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Susanne tröstet sich immer mit der Vorstellung vom Leben mit einem Mann, mit dem sie nur kurz zusammen war. Ein unkompliziertes, ein konkretes Leben, mit Zeit für Liebkosungen, sie gehen zur Arbeit, haben Kinder. Und es ist kein Verbrechen, von Familienfesten zu träumen ... Doch diese Vorstellung mündet stets in ein schreckliches Schlussbild: Sie sieht sich selbst weinen angesichts all dieses Glücks, in dem es so gar keinen Zweifel gibt. Ein einziges Mal hatte sie zu ihm gesagt: "Kim, ich verlasse dich, ich weiß nicht, ob ich dich liebe." - "Komm mir nicht mit deinen Klischees", hatte er geantwortet, und das war wohl auch der Grund, weshalb sie blieb.
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Seitenzahl: 196
Helle Helle
Die Vorstellung von einem unkomplizierten Leben mit einem Mann
Roman Aus dem Dänischen von Flora Fink
DÖRLEMANN
Die Originalausgabe Forestillingen om et ukompliceret liv med en mand erschien 2002 bei Samleren in Kopenhagen. Die Publikation des vorliegenden Romans wurde großzügig vom Danish Arts Council unterstützt. Der Verlag bedankt sich herzlich hierfür. eBook-Ausgabe 2012 Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten Copyright © 2002 Helle Helle, Kopenhagen Copyright © 2012 Dörlemann Verlag AG, Zürich Satz und eBook-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde ISBN 978-3-908778-13-4www.doerlemann.com
1
Susanne saß im Auto und schlug sich vor die Stirn. Es war der Tag vor Weihnachten und noch früh am Morgen. Es schneite.
Der Baum war schon geschmückt, das Badezimmer aufgeräumt. Nur die Ente und das Mandelgeschenk fehlten noch.
Bei Brugsen war sie die erste Kundin gewesen. An der Kasse hatte sie dann aber bemerkt, dass sie nicht ihre Handtasche mitgenommen hatte, und damit ihr Portemonnaie, sondern ihre Yogatasche. Sie hatte über sich selbst gelacht. Auch die Kassiererin hatte gelacht.
– Frohe Weihnachten, hatte ihr der Filialleiter hinterhergerufen, als sie den Laden verließ. – Ja, aber, ich komme doch wieder, wegen meiner Ente, hatte sie geantwortet. Für diese Bemerkung schlug sie sich gleich noch einmal vor die Stirn.
Sie hielt direkt vor der Tür, ließ den Motor laufen und lief ins Haus, um ihr Geld zu holen. In der Wohnung war es noch immer still. Kim schlief, er war spät ins Bett gegangen. Sie war einige Male aufgewacht und hatte ihn in der Küche rumoren hören.
Auf der Suche nach ihrer Tasche ging sie ins Wohnzimmer. Sie lag unter dem Sofa.
Das Telefon klingelte, und sie nahm ab. Es war Bo, der aus Neuseeland anrief. Er hatte sich von einem Barkeeper ein Mobiltelefon geliehen. Im Hintergrund war eine Menge Lärm zu hören und etwas, das klang wie ein Spielautomat.
Sie wünschten einander Frohe Weihnachten. Dann legte sie den Hörer beiseite und ging ins Schlafzimmer, um Kim zu holen.
Er lag auf dem Rücken, die Augen geöffnet, und sein Mund war irgendwie schief. Sie stand am Fußende des Bettes. Das weiße Licht schien durchs Fenster herein und fiel auf seine Füße. Die Füße sahen unter der Decke hervor.
– Ah, du bist ja doch wach, sagte sie. – Bo ist am Telefon. Er sitzt in irgendeiner Bar.
Hinter ihr, im Wohnzimmer, waren die Automatengeräusche aus dem Telefon zu hören. Hinter diesen Geräuschen der Motor ihres Autos draußen auf der Straße.
– Stell dir vor, ich habe zu Brugsen meine Yogatasche mitgenommen, sagte sie.
Sie blieb stehen, zog die Decke über seine Füße. Sie waren kalt und verkehrt.
– Kim, sagte sie, aber da war kein Leben mehr in ihm, er atmete nicht.
2
Aber zunächst war es November, und es regnete.
Es regnete und regnete. Es war ein Samstagmorgen.
– Dieser verdammte Regen, sagte sie.
Sie stand im Bademantel am Küchenfenster. Kim hatte Brötchen geholt, er schnaufte draußen im Flur. Dann kam er herein und legte hinter ihrem Rücken etwas Schweres auf den Tisch.
– Ich möchte wirklich wissen, wo das ganze verdammte Wasser herkommt, sagte sie.
Sie drehte sich zu ihm um. Er nahm gerade die Brötchen aus der nassen Tüte. Auf dem Küchentisch lag ein Ziegelstein.
– Was ist das?, fragte sie.
– Ein Ziegelstein, sagte er. – Wir können ihn im Sommer als Türstopper verwenden.
– Wo hast du den denn her?
– Ich habe ihn auf der Straße gefunden. Ist wohl von einem Laster gefallen.
– Also auf den Kopf.
– Nenn es, wie du willst. Jetzt brauche ich erst einmal Kaffee.
Sie setzten sich. Susanne nahm den Ziegelstein hoch und legte ihn wieder auf den Tisch.
– Ist ja verdammt schwer, sagte sie.
Sie tranken Kaffee und aßen ihre Brötchen.
– Warum fluchst du seit Neuestem eigentlich so viel?, fragte er.
– Tu ich das? Stimmt doch gar nicht, sagte sie.
Sie stellte ihre Kaffeetasse auf den Ziegelstein ab, schaute die Tasse an. Sie stellte die Tasse zurück auf den Tisch.
– Es klingt einfach nur falsch, wenn du fluchst, sagte er. – Du hast es einfach nicht raus.
– Ich fluche doch wohl, wie man eben flucht.
– Nein.
– Aha.
Da prasselte der Regen an die Fensterscheiben, so dass man kaum mehr den Verkehr von der Kreuzung hörte.
– Ich werde heute wohl den Regenschirm brauchen, sagte sie.
– Klar, nimm ihn einfach. Er liegt im Schrank.
– Gestern habe ich ihn nicht finden können.
– Er liegt im untersten Fach.
Er stand auf, mit Krümeln auf dem Pullover, und holte den Regenschirm. Er legte ihn vor ihr auf den Tisch:
– Da, bitte schön. Viel Spaß damit.
Sie ließ sich gegen die Rückenlehne des Stuhls sinken. Sie schaute auf den Tisch, schaute nach draußen. Regenschirm und Ziegelstein, das sind wir, kurz und gut, dachte sie.
3
Sie war mit Ester im Einkaufszentrum verabredet. Den Regenschirm hatte sie unter ihrem Sitz auf den Boden gelegt. Neben ihren Stiefeln hatte sich eine kleine Pfütze gebildet, und jedes Mal, wenn die S-Bahn bremste, bewegte sich die Pfütze ein klein wenig weiter.
Die Stiefel waren neu, und sie drückten. Susanne musste sie erst noch einlaufen. Es waren schwarze Lederstiefel. Auf Knöchelhöhe und vorne an den Spitzen hatten sie schon weiße Ränder bekommen. Wohl wegen des Regenwetters. Sie spuckte auf ihren Zeigefinger und rieb an der rechten Stiefelspitze.
Ihr gegenüber saß eine Dame und saugte an ihren Lippen. Die Dame sah sie die ganze Zeit an. Susanne aber sah die Dame nicht an. Sie schaute abwechselnd auf ihre Stiefel und auf einen Punkt hinter dem Rücken der Dame. Die Dame trug einen Pullover mit Karomuster. Sie beugte sich zu Susanne herüber.
– Mit Milch bekommen Sie das ganz einfach weg, sagte sie.
– Aha, sagte Susanne.
– Sie müssen nur einen Wattebausch in Milch tunken und dann reiben. Und dann ist schon alles weg.
Die Dame beugte sich noch weiter vor. Susanne konnte ihren Atem riechen. Er roch nach Leberpastete.
– Sind die neu?, fragte die Dame.
– Nö.
– Na. Sie sehen so aus.
Da betrat ein Fahrkartenkontrolleur den Wagen. Die Dame hatte eine Monatskarte, die sie mit ausgestrecktem Arm in die Höhe hielt. So blieb sie auch sitzen, obwohl der Kontrolleur schon mit einem Nicken vorbeigegangen war.
– Und jetzt geht es zum Shopping?, fragte sie und lächelte Susanne an.
– Nein. Kein Shopping.
– Ich treffe gleich meinen Sohn und meine Schwiegertochter, sagte die Dame. – Zu Hause bei ihren Eltern. Mein Sohn und seine Frau wohnen nämlich eigentlich in Amerika, müssen Sie wissen. Aber jetzt machen sie hier Urlaub, bei ihren Eltern. Und da haben sie mich eingeladen, das ist doch immerhin nett von ihnen. Ich habe sie auch schon in Amerika besucht. Das war ein Erlebnis, kolossal. Sie wohnen in Texas.
Sie sprach es aus wie Tesas.
– Mein Sohn arbeitet in der Molkereibranche. Aber jetzt fragen Sie sich wohl, ob sie da überhaupt Molkereien haben, in Texas?
Susanne sagte nichts.
– Amerika ist ja vor allem für die großen Steaks bekannt. Oh, und sie haben mich in ein Restaurant ausgeführt, eines der besten in ganz Texas. Da konnte man vielleicht Steaks bekommen, bis zu zwölfhundert Gramm. Was sagen Sie dazu? Aber ich habe nur eines mit zweihundertfünfzig Gramm bestellt. Und mein Sohn hatte eines mit achthundert. Puh, war das riesig. Aber er war schon immer ein großer Fleischesser. Die beiden haben ja keine Kinder, das ist ihre große Sorge. Sie wissen schon, Sorgen und Freuden, die gehen Hand in Hand, wie man so sagt. Nicht. Das wissen Sie doch. Nicht wahr? Aber es geht ihnen gut. Sie beklagen sich nie. Da wären sie aber auch undankbare Schufte.
Sie sog die Lippen nach innen und nickte.
– Er verdient über eine Million im Jahr, flüsterte sie. – Also Dollars. Er hat mehr oder weniger die Diätmargarine erfunden.
Sie sprach es aus wie Dollas.
– Ist das nicht eine sehr alte Erfindung?, fragte Susanne.
– Meine Lippen sind versiegelt, sagte die Dame. Sie lächelte. Sorgfältig steckte sie die Monatskarte wieder in ihre Tasche und faltete die Hände im Schoß.
– Da haben Sie was, worüber Sie nachdenken können, sagte sie. Dann wies sie mit einem Nicken auf Susannes Stiefel.
– Denken Sie an das mit der Milch. Mit so was kenne ich mich aus.
4
Zwei Jahre zuvor arbeitete Susanne im Krankenhaus.
Anfangs putzte sie. Sie musste jeden Morgen um sechs Uhr antreten. In einem Kellerraum zogen sie sich alle um. Susanne fand es schrecklich, unter dem Kittel Strumpfhosen zu tragen, aber in den kalten Monaten ging es kaum ohne. Sie konnten sich auch noch ein Jäckchen aus dem Schrank nehmen.
Aus dem Raum nebenan holte sie ihren Wagen, kontrollierte, ob alles da war, und füllte auf. Es war kein Problem, den eigenen Putzwagen zu erkennen, auch wenn ein Außenstehender keinen Unterschied hätte sehen können. Grundsätzlich waren die Wagen alle gleich, aber es gab zum Beispiel mehrere Möglichkeiten, die Gummihandschuhe aufzuhängen. So konnte man sie über einen Eimerrand hängen oder an den Stiel des Wischmopps oder des Trockenmopps. Man konnte sie aber auch auf alle erdenklichen Arten in den Korb legen.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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