Werke, Band 1: Gedichte - Wolfgang Hilbig - E-Book

Werke, Band 1: Gedichte E-Book

Wolfgang Hilbig

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Beschreibung

Als Wolfgang Hilbig am 2. Juni 2007 starb, verlor die deutschsprachige Literatur eine einzigartige Stimme. Bis zuletzt gelangen ihm Gedichte von dunkler, träumerischer Schönheit – sie waren der Anfang und das Ende seines Schreibens. Selbst in seinen großen Romanen war der lyrische Ton unüberhörbar. Ausgehend von den Traditionen der Romantik, des Symbolismus, des Expressionismus und geprägt von den Alltagserfahrungen eines Arbeiterlebens in der DDR, schuf er sich seine eigene Sprache: leidenschaftlich und voll brennender Sehnsucht, elegisch, grüblerisch, zärtlich. Dieser Band – Band I der Werkausgabe – sammelt die Gedichte aus »abwesenheit«, »stimme stimme«, »die versprengung«, »Bilder vom Erzählen« und ergänzt sie um die verstreut veröffentlichten Texte. Hinzu kommen mehr als 150 Gedichte aus dem Nachlass, die hier erstmals zugänglich gemacht werden. Erkennbar wird, von den furiosen Jugendgedichten bis zum grandiosen Spätwerk, die Selbstgründung und Entwicklung eines Dichters, der sich aus der Enge des Schweigens befreit und hinaustritt in den unendlichen Raum der poetischen Sprache.

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Seitenzahl: 353

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Wolfgang Hilbig

Gedichte

FISCHER E-Books

Mit einem Nachwort von Uwe Kolbe

Inhalt

abwesenheit›laßt mich doch‹›ihr habt mir ein haus gebaut‹bittegegen den stromich begreife nicht›nach dem zweiten/krieg‹wartenratlosigkeitbefindungsturzh. selbst-portrait von hintentod und toilettenseifeglut in der gasseminuten und möglichkeitenbahnhofdas unbewohnte hausaufenthaltabwertung eines unverständlichen gegenstandstrauer. braun und blautraumtagkühle odelebenüberlegt nichterinnerung an einen apfelgeflüsterein dunkles zimmergestedeutscher morgenalibigrober rückfallbewußtseingedichtweiterreise des dichtersteilnahme an einem abendmahlsehnsucht nach einer orgelgleichniscodastättenstimme stimmeabwesenheitdas ende der jugendnovalisbarlachan einen ungenanntenim glaserinnerung an jene dörferverhüllungversöhnliche stundedementiinterieur eines traumsspiegel und sägezwei textelanges leben. an chlebnikowsaale-lichtbeschreibungursprung und zusammensetzungflaschenpostvorfrühling. mundtotanbeginngespaltenes themaopheliadas erwachenepisodedie gewichtedas meer in sachsendas fensterstimme stimmeträum dirstörungeneine art morgengarten an der kircherechenschaftdie sorgenvollen gesichterdie sommerseeerste asternverse um an frühere zu erinnernwindmühlen wassermühlenherbstrosen herbstweinvariation zu einer diagnosezeugungreisefieberdie namenzwischen den paradiesendéjà vugewöhnlicher rassismussprachesonettberlin. flaneur de la nuitdie situationder poet und die wüstediese von lichtahnen überkommene [...]war das gedicht der [...]die versprengungIder eingangankerlos lautlos schmerzlos gehörlos [...]land aus geruch: wie [...]schwarzäther blutäther [...]feuerverwobenes blutgemisch in höhe [...]erinnerung. chemie. ein eingeweide [...]die stimme eines wesens [...]das glück zahlt summen [...]ich wollte mein brandmal [...]so nichtsbeladen daß mein [...]sprachgeflacker [...]traumverdunsten [...]bekränzt uns. kalte gräber [...]absenzen. aprilmeere grünverschneit [...]mich kettet grenzenloses in [...]IIpassereadvent in den kneipenfermesnature mortemonolog vierdie demarkationslinieinkubustedeumnotwendiger ortdie versprengungdie spaltungmerigartofragwürdige rückkehr (altes kesselhaus)absence de l’amertumesolo für beischläferevokationdie ruhe auf der fluchteine art abschiedwie regenvorgegebenes liedrevenantIIImedium medea. chöre (fragment)Bilder vom ErzählenUnd dann erscheint das [...]Salz das ich vergaß – [...]Blicklose Uhr sie steckt [...]Aqua albaBilder vom ErzählenIncreatumSaturnische EllipsenDie ZisterneDer Schlaf in der DämmerungDie BriseSeestück für C.MittagTage. NächteDie AntwortUnsicheres Ufer (M.)InvertoDer Garten von Gerhard AltenbourgNachtstück mit ErlenElaborat in M.Nach der ProsaDie SchwelleMondsüchtige TarantellaMond. Verlust der GewißheitRosa mysticaSommer der MottenBruchstück im SommerDer Zufall. Gedicht zu meinem 60. GeburtstagPassagePassatPro domo et mundoVerstreut veröffentlichte Gedichteverläßliches geleitmonolog einsanfrage an meinen antagonismusan den gotischen rundfunkdie peripherieschattenich. schatticht [...]Schattenich. Schatticht [...]die fährtefür n.leipzigmein herz ist wüst [...]verwüstet vertrocknet [...]der nachmittagdie klettenwindstille. schneeatem. scheuer besuch [...]der fußgängerende der biografieapril ohne datumNochprosa meiner heimatstraßeGewebeBerlin. SublunarHinter mirVerlaineBlätter und SchattenDie BlumenbetrachtungL’île méditérranéeMonolog dreiNatureingangPalimpsestals sie noch jung [...]Gedichte aus dem NachlassScherben für damals und jetztVon der Liebeserklärung eines DichtersNatur IFrühlingMaimorgenVorstellung vom SommerDas Nahen des AbendsDefinition einer NachtEinkehr und RückkehrFrageEine AntwortSehnsuchtlangeweileAn diesem TageNun komm, o Nacht!Die Sprache eines FeuerfressersTrauriges LiedBangigkeitWenn du im Sommer ans Meer fährstStammelnd in einer einsamen NachtSireneAuf dem DachMeine GästeWoher nehm ich die KraftTageswahrheitenVom VerlorenseinWeisheitEs gibt, es gibt …An einen TagLegendeAntwort für die MenschenOhne ZeitNatur IIEnd-SommerliedDie Sprache einer NachtIm nächtlichen LandDer GreisDer Einsiedler in der NachtWälderFern vom Meere … nach der gläsern Barke FlugTraumodeFlauteSiestaErinnerungsfetzen an eine niegekannte ZeitEin hölzern HerzRest – StimmeAn einen vagabundierenden SoldatenWas werden wird!Wasser auf der StraßebilanzStimmeGleichnisSchreiVisionEkstaseMonolog aus einigen Tagen meines LebensHurra, Hurra!Die großen VersammlungenElegieNichts außer KunstWeitere Gedichte aus dem NachlassAn ein Apfelbäumchen im MaiAuschwitz-Prozeßein blattErwachenE.T.A. Hoffmann IFeierabendIm Zeltschon jahrelang fruchtlos [...]wer sind [...]Wir Erbenangst am abenddeliriumder abtrünnigeDie neue Straße langerklärung an eine gesuchteHiobswochelandschaftLanduntermerkwürdige meditationmutter dein sohntrinkgeldtheatralischer abschiedTräume duunruhiger monologvom traum der dichtkunstaltweibersommerangstansage einer fluchtaus der tiefeich will seinmetapherna undSanfte Trauerscherzend mit mehreren abschiedensonnregenverschont michvorschlag zur güteAn Pablo Nerudakoppelung verschiedener vorschlägemetallischer trankmonolog dreinamenloses erstaunen über einen nackten leibnun noch für alleDie Barke der gläsernen Schönheit (3. Fassung)elegieflug und fall (erstes gedicht)Flug und FallGelbe Rosengrenzeerste heidenauer elegiezweite heidenauer elegiedritte heidenauer elegieheillose wohnstattintroversionliebesgedichtschreiben schreibensechster schriftstellerkongreß berlin 1969 (nr. zwei)zurück an die oberflächeDer Abschiedder fliederflucht in den frühlingLegendeStilles LächelnStrohhalmder beraubte narzissder maider verlorene beweisfeuermonolog zweimonolog zweibitte 2seid freundlichbitte um nachsichtdie wahrheitrauchvariation zum rauchzweite variation zum rauchTraditionelle Erzählungzikadeimmerndpartizipiengenrebild im provinziellen stil mit vermutlichem heiligenwaage. beendigung eines satzesbitte mein haar nach auschwitz zu schickenrammadammdanstearinsituation 2. gerechtigkeitdas neulanddie wüstenwanderungdie aufgabeDie EntfernungMonolog fünfrolling homespäter nachruf l.g.rondodie aufklärungLunare Zeilen für C.SelbstbildnisElogeMatière de la poésieEs hat keinen Zweck, darum herumzureden –Nachbemerkung zu dieser AusgabeQuellenverzeichnisWolfgang HilbigSonstige QuellenAlphabetisches Verzeichnis der Gedichte

abwesenheit

›laßt mich doch‹[1]

laßt mich doch

laßt mich in kalte fremden gehn

zu hause

sink ich

in diesen warmen klebrigen brei

der kaum noch durchsichtig ist

der mich festhält der mich so

festhält

laßt mich in die einsame fremde

dort will ich um mich haun

mit meinem schatten fechten daß

hiebe pfeifen in wasserklarer luft

hier würgt mich stille

hier saugt zäher brei an meiner hand

laßt mich

wo die sicht klar ist

oder in steine in hohe steinwände in

mauern für meinen schädel – –

›ihr habt mir ein haus gebaut‹[2]

ihr habt mir ein haus gebaut

laßt mich ein andres anfangen.

ihr habt mir sessel aufgestellt

setzt puppen in eure sessel.

ihr habt mir geld aufgespart

lieber stehle ich.

ihr habt mir einen weg gebahnt

ich schlag mich

durchs gestrüpp seitlich des wegs.

sagtet ihr man soll allein gehn

würd ich gehn

mit euch.

bitte[3]

laßt mich ein wenig

noch sterben

laßt mich auf dem stuhl sitzen

senken in den nacken den kopf

den mund die augen steil öffnen

schlaff die arme hängenlassen

in die augen mir fallen

lassen das licht der lampe dann

auslöschen

laßt mich

einen augenblick noch sterben

schnell bevor ihr

ewiges leben endlose helle

auf der welt weckt

einen winzigen augenblick noch

laßt mich sterben ach

gönnt mir daß ich

nicht vergess – –

gegen den strom[4]

für hans magnus

enzensberger

ich sah unsre leiber

mit den flüssen hinabschießen

weißgrüne wirbel ach erfrischend

warfen uns an kalte steinbäuche

willenlos trieben wir

tranken die toten münder uns voll

allein unsre arme wiesen

so oft wir auftauchten störrig

gegen den strom

immer wieder.

ich begreife nicht[5]

ich sah nicht die toten

schwarzgesichtig an stricken hangend

grünbäuchig unter algen treibend

erschlagen auf schlachtfeldern

ich sah die zuhaus

im bett starben

ich begreife nicht

die schreckliche zufriedenheit

ihrer gesichter.

›nach dem zweiten/krieg‹[6]

nach dem zweiten

krieg vergaß man beim aufräumen

einige vokabeln

aus der welt zu schaffen.

noch immer nicht

sind aus der deutschen sprache verbannt

wörter wie

unverbrüchlich

unzertrennlich

uneinnehmbar

unbesiegbar.

rundfunk und presse. ach arme

beine zu allengutendingen –

warten[7]

es ist nacht: noch

sitz ich hier im licht

am fenster die dunkelheit

draußen drängt grausig ans glas

jede nacht zäh

zunehmend

    lauernd

mit rauch

mit fernem dröhnen

von schalljägern näher dringend

detonationen

auf den gellenden schrei von scheibe

und wand wartet das dunkel will

hereinquellen qualmender

träger teer schwarzer

stickiger lichtloser

brand

    droht draußen: schlaff ein

verirrter schuß schlägt

die flagge ans glas

ratlosigkeit[8]

auf dem tisch liegen meine ellenbogen

hemdsärmlig meine hände haltlos

und meine blicke und bücher

und schweigen

bis ich mich find irre und

betrunken in den späten straßen

strauchel ich seh ich

die himmel hasten

stumm hin über

die dächer

die hände

hab ich verloren

all meine gesichter hat der regen

gezerrt aus den bäumen die kahl gehn

dem wind nach durch die abendstraßen

in alle häuser hat der wind geweht

all meine gesichter die

auf den tischen dort liegen

die wortlosen bücher sind

verblättert

was nun – –

befindung[9]

mein bett ist leer und es regnet

ich liege im leeren bett

es ist kalt und

regnet

nichts liegt

auf mir unter mir

weicht wasser

durch die matratzen zwischen

meinen beinen ist

nichts

ich liege allein abgedeckt

ist das dach zerschlagen

die fenster in mir

schreit es und

es regnet

niemand liegt im leeren

bett laßt mich

aufstehn –

sturz[10]

lenkt das licht ab leute

das letzte dieser nacht mit

dunklen decken oder schwarzem

sand verbergt diesen sturz

das lahme schwanken der straße

der schlüpfrige schlick

zertretnes gras und schleim

haben mich geschluckt

kein komplott

nicht fremde füße nicht frost

kein lumpiger trick keine kugel

haben mich zerstört allein

die torkelnde besoffne straße

und ich

haben mich gefällt

das gebiß durch den schlamm

geschlagen auf kalten stein

gebet und fluch und fußspur

im mund zermalmt zu modder

das weitere die worte die wut

erstickt von kotze so

habt ihr mich den

judas im dreck

rudernd auf allen vieren

die ausgelaufnen augen suchend

im schlammigen grab der straße.

h. selbst-portrait von hinten[11]

die hand im haar so hockt er

ruhlos am tisch

und ahnt nicht daß die herbstnacht

die luft an seinem nacken dunkel färbt

er sitzt auf dem sprung er sagt ich bin

solitair

    und müde bin ich bin mir selbst

entflohn (so hockt er am tisch der fremde

wenn ich allein im zimmer bin

(man sieht nicht sein gesicht

was wartet er gekrümmt zur kralle

harrt er des blauen hauchs der ihn belebte

dem mondeslicht das schwächer in die kalten

haine hängt

    die tage gingen schnell

glaubt er davonzufahren auf dem stuhl

längst hält ein herbst mit kaltem haar

sein hastiges gebein verhangen

er schwimmt in hundert jahren schlaf

er ahnt nicht daß er selber herbstet

vergangen ist was er vergaß

(der herbst steht kopf der herbst verhöhnt ihn

er merkt es nicht er merkt nicht daß sein atemhecheln

dem atemlosen fehlt der händeringend

ruhlos durch die haine rennt und der

so oft ihn rief

(verkrallt hockt seine hand im haar

das nicht mehr mit ihm denken will

zum schreien seltsam trüben draußen

die sterne die nacht ein.

tod und toilettenseife[12]

und der blaue tod kommt wenns leise schneit

und weiße rauchfahnen hinter den schwarzen dämmen

des stummen bahnhofs stehn in den abend gleich

schräg erhobnen armen gegen nördliche lampen grüßend

– o welch ein land welch blauer geruch erleuchteter

kneipen der einfriert im gezweig der todgeweihten

ulmen: veilchenduft erbrochenes im spülbecken

hierzuland herrscht gräßlicher januar hyperboräische

himmel bersten von sternen glasige eiserde starrt

aus der leere: nichts wissen vom süden die bahnhöfe

nichts von patmos die toten trinker in den kneipen

– hier liegt mit mir mein blauer anzug heftig

blutend im blauen schnee

das alles ist in mir das alles wäscht mich rein und

plötzlich bin ich der unverhoffte hund der seinen schwanz

auf meine schulter schlägt und mir ins ohr raunt: faß ihn

faß ihn beiß ihn ins bein deinen bruder und piß

an diesen baum dort dem sollen die drosseln

zu durstigem holz

verdorren.

glut in der gasse[13]

der glanz der gesänge versprach mir abend und morgen

und reines leuchten sonnengefärbter wasser jeweils – doch

mein erinnern reicht nur zu einer laterne zu

schwarzem grund zu früh verwehter kühle –

es war das zwielicht dieser gasse ganz

aus einem toten traum

auf dem pflaster zerbrochne haustüren schmutz

scherben krumme schattengebilde wie leichname

kopfunter auf den treppen dunkler hausflure

und rauchschemen schwangen düster

über die kahlen wände

und überall der gluthaufen einziges licht überall

dunkelrot flammen in schwarzer qual blutig bis

an die blinden infernalischen fensterhöhlen überall

verstummender schreie geschwel gerümpel rasend

beweglich im roten zucken des zwielichts

– laterne laterne

    laterne der flucht aus dem traum

laterne dieser leere in lumpen im zwielicht nur

eine letzte laterne erloschen

    und tot im traum –

minuten und möglichkeiten[14]

ich sehe die frauen vom geld geliebt

die männer verheert vom zuhaus der häuser

und ich erinnere mich

des sands der strand bis an die sterne das lager

aufwärts die see die fichten hinter der düne

mager in den nächtlichen wind gerettet

vor der sonne

ich weiß nicht wie man liebt wie man haßt

hirnlos oder herzlos oder beides in beiden

und nicht was diesen rausch zeugte

allein eine rumflasche am feuer oder dessen

farbe dunkler purpur bis zur brandung fließend

und tanzend zum gewirr der zikaden

ich spreche von winzigen minuten möglich

daß ich weit gekommen bin mit meiner schlammigen

hoffnung dieser trüben flut in zäher nähe der winter

ach tödlich

trag ich eine freiheit in mir die mit mauern starrt

mit fesseln schnürt schwarz bin ich und

gebändigt von vergeblichen wahrnehmungen –

bahnhof[15]

grau grau graues durcheinander

von wo kein zug abfährt wo ein riesiger rabe

sich schwarz zwischen die schienen setzt

bahnhof das ist aller orte kältester nachts

schläft niemand

seht unsre gesichter vom laster zerfetzt und

wenn der bahnhof abfährt seht uns trinken

gefangenschaft trinken aus schmutzigem glas

trinken bis der teufel kommt sprechen

zu keinem und alternd noch immer uns wundern

über die gedanken des zerrauften haars

sommer winter jahrhunderte kommen vorüber

uns berühren sie nicht seht uns verweilen

im rauch der rasenden wartesäle einmal

weinen ein paar mal lachen und lauschen

wenn vor dem fenster ein betrunkner

wie verrückt einen namen schreit.

das unbewohnte haus[16]

am wald wartete

einst ein steinernes haus

leer

nur an die kellertreppe

wucherte wasser

hüfthoch dunkelgrün.

ach so oft

kam ich achtlos vorüber

hätt ichs doch längst besiedelt

hätt ich mein boot

aufs wasser gesetzt im keller

im boot gebaut eine feuerstelle hätt

gewohnt so im haus die jahre.

nun ist es zerbrochen

das dach die wände zerfalln

das wasser voll steinbrocken

allein

der keller steht noch

morsch in der mulde wo

herbstliches gras sich an die erde

schmiegt wie hundeohrn im wind.

aufenthalt[17]

in den wohnungen in denen wir hausen

bleibt das licht eingeschaltet die luft

schließt öffnet die fenster schlägt

die flügel ans holz unaufhörlich

die revolution ist vorüber die kalender

zeigen den vergangenen monat an

auf den tischen stehn gläser in der tabakasche

auf den dielen bierpfützen zündhölzer scherben

schmutzige schuhe auf dem rücken

die leute in den betten

schlafen

aus den wohnungen in denen wir uns aufhalten

flüchten die stunden wie die luft auch der schlaf

hält sich nicht lange auf

    wir bauen ein chemiewerk

für die zehnte generation füttern die gestänge

mit kalten kabeln später ein kraftwerk für

noch später doch vielleicht gibt es krieg

    am morgen

explodieren die wecker überschütten uns

mit schellendem feuer

der tag ist vorüber die schranktüren offen

das radio spricht englisch an den wänden

flattern nackte fotos auf den betten

sind wir

im unterzeug rauchen noch eine

frau das ist dann alles …

abwertung eines unverständlichen gegenstands[18]

i cannot be more than

the man who watches

robert creeley

das ist eine scheinbare explosion

eine explosion von der zuerst ein pulverfaß

verschont bleibt das ist nichts:

imaginärer saataufgang eruptiver

zorn aus dem aug

im spiegel

das ist eigenglanz zunicht gesäte funken –

dämmer-worte aus leerem mund

in ein halbdunkles zimmer gesagt

zum wirklichen wind vor

dem rüttelnden fenster

hauchdünne worte einer halbbewußten

trostlosen sprache

und ein kaltes herz bleibt zurück

und rauch ein rauchendes aug –

trauer. braun und blau[19]

langsam gehen ist gut –

um langsam den nächtlichen einweg zu finden –

langsam in den abendrauch verwandelt

einatmen den schwarzen glanz des regens das

so blaue haar einer geliebten

gedankenvoll gehen

hinter dem eignen schatten einher –

im braunen blutduft feuchter bäume

träumen daß es wasser ist was an die brust pocht

wenn die dunklen vögel dieser wildnis ruhen

wenn im schlaf sich windet

am wege das fahrige gras des grams –

was war es o nacht

was hat mir in diesem gras

so grausam meinen schatten zerrauft –

oder war es dein schatten –

war es der schatten dieser nassen nacht

der mir diesen braunen augenblick vorausging

einen baum weit einen blauen anruf weit?

traumtag[20]

am stickigen morgen

nach wüstem gewälz von schlaf

einige weiber warten lassen

in ihrer nacktheit

aus bierlachen auf dem tisch

ein paar zersetzte gesichter stumm

beiseite schieben

sitzen und trinken mit den schlafenden

am dunstigen mittag den magen

leeren in eine ecke später

die flaschenscherben durchs fenster

fegen mit den schlafenden

sprechen über

das ende der kriege

und trinken trinken und

die heiße nacht verschlafen

zwischen umgestürzten schemeln.

kühle ode[21]

auf dem tisch brot fleisch messer mein mund

voller durst

    achja der durst daneben ein geruch

von tabak von fingerspitzen von feuchtem aluminiumgeld

tomaten schimmernd auf weißem tuch

daneben der schlaf

    ja der schlaf jeden morgens

unbewältigte vergangenheit

    mein haar aus schlaf in

meiner hohlen hand die stirn nahe der

vase leer und voller kaltem sommer daneben der herbst

gefüllt mit lila blut daneben der krieg mit

blut bespritzt daneben das fleisch das messer

daneben das geld

und das zimmer

    o das ungeheuere zimmer

fünf mal vier mal drei meter daneben der tag

ja der tag

    in welchem jahr

    neununddreißig einundvierzig

neunundfünfzig einundsechzig

    o der tag der tabak

der tag der durst der tag die flasche

an einem halbseidnen abend

und o der schlaf die finger

    der schlaf mein leben

mein leben zu kurz um einige lieben

daneben tomaten

leben[22]

einer sitzt nervös auf dem abtritt rafft

die hose auf den dürren knien quält sich

mit seinem stuhlgang der andre lehnt lässig

am pfosten der offnen tür raucht und während

er halblaut einspricht auf den sitzenden schiebt er

mit dem fuß zerstreut einen fetzen zeitungspapier

hin und her durch die pfützen auf dem steinboden

während nebenan ein dritter seinen harn ins becken

läßt deutlich hörbar überm geräusch

der defekten wasserspülung –

nun? wirst du fragen – nichts

nichts als dies das ist leben was

glaubtest du sonst –

überlegt nicht[23]

1

kurzum das brachland

bis an den stürmenden schlaf der bäume

die buchten vor dem grauen wasser sein graues

geknarr die krähen dies wilde schmerzhafte getier

der wind-riß der ebene ende der welt bis

der wald beginnt ungenutzt nutzlos

die erde

und allein der ginster nach der schmelze

nach einem regen der sprung der halme

im gras dies land

das singt –

2

ein licht sinkt ein samen es wächst ein

schatten die höhe das uferlose einer wagenspur

– nichts weiß wer da geht und ist

gegangen weglos –

überlegt nicht

und dies da singt wenn der mond rudert

die sonne peitscht daß sand wird

die erde und der da geht

überlegt nicht –

erinnerung an einen apfel[24]

weißbesäte wege geh ich unter bäumen voller

apfelblüten im april weiß noch

im sommer saß im sandigen gras

ich im schatten eines baums

irdisch und aß einen apfel

süß sein saft sein fleisch so

weich weiß und vergänglich

sind apfelblüten abends.

geflüster[25]

der rote duft der nacht –

die rosen verglühen im dunklen

efeu an trunknen bäumen

im schlafenden gras

such ich mein herz

wo ichs gelassen find ich

nichts feuchtes im dunkel.

ach

ich schmeck mir

so steinern heut

aber irgendwo flüstern

mit meinem herzen

frauen die ich nicht geküßt hab

von der süße der rosen und

wie dunkel der efeu ist.

ein dunkles zimmer[26]

in das du mich führtest

flüsternd und atmend daß

uns keiner höre

draußen im hof indes dröhnte

die stumme nacht schwarz

in einer schweren linde

die blätter wie sterbend neigte

sie fast zu boden im wind

und wolken warfen sich hin

unter den sternen

    herbst –

und es huschten jäh sekundenlange

bleiche blitze des mondes matt

übers bett und uns

atemlos

    in diesem dunklen zimmer

und sanft gerann der weiche

duft deiner lenden –

geste[27]

bevor du einschläfst sprach sie schließ das fenster

in der küche wegen des winds da draußen und ganz

in ihrem duft noch ging ich und dachte nirgendwo

ist eine mütze voll wind

durch den hof fuhr ein geheul und krachend

schlug eine leiter um die gardinen sausten

reißend ins freie und ich dachte nirgends

nur eine nase voll wind

während ich dies dachte rüttelte die nacht

an den bäumen mit schweren tropfen vermischt

alle blätter jagten sich wirbelnd in die luft

und ich sagte mir es ist nichts

nichts nirgendwo ein mund voll wind

ich setzte mich an den tisch wie auf einem boot

das haar stürzte mir in die stirn und ich dachte

ach nirgends nur ein mund voll wind.

deutscher morgen[28]

taumel ich aus dem schlaf

vorm offnen fenster durch den garten

geht langsam ein trüber

traum ein träger

dunkelroter dunst

dumpfer dampf ist

nachts niedergeschlagen

auf rispen und rosen

morgens mischt die sonne

sonderbar rote tropfen

in den tau

daß ich todbleich

ins feuchte haar mir fahre

der kalte spiegel überm becken

zeigt was mich so würgt was

mir den mund so füllt

aufgerissne augen sehn mich kauen

dunkle blutklumpen

alibi[29]

abwesend war ich

abwesende blumen pflücken

fern das gesicht mit dem abdruck

eines absatzes auf der stirn –

junge frauen umschlungen wie laokoon

zerrissene hüften heftpflaster kreuz und quer –

hoden zu asche verbrannt rasende alte kinder

und brennende puppenwagen rannten –

generationen zu staub zersprengt verwaisung

fehlgezeugt in falscher scham –

abwesend war ich

hier abwesend da wo das blut blühte

gehör geruch im eignen urschleim

probierte ich die fade luft an meiner ersten festigkeit

ich war noch nicht da als die länder

noch vaterländer waren ich stand

abseits mit unbewußtem lächeln und

die bordelle waren wegen mordes geschlossen –

gehör geruch im eignen urschleim

und fern das blühende blut …

die millionenfachen militärtransporte ich

konnte sie nicht bezahlen

ich war noch tot als die großen kriege begannen

ich werde sterben vor dem nächsten …

grober rückfall[30]

so wie alles alte und überwundne

sich in mir sammelt und gärt

dringt in mich ein durch

den sprachlosen mund

und gebärdet sich

in mir

der beißende rauch und die asche

der krematorien –

bewußtsein[31]

im namen meiner haut

im namen meiner machart

im namen dieses lands

wo die sorge sich sorglos mästet

im namen welches zerrissnen

namens den sich heimlich

die liebespaare zuflüstern

im namen welcher unerlaubten

schmerzen

    die verwirrung

in worte zu kleiden

    hab ich

das schreiende amt

    übernommen

gedicht[32]

eine partikel poesie

ist ein selbständiges subjekt

ein höchstens faustgroßer klumpen

bedenkbar oder kleiner bis atomar

oft von gerüchen satt manchmal

mit gefühl

oder steril

geruchlos geschmacklos fühllos

also gefertigt immer

aus menschlichem material

anonym

der schreiber wird nicht mehr gebraucht

manchmal eine leichte last staub

manchmal eine leichte lust samen

manchmal grasblüte unansehnlich

unfaßbar somit

unerträglich.

weiterreise des dichters[33]

mein mund zerspringt heute vor glas

ich gehe mit leergetrunknem gesicht

durch die stadt und sammle die stimmen

derer die meinen tod befürworten

und denk ich an den dunklen ursprung

des menschen macht mir ein sonntag

zu schaffen ein sonntag mitten in der woche

ich glaube irgendwer wollte weggehn und kam

nirgendwo an oder ein zahn tat mir weh

ferner ein pferd das stürzte und laut aufschrie und

es gab nichts zu tun für den metzger

meinetwegen wartet doch wartet wo ihr wollt

bis der springer von der brücke springt – ach

es ruftruft die unruhe der bereiten schiffe

ich werde aus der tür gehn und denken: adieu –

und glauben irgendwo am kap der guten hoffnung

sei mein schicksal zuend unter einem dornbusch

dort liegt zerbrochen ein wagenrad und lauscht

dem zornigen gebell der wellen dem

heulen der küste –

teilnahme an einem abendmahl[34]

brot und blut

dunkel und weiß

vom leib gottes –

du mein femininer tod –

diese tiefblaue trunkenheit

dieser stunde erstrahlen

das ist wein den die nacht durchscheint

kerzenrauch und ehernes brot

darin ist schlaf ist versunkenheit so

meerhaft ist das hallen hoher kathedralen

jubelruhe – mahl mancher abendstunde

bis weißer traum mich weckt wie

leicht mir im munde

fleisch von deinem leibe

der metallisch schmeckt –

sehnsucht nach einer orgel[35]

so seltsame sehnsucht nach einem klang

für diesen lang vorausgesagten abend

an dem die wörter wiederkommen –

sommer sommer ich sagte sommer

du daß die wärme der wilden kirschbäume

im gras liegt der duft eines späteren regens

sich birgt im sand der rosen am fuß

der unsäglich dunkelnden luft ein

fels der abkühlt –

musik für einen juni einen fels

für diesen abend betrunken von stille

für den sommer für den durst der früchte

für dies leben diesen fels

einen schweren lobgesang –

du denk dir was ich nicht sagen kann denk

meine sehnsucht nach einer seltnen musik

nach einer hymne

die ich nicht singen kann –

gleichnis[36]

während wir erneut durch mürbe wüsten wanken

auf wegen die zu keinem ende reichen

zu keinem ziel zu keinem hoffnungsvollen zeichen

da ins salz der sonne unsrer götter särge sanken

während wasser fort in fahlen dämpfen modern

und wo wir gehn die gifte trockner sümpfe lodern

und wo wir stehn die greisenalten lüfte flammen

schlägt über unsren jägern

das rote meer zusammen –

coda[37]

keiner aber hob

den hals in die höh und schrie und niemand

weiß war es ein rotes roß wars eisen was sich

hinschwang über uns war es ein vogel oder war

es aller weggebliebener wind was entlang der ganzen

dürre dieser sommer in ferner höhe hinfuhr

mit schlagenden flügeln aus feuer

fortan tötet ein dröhnen uns

und braust über die welt in weißer stille

und keiner kennt es –

stätten[38]

stätten gibt es – schamlosen sterbens voll – doch wer

der sich empörte soll hier leben

– anno fünfzehnhundertvierzehn eine landschaft

aus der feder eines gewissen urs graf – bizarre

felsformationen (aber das wort birgt zuviel ordnung)

da wuchs am hellen tag einer burg getürm wie aussatz

aus dem kranken stein (kein mensch

kann solches erbaun

    zerspellte dächer wüste

schädeldecken im schwarzen gemäuer

erloschne fenster rot und schwarz gebrannt

schamlose vergangenheiten – mittelalter

jedem sichtbar im offenen licht

wüstenein sind das (das ist wenig – menschenworte meist

reden vom leben totes aber schätzen sie gering

    wo

verirrte vögel wie steine ins feld stürzen keinerlei

leben duldet mancher landschaften

schamloses licht –

und es gibt tote dörfer überwältigt von wäldern

und den wuchs mauerbrechender bäume bis

diese selbst sterben zu heißem stein zu

kohle erstarren erlöschen

(reden

daß jede bewegung zerstört wird

    vielleicht

individuen von falschen wörtern verwahrlost

fels vielleicht gewachsen zu niemands behausung

elende steingehirne wo grenzenlos tote bilder stehn

reden vielleicht (wörter wie stätten geröll

schamlos und offen im licht)

erloschne ruinen geschwärzter

gehirne von dort.

stimme stimme[39]

eine trunkenheit ist gewichen aus meiner stimme

rimbaud ist gewichen aus meiner stimme –

einst flossen die worte schwer aus meinem mund

es war meine mohnblüte im mundwinkel

ich sah phosphor über phosphor

o so grün

    und gras

    und graue herden

von wolken wandernd zu den violetten abenden

sooft ich den weg durch den garten nahm

und hörte die geräusche des nahen sees

schossen die blumen bis unter die sterne

schwirrten die halme des rieds im leichten

wind war der sand so hell in der nacht

sang mir der see herüber ins haus

1

aber rimbaud (gewichen aus meiner stimme)

wo sind wir denn jetzt sag wer

ersäufte was wir sangen

das holz ist sauer

ausgelaugt und klanglos

 – in den höfen berge von flaschen

 die hälfte zertrümmert

 holzwolle modert nasse asche

 verfaulte bretter ziegelsteine

 bröckeln – lärm

    ein toter lärm –

ein ohnmächtiges mißgeschick

mißgeschick ohnmächtiger schmerzen

schrilles seufzen unsrer schritte

auf haltbaren brücken

o welch ein november

zwischen den rosen des sommers

2

hundert heuschrecken jagen durch meinen hals

(dazu dein hundertjähriges verweigern rimbaud) die haut

die brannte ist im kalten laken erstickt brackwasser

quietscht im holz der worte

 – alte narren gehn fluchend durch den garten

 wühlen mit grober pfote nach glitschigen würmern

 zottige katzen mästen sich mit fischen

 der sand ist mit schilfern besät –

o neurosen des gewinns es schleift

ein wächsernes münzgeklingel durch

die violetten abende des sees o hinterhof

einer finsteren kneipe heimstatt da ich

an die angel ging (wer verlor uns rimbaud

was ist das wohin wird die chemische rose

aus unseren köpfen verkauft)

 – wirklich war der mohn so grün

 und rot ist rot der phosphor doch

 starres gold verwechselte den klang

 wenn morgensonne abendsonne sang –

3

war es chemie

oder schweißtropfen

von ungeheuren engeln schmelzend

was sprach denn waren es ströme

von brücken verwirrt und was

in den bleichen auen rauchenden teichen

war es was sang

 – ungeheuer steig du

 aus meinem bett du stinkst nach essig

 durch deine brust fährt froschgeschrei

 dein mund schmeckt nach fisch und tinte

 wie schwitzt dein schuppiger wanst wie kalt

 ist dein kurzer schlaf –

saueres holz meiner worte

die lüge schreit

sicher ist es lüge was ist und ich selber bins

dies ungeheuer

    geschändet längst

vom händlerpack von eifernden greisen und

alles was sang (rimbaud du toter mann

in meinem kopf) war schweigen aus tropfengeklirr

stille aus sonnenglas schweigen

sanfterer nächte

abwesenheit[40]

wie lang noch wird unsere abwesenheit geduldet

keiner bemerkt wie schwarz wir angefüllt sind

wie wir in uns selbst verkrochen sind

in unsere schwärze

nein wir werden nicht vermißt

wir haben stark zerbrochne hände steife nacken –

das ist der stolz der zerstörten und tote dinge

schaun auf uns zu tod gelangweilte dinge – es ist

eine zerstörung wie sie nie gewesen ist

und wir werden nicht vermißt unsere worte sind

gefrorene fetzen und fallen in den geringen schnee

wo bäume stehn prangend weiß im reif – ja und

reif zum zerbrechen

alles das letzte ist uns zerstört unsere hände

zuletzt zerbrochen unsere worte zerbrochen: komm doch

geh weg bleib hier – eine restlos zerbrochne sprache

einander vermengt und völlig egal in allem

und der wir nachlaufen und unserer abwesenheit

nachlaufen so wie uns am abend

verjagte hunde nachlaufen mit kranken

unbegreiflichen augen.

das ende der jugend[41]

es kamen schwarze sommer bald und selten

rote sonnen – wolken waren gelbliches gewüchs

und lang vergeblich glaubte ich noch ich ertrügs

dächt ich mir heitre sommer über meine welten

und letztlich schwände dies mit den oktobern –

doch eines morgens war ein rauhreif in das laub gefressen

und ich erschrak vergaß mich – im vergessen

begann die kalte angst mich zu erobern

seitdem vergesse ich dem winter zu entkommen

versäum die pflicht die jeder tag mir auferlegt:

die sonnen die im sommer rot verglommen

zu bannen in mein wort für spätre zeiten –

schon ist die erde ganz von farben leergefegt

und schwärenhafte träume streifen in den weiten.

novalis[42]

ich ging von ihren tischen voller speisen

hinaus und trank im saal der schatten

was abend in den garten warf mit matten

düften denn ich sah die nacht verwaisen

trunken stieß ich auf die straße in das dunkel

die mich führte so wie einst ein gott es plante

seit ich spürte daß die schultern alles fallen ließen

blühn blumen auf ringsum die ich kaum ahnte

allem ledig seh ich nun vor meinen füßen

licht zerspringen und die hohen nächte grüßen

mit freiheit mich und ich hab raum

für meinen schmerz in dem die liebe ruht

und gottesnah und frei von hab und gut

geh ich und unerschöpflich wird mein traum.

barlach[43]

der leichte flug des leibes

flach und dicht über den boden hin

vom feinen schauer der halmspitzen gestreift

oder haltend getragen vom weichen

dunkel der nacht

die geträumte kühle und darin

der nördliche duft der erde

die manchmal zu blähen sich scheint

aber die wellen die sanft beweglichen

täler und hügel die erde das land

endlich in liebe gleichen

sich an diesem gleiten

zum morgen dann

schräger anflug gegen die bäume –

erwachen endlich um nicht

zu stürzen.

an einen ungenannten[44]

ich höre daß du in diesem jahr wieder

zwischen diesen hügeln unter diesem eisernen licht

dahingingst

    wie rimbaud mit einer frau in diesem sommer

der den unsern schon so fern ist daß du nicht die namen

verstehen könntest die ich den hügeln gebe wenn

ich versuche mich zu erinnern

über das gras ist der stein gekommen

zu scharfe regen über die bäume

und ein roter rauch in dem das licht sich ändert

wie um sie umzudeuten die namen

an denen man sich in einem exil besäuft

namen die der immer gleiche finger

auf einem papier verreibt das sind die dokumente

dieser zeit

    – hoffen wir es bliebe in der atemluft

ein geruch nach verbranntem –

im glas[45]

alles gläsern

sonne auf dem wasser

tau und blut

1

ich weiß ihr werdet städte aus glas bauen

mit dächem durch die das erwürgte

grinsen eurer gestirne fällt

und aus dem letzten zink geschnittne

gerüste aufstellen ähnlich diesen dingen

die sich bäume nannten –

ich wünschte es fiele in jeden eurer spiegel

ein hauch den ihr nicht zu benennen wüßtet

und nicht jene regung die euch dann aufstieße

mit der vergessnen bezeichnung neid –

in euern schlaf ein gesicht von unsrer selbstsucht

luft von der ihr nicht den namen kennt

mächtig ein glas erblinden zu machen wie

der drachenatem unsrer wilden seelen –

2

ungeachtet eurer heroischen skulpturen

hinter den schaufensterscheiben eures ersatzes

von wasserfontänen die auf ihrer höhe

eingefroren scheinen

winde ich mich noch manchmal vor dem spiegel

die mir ergrauende haut betrachtend und

flechte mir eine rose ins haar –

ich weiß noch als ich jünger war als ich noch

euer sohn war wünschte ich manchmal

meine schmutzige jacke wäre aus glas

damit ihr meine schönheit sähet –

erinnerung an jene dörfer[46]

die bagger blieben die dörfer sind fort

ein dürstender der sonnen flieht und wolken

so floh aus jedem dorf der teich

    morast

schwarz aufgeschlagen lag am wege

ein durst von lila fliegenschwärmen flog

ein durst von stäubender zerstampfter kohle über wiesen

ein blättergras von wildem rotem rost blühte von hängen

mir war der abend nah

    trockene gewitter

scheiterten in hellen himmeln

    unfarben ein

verstörtes mittagslicht in fremdes feld geworfen

mir war der abend nah

    mir wollte schlaf nicht nahn

schon nächtelang

gerüche warn in mir erstickt und brannten

geruch von arbeit fertig und vertan

der dörfer teichgerüche zogen mich in tagebaue

der dörfer dasein war in mir verworren und gespalten

die feuerluft

    der tage war der flammenschatten jener nächte

glutsinne flammennerven bauten

verflogner mauern spiegelungen auf

die dörfer fort die bagger

blieben wittern faulen

    langsam in die erde

die erde ebnet sich

    die dunkle krone

treibt den dorn die schattennamen

spalten sich

    erinnerung stieß durst

in meinen leib und warf mich in den wahn

des abends der den kopf mir rollt

    geflohnen teichen hin

wo straßen schienen schlaflos früher jahre

steigt die vision von wassern die das frührot spaltet

glühend in meiner seele langen sommern.

verhüllung[47]

noch immer sage ich die gleichen worte

noch immer fasse ich nichts kann ich nicht halten

was so unsäglich vorüberzieht

    ich senke ich hebe

die stimme winke mit beiden händen wie wild

während rings in dünsten von flammen geht aller

entfesselter phosphor des abends und manchmal

lautlose grelle ungeheuer stehn in mir auf

ich suche den sommer in der dunklen diktion

meiner worte und heiß fällt der abend

herab

    von blutigen horizonten

fällt abend und läuft mir davon

schon all die jahre seit meine mutter

sommers gewaltsam zur welt

mich brachte

    und mich nicht frug

und nun möcht ich heller

scheinen o daß ein lichterer dämmer nocheinmal

den abend zurückversenkt in seines ursprungs

sommer wasser und traum

    sand kommt

ich sehe ihn nicht wie er nachts mich zu füllen beginnt

mit dem geknirsch einer durstigen zukunft

und die verschlafenen flächen sind träume

ertrunken in gras und wasser und nacht

und ich bin verschmäht und ströme im dunkel

fluten und schneiden die flüssigen schatten der bäume

geheimnisse ziehen fließendes licht

– o verhüllt

von blendung fallsucht und tod – ist dies

meiner jahre geheimnis – jahre sind ungeheuer

ein fassungsloses jagen weicht

nicht von mir

    während worte mich hinraffen

geht sommer um sommer vorüber

verschwommen im abend – das blut

all mein verschrieenes blut

fällt in mein herz zurück –

versöhnliche stunde[48]

wehn von blütenstaub und kerzenrauch

langes

    nachtönen der luft deren lied

den docht von der flamme gelöst hat

warten

    auf wohlgerüche die längst hier sind

während die sinne schon schwinden: o schwaches

atmen von der nacht erwärmt und morgen

wird sich weite steppe

vor dem fenster dehnen dies weiß ich

während hier die dunkle drohung der alten möbel

sich zu verwandeln wahr wird –

    ach gute tiere

– lieg ich auf dem teppich der nacht

in versöhnlicher ohnmacht und morgen

seh ich längst erfaßt von grünen flammen

die dochte im jasmin –

ach fürchtet euch nicht

geliebte wölfe die ihr euch lagert im schatten

meiner mauer: ein süßer rausch

von schlaf und schwäche

    hat mich

den menschen

    umfangen –

o schwaches atmen noch – hauch

der besänftigend und schwächer die zähne und füße

der hungrigen vielbeinigen möbel die zurück

in die steppe wollen zurückhält –

dementi[49]

einmal wähnt es jeder wohnlich

sein glück oder unglück

jeder geht schlafen

    jeder

auch der verwirrte der lahme der stumme

jeder kennt die tägliche mathematik der stunden

und jeder vergißt sie

    aber keiner weiß

vom immer unabwendbarer wechselnden

gang der gestirne in seiner genauigkeit

doch keiner kann ihn vergessen

niemand (nicht der am geringsten beschädigte)

wüßte ein wort welches sagte wie

ein unabwendbares sich zum wahnsinn steigert

– schattenwerk eingebildet an der wand

stäbe und gitter eingebildete krücken

helfen uns in den schlaf

indes vor dem haus des nachts durch das laub

der bäume ein lautloses geschehen geht

phosphorglanz

    sinkend

ein letztes rasches

    anglühen ausglimmen –

sanftes räuspern später stunde in der wanduhr

lichtblaues geläute tropft zu boden

gesprüh von funken auf der diele –

interieur eines traums[50]

du mein gedächtnis tödlich getroffen

von der flucht eines zimmers vor türen

die zeit –

(roter lehnstuhl rotes sofa

halb vom nußbaumtisch geglitten die

seekarte auf ihr das kartenbesteck der

kompaß ein leerer vogelkäfig

    schief steht

das gesamte zimmer und richtet sichs auf

schwingen leise stöhnend die fensterflügel zu

verrückte pflanzen sind vor dem fenster

heraufgewachsen

    duftfäden

falsche weihrauchfäden ziehen im raum

durch den leib meines traums

der schlafend umgeht

(nach der vollendeten meuterei

in der unordnung die mit plötzlicher freiheit

einherkommt erstarrt das blut im weißen

zu boden gerissenen tischtuch dunkelt erbittert

erbrochener rotwein

    o dieser rollende schlafgesang

der dünung dieser räuberisch süße

alkohol im gehirn

    und im ohr der wirbel

des unbewachten steuerruders –

schlafe ich oder schläft

mein schatten wird man uns wecken

vorm tode

    verdammtes gedächtnis erinnern

erfahren das sterben im traum –

verlassener raum

    vor den türen

in kreisen geht die zeit.

spiegel und säge[51]

interieurs.

sand fault unterm haus

und die bäume seufzen vor nässe

chaos. in den spiegeln die

spiegel reißen vor schmerz splitternd

brechen viele bäume. gräßliche zähne

märz. fratze voll moder

und mord. raum für die wurzeln der wasser

zwei texte[52]

sonnenader. hirnharte hausung

erdwarme langmut des

lebens

    schreckwurzel

die blute. ruhiges wort sichel-

förmig fünf schritte weit

langes leben. an chlebnikow[53]

flucht falterheller sommerluft

ihr todesmohn verrät des südens gruft

duftloses o

    der farben redezwang

o leben so lang

o lesola

    so lern das lied vom langen leben

saale-licht[54]

stille hangend fallen friedensmüden

nahe schlafen vorgewitter

    flug violetter schau

ins grüne wasser regnen helle sonnenblüten

– waffen träumt dies licht o toter ritter

trugferner burgen wuchs im schleierblau

beschreibung[55]

ein

baum

im delta des wassers

schattensturm überm urstromtal über

der geladenen lichtwand

stein

der im blitz erschrockenen flüsse

und feuer das den baum zurück

schlug in die wurzeln

schatten-medien beschreiben

die sucht nach der form des feuers

in der strömenden wasser erscheinung

in baum und rauch in der typografie

ursprung und zusammensetzung[56]

mein gehirn war eine alge

lichtgrüner

trennender schmerz in früher wasserzeit

steine schliffen sich hohl

an ihr der sand zerstörter steine

auf dem erhellten grunde ging er ohne schmerzen

versandend

eine nesselscharfe alge

war mein gehirn das sich zerschnitt in zellen

die nahrung zogen aus zersprungener

sonne die am ufer schwamm und in die höhe wuchs

flaschenpost[57]

postum kam die botschaft des unglücks auf mich –

flaschenpost geschwommen durch alle vergangenheit

die kalte grüne flasche

zerplatzt an meiner stirn wenn es zeit ist jedes jahr:

wie lange schon habe ich getrunken