Die Veränderung - Steve Lee - E-Book

Die Veränderung E-Book

Steve Lee

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Beschreibung

T e i l 1 Als Ralf Hansen 18 Jahre wird, tritt mit ihm eine außergewöhnliche Wandlung ein, die ihm verzweifeln lässt und keine Ruhe mehr findet. Der 2. Weltkrieg geht zu Ende und die Russen besetzten im März 1945 das Ostseebad Stolpmünde. Die Wirren der Nachkriegszeit werfen tiefe Schatten auf Familie und Freunde. Ralf Hansen, der öfter alleine sein muss, sucht an einem Sommertag den Wald auf. Hier erlebt er seinen ersten Kontakt mit der Schöpfung, deren Bedeutung er noch nicht erkennt. Auf dem Heimweg wird er gezwungen, seinen ersten Menschen zu töten. Er, sein Freund Uwe Prade, sowie sein Bruder Herbert und Uwes Bruder flüchten. Unterwegs werden sie von polnischen Soldaten angegriffen und hier setzt Ralf seine gewonnene Macht zum ersten Mal bewusst ein und tötet drei Soldaten. Ralf ist verzweifelt. Er begibt sich freiwillig in russische Gefangenschaft, um durch Forschungs-Experimente die Wahrheit seiner Macht herauszufinden. Dort lernt er die Russin Ina kennen und seine große Liebe erwacht. Als er Kontakt mit dem Geisteswesen ETWAS bekommt, hört er den Ruf der Schöpfung, und ihm wird bewusst, dass sich die Menschheit dem Abgrund zubewegt und er als Wächter und später als Terminator berufen wurde. Er und Uwe altern nicht mehr, und eine tiefe Einsamkeit macht sich bei ihnen breit. So wird auch seine Liebe zu Ina durch die Zeit zerstört werden. T e i l 2 Wissenschaftler, Gellehrte und ein Teil der Menschheit nehmen eine steigende Veränderung bei den Menschen fest, nichtwissend, dass nur ein Drittel der Menschheit mit Humanität geprägte Menschen sind. Der übrige Teil der Menschheit sind schlafende Bestien des Teufels und deren Religion, eine Religion des Teufels. Der Weckruf der Bestien überzieht den Globus mit teuflischer Grausamkeit. Drei Ableger des Teufels führen die Teufelsbrut, um durch Vernichtung der humanen Menschheit den Weg zur Parallelwelt zu ebnen. Der Abwehrkampf scheint ausweglos zu sein. Nur Nordamerika, Teile von Europa und in Afrika ist es Namibia, die noch den Ansturm der Bestien standhalten können. Sechs Freunde versuchen nach Namibia zu flüchten, erleben die bestialische Brutalität, unsagbares Leid, werden auf der Flucht getrennt und es besteht wenig Hoffnung, dass sie jemals Windhoek erreichen können. Als vor über 80 Jahren Ralf Hansen den Ruf der Schöpfung empfängt, ahnte er noch nicht, was ihm und sein Freund Uwe Prade und Ewigkeitsbegleiter erwartet. Mit göttlichen Waffen der Schöpfung nehmen sie den Kampf auf.

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Ein zeitgemäßer dramatischer Roman, über den eventuellen Untergang der Menschheit.

Alle Lebewesen sind der Evolution unterworfen. Doch in welche Richtung bewegen wir uns? Zugenommen hat die Grausamkeit, der Egoismus, die Eigennützigkeit, die Selbstgefälligkeit, die Selbstsucht und die Habgier. Das Mitgefühl zu einem anderen Menschen fällt ab, die Hemmschwelle zu einem Mord geht mehr und mehr verloren, den Mitbürger zu bestehlen und zu betrügen, geschieht ohne Gewissensbisse. Betreten wir eine neue Stufe der Evolution oder steckt da eine fremde Macht dahinter? Utopisch? Wohl kaum. Wir glauben alles zu wissen. Aber wir wissen nichts. Gar nichts. Das Geschehen um uns herum, sollte ein Weckruf sein.

1945, als sich der zweite Weltkrieg seinem Ende zuneigt, beginnt der düstere und die reale Erzählung. Als Ralf Hansen mit 17 Jahren den Ruf der Schöpfung empfängt, wird ihm bewusst, dass die Menschheit vor dem Abgrund steht. 100 Jahre später kämpft die humane Menschheit erfolglos gegen zweidrittel der abgearteten Menschen. In ihrer Not schreit sie zu Gott. Der Himmel öffnet sich und der Schöpfer schreitet ein. Es kommt zum Kampf der Giganten.

Du hast Augen, - dann sehe dich um Du hast Ohren, - dann horche hinein Beobachte, - und du erkennst die Veränderung

Inhaltsverzeichnis

9. Januar 1945

Eine Woche später

Mein Geburtstag

2 Februar 1945

14. Febr. 1945

3 März 1945

2 Tage später

15. März 1945

29. März 1945

30. Mai 1945

Der nächste Tag

Anfang August 1946

4 Tage später

10 Tage später

4 Wochen später

Der nächste Tag

Drei Tage später

3 Wochen später

Der nächste Tag

Mitte September 1946

Eine Woche später

Anfang Oktober 1946

Der nächste Tag

Anfang Juli 1947

14 Tage später

Der Abend mit Ina

3 Tage später

Ende Oktober 1947

Der nächste Tag

Der folgende Tag

Anfang Dezember 1947

Der nächste Tag

Der zweite Tag nach dem Forschungsexperiment

Heiligabend 1947

Der Tag vor der Flucht

Die Flucht

Mitte April 1948

Kurz vor dem Abschied

Der Abschied

Der nächste Tag

Der nächste Tag

Der nächste Tag

3 Tage später

4 Tage später

Der nächste Tag

Der Umzug in die Hotels.

1 Woche später

Der nächste Tag

Der nächste Tag

14 Tage später

Der nächste Tag

Ende Juni 1960

Juli 1966

Die Abreise

Der Tag der Entscheidung.

Wieder zu Hause

1 Woche später

Der anbrechende Tag

Mitte Mai 1973

2 Jahre später

Ein Jahr danach

32 Jahre später

Prolog

Gedanken

Kapitel 1

Juli 1999

Kapitel 2

Nach Washington

Kapitel 3

Pico Azoren

Kapitel 4

Windhoek / Namibia

Anfang August

Madeira

Kapitel 5

Die Verteidigung bröckelt

Malmesbury, Südafrika

Chaos und Tränen

Trennung.

Kapitel 6

Windhoek

Kapitel 7

Der Schrei des Terminators.

Seltsame Begegnung

Kapitel 8

Ungewissheit und Angst.

Kapitel 9

Inas Rückblick

Das Gebet

Kapitel 10

Der Notruf.

Kapitel 11

Der Ableger des Teufels.

Kapitel 12

Eindringen der Bestien

Kapitel 13

Dunkelheit

Kapitel 14

Nur noch ein Ziel

Das Licht in der Dunkelheit

Kapitel 15

Die Bestien in Windhoek

Die Übertragung.

Kapitel 16

Botschaft von ETWAS

Kapitel 17

Auf den Spuren des Ablegers

Chaos und Kampf der Giganten

Kapitel 18

3 Monate später

Vorboten des Endkampfes

Kapitel 19

Isoliert

Kapitel 20

Das Ende

Der Abruf

Gedenken

9. Januar 1945

Ostseebad Stolpmünde.

Kilometerlanger, breiter weißer Strand. Große dunkle Kiefernwälder. blaues, glasklares Wasser, das sich wie ein Juwel vor einem ausbreiten konnte. Doch bei Sturm legte die See sehr schnell seine Ruhe ab, zeigte sich von seiner rauen Seite mit meterhohen Wellen, die mit voller Wucht gegen den Strand peitschten. Fünfzehn Minuten von hier lag mitten im Zentrum unseres kleinen Städtchens, mein Elternhaus. Während wir im 2. Stock des Hauses in einer großen Wohnung wohnten, - waren noch 2 weitere Familien im 1. Stock untergebracht. Diese hatten jedoch aufgrund des heranrückenden Russen die Flucht Richtung Westen angetreten. Unser Wohnzimmer hatte einen großen Erker. Geradeaus konnte man den Hafen und die Züge sehen, wenn diese vorbeifuhren. Rechts und links hatte man einen schönen Ausblick zu beiden Straßenseiten.

Langsam wurde es morgen. Die Nacht hatte sich verabschiedet und es wurde langsam hell. Uwe, mein bester Freund, war bei mir. Ich drehte mich zum ihm herum. Friedlich und im tiefen Schlaf lag er da. Ich wusste, dass er ein Langschläfer war aber dafür bis in die Nacht durchhalten konnte. Ich reckte mich. Es war lausig kalt und ich spürte keine Lust aus meinem warmen Bett zu steigen. Ich blickte zum Fenster, das voll mit Eisblumen bedeckt war. Eine ganze Weile lag ich so da, bis ich mich dann doch aufraffte. Um aus dem Fenster hinausschauen zu können, bohrte ich mit meinem Atem eine Öffnung. Die ganze Nacht musste es geschneit haben, denn es lag eine Unmenge von Schnee auf der Straße. Zwei Pferdewagen wälzten sich durch den tiefen Schnee. Die Menschen auf dem Wagen saßen in gebückter Haltung und waren in Decken eingepackt. Ich wusste, dass sie vor den heranrückenden Russen auf der Flucht waren. Ich bekam Angst. Hätten wir nicht auch flüchten müssen? Ich behauchte das Fenster weiter, um die Sicht nach draußen zu vergrößern.

„Hat es heute Nacht geschneit?“, hörte ich plötzlich Uwe fragen.

Ohne auf meine Antwort zu warten, stand er schon neben mir.

„Wie spät haben wir es Ralf?“

Ich schaute auf meine Uhr. „Es ist gleich 9.00 Uhr und ich muss sagen, dass ich Hunger habe.“

Wir gingen ins Bad, zogen uns an und betraten das Esszimmer. Dort saßen schon meine Eltern, sowie Heinz Prade, ein enger Freund meines Vaters und Frida eine langjährige Freundin meiner Mutter. Sie waren mit dem Frühstück bereits fertig. Wir setzten uns auf unseren Platz und begannen herzhaft zu essen. Doch großes Schweigen war wohl angesagt, denn alle starrten sich gegenseitig an und ihren Gesichtern nach zu urteilen war die Stimmung frostig. Wie heute das Wetter, durchfuhr es mich. Mein Hunger verflog, als ich in die bedrückten und schweigsamen Gesichter schaute. Uwe und ich gingen dann bald wieder in mein Zimmer, zogen uns warm an und hauten ab. Doch es war zu kalt, um es länger draußen auszuhalten. So waren wir schon wieder nach einer Stunde zu Hause. Nachdem wir unsere Kleider gewechselt hatten, gingen wir ins Wohnzimmer. Mein Vater stand am Erkerfenster. Er war mittelgroß, von schlanker Statur, trug einen Oberlippenbart, war stets ernst und nicht sehr gesprächig. Ich hatte ihn eigentlich nie lächeln sehen, niemals lachen hören. Auch konnte ich mich nicht daran erinnern, dass ich einmal auf seinem Schoß gesessen wäre oder sonst besonders liebevoll von ihm beachtet wurde. Neben ihm stand sein Freund Heinz Prade. Er war gut einen Kopf größer, sein Gesicht hager und schmal, sein Körper so dünn, dass man glauben könnte er würde in der Mitte auseinanderbrechen. Hervorstechend waren seine stets wachen strahlenden Augen, aber seine Stimme für einen so schmächtigen männlichen Körper eigentlich viel zu dunkel.

“Hans“, hörte ich ihn mit seiner Bassstimme sagen. „Es sieht schlimm aus. Der Krieg ist verloren und ich weiß nicht, was wir machen können um uns und unsere Familie in Sicherheit zu bringen.“

Es herrschte eine ganze Weile Stille. Uwe und ich setzten uns ins äußerste Eck und hörten angespannt zu. Heinz drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus.

„Hans, fuhr er fort, - es ist einfach alles zu spät um uns in Sicherheit zu bringen. Der Russe ist schon zu weit vorgedrungen. Von dem Russen haben wir nichts Gutes zu erwarten und im Westen stehen seine Verbündeten. Könnten wir noch nach dem Westen ausweichen, - so hätten wir noch eine größere Chance, eine gewisse Sicherheit zu bekommen.“

Mein Vater schaute ihn tiefsinnig an, sagte aber kein Wort. Heinz ging zu einem der beiden Sessel, um sich dort seufzend niederzulassen. Mein Vater folgte seinem Beispiel. Sie schauten sich schweigend an.

„Wie geht es Karoline“, hörte ich meinen Vater seinen Freund fragen. „Ist ihr Gesundheitszustand weiterhin unverändert?“

„Ja Hans, - Karoline geht es sehr schlecht, dass ich mit dem Schlimmsten rechnen muss. Karoline ist ein Pflegefall geworden und der Arzt gibt ihr nur noch höchstens drei Monate. Mein Sohn Fritz ist bei ihr.“

Eine ganze Zeit war ich in Gedanken weggetreten und so hörte ich gerade noch, als mein Vater sagte: „……dabei an Flucht denken. Das ist für dich schon wegen Karoline unmöglich. Wir hätten viel früher handeln müssen.“

Er nahm aus der Schublade zwei Zigarren, reichte eine davon Heinz und so bliesen sie bald den Rauch in die Luft.

„Hans“, hörte ich Heinz wieder sagen, „du musst mit deiner Familie fort. Was glaubst du, wenn die Russen erfahren, dass du in der Partei bist?“

„Mein Gott Heinz, ich bin doch nur eingetreten, um meine Weberei weiterführen zu können. Auch fühlte ich mich immer dem Personal verantwortlich.“

„Das Hans, das interessiert die nicht. Abgesehen davon, dass du, wie auch ich, eine höhere Funktion in der Partei bekleidet haben“, erwiderte er ungehalten. „Bring wenigstens du dich mit deiner Familie in Sicherheit.“

Verzweifelt schaute mein Vater seinen Freund an.

„Und mein anderer Sohn, der an der Front ist? Was ist mit ihm? Kann ich fortgehen, ohne zu wissen, wo er ist, ob er wiederkommt? Haus, Fabrik, einfach alles verlassen? Kannst du das Heinz? Alles was du geschaffen hast auf einen Schlag verlieren?“

Er drehte sich um und schaute resigniert aus dem Fenster. Frida, welche bisher an einem anderen Fenster gestanden hatte, ging zu meinem Vater, nahm seine beiden Hände, schaute ihm eine ganze Weile in die Augen und sagte kein Wort. Für meine Begriffe schaute sie ihn zu lange an und mir kam der Gedanke, dass es nicht nur Freundschaft war, was die beiden verband. Aber das konnte doch nicht sein? Frida war eine verdammt tolle Frau. Sie war etwas größer als meine Mutter, hatte ein sehr hübsches Gesicht. Ihre blonden Locken bedeckten ihre Stirn. Doch ihre blauen Augen strahlten immer eine gewisse Traurigkeit aus. Trotzdem sie sehr schlank war, hatte sie eine Figur, die jeden Mann nur begeistern konnte. Ihre Rundungen übten auf mich schon einen gewissen Reiz aus. Während ich sie so betrachtete, betrat meine Mutter den Raum. Frida ließ die Hand meines Vaters los und setzte sich auf einen Sessel. Ich machte mir darüber Gedanken. Uwe schaute zu mir und nickte mit dem Kopf. Also hatte auch er was gemerkt. Meine Mutter war eine kleine schlanke, aber sehr attraktive Frau und wie ich meinte auch mit einer sehr erotischen Ausstrahlung. Ihre langen braunen Haare umspielten ihr schmales, ausdrucksvolles Gesicht, die dunklen Augen hatten einen stets nachdenklichen tiefgründigen Blick. Ihre Art ruhig und langsam zu sprechen, wirkte beruhigend. Hatte ich Kummer, dann war sie stets für mich da, drückte mich und streichelte sehr häufig meine Wangen. Ich liebte sie. Für meinen Vater hatte ich weniger Gefühle, - er war einfach da. Heinz riss mich aus meinen Gedanken, als er sagte:

„Wir können versuchen noch ein Schiff zu kriegen, um aus der Gefahrenzone zu entkommen. Aber wir haben keine Beziehungen.“

„Das ist vielleicht noch eine Möglichkeit, um sich darüber Gedanken zu machen“, hörte ich meinen Vater nachdenklich antworten. „Aber es wird schwer sein, noch Platz zu bekommen.“

„Doch es gibt eine Möglichkeit“, bemerkte Frieda. „Mein Bruder ist auf der Gustlow Zahlmeister. Wenn ich mit ihm Verbindung erhalte, bestände eventuell die Möglichkeit, dass es noch klappen könnte. Ich muss mit ihm Kontakt aufnehmen.“

Meine Mutter schüttelte den Kopf und antwortete mit ruhiger, aber bestimmter Stimme:

„Ich bin strikt dagegen, weil ich fühle, dass wir nicht ankommen werden.“

„Unsinn“, hörte ich meinen Vater ungehalten sagen.

Auch jetzt kam mir wieder der Gedanke, dass es mit meinen Eltern nicht mehr so gut lief. Der Blick zu meiner Mutter bestätigte meinen Verdacht. Was die Vorahnungen meiner Mutter betraf, so kann ich mich nicht erinnern, dass sie einmal falsch gelegen hätte. Diese Vorahnungen wühlten mich auf und erst viel später sollte mir klar werden, dass auch ich damit in noch viel stärkerem Maße behaftet sein werde. Mein Vater wendete sich zu Frida und sprach zu ihr mit einer Stimme, welche jeden Einspruch ausschloss:

„Du versuchst zu deinem Bruder Kontakt aufzunehmen und wenn wir Platz auf dem Schiff kriegen, werden wir über die Ostsee flüchten.“

Ma war schon dabei aus dem Zimmer zu gehen, drehte sich noch einmal um und sagte ruhig, aber bestimmt:

„Auf keinen Fall werde ich auf das Schiff gehen. Und die Kinder bleiben hier. Ich bin mir viel zu sicher, dass wir unser Ziel nicht erreichen werden. Wenn du, Hans, meinst, dass du gehen musst, dann darfst du das gerne tun. Nehme Frida am besten gleich mit, was du letzten Endens ja auch wünscht.“

Ohne eine weitere Antwort von meinem Vater abzuwarten, entfernte sie sich aus dem Zimmer und schlug die Tür mit voller Wucht zu. So hatte ich sie noch nie erlebt. Uwe und ich sahen uns an. In mir brach eine Welt zusammen. Uwe trat zu mir, legte seine Hand auf meine Schulter und versuchte mich zu trösten. Heinz stand wie versteinert da, nahm langsam aus seiner Zigarettenschachtel eine Zigarette und steckte sich diese mit zittrigen Händen an.

„Oh“, sagte er. „Wenn das stimmt Hans, dass hätte ich von dir nicht gedacht und erwartet.“

Mir war bekannt, dass Heinz meiner Mutter einmal eine Liebeserklärung gemacht hatte und sie zutiefst verehrte. Frida schaute auf den Boden. Es herrschte eine eisige Kälte im Raum. Ich konnte das nicht mehr ertragen und gab Uwe ein Zeichen das Zimmer zu verlassen. Ich musste fort und trotz der Kälte gingen wir an die Ostsee. Dort türmten sich ganze Eisberge. Der eisige Wind zerschnitt uns das Gesicht. Trotz dem schlechten Wetter trottelten wir einige Kilometer den Strand entlang. In mir brach eine heile Welt zusammen.

Eine Woche später

So verging eine Woche ohne besondere Ereignisse. Uwe hatte ich die ganze Zeit nicht gesehen, was äußerst selten vorkam. Ich musste daran denken, wie verbunden wir in Freundschaft waren und diese auch bis in alle Ewigkeit anhalten sollte. Dabei waren wir grundverschieden. Er sehr ruhig, überlegte erst bevor er einen Entschluss fasste und scheute das Risiko. Ich nahm alles leichter und war sehr schnell für eine neue Sache zu begeistern. Auch körperlich waren die Unterschiede nicht zu übersehen. Uwe, klein, aber sehr kräftig, rundes Gesicht mit Stupsnase, voller Haarwuchs, die stets ordentlich gepflegt waren. Ich war einen ganzen Kopf größer, schmales Gesicht und kurzgeschnittene Haare. Im Gegensatz zu Uwe legte ich auch auf eine gute Kleidung keinen sehr großen Wert. Irgendwie ergänzten wir uns sehr gut. Mit meinen Ideen riss ich ihn mit und er bremste, wenn ich über das Ziel hinausschießen wollte. Ganz anders sein drei Jahre älterer Bruder Fritz, er war eine „Leichtfuß“ und in seinen Entscheidungen oft sehr leichtsinnig. Im Gegensatz zu Uwe war er sehr groß und kräftig gebaut, kantiges Gesicht, mit breiten Backenknochen. Seine tiefliegenden braunen Augen hatten einen stechenden und übermütigen Blick. Der starke Haarwuchs hing lose wie eine Löwenmähne herunter. Nein, da war Uwe doch ein ganz anderer Typ. Ich musste dabei auch an meinen Bruder Herbert denken. Er war wie ich groß und schlank, aber viel kräftiger gebaut. Wie ich besaß er ein schmales Gesicht aber mit einer sehr hohen Stirn. Seine Augen hatten immer einen bedenklichen Ausdruck. Überhaupt, wenn er etwas sagte, dann hatte er sich darüber vorher gründlich Gedanken gemacht.

Warum musste ich jetzt an meinem Bruder denken? Dabei wusste ich nicht einmal, ob er überhaupt noch lebt. Er fehlte mir. Ich wurde in meiner Gedankenflut in die Gegenwart katapultiert, als Uwe weinend ins Zimmer stürzte und schrie mit überschlagender Stimme schrie:

„Mama ist heute Nacht gestorben.“

Ich empfang tiefe Traurigkeit. Uwes Mutter war eine so liebe Frau gewesen und kam in meinen Empfindungen gleich hinter Ma. Wie oft hatten meine Eltern mit ihr und Heinz die Zeit verbracht. Ich stellte mir vor, wie Heinz jetzt verzweifelt vor ihrem Sterbebett saß. Ich hörte wie die Tür aufgerissen wurde und sah Ma und Pa ins Zimmer stürzten. Ma ging sofort zu Uwe und nahm ihn in ihre Arme. Sie streichelte ihm über den Kopf und sagte mitfühlend:

„Es tut uns soooo leid Uwe. Aber Du weißt, dass sie sich in letzter Zeit nur gequält hatte.“

Sie sprach weiter auf ihn ein. Uwe schluchzte und nur sehr langsam fing er sich wieder. Ma ergriff mit beiden Händen sein Gesicht, schaute ihm tief in seine Augen und sagte zu ihm so leise, dass ich es fast nicht verstand:

„Du hat noch deinen Papa, Fritz und - uns. Wir gehen jetzt zu ihm und zu deinem Bruder, die auch unseren Beistand brauchen. Du bleibst heute bei uns und Ralf ist ja bei dir.“

Ma drehte sich daraufhin um, ergriff Pa,s Hand und beide verließen den Raum. Dann waren wir alleine. Ich legte meinen Arm über seine Schulter und wir gingen in mein Zimmer. Es gelang mir nicht ihn aufzurichten.

Mein Geburtstag

Heute, am 15 Januar, wurde ich 18 Jahre. Uwe war schon bei mir. Bevor die Geburtstagsfeier starten sollte, spielten wir eine Partie Schach. Da ich ein guter Schachspieler war, hatte Uwe keinerlei Chancen. Inzwischen waren auch Fritz und Heinz eingetroffen. Schließlich betraten Ma und Pa gemeinsam den Raum. Ob Frieda auch noch kommt? Wir setzten uns an den Tisch und Ma schnitt meine Geburtstagstorte an. Heinz versuchte die schlechte Stimmung aufzuhellen, was ihm nicht gelingen wollte. Fritz sprach kein Wort und ich ahnte, dass der Abschied seiner Mutter ihm noch sehr zu schaffen machte. Meine Eltern saßen sich gegenüber und hatten sich auch nicht viel zu sagen. Als es an der Haustür klingelte, sprang ich auf und öffnete die Tür. Vor mir stand lächelnd Frieda, die mich in den Arm nahm und mir einen Kuss auf die Wange gab. Ihr figurbetontes grünes Kostüm ließ ihre weiblichen Rundungen stark hervortreten und mir wurde dabei klar, dass Pa ihr nicht widerstehen konnte. „Ich hasse Dich“, zischte ich leise vor mich hin. Mit ihrer hellen Stimme begrüßte sie die Anwesenden:

„Es tut mir leid dass ich mich verspätet habe, aber ich konnte heute mit meinem Bruder sprechen. Er teilte mir mit, dass er dafür sorgen kann, dass ich noch Platz auf dem Schiff bekomme. Ich habe mich dazu entschlossen. Es ist besser so.“

Ma lehnte sich zurück und schaute sie bedrückt an. „Frieda, wir waren stets sehr gute Freundinnen, auch wenn in letzter Zeit unsere Freundschaft einen großen Schaden genommen hat. Du weißt warum Frieda. Aber ich habe trotzdem Angst um dich, weil ich das Gefühl habe, dass du dein Ziel nicht erreichen wirst. Gehe nicht fort, auch wenn ich mir das aus naheliegenden Gründen wünsche.“

Frieda fixierte zuerst Ma und dann wanderten ihre Augen zu Pa. Ihre Augen hatten dabei einen traurigen Schimmer. Danach blickte sie wieder zu Ma und ich hatte den Eindruck, als ob sie ihre Freundin um Verzeihung bitten wollte. Das Nicken, was Ma ihr dann zuwarf, sagte mir, dass mein Eindruck richtig war. Es herrschte eine bedrückende Stimmung. Ich sah meinem Vater an, das er sprechen wollte, doch er blieb schweigsam. Irgendwie kam es erst jetzt in meinem Bewusstsein, dass die Lage ernst wurde. Später ging ich mit Uwe in mein Zimmer. Fritz folgte uns später. Als wir wieder aus dem Fenster schauten, sahen wir wieder das ganze Elend. In mir stieg furchtbare Angst auf, als ich das Heer von Flüchtlingen sah, welche sich abgekämpft zum Hafen schleppten. Eine alte Frau konnte vor Erschöpfung nicht mehr laufen und setzte sich auf ihren Koffer. Der Treck bewegte sich weiter. Keiner kümmerte sich um die Frau, die verlassen zurückblieb. Eine ganze Weile schauten wir alle, wie gebannt auf das Geschehen. Schließlich brach Uwe das Schweigen, indem er sagte:

„Hast du Angst Ralf?“

„Ja Uwe, ich habe sehr große Angst. Um mich, um meine Eltern, um meinen Bruder, der vielleicht gerade um sein Leben kämpft, oder nicht mehr lebt. Uwe, wir müssen immer zusammenbleiben, egal was passiert.“

Er schaute mich ernst an, legte beide Hände auf meine Schulter und erwiderte:

„Uns wird und darf nichts auseinanderbringen. Das ist mein größter Wunsch und mein Versprechen.“

Ich war gerührt. Und nun war heute mein Geburtstag, vier Tage nach der Beerdigung von Uwes Mutter. Fritz schaute uns an und sagte sorgenvoll:

„Vielleicht kommt bald der Tag, dass wir flüchten müssen und wir drei sollten es wagen. Aber ich habe Angst um unsere Väter.“

“Du meinst, weil sie in der Partei eine Funktion ausgeübt haben?“

„Ja. Es wäre wirklich besser gewesen, wir hätten uns alle früher aus dem Staub gemacht.“

„Warum, Fritz, bist du eigentlich nie eingezogen worden?“, wollte ich wissen. „Denn schließlich bist du wie Herbert 23 Jahre und in diesem Alter sind alle Männer an der Front.“

„Das sind die Beziehungen, welche mein Vater hat. Und du bist jetzt auch 18 Jahre und auch da haben die Beziehungen deines Vaters eine Rolle gespielt. Das gleiche gilt auch für Uwe.“

Darauf konnte ich nichts erwidern. Er hatte Recht, denn in unserem Alter waren alle eingezogen. Danach herrschte großes Schweigen. Jeder hing seine eigenen Gedanken nach. Uwe blieb auch über Nacht hier, während Fritz mit Heinz den Heimweg antrat.

2 Februar 1945

Bis zum Mittag hatte sich Uwe noch nicht blicken lassen und dabei wollte er bis spätestens 10.00 Uhr bei mir sein. So zog ich mich warm an und machte mich zu ihm auf den Weg. Es war lausig kalt. Der kalte Wind biss sich in meinem Gesicht fest. Unterwegs begegnete ich einem kleinen Flüchtlingstreck. die nach dem Hafen strebten. Die Angst musste schon übermächtig sein, um sich derartige Strapazen zuzumuten. Warum sind meine Eltern nicht auch schon früher geflohen? Schon im Herbst hätte man sehen müssen, was auf uns zukommt. Zu dieser Zeit wäre sogar noch ein normaler Wohnwechsel möglich gewesen. Meine Gedanken wirbelten mir durch mein Hirn. Ich konnte in letzter Zeit an nichts anderes mehr denken. Schließlich traf ich bei Uwe ein. Sie hatten ein kleines, aber wunderschönes Haus mit einer kleinen Parkanlage. Heinz arbeitete gerne und sehr viel im Garten und da war es kein Wunder, dass aus dem Garten ein herrlicher kleiner Park wurde. Ich öffnete die Gartentür und ging über einen schmalen, vom Schnee freigeschaufelten Weg auf den Hauseingang zu. Ich wollte gerade die Klingel betätigen, da öffnete sich schon die Tür und Heinz gab mir ein Zeichen einzutreten. Er schien mir sehr aufgeregt und rannte schon die Treppe hoch. Als ich Uwes Zimmer betrat, sah ich ihn flach im Bett liegen. Sein Zustand war erbärmlich. Der Kopf war knallrot, sein Gesicht mit Schweißperlen bedeckt, seine fiebrigen Augen blinzelten mir nur schwach entgegen. Er versuchte mir etwas zu sagen, aber seine Stimme versagte seinen Dienst und schloss wieder die Augen. Ich schaute Fritz fragend an. Nur ein Schulterzucken war seine Antwort. Heinz stand niedergeschlagen vor Uwes Bett. Ich hatte um ihn Angst und konnte eine ganze Weile kein Wort herausbringen. Als ich was sagen wollte, klingelte es an der Haustür. Fritz rannte die Treppe herunter und kam sogleich mit dem Arzt herein.

„Es sieht schlimm aus“, hörte ich Heinz sagen.

Der Arzt nahm die Untersuchung vor. Nach einer Weile richtete er sich an Heinz und sagte:

„Es sieht nicht gut aus. Es ist zu früh, etwas zu sagen, aber es sieht nach einer sehr starken Grippe mit dem Verdacht einer Lungenentzündung aus.“

Er nahm aus seinem Medikamentenkoffer ein Medikament und gab es Heinz. Pünktliche Einnahme und viel Schlaf würden den Heilungsprozess fördern. Falls sich der Zustand nicht verbessert, muss er ins Krankenhaus überführt werden. Als der Arzt uns verlassen hatte, standen Heinz und Fritz mit gesenktem Kopf vor Uwes Krankenbett und hatten die Hände wie zum Gebet gefaltet. Der Schlaf holte Uwe schließlich zu sich. Ohne mich zu verabschieden, entfernte ich mich leise. Aufgewühlt und voller Sorgen um meinen Freund, kehrte ich den Heimweg an.

Zu Hause angekommen, ging ich sofort zu Ma, um ihr von Uwe zu erzählen. Sie trat zu mir, umarmte mich und sagte:

„Habe keine Angst um ihn. Er wird wieder gesund, ich weiß es. Ihr beide habt eine starke Bindung zueinander und diese wird bis zum Ende halten. Eine so tiefe Freundschaft schon in den jungen Jahren, ist das größte Geschenk, was man überhaupt bekommen kann.“

Als ich sie ansah, sah ich Tränen in ihren Augen. „Du weinst Mama.“

„Ralf, ich habe so furchtbar böse Vorahnungen, die mir keine Ruhe mehr lassen. Meine innere Stimme sagt mir, dass wir auseinander gerissen werden.“

„Wie kannst du so was denken. Uns kann doch keiner Auseinander bringen.“

„Das steht nicht in unserer Macht, Ralf. Aber du solltest mit Uwe und Fritz versuchen Richtung Westen zu flüchten. Der Russe wird hier seine Wut austoben. Seine Alliierten werden mit uns nicht so stark ins Gericht gehen.“

„Ach Ma, du mit deinen Vorahnungen. Auch die Russen sind schließlich nur Menschen.“

"Ich wünsche mir so sehr, dass du Recht hast.“

„Wo ist Papa?“

„Er ist in die Fabrik gegangen, um die noch verbliebenen Arbeiter zu entlassen.“

Ich gab Mama einen Kuss auf die Wange und trottelte in die Fabrik zu meinem Vater. Nach etwa 20 Minuten marschierte ich durch das Fabrikgelände. Vor der überdachten Lagerhalle stand ein alter LKW, vollbeladen mit Uniformen. Vor ein paar Wochen herrschte hier stets ein reges Treiben. Die Lastwagen brachten Rohmaterial und nahmen die Uniformen mit, welche mein Vater herstellte. In der Lagerhalle türmten sich die Textilien und wie es aussah, hatte man aufgehört die Sachen abzuholen. Ich betrat die Fabrikhalle. An beiden Wandseiten standen die Webmaschinen, welche jetzt einem trostlosen Dasein fristeten. Durch den angrenzenden Büroraum hörte ich die Stimme meines Vaters. Ich trat näher und lauschte.“

„Für eine Flucht ist es jetzt zu spät und ich würde euch davon abraten“, hörte ich ihn sagen.

„Warum soll es zu spät sein“, hörte ich einen Arbeitnehmer fragen.

„Das ist eine sehr gute Frage Herr Lehmann. Wahrscheinlich dachte ich so wie sie, dass man sein Heimatort nicht verlassen will. Dann hatte man vielleicht noch geglaubt, dass der Krieg eine andere Wendung nehmen würde. Eine Flucht ins Ausland ist so gut wie aussichtslos. Dazu die Ungewissheit, was einem am Ziel erwartet. Aber ich möchte mich bei euch allen bedanken, dass sie meiner Einladung gefolgt sind und wir hier noch einmal zum letzten Mal zusammenkommen konnten. Von 16 Mitarbeitern sind gerade noch 9 übriggeblieben. Das 7 unserer Mitarbeiter mit ihren Familien die Flucht ergriffen haben ist verständlich und wir wollen alle hoffen, dass sie ihr Ziel unbeschadet erreichen. Es ist mir ein besonderes Anliegen, ihnen allen für die gute langjährige Zusammenarbeit in meinem Betrieb zu danken. Mein Dank gilt auch unseren zwei polnischen Kollegen, die ich stets als gleichwertige Mitarbeiter und nicht als Kriegsgefangene betrachtet habe. Dieser Krieg war sinnlos, unmenschlich und vollkommen grundlos und geht Gott sei Dank seinem Ende entgegen. Es wird für uns alle noch eine verdammt schlimme Zeit werden. Aber danach wird auch wieder Friede eintreten. Wichtig ist für uns jetzt nur, dass wir alles gut überstehen.“

„Hans“, hörte ich den Polen Kowalak sagen, „du warst ein sehr guter Arbeitgeber und für mich aber auch ein Freund“

Es entstand eine kleine Pause.

„Der Krieg hatte uns zusammen geführt“, hörte ich Pa antworten. „Und so sind wir doch Freunde geworden und wir haben die Feindschaft überwunden.“

Es wurde noch weiter diskutiert. Ich ging langsam in den Empfangsraum, wo die Einkäufer ihre Waren bestellten. In der einen Ecke stand ein kleiner runder Tisch mit drei Sesseln. Ich setzte mich und grübelte schon wieder. Angstvolle Gedanken wirbelten durch meine Hirnmasse. Wenn das eintreten sollte, was Ma an Vorahnung hatte, - dann musste man trotzdem noch die Flucht ergreifen. Vielleicht nur Ortswechsel, wo uns niemand kennt? Von der Fabrikhalle her hörte ich Geräusche, die ankündigten, dass die Arbeiter den Heimweg antraten. Als Stille eintrat, ging ich zum Büro meines Vaters. Es saß in gebückter Haltung an seinem Schreibtisch, beide Hände stützten seinen Kopf ab. Er machte mir einen verzweifelten Eindruck und er richtete sich erst auf, nachdem ich vor ihm stand. Seine Augen glänzten feucht.

„Pa, wollen wir nicht fortgehen und wenn es auch nur an einen anderen Ort ist, wo uns niemand kennt. Ma hat wieder eine Vorahnung, dass wir auseinandergerissen werden.“

Eine Weile schaute er mich an, ohne ein Wort zu sagen. Als ich schon mit keiner Antwort mehr rechnete, nickte er mit dem Kopf und sagte in einem sehr nachdenklichen Ton:

„Ja, Mas Vorahnungen. - Früher hatte ich darüber immer gelacht, aber heute nehme ich das sehr ernst. Doch wir wollen noch abwarten. Heinz zieht mit Uwe und Fritz zu uns. Es ist dann für uns alle etwas leichter und wir können uns gegenseitig unterstützen.“

Als ich ihm von Uwes schlechtem Gesundheitszustand erzählte, stand Pa auf, kam zu mir und drückte mich an sich. Ein Gefühl der Wärme durchströmte meinen Körper. Das hatte er noch nie getan. In diesem Augenblick begann ich meinen Vater besser zu verstehen. Als wir uns wieder lösten, wischte er sich eine Träne aus dem Gesicht, legte einen Arm über meine Schulter und sagte: „Komm Ralf, lass uns nach Hause gehen.“

Unterwegs erkundigte ich mich, ob Frieda über die Ostsee die Flucht angetreten hatte. Mein Vater blieb stehen. Sein Gesicht, wie in Stein gemeißelt, seine Augen drückten Trauer aus und sagte mit gehackter Stimme:

„Frieda hat versucht mit der Gustloff zu fliehen. Das Schiff ist von den Russen versenkt worden und so ist sie für immer von uns gegangen.“

In mir drehte sich der Magen. Ich sah, wie es Pa schwer fiel, mir das zu offenbaren. Mir wurde in diesem Augenblick klar, dass er nicht nur Ma liebte. Auch sie hatte er geliebt und er dachte sicherlich dabei an vergangene Stunden mit ihr zurück. Ich legte ein schnelles Schritttempo ein um Pa in seinen Gedanken zu Frieda alleine zu lassen. Ich war innerlich aufgewühlt und konnte nicht glauben dass wir Frieda nie mehr sehen würden. Ich fror, nicht nur wegen der Kälte.

14. Febr. 1945

Uwe ging es wieder gut. Inzwischen war Heinz mit Uwe und Fritz bei uns in der jetzt freistehenden Wohnung eingezogen. Heinz war gelernter Schreiner, sägte und hämmerte auf unserem Boden schon drei Tage. Der Boden, das war eigentlich unsere Rumpelkammer. Wir deponierten dort unsere Reisekoffer, Schlitten, altes Spielzeug und andere Gegenstände. Mich packte die Neugierde und so ging ich zu ihm. Gerade hängte er eine Kleiderschranktür ein. Aber warum hatte er ein Teil des Zimmers mit einer durchgehenden Schrankwand getrennt, zumal er damit auch das kleine Fenster zubaute? Der Schrank war wohl ordentlich verarbeitet, aber die Holzqualität billig.

„Warum machst du das Heinz, wir haben doch genug Kleiderschränke?“

Er grinste und gab keine Antwort. Schließlich forderte er mich auf, näher zu treten. Er öffnete die Schranktüren, ging in den Schrank hinein und schob ein Teil der Rückwand zur Seite. In der Größe einer halben Tür konnten wir in den versteckten Raum gehen. Rechts und links neben dem Fenster waren Regale angebracht.

„Heinz, aber warum brauchen wir das?“, fragte ich irritiert.

„Du weißt ja, dass dein Vater und ich in der Partei eine Funktion ausgeübt haben und so brauchen wir ein Versteck. Von hier aus haben wir einen Ausblick zur Straße und wenn es die Lage erfordert können wir die Flucht antreten um einer eventuellen Verhaftung zu entgehen.“

„Aber Heinz, - dass Fenster verrät uns doch.“

„Darauf achtet in den ersten Wochen niemand. Doch wir müssen eine Sicht nach draußen haben und wissen was vor sich geht.“

Heinz schob die Wand mit einem Gummisauger wieder in die Ausgangslage zurück. Ich musste gestehen, dass er sehr gute Arbeit geleistet hatte, denn man konnte bei bestem besten Willen keine Spalte auf der Schrankrückwand erkennen.

Am Spätnachmittag saßen wir alle zusammen und genossen Mamas herrlichen Kuchen. Die Stimmung war widererwarten nicht einmal so schlecht. Ich denke, wir hatten uns mit dem unausweichlichen abgefunden. Jetzt konnten wir nichts mehr ändern, nur abwarten, was uns die Zukunft bringen wird. Als wir gerade aufstehen wollten, klingelte es an der Haustür. Fritz ging herunter, öffnete die diese und herein kam der Pole Kowalak.

Er machte ein sorgenvolles Gesicht. „Entschuldigt meine Störung, aber ich bin gekommen um euch zu warnen.“ Er setzte sich Pa gegenüber „Mein Landsmann Ralitzky hat mir offenbart, dass er dafür sorgen wird, - dass du verhaftet wirst.“

„Warum denn?“ hörte ich Pa erstaunt fragen.

„Ralitzky betrachtet dich als Kapitalist und Ausbeuter der Arbeiterklasse. Der Hauptgrund des Hasses ist jedoch deine Parteizugehörigkeit. Du und Sie Herr Prade, sollten wenigstens jetzt noch aus Stolpmünde verschwinden. Geht dorthin, wo ihr unbekannt seid und wartet ab, bis sich die Wogen wieder geglättet haben.“

„Das habe ich schon so oft gesagt, aber die Herren da wollten ja nicht hören“, entgegnete Ma vorwurfsvoll.

„Das hätte ich von Ralitzky nie gedacht“, antwortete Pa und ich hörte dabei seine Enttäuschung heraus.

Über eine Stunde wurde weiter diskutiert, Vorschläge gemacht und wieder verworfen. Man kam zu keinem Resultat. Als sich Kowalak verabschiedete, bedanken sich meine Eltern für die ausgesprochene Warnung. Wir alle waren noch ratloser als vorher. Uwe und ich gingen noch einmal auf den Boden, um die Arbeit von Heinz zu betrachten. Heinz hatte wirklich beste Arbeit geleistet und mit einer schmalen Leiste den Spalt sehr geschickt versteckt. Es hingen bereits alte Kleidungsstücke in dem Schrank, für die wohl kaum großes Interesse bestand. Würde man dieses Versteck brauchen? Den Kopf voller Gedanken gingen wir erst zu später Stunde ins Bett.

3 März 1945

Das Wetter hatte sich radikal geändert. Aus 10 Grad minus wurden 10 Grad plus. Selbst der starke Wind hatte sich zu Ruhe gelegt. Die Sonne strahle in voller Pracht, als wollte sie jetzt den Winter fortjagen, um für den Frühling Platz zu schaffen.

Inzwischen war es schon Abend geworden. Pa war noch einmal in seinen Betrieb gegangen. Uwe und ich waren dabei, Schach zu spielen, als sich Ma zu uns setzte. Ihre Augen drückten Sorgen und Unruhe aus.

„Seit zwei Tagen spüre ich eine furchtbare Unruhe in mir“, begann sie zu sprechen. „Es passiert bald etwas. Seit zwei Tagen denke ich nur noch an Herbert. Ich mache mir große Sorgen.“

„Das sind die Gedanken um unsere Zukunft.“ erwiderte ich.

Sie sagte darauf nichts, lehnte sich in den Sessel zurück und schloss die Augen. Ich wusste, dass ich sie jetzt in ihren Gedanken alleine lassen musste. Als sich Ma wieder entfernte, setzte ich mich mit Uwe an unseren Schachtisch. Durch die heranziehenden Ereignisse waren wir jedoch so unkonzentriert, dass kein richtiges Spiel zustande kam. Der Krieg ging seinem Ende entgegen und wir erwarteten in Kürze, dass die Russen Stolpmünde einnehmen , zumal die Front bis auf etwa 100 km herangekommen sein soll. Ich wollte Uwe gerade mit meinem Springer Schach bieten, als laute Stimmen zu uns drangen. Wir sprangen auf, rannten aus dem Zimmer und erblickten meinen Bruder Herbert, der von Ma und Pa voll im Beschlag genommen wurde. Ma weinte und auch Pa konnte seine Tränen nicht zurückhalten. Wie zu einer Salzsäule erstarrt, standen Fritz und Heinz daneben. Ich konnte es nicht glauben. Als sich Ma und Pa von ihm lösten, ging ich zu ihm, umarmte ihn und konnte meine Fragen nicht zurückhalten, bis mir Pa zu verstehen gab, - dass ich ruhig sein soll, da Herbert und wir jetzt andere Sorgen hätten. Herbert sah verwahrlost aus. Seine Uniform war mit Dreck verschmiert, sein Vollbart ungepflegt, die Wangen tief eingefallen, die Augen flackerten unruhig und seine rechte Hand blutete.

„Ich habe Fahnenflucht begangen“, sagte er mit stotternder Stimme. „Aber bevor ich euch alles erzähle, muss ich schnell aus der Uniform raus.“

Er zog seine Uniform aus und gab sie Pa. Ma brachte ihm saubere Kleidung, während Pa die Uniform in dem Kachelofen verbrannte. Ich war so glücklich, dass Herbert wieder zu Hause war, aber, wenn man ihn hier finden würde, würde er gewiss wegen Fahnenflucht erschossen werden. Pa und Heinz gingen ins Wohnzimmer. Uwe, Fritz und ich folgten, während Ma in die Küche eilte. Uns war klar, dass Herbert stark gefährdet war. Entweder würde er wegen Fahnenflucht erschossen oder die Russen verhaften ihn. Im Grunde genommen waren uns die Hände gebunden und wir konnten gar nichts unternehmen. Heinz schaute aus dem Fenster.

„Wir müssen immer wieder aus dem Fenster sehen, falls Herbert verfolgt wird. Und wir können gar nichts machen, als das Ende des Krieges abzuwarten und Gott möge uns beistehen, dass wir alles unbeschadet überstehen“

Fritz sprang plötzlich auf, setzte sich ans Klavier und spielte Freude schöner Götterfunken. Er war ein ausgezeichneter Klavierspieler. Doch ich fand, dass das jetzt vollkommen unpassend war. Ma, die gerade ins Zimmer kam, stutzte kurz und warf dann Fritz ein leichtes Lächeln zu. Sie hatte eine große Platte Brote und Getränke gebracht. Ich hatte keinen Hunger, doch das galt wohl an erster Stelle meinem Bruder. Ich ging zu Pa, der inzwischen auch am Fenster stand und ich fragte ihn, ob der Russe wirklich bis nach Stolpmünde vordringen würden. Den Blick weiter nach draußen gerichtet, antwortete er:

„Ganz sicher, Ralf.“

„Was werden die mit uns machen?“

„Das wissen wir nicht, aber sicherlich haben wir nichts Gutes zu erwarten.“

„Aber das sind doch auch nur Menschen?“

„Ja, aber ihr Hass auf uns Deutsche ist riesengroß und das mit Recht. Wir haben dem russischen Volk viel Elend zugefügt und es wäre gut gewesen, wäre Hitler nie geboren worden.“ In diesem Moment traf Herbert ein. Fritz hörte sofort mit den Klavierspielen auf und schaute zu ihm herüber. Wir alle schauten ihn voller Erwartung an, was er uns jetzt erzählen wird. Er ging zu einem der beiden Sessel, welche am Kachelofen standen, ließ sich fallen, schloss für einen Augenblick die Augen und sagte dann:

„Ich bin glücklich, wieder zu Hause zu sein. Natürlich habe ich Angst, dass man mir gefolgt ist und auch nicht weiß, was die Russen mit mir machen. Aber erst einmal bin ich froh, wieder bei euch zu sein.“ Ma zeigte auf den gedeckten Tisch. Doch Herbert lehnte ab. „Ich habe zwei Tage nichts gegessen, bin noch zu aufgedreht und kaputt, als dass ich einen Bissen herunterkriege oder ins Bett gehen könnte. Ich will euch jetzt berichten, wie es mir gelang von der Front zu fliehen.“

„Seit einer starken Woche hatte sich Gott sei Dank das Wetter geändert. Durch den Wärmeeinbruch hatten wir seit 15 Tagen keinen Schnee mehr. Die Sonne zeigte sich von der besten Seite und ließ in mir ein wenig Hoffnung aufkommen. In der Mittagszeit waren es etwa 15 Grad. Wir hatten hinter Wisbuhr Stellung bezogen, ein kleiner Ort mit etwa eintausend Einwohner, aber die Hälfte der Einwohner hatte die Flucht ergriffen. Mit 102 Mann, 3 Kanonen und MG, sollten wir den Feind aufhalten. Wegen Mangel an Nachschub waren wir also sehr schlecht ausgerüstet. Unser Kommandeur Friedrich Schultz wollte bis zum letzten Mann kämpfen und eventuell zum Gegenangriff übergehen. Das war utopisch und nicht zu rechtfertigen. Er wollte nicht einsehen, dass wir bereits verloren hatten. Überall war der Feind und es waren ja etwa nur noch 100 km bis zur Ostsee. Alles andere hatte der Russe bereits eingenommen. Wir nahmen am Waldrand Stellung, vor uns hatten wir freien Überblick, konnten also den Feind frühzeitig ausmachen, - aber das war auch unser einziger Vorteil. Meine drei Kameraden Martin Kuhn, Richard Wacker, Karl Huss und ich hatten uns in den Boden eingegraben. Nur unser Oberkörper schaute heraus, die Maschinenpistole im Anschlag warteten wir auf unseren Gegner. Von Ferne hörten wir bereits Kanoneneinschläge und Maschinengewehrsalven. Wir hatten uns abgesprochen, dass wir flüchten würden, sowie sich dazu eine Gelegenheit bot. Es blieb uns nur die Wahl hier zu sterben, oder in die Gefangenschaft zu gehen. Wir zogen die Fahnenflucht vor. Rechts neben mir hatte sich Martin eingegraben, eine Gestalt wie ein Bär. Links von mir Richard, ein schon älterer schmächtiger Mann. Karl, ein Mann mittleren Alters, welcher zu dick und furchtbar unbeholfen war, hatte hinter uns Stellung bezogen. Er zitterte am ganzen Leib. Auch mir war elend zumute, dachte an zu Hause und wollte alles versuchen, wieder bei euch zu sein. Das gab mir die Kraft, um dieses alles zu überstehen. Wir hörten nur noch wenige Kanoneneinschläge und der ferne Lärm ebbte ab. So lagen wir in unseren Löchern und warteten. Viele Kameraden rauchten vielleicht noch einmal die letzte Zigarette. Wer keine mehr hatte, erhielt diese von irgendjemand angeboten. Einige schrieben noch einen Brief, was nach meiner Meinung keinen Sinn gab. Und dann war es so weit. Wir zählten fünf Panzer, zehn gepanzerte Fahrzeuge und Infanteristen, die an Zahl der unseren weit überstiegen. Da wir alle eingebuddelt waren, konnten sie uns nicht gleich sehen. Unsere 3 Kanonen waren gut hinter Bäumen versteckt. Wir ließen sie so dicht wie möglich herankommen. Schließlich gab der Kommandeur das Zeichen. Wir feuerten, was unsere Waffen hergaben. Reihenweise fielen die Feinde durch unseren Kugelhagel. Unsere Kanonen setzten 2 Panzer außer Gefecht. Das war unser Überraschungserfolg. Dann wurden wir mit Geschossen eingedeckt. Eine unserer Kanonen wurde voll getroffen. Die gewaltige Explosion riss viele Kameraden in den Tod. Überall Schmerzensschreie. Die große Anzahl unserer Feinde erschien uns zu erdrücken. Unaufhaltsam kamen sie näher. Jetzt waren sie schon so weit vorgerückt, dass sie etwa nur noch 100 Meter von uns entfernt waren. Die feindlichen Kanonen hatten ihren Beschuss eingestellt und ihre Infanteristen rückten vor. Martin schrie: „Jetzt weiter nichts als raus. Los!“ In gebückter Haltung rasten wir in den Wald. Karl hatte Mühe mit uns Schritt zu halten und ächzte uns hintendrein. Kurz bevor er den Wald erreichte, traf ihn eine Kugel und er stürzte zu Boden. Während die anderen beiden weiter rasten, wollte ich nach Karl schauen und bekam dabei einen Streifschuss an meiner linken Hand. Mich packte das Entsetzen, machte kehrt, rannte den beiden hinterher und hatte große Mühe sie einzuholen. Über eine halbe Stunde liefen wir ohne Unterbrechung, bis Herz und Lunge streikten. Erschöpft fielen wir auf den Boden. Ich hatte starke Seitenschmerzen, mein Herz hämmerte in meiner Brust und der Atemnot machte mir schwer zu schaffen. Langsam kehrte bei mir wieder Ruhe ein. Ich griff in meine Hosentasche und holte den Kompass hervor, welchen ich vor meinem Fronteinsatz von Heinz geschenkt bekommen hatte. Ich hatte nicht gedacht, dass dieser für uns noch so wertvoll werden würde. Denn ohne den Kompass wären wir vielleicht im Kreis herumgelaufen. Wir mussten nach Norden, bis wir in die Gegend kamen, die uns bekannt war. „Gott sei Dank, dass du einen Kompass hast“, sagte Martin. Wir müssen jedoch weiter, sonst war alles umsonst.“ Ich schaute auf den Kompass und gab die Richtung an. Und so rannten wir wieder weiter, nicht mehr so schnell, aber schnell genug, um wieder nach einer halben Stunde eine Pause einzulegen. Nachdem wir uns ein wenig ausgeruht hatten, liefen wir weiter. Schließlich kamen wir an einem kleinen Ort an und machten aus Sicherheitsgründen einen großen Bogen. Dabei kam uns zur Gute, dass die Ortschaft von Wald eingebettet war. Hatten wir jetzt nur ein schnelles Schritttempo eingeschlagen, mussten wir nach der Umgehung der Ortschaft wieder ein höheres Tempo einlegen. Von Ferne hörten wir wieder Kanoneneinschläge. Das trieb uns nur noch mehr zur Eile an. Wir waren dem Zusammenbrechen nahe. Wir liefen und liefen. Ich schätze, dass wir inzwischen gut und gerne 40 km geschafft hatten. Bis Stolpmünde waren es bestimmt noch 60 Kilometer. Langsam wurde es dunkel. Doch wo sollten wir über Nacht bleiben? Zum Laufen waren wir zu schwach geworden und so marschierten wir nur noch in einem langsamen Schritttempo, zumal wir nach einer Bleibe Ausschau halten mussten. Als erster erblickte Richard die Scheune, welche in etwa 2 km Entfernung stand. Mit der Maschinenpistole im Anschlag gingen wir darauf zu. Als wir nahe genug herangekommen waren, beobachten wir die Lage und gingen erst dann weiter. Mit größter Vorsicht betraten wir die Scheune, in der Heu gelagert war. Außerdem stand da noch ein Leiterwagen und im Eck ein kaputtes Fahrrad. Wir wollten uns nur noch ins Heu schmeißen und mit einem hoffentlich ruhigen Schlaf für den morgigen Tag Kraft tanken. Nach fünf Minuten waren wir eingeschlafen. Als es wieder langsam hell wurde, wachte ich auf. Martin lag neben mir und schlief noch. Richard konnte ich nicht sehen. Ich stand auf und suchte ihn. Ohne Erfolg. Ich weckte Martin und teilte ihn mit, dass Richard verschwunden war. Aber das konnte doch nicht sein? „Es könnte schon sein“, meinte Martin. „Wieso denn das, wir haben zu dritt doch bessere Chancen?“, antwortete ich. „Ja schon“, meinte Richard. Aber er hat es nicht mehr weit bis nach Hause.“ Mit einem „Hm“ ließ ich es bewenden.

Wir nahmen unsere Maschinenpistolen in die Hand und machten uns wieder auf den Weg. Martin hatte nach Stolp, wo er wohnte, noch etwa 40 km zu überbrücken. Bei mir waren es dann noch 18 km mehr. Ich sprach ihn darauf an, dass es gefährlich ist, durch die Stadt zu gehen. „Das geht nur nachts“, sagte er. Ich schaute auf die Uhr, es war 9.00 Uhr und bis 21 Uhr könnte ich zu Hause sein. Doch was würde mich da erwarten? Wir legten wieder ein schnelles Lauftempo ein, doch immer auf der Hut, dass uns niemand sieht. Uns kam sehr zugute, dass wir meistens durch den Wald laufen konnten. Doch später entdeckte ich viele Pferdespuren und machte Martin darauf aufmerksam. „Aufpassen, weiter nichts als aufpassen“, war seine Antwort. Wir waren jetzt sehr wachsam, denn jede Unachtsamkeit hatte für uns furchtbare Folgen. Als wir nach etwa 10 Minuten aus dem Wald gehen wollten, sahen wir in etwa 200 Meter eine Gruppe von 12 mongolischen Reitern. Das hatte uns gerade noch gefehlt. Wir blieben im Wald stehen und wussten nicht, was wir jetzt machen sollten. Notgedrungen legten wir eine Pause ein. Während wir Rat hielten, ob wir die Mongolen links oder rechts umgehen sollten, hörten wir MG-Salven. Es kam Unruhe bei den Mongolen auf, Befehle drangen zu uns herüber und die Mongolen galoppierten Richtung Osten davon. Mein Gott, die Russen waren schon überall und mir kamen die ersten Zweifel, ob wir unser Ziel überhaupt erreichen würden. Als die Mongolen außer Reichweite waren, rasten wir über den freien Platz und waren froh, als wir wieder den Wald erreichten. Unsere Körper wollten nicht mehr und doch blieb uns keine andere Wahl, als zu laufen, immer nur laufen. Wenn es gar nicht mehr ging, gingen wir im Schritttempo weiter, um danach wieder einen schnellen Gang einzulegen. Wie durch ein Wunder sahen wir am Spätnachmittag zu unserer rechten Seite Stolp. 3 Kilometer davor machten wir eine kurze Rast in einem kleinen Waldstück. Martin wollte die Nacht abwarten, um dann den letzten Gang anzutreten. Doch ich musste noch weitere 20 km zurücklegen. Wir versteckten im Wald unsere Maschinenpistolen und verabschiedeten uns. Wie ich das noch schaffen wollte, das wusste ich nicht. Jeder Atemzug schmerzte und doch musste ich weiter. Ich nahm wieder meine Beine in die Hand und lief weiter. Jetzt musste ich alleine die Augen offenhalten. Unterwegs begegneten mir zwei deutsche Militärfahrzeuge. Als es dunkel war konnte ich nur noch in zügigen Schritttempo gehen, aber da ich mich schon sehr gut auskannte, kam ich zügig voran. Irgendwie erreichte ich in der Nacht Stolpmünde, schlich mich von Haus zu Haus, blieb immer wieder stehen um zu beobachten und erreichte schließlich mein Elternhaus. Ich klingelte, ihr habt mir die Tür aufgemacht und jetzt bin ich da.

Nach dieser Erzählung herrschte tiefes Schweigen. Wir begriffen, was Herbert mitgemacht hatte und das verschlug uns allen die Sprache. Danach unterhielten wir uns sehr lange und suchten nach einer Lösung die Nachkriegszeit unbeschadet zu überstehen. Herbert konnte sich nicht mehr beteiligen. Er sackte in seinem Sessel zusammen und schlief sofort ein.

2 Tage später

Gedankenverloren und resigniert saß ich am Kamin und schaute in unsere verlorene Runde. Fritz redete schon die ganze Zeit auf Herbert ein, als wenn er ihn überzeugen wollte. Ma stand auf und ging zu Pa welcher inzwischen wieder am Fenster stand. Sie nahm seine beiden Hände, schaute zu ihm hoch und verharrte in dieser Stellung. Ich sah, wie die Augen meines Vaters feucht wurden. Mit der Hand wischte sie ihm die Tränen weg und sagte etwas, was ich nicht verstehen konnte. Pa streichelte ihr Gesicht und drückte sie zu sich heran. So verharrten sie eine ganze Weile. Das Gesicht von Heinz erschien mir noch schmaler als es schon war, als er zu meinen Eltern hinsah. Fritz und Herbert hörten auf sich zu unterhalten. Wie lange hatte ich so meine Eltern nicht mehr gesehen? Mir wurde warm ums Herz, aber auch Trauer kam in mir auf und ich war so gerührt, dass auch mir die Tränen von der Wange rollten. Ma löste sich aus der Umklammerung von Pa, drehte sich zu uns um und sprach zu uns in ihrer ruhigen Art:

„Ich muss euch was sagen. Wie ihr wisst, habe ich schon immer Vorahnungen gehabt, welche in der Regel alle eingetroffen sind. Das hat mir oft schlaflose Nächte beschert, wenn sich Vorahnungen schlechter Ereignisse ankündigten. Ich bin keine Hellseherin, denn ich kann nicht sagen, wie und wann die Ereignisse eintreten. Irgendwas dringt in meine Seele ein, ich fühle Spannungen, die sich in meinem Geist einnisten. Ich kann nichts dagegen tun. Was uns in nächster Zeit erwartet, da habe ich leider nicht die besten Vorahnungen erhalten.“ Ma machte eine Pause. Mit unruhiger Erwartung schauten wir sie an. „Leider, muss ich euch mitteilen, dass wir nicht lange mehr zusammenbleiben werden. Wir werden auseinandergerissen. Meine Eingebung sagt mir aber auch, dass wir wieder zusammenkommen. Wann dieser Zeitpunkt eintreten wird, das weiß ich mit dem besten Willen nicht. Es tut mir leid, dass ich euch damit belaste. Dir Ralf, muss ich noch was sagen, was dich nicht sehr glücklich machen wird. Auch du hast Vorahnungen, nur, was noch schlimmer ist, - in dir steckt eine nicht erklärbare, gewaltige Kraft. Ich weiß nicht, warum Gott uns dieses aufgebürdet hat und uns damit leiden lässt. Ich habe daran mein ganzes Leben gelitten.“

„Wie kommst du darauf, dass in mir eine unerklärbare Kraft steckt?“

„Ralf, wenn du in dein Inneres hineinhörst, - dann wirst du diese Kraft spüren.“

„Aber wieso Ma bist du dir da so sicher?“

Ralf, ich sehe es an deinen Augen, deinen Blick, die Tiefe und die Abgeklärtheit in deinen Augen und eine Aura, welche sich wie ein Gewand um dich herum gelegt hat.“

„Stimmt“ flüsterte mir Uwe zu.

„Aber an so einen Hokuspokus kann ich nicht glauben.“

„Früher habe ich auch nicht daran geglaubt“, entgegnete Pa. „Früher habe ich darüber gelacht ... aber heute denke ich darüber ganz anders. Leider ist es die Wahrheit. und ich hätte nie geglaubt, dass so etwas überhaupt möglich ist, denn die ...“

„Das scheint doch aus einem utopischen Roman zu stammen“, unterbrach Fritz mein Vater erregt.

„Ihr wisst überhaupt nicht wie schrecklich es ist, wenn sich Vorahnungen aufdrängen,“ fuhr Ma dazwischen. „Dieses ist mir aufgebürdet worden und ich will jetzt nicht mehr darüber sprechen.“

„Aber woher willst du wissen Gerda, dass es auch so bei Ralf der Fall sein wird?“ fragte Fritz.

Ma schaute Fritz eine Weile und führte dann aus:

„Auf eigenartige Weise bin ich mit Ralf wie mit einer Brücke verbunden. Ich spüre eine unbegreifliche Kraft, die von ihm ausgeht. Diese Kraft schlummert noch in ihm, aber wenn diese voll durchschlägt, dann stellt er mich weit in den Schatten.“

Ma wendete sich zu mir und sagte etwas, was ich in meinem ganzen Leben nie vergessen sollte:

„Ralf behalte das für dich. Viele werden darüber lachen, wenn du darüber sprichst. Wenn du aber öfters deine Kraft unter Beweis stellen musst, - dann wird man dir keine Ruhe mehr lassen und im schlimmsten Fall bist du dann ständig auf der Flucht.“

Ich wusste nicht mehr, was ich dazu sagen sollte, fürchtete mich vor der Zukunft und fühlte, dass Ma Recht hatte. Es wurde kein Wort mehr gesprochen. So saß ich eine ganze Weile mit depressiven Gedanken da, bis ich Uwe fragte:

„Warum glaubst du, soll ich anders sein als du?“

„Das kann ich dir nicht erklären. Manchmal ist, als ob du eine Aura um dich hast, dann ist dein Blick anders und du erscheinst mir fremd.“

„Und das Uwe sagst du mir erst jetzt?“

„Du hättest mir doch nicht geglaubt, aber deine Mutter hat Recht, wenn sie sagt, - erzähle niemandem davon.“

Furchteinflößende Gedanken beherrschten meine Seele. Ich musste jetzt alleine sein und ging in meinen Zimmer, legte mich auf das Sofa und versuchte an nichts mehr zu denken, was mir nicht gelang. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich grübelnd auf dem Sofa lag, als ich starke Schläge auf unsere Haustür hörte. Ich sprang auf und lief ins Wohnzimmer. Unterwegs begegneten mir Pa, Heinz, Herbert und Fritz, welche hoch zu unserem Versteck rannten. Ma und Uwe schauten ihnen nach. Als sie fort waren ging Ma die Treppe herunter, um die Haustür aufzumachen. Wir trottelten hintendrein und blieben oben auf der Flurtreppe stehen. Ma schloss die Tür auf und sofort stürzten die Russen mit Gewehr im Anschlag ins Haus. Der Offizier gab seinen 4 Soldaten einen lauten Befehl, zwei rannten in der untere Wohnung während die anderen beiden nach oben liefen. Der Befehlshaber gab mit einem energischen Handzeichen zu verstehen, dass Ma nach oben gehen sollte. Das war ein fieser dicker Typ mit einem runden hässlichen und verbissenen Gesichtsausdruck. Dazu eine rote Knollennase, die auf starken Alkoholkonsum schließen ließ. Sein starrer Blick drückte Boshaftigkeit aus und ich spürte zum ersten Mal in meinem Leben eine intensive, gefährliche Ausstrahlung. Als wir in unserem Wohnzimmer standen, wollte Ma ihm etwas anbieten, was er nicht verstand oder verstehen wollte.

„Geben Gold, Schmuck“, hörte ich ihn in einem Befehlston sagen.

Ma brachte ihm eine Schatulle, in der sie ihren Schmuck aufbewahrte. Er griff danach, zeigte auf ihre Hand und verlangte ihre Uhr und den Ehering. Ohne zu zögern, streifte sie beides ab und übergab es ihm. Danach durchstöberte er die ganze Wohnung. Öffnete alle Schränke, warf alles auf den Boden. Was er gebrauchen konnte, legte er auf den Tisch. Ich konnte nicht glauben, dass ein Mensch so voller Boshaft sein konnte. Später entnahm er aus der Bar alle alkoholischen Getränke, entfernte von einer Flasche den Verschluss und trank die ganze Flasche leer. Steckte sich eine Zigarre in sein fieses Gesicht, ging torkelnd zu Ma und lallte:

„Du komm mit“, und zeigte dabei auf das Schlafzimmer.“

Ma sah ihm in die Augen. Ihre Augen hatten einen solch tiefen durchdringen Blick angenommen, den ich bei ihr noch nie gesehen hatte und mich erschreckte. Ihr Blick ist wie der Blick einer Schlange, durchfuhr es mir. Wie hypnotisiert sah der Offizier in ihren Augen. Übergangslos bekam ihr Blick wieder das normale Leuchten und gleichzeitig wendete er sich von ihr ab und ging aus der Wohnung. Ich hörte ihn lallende Befehle geben. Seine Soldaten kamen angerannt und gingen aus dem Haus. Einer hatte die Stiefel von Pa an. Ich drehte mich zu Ma und fragte leicht entsetzt:

„Ma, was war das?“

„Vergiss das Ralf.“

„Ma, du hast nicht nur Eingebungen und Vorahnungen, sondern in dir steckt noch eine weitere Kraft. Mein Gott Ma was ist los? Das gibt es doch gar nicht.“

„Ralf, bitte vergiss das ganz schnell.“

„Das kann ich nicht und das kann Uwe nicht.“

„Ralf, ich bin jetzt zu schwach und muss mich hinlegen um wieder aufzutanken. Schließe bitte wieder die Haustür zu und Uwe soll denen da oben Bescheid geben, dass sie wieder herunterkommen können.“

Uwe rannte sofort zum Versteck, während ich nach unten ging um die Haustür abzuschließen, die sich jedoch in einem jämmerlichen Zustand befand. Das Holz zerborsten, das Schloss unbrauchbar. Mit großer Mühe gelang es mir dann doch, diese mit dem Riegel wieder zu schließen und galoppierte dann hoch, wo Pa mit Uwe im Wohnzimmer stand. Angespannt hörte Pa zu, was Uwe zu erzählen hatte. In seinem Gesicht und seiner Körperhaltung zeichneten sich seine ganzen Sorgen nieder. hängendem Kopf ging er mit hängendem Kopf auf und ab, wendete sich schließlich zu uns und sagte:

„Ich gehe wieder zu den anderen hoch. Haltet uns auf dem Laufenden und seid wachsam.“ Beim Vorübergehen drückte er mich zu sich hin und versuchte mich zu beruhigen. Mit sorgenvollem Gesicht verließ es uns.

15. März 1945

Nach einer traumübersäten Nacht wachte ich auf. Es war schon hell. Die Sonne schien in unser Zimmer und gab mir ein kleines Gefühl der Geborgenheit. Der Krieg war zu Ende und ich redete mir ein, dass alles nicht so schlimm kommen wird. Schließlich waren die Russen wohl unsere Feinde, aber doch auch nur Menschen. Am Fenster sah ich Uwe stehen. Ich meinte eine weinende Frauenstimme zu hören. Ich sprang aus dem Bett und starrte aus dem Fenster, welches er halb geöffnet hatte. Jetzt kamen fürchterliche Angstschreie aus dem von uns gegenüberliegenden Haus

„Was passiert da, Uwe?“

Er schaute mich mit zerknirschtem Gesicht an und stotterte:

„Ich glaube dort wird eine Frau vergewaltigt.“

Alle meine kleine Hoffnung, die ich vorher noch hatte, zerplatzte wie eine Seifenblase. Fast wäre es Ma auch so gegangen, wenn sie nicht ihre Kraft angewendet hätte. Aber was für eine Kraft? Davon hatte ich nie was gewusst. Während weiterhin der Schrei der Frau zu uns herüberdrang, vernahmen wir das Klingeln an unserer Haustür und danach wieder die gewaltigen Schläge. Ich rannte zu Ma. Sie war gerade dabei die Treppe herunter zu gehen, um die Haustür zu öffnen. Ich hielt sie zurück und rannte die Treppe herunter. Die Tür hielt den Schlägen nicht mehr stand und kippte mit einem Krach nach vorne. 6 Soldaten stürmten die Treppe hoch und hielten vor Ma. Einer zeigte Ma ein Dokument. Er war ein großer, schlanker Mann mit einem sympathischen Gesicht.

„Wir haben Befehl“, sagte er, „einige Gegenstände für das russische Volk abzuholen.“

Ich bewunderte Ma, die ruhig blieb und fragte: „Woher sprechen Sie so gut deutsch?“

„Meine Mutter war eine Deutsche.“

„Welche Gegenstände wollen Sie abholen?“

„Das Klavier, die Bar und den Schachtisch mit den zwei Sesseln.“

„Dann lassen Sie sich nicht aufhalten. Vielleicht sagen Sie mir noch ihren Namen.“

„Mein Name ist Ivan Bernaw. Sie dürfen mich mit Ivan ansprechen.“

„Ivan, dann sollten Sie jetzt ihren Befehl ausführen.“

Er schmunzelte leicht. Wir drei gingen ins Wohnzimmer und stellten uns vor das Fenster. Es war ein bedrückendes Gefühl mit anzusehen, wie sie unser Klavier abtransportierten. Wie oft hatte ich darauf meinen Kummer heruntergespielt und musste auch an Fritz denken, welcher sich immer ans Klavier setzte, wenn er voller Spannung war. Aber das war jetzt Vergangenheit. Den Schachtisch mit den beiden Sesseln hatten sie schnell auf dem LKW geladen. Mit der Bar hatten sie wieder einige Mühe. Ma stand mit ausdrucklosen und traurigen Augen neben mir. Diese Trauer in ihren Augen durchwühlten meine Gefühle. Ma ergriff meine Hand und sagte in ihrer ruhigen Art:

„Ralf, es sind nur materielle Gegenstände, welche wir uns wieder anschaffen können“, versuchte sie mich zu trösten.“ Die Hauptsache ist, dass uns nichts passiert und wir durch diese schreckliche Zeit kommen.“

Vom Flur her hörte ich das schon mir bekannte Bellen des Majors. Und dann stand er vor uns. Er kam langsam näher und blieb vor Ma stehen. Seine Augen drückten eine tierische Begierde aus. Meine Hände ballten sich zu Fäusten zusammen. Hatte Ma wieder diese Kraft ihn abzuwehren? Als ich in ihre Augen blickte, hatte sie wieder den starren und den tiefen Blick einer angriffslustigen Schlange. Der Major konnte sich den Blicken von Ma nicht entziehen. Sein Gesicht verzog sich, als ob er Schmerzen hätte. Seine Beine begannen jeden Halt verloren zu haben. Mit verzerrtem Gesicht drehte er sich um und torkelte schwankend aus dem Zimmer. Als er draußen war, hörte ich ein polterndes Geräusch und ahnte, dass er die Treppe heruntergefallen war. Er lag vor der Haustür und rührte sich nicht mehr. Ivan kniete bereits vor dem Major. Ma ging zu Ivan und sagte:

„Ich sollte ihn untersuchen. Ich bin Ärztin und Chirurgin. Allerdings praktiziere ich seit etwa zehn Jahren nicht mehr.“

Ivan wendete sich zum Major. Es fiel ihm schwer zu sprechen und seine Worte kamen nur stoßweise hervor. Nach einer Weile sah er Ma an.

„Der Major hat einen Bombensplitter in der linken Seite des Brustkorbs. Sie sollen sich das anschauen.“

Daraufhin untersuchte sie ihn, machte ein sehr bedenkliches Gesicht und sagte: