Die Völkerwanderung: Band 1, Teil 1 - Hermann Lingg - E-Book

Die Völkerwanderung: Band 1, Teil 1 E-Book

Hermann Lingg

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Beschreibung

Die Völkerwanderung von Hermann Lingg ist ein Nachdruck der Originalfassung in 3 Bänden (1866-1868). Die Völkerwanderung: Band 1, Teil 1 umfasst: Prolog. Erster Gesang. Die Gothen an der Donau. Zweiter Gesang. Das Abendland. Dritter Gesang. Götterdämmerung.

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Die Völkerwanderung: Band 1, Teil 1

Die Völkerwanderung: Band 1, Teil 1Prolog.Erster Gesang. Die Gothen an der Donau.Zweiter Gesang. Das Abendland.Dritter Gesang. Götterdämmerung.Impressum

Die Völkerwanderung: Band 1, Teil 1

Autor: Hermann Lingg

Nachdruck der Originalfassung (1866-1868, erschienen im Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung, Stuttgart)

Prolog.

Wach auf aus deinem süßen Friedensschlafe,  Entsteige deinem Melodienborn,  Du Königin der Strophen, auf, Oktave!  Gürt um dein Schwert, stoß in dein gold'nes Horn!  Auf daß ich deine Feinde Lügen strafe,  Leg' in dein schönes Angesicht den Zorn,  Wirf deine seid'ne Lockenfluth, enthülle  Im stolzen Gang des Südens Formenfülle!

Zerstörte Tempel, umgestürzte Säulen,  Schlachtfelder von Erschlagenen bedeckt;  Verheerte Länder, nur von Schakalheulen  Aus wüster Einsamkeit emporgeschreckt,  Palläste, nun durchrauscht vom Flug der Eulen,  Seestädte, die kein Schifferruf mehr weckt,  Entnervte Völker, zuckend in Verblutung,  Erdbeben, Hunger, Pest und Ueberfluthung;

Jahrhundert langes Frevelthun gezüchtigt,  Kein Blüthethal, kein Leben unverschont;  Glorreiche Thaten, Namen schwer berüchtigt,  Verbrechen mit Verbrechen abgelohnt;  Wie Meteore Reich um Reich verflüchtigt,  Unsterbliche wie Sterbliche entthront;  Zwei Welten sich im Kampf entgegenbrausend,  Ein sterbend' und ein werdendes Jahrtausend.

Entroll' die Fluth der Völkerwanderungen!  Sie riß den Erdkreis von der Kette frei,  Mit welcher Rom die Völker hielt umschlungen;  Doch mit der Kette riß zugleich entzwei,  Was in Jahrhunderten der Geist errungen.  In Trugverkünd'gung, Nacht und Barbarei  Erschien bis auf den letzten bleichen Funken,  Die alte Freiheit und Cultur versunken.

Nie, seit in unversehrter Frühlingsgrüne  Auf jedes Menschenweh mit Jubelschall  Die Erde Antwort gibt, trug ihre Bühne  Ein Trauerspiel, wie jenen Donnerfall  Des alten Roms – nie floß mehr Blut der Sühne,  Und nie, so lang die Menschheit stürmt' im All,  Den Himmel fleh'nd mit Hilfruf und Verfluchung,  Bestand ihr Genius größere Versuchung.

Von jenen Stürmen, die sich längst gelegt,  Wir hören's noch wie ferne Brandung rollen;  Und der auch uns den Völkerkrieg erregt,  Wir hören rings den dumpfen Donner grollen.  Mit Kampflust ringt die Furcht, und tief bewegt,  Erschließt die Gegenwart in ahnungsvollen  Gefühlen sich dem kommenden Verhängniß,  Wie sich der Blüthenkelch dem Lichtempfängniß.

Denn wir auch fragen, ob es uns erreiche,  Daß jenem ausgestorb'nen Lebensstrom,  Daß jener alten Welt einst unsre gleiche?  Schon einmal drohten Hunnen unserm Dom!  Weissagung wohnt im Schutt der alten Reiche,  Wie sibyllinisch blickt Athen und Rom!  Herolde der Nothwendigkeit entsteigen  Aus ihrem Grab mit ernsten Fingerzeigen.

In Indien wächst ein Baum aus Lavaklüften,  Vor welchem scheu die Schlange selbst entweicht.  Der Vogel fällt getödtet aus den Lüften,  Wenn ihn der Zweige Blüthenhauch erreicht;  Zu Boden sinkt, vergiftet von den Düften,  Der Tiger, wenn er hier nach Beute schleicht,  Und beide deckt, den Räuber sammt dem Raube,  Der Todesbaum mit seinem dunklen Laube.

Ein stolzrer Baum ist Rom dereinst gewesen!  Kein Geist der Freiheit schwang sich hoch genug;  Es kam aus allen Völkern auserlesen  Jahrhundert lang ein langer Sklavenzug,  Um unter seinem Gifthauch zu verwesen;  Selbst als des Nordens Schwert den Stamm zerschlug,  Sank noch wie oft die Kraft der Heldenglieder,  Vergiftet von den schon gestürzten nieder.

Die Menschheit sah erschreckt zum Rande jäher  Und tiefer Abgrund-Nacht sich hin entrückt,  Und fühlte sich im Geiste nah und näher  Dem Grab, und wie vom Grabeshauch erdrückt.  Uralte Weisheit, Träume der Chaldäer.  Vom Baum der Mystik gierig abgepflückt,  Verhüllten mit geheimnißvollen Ranken  Der müden Welt die letzten Qualgedanken.

Der Norden aber warf die hellen Garben  In diese Nacht voll düst'rem Dämmerlicht,  Und brachte seine Kraft und seine Narben  Zum Opfer dar dem großen Weltgericht,  In dem als Helden ganze Völker starben;  Ein jüngster Tag, wo vor dem Angesicht  Des Ew'gen sie, damit sie Sühne nahmen,  Von überall herangezogen kamen.

Schon blühte längst der Weinstock, wo gestritten  Der Cimber und Teuton die Todesschlach't,  Wo Ariovist den Rhonestrom durchritten,  Bis fern zur Donau hielten Römer Wacht.  Rom selbst nur sank, erkrankt in seinen Sitten;  Denn seiner Freiheit Helden, von der Macht  Des allgemeinen Abfalls überfluthet,  Die großen Seelen hatten ausgeblutet.

Und nun begann, gesättigt von Exilen,  Augustus mit vollkomm'ner Meisterschaft  Den Tag der Götter im Olymp zu spielen,  Und nach dem Ruhm von Kunst und Wissenschaft,  Jedoch mit stumpfen Pfeilen nur, zu zielen;  Denn jede Kraft im Innern war erschlafft;  Es ließen ohne Widerstand die Schemen  Der einst'gen Freiheit sich gefangen nehmen.

Und wirklich war bald Aller Sinn und Hoffen  Auf Ihn, als auf den Einzigen gewandt;  Man sah, was man geahnt, war eingetroffen,  Und hielt selbst die Erinnerung verbannt,  Zerrüttet zwar, ergab man sich doch offen  Dem neuen Zustand, den man anerkannt,  Dem unbestritt'nen Herrn des Erdenrundes,  Und jedem Wort und Zucken seines Mundes.

Wo gluthdurchhaucht mit Palmen Mauretanien  Des alten Atlas mythisch Haupt umkränzt,  Vom rauhen Britenstrand bis wo Campanien,  Der Meeresländer Aphrodite glänzt,  Vom Fuß des Libanon bis Lusitanien,  Von Wüsten hier und dort von Schnee begrenzt,  Erstreckte sich, bewacht und stark befestigt,  Sein Herrschgebiet, von Feinden kaum belästigt.

Rom selbst stand da, geschmückt mit allen Kronen,  Und übertraf an Herrlichkeit noch weit  Den Glanz der alten Stadt der Pharaonen.  Die stolzen Säulen der Unsterblichkeit,  Die Statuen der Götter und Dämonen,  Die Tempel flammten in der Dunkelheit,  Entflammten jedes Herz zur Lust und nährten  Der Feste Rausch, die jeden Wunsch gewährten.

Unzählig war die Menge der Gebäude;  Belebt von immer neuem Müßiggang  Die Stätten des Genusses jeder Freude,  Die Gärten voll von Leben und Gesang,  Die öffentlichen Hallen für Getreide,  Und ungeheuer war der Menschendrang,  Ein Sprachgemisch von allen Nationen,  Ein Chaos von Gestalten aller Zonen.

Kein Boden gab, es floß kein Quell so spärlich,  Er trug für Rom doch beide Hände voll,  Kein Meer schien, keine Ferne zu gefährlich,  Zu räub'risch kein Tribut, zu hoch kein Zoll,  Wenn nur der Stadt nie satten Wölfen jährlich  Der Nil aus seinen reichen Ufern quoll,  Wenn nur das tausendköpf'ge Thier sich füllte  Und nicht zu laut am Thor des Cäsars brüllte.

Aus allen Meeren in die große Küche  Entluden die Galeeren ihre Fracht;  Aufstöhnten aller Inseln Marmorbrüche,  Erz floß für Rom aus jedem Felsenschacht;  Zur gold'nen Decke dampften Wohlgerüche  Von den umschwelgten Tischen Tag und Nacht;  Und Tag und Nacht erfüllten sich mit Schwärmen  Die Räume der Theater und der Thermen.

Auf einmal trübt des Glückes Glanz ein Schatten;  Als wie ein böser Stern die Kunde kam,  Daß in Germanien dem Volk der Katten  Ein römisch Heer erlag, da furchte Scham  Das Angesicht von Livia's stolzem Gatten,  Im Goldpokal ein Tropfen bitt'rer Gram;  Erschüttert hörten des Pallastes Hallen;  Des Varus Legionen sind gefallen.

Hart dröhnten durch der Tempel Marmorböden  Die schweren Speere vom Cherusker-Hain,  Trotz Lied und Saitenspiel des Citharöden  Schlich eine tiefe Bangigkeit sich ein –  Augustus aber sah sein Haus veröden  Im höchsten Alter, kränkelnd und allein,  Und wie sein Reich und sein Besitz vollkommen  Am letzten Ziel des Lebens angekommen.

Das düst're Bild der inneren Zerstörung,  Tiber, empfing den schwer gedrückten Staat.  Mit ihm begann das Zittern vor Verschwörung,  Das Schleichen, und der Name Hochverrats  Und an den Grenzen lauert die Empörung;  Hohnlachend stößt er von sich den Senat,  Mit kalter Ruhe mordet er die Seinen  Und Alle, die ihm noch gefährlich scheinen.

Im Osten ragt ein Kreuz emporgerichtet,  Am Kreuz des Menschen Sohn. Die Erde bebt,  Sie fühlt, die Macht des Todes ist vernichtet.  In Ewigkeit wird leben, wer ihm lebt.  Ein Strahl vom Himmel hat die Nacht gelichtet,  Und über Allem siegesreich erhebt  Der Glaube sich an einen Welterlöser;  Erhöhter steht der Mensch, die Gottheit größer.

Verfinstert ward der Tag, und tönend sprangen  Die Gräber auf, als sich geneigt sein Haupt;  Entsetzen faßt das Volk und reuig' Bangen;  Ja selbst Pilatus, wenn er auch nicht glaubt,  Fühlt tiefes Mitleid, und er ruft befangen:  »Erstanden ist er, sagt ihr, nein, geraubt  Hat man den Leichnam nur von seiner Stätte;  O daß man nicht sein Blut vergossen hätte!«

Die Pharisäer in den Synagogen  Zerrißen ihr Gewand und schrieen; »Wer  Vertheidigt ihn? – Er hat das Volk betrogen,  Er hat den Tod verdient und dreimal mehr!«  Doch aus dem Thore stürzt wie Sturm in Wogen  Verzweiflungsvoll ein Greiser – Ahasver:  »Du wolltest Ihm die kurze Rast nicht gönnen,  Nicht ruhen sollst du, sollst nicht sterben können!«

Tiber vernahm noch nichts von jenem Tage,  Trotz alldem aber drang ein Dämmerschein  Des Lichts in seine finst're Brust, das Zage  In seinem Stolz, die bangen Träumerei'n  Inmitten der Triumphe, der Gelage,  Sie zeigten seine tiefe Seelenpein.  Sie hießen ihn mit ahnungsvollem Beugen  Und unbewußt von einem Höhern zeugen.

Es wurde wahr, woran die Jünger glaubten:  Zerbrechen müsse bald das starre Band  Der alten Welt; man wagte zu behaupten,  Die Erde sei für Alle Vaterland –  Auch für die Aermsten, für die ganz Beraubten.  Die Saat der wunderbaren Lehre fand  Bald tiefen Grund in all' den jugendstarken  Bewegten Völkern an der Zukunft Marken.

Und weiter rollten die Erschütterungen  In Asien, an der Donau und am Rhein,  Es kam Germanicus noch vorgedrungen  Zum Grab des Varus im Cheruskerhain.  Von Wehmuth und von tiefem Schmerz bezwungen,  Erblickt sein Heer das bleichende Gebein  Der hier Gefallenen, der Erschlag'nen Knochen,  Die Stelle noch, wo Varus sich erstochen.

Da lagen noch die Waffen; halb Gerippe  Die Leichen, bald zerstreut, bald aufgehäuft,  Des Trotzes Zug noch auf erstarrter Lippe.  Wohin man die Gefangenen geschleift,  Da lag der Wölfe Mahl noch an der Klippe;  Doch wenn durch's Thal der Nebelflug gestreift,  Da, mit dem Jagdspeer auf dem Leichenfelde  Erblickten sie den Schatten der Thusnelde.

Wohl bebten da die stolzen Weltbekrieger,  Die Letzten, die der Wölfin Kraft gesäugt,  Die Sieger, die am Euphrat, Nil und Niger  Die Allmacht ihres Waffenruhms bezeugt,  Und eilten nach dem Rhein, obwohl schon Sieger.  Es hatte ja Segestes sich gebeugt,  Erschlagen lag Armin im Vaterlande,  Und Marbod aß das fremde Brod der Schande.

Tiber indeß beschließt sein müdes Leben;  Caligula! Still, still, der Cäsar naht!  »Der Himmel wollt' euch nur ein Gastmahl geben;  Erstick' in Rosen, kriechender Senat!«  Chäreas Dolch erreicht ihn, als ihm eben  Ein cynisch Wort entfuhr. Nach dieser That,  Der Vorzeit werth, folgt auf den altersschwachen,  Blödsinn'gen Claudius das Haupt der Drachen.

Und nicht mehr enden will das Wuthgelächter,  So hoch warf die empörte Fluth den Schaum  Bis um den Nacken sieggekrönter Schlächter,  Der Toga Purpur einen neuen Saum.  Weh über euch, des Menschenrechts Verächter!  Schon tönen unter eurem wüsten Traum  Des Siegers Hymnen, aus der Gruft blühn Palmen,  Und durch's Gebrüll der Löwen jauchzen Psalmen.

Gewaltig in der Größe der Verbrechen  Nie durch des Unglücks Weihe, stolz und groß,  O sieh' da, die Matronen, von den frechen  Hetären weggedrängt. Die, deren Schooß  Den Scorpion getragen, hör' sie sprechen:  Um Agrippina schwebt das Todesloos.  »Die Sklavin schwört bei Neros trunknen Küssen,  Er werde noch die Mutter tödten müssen.«

Des Mondes Licht, die Wellen überbreitend,  Beglänzte Bajäs Bucht, da zog heran  Ein Prachtschiff Nero's, leicht die Fluth durchgleitend,  In stiller Mitternacht die feuchte Bahn;  Auf Polstern sanft der Lyra Klang begleitend  Begann ein wechselnder Gesang im Kahn,  Der Tempel Säulen schimmerten von ferne,  Still war das Meer, der Himmel voller Sterne.

Noch war das Boot nicht weit ins Meer gedrungen,  Als plötzlich das Verdeck zusammenbrach,  Durch eine Last von Erzen eingezwungen.  Und mit hinunter sank das Schiffsgemach.  Des Muttermörders Anschlag schien gelungen;  Doch Agrippina rang sich allgemach,  Vom Einsturz zwar verletzt, auf einem Brette  Mit Schwimmen ans Gestad durchs Wogenbette.

Betäubt von Angst, erschöpft von ihrer Wunde,  Erreichte sie ihr Landgut, bleich von Qual;  Die Mörder kamen nach – Aus welchem Grunde  Kommt ihr? – Weil Nero deinen Tod befahl. –  Sie lächelte mit dem erblaßten Munde,  Die Seele ging schon in des Hades Thal;  »So stoßt denn zu, kommt ihr den Leib zu morden,  In dem das Ungeheuer groß geworden.«

Und weiter mordete der Unversöhnte,  In Allem wüthend wie im eig'nen Haus.  Rom stand in Flammen. – Nero sang und höhnte:  Ans Kreuz die Christen! – Rache kam. – Voraus  Ging Gallien – es sterbe der Gekrönte!  Und endlich schloßen ihn die Väter aus,  Nun schrie das Volk, den Würger zu entthronen,  Und nun empörten sich die Legionen.

Noch war nicht halbe Mitternacht vorüber,