse sanft zu ihrem letzten Lager und versanken darin. Der Aushub folgte unmittelbar.

Nachdem alles plan und der Boden wieder eben war, ging die Zauberin zurück zu den Jungtieren, um sie durch einen Zauber an einen sicheren Ort zu bringen.

Nachdem alles zu ihrer Zufriedenheit erledigt war, machte sie sich auf den Weg zu ihrem Dorf, welches versteckt in einem fruchtbaren Tal lag. Über einen geheimen Weg, den nur sehr wenige kannten, gelangte man dorthin.

Lisha’yinn liebte ihre Ausflüge in den Wald. Hier fand sie die Kräuter, die sie für ihre Tees, Elixiere, Tinkturen, Essenzen und Heiltränke benötigte.

Sie summte leise vor sich hin, als das Vibrieren ihres Amuletts, dass sie an einer Kordel um den Hals trug, ihre Aufmerksamkeit forderte.

Sie hielt sich die handtellergroße Silberscheibe vor die Augen und las die Nachricht darin.

„Sie kommt!

Finntam und Samwinn haben mich wie stets nicht enttäuscht“, lobte sie erfreut. „Dann sollte ich mich aber wohl besser beeilen.“ Und nach diesen Worten verschwand die Zauberin so spurlos, als sei sie nie an diesem Ort gewesen.

EINE ANDERE WELT

Ariella starrte mit offenem Mund zu dem azurblauen Himmel empor. Aber es war nicht der Himmel, der sie staunen ließ, sondern die rote und die gelbe Sonne waren es, die ihr die Sprache verschlugen.

ZWEI SONNEN!

Jetzt glaubte sie es!

Sie war in einer anderen Welt, einer Parallelwelt gelandet! Und dabei war es so leicht gewesen! Sie hatte – außer einem leichten Schwindelgefühl und so etwas wie einem sanften Ziehen an ihrem Körper – kaum etwas von dem Übergang gemerkt.

Sie waren zu der Stelle zurückgekehrt, an der sie auf Finntam und Samwinn getroffen war. Da keine Besucher mehr zu sehen waren, beschlossen sie, den Übergang nach Smethama nicht länger hinauszuzögern, um noch bei Tage dort anzukommen.

Mit den beiden Halblingen an der Hand, war sie das Wagnis eingegangen. Ein schlichter, kupferfarbener, mit geheimnisvollen Runen verzierter Armreif den jeder der beiden Halblinge trug, hatte den Übergang ermöglicht.

Und das war also Smethama, die Parallelwelt, von der die Menschen auf dem Planeten Erde nichts ahnten.

Ariella löste fast widerstrebend den Blick von den beiden Sonnen und musterte erstmals ihre Umgebung.

Es gefiel ihr, was sie sah. Es gefiel ihr sogar außerordentlich gut!

Sie betrachtete den Rand des breiten Weges auf dem sie stand. Üppige Büsche, deren Laub unter den faustgroßen roten und weißen Blüten nur noch zu erahnen war, säumten einen Pfad, der über eine Wiese zu einem entfernten Wald führte.

Außer dem Gezwitscher eines Vogelschwarms, der sich auf und um einen schmalen Wasserlauf linker Hand von Ariella und den beiden Halblingen niedergelassen hatte, summten Bienen und Wespen, huschten und glitten unter den Büschen Mäuse, Schlangen und anderes Getier.

Ariella staunte über die grenzenlose Weite, als sie den Blick schweifen ließ.

Keine Menschen! Keine Bauten! Keine Fahrzeuge!

Kein Lärm störte die Ruhe und Schönheit der sich vor ihr ausbreitenden saftigen Wiesen.

Und dann diese Luft!

Ariella atmete diesen in der Menschenwelt kaum noch zu findenden Odem tief ein.

„Geht es dir gut, Ariella?“, fragte Samwinn, der neben ihr stand.

„Bei dieser herrlich sauberen Luft, welche die Sinne umschmeichelt, kann es einem ja nur gutgehen“, erwiderte Ariella lächelnd. „Aber vermutlich wird es auch auf Smethama nicht überall so friedlich sein, oder?“

„Einst war es fast überall so wie hier. Doch jetzt nicht mehr“, erwiderte Samwinn traurig. „Seitdem der Schattenfürst hier sein Unwesen treibt, hat sich manches auf Smethama zum Schlechteren gewandelt. Angehörige unterschiedlicher Völker verschwinden spurlos. Die Übergriffe ehemals friedlicher Bewohner Smethamas auf Nachbarn und Fremde häufen sich. Abtrünnige Mitbewohner stellen sich für versprochene Vorteile gegen ihr eigenes Land. Neid und Gier greifen immer stärker um sich.“

„Aber wehrt sich denn niemand dagegen?“, fragte Ariella verwundert.

Samwinns leuchtende Sternenaugen sahen sie traurig an. „Wir wehren uns so gut wir können. Doch obwohl wir wissen, dass der Schattenfürst schuld an der zunehmenden Unzufriedenheit und Bosheit ist, können wir ihn nicht wirklich bekämpfen, denn niemand auf Smethama kennt ihn oder hat ihn je gesehen. Aber wenn ihm nicht bald Einhalt geboten wird, könnte es schlimm für uns alle ausgehen“, sagte Samwinn niedergeschlagen.

„Alleine unsere Hohe Herrin, die große Elfen-Magierin Lisha’yinn, verfügt über die Macht, sich dem Bösen entgegenzustellen, doch wie lange noch? Sie alleine wacht mit Hilfe der Götter über alles Leben auf Smethama, und wir verehren und lieben sie dafür. Aber sie könnte dringend Hilfe und Unterstützung gebrauchen.“

„Aber wozu braucht eure Hohe Herrin mich?“, fragte Ariella verwundert. „Wenn eure Zauberin so mächtig ist wie du sagst, wieso kann dann nicht sie diese Prophezeiung erfüllen?“

„Weil sie nicht dafür bestimmt ist. Die Götter haben dich dafür bestimmt, und niemand kann daran etwas ändern“, erklärte Samwinn geduldig.

„Und ihr glaubt wirklich, ich alleine könnte mich dem Bösen in eurer Welt entgegenstellen? Ist diese Hoffnung nicht ein bisschen zu hoch gegriffen?“, fragte Ariella skeptisch. „Ich bin doch weder eine Kriegerin, noch besitze ich besondere Fähigkeiten.“

„Du bist und kannst sehr viel mehr, als du glaubst“, erwiderte Samwinn etwas geheimnisvoll.

„Was weißt du über mich, was ich nicht weiß?“

„Du wirst von unserer Herrin Lisha’yinn alles erfahren“, war die Erwiderung.

„Können wir endlich weitergehen?“, funkte Finntam dazwischen. „Ich habe nämlich langsam schrecklichen Hunger, falls euch das überhaupt interessiert. Mir ist schon richtig schlecht in meinem Bauch.“

Samwinn und Ariella sahen sich lächelnd an. Mittlerweile kannte Ariella ebenfalls des kleinen Halblings Schwäche.

Finntam war schlicht und einfach verfressen!

Wo er dieses ganze Essen nur lässt? fragte sich Ariella, als sie seine zierliche Gestalt betrachtete.

„Mein Bauch ist schon ganz eingefallen“, beklagte sich Finntam mürrisch.

„Fürs Erste muss dieser Apfel reichen“, sagte Samwinn und reichte seinem Freund die goldgelbe Frucht.

„Danke, Samwinn“, sagte Finntam; und übers ganze Gesicht strahlend biss er herzhaft in die willkommene Gabe. Schon war er wieder vergnügt und guter Laune.

„Und wie geht es jetzt weiter?“, wollte Ariella wissen.

„Wir dürfen uns hier nicht zu lange aufhalten. Obwohl dieser Durchgang geheim ist, nur die Hohe Herrin, Finntam und ich wissen davon, sollten wir besser vorsichtig sein“, erwiderte Samwinn.

Er schaute sich unruhig um. Ihm war, als hätte er etwas gehört, einen Laut, der nicht hierher gehörte. Als er sich jedoch nicht wiederholte, drängte er darauf weiterzugehen.

„Wir müssen zu dem Wald dort drüben. Er wird uns schützen.“

„Dahin ist es ja nicht allzu weit. Also dann mal los“, sagte Ariella burschikos.

Samwinn sah sie vorwurfsvoll an. „Du musst vorsichtiger sein, Ariella “, warnte er. „Du befindest dich jetzt in einer anderen Welt, einer Welt, die nicht frei von Gefahren ist. Andere Gefahren zwar, doch sind diese zahlreich und nicht zu unterschätzen. Aber zuerst einmal bitte ich dich, dies hier anzuziehen.“

„Was ist das?“, fragte Ariella.

„Das ist ein Elfenumhang“, erwiderte Samwinn. „Er schützt dich vor neugierigen Blicken. Niemand darf wissen, dass du hier bist, besonders der Schattenfürst nicht. Er muss davon überzeugt sein, dich ausgeschaltet zu haben.“

Ariella nickte.

Sie nahm den grauen Umhang, legte ihn sich um und zog die Kapuze über den Kopf. „Gut so?“, fragte sie.

Samwinn und Finntam nickten zufrieden.

„Es ist ein besonderes Kleidungsstück“, sagte Finntam. „Es passt sich farblich immer der Umgebung an.“

„Du meinst, wenn ich zum Beispiel vor einer Felswand stehe, dann hebe ich mich nicht davon ab?“, fragte Ariella beeindruckt.

„Genau! Es ist eben ein Elfenumhang“, erwiderte Finntam.

„Wir müssen los. Der Wald erwartet uns“, drängte Samwinn.

„Bis dahin ist es doch nicht allzu weit. Wenn wir quer über die Wiese gehen, dürften wir schon bald dort sein“, sagte Ariella verwundert über die plötzliche Nervosität ihres kleinen Begleiters.

Samwinn sah sie groß an. „Von wegen bald da, Ariella“, erwiderte er. „Wir müssen die Wiese umgehen.“

„Wieso das denn?“, fragte Ariella überrascht.

„Komm, ich zeige dir warum“, sagte Samwinn. Er nahm ihre Hand und zog sie zum Rand der Wiese.

„Oh, was für herrliche Blumen! Und diese unglaublichen Farben“, schwärmte Ariella begeistert.

Dicht an dicht wuchsen die lilienartigen Pflanzen mit den riesigen Blütenköpfen, die in allen nur möglichen Farbtönen zu bewundern waren.

„Du hast recht, Samwinn“, sagte Ariella verständig. „Wenn wir über die Wiese gingen, würden wir diese zauberhafte Pracht zerstören.“

„Ja, prächtig anzuschauen sind sie, aber das meinte ich nicht. Ich zeige es dir. Pass auf, was gleich passiert.“

Er hob einen größeren Stein vom Boden auf und legte ihn in seine Schleuder, die hinter seinem Gürtel gesteckt hatte. Er zielte und schoss.

Ariella verfolgte verständnislos den Flug des Steins, der inmitten der Blumenpracht landete. Was sollte das? Was wollte Samwinn ihr beweisen? Sie sollte es sogleich erfahren.

Anfangs war es nur ein sachtes Rauschen unter dem die herrlichen Blüten auf ihren kräftigen Stängeln erbebten. Doch mit jeder sich öffnenden Blüte gewann es an Intensität, wurde lauter, greller und endlich so markerschütternd schrill, dass Ariella entsetzt zusammenzuckte und sich die Ohren zuhielt.

„Was, in Gottes Namen, ist das?“, stöhnte sie.

Voller Grauen starrte sie auf die wunderschönen Blumen, die zu unheimlichen Leben erwachten.

Die großen spinnenartigen Lebewesen, die geduldig in den Blütenköpfen gelauert hatten, strömten heraus, suchten den Störenfried, hofften auf ein üppiges Mahl, glaubten, endlich wieder ein Opfer gefunden zu haben.

Und während sie suchten, wurden sie größer, wuchsen so schnell, dass Ariella fürchtete einer Halluzination zu erliegen.

DOCH ES WAR KEINE SINNESTÄUSCHUNG!

„Igitt“, sagte Finntam neben ihr. „Ich hasse diese ekligen, mordgierigen Spinnentiere. Lasst uns bloß von hier verschwinden!“

Ariella starrte schaudernd auf das Gewusel. Es mussten Tausende sein!

„Was ist, wenn sie uns bemerken? Greifen sie uns dann an?“, stieß sie besorgt hervor.

„Das würden sie sicherlich, wenn sie könnten. Aber zum Glück bindet sie ein Zauber an diese Wiese. Sie können sie nicht verlassen. Aber wer die Wiese betritt, der ist verloren“, erklärte Finntam und schüttelte sich.

„Du musst wissen, sie schießen winzige Pfeile ab, die ihr Opfer betäuben, so dass es nicht weglaufen kann. Und sobald es hilflos ist, fressen sie es bei lebendigem Leib auf.“

„Da…das ist schrecklich“, stotterte Ariella schockiert.

„Auf dieser Wiese ist mal ein Kaltdrache gelandet, der die Gefahr nicht erkannte“, erzählte Finntam weiter. „Sie haben sich zu Tausenden über ihn hergemacht und bis auf das Knochengerüst aufgefressen. Und das haben sie auch noch vertilgt, indem sie es mit ihrer Säure aufgelöst und dann aufgesaugt haben. Abscheulich! Ganz abscheulich“, sagte Finntam schaudernd.

„Lasst uns gehen. Wir haben noch einen langen Weg vor uns“; drängte Samwinn erneut.

Und diesmal ließ sich Ariella nicht lange bitten.

DER SCHATTENFÜRST

Der Schattenfürst, der Unfrieden, Leid und Unheil über das einstmals so friedliche Smethama brachte, starrte auf den riesigen Monitor, der fast eine ganze Wand des weitläufigen Raumes einnahm.

Niemand kannte dieses Refugium. Keiner wusste davon, denn alle die daran gebaut hatten, waren ebenso tot wie die Techniker, die für die aufwendige Installation der hochmodernen Geräte verantwortlich gewesen waren. Hier traf er seine Entscheidungen und von hier aus nahm er dank ausgeklügelter Technik Kontakt zu seinen Helfern auf Smethama auf.

Schon so lange er denken konnte, arbeitete er daran sein Machtpotential zu erweitern, seinen Einfluss immer weiter auszudehnen und seine Machtgier, die ihn innerlich zerfraß, zu befriedigen.

„Keiner weiß, was ich vorhabe. Niemand ahnt auch nur im Entferntesten, wozu ich fähig bin, um meine Pläne zu verwirklichen. Ich habe sie alle von jeher getäuscht, egal ob Freund oder Feind; und ich fege alles weg, was sich mir in den Weg stellt“, flüsterte der Schattenfürst in die Stille des Raumes.

„Und dann wagte es diese Kreatur, ausgerechnet mir Furcht zu unterstellen! Das Maß war voll! Es war an der Zeit, Koktos eine Lehre zu erteilen“, führte er sein Selbstgespräch fort.

„Er wird zu aufmüpfig, zu selbstbewusst. Doch seine Macht über das Feuer leistet mir ausgezeichnete Dienste. Noch ist er wertvoll für mich. Noch benötige ich ihn als meinen verlängerten Arm, meinen Attentäter, der jeden aus dem Weg räumt, der meine Pläne stört. Und doch werde ich froh sein, wenn ich ihn nicht mehr benötige. Er ist zu gefährlich. Sein Ende ist unabwendbar!“

Für einen kurzen Moment huschte ein Schatten über sein Gesicht, als ihm die Familie einfiel, die Koktos in seinem Auftrag getötet hatte.

Sie waren verbrannt! Was für ein schrecklicher Tod! Ihn schauderte bei dem Gedanken.

„Aber es musste sein“, murmelte er unbehaglich; eine äußerst seltene Regung bei dem kaltherzigen Mann.

Nur gut, dass er rechtzeitig genug Kenntnis von der Prophezeiung und von Ariella de Boer als die darin erwähnte Auserwählte erhalten hatte. Und obwohl er nicht wirklich an Prophezeiungen glaubte, war es für seine Pläne sicherer gewesen, diese eventuelle Gefahr vorsichtshalber auszumerzen.

Koktos hatte die Angelegenheit mit seiner Gewalt über das Feuer schnell erledigt; und damit der Prophezeiung, sollte tatsächlich etwas dahinter stecken, ihre Macht genommen.

Er war wie ein Schatten, war nur deshalb so mächtig geworden, weil er stets aus dem Hintergrund agierte. Er verfügte über unterschiedliche Identitäten, seine wirkliche war kaum jemandem bekannt; und damit das auch so blieb, hatte er ohne zu zögern Koktos auf die de Boers angesetzt.

Für einen kurzen Moment vermeinte er das Prasseln des Feuers und die Schreie der Opfer zu hören. Er schüttelte sich.

Doch dann wischte er den Gedanken an diese schreckliche Tat wie einen Staubfussel fort.

Er war skrupellos, nur auf sein Vorhaben bedacht, was bedeutete da schon der Tod dreier Menschen. Sie waren ebenso unwichtig wie die Bewohner der ParallelweltSmethama, von der er durch Zufall erfahren hatte. Grinsend rieb er sich die Hände.

EINE PARALLELWELT!

Wer hätte das für möglich gehalten! Und das Wissen über einen der Zugänge zu dieser Welt, war ihm auch noch gleich mitgeliefert worden!

Wenn das keine Gottesfügung ist, hatte er gedacht und den Stier bei den Hörnern gepackt. Und da er sich von jeher für das Ungewöhnliche interessierte, hatte er den Gedanken an eine eventuelle Parallelwelt nicht sogleich als völlig absurd abgetan.

Im Gegenteil! Sein Interesse war geweckt!

Er hatte wie schon so oft sein Äußeres verändert und sich aufgemacht, diese neue Welt namens Smethama zu erkunden, so sie denn wirklich existierte.

UND SIE EXISTIERTE!

Alles Weitere war reine Organisation gewesen. Einen Trupp skrupelloser, geldgieriger Söldner um sich zu scharen, war ebenso wenig ein Problem gewesen, wie unzufriedene Bewohner Smethamas aus verschiedenen Völkern zu rekrutieren.

Sich an die Prophezeiung erinnernd, hatte er sich als Beauftragter des Schattenfürsten ausgegeben und ihnen das versprochen, wonach sie sich schon lange sehnten. Und nachdem er einigen von ihnen einen Vorgeschmack auf ihre künftige Belohnung gegeben hatte, waren sie mit wehenden Fahnen zu ihm übergelaufen. Jetzt arbeiteten diese unheimlichen, fremdartigen Geschöpfe für ihn.

Lebewesen, wie die halb menschlichen und halb tierischen Klatork, denen er Macht und eigenes Land dafür versprochen hatte, dass diese ihre Welt verrieten. Nicht viel anders, als die Menschen, dachte er lächelnd.

Und dann die Gestropp, diese geierartigen Flugtiere, die durch Magie gelenkt wurden. Sie waren absolut bösartig, mordlustig und unersättlich. Was er denen versprochen hatte, jagte selbst ihm eisige Schauer über den Rücken.

Doch alle, die ihm halfen, taten es nicht nur aus Gier, sondern auch aus Angst, nachdem er an einigen Querulanten gnadenlose Exempel statuiert hatte.

Und dann war dieser Magier an ihn herangetreten, der ebenso nach der absoluten, uneingeschränkten Macht auf Smethama strebte wie er seinerseits auf der Erde. Sie waren sehr schnell handelseinig geworden.

Er hatte zugesagt, dem Magier ein für dessen Machtergreifung notwendiges Artefakt zu besorgen, welches für diesen nicht erreichbar auf der Erde verwahrt wurde.

Und dieser hatte ihm dafür eine gut verborgene, sich bereits in Betrieb befindliche Diamantenmine überlassen, die einen Ertrag abwarf, der die Umsetzung seiner Pläne beschleunigen würde.

„Die Diamanten werden mir dabei helfen so viel Einfluss und Macht zu gewinnen, dass ich an die oberste Spitze des Staates gelange. Nichts ist unmöglich, man muss es nur anpacken“, murmelte er.

„Diesem Magier muss wirklich außerordentlich viel an dem Objekt gelegen sein, das ich ihm besorgen soll. Es würde mich interessieren, was er damit vorhat“, führte er sein Selbstgespräch fort. Doch dann lenkte er sein Interesse wieder auf die Mine, mit der er große Hoffnungen verband.

„Ich muss mächtiger, viel mächtiger werden“, flüsterte er mit funkelnden Augen und vom Größenwahnsinn verzerrtem Gesicht.

DER SUMPFWALD

Ariella, noch immer unter dem Eindruck der gefräßigen Spinnentiere stehend, folgte den beiden Halblingen auf dem Fuß.

Sie kannte diese Welt nicht, wusste nichts von den hier lauernden Gefahren. Gefahren, die sich oftmals hinter Schönheit und Anmut verbargen.

Samwinn hatte sie gewarnt, doch sie hatte die Warnung auf die leichte Schulter genommen. Aber nochmal würde ihr das nicht passieren!

Stumm eilten sie an der sich langsam beruhigenden Spinnenmeute vorüber, die sich wieder zurückbildete, um nach und nach enttäuscht in den Blütenköpfen zu verschwinden.

SIE WAREN SO HUNGRIG!

Gierig sahen viele von ihnen dem so sicher geglaubten Futter hinterher.

Ariella beeilte sich zu den beiden Halblingen aufzuschließen, die für ihre Größe und ihre dementsprechend kurzen Beine ein so erstaunliches Tempo vorgaben, dass sie sich auf ihren langen Beinen beeilen musste, um nicht den Anschluss zu verlieren.

Die beiden Sonnen waren schon hinter den hohen Bäumen verschwunden. Ein rotes Leuchten erfüllte den Himmel. Nicht mehr lange und es wurde Nacht.

„Müssen wir etwa die Nacht in dem Wald zubringen?“, fragte Ariella mit einem unbehaglichen Gefühl in der Magengegend, in der sich mittlerweile auch der Hunger bemerkbar machte.

„Das dürfte ganz schön ungemütlich werden“, fügte sie hinzu, als sie keine Antwort erhielt. „Schließlich sind wir dafür nicht ausgerüstet. Außerdem konnte ich mich noch nie für Camping begeistern.“

„Was ist Camping?“, wollte Finntam wissen.

Ariella starrte ihn verwundert an.

„Ariella sagt so komische Sachen. Weißt du, was sie meint?“, fragte Finntam seinen Freund.

Samwinn schüttelte den Kopf.

„Camping bedeutet, eine Zeit lang in einem Zelt oder in einem Wohnwagen zu leben“, erklärte Ariella.

Die beiden Halblinge sahen sie aus großen Augen verständnislos an.

„Zelte sind winzige Räume aus Stoff, in die man zum Schlafen hineinschlüpfen muss, versteht ihr?“

„So wie in eine Höhle?“, fragte Samwinn.

Ariella nickte. „Ja, aber wahrscheinlich ist darin wohl oftmals mehr Platz“, erwiderte Ariella.

Finntam schüttelte den Kopf. „Und warum nennst du eine Höhle dann Campick?“

„Camping“, verbesserte Ariella ihn.

„Auch gut“, nickte Finntam.

Ariella sah ihn hilflos an.

„Ach was! Das macht doch nichts“, kicherte Finntam. „Dann sagen wir ab jetzt eben Campick!“

Schweigend eilten sie weiter.

„Wir sind bald da“, freute sich Samwinn. „Siehst du da vorne die kleine Brücke?“ Und als Ariella nickte: „Sie führt über einen See, hinter dem der Sumpfwald beginnt.“

„Wieso Sumpfwald?“, fragte Ariella alarmiert.

„Weil es dort gefährliche Sümpfe gibt, das ist doch klar“, sagte Finntam kopfschüttelnd. „Campick“, murmelte er. „Aber nicht wissen, wieso ein Sumpfwald so heißt.“