1,99 €
Holger Baron von Helmau kann es kaum erwarten, dass seine geliebte Sabine endlich seine Gemahlin wird. Vorher wird aber noch ein fröhlicher Polterabend gefeiert. Auf diesem Fest machen Sabine und ihre Zwillingsschwester Susanne sich einen Spaß daraus, vollkommen gleich gekleidet und frisiert zu erscheinen, sodass sie sich ähneln wie ein Ei dem anderen. Und dann passiert es tatsächlich, dass Holger die beiden im Laufe des Abends einmal verwechselt und er nicht Sabine, sondern Susanne nach einem Tanz in ein Nebenzimmer zieht und leidenschaftlich küsst.
Susanne bleibt zuerst vor Schreck fast das Herz stehen, aber dann möchte sie vor Seligkeit beinahe vergehen, denn sie verliebt sich in diesem Augenblick unsterblich in ihren Schwager ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 134
Cover
Die Stellvertreterin
Vorschau
Impressum
Die Stellvertreterin
Warum sie den Kuss ihres Schwagers niemals mehr vergessen kann
Holger Baron von Helmau kann es kaum erwarten, dass seine geliebte Sabine endlich seine Gemahlin wird. Vorher wird aber noch ein fröhlicher Polterabend gefeiert. Auf diesem Fest machen Sabine und ihre Zwillingsschwester Susanne sich einen Spaß daraus, vollkommen gleich gekleidet und frisiert zu erscheinen, sodass sie sich ähneln wie ein Ei dem anderen. Und dann passiert es tatsächlich, dass Holger die beiden im Laufe des Abends einmal verwechselt und er nicht Sabine, sondern Susanne nach einem Tanz in ein Nebenzimmer zieht und leidenschaftlich küsst.
Susanne bleibt zuerst vor Schreck fast das Herz stehen, aber dann möchte sie vor Seligkeit beinahe vergehen, denn sie verliebt sich in diesem Augenblick unsterblich in ihren Schwager ...
»Mächtig heiß heute, Holger, nicht wahr?«
Der Eleve Jürgen Wittholt, der gerade wieder mit dem Traktor auf das Feld gerollt kam, an dem der Leiterwagen hing, wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Es ist nun mal nicht anders, Jürgen«, erwiderte der junge Baron Holger von Helmau, der den Eleven wie einen Freund behandelte und niemals den Vorgesetzten herauskehrte.
Im Alter bestand ja auch nicht viel Unterschied zwischen ihnen. Der Erbe von Gut Helmau war vierundzwanzig Jahre alt, und Jürgen Wittholt, der Sohn eines Arztes aus Bremen, zählte zweiundzwanzig Lenze.
»Die Arbeit des Landmannes ist immer noch hart, trotz der Maschinen«, setzte Baron Holger noch hinzu. »Überleg es dir gut, Jürgen, ob du wirklich das Gut deines Onkels übernehmen willst.«
Die Wittholts hatten eine weit verzweigte Verwandtschaft, in der es auch einen Erbonkel mit Gut gab. Jürgen, der Sohn des Arztes, sollte ein Jahr lang als Eleve auf Gut Helmau arbeiten, um herauszufinden, ob er Talent zum Landwirt und Gutsherrn hatte oder nicht.
Baron Holger war recht froh über die Anwesenheit des Eleven auf dem Gut, denn in Jürgen Wittholt besaß er einen gleichrangigen Gesprächspartner und einen Kameraden bei vielen gemeinsamen Unternehmungen.
Sonst gab es auf Gut Helmau nur noch Baron Georg, den Vater Holgers, Baronin Elise und die Knechte und Mägde.
Zu seinem Vater hatte Baron Holger kein gutes Verhältnis. Desto herzlicher war die Beziehung zu seiner Mutter, doch Baronin Elise spielte in diesem Hause nur eine untergeordnete Rolle.
»Ich werde es mir noch überlegen, ob ich mich mein ganzes Leben lang so schinden will«, antwortete Jürgen Wittholt jetzt auf die letzte Bemerkung des jungen Barons. »Gott sei Dank liegt der Fall anders als bei dir. Du wirst ja nicht gefragt, ob du willst oder nicht. Es ist nun einmal dein Schicksal, das Gut zu übernehmen, weil du der einzige Sohn und letzte Spross der Helmaus bist.«
»Ja, so ist es, das ist mein Schicksal«, murmelte Baron Holger, ehe er von Neuem den Motor der Mähmaschine einschaltete und in das hoch stehende Gras der Wiese hineinfuhr.
Der alte Baron kam jetzt auf seinem Goldfuchs Laurin angeprescht, auf dem er unentwegt die riesige Wiese umkreiste, um seine Leute anzutreiben.
»Das wollte ich mir auch ausgebeten haben, dass ihr wieder an die Arbeit geht und hier nicht etwa einen Stehkonvent abhaltet«, brüllte er so laut, dass man ihn auch noch durch das Lärmen der Motoren verstehen konnte. »Schließlich müsst ihr zwei den Leuten mit gutem Beispiel vorangehen.«
»Zu Befehl, Papa!«, schrie Baron Holger und legte zwei Finger an die Schläfe, als wollte er salutieren.
Baron Georg bedachte seinen einzigen Sprössling mit einem schrägen Blick von der Seite her. Machte der Junge sich etwa lustig über ihn?
In diesem Augenblick ertönte vom Seeufer her eine Sirene.
»Feierabend!«, rief Baron Holger. »Das ist die Sirene des Sägewerks in Malente. Dann ist es sechs Uhr, und wir können Schluss machen.«
»Einen Dreck können wir«, erklärte der Großknecht Krischan. »Im Sägewerk brauchen sie sich nicht um das Wetter kümmern, da ist alle Tage um sechs Uhr Feierabend. Bei uns bestimmt der Baron, ob wir gehen dürfen oder nicht.«
Da ertönte schon Baron Georgs Stimme.
»Na, was ist denn, Leute, warum hört ihr auf? Die Wiese muss heute noch zu Ende gemäht werden. Für das kommende Wochenende ist Regen angesagt. Bis dahin wollen wir das Heu trocken in der Scheune haben.«
»Siehst du, habe ich es nicht gesagt?«, brummte Krischan und griff schon wieder nach dem Rechen, um das gemähte Gras zusammenzuziehen und auf die Heureiter zu legen, die die Mägde mit geschickten Händen aufstellten.
»Hast du was vor heute Abend, Holger?«, erkundigte sich Jürgen Wittholt bei dem jungen Herrn.
»Nicht verraten«, antwortete dieser und legte den Zeigefinger an die Lippen. »Mein Mädchen wartet im Wald.«
Baron Holger gab Vollgas und ließ die Mähmaschine schneller als zuvor über das Feld laufen.
»Verdammt noch mal! Fahr einen geraden Strich!«, brüllte sein Vater, der gerade wieder auf Laurin vorüberkam. »Es ist doch wohl nicht schwer, die Spur zu halten!«
»Dies ist kein Verkehrsübungsplatz, Papa«, wehrte sich der Sohn.
»Solche Antworten verbitte ich mir«, fuhr ihn der Vater an. »Du hast die falsche Einstellung zu deiner Arbeit. Gerade weil du niemanden mehr über dir hast, der dir Befehle erteilt, musst du selbst streng zu dir sein. Vergiss nicht, dass du diesem wundervollen alten Besitz verpflichtet bist. Hier haben schon Generationen von Helmaus gewirkt. Du musst ein Vermächtnis pflegen und in Ehren halten.«
Dann ritt er wieder weiter, weil am anderen Ende des Feldes eine der Mägde sich einfach auf den Boden gesetzt hatte und eine Verschnaufpause einlegte.
»Hier bestimme ich, wann Pausen gemacht werden«, brüllte er schon von Weitem das Mädchen an, das erschrocken emporfuhr.
Baron Holger hatte es längst aufgegeben, sich gegen seinen schnell aufbrausenden Vater zur Wehr zu setzen. Er versuchte vielmehr, durch geschicktes Manipulieren offenen Auseinandersetzungen auszuweichen und sich heimlich die Wünsche zu erfüllen, deren Befriedigung ihm offiziell versagt wurde.
Seine beste Bundesgenossin bei dieser Politik war seine Mutter, Baronin Elise.
»Wenn man mit einem Menschen wie deinem Vater leben will«, sagte sie ihrem Sohn immer mit leiser Stimme, »muss man den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Glaub mir, mein Sohn, dass mir Heimlichkeiten gewiss nicht liegen, aber dein Vater will einfach belogen werden, denn er kann sich doch nicht allen Ernstes einbilden, dass seine gesamte Umwelt sich seinem Willen beugt.«
So suchte Holger von Helmau auch an diesem Spätnachmittag im Juni, während er die Mähmaschine lenkte, angestrengt nach einer Möglichkeit, dem Vater zu entkommen.
Plötzlich glaubte er, den Trick gefunden zu haben. Die Benzinuhr der Maschine zeigte, dass der Tank schon ziemlich leer war. Holger hätte eigentlich dem wieder einmal mit einem gefüllten Leiterwagen ins Dorf fahrenden Eleven den Auftrag erteilen müssen, mit einem vollen Benzinkanister zurückzukommen.
Aber er unterließ es vorsätzlich und freute sich insgeheim auf den Moment, wo die Mähmaschine mangels Sprit stehen bleiben würde.
Das geschah dann auch, als Jürgen mit dem Traktor fort war und man weit und breit nichts mehr von ihm entdecken konnte.
»Verflixt, ich habe vor lauter Eifer nicht mehr auf die Benzinuhr gesehen«, behauptete der junge Mann.
»Wie ärgerlich!«, knirschte sein Vater zwischen den Zähnen. »Nun müssen wir warten, bis Jürgen die nächste Fuhre holen kommt, und wenn wir ihn dann sofort zum Dorf zurückschicken, wird es für heute zu spät, bis er mit dem Kanister wieder draußen ist. Dann ist es dunkel, und wir können nichts mehr sehen.«
»Es tut mir leid, Papa, aber das habe ich nicht gewollt«, schwindelte der Sohn.
»Feierabend für heute!«, verkündete der Gutsherr grollend. »Sichere die Maschine und nimm den Zündschlüssel an dich, Holger, wir müssen sie hier draußen stehen lassen.«
Alle auf der großen Wiese Beschäftigten beendeten ihre Arbeit, schulterten die Rechen und Gabeln und machten sich auf den Heimweg.
Unterwegs begegnete ihnen Jürgen Wittholt, der wieder einmal einen leeren Leiterwagen zur Wiese hinauszog.
»Schluss für heute!«, rief Krischan ihm zu. »Du kannst umkehren. Wir steigen alle auf den Leiterwagen, dann brauchen wir nicht zu laufen.«
♥♥♥
Kaum war Baron Holger im Gutshof vom Leiterwagen gesprungen, da eilte er ins Obergeschoss des Herrenhauses, um sich frisch zu machen und umzuziehen.
Nach einem guten Rasierwasser duftend und mit einer grauen Flanellhose und einem weißen kurzärmeligen Hemd bekleidet, das seine braun gebrannten muskulösen Arme sehen ließ, beugte er sich zehn Minuten später über seine Mutter und hauchte einen Kuss auf ihre Wange.
»Ich habe keine Zeit mehr zum Abendessen, Mama«, sagte er. »Die Freundin wartet. Sieh zu, wie du es Papa beibringst.« Und weg war er.
Baronin Elise wusste ganz genau, was sie nun erwartete. Ihr Gatte, Baron Georg, würde ein Donnerwetter hinter seinem verschwundenen Sohn herschicken. In seinen Augen war es ein Staatsverbrechen, wenn der Junge die gemeinsamen Mahlzeiten versäumte. Und außerdem war ihm diese Liebschaft mit einem unbekannten jungen Mädchen aus Malente sowieso ein Dorn im Auge.
Der alte Diener Karl klopfte jetzt an die Tür und teilte der Frau des Hauses mit, dass der Tisch für das Abendessen im Speisezimmer gedeckt wäre.
»Es ist gut, Karl. Sie können den Gong schlagen«, befahl die Baronin ihm.
Dann erhob sie sich aus ihrem Sessel und ging ins Esszimmer hinüber, um sich abwartend hinter den hochlehnigen Stuhl zu stellen, auf dem sie seit nunmehr fünfundzwanzig Jahren zu sitzen pflegte.
Alles war in diesem Hause streng geregelt, das ganze Leben lief nach einem vom Hausherrn festgelegten Ritus ab.
Der Gong dröhnte durch das Haus.
Gleich darauf erklang der feste Schritt des Gutsherrn auf der teppichbelegten Treppe, und wenige Sekunden später trat Baron Georg in einem frischen Hemd und einer dunkelgrauen Hose mit tadellosen Bügelfalten über die Schwelle. Sein früher blond gewesenes und jetzt grau gewordenes Haar war mit nassen Bürstenstrichen an den Kopf geklebt.
»Guten Abend, meine Liebe«, sagte er und küsste seine Frau auf die dargebotene Wange. Sofort danach bemerkte er: »Der Junge fehlt. Hat er den Gong nicht gehört? Warum ist er nicht pünktlich zur Stelle?«
»Wir können ja noch zwei Minuten warten«, schlug Baronin Elise scheinheilig vor.
»Nein, wir warten nicht. Wir setzen uns und fangen an«, bestimmte ihr Gemahl energisch.
»Sehr wohl, Herr Baron.« Karl dienerte und begann mit dem Auftragen der Speisen.
»Gehen Sie hinauf in das Zimmer meines Sohnes, und sehen Sie nach, Karl«, befahl der Hausherr dem Diener, als der Baron und die Baronin versorgt waren. »Ich wünsche, dass mein Sohn unverzüglich erscheint. Richten Sie ihm das bitte aus!«
Auch der alte Diener wusste, dass der junge Herr längst über alle Berge war. Er wechselte einen unbemerkten Blick mit der Dame des Hauses und verließ willig das Speisezimmer, um so zu tun, als sähe er nach.
»Das Zimmer des jungen Herrn ist leer«, teilte Karl dem Gutsherrn mit, als er zurückkehrte.
»Immer diese Unbotmäßigkeit!«, rief Herr von Helmau. »Aber das hört mir auf! Jawohl, das hört mir auf! Ich kann mir schon denken, wohin er gelaufen ist – zu einem Rendezvous. Sicherlich trifft er sich mit seiner Freundin im Wald.«
»So lass ihn doch gewähren, Georg«, bat seine Gattin. »Du bist doch auch einmal jung gewesen.«
»Solche Dinge habe ich mir nicht erlaubt«, widersprach ihr Mann. »Mein Vater hätte das auch gar nicht durchgehen lassen. Ich möchte nur einmal wissen, aus welchen obskuren Verhältnissen dieses junge Mädchen stammt, das sich zu später Abendstunde mit einem jungen Mann im Wald treffen darf, ohne dass die Eltern dagegen einschreiten.«
»Wahrscheinlich wissen ihre Eltern nichts davon«, meinte die Baronin lächelnd.
»Und so etwas förderst du noch, Elise?«, warf ihr Mann ihr sofort im strengen Tone vor. »Du müsstest es deinem Sohn untersagen, jawohl, untersagen!«
»Aber er ist auch dein Sohn«, stellte die Baronin richtig. »Er hat den gleichen Dickkopf wie du. Ich glaube nicht, dass er sich von mir Vorschriften machen lassen würde. Du vergisst, dass er erwachsen ist.«
»Na und? Kann er vielleicht auf eigenen Füßen stehen? Besitzt er eigenes Vermögen oder Einkommen? Er ist doch vollständig von mir abhängig. Ich werde es ihm nachdrücklich klarmachen, dass er zu parieren hat.«
Wütend begann er das Essen in sich hineinzuschaufeln, wobei er verbissen auf einen Punkt auf der Tischdecke starrte.
»Ich hoffe, dein Zorn hindert dich nicht daran festzustellen, dass diese mit Kräutern und Fleisch gefüllten Eierkuchen ganz wunderbar gelungen sind«, versuchte die Baronin ihn von seinem Zorn abzulenken.
Doch es war unmöglich. Ein Thema, in das er sich einmal verbissen hatte, ließ er so leicht nicht wieder los.
»Diesem Treiben im Wald werde ich ein Ende bereiten«, erklärte er. »Wenn der Junge nach Hause kommt, erfährt er, dass ich ihm die Frau fürs Leben bereits ausgesucht habe. Er muss die Beziehung zu dem kleinen Mädchen beenden, denn für das nächste Wochenende erwarte ich die junge Dame, die einmal unsere Schwiegertochter werden wird, mit ihren Eltern zu Besuch.«
»Um Gottes willen!«, entfuhr es Baronin Elise. »Davon hast du mir gar nichts gesagt, und Holger ist auch völlig unvorbereitet.«
»Wieso muss er sich darauf vorbereiten?«, gab der Baron verwundert zurück. »Es genügt doch, wenn er es morgen oder übermorgen erfährt und in seine Wochenendpläne mit einbezieht. Ich erwarte nichts weiter von ihm, als dass er zu Hause bleibt, die junge Dame freundlich begrüßt und ihr unseren Besitz zeigt.«
»Und wie heißt das Mädchen, das du ausgesucht hast?«
»Sie ist eine Tochter des Regierungsrats von Krein, der in Malente wohnt«, teilte Baron Georg seiner Gemahlin mit. »Du weißt, der Regierungsrat ist mein Schulfreund. Ich habe von Untertertia bis Oberprima neben Albert von Krein gesessen. Er hat von mir in Mathematik abgeschrieben und ich von ihm in Deutsch. Heute ist er ein geschätzter Beamter der holsteinischen Landesregierung, und ich bin eben Landwirt geworden, wie mein Vater das von mir erwartete.«
»So, so, ein Fräulein von Krein hast du unserem Sohn als Braut ausgesucht«, murmelte die Baronin. »Dann wollen wir nur hoffen, dass sie ihm auch gefällt.«
»Das spielt doch überhaupt keine Rolle«, entgegnete der Baron. »Die Verhältnisse passen. Ich werde warten, bis mein Sohn heute Abend nach Hause kommt, und dann werde ich ihm klarmachen, dass dieses Herumflanieren aufzuhören hat. Am nächsten Wochenende beginnt der Ernst des Lebens. Da werde ich ihm seine Braut vorstellen, und er hat sich so zu benehmen, wie sich ein anständiger junger Mann benimmt.«
Nach dem Abendessen kehrte Baronin Elise zu ihrer Handarbeit in ihren geliebten Ohrensessel zurück, während es sich Baron Georg vor dem Rundfunkgerät bequem machte.
♥♥♥
Zur gleichen Zeit saßen zwei junge Menschen auf einer Bank am Seeufer, die von den Zweigen einer mächtigen Buche wie von einem eigens dafür konstruierten Dach überwölbt wurde.
Es waren Holger Baron von Helmau und seine hübsche Freundin Binchen.
Die beiden hatten einander im vergangenen Sommer beim Schwimmen im See kennengelernt. Seitdem trafen sie sich an dieser Bank. Im Winter hatten sie den Treffpunkt nach Malente in ein kleines Café verlegen müssen, und es war immer schwierig für beide gewesen, den strengen Eltern zu entkommen.
Doch jetzt war Sommer, genauer gesagt Juni, und wenigstens noch drei Monate lang würde es möglich sein, sich an diesem idyllischen Platz zu begegnen.
So meinte wenigstens der junge Gutserbe, doch seine hübsche Freundin sah sich leider genötigt, ihm zu widersprechen.
»Ich habe von meiner Mutter erfahren, dass man mich zu verheiraten plant«, sagte die anmutige dunkelhaarige Sabine jetzt. »Man hat für mich den Sohn eines Gutsbesitzers ausgesucht, der noch dazu adelig sein soll. Mein Vater und dieser Gutsbesitzer sind Schulkameraden. Sie leben schon seit vielen Jahren so nahe beieinander und wussten nichts davon. Erst beim Treffen der ehemaligen Schüler ihres Gymnasiums haben sie sich wiedergesehen und festgestellt, dass sie beinahe Nachbarn sind.«
»Und wie stellst du dich zu dieser Absicht deiner Eltern?«, erkundigte sich Baron Holger bang.
»Auf keinen Fall werde ich die Frau dieses Unbekannten werden«, erklärte Sabine in flammendem Protest. »Ich liebe dich, Holger, ich gehöre zu dir, und ich lasse mir nicht vorschreiben, wer mein Mann werden soll.«
»Genauso denke ich auch«, erklärte der junge Baron. »Niemand wird mich dazu bringen, auf dich zu verzichten, denn ich liebe dich, und ich werde warten, bis du mündig bist und selbst entscheiden kannst.«
Damit war alles Wesentliche gesagt, und nun widmeten sie sich der reizvollen Tätigkeit, um derentwillen sie hergekommen waren.