die versprengung - Wolfgang Hilbig - E-Book

die versprengung E-Book

Wolfgang Hilbig

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Beschreibung

Diese Gedichte, entstanden vor allem in den frühen achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts, begleiten Wolfgang Hilbig auf seinem Weg vom unbekannten Arbeiter in eine schriftstellerische und damit öffentliche Existenz – ein Weg, der sich durchaus als ein Gang in »die versprengung« erweist. Wolfgang Hilbigs Gedichte sind existenzielle Gebilde, expressiv und obsessiv, jede Form und jeden Inhalt sprengend. Es ist ein »Schreiben bei Gewitterlicht« (Karl Krolow), dessen Widerschein auf diesen Seiten glüht: ein rasender Wortrausch, dessen ungeheure Intensität kein Entkommen erlaubt.

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Seitenzahl: 42

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Wolfgang Hilbig

die versprengung

gedichte

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Inhalt

Ider eingangankerlos lautlos schmerzlos …diese von lichtahnen überkommene …land aus geruch: wie es fliegt …schwarzäther blutäther …feuerverwobenes blutgemisch …erinnerung. chemie. ein eingeweide …die stimme eines wesens rief mich …das glück zahlt summen …ich wollte mein brandmal …so nichtsbeladen daß mein schweigen …sprachgeflacker …traumverdunsten …bekränzt uns. kalte …absenzen. aprilmeere …mich kettet grenzenloses …war das gedicht der rabe …IIverse um an frühere zu erinnernpassereadvent in den kneipendie namendéjà vufermesnature mortedie sommerseemonolog vierdie demarkationslinieinkubustedeumnotwendiger ortdie versprengungder poet und die wüstedie situationdie spaltungmerigartofragwürdige rückkehr (altes kesselhaus)absence de l’amertumesonettzwischen den paradiesensolo für beischläferzeugungevokationberlin. flaneur de la nuitdie ruhe auf der fluchteine art abschiedwie regenvorgegebenes liedspracherevenantIIImedium medea. chöre (fragment)Anmerkungen

I

der eingang

für s.

seife

aus dem mond zwischen uns. geld

am himmel. und ich werde bis aufs blut gereinigt

kalt rasiert bis auf mein skelett unter gestirnten

bäumen die im mark verrotten. wo ich verwandelt

werde ins negativ eines rendez-vous: o warten

welch eine traurige karriere …

schreckliches bürgertum das mich nicht treffen will

ich habe es um dich betrogen

du liebst

mein knochenuniversum das der wirklichkeit entgegensteht

die sich aus der gewißheit meines daseins fortstahl.

fort … denn das dasein bleibt uns nur gewiß

um uns noch einmal zu beflecken mit der finsternis

um nicht in unschuld zu vergehen in dem loch

von gnadenloser reinheit …

aus dieser lichten grube fort

auf die ganz ohne lust und zorn ich zukroch

in wirklichkeit verwandelt in ergebenheit

in der ich war um nichts zu sein als dieser: ort

ankerlos lautlos schmerzlos gehörlos

so kaum gestuftes material des siebten tags der schöpfung:

als er uns glaubte daß es gut war führten

wir diesen harten marmor auf

zu formen uns

nach seinem bild auf sinkenden terrassen

mit dem die riesennächte seines schattens schliefen

hinabgetürmt ins eis … sonnen monden aller ufer

preisgegeben

standbilder die (gestaltlos wie sein name

unglaube schleift

vor treppen in die flut gestürzt

umspült vom irrlicht das sein greises aug erfand

diese von lichtahnen überkommene nacht

wird dunkler dunkler von nachfahr zu nachfahr

die väter im finstern schon immer

niemals mehr sichtbar ach

in der kälte reifumschlossener hirne geschmiedet

der trügerischste ihrer namen

gott

und ganz bewohnt von diesem dunst der raum

und eh der sohn den enkeln sich entweihte

auch er schon trug im unerhörten unsichtbaren

weltentfernter stern der unbeachtet stürzte (vaterstimme

o weißes verheeren vergangener parke

im fatumslaub der frühlingsnacht

fleischduftender neuschnee

und im dunkel gebliebenen blut jene kalten nabel von namen

land aus geruch: wie es fliegt aus kaminen

von braunen fahnen abgewehtes gottgeröchel

wie immer erzittert verschwimmt die geschichte:

ganz konsonante nacht

sie ist schon der rauch

aller folgenden tage der von den dächern läutet.

im geschlossenen frieden landen die schatten

von pfählen im schoß der luft

wenn das frühlicht

die wasserspiegel der erinnerung sprengt –

in den überlagerungen: runenpfähle. phallische gerüche.

am zweiten tag schon

der geburt warst du fort warst verschollen

klang aus dem vatersnamen anderer buchstab

gnädiges anwesen: unwesenheit.

schwarzäther blutäther

überspannt diesen härtestgeballten rest der erde

aus allen winden der rauch des aufruhrs der lärm

der einstürzt an den grenzen der stille.

dachau

hinter der gedankenplüschmauer

entläßt den tod aus der umerziehung

funktions

tüchtig schließt er seinen bogen

in der geliberten luft meines gespaltenen schädels

feuerverwobenes blutgemisch in höhe des gehörs

in grüngetrübter augenhöhe

ein schnitt

gehißt am hirngehalt: der über kopf gerissne flügel

zerbrochen –

flatternd in seiner ideologischen takelage

wie das schnapsbanner meines mörders

den ich lautlos grüßte: gleicher unter gleichen.

und totenstarre die im mund beginnt

und kleine münzen die von tellern in aborten blinzeln.

der engel aus asphalt

der dir entgegenfliegt wenn du nicht zu ihm kommst:

die klinge weht in seiner faust

nur eines schritts

bedarf es auf den blanken horizont. es heißt geworfen

wird der erste für den ersten stein.

erinnerung. chemie. ein eingeweide

verschmolzener erinnerungen

traumgemisch von schatten.

ich schied sie wieder ab die dunkle seite

das ego neben mir das schwitzte rauchte

das mich verwies in die ererbten konsistenzen

seiner flüchtig eingeschlafnen grenzen.

ein zweites bild das in der sonne untertauchte

ein wurf aus mir der atem auf dem matten

spiegel –

gottes chemie

die ich im schmelzfluß meiner rasse suchte

(die ihre ketten nie

wie ihre eigne brut verfluchte

dulos hieß die ungestalt

die vor mir land gewann

doch niemals ihrer Finsternis entrann.

in ihr ist eines das mich nicht begreift

dennoch aus meiner völkerschaften untergrund geballt: