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Die Völkerwanderung von Hermann Lingg ist ein Nachdruck der Originalfassung in 3 Bänden (1866-1868). Die Völkerwanderung: Band 3, Teil 1 umfasst: Erster Gesang. Klodwig und die Franken. Zweiter Gesang. Ein goldenes Zeitalter. Dritter Gesang. Die Eiche von Ravenna.
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Seitenzahl: 79
Autor: Hermann Lingg
Nachdruck der Originalfassung (1866-1868, erschienen im Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung, Stuttgart)
Erschrecklich ist das Meer, das schauervolle, Mit falschen Augen blickt's den Himmel an, Als ob es tückisch ihn verschlingen wolle, Das Meer ist selber ein Leviathan; Die Blüthen seiner unfruchtbaren Scholle Sind Schaum, und seine Seele der Orkan, Doch wird sein wild und schrankenlos Gefluthe Beherrscht nur von der Freiheit und dem Muthe.
Es kam ein Volk, dem Meere schien's entsprossen, So furchtlos und so schrecklich und so kühn Den Rhein herauf durch Gallien ausgegossen, Wie Sturmfluth über Fels und nackte Dün', Das Stierhaupt statt des Helms, auf hohen Rossen, Mit hellen Augen, die von Kriegslust sprühn, Ihr höchster Stolz, ein langes Haar zu tragen, Und eine Streitaxt, um den Feind zu schlagen.
So ziehen sie heran, vor ihrem Namen Erbebte schon seit lang das Römerreich, Denn immer war, wohin sie siegreich kamen, Der Schrecken ihr Geleit, da sie zugleich Besitz vom Land und von den Leuten nahmen, Und beide trafen mit demselben Streich. – Jetzt jauchzen sie, sie sehen sich beschieden Das alte Land, das Gallien der Druiden.
Wie ungeheuer dehnen sich die Forste, Wie dicht verschlungen ihrer Wipfel Zier, Da hauset noch im himmelhohen Horste Der Adler nimmersatte Raubbegier, Da pfercht der Keuler mit der grimmen Borste, Und an der Tanne schürft das Elennthier Und riesig stehn auch da uralte Eichen, An denen Zweig' und Wurzeln sich erreichen.
Da durch bricht jetzt – ist's Jagd, ist's eins der Feste Des alten Roms – ein Luperkalienzug. Das Cymbal weckt den Raben aus dem Neste, Die Flöte scheucht der Eule schweren Flug. – Im Ernst der Waldnacht welche bunten Gäste? Beim Trotz der Waffen, die da jeder trug, Wild flatternd Haar und los Gewand und Springen, Und Tanz und Lustgesang und Kränzeschwingen.
So zieht in sein erobert Land, so reitet Der König Childerich einher, sein Gang Ist blutig, aber überall begleitet Von Schwank und Mummenschanz und Hörnerklang; Indeß er Brand und Raub umher verbreitet, Geht nach Gelag und Liebeslust sein Hang, Und nicht nur gilt's den Töchtern der Besiegten, Auch denen seiner Franken, die sich schmiegten.
»Halt! König, halt! für deine Lust' entweihe Die Sklavin eines Römers, du Tyrann, Nicht eines Franken Tochter, oder freie, Und nimm sie dir zum Weib!« Es rief's ein Mann, Und riß ein Mädchen aus des Zuges Reihe. »Wer wagt sich das in meinem Königsbann?« – Rief Childerich, »ah du! mein Schwertgenosse, Mein Freund? Hinweg, zurück aus meinem Trosse!«
Er ruft's und droht, doch jener hält umschlungen Die Schwester fest und kühn an sich gedrückt, Und hundert Freunde sind ihm beigesprungen; Auf Childerich ist jedes Schwert gezückt, Die Furcht ist weg, die alles sonst bezwungen, Das Königsansehn, das ihn sonst geschmückt, Er fühlt's beschämt; Verführer, Lüstling wettert Ein Fluch ihm nach, der vollends ihn zerschmettert.
Und Nachts darauf in banger Flüchtlingsscheue Irrt durch den Wald dahin der stolze Mann; Ist's Furcht, die ihn so bleich macht oder Reue, Wankt so sein Fuß verstrickt in Acht und Bann? Er flieht und steht, und lauscht und flieht aufs Neue, Und greift ans Schwert, das ihn nicht schützen kann; Verrätherisch noch schmückt, er denkt's erschrocken, Ein Goldreif ihn und wallend Haar in Locken.
Ermüdet sinkt er hin, und tiefer nachtet Der Wald umher. Da durch's Gebüsche bricht Ein Mann hervor, der schmerzlich ihn betrachtet, Und als er aufspringt, ruhig zu ihm spricht: »Ich bin's, ich, den so wenig du geachtet, Daß du verletzt an ihm die Freundespflicht, Du raubtest mir die Schwester, sie zu schwächen; Doch dich jetzt retten will ich, nicht mich rächen.
Aus Furcht, daß dich die Wüthenden erschlügen, Bewirkt' ich deine Flucht, ja flieh' und nimm Von diesem Ring – ich brach ihn ohne Trügen – Die Hälfte. Sühn' ich deiner Franken Grimm, Send' ich, daß beide sich zusammenfügen, Die andre dir, dann steht es nicht mehr schlimm, Dann kehr' zurück!« Sprach's Winomad, der Treue, Und Childerich fuhr auf in bittrer Reue.
»O!« rief er aus, und hielt in Schmerz verloren Des Freundes Hand mit seiner Hand gefaßt; »O über euch, ihr Tage eines Thoren, Jetzt seh' ich's ein, ich ward mit Recht gehaßt! Leb wohl und halte mir, was du geschworen; Ich gehe nun, um als ein trüber Gast, Wohin ich kommen mag, abseits zu stehen, Auf jeden Glücklichen mit Neid zu sehen.« –
In Thüringen saß damals auf dem Throne Ein grauer König und sein jung Gemahl, Sie hätte gern hinweggeschenkt die Krone, Als sie zuerst den Fremdling sah beim Mahl, Doch Childerich sann nicht nach anderm Lohne, Und dacht', als sie kredenzte den Pokal, Nur darauf, wie es sich zu Hause wende, Und Elend und Verbannung nähm' ein Ende.
Zur Seite ritt er ihr in mancher Stunde, Und höchstens daß er eine Blume brach, Und ihr sie gab, jedoch mit stummem Munde, Auch wenn sie ihm ein Wort des Dankes sprach, Denn Andres lag in seines Herzens Grunde; Der Weichling ward ein Tapfrer nach und nach, Ein Edler ward aus einem harten Dränger, Ein Eifriger aus einem Müßiggänger.
Im achten Jahr war's, daß er außer Landes, Da schrieb von Haus ihm sein getreuer Mann, Wohl eingedenk des alten Treuepfandes, Daß sich von ihm gelöst des Hasses Bann; »Vorüber ist die Zeit des Widerstandes, Hier ist, woraus dein Blick erschauen kann, Daß ich besänftigt hab' den Zorn der Deinen, Die Stücke Goldes werden sich vereinen.«
Und wirklich, weil indeß das Volk verziehen, So ward ihm, als er wieder heimgekehrt, Sein Reich und seine Würde neu verliehen. Er herrschte mit dem Freund nun hochgeehrt, Man sah sie beide vor dem Heere ziehen, Sie wohnten beide an demselben Heerd, An einem Tisch, aus einem Becher tranken Die beiden heil'gen Könige der Franken.
Sie sprachen Recht, und saßen zu Gerichte Auf zweien Thronen unter einem Baum, Und eines Tages spät beim Dämmerlichte Trat in des Königs Hallen, in den Raum Vor seines Hauses Thoren eine schlichte Und arm Gekleidete, und kennbar kaum, Und bleiche Lippen sprachen mit Ermatten: »Ich bin's, der Tod zerriß das Band der Gatten.
Ich bin's, o Childerich,« und staunend fragte Der König, als er sie erkannte, »sprich! Wie kommt's, daß Thürings Königin es wagte So weit allein zu gehn, was führte dich Aus solcher Ferne her zu uns?« Sie sagte: »Weil ich geliebt dich habe, Childerich, Und noch dich liebe – meine Thränen werben, Laß mich bei dir nun leben oder sterben.«
Auf dieses Wort schlug hoch in Liebesfeuer Sein Herz empor, so bot er ihr die Hand – »Weißt du, warum du mir so lieb und theuer, Und kennst du,« sprach sie, »auch das Zauberband? Weißt du, daß einst ein Meeresungeheuer Die Mutter deines Vaters überwand? – So lang die Wogen auf und niedergehen Wird dir kein Weib auf Erden widerstehen.«
Dann nach der Hochzeit sprach sie: »Nicht berühre Mich eher, als der Strahl des Morgens tagt, Und du geschritten bist vor unsre Thüre, Und was du draußen sahest, mir gesagt.« »Du scheinst,« sprach Childerich, »so viel ich spüre, Von jenen Frauen, die man Künft'ges fragt?« – Er sah sie groß an, schritt dann durch die Pforte Und kam erstaunt zurück mit diesem Worte:
»Ich schaute vor der Thür' in Sternenhelle Gewaltige Thiere wandeln, grimme Leu'n, Und wilde Pardel, auch Einhörner schnelle, Und ihrer Kraft und Schönheit sich erfreu'n.« – »Geh!« sagte sie, »noch einmal vor die Schwelle, Und was du jetzt sahst, laß dich nicht gereu'n; Dein Erstgeborner wird so stark auf Erden Und mächtig, wie ein Leu und Einhorn werden.«
Er ging, und dießmal sah er Wölf' und Bären. »Was die bedeuten,« sprach sie, »werd' ich dir, Sobald es tagt, und eher nicht erklären. Geh noch einmal und was du sahst, sag mir.« – »Ich muß dir's,« sagte Childerich, »gewähren.« Und dießmal sah er Hunde und Gethier Von klein'rer Art und Gattung, die sich bissen Und gegenseitig sich vor Wuth zerrissen.
Es war ein Anblick, der sein Herz erschreckte, Er trat zurück, und fand im Schlafgemach Die Königin entschlummert – doch er weckte Sie nicht, eh hell hervor der Morgen brach. Da hielt sie ihn umfangen, und entdeckte Die Deutung des Gesichts, indem sie sprach: »Die Wölf' und Bären sind von deinem Sohne Die Söhn', und die sind Räuber fremder Throne.
Dann kommt ein niedriges Geschlecht, und feige Und schlechte Sprossen trägt der Stamm zuletzt, Die kleinen Thiere sind das Volk, die Zweige, Das ihr zum Tödten aufeinanderhetzt, Und das sich so zerfleischt.« – »O schweige, schweige!« Rief Childerich, und eilte tiefentsetzt Von ihr hinweg, und suchte bald in Kriegen Den Eindruck dieser Grau'nnacht zu besiegen. –
Sein Söhnchen Klodwig lag noch in der Wiege, Als man zu Soissons gesenkt ins Grab Den Leichnam Childerichs nach manchem Siege, Im Panzerkleid, und um den Lanzenstab Die Fahne, die der König trug im Kriege. Und all sein Gold gab man ihm mit hinab. In seinen Waffen und mit Opfergaben Ward eingemauert sein Gebein begraben.
Manch' Jahr verging. In schmuckem Jagdgewande Ritt Klodwig einst im Forst auf Eberwild, Da kam er bis zum Grenzstein seiner Lande, Bis zu der Römer Mark. Ein reich Gefild Voll Rebenhöh'n an eines Flusses Strande Lag da vor ihm, der Freude lachend Bild, Belebt vom Schwarm der Winzer in den Gängen, Voll von Gejauchz und munteren Gesängen.
Er hält erstaunt, er hemmt des Pferdes Zügel, Indeß von seiner Meute fortgehetzt, Durch Heck' und Zaun in Heerden und Geflügel