Die vollständige Edda des Snorri Sturluson - Harry Eilenstein - E-Book

Die vollständige Edda des Snorri Sturluson E-Book

Harry Eilenstein

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Beschreibung

Die Reihe Die achtzigbändige Reihe „Die Götter der Germanen“ stellt die Gottheiten und jeden Aspekt der Religion der Germanen anhand der schriftlichen Überlieferung und der archäologischen Funde detailliert dar. Dabei wird zu jeder Gottheit und zu jedem Thema außer den germischen Quellen auch die Zusammenhänge zu den anderen indogermanischen Religionen dargestellt und, wenn möglich, deren Wurzeln in der Jungsteinzeit und Altsteinzeit. Baneben werden auch jeweils Möglichkeiten gezeigt, was eine solche alte Religion für die heutige Zeit bedeuten kann – schließlich ist eine Religion zu einem großen Teil stets der Versuch, die Welt und die Möglichkeit der Menschen in ihr zu beschreiben Das Buch Die um ca. 1220 n.Chr. von Snorri Sturluson verfaßte "Edda" ist das grundlegende Werk über die germanische Mythologie. Es erscheint in diesem Band das erste mal vollständig übersetzt: 1. Prolog - Snorris Erläuterungen zu der damaligen christlichen Interpretation der religiösen Vorstellungen der "Heiden" sowie die Erläuterung seines Vorgehens beim Verfassen seines Buches; 2. Gylfaginning: Übersicht über die Mythen der Germanen; 3. Skaldskaparmal: Übersicht über die poetischen Umschreibungen ("Meeres-Ross" für Schiff u.ä.); 4. Thulur: Listen der verschiedenen Namen für Götter, Waffen, Tiere u.ä.; 5. Hattatal: ausführliche Erläuterung von 100 verschiedenen Strophenformen; 6. Skaldatal: Liste der damals wichtigen Skalden.

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für Snorri Sturluson,

ohne den wir sehr viel weniger

über die Religion der Germanen wüßten

Bücher von Harry Eilenstein:

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Von innerer Fülle zu äußerem Gedeihen (

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Das Beziehungsmandala (

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Physik und Magie (

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Inhaltsverzeichnis

I Snorri Sturlusons Prolog zu Edda

II

 

1. Ergänzung: Snorri Sturlusons Prolog zur Heimskringla

III Gylfis Vision

IV Fortsetzung des Prologs

V

 

2. Ergänzung: die ersten 13 Kapitel der Heimskringla

VI Skaldskaparmal

VII Nafnathulur

VII Hattatal

IX Skaldatal

I Prolog zur Edda1

I 1. Die Entfaltung des Flusses des Geistes Gottes2

Am Anfang erschuf der allmächtige Gott Himmel und Erde und alle Dinge in ihnen; und zuletzt zwei Menschen: Adam und Eva, von denen alle Völker abstammen. Und ihre Nachkommen vermehrten sich und verteilten sich über die ganze Erde.3

Als aber die Zeit verging, wurden die Völker unterschiedlich in ihre Art: einige waren gut und rechtgläubig; viele aber strebten nach den Lüsten der Welt und wichen von Gottes Geboten ab. Deshalb ertränkte Gott die Welt und alle Lebewesen in einer riesigen Flut des Meeres außer Noah in seiner Arche. In Noahs Flut überlebten acht Menschen, die anschließend die Erde wieder bevölkerten und alle Völker stammen von ihnen ab.4

Und es geschah wieder wie zuvor: Als die Erde voller Menschen und von vielen bewohnt war, begannen die meisten der Menschen wieder Gier, Reichtum und weltlichen Ruhm zu lieben, aber die Verehrung Gottes zu vernachlässigen. Nun wurde es wieder so schlimm, daß sie nicht einmal mehr über Gott sprachen – und wer könnte dann noch seinen Söhnen von den Wundern Gottes berichten?

So geschah es, daß sie Gottes Namen vergaßen und in der gesamten Welt gab es nicht mehr einen einzigen Menschen, der noch in irgendeiner Sache die Spur seines Schöpfers hätte erkennen können. Gott gab ihnen dennoch die Geschenke der Erde: Reichtum und Glück und die Welt zu ihrem Vergnügen. Er vermehrte ihre Weisheit, sodaß sie alle irdischen Dinge verstehen konnten und auch jede Bewegung von allem, was sie auch immer in der Luft und auf der Erde erblicken mochten.

Über ein Ding wunderten sie sich und dachten darüber nach: Was mochte es wohl bedeuten, daß sich die Erde und die Tiere und die Vögel in mancher Hinsicht glichen, aber sich trotzdem in ihrer Lebensweise unterschieden. Darin glich sich ihr Wesen: Wenn man auf den hohen Berggipfeln grub, findet man schnell Wasser und man muß dafür nicht länger graben als in den tiefen Tälern. So ist es auch mit den Tieren und den Vögeln: Es ist gleichweit für das Blut in den Kopf und in die Füße. Eine weitere Eigenschaft der Erde ist es, daß in jedem Jahr Gras und Blumen auf der Erde wachsen und in demselben Jahr alles Gewachsene wieder vergeht und verwelkt. Mit den Tieren und Vögeln ist es ebenso: Haare und Federn wachsen jedes Jahr und fallen wieder aus. Dies ist das dritte Merkmal des Wesens der Erde: Wenn man sie öffnet und aufgräbt, wächst das Gras sofort wieder auf dem Boden, der als oberstes auf der Erde liegt.5

Die Felsen und Steine verglichen sie den Zähnen und den Knochen der Lebewesen.6 So erkannten sie, daß die Erde lebendig war und auf ihre Weise Leben hatte, und sie begriffen, daß sie unglaublich alt an Jahren und mächtig in ihrer Art sein mußte: Sie ernährte alles, das lebt, und sie nahm alles zu sich, das stirbt. Daher gaben sie ihr einen Namen und führten ihre vielen Generationen auf sie zurück.

Außerdem erkannten sie dasselbe von ihren alten Verwandten: Viele Hundert Jahre wurden gezählt, in der die Erde dieselbe gewesen ist und auch die Sonne und die Sterne am Himmel; aber ihre Bahnen waren verschieden – einige hatten längere und andere kürzere Wege.

Aus Dingen wie diesen entstand der Gedanke, daß es einen Lenker der Sterne geben könnte: jemanden, der ihre Bahnen nach seinem Willen fügte – und daß dieser sehr stark und voller Macht sein mußte. Auch dies hielten sie für wahr: Wenn er die Dinge der Schöpfung lenkte, dann mußte er bereits vor den Sternen da gewesen sein; und wenn er die Bahnen der Himmelskörper bestimmte, mußte er auch das Leuchten der Sonne beherrschen und den Tau der Luft und die Früchte der Erde und alles, was auf ihr wächst; und auf dieselbe Weise die Winde der Luft und die Stürme des Meeres.

Sie wußten jedoch noch nicht, wo sein Königreich war, aber dies glaubten sie: daß er alle Dinge auf der Erde und im Himmel beherrschte, auch die großen Sterne im Himmel und die Winde des Meeres. Nicht nur, um über all dies richtig sprechen zu können, sondern auch, um es in ihrer Erinnerung festigen zu können, gaben sie allen Dingen aus ihrem eigenen Geist heraus Namen. Dieser Glaube, dem sie anhingen, hat sich in vieler Weise verändert, als die Völker sich voneinander entfernten und ihre Sprachen unterschiedlich wurden.

Aber sie erkannten all diese Dinge nur mit der Weisheit der Erde, denn das Verstehen des Geistes war nicht in ihnen. Dies war es, was sie erkannten: daß alle Dinge aus einer Essenz heraus erschaffen worden waren.

I 2. Die drei Teile der Welt

Die Welt wurde in drei Teile gegliedert: vom Süden her und sich nach Westen ausdehnend und an das Mittelmeer stoßend – dieser ganze Teil wurde Afrika genannt, dessen südlicher Teil so heiß ist, sodaß er von der Sonne vertrocknet wird.7

Der zweite Teil, der sich von Westen nach Norden erstreckt und an den Ozean grenzt, wird Europa oder Enea genannt; sein nördlicher Teil ist so kalt, daß kein Gras auf ihm wächst und kein Mensch dort wohnt.8

Vom Norden hinab wird der östliche Teil bis ganz hinab in den Süden Asien genannt. In diesem Bereich der Welt ist alles von Schönheit und Stolz erfüllt und von den Früchten des Wachstums der Erde: Gold und Edelsteine. Dort ist auch die Mitte der Erde; und so wie auch das Land in jeder Hinsicht lieblicher und besser ist als an anderen Orten, so sind auch die Söhne der Menschen dort reicher mit allen guten Dingen gesegnet: mit Weisheit und Stärke des Leibes und allen Arten des Wissens.9

I 3. Die Männer von Troja

In der Nähe der Mitte der Erde wurde die beste aller Heimatstädte und Schutzorte errichtet, die Troja genannt wurde, das wir heute Türkenland nennen.10 Dieser Ort war in einer sehr viel prachtvolleren Weise erbaut worden als alle anderen und in vielerlei Hinsicht mit mehr handwerklichem Geschick errichtet worden – sowohl was den Luxus als auch den Reichtum betrifft, der dort in Überfülle vorhanden war.

Dort gab es zwölf Königtümer und einen Hochkönig und zu jedem Königreich gehörten viele Länder; in der Festung waren zwölf Anführer. Diese Anführer standen in jedem Aspekt der Mannhaftigkeit weit über allen anderen Männern, die jemals in der Welt gewesen sind.

Einer der Könige unter ihnen wurde Munon oder Mennon11 genannt; er war mit der Tochter des Hochkönigs Priam12 verheiratet – mit der, die Troan13 genannt wurde. Sie hatten ein Kind mit dem Namen Tror, den wir Thor nennen.

Er wurde in Thrakien14 von einem gewissen Kriegsfürsten mit dem Namen Loricus15 aufgezogen. Als er jedoch zehn Winter alt war, nahm er die Waffen seines Vaters an sich.

Er war so schön anzusehen, wenn er inmitten anderer Männer war, wie Elfenbein, das in Eichenholz eingelegt worden ist, und sein Haar war strahlender als Gold.16

Als er zwölf Winter alt war, hatte er das volle Maß seiner Kraft erreicht; da konnte er ohne Mühe zehn Bärenfelle17 auf einmal von der Erde aufheben.

Und er erschlug den Fürsten Loricus, seinen eigenen Pflegevater, und zusammen mit ihm seine Pflegemutter Lora oder Glora18 und machte Thrakien, das wir Thrudheim19 nennen, zu seinem eigenen Reich.20

Danach zog Thor fern und weit durch die Lande und suchte jeden Ort auf der Erde auf und überwand ganz alleine alle Berserker und Riesen und einen Drachen, den größten aller Drachen, sowie viele Ungeheuer.21

In der Nordhälfte seines Reiches fand er die Prophetin, die Sibil genannt wird und die wir Sif nennen, und heiratete sie.

Über den Stammbaum der Sif kann ich nichts berichten; sie war die schönste aller Frauen und ihr Haar war wie Gold.22

Ihr Sohn war Loridi, der seinem Vater glich23; dessen Sohn war Einridi24, dessen Sohn Vingethor25, dessen Sohn Vingener26, dessen Sohn Moda27, dessen Sohn Magi28, dessen Sohn Seskef, dessen Sohn Bedvig, dessen Sohn Athra (den wir Annar nennen)29, dessen Sohn Itermann, dessen Sohn Heremod, dessen Sohn Skjaldun (den wir Skjöld nennen)30, dessen Sohn Bjaf (den wir Bjarr nennen), dessen Sohn Jat, dessen Sohn Gudolfr, dessen Sohn Finn, dessen Sohn Friallaf (den wir Fridleifr nennen), dessen Sohn war der, der Voden genannt wird, den wir Odin nennen31: Er war ein Mann, der weit bekannt war für seine Weisheit und alle seine Vollkommenheiten. Seine Frau war Frigida, die wir Frigg nennen.

I 4. Odins Reise nach Norden in seine Heimat

Odin hatte das Zweite Gesicht und ebenso seine Frau32 und durch ihr Vorherwissen wußte er, daß sein Name in den nördlichen Teilen der Welt bekannt werden würde und berühmter als der Ruhm eines jeden anderen Königs werden sollte. Daher bereitete er sich auf seine Reise aus dem Türkenland fort vor und wurde von einer großen Schar von Leuten begleitet, junge Leute und alte, Männer und Frauen; und sie nahmen viele kostbare Güter mit sich.

Und wohin sie auch immer durch die Länder der Erde zogen, wurden viele wunderbare Dinge über sie berichtet, sodaß man sie mehr für Götter als für Menschen hielt.33 Sie beendeten ihre Wanderung nicht, bevor sie nach Norden in das Land kamen, das heute Sachsenland genannt wird. Dort blieb Odin für eine lange Zeit und nahm alles Land weit und breit in Besitz.

In diesem Land setzte Odin drei seiner Söhne als Landwächter ein.34

Einer wurde Vegdeg genannt: er war ein mächtiger König und herrschte über Ost-Sachsenland; sein Sohn war Vitgils, dessen Sohn Vitta, Heingistrs Vater, und Sigar, der Vater des Svebdeg, den wir Svipdagr35 nennen.

Der zweite Sohn war Beldeg, den wir Baldr nennen: Er besaß das Land, das wir nun Westfalen nennen. Sein Sohn war Brandr, dessen Sohn Frjodigar (den wir Frodi nennen)36, dessen Sohn Freowin, dessen Sohn Uvigg, dessen Sohn Gevis (den wir Gave nennen).

Odins dritter Sohn war Sigi, dessen Sohn Rerir war. Diese sind die Vorväter, die über das geherrscht haben, was nun das Frankenland genannt wird; und von ihm stammt das Haus ab, das als Völsungen bekannt ist.37

Von allen diesen sind viele und große Häuser38 entsprungen.

Dann wandte sich Odin nordwärts und kam in das Land, das man Reidgothaland nennt, und in diesem Land nahm er alles in Besitz, was ihm gefiel. Er setzte über dieses Land den seiner Söhne ein, den man Skjöld nennt und dessen Sohn Fridleif war. Und von ihm stammt das Haus der Skjöldungen ab – dies sind die Könige der Dänen. Und das, was damals Reidgothaland genannt wurde, wird heute Jütland genannt.

I 5. Odin errichtet seine Heimstatt in Sigtuna

Danach zog er nach Norden, bis er in das Land kam, das Schweden genannt wird. 39 Der König dort wurde Gylfi genannt. Als der König von dem Kommen dieser Männer hörte, die Asen genannt wurden, ging er ihnen entgegen und bot ihnen an, daß Odin in seinem Land dieselbe Macht haben sollte, die er selber besaß.40

Und ihren Schritten folgte stets ein solch gutes Geschick, daß, in welchem Land sie sich auch immer aufhielten, dort Frieden und herrschte und es gute Ernten gab – und alle glaubten, daß sie dies verursachten, denn die Herrscher des Landes erkannten, daß sie anders als die anderen Männer waren, die sie gesehen hatten – sowohl an Schönheit als auch an Weisheit.41

Die Felder und die hervorragenden Ländereien an diesem Ort schienen Odin sehr schön zu sein und er wählte für sich den Ort einer Stadt, die nun Sigtun42 genannt wird. Dort ernannte er Anführer in der Weise wie es in Troja üblich gewesen war; er setzte ebenso zwölf Haupt-Männer als Schicksals-Sprecher43 über die Leute, die nach den Gesetzen des Landes Recht sprachen; und er erließ alle Gesetze so wie sie zuvor in Troja gemäß den Bräuchen der Türken bestanden hatten.

Danach zog er weiter nach Norden, bis er durch das Meer aufgehalten wurde, von dem die Menschen glauben, daß es rings um alle Länder der Erde liegt; und dort setzte er seinen Sohn als König über das Königreich ein, das nun Norwegen genannt wird. Dieser König war Sämingr und die Könige von Norwegen rechnen ihre Abstammungslinie von ihm aus und dies tun auch die Jarle und die anderen mächtigen Männer, wie dies im Haleygjatal berichtet wird.

Odin hatte bei sich einen seiner Söhne, der Yngvi44 genannt wurde, der nach ihm König von Schweden wurde und von die Häuser, die von ihm abstammen, werden die Ynglinge genannt.

Die Asen nahmen Frauen aus diesem Land für sich und einige auch für ihre Söhne und diese Sippe wurde so zahlreich, sodaß sie im ganzen Sachsenland und von dort aus in der ganzen Region des Nordens ihre Sprache verbreiteten, bis die Sprache der Asen schließlich zu der Muttersprache in all diesen Ländern wurde.

Daher glauben die Menschen, daß sie anhand der Namen ihrer Vorväter, die niedergeschrieben worden sind, erkennen können, daß diese Namen zu dieser Sprache gehören und daß die Asen diese Sprache hier in diese Nordlande, nach Norwegen und nach Schweden, nach Dänemark und nach Sachenland gebracht haben. Aber in England gibt es uralte Listen von Landnamen und von Ortsnamen, von denen viele zeigen, saß sie aus einer anderen Sprache stammen als diese.45

1    Die folgenden Kommentare beschränken sich auf Verständis- und Orientierungshilfen. Die deutschen Schreibweisen der altnordischen Begriffe schwanken oft zwischen v/w und i/j, die im Altnordischen nicht oder nur ungenau unterschieden werden. Manchmal gehen auch v/w und u ineinander über.

Die Edda wurde zwischen 1220 und 1225 n.Chr. von Snorri Sturluson in Island niedergeschrieben.

2    Die Überschrift lautet vguds hug myndar". "Gud" bedeutet Gott; "hug" bedeutet "Sinn, Verstand" und ist dasselbe Wort wie dem Namen von Odins Raben Hugin; "myndar" bedeutet "Fluß". Die Schöpfung wird durch diesen Namen als ein Fluß, der aus Gottes Geist entspringt, beschrieben.

3    Snorri Sturluson hat seine Werke aus der Sicht eines Christen geschrieben, der die Geschichte und auch die Dichtkunst seiner Vorfahren für die Nachwelt aufbewahren will.

4    Die Germanen hatten auch in ihren eigenen Mythen eine solche Flut. Sie entstand durch das aus dem Urriesen Ymir nach seiner Tötung ausfließende Blut entstand, in der alle Riesen außer Bergelmir und seiner Frau starben. Die "8" war bei den Germanen die Zahl der Vollkommenheit.

5    Die hier von Snorri Sturluson beschriebenen Zusammenhänge waren im Mittelalter die geläufige christliche Ansicht über die Entstehung der nicht-christlichen Religionen.

6    Dies sind die Knochen des Urriesen Ymir.

7    Hier wird es sicherlich eine Assoziation zu dem mythologischen Muspelheim ("Feuerheim") gegeben haben.

8    Der kalte Norden entspricht dem mythologischen Niflheim ("Nebelheim").

9    Diese Gliederung der Welt war im Mittelalteralter üblich. Da die Wikinger mit ihren Drachenbooten in allen diesen Bereichen unterwegs waren, hatte diese Geographie auch eine große praktische Bedeutung für sie.

10  Snorri Sturluson war offenbar auch in den klassischen Sagen bewandert und versuchte diese mit der germanischen Tradition in Einklang zu bringen.

12  König von Troja während des Trojanischen Krieges

13  "Troan" bedeutet vermutlich einfach "Trojanerin"

14  Thraker: die nächsten Verwandten der Griechen, die im Nordosten von ihnen an der Küste des Schwarzen Meeres leben (ebenfalls Indogermanen)

15  "Loricus" ist die männliche Form zu Lora, die eine verkürzte Schreibweise von "Hlora" ist; beide Namen bedeuten "Wärme" – ein Hinweis darauf, daß Loricus der Sommergott Tyr ist, den Thor in dessen Riesengestalt (Geirröd, Hrungnir, Riesenbaumeister) erschlägt

16  Das goldene Haar ist ein Merkmal des wiedergeborenen, jungen Sonnengott-Göttervaters Tyr, an dessen Stelle Thor nach der Absetzung des Tyr getreten ist.

17  ein ausgesprochen nordisches Motiv ...

18  Aus der Wiedergeburt des Sonnengott-Göttervaters ist bei den Indogermanen schon früh die Tötung des "alten Königs" durch den "jungen König" geworden (Germanen: Odin tötet seinen Urahn Ymir; Kelten: die Götter kämpfen gegen die Fomoire-Riesen; Griechen: Zeus verbannt seinen Vater Kronos auf die Jenseitsinsel; Hethtiter: der Himmelsgott Anu wird von seinem Sohn, dem Korngott Kumarbi kastriert, der wiederum von seinem Sohn, dem Wettergott Teshshup getötet wird; Inder: Devas bekämpfen Asura-Riesen; usw.)

20  In der Skaldskaparmal werden Loricus und Lora "Vingnir" und "Hlora" genannt. Loricus-Vingnir und Hlora-Lora sind Tyr und Freya-Hel, die Thor in den späteren Mythen in der Gestalt des Tyr-Riesen und seiner Tochter erschlägt.

28  Magi ("Mächtiger"): Sohn des Thor

30  Skjöld ist sonst ein Sohn des Odin und der Gefiun; er ist der erste Dänenkönig und der Begründer des Königshauses der Skjöldungen

31  In dieser Genealogie ist Odin zu einem Nachkommen des Thor geworden.

33  Hier schließt sich Snorri Sturluson ganz der damals üblichen christlichen Interpretation der heidnischen Götter an.

34  Schon Tacitus berichtet um 100 n.Chr. von drei Brüdern, die die drei damaligen Stämme der Germanen begründet haben ( Hermionen, Ingväonen und Istväonen).

36  König Frodi ist eine Sagen-Variante des Gottes Freyr

37  Rerirs Sohn war Sigmund, dessen Sohn Sigurd (Siegfried) Drachen-Töter war.

39  Historisch gesehen verlief die Ausbreitung der Germanen von Norden nach Süden: von 1800 v.Chr. bis 750 v.Chr. siedelten die Germanen in Schweden, Dänemark und Schleswig-Holstein; zwischen 750 v.Chr. und 100 n.Chr. weiteten sie ihr Siedlungsgebiet auch auf Niedersachsen aus und in der Völkerwanderungszeit (375-568 n.Chr.) dann auf ganz Europa und Teile von Nordafrika.

40  Diesen Gylfi hat Snorri Sturluson in seiner "Gylfaginning" ("Gylfis Vision"), dem zweiten Teil der Edda, die Asen besuchen lassen, die ihm dann ihre ganzen Mythen erzählen.

41  Dies Gedeihen wurde sonst vor allem den Wanen Niörd und Freyr zugeschrieben.

42  Situna ("Sieg-Stadt") liegt 50km nördlich von Stockholm und ist zusammen mit Lund eine der beiden ältesten noch bestehenden Städte Schwedens.

44  Yngvi ist ein Beiname des Freyr; ursprünglich ist er einer der Brüder gewesen, von denen laut Tacitus die drei Ur-Stämme der Germanen abstammen (Yngvi => Ingväonen).

45  Snori Sturluson ging bei seinen Überlegungen zu der Geschichte der Germanen so wissenschaftlich vor, wie es ihm die Möglichkeiten seiner Zeit erlaubten.

1. Ergänzung:

II Snorris Einleitung zur Heimskringla46

II 1. Prolog: Über das Ynglingatal und das Haleygjatal

In diesem Buch habe ich alte Geschichten niedergeschrieben, wie ich sie von klugen Leuten habe erzählen hören – Geschichten über die Anführer, die in den Nordländern geherrscht haben und die die dänische Sprache gesprochen haben, und entsprechend dem, was mir erzählt wurde, auch über einige ihrer Familienzweige.

Einiges davon ist in alten Familien-Stammbäumen zu finden, in denen die Vorfahren der Könige und andere Personen von hoher Geburt aufgezählt werden, ein anderer Teil ist entsprechend den alten Liedern und Balladen aufgeschrieben worden, die unsere Vorväter zur ihrer Unterhaltung besaßen.

Nun, auch wenn wir nicht wissen können, wieviel Wahrheit in diesen liegt, so haben wir doch die Gewißheit, daß alte und weise Männer sie für wahr gehalten haben.47

Thjodolfr von Hvin war der Skalde des Harald Haarschön48 und er verfaßte ein Gedicht für König Rognvald Berg-Hoch, das „Ynglingatal“ genannt wird. Dieser Rognvald war ein Sohn des Olaf Speerstadt-Alf, dem Bruder des Königs Halfdan der Schwarze. In diesem Gedicht werden dreißig seiner Vorväter aufgezählt und von jedem wird der Tod und der Bestattungsort berichtet. Er beginnt mit Fjölner, dem Sohn des Yngvi-Freyr, den die Schweden noch lange nach seiner Zeit verehrten und dem sie Opfer darbrachten, und von dem die Sippe oder Familie der Ynglinger abstammt.

Eyvind Skalden-Verderber hat in einem Gedicht, das er für Jarl Hakon gedichtet hat und das „Haleygjatal“ genannt wird, ebenfalls die Vorfahren des Jarls Hakon des Großen aufgezählt. Und in ihm erwähnt er Säming, den Sohn des Yngvi-Freyr49 und auch er berichtet über den Tod und über die Bestattung von einem jeden von ihnen.

Die Leben und die Geschicke der Ynglinger-Sippe wurde nach Thjodolfs Bericht verfaßt und durch die Erzählungen von klugen Leuten ergänzt.

Was die Bestattungsriten betrifft, wird das früheste Zeitalter das Brandalter genannt, denn alle Toten wurden im Feuer verbrannt und über ihrer Asche wurden stehende Steine errichtet. Doch nachdem Freyr in einem Hügelgrab in Uppsala bestattet worden war, ließen sich viele Anführer Hügelgräber errichten, die genauso üblich wie stehende Steine als Erinnerung für ihre Verwandten wurden.50

Das Zeitalter der Hügelgräber begann in Dänemark erst so richtig, nachdem Dan der Große für sich ein Hügelgrab hatte errichten lassen und befohlen hatte, daß er nach seinem Tod in ihm mit allen seinen königlichen Insignien und seiner Rüstung, seinem Roß und dessen Sattel und Zaumzeug sowie anderen kostbaren Gütern bestattet werden solle. Viele seiner Nachkommen folgten seinem Beispiel. Aber es gab trotzdem noch lange danach auch immer noch das Verbrennen der Toten als Brauch bei den Schweden und bei den Nordmännern.

Island wurde in der Zeit besiedelt, in der Harald Haarschön König von Norwegen war.51 An Haralds Hof gab es Skalden, deren Gedichte die Leute noch heutigentags auswendig wissen – zusammen mit all den Liedern über die Könige, die seit jener Zeit in Norwegen geherrscht haben. Und wir bauen das Fundament unserer Geschichte vor allem auf den Liedern auf, die in der Gegenwart der Anführer oder ihrer Söhne gesungen wurden, und wir nehmen alles für wahr, was in derartigen Liedern über ihre Taten und Schlachten berichtet wird, denn obwohl es bei den Skalden üblich war, vor allem die zu preisen, in deren Gegenwart sie standen, hätte es doch keiner von ihnen gewagt, etwas zu erzählen, von dem alle, die es hörten, wußten, daß es unwahr und nur erfunden und keine wahre Erzählung über seine Taten war – denn daß wäre Spott und nicht Lob gewesen.

II 2. Prolog: Über den Priester Ari den Weisen

Der Priester Ari der Weise, ein Sohn des Thorgils Geller-Sohn, war der erste Mann in diesem Land, der in der nordischen Sprache Erzählungen sowohl über alte als auch über neue Ereignisse aufgeschrieben hat. Am Anfang seines Buches hat er vor allem über die ersten Siedlungen in Island geschrieben, über die Gesetze und die Herrschaft, und danach über die Gesetzes-Männer und wie lange jeder von ihnen das Gesetz vorgetragen hat.

Er zählte die Jahre zunächst bis hin zu der Einführung des Christentums in Island52 und danach zählte er von dieser Zeit an bis zu seiner Zeit.

Dies ergänzte er durch viele andere Dinge wie die Lebenszeiten der Könige von Norwegen und Dänemark und auch von England sowie durch Ereignisse aus ihrem Leben und weiterhin auch durch die Berichte über besondere Ereignisse, die in seinem eigenen Land stattgefunden haben.

Seine Erzählungen werden von vielen gelehrten Männer als die bemerkenswertesten von allen angesehen, denn Ari war ein Mann von tiefem Verstehen und er war so alt, daß seine Geburt so weit zurück lag wie das Jahr nach Harald Sigurdsons Fall.53 Er schrieb, wie er selber sagt, über die Leben und die Ereignisse der Könige von Norwegen anhand des Berichtes von Od Kolson, einem Enkel des Hal von Sida.

Od erhielt sein Wissen wiederum von Thorgeir Afradskol, der ein kluger Mann gewesen ist und der, als Jarl Hakon getötet wurde,54 in Nidarnes gelebt hat – an demselben Platz, an dem König Olaf Tryggvason später den Grundstein für die Handelsstadt Nidaros (das ist Throndheim) legte, die noch heute dort steht.

Der Priester Ari kam, als er sieben Jahre alt war, nach Haukatal zu Hal Thorarinson und blieb dort vierzehn Jahre.55

Hal war ein Mann von großer Gelehrsamkeit und er besaß ein vorzügliches Gedächtnis und er konnte sich sogar an seine eigene Taufe durch den Priester Thanghrand ein Jahr bevor das Christentum in Island begründet wurde, erinnern, bei der er erst drei Jahre alt gewesen war.56

Ari war zwölf Jahre alt, als Bischof Isleif starb und damals war es achtzig Jahre her, daß Olaf Tryggvason gefallen war.57 Hal58 starb neun Jahre nach Bischof Isleif und hatte das Alter von fast 95 Jahren erreicht.59

Hal hatte zwischen den beiden Ländern60 Handel getrieben und hatte persönlichen Kontakt zu Olaf dem Heiligen gehabt, wodurch er sehr an Ansehen gewonnen hatte und wodurch er mit dem norwegischen Königtum sehr vertraut geworden ist. Er hat sein Heim in Haukatal begründet, als er 30 Jahre alt gewesen ist und er hat dort 64 Jahre lang gelebt, wie Ari uns berichtet.

Teit, ein Sohn des Bischofs Isleif, wurde in dem Haus des Hal in Haukatal aufgezogen und wohnte dort anschließend mit ihm. Er lehrte Ari den Priester und gab ihm sein Wissen über viele Dinge weiter, die Ari später niederschrieb.

Ari erhielt auch vieles von seinem Wissen von Thurid, der Tochter des Priesters Snorri.61 Sie war weise und klug und erinnerte sich an ihren Vater Snorri, der fast 34 Jahre alt war, als das Christentum in Island eingeführt worden war und der ein Jahr nach dem Fall des Königs Olafs des Heiligen starb.62

Somit ist es nicht verwunderlich, daß Ari der Priester ein gutes Wissen über die alten Geschehnisse sowohl hier in Island als auch auswärts hatte – er war ein Mann, der wißbegierig war und ein vorzügliches Gedächtnis hatte und der außerdem von alten, klugen Leuten gelernt hatte.

Mir jedoch scheinen die Lieder am verläßlichsten, wenn sie richtig gesungen und zutreffend verstanden werden.

46  Die Heimskringla ("Erdkreis") ist Snorris zweites großes Werk, in dem er die Geschichte der Norwegischen Könige von Odin und dessen Sohn Sämingr an beschreibt.

47  Snorri ist so sehr um einen wissenschaftlichen Standpunkt bemüht, daß er seine Heimskringla sogar mit einer Quellenkritik beginnt.

48  Harald Haarschön (ca. 852 n.Chr. bis 933 n.Chr.): erster König von Norwegen

49  Im Edda-Prolog ist Säming der Sohn des Odin – er war auf jeden Fall der Sohn eines Gottes bzw. Göttervaters.

50  Es trifft zwar zu, daß die Brandbestattungen in den letzten Jahrhunderten vor Snorris Zeit seltener geworden waren, aber die Hügelgräber reichen bis zu den frühen Indogermanen zurück ("Kurgan-Kultur").

51  Harald Haarschön (ca. 852 n.Chr. bis 933 n.Chr.): erster König von Norwegen

52  Auf dem All-Thing von 1000 n.Chr. wurde beschlossen, daß das Christentum die allgemeine Religion aller Isländer wurde, damit keine Glaubenkriege entstanden, aber es war jedermann freigestellt, für sich zuhause weiterhin die alten germanischen Götter zu verehren.

53  Ari der Weise ist demnach1067 n.Chr. geboren worden.

54  Hakon Jarl starb 995 n.Chr.

55  1077-1091 n.Chr.

56  Hal müßte demnach im Jahr 996 n.Chr. geboren und im Jahr 999 n.Chr. getauft worden sein.

57  Tod des Bischofs Isleif: 1079 n.Chr.; Tod des Königs Olaf Trygvason: 1000 n.Chr.

58  Im Original steht nur "er", was sich auf Ari beziehen würde – aber dann würde ein großer Widerspruch in den Jahresangaben entstehen.

59  Hal lebte demnach von 996 n.Chr. bis 1088 n.Chr.

60  Island und Norwegen

61  Snorri ist ein berühmter Priester der germanischen Religion, der in mehreren Isländer-Sagas auftritt.

62  Snorri der Priester lebte demnach von 964–1031 n.Chr. und wurde folglich 65 Jahre alt.

III Gylfaginning - König Gylfis Vision6364

III 1. Über König Gylfi und Gefiun65

König Gylfi66 beherrschte das Land, das nun Swithiod67 heißt. Von ihm wird gesagt, daß er einer fahrenden Frau zum Lohn der Ergötzung durch ihren Gesang ein Pflugland in seinem Reich gab, so groß als vier Ochsen pflügen könnten Tag und Nacht.

Aber diese Frau war vom Asengeschlecht; ihr Name war Gefion. Sie nahm aus Jötunheim68 im Norden vier Stiere, die sie mit einem Jötunen erzeugt hatte, und spannte sie vor den Pflug.69

Doch der Pflug schnitt so mächtig und tief, daß sich das Land löste, und die Ochsen es westwärts ins Meer zogen, bis sie in einem bestimmten Sund70 still stehen blieben. Da setzte Gefion das Land dorthin und gab ihm einen Namen und nannte es Seeland71. Und da, wo das Land weggenommen worden war, blieb ein See, den man in Schweden nun Löger72 heißt. Und im Löger liegen die Buchten so wie die Vorgebirge in Seeland.

So sagt Bragi der Alte:

„Gefion nahm von Gylfi fröhlich einen Land-Goldring73,

sodaß von den Schnell-Ziehenden74 Dampf aufstieg, Dänemarks Zuwachs.

Die Stiere hatten acht Brauen-Sterne75, als sie ihre Beute zogen,

die weite Insel – und vier Häupter.“

III 2. Gylfi kommt nach Asgard

König Gylfi war ein weiser Mann und zauberkundig. Er wunderte sich sehr, daß der Asen Volk die Fähigkeit hatte, alles nach ihrem Willen geschehen zu lassen76. Er frug sich, ob dies aus ihrer eigenen Natur heraus so geschah oder ob da die Macht der Götter waltete, denen sie opferten.

Er unternahm eine Reise nach Asgard, fuhr aber heimlich, indem er die Gestalt eines alten Mannes annahm und so verbarg, wer er wirklich war.

Aber die Weisheit der Asen, die in die Zukunft blicken, überwog und da sie um seine Fahrt wußten bevor er ankam, empfingen sie ihn mit einem Blendwerk.

Als er in die Stadt kam, sah er eine so hohe Halle, daß er kaum über sie hinweg zu sehen vermochte. Das Dach war mit goldenen Schildern belegt wie mit Schindeln.

So sagt Thiodolf von Hvin, daß Walhall mit Schilden gedeckt sei:

„Auf ihren Rücken ließen sie, als sie mit Steinen beworfen wurden, die Hallenschindeln des Svafnir77 leuchten – diese weisen Männer!“

Im Tor der Halle sah Gylfi einen Mann, der so mit Messern spielte, daß sieben zugleich in der Luft waren.

Dieser Mann sprach als erster und frug ihn nach seinem Namen.

Er78 nannte sich Gangleri und sagte, daß er pfadlose Wege gewandert sei und bat um Nachtherberge; auch frug er, wem die Halle gehöre.

Der Mann antwortete, sie gehöre ihrem König, „und ich will Dich zu ihm begleiten. Dann kannst Du ihn selber nach seinen Namen fragen.“79

Alsbald ging der Mann ihm voraus in die Halle. Gylfi folgte ihm und dicht hinter seinen Fersen schlug die Türe zu.

Da sah er viele Gemächer und eine Menge Volk: einige spielten, einige zechten, andere waren bewaffnet und übten miteinander im Kampf.

Er sah sich um, und vieles von dem, was er sah, schien ihn unglaublich.

Da sprach er:

„Durch jedes Tor sollst Du blicken,

bevor Du hindurchgehst,

denn Du kannst nicht sicher wissen,

wo drinnen Feinde sitzen und warten.“80

Er sah drei Hochsitze, einen über dem andern, und dort waren drei Männer und auf jedem saß einer.

Er frug, wie der Namen dieser Herrscher wären.

Sein Führer antwortete, daß der, der in dem untersten Hochsitz sitze, ein König sei und Har81 heiße; der im nächste heiße Jafnhar82, und der, der im obersten sitze, heiße Thridi.83

Da frugte Har den Ankömmling, ob er noch aus einem anderen Grund komme, und fügte hinzu, Essen und Trinken stehe für ihn bereit wie für alle in Hars Halle.

Gylfi sagte, er wolle zuvor herausfinden, ob es hier innen einen gelehrten Mann gebe.

Har sagte, er komme nicht heil heraus, wenn er nicht weiser sei und,

„Steh Du hier vorn, während Du fragst;

der, der antwortet, soll sitzen.“

III 3. Über Allvater, den ältesten Gott

Da hub Gangleri so zu sprechen an: „Wer ist der höchste und älteste aller Götter?“

Har sagte: „Er heißt in unserer Sprache Allvater, aber im alten Asgard84 hatte er zwölf Namen:

Der erste ist Allvater,

der andere Herran oder Herian,

der dritte Nikar oder Hnikar,

der vierte ist Nikuz oder Hnikud,

der fünfte Fiölnir,

der sechste Oski,

der siebente Omi,

der achte Biflidi oder Biflindi,

der neunte Swidur,

der zehnte Swidrir,

der elfte Widrir,

der zwölfte Jalg.“85

Da frug Gangleri: „Wo ist dieser Gott, und welche Kräfte hat er und welche großen Werke hat er vollbracht?“

Har sagte: „Er lebt durch alle Zeitalter und beherrscht sein ganzes Reich und lenkt alle Dinge – große und kleine.“

Da sprach Jafnhar: „Er schuf Himmel und Erde und die Luft und alles, was in ihnen ist.“

Da sprach Thridi: „Doch sein größtes Werk ist, daß er die Menschen erschuf und ihnen eine Seele gab, die leben und nie vergehen soll, wenn auch der Leib zu Staub verfällt oder zu Asche verbrennt. Und alle rechtschaffenen Menschen sollen mit ihm an dem Orte leben und wohnen, der Gimle heißt oder Wingolf. Aber böse Menschen fahren zu Hel und weiter gen Niflhel86; das ist unten in der neunten Welt.“

Da frug Gangleri: „Was tat er, bevor Himmel und Erde geschaffen waren?“

Har antwortete: „Da war er bei den Hrimthursen.“87

III 4. Über Niflheim und Muspelheim

Gangleri frug: „Wie ward die Welt, wie entstand sie, und was war zuvor?“

Har antwortete: „So heißt es in der Wöluspa:

Einst am Anfang der Zeit, da war noch nichts:

Nicht Sand noch See noch kalte Wogen,

die Erde gab es nicht und nicht den hohen Himmel –

da gab es den Gähnenden Abgrund88, doch kein Gewächs.“

Da sprach Jafnhar: „Manches Zeitalter vor der Erde Schöpfung wurde Niflheim erschaffen und in dessen Mitte liegt die Quelle, die Hwergelmir89 genannt wird. Daraus entspringen die Flüsse mit den Namen Swöl, Gunnthra, Fiorm, Fimbul, Thul, Slid und Hrid, Sylg und Ylg, Wid, Leiptr; Giöll ist der nächste beim Hel-Tor.90“

Da sprach Thridi: „Doch als erstes war im Süden eine Welt, Muspel geheißen: die ist hell und heiß. Diese Gegend flammt und brennt und ist allen unzugänglich, die dort Fremde und nicht dort heimisch sind. Surtur ist er geheißen, der an der Grenze des Landes sitzt und es beschützt. Er hat ein flammendes Schwert und am Ende der Welt wird er kommen und heeren und alle Götter besiegen und die ganze Welt in Flammen verbrennen.91

So heißt es in der Wöluspa92:

Surt fährt von Süden mit dem Stab-Zerstörer93,

Von seiner Klinge scheint die Sonne der Toten-Götter94.

Steinberge stürzen95 und Riesinnen ziehen umher96,

Zu Hel fahren Helden, der Himmel klafft auf.“

III 5. Über die Herkunft des Ymir und der Hrimthursen

Gangleri frug: „Was begab sich, bevor die Geschlechter entstanden und Menschenvolk sich ausbreitete?“

Da sprach Har: „Als die Flüsse, welche Eliwagar97 heißen, soweit von ihrem Ursprung entfernt hatten, daß die giftigen Wogen wie die Schlacke erstarrten, die aus dem Feuer fällt, wurde er in Eis verwandelt.98 Und als dies Eis stille stand und stockte, da fiel der Dunst darüber, der von dem Gifte kam99 und gefror zu Eis, und so legte eine Eislage sich über die andere bis in Ginnungagap hinein.“

Da sprach Jafnhar: „Die Seite von Ginnungagap, welche nach Norden gerichtet ist, füllte sich an mit dem schweren Haufen an Eis und Rauhreif und daüber lag ein Nebel100 und ein Wind wehte einwärts101. Doch der südliche Teil von Ginnungagap war milde durch die Feuerfunken, die aus Muspelheim herüberflogen.“

Da sprach Thridi: „So wie die Kälte und alles Grimmige aus Niflheim kam, so war die Seite, die nach Muspelheim sah, warm und licht, und Ginnungagap dort so lau wie ein windloser Himmel: Und als sich der Rauhreif und das Wehen der Wärme trafen, sodaß das Eis zu tauen und zu tropfen begann, nahm dieses Tauen durch die Macht der Quelle dieser Hitze immer mehr zu und das Eis nahm die Gestalt eines Mannes an, der den Namen Ymir102 erhielt. Die Hrimthursen nennen ihn jedoch Aurgelmir103, und von ihm kommt das Geschlecht der Hrimthursen, wie es in der kleinen Wöluspa104 heißt:

Von Widolf105 stammen alle Seherinnen106,

von Wilmeidi107 alle Zauberer108

Von Swarthöfdi109 alle Seidr-Bereiter110,

Von Ymir alle Riesen.111

Und der Riese Wafthrudnir antwortete wie folgt auf die Frage

Woher kam Aurgelmir zusammen mit den Söhnen der Riesen am Anfang, allwissender Jote?

wie folgt:

Aus den Eliwagar fuhren Eitertropfen112

Und wuchsen bis es ein Riese ward.

Unsre Geschlechter kamen alle daher:

Drum sind sie unhold immer.“

Da frug Gangleri: „Wie entstanden die Geschlechter aus ihm? Oder wie geschah's, daß mehr Leute erschaffen wurden? Oder hältst Du ihn für einen Gott, von dem Du gesprochen hast?“

Da antwortete Har: „Wir halten ihn mitnichten für einen Gott: er war böse wie alle von seinem Geschlecht, die wir Hrimthursen nennen. Es wird erzählt, daß er, als er schlief, zu schwitzen begann: da wuchs ihm unter seinem linken Arm ein Mann und ein Weib und sein einer Fuß zeugte einen Sohn mit dem anderen. Und von diesen kommt das Geschlecht der Hrimthursen; den alten Hrimthurs aber nennen wir Ymir.“

III 5. Über Audhumla und Odins Herkunft

Da frug Gangleri: „Wo lebte Ymir? Und wovon lebte er?“

Har antwortete: „Als das Eis auftaute und schmolz, entstand die Kuh, die Audhumla113 hieß, und vier Milchströme rannen aus ihrem Euter; davon ernährte sich Ymir.“

Da frug Gangleri: „Wovon nährte die Kuh sich?“

Har antwortete: „Sie beleckte die Eisblöcke, die salzig waren, und den ersten Tag, da sie die Steine beleckte, kam aus den Steinen am Abend Menschenhaar hervor, den andern Tag eines Mannes Haupt, den dritten Tag war es ein ganzer Mann, dessen Name war Buri. Er war schön von Angesicht, groß und stark und zeugte einen Sohn, der Bor hieß. Der vermählte sich mit Bestla, der Tochter des Riesen Bölthorn114; da gewannen sie drei Söhne: der eine hieß Odin, der andere Wili, der dritte We.115

Und das ist mein Glaube, daß dieser Odin und seine Brüder Himmel und Erde beherrschen – es ist unsere Meinung, daß er so genannt wird. Dies ist der Name des einen, der der größte und der allerruhmreichste ist, den wir kennen, und Du würdest gut daran tun, dem zuzustimmen und ihn ebenso zu nennen.116“

III 7. Ymirs Ermordung und über Bergelmir

Da frug Gangleri: „Wie vertrugen sich diese mit Ymir, und welche von ihnen waren die Stärkeren?“

Har antwortete: „Börs Söhne töteten den Riesen Ymir, und als er fiel, da lief so viel Blut aus seinen Wunden, daß sie darin das ganze Geschlecht der Hrimthursen ertränkten bis auf einen, der mit den Seinen davon kam: den nennen die Riesen Bergelmir117. Er bestieg mit seinem Weib ein Boot118 und rettete sich so, und von ihm kommt das Hrimthursengeschlecht119, wie hier gesagt ist:

Viele Winter bevor die Erde erschaffen wurde,

Ward Bergelmir geboren.

Dessen erinnere ich mich als frühestes, daß der weise Riese120

In ein Boot gelegt wurde.“

III 8. Die Söhne des Bor erschaffen Erde und Himmel

Da frug Gangleri: „Was taten die Söhne Börs danach, sodaß Du sie für Götter hältst?“

Har antwortete: „Davon ist nicht wenig zu sagen. Sie nahmen Ymir und warfen ihn mitten in Ginnungagap und bildeten aus ihm die Welt: aus seinem Blut das Meer und die Seen, aus seinem Fleisch die Erde, aus seinen Knochen die Berge, und die Steine und das Geröll aus seinen Zähnen, seinen Kieferknochen und dem zerbrochenen Gebein.“

Da sprach Jafnhar: „Aus dem Blut, das aus seinen Wunden geflossen war und nun ungebremst umherströmte, erschufen sie das Weltmeer, das nun die Erde umgibt und enthält und sie legten dieses Meer in einem Kreis rings um sie herum, sodaß es den meisten unmöglich scheinen wird, es zu überqueren.“

Da sprach Thridi: „Sie nahmen auch seinen Hirnschädel und schufen aus ihm den Himmel und setzten ihn an vier Ecken121 über die Erde und unter jede Ecke setzten sie einen Zwerg; die heißen Austri, Westri, Nordri, Sudri122.

Dann nahmen sie die geschmolzenen Tropfen und die Feuerfunken, die von Muspelheim her kamen und wirr umherflogen, und setzten sie sowohl oben als auch unten an die Mitte des Himmels, um Himmel und Erde zu erhellen. Sie gaben allen diesen Lichtern ihre Platz, einige fest am Himmel123, andere wanderten lose unter dem Himmel124 und sie bestimmten einem jeden seinen Ort und seinen Weg. Es wird in den alten Schriften gesagt, daß mit ihrer Hilfe die Tage unterschieden und Jahre berechnet worden sind.

So heißt es in der Wöluspa:

Die Sonne wußte nicht, wo ihr Wohnsitz war,

Der Mond wußte nicht, welche Macht er hatte,

Die Sterne wußten nicht, wo ihr Platz war.

– so sah es über der Erde aus, bevor all dies geschehen war.“

Da sagte Gangleri: „Das sind wichtige Dinge, die ich da gerade gehört habe – das ist ein großes Gebäude und sehr kunstvoll erschaffen. Und auf welche Weise wurde die Erde geordnet?“

Har antwortete: „Sie ist außen kreisrund und rings umher liegt das tiefe Weltmeer. Und längs den Seeküsten jenseits des Meeres gaben sie den Riesengeschlechtern Wohnplätze125. Auf der Erde auf der Innenseite des Meeres errichteten sie eine Befestigung gegen die Angriffe der Riesen, und zu dieser Burg verwendeten sie die Augenbrauen des Riesen Ymir126 und nannten diesen befestigten Ort Midgard. Sie nahmen auch sein Gehirn und warfen es an den Himmel und machten aus ihm die Wolken, wie hier gesagt ist:

Aus Ymirs Fleisch ward die Erde erschaffen,

Aus seinem Blut die See,

Aus dem Gebein die Felsen, die Bäume aus dem Haar,

Aus dem Schädel der Himmel.

Aus den Augenbrauen schufen gütige Asen

Midgard den Menschensöhnen;

Aber aus seinem Hirn sind alle hartgemuten

Wolken erschaffen worden.“

III 9. Die Söhne des Bor erschaffen Ask und Embla

Da sprach Gangleri: „Großes dünken sie mich vollbracht zu haben, da sie Himmel und Erde erschaffen, die Sonne und das Gestirn geordnet, und die Tage unterschieden haben – aber woher kamen die Menschen, die nun die Erde bewohnen?“

Har antwortete: „Als Börs Söhne am Seestrand entlanggingen, fanden sie zwei Baumstämme127. Sie nahmen die Bäume und schufen Menschen daraus. Der erste gab ihnen Atem128 und Leben, der anderer Bewußtsein und Bewegung, der dritte die Sprache und das Gehör und das Sehen und sie gaben ihnen Kleider und Namen. Den Mann nannten sie Ask129 und die Frau Embla130, und von ihnen kommt das Menschengeschlecht, welchem Midgard zur Wohnung verliehen ward. Danach bauten sie sich eine geschützten Stätte131 in der Mitte der Welt und nannten sie Asgard. Wir nennen sie Troja.132 Da wohnten die Götter und ihr Geschlecht und dort trugen sich daher so manche Dinge sowohl auf der Erde als auch im Himmel 133 zu.

An diesem Ort steht ein Hochsitz134, der Hlidskialf135 heißt, und wenn Odin sich da auf diesen Hochsitz setzt, so kann er über alle Welten hin blicken und kann aller Menschen Tun erkennen und weiß alle Dinge, die da geschehen.

Seine Frau heißt Frigg, Fiörgyns Tochter, und von ihrem Geschlecht ist der Stamm entsprungen, den wir das Asengeschlecht nennen, welches das alte Asgard bewohnte und die Reiche, die dazu gehören, und das ist das Geschlecht der Götter.

Odin kann deshalb Allvater genannt werden, weil er der Vater aller Götter und aller Menschen ist und auch von all dem, wa er und seine Macht hervorgebracht haben.

Jörd war seine Tochter und seine Frau und von ihr gewann er seinen erstgebornen Sohn: das ist Asathor; er besitzt Kraft und Stärke, weshalb er über alles Lebendige siegen kann.

III 10. Die Ankunft von Dag und Nott

Norwi oder Narfi136 hieß ein Riese, der in Jötunheim wohnte; er hatte eine Tochter, die hieß Nott137 und war schwarz und dunkel wie ihr Geschlecht.

Sie ward einem Manne vermählt, der Naglfari138 hieß: der beiden Sohn war Aud139.

Danach ward sie einem Namens Onar140 vermählt; beider Tochter hieß Jörd141.

Ihr letzter Gemahl war Delling, der vom Asengeschlecht war142. Ihr Sohn Dag143 war schön und licht entsprechend seiner väterlichen Herkunft.

Da nahm Allvater die Nacht und ihren Sohn Tag und gab ihnen zwei Rosse und zwei Streitwagen und setzte sie an den Himmel, daß sie damit alle zweimal zwölf Stunden um die Erde fahren sollten.144 Die Nacht fährt voran mit dem Roß, das Hrimfaxi145 heißt, und jeden Morgen betaut es die Erde mit dem Schaum seines Gebisses. Das Roß, mit dem Dag fährt, heißt Skinfaxi146 und Luft und Erde werden von seiner Mähne erleuchtet.“

III 11. Über Sol und Mani

Da frug Gangleri: „Wie lenkt er den Lauf der Sonne und des Mondes?“

Har antwortete: „Ein Mann hieß Mundilföri147, der hatte zwei Kinder. Sie waren so hold und schön, daß er den Sohn Mani148 und die Tochter Sol149 nannte. Er vermählte seine Tochter einem Mann, der Glen150 genannt wurde.

Aber die Götter wurden zornig über diesen anmaßenden Stolz151, nahmen die Geschwister und setzten sie an den Himmel, und hießen Sol die Hengste führen, die den Wagen der Sonne zogen, die die Götter, um die Welt zu erleuchten, aus den Feuerfunken geschaffen hatten, die aus Muspelheim geflogen herausgeflogen waren.152

Diese beiden Hengste hießen Arwak und Alswid153. Vor die Brust der beiden setzten die Götter zwei Blasebälge, um sie abzukühlen, und in einigen Liedern heißen sie Eisenkühle.154

Mani leitet den Gang des Mondes und herrscht über sein Zunehmen und sein Abnehmen. Er nahm zwei Kinder von der Erde, die Bil und Hiuki genannt wurden, als sie von dem Brunnen Byrgir kamen und zwischen sich an einer Stange, mit dem Namen Simul den Eimer Säg trugen. Ihr Vater heißt Widfinnr. Diese Kinder gehen mit dem Mond, wie man noch von der Erde aus sehen kann.155“

III 12. Über die Verfolgung der Sonne durch den Wolf

Da frug Gangleri: „Die Sonne fährt schnell, fast als wenn ihr bange wäre. Sie könnte ihren Gang nicht mehr beschleunigen, wenn sie um ihr Leben fürchten würde.“

Da antwortete Har: „Das ist nicht zu verwundern, daß sie so schnell fährt, denn ihr Verfolger ist nah, und sie könnte nicht schneller sein, selbst wenn sie ihren Tod fürchten würde. “

Da frug Gangleri: „ Wer ist es, der sie so in Angst setzt?“

Har antwortete: „Das sind zwei Wölfe: Der eine, der sie verfolgt, heißt Sköll156 und sie fürchtet, daß er sie packen könnte; der andere heißt Hati157 Hrodwitnir-Sohn158 und läuft vor ihr her und will den Mond schnappen, was auch geschehen wird.“

Da frug Gangleri: „ Von welcher Herkunft sind diese Wölfe?“

Har antwortete: „Ein Riesenweib wohnt östlich von Midgard in dem Wald, der Jarnwid159 heißt. In diesem Walde wohnen Trollfrauen, die man Jarnwidur160 nennt. Jenes alte Riesenweib gebiert viele Riesensöhne und sie haben alle eine Wolfsgestalt161 und von ihr stammen alle Wölfe ab. Es wird gesagt, der Mächtigste dieses Geschlechts werde der werden, welcher Managarm162 heißt. Dieser trinkt das Lebensblut eines jeden Menschen, der stirbt und er wird die Himmelskörper163 verschlingen und er wird den Himmel und die Luft mit Blut bespritzen. Davon wird die Sonne ihren Schein verlieren und die Winde werden heftig werden und hin und her stürmen.

So heißt es in der Wöluspa:

Im Osten lebt die Alte im Eisenwald

und gebiert dort Fenrirs Geschlecht.

Von ihnen allen wird einer kommen:

Der Sonne Reißer in der Gestalt eines Trolls.164

Er trinkt das Leben todgeweihter Männer,

er rötet die Hallen der Götter mit rotem Blut.

Dunkel ist der Sonne Schein in den folgenden Sommern;

Alle Wetter sind feindlich; wißt ihr, was das bedeutet?“

III 13. Über Bifröst

Da frug Gangleri: „Welchen Weg gibt es von der Erde zum Himmel?“

Har antwortete und lachte: „Nun hast Du unklug gefragt. Hast Dir niemals jemand erzählt, daß die Götter eine Brücke von der Erde zum Himmel erbaut haben, die Bifröst165 heißt? Die wirst Du gewiß gesehen haben; aber vielleicht nennst Du sie als Regenbogen. Sie hat drei Farben und ist sehr stark und mit mehr Kunst und Verstand gemacht als andere Werke. Aber so stark sie auch ist, so wird sie doch zerbrechen, wenn Muspels166 Söhne kommen und darüber reiten – und ihre Pferde müssen über große Ströme schwimmen. Auf diese Weise werden sie vorankommen.167“

Da sprach Gangleri: „Mir scheint, daß die Götter die Brücke nicht besonders fest gemacht haben, wenn sie zerbrechen kann – wenn man bedenkt, daß sie sie so fest machen konnten wie sie wollten.“

Da antwortete Har: „Die Götter haben keinen Tadel verdient für dieses Werk. Bifröst ist eine gute Brücke; aber kein Ding in dieser Welt ist mehr sicher, wenn Muspels Söhne angreifen.“

III 14. Über den Hausstand der Götter und über die Zwerge

Da frug Gangleri: „Was tat Allvater, nachdem Asgard gebaut war?“

Har antwortete: „ Zuvörderst setzte er Herrscher ein, denen er gebot, mit ihm über das Schicksal der Leute zu entscheiden und die Herrschaft über die Asen-Stätte zu übernehmen. Das war an dem Orte, der Idavöllur168 heißt und der in der Mitte der Stätte liegt.

Ihr erstes Werk war, einen Tempel zu errichten, in dem ihre Hochstühle standen – zwölf an der Zahl zusätzlich zu dem, der dort für Allvater stand. Es ist das beste und größte Gebäude auf der Erde – es scheint sowohl außen als auch innen aus lauter Gold zu bestehen. Diese Stätte nennt man Gladsheim169.

Sie bauten noch einen anderen Saal – der war der Tempel der Göttinnen. Diese Halle war auch sehr schön und die Menschen nennen es Wingolf170.

Danach legten sie Schmiedeöfen an, und machten sich dazu Hammer, Zange und Amboß und mit diesen schmiedeten sie dann andere Werkgeräte.

Danach verarbeiteten sie Erz, Gestein und Holz und eine so große Menge des Erzes, das Gold genannt wird, daß sie alle Möbel und alle Hausgerät aus Gold hatten. Diese Zeit ist als das Goldalter171 bekannt – es wurde durch die Ankunft gewisser Frauen, die aus Jötunheim kamen, verdorben.172

Danach setzten sich die Götter auf ihre Hochsitze und berieten darüber, was mit den Zwergen173 geschehen sollte, die sich in dem Erdboden und tief unten in der Erde wie Maden im Fleisch gebildet hatten. Die Zwerge waren zuerst entstanden und hatten Leben erlangt in Ymirs Fleisch und waren wie Maden. Aber durch den Beschluß der Götter erhielten sie Bewußtsein und Menschengestalt, obwohl sie in der Erde und im Gestein lebten.174

Modsognir war der erste Zwerg und der zweite war Durin, wie es in der Wöluspa heißt:

Da gingen die Berater zu den Richterstühlen,

Hochheilge Götter hielten Rat,

Wie sie der Zwerge Geschlecht erschaffen sollten

Aus des Brimirs Blut und des Blains Gliedern.175

Da ward Modsognir der mächtigste

Dieser Zwerge, und Durin nach ihm.

Manche noch machten sie menschengleich

Der Zwerge in der Erde, wie es Durin sagte.

Und die Namen der Zwerge, sagt die Seherin, lauten:

Nyi, Nidi,

Nordri, Sudri,

Austri, Westri,

Althiosr, Dwalin,

Nar, Nain,

Niping, Dain,

Biwör, Bawör,

Bömbör, Nori,

Ori, Onar,

Oin, Modwitnir.

Wig und Gandalf,

Windalf, Thorin,

Fili, Kili,

Fundin, Wali,

Thror, Throin,

Theck, Lit und Wit,

Nyr, Nyrad,

Reck, Radswid.

Und diese sind auch Zwerge und wohnen im Gestein, während die vorigen in der Erde leben176:

Draupnir, Dolgthwari,

Hör, Hugstari,

Hlediolf, Gloin,

Dori, Ori,

Dufr, Andwari,

Hepti, Fili,

Har, Siar.

Aber folgende kamen von Swarins Hügel177 gen Aurwang178 auf Jöruvöllu179, und von ihnen stammt Lofars Geschlecht. Dies sind ihre Namen:

Skirfir, Wirfir,

Skafid, Ai,

Alf, Ingi,

Eikinskialdi,

Fal, Frosti,

Fid, Ginnar.“

III 15. Über die Esche, den Urdbrunnen und die Nornen

Da frug Gangleri: „Wo ist der Hauptort oder der heilige Platz der Götter?“

Har antwortete: „Das ist bei der Esche Yggdrasil: da sollen die Götter täglich Gericht halten.“

Da frug Gangleri: „Was ist über diesen Ort zu berichten?“

Da antwortete Jafnhar: „Diese Esche ist der größte und beste von allen Bäumen: seine Zweige breiten sich über die ganze Welt und reichen hinauf über den Himmel. Drei Wurzeln halten den Baum aufrecht, die sehr weit reichen: die eine zu den Asen, die andere zu den Hrimthursen, wo vormals Ginnungagap war; die dritte steht über Niflheim.

Unter dieser dritten Wurzel ist Hwergelmir180 und Nidhögg181 nagt unten an der Wurzel.

Bei der Wurzel, die sich zu den Hrimthursen erstreckt, liegt Mimirs182 Quelle183, in der Weisheit und Verstand verborgen sind. Der Eigner des Brunnens heißt Mimir, und ist voller Weisheit, weil er mit dem Giallarhorn184 täglich aus dieser Quelle trinkt. Einst kam Allvater dahin und verlangte einen einzigen Trunk aus der Quelle, erhielt ihn aber nicht eher, bis er sein Auge zum Pfand setzte.185

So heißt es in der Wöluspa:

Alles weiß ich, Odin, wo Dein Auge blieb:

In der vielbekannten Quelle Mimirs.

Met trinkt Mimir jeden Morgen

Aus Walvaters Pfand186: wißt ihr was das bedeutet?

Unter der dritten Wurzel der Esche, die zum Himmel geht, ist eine Quelle187, die sehr heilig ist, Urds Quelle genannt: da haben die Götter ihre Gerichtsstätte; jeden Tag reiten die Asen über Bifröst, die auch Asenbrücke heißt, dorthin.

Die Pferde der Asen haben diese Namen. Sleipnir, das beste, hat Odin; es hat acht Füße188; das andere ist Glad; das dritte Gyllir, das vierte Gier, das fünfte Skeidbrimir, das sechste Silfrintopp, das siebente Sinir, das achte Gils, das neunte Falhofhir, das zehnte Gulltopp, das elfte Lettfeti. Baldurs Pferd ward mit ihm verbrannt.

Thor geht zu Fuß zum Gericht und watet über folgende Flüsse:

Körm189 und Örmt190 und die beiden Kerlaug191

Durchwatet Thor täglich,

Wenn er Gericht halten soll

Bei der Esche Yggdrasil.

Denn die Asenbrücke steht all in Lohe,

Heilige Fluten flammen.192“

Da fragte Gangleri: “Brennt denn Feuer auf Bifröst?“

Har antwortete: „Das Rote, das Du im Regenbogen siehst, ist brennendes Feuer. Die Hrimthursen und Bergriesen würden den Himmel ersteigen, wenn ein jeder über Bifröst gehen könnte, der da wollte.

Im Himmel gibt es viele schöne Plätze, die alle unter dem Schutz der Götter stehen.

So steht ein schönes Gebäude unter der Esche bei der Quelle: aus dem kommen die drei Mädchen, die Urd, Skuld und Werdani heißen. Diese Mädchen, die die Lebenszeit aller Menschen bestimmen, nennen wir Nornen.

Es gibt noch andere Nornen, nämlich diejenigen, die sich beider Geburt eines jeden Kindes einfinden, um ihm seine Lebensdauer zu bestimmen.

Einige von ihnen stammen aus dem Geschlecht der Götter, andere aus dem Geschlecht der Alfen und noch andere aus dem Geschlecht der Zwerge, wie hier gesagt wird:

Gar verschiednen Geschlechts scheinen mir die Nornen,

Und nicht eines Ursprungs:

Einige sind Asen, andere Alfen,

Die dritten sind Dwalins193 Töchter.“

Da sprach Gangleri: „Wenn die Nornen über das Geschick der Menschen walten, so teilen sie ihnen schrecklich ungleich aus. Die einen leben in Macht und Überfluß, die anderen haben wenig Glück noch Ruhm; die einen leben lange, die anderen kurze Zeit.“

Har antwortete: „Die guten Nornen und die, die von guter Herkunft sind, schaffen Glück, und geraten einige Menschen in Unglück, so sind die bösen Nornen schuld.“194

III 16. Noch einmal über die Esche

Da frug Gangleri: „Was gibt es sonst noch Bemerkenswertes, das über die Esche zu erzählen ist?“

Har antwortete: „Gar viel ist davon zu sagen. Ein Adler sitzt in den Zweigen der Esche, der viel Dinge weiß, und zwischen seinen Augen sitzt ein Habicht, Vedrfölnir genannt.195

Ein Eichhörnchen, das Ratatösk196 heißt, springt auf und nieder an der Esche und trägt Zankworte hin und her zwischen dem Adler und Nidhögg.197

Und vier Hirsche laufen umher an den Zweigen der Esche, und ernähren sich von seinem Laub. Sie heißen: Dain, Dwalin, Dunneir, Durathror.198

Und es sind so viele Schlangen in Hwergelmir bei Nidhögg, daß es keine Zunge zählen mag.

So heißt es hier:

Die Esche Yggdrasil duldet Unbill

Mehr als Menschen wissen:

Der Hirsch weidet oben, Fäulnis an der Seite,

und unten nagt Nidhögg.

Ferner heißt es:

Mehr Gewürm liegt unter der Esche Wurzel

Als irgendein alter Narr glaubt:

Goin und Moin, Grafwitnirs Söhne,199

Grabak und Grafwöllud;

Ofnir und Swafnir werden ewig

die Zweige beschädigen.

Auch wird erzählt, daß die Nornen, die an Urds Quelle wohnen, täglich Wasser aus der Quelle nehmen und es zugleich mit dem Schlamm, der um die Quelle herum liegt, auf die Esche sprengen, damit ihre Zweige nicht dorren oder faulen.200

Dieses Wasser ist so heilig, daß alles, was in diese Quelle kommt, so weiß wird wie die Haut, die inwendig in der Eierschale liegt.

So heißt es:

Ich kenne eine Esche – ihr Name ist Yggdrasil –

ein hoher Baum, heilig, mit weißem Ton beschmiert.

Von ihr kommt der Tau, der in die Täler fällt.

Er steht für immer grün über Urds Brunnen.

Den Tau, der von ihr auf die Erde fällt, nennt man Honigtau: davon ernähren sich die Bienen. Auch nähren sich zwei Vögel in Urds Quelle, die heißen Schwäne und von ihnen kommt das ganze Vogelgeschlecht, das diesen Namen trägt.“

III 17. Die Hauptgebäude der Götter

Da sprach Gangleri: „Du weißt viele Dinge über den Himmel zu berichten, aber welche anderen Hauptorte gibt es noch außer dem an Urds Brunnen?“

Har antwortete: „Da gibt es noch so manche prächtigen Stätten. Dort ist ein Ort, der Alfheim heißt. Da haust das Volk, das man Lichtalfen nennt: aber die Schwarzalfen wohnen unten in der Erde, und sind jenen ungleich von Aussehen, und noch viel ungleicher von ihrem Wesen. Die Lichtalfen sind schöner als die Sonne anzusehen; aber die Schwarzalfen schwärzer als Pech.201

Da ist auch ein Wohnort, der Breidablick202 heißt – es gibt keinen schöneren.

Ein anderes Gebäude heißt Glitnir203: dessen Wände, Säulen und Balken sind von rotem Gold204 und das Dach von Silber.

Da ist auch ein Bau, der Himinbiörg205 heißt, der steht an des Himmels Ende, da wo die Brücke Bifröst an den Himmel reicht.

Da ist ferner ein großer Saal, der Walaskialf206 heißt: das ist Odins Saal. Ihn schufen die Götter und deckten ihn mit schierem Silber. In diesem Saal ist der Hochsitz, der Hlidskialf heißt – der Thron dieses Namens. Und wenn Allvater auf diesem Hochsitz sitzt, so kann er über die ganze Welt hin schauen.

Am südlichen Ende des Himmels ist der Palast, der Gimle207 heißt und der schönste von allen ist und glänzender als die Sonne. Er wird stehen bleiben, wenn sowohl Himmel als Erde vergehen, und alle guten und rechtschaffenen Menschen aller Zeitalter werden ihn für immer und ewig bewohnen.

So heißt es in der Wöluspa:

Ich weiß in Gimle eine Halle stehen,

schöner als die Sonne. Da werden

tugendhafte Menschen wohnen,

Und für alle Zeiten Freuden genießen.“208