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Die Völkerwanderung von Hermann Lingg ist ein Nachdruck der Originalfassung in 3 Bänden (1866-1868). Die Völkerwanderung: Band 1, Teil 3 umfasst: Achter Gesang. Die rothen Ostern. Neunter Gesang. Eroberung Roms. Zehnter Gesang. Athaulf und Placidia.
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Seitenzahl: 82
Autor: Hermann Lingg
Nachdruck der Originalfassung (1866-1868, erschienen im Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung, Stuttgart)
Es kam die Zeit der ersten Frühlingsfeier, Da mit gebroch'nem Eis die Strömung geht, Und alles Gold auf ihren holden Freier Verschwenderisch die junge Sonne sä't; Da Berg und Thäler hüllt ein Nebelschleier Tiefblauen Duft's; ihr jubelnd Frühgebet Die Lerche singt, ins Grün die Knospen brechen, Und »Ostern wird es« – zu einander sprechen.
Um jene Zeit stand in Liguriens Gauen, Mit Zweigen aus dem Myrthenhain geschmückt, Ein gothisch Lager, – ringsum Blüthen, Auen, Paniere von der Blumen Last gedrückt. Die Sonne stund allein im Himmelblauen, Und wie vom schönsten Friedensfest entzückt, War Beten ringsumher und heilig Schweigen; – Nur Nachtigallen schlugen in den Zweigen.
Ein alter Tempel stund noch da, die Töne Des neuen Glaubens hallten ernst und fromm, Da knieten Ulfilas' gelockte Söhne, Und Einer sprach zum Andern: »Bruder komm! Daß uns das hohe Liebesmahl versöhne, Wie segnend dort die Sonne rein erglomm! Daß unsrem Arm der Ew'ge Kraft verleihe, Und unsre Seelen von der Schuld befreie.«
So feierte der Gothen Volk, – indessen Ward vor dem Kaiser Roms und im Senat Ein Vorschlag laut, so schmählich als vermessen; Mehr als der Muth, wog arge List im Rath: »Wenn sorglos, aller Kampfesmüh' vergessen, Der Gothe Festtag hält, glückt uns die That! Wir fällen dann den Feind beim Mahl der Brode, Das werden Ostertage – blutigrothe.«
»Niemals,« rief Stelico, »führt meine Rechte Dazu das Schwert!« Da rief ein Mann: »ich thu's!« Saul war es, aus alanischem Geschlechte; »Hei!« – ruft er, schon im Bügel mit dem Fuß, – »Wir sind gewissenlose Söldnerknechte, Man grüßt uns nie mit einem andern Gruß. Erlieg' ich, spreche Goth' und Römer: Amen! – Eßt euer Lamm, ich schlacht' in eurem Namen!«
Er führet nun, ein düst'rer Makkabäer, Die Legionen an, und als die Nacht Sich neigt, da melden ausgesandte Späher: »Im Lager wird der Freude nur gedacht.« Lautlos rückt vor das Heer, und immer näher Erschallt des Festes Lärm. »Jetzt in die Schlacht!« In raschem Lauf, mit wildem Mordgeschreie, Erstürmen sie die nächste Lagerreihe.
Die Feuer, die noch kaum um Lustberauschte Aufflammten, leuchten jetzt dem Wurfgeschoß, Dem Bogen und dem Pfeil, – der Becher tauschte Den Wein mit Blut, – und dorthin stampft das Roß, Wo kaum vorher des Sängers Harfe rauschte. Der Tod bricht Augen, die der Schlummer schloß; Manch Haupt sinkt auf die Brust erbleichend nieder, Und taumelnd flieht des Lebens Kraft die Glieder.
Bestürzt erblickt der Gothe sich umrungen, Voll Zornes ob der Feigen Hinterlist, Im Augenblick ist Schild und Speer geschwungen, Und donnernd hallt's: »Hilf, auferstandner Christ!« Von, höchster Gluth fühlt sich ihr Herz durchdrungen, Und Alarich mit kühnem Blick ermißt Des Ueberfalls nur schlecht verhüllte Schwäche, Und drängt vom Wall die Römer nach der Fläche.
Jetzt sprengt aus seiner Heerschaar der Alane, »Ha!« ruft er aus, »es ward von uns gesagt, Als hielten wir nicht treu zur Adlerfahne, Doch deß hat man uns fälschlich angeklagt! – Sieh Rom, daß ich mit meinem Leib dir bahne Den Weg zum Sieg!« Nach diesen Worten jagt Der Kühne in den Feind, zum Tod entschlossen, Und fällt, und wird zerstampft von ihren Rossen.
Verwirrt vom Fall des tapfern Führers, wandte Der Reitertrupp, der ihm gefolgt, erschreckt Sich in die Flucht. Ihr Fliehen überrannte Die Legion, die ihren Angriff deckt. Schon wankt und wich auch Die, doch bald ermannte Die Krieger hier und dort ein Ruf, und weckt Den alten Muth; es wird das Wort vernommen: »Steht! Stelico wird uns zu Hülfe kommen!«
Als noch des Chaos letzte Feuer brannten, Durch die der letzte Sturm der Urwelt ging, Wenn damals auf den Mammuthelephanten Die Schlange schoß und ringelnd ihn umfing, Wie sich die Flügel auseinander spannten, Daran das Gift in schweren Tropfen hing, Und sich das Ungethüm zur Wehre setzte, Dumpf brüllend, stampfend, und die Hauer wetzte:
So stoßen mit Gestampf der Heere Flanken, Und fassen sich an beiden Hörnern an, Entrollte Fahnen, Speere sonder Wanken Und Schwerter brechen ihre blut'ge Bahn. Schon wich die Nacht, und ihre Schatten sanken. Die Schlacht, die mit des Morgens erstem Nah'n Zu ruhen schien, wird wieder angefeuert, Und Angriff und Verteidigung erneuert.
Es werden Waffen, die zu Boden liegen Und Waffen Todter wieder aufgerafft; Schon sieht man wieder Pfeil auf Pfeile fliegen, Zur Kolbe wird des Speers zerbrochner Schaft; Die Fahne weht, auf's neu dem Staub entstiegen, Und der Verwundete fühlt neue Kraft. Die Fliehenden ergänzen ihre Reihe, Mit frischem Muth, mit stärk'rem Schlachtgeschreie.
Wo vor ihm her die Adlerbanner fliegen, Ist Stelico, er sprach: »Es ist fürwahr Auch Rom ein leeres Grab, aus dem gestiegen Der Heiland, und es dünkt mir sonderbar: Daß ich dabei noch wachen soll und siegen.« Doch schon erblitzt sein Schwert, und Schaar an Schaar Erblickt er schon im Kampf, und aller Orten Ruft ihn die Feldherrnpflicht zu That und Worten.
Da mitten in dem Treffen ziehn die Gothen, Und stolz und langsam von des Tages Glück, In ihre Lager sich mit ihren Todten, Und fort, und bis zur Adria zurück. Wie hocherfreut sieht Rom die Siegesboten! Honorius selbst, mit freudetrunknem Blick, Die Pferde des Triumphs am weißen Zügel, Begrüßt mit Stelico die sieben Hügel.
»O Rom!« – war seine Rede – »alle Sorgen, Die dich bedrückt, entfernten wir von dir; Du bist nun wieder eine Welt; – die Morgen Gehören wieder uns, – der Sieg ist hier! Nicht mehr die Furcht, die uns so lang verborgen Und niederhielt. Nun aber siegten wir: Rom wagt es endlich wieder zu genießen, Die Thore seiner Burgen aufzuschließen!«
»Heil Retter!« gab zur Antwort in dem Schweigen Der Säulen des Triumphs, die Tiberstadt. Es sprach's die graue Vorzeit, mit dem Zeigen Der abgebrochnen Hand; und jedes Blatt Des Lorbeerbaums in den entweihten Zweigen Sprach's flüsternd nach, der Schmeichelreden satt, Womit man längst nach schmacherkauftem Frieden Den Sieger pries, der klug die Schlacht vermieden.
Im Traum von solchem Glück verflossen Tage Voll frohem Lärm bei Fest und Fröhlichkeit, Die Dämmerung sank über Festgelage, Und hüllte den Palast in Dunkelheit. Der Themis ehern Bild mit Schwert und Wage, Und eines Herkules im Löwenstreit, Erhob sich an des Thores hohem Bogen, Die Hallen tönten laut von Menschenwogen.
Und in die Gärten brachte man Trophäen, Gefangne Gothen führte man durchs Thor; Sie schreiten stumm, und ihre Blicke spähen Mit finstrem Trotz entlang den Corridor. Aus dem Gewühl der gaffenden Pygmäen, Wie ragen sie gewaltig hoch empor! So schreiten sie vorbei dem Marmorsaale, Wo Stelico noch saß beim Siegesmahle.
Allmählig hatten von den Gästen alle, Die letzten sich entfernt, ein matter Schein Der Candelaber fiel noch in die Halle, An seiner Tafel saß der Held allein. Da war's, als ob ein Helm, ein Panzer falle Aus den Trophä'n, und sieh' da – hochherein Ragt jetzt ein Haupt und ragen Schultern, breite Von Einem, der aus Banden sich befreite.
Es war von den Gefangnen, von den Riesen Ein Gothe, der den Namen Sarus trug; Er trat auf einen Schild und sprach: »Von diesen Trotzt meinen Hieben keiner stark genug.« »Du hast's,« fuhr Stelico empor, »bewiesen. – Was willst du?« »Daß uns Römerwaffe schlug,« Rief jener, »wähnt die Welt!« »Und Zeugen,« Sprach Stelico, »seid ihr, – ihr müßt euch beugen.«
»Hast du,« fuhr der Barbar nun fort, – »vergessen Ein Volk, das dich als kleines Kind gehegt? Wir haben einst denselben Weg durchmessen, Und mit einander manchen Feind erlegt. Ich bin an deiner Lagerstatt gesessen, Und hab' in deinen Wunden dich gepflegt; Nun seh' ich dich im Schmuck der Römerkrieger, Im höchsten Glück, als unsres Volks Besieger.«
Und Stelico entgegnet: »Ich verlache Wie damals noch des Ruhmes Eitelkeit, Doch knüpft' ich mein Geschick an Rom, das schwache, Weil Dankbarkeit und Ehrfurcht mir gebeut. Dir will ich anvertrauen meine Wache, Mich zu beschützen sei dein Arm bereit. Bedenke, daß ein Stein, wie jäh er rolle, Zuletzt gehemmt sich sieht durch eine Scholle.«
Da schwang aus den Trophä'n ein Schwert der Gothe: »Warum denn, statt Gefangne hier zu sein, Bedecken wir die Wahlstatt nicht als Todte! Nur dir ergaben wir uns, dir allein!« »Wie denn, erschien ich euch ein Gnadenbote?« Frug Stelico, – »noch war der Sieg nicht mein, Als ich erstaunt, nicht kann ich es verhehlen, Den Alarich zum Rückzug sah befehlen.
Ich staunt' ob diesem, wie ob jenem Zeichen Von einer unerklärten Furcht. Fürwahr, Daß uns sobald die tapfren Gothen weichen, Das war ich nicht gewöhnt!« »Auch würd' uns gar Zur Schmach nicht, was ich sagen kann, gereichen; Wenn du mich hören wolltest.« »Wunderbar!« Rief Stelico, »doch da nun schon die Säle Das Morgengraun erhellt, wohlan – erzähle!«
»Nachdem,« – hub Sarus an, »von uns erkoren, Die Königswürde Alarich gewann, Und Istrien dem Griechen ging verloren, Da hieß er auch Illyriens Tyrann. Der Friede kam, der Friede ward beschworen, Und bald darauf erschien in unserm Bann, Ein andrer Gothenstamm mit seinen Frauen, Und ward uns eingereiht in allen Gauen.
Athaulf, ihr Herzog, ward von uns empfangen Mit vieler Feste lautem Zeitvertreib, Denn mit ihm kam im Schmuck und stolzen Prangen, Die ihm Verwandte war, ein schönes Weib. Von ihrem Reiz ward Alarich gefangen, Vom süßen Blick, vom minniglichen Leib. – Die Hochzeit ward gefeiert, Krongepränge Dabei, und Chorschall griechischer Gesänge.
Von nun an, statt dem Volke zu gewinnen Der neuen Heimath Sich'rung und Bebau, War auf Erobrung nur bedacht des Königs Sinnen, Gespornt vom Uebermuth der stolzen Frau. Zu öd erschienen ihr die grauen Zinnen Der Gothenburg, die Berge rings zu rauh, Und so beschloß man Krieg euch anzukünden, Und über Rom ein eignes Reich zu gründen.
Es nahten sich die weißgelockten Alten Des ganzen Volks, in Luchs- und Bärenhaut Gekleidete, um mit ihm Rath zu halten, Bedeckt von Narben und im Krieg ergraut.