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Die Völkerwanderung von Hermann Lingg ist ein Nachdruck der Originalfassung in 3 Bänden (1866-1868). Die Völkerwanderung: Band 1, Teil 2 umfasst: Vierter Gesang. Audogar und Sigune. Fünfter Gesang. Die griechische Insel. Sechster Gesang Gesang. Das Opfer. Siebenter Gesang. Alarich und Stelico.
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Seitenzahl: 95
Autor: Hermann Lingg
Nachdruck der Originalfassung (1866-1868, erschienen im Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung, Stuttgart)
Zurückgekehrt indeß und froh empfangen War in Ausonius Haus zu jener Zeit Sein Pflegekind in schönstem Jugend prangen, Voll ernster Anmuth, strenger Lieblichkeit, Und wieder wie vordem nun lasen, sangen Und schrieben sie, und wieder war geweiht Den Musen jeder Tag, sie sahn und hörten Die Stürme nicht, die Alles rings zerstörten.
Am höchsten ehrten sie Virgils Gedichte: »O welch ein Geist voll edler Reinheit weht Aus jedem seiner Worte! Ganz im Lichte Von Himmelshöhen ragt er, ein Prophet. Hier ruhn,« sprach oft Ausonius, »Gesichte Von einer Welt, die erst nach uns entsteht, Von einer menschlich sanften, reinen Sitte, Die Gottes Liebe trägt in ihrer Mitte.
Der Fabeln Traumreich ist dem Tag erlegen, Und wir sind Grund und Boden für die Saat, Und nur bestimmt der Zukunft Keim zu hegen. Ein anderes Geschlecht entsprießt zur That, Das Volk, von dem du stammst, erfährt den Segen; Wenn seine Kraft bisher auch nur zertrat, Gleich einer Taube mit dem Schneegefieder Auf blutgetränkte Felder schwebt es nieder.
Bist du doch selbst ein Vorbild uns geworden Von jener Menschheit bessrem Zukunftsbild. Ich seh' durch jenes rauhe Wehn von Norden Gereinigter die Luft und das Gefild. Lehr' Einfachheit das Beispiel jener Horden, Und ihre Wildheit sei der starke Schild Der Tugenden, die zwischen Zelt und Rossen Wie Heideblumen frisch und duftig sprossen.«
Begeistert sprach's der Greis, erlöschend baute Sein Geist noch aus dem Schutt der alten Welt Die Hoffnung einer neuen, sterbend schaute Sein Blick ins Künft'ge noch, von Trost erhellt. Und als er nicht mehr war, als seine Laute Verstummt war an dem Strom, der sie geschwellt, Wie öde stund jetzt vor Sigunes Trauer Der Villa Glanz, wie düster jede Mauer!
Betrübten Herzens saß sie gramversunken An seines Grabmals Stufen einst allein, Sah glitzern auf dem Fluß des Sonnlichts Funken, Und lehnte weinend an dem Marmorstein; Auf einmal scholl es wild und siegestrunken Rings um sie her, und plötzlich auf sie ein Drang eine Schaar von Frau'n, gewalt'ge Weiber, In Felle eingehüllt die ries'gen Leiber.
Ein Angstgefühl in ihrem Innern sagte Ihr deutlich an, daß sie Gefangne sei, Und als sie sich ergriffen sah, sie wagte Kein Widerstehn und keinen Hülfeschrei – Der Weiber eine, die vor allen ragte, Riß ihr vom Hals das Kreuz und brach's entzwei, Warf ihr ein Wolfsfell um, und zog die Bange Mit fort und nach dem Strom in raschem Gange.
Am Ufer stund im Kahn zum Uebersetzen Ein Ferge langgelockt mit rothem Bart. Sigune sah zurück und Thränen netzen Ihr Angesicht, als sie den Rauch gewahrt, Der aus der Villa drang, und voll Entsetzen Das Haus in Flammen schaut, die ihrer Fahrt Zu leuchten scheinen, oder nachzurollen Bald wie mit Grüßen, bald als wie mit Grollen.
Doch weiter flog der Kahn, vom Strom umbrandet, Die Höhn entflohen fern in Rauch und Brand. Von dannen ging's, sobald man angelandet, Zu Roß und Wagen über Hügelland, Bis wo der Rheinstrom an sein Ufer brandet. Hierauf umfing sie Wald, der Tag entschwand Und durch der Tannen dunkelgrüne Feuchte Schien oben mitzuziehn des Mondes Leuchte.
Zuweilen war es ihr, als säh' sie neben Und vor sich her und über ihr dahin Gestalten wehn, und Luftgebilde schweben; Wenn eine Lichtung in dem Wald erschien, Bekam die dunkle Gegend ringsum Leben; Sie sah ein Heer an sich vorüberziehn, Gepanzerte, und Andre, aufgebunden Das Haupthaar, und gefolgt von großen Hunden.
Zuletzt, und nahe jetzt dem Ziel der Reise Erschien ein lichter Raum; der Wald umgab Ein freies Feld und hier im Schattenkreise Uralter Bäume lag ein offnes Grab, Davor ein Steinaltar, und eine Greise Saß auf den Stufen, einen Runenstab In ihrer Hand, und schien nur zu gewahren Die Zeichen, die darein geschnitten waren.
Von mächtigem Getös – bald Waffenklirren, Bald murmelnder Gesang – erscholl der Hain, Sigune ließ die Blicke zagend irren, Und als sie nun genaht dem Opferstein, Da sah sie sich ihr dunkles Loos entwirren. »Zum Tode,« sprach sie, »ja so wird es sein!« Auf einer von den alten Linden ruhte Ihr Blick – wie ward ihr wunderbar zu Muthe!
War's nicht der Baum, ach, unter dessen Zweigen Ihr Jugenddasein einst so schön verfloß. Lang starrt sie hin, und endlich löst das Schweigen Ein Wort, das aus der Seele tiefstem Schooß Hervorbrach, wo nur ihr allein es eigen Und schlummernd lag und alles in sich schloß, Was treue Stimmen dort sich anvertrauten; Ein Wort, in ihrer Muttersprache Lauten.
»Ach Hertha!« rief voll sehnlichem Verlangen Die Arme, hob ihr bleiches Haupt empor, Und Thränen rannen über ihre Wangen, Dann sank sie brechend wie ein zartes Rohr Und wie entseelt zur Erde. Jetzt erklangen Schlachthörner durch den Wald, und stolz hervor Kam Arbogast gerüstet und inmitten Erles'ner Krieger, zum Altar geritten.
»Nicht, daß ihr Blut den Göttern sei vergossen, Gab ich zurück die Tochter eures Gau's Dem Volk, aus dem ihr edler Stamm entsprossen. Wenn auch verödet liegt ihr Heimathhaus, Und todt ist, was sie liebend dort umschlossen. Sie leb' und herrsche!« – »Fort! und sprich nicht aus. Weh!« riefen die Druiden, »hört es Raben, Die Götter sollen nicht ihr Opfer haben!
Nach ihr verlangt, erfüllend unsre Schwüre, Der Götter und des Volkes alter Bund; Nach ihr, die uns entfremdet ward. Es führe Der Tod sie heim, und öffne tief im Grund Zur Heimath ihr die langverschlossne Thüre!« – Sie riefen es, und vor dem Feldherrn stund Sein eignes Heer mit vorgehaltnen Speeren, Um ihm Sigunens Rettung zu verwehren.
Doch als jetzt hob sein Steinbeil der Druide, Erschien der Hertha Priesterin, umschlang Sigunen, nahm sie auf und sprach: »Ich friede, Ich wehre Blut von Herthas Segensgang. Es klingt zu mir aus einem fernen Liede Die Sage von der Götter Untergang. Dieß aber wird geschehen, wenn auf Erden Verrath und Mord und Meineid herrschen werden.
Verschwistert ist dieß Mädchen unsrem Blute, Ein grauser Mord wär' ihre Opferung. Den Göttern aber helft mit eurem Muthe Ihr Kämpen hier, so stark und heldenjung!« Sie sprach's und die in ihrem Arme ruhte, Umfing sie rasch, und hob mit starkem Schwung Sie neben sich und in den heil'gen Wagen, Auf dem die Göttin Hertha ward getragen.
Als auf jetzt stunden ihre weißen Kühe, Die goldgehörnten, und zum Waldesschooß Die Sonne schien in heller Morgenfrühe, Durchzitternd Laub und Gras und grünes Moos, Da war es jedem Blick als ob erblühe Ein Feiertag der Erde wolkenlos – Wie jener erste war, der nieder streute Den Strom des Lichts, in dem sich Alles freute.
»Heil Hertha dir und deinem Segenspfade!« – Begrüßte sie das Volk – »du weihst den Pflug, Du lehrst am Rocken, und du füllst die Lade Mit Leinen; Feldern schenkst du Frucht genug. Du fährst, es geht dein Schiff auf einem Rade, Und Elfen sind um dich bei deinem Zug. Du hast das Kind, das wieder heimgekommen, Zu dir in deinen frommen Schutz genommen.«
Sein schäumend Roß ritt Arbogast zur Seite Des Wagens und begann; »Behütet mir Die Maid, denn kehr' ich heim dereinst vom Streite, So wird sie mein. Auf dieser Stelle hier Will ich sie frei'n, wo Hertha sie befreite; Für dunkles Laub wird ihrer Locken Zier Ein Schmuck von Rosen sein; ihr Dienerinnen Der Göttin, mögt indeß ihr Brautkleid spinnen.«
Hersausend durch den Wald, rief ihn von dannen Geschwungner Banner Wehn und Hörnerklang. Vorüber schritt sein Heerzug, Alemannen, Burgunden, Sueven; alle Höhn entlang. Mit großen Schilden Reiter vor Gespannen, Mit Eichenlaub geschmückt beim Schlachtgesang. Doch fern indeß war über Feld und Wogen In Berge Herthas Wagen fortgezogen.
Und zu dem Felsenheiligthum geleitet Sprach zu Sigunen ihre Retterin; »Hier endlich ist ein Schutzort dir bereitet Vor deinen Feinden, deren wilder Sinn Nicht Milde kennt, wie der, der für sie streitet.« Sie hielt, indem sie sprach, voll Mitleid inn' – Den Arm um ihres Schützlings Nacken schlingend, Und diese sprach, mit ihren Thränen ringend:
»Ich sollte freilich nicht den Tag beweinen, Der mich nach Jahren wieder heimgebracht, Um mich beinah den Todten zu vereinen. Mein ist ja nur was ruht in Grabesnacht, Doch solltest du als Engel mir erscheinen! Denn meines Bruders hatt' ich noch gedacht, Deß Lebenszeit wohl noch hienieden dauert, Der mein gedenkt und mich vielleicht betrauert.«
»Gerettet hat dich Höh'rer Macht und Wille. Entfremdet zwar, bist doch ihr Kind auch du! Nun komm mit mir, es lade dich die Stille, Die dieses Haus umwebt, zu sanfter Ruh.« So sprach zu ihr die nordische Sibylle Und führte sie dem weichen Lager zu, In laubumwachs'ner Grotte. Dort um beide Schlang bald sich süßer Schlaf nach all dem Leide.
Sigunen aber trug auf leisen Flügeln Der Traum hinweg und ließ sie ferne schaun In einem Thal, umgrenzt von Tannenhügeln, Zwei Heere sich beim ersten Dämmergraun Zum Kampf begegnen mit verhängten Zügeln. Dabei von Kriegesmühn und Sonne braun Erschien auch Audogar vor vielen Schaaren, Die alle seinem Wink gehorsam waren.
Nach einer Schlacht, der letzten von den vielen, Worin mit Völkern aus der halben Welt Zwei Herrscher um den Thron der Erde spielen, Bis in des Einen Hand die Kugel fällt, Und Hand und Haupt des Gegenkaisers fielen. Nach solcher grimmen Schlacht sah vor dem Zelt Des Theodosius man Wache halten, Den Stilico und Alarich, den Balten.
Es war die Nacht nach schwerer Niederlage, Für Theodosius die längste Nacht; Erlegen war sein Heer an diesem Tage Eugens und Arbogasts vereinter Macht. Doch, daß nicht all der Seinen Muth verzage, So war sein ganzes Herz darauf bedacht Womit er würdig lohn' der Gothen Treue, Und wie er Tags darauf die Schlacht erneue.
Es glitt das Bild der jüngstvergangnen Zeiten Vor seinem schlummerlosen Geist dahin, Als unbemerkt von ihm, mit leisem Schreiten Ein Mann in sklavischem Gewand erschien. Er suchte scheu den Blick auf sich zu leiten, Und Theodosius rief; »Bist du's, Rufin?« »O Herr,« sprach der, »vom Feinde wider Hoffen Sind Friedensanerbieten eingetroffen.«
Er sah sich um, behutsam näher rückend, Und flüsternd fuhr er fort: »Es ist Eugen, Du weißt – ein Römer, und er fühlt wie drückend Die Hülfe der Barbaren ist; sie stehn – Die Einen hier, und deine Reihen schmückend, Die Andern dort, und leicht läßt sich ersehn, Daß ihr sie müßt sich gegenseitig fassen Und sich einander selbst vernichten lassen.
Auf welche Seite sich der Sieg dann neige, Das Größte wird erreicht – wir werden los Sie, die allein, glaub' meinem Fingerzeige, Roms wahre Feinde sind.« Doch ernst und groß Sprach Theodosius: »Sieh da, der Feige, Obwohl der Tag mit seinem Siege schloß, So will er dennoch gegen alle Pflichten Das Volk, das ihm den Sieg errang – vernichten.
»Bedenk' es wohl« – erwiederte der Schlaue – »Der Feind, der heute noch großmüthig ist, Entbietet dir den Frieden.« – »Ich vertraue Dem Kreuze,« sprach der Kaiser, »als ein Christ. Indem ich Das auf meinen Fahnen schaue, Erfüllt mich's mit der Zuversicht, daß List Und Untreu fallen muß, dagegen Treue Und Opfermuth den höchsten Sieg erneue.«
»Wann hielten uns doch Treue die Barbaren?« Versetzte rasch Rufin; »ich glaube nie.« »Es war« – sprach Theodosius – »vor Jahren, Als ich der Gothen Flehn Erhörung lieh, Als sie von meinem Schwert bezwungen waren, Und ich die Fehden gegen uns verzieh'; Athanarich, der nun dahin gegangen,