Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 667 - Karin Weber - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 667 E-Book

Karin Weber

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Beschreibung

Erschüttert und verzweifelt erkennt Lüder Kirchner, dass er sein Unglück heraufbeschwor, als er sich von Mareike und seinen Kindern trennte, um Ellen, die junge und strahlend schöne Stenotypistin zu heiraten - eine Frau, die ihn anschließend ruinierte und zum Betrüger werden ließ.
Ist es da verwunderlich, dass Lüder, der jetzt den wahren Wert Mareikes erkennt, alles versucht, um sie, die er durch eigene Schuld verlor, wiederzugewinnen?


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Inhalt

Cover

Wenn Liebe vergeht

Vorschau

Impressum

Wenn Liebe vergeht

Mareike nimmt ihr Schicksal in die Hand

Finale der großen Roman-Trilogie

Erschüttert und verzweifelt erkennt Lüder Kirchner, dass er sein Unglück heraufbeschwor, als er sich von Mareike und seinen Kindern trennte, um Ellen, die junge und strahlend schöne Stenotypistin zu heiraten – eine Frau, die ihn anschließend ruinierte und zum Betrüger werden ließ.

Ist es da verwunderlich, dass Lüder, der jetzt den wahren Wert Mareikes erkennt, alles versucht, um sie, die er durch eigene Schuld verlor, wiederzugewinnen?

Frau Erna betrachtete ihre Schwiegertochter mit verkniffenem Gesicht. Sie sprach nicht mehr mit ihr. Es war unter ihrer Würde, sich mit solch einer Person abzugeben, aber sie beobachtete sie ganz genau. Nichts entging ihren scharfen Augen, die geringste Nachlässigkeit wurde registriert und abends Simon brühwarm erzählt.

»Ich will ja nichts gegen Mareike sagen, mein Junge, aber ...« So wurde er empfangen, Abend für Abend, und wenn es auch nur Kleinigkeiten waren, die sie vorbringen konnte, sie erzählte sie wie Tragödien.

Kein Wunder, dass die junge Frau immer nervöser wurde, solange die Alte ihr unverwandt auf die Finger guckte. Mareike zählte das Geld in der Börse und überlegte, was sie alles einkaufen wollte, aber unter dem Blick ihrer Schwiegermutter konnte sie sich nicht konzentrieren.

Resignierend griff Mareike nach der Tasche. Sie würde heute wahrscheinlich zweimal gehen müssen, weil sie bestimmt wieder etwas vergaß, und wenn Simon nach Hause kam, hatte seine Mutter wieder etwas zu erzählen.

Damals hatte Mareike nicht geahnt, was es hieß, mit solch einer bösen Schwiegermutter unter einem Dach zu wohnen.

Voll guten Willens war sie gewesen, als sie Simon Hagen geheiratet hatte, den Mann, den sie nicht liebte, aber brauchte. Und nicht ihn hatte sie bekommen, sondern seine Mutter, eine unerbittliche Hexe, die wie ein Geier darauf wartete, sie zu zerfleischen.

Aufatmend verließ Mareike Hagen die Wohnung.

Auf der Straße holte sie tief Luft, aber es gelang ihr nicht, befreit zu lächeln. Sie durfte heute nichts vergessen. Was wollte sie denn alles holen?

Nudeln, Eier, Zucker, Butter, Bratenfett. Es waren sechs Teile gewesen, doch ihr fiel nicht ein, was fehlte.

Gedankenverloren ging Mareike über die Straße und stieß fast gegen einen Mann, der seit drei Stunden hinter einem Hausvorsprung auf sie gewartet hatte. Sie schreckte zusammen, ließ die Tasche fallen und bückte sich gleichzeitig mit ihm.

»Ich muss dich sprechen, Mareike«, stieß der Mann hervor und gab ihr die Einkaufstasche zurück.

»Was willst du noch von mir, Lüder?«, fragte die junge Frau gepresst. »Wir haben nichts mehr miteinander zu besprechen. Gönn Christine und mir doch den Frieden!«

Sie schaute an ihm vorbei und sah doch, wie ärmlich und abgerissen er aussah.

Er tat ihr leid, obwohl es Wahnsinn war, diesen Mann noch zu bedauern. Sieben Jahre lang war sie mit ihm verheiratet gewesen, und sie hatte geglaubt, eine glückliche Ehe zu führen, bis er sie und die Kinder eines Tages einer jüngeren Frau wegen verlassen hatte.

Der Mann schaute sich gehetzt um. Er wirkte schuldbewusst wie ein Dieb, der die Polizei fürchtete, und so ähnlich fühlte er sich auch.

Mareike hielt die Tasche mit der rechten Hand, und dort glänzte Simon Hagens Ring. Sie hatte nach der Scheidung wieder geheiratet, heiraten müssen, weil sie nicht imstande gewesen war, allein für die Kinder zu sorgen. Und Lüder hatte ihr nicht einmal das monatliche Unterhaltsgeld für die Kinder geschickt, alles war für die Ansprüche seiner zweiten Frau verbraucht worden.

Nun wollte er rückgängig machen, was geschehen war, er wollte sein Leben dort fortsetzen, wo er es selbst einmal mit brutaler Hand beendet hatte.

»Ich muss dich sprechen!«, beharrte er. Seine Augen flackerten wie die eines Irrsinnigen.

»Aber wenn man uns sieht ...«

Unwillkürlich schaute Mareike über die Schulter zurück. Ihre Schwiegermutter schien manchmal durch Wände und um Ecke herum schauen zu können.

»Guten Morgen«, grüßte sie eine Nachbarin mit gezwungenem Lächeln. Die Frau wohnte im gleichen Hause und hatte sie hier mit einem Mann zusammen stehen sehen. Mareike wusste, was das bedeutete.

»Wir dürfen nicht miteinander sprechen«, flüsterte sie erstickt.

»Hör mir zu, es dauert ja nicht lange. Es tut mir alles so leid. Es war damals verrückt von mir, dass ich Ellen geheiratet habe. Sie taugt nichts, sie hat mich ruiniert.«

Mareike presste die Lippen aufeinander. Wollte er etwa noch von ihr bedauert werden?

Sie hatte ihm von Anfang an gesagt, dass das Frauenzimmer keinen Schuss Pulver wert war, die kleine Stenotypistin, die sich an den verheirateten Prokuristen herangemacht hatte.

»Mareike, ich möchte wiedergutmachen ...« Sein Blick brannte auf ihrem Gesicht. Es war ungeheuer wichtig, die richtigen Worte zu finden, er musste sie überzeugen, dass sie zusammengehörten.

»Komm weiter, wir können hier nicht stehen bleiben. Ich muss einkaufen, meine Schwiegermutter wird mich fragen, wo ich so lange gewesen bin.«

»Sag, du hättest beim Krämer warten müssen. Willst du eben mit zu mir kommen? Ich hab ein Zimmer, dort können wir ungestört sprechen.«

»Wir haben nichts mehr miteinander zu besprechen. Vergiss nicht, dass ich verheiratet bin.«

»Ja, mit Simon. Sag mir nicht, er bedeutet dir etwas. Ich weiß, dass du lügst. Du hast ihn genommen, um versorgt zu sein.«

Mareike warf abweisend den Kopf in den Nacken.

»Du brauchst es mir nicht zu bestätigen, ich weiß es selbst.« Sie gingen nebeneinander die Straße entlang, schon längst lagen die vertrauten Geschäfte hinter Mareike.

Neben ihr ging der Mann, dem sie sieben Jahre lang vertraut hatte, der Vater ihrer Kinder, mit dem sie glücklich gewesen war. Was wollte er von ihr?

»Ellen hat die Scheidung eingereicht. Ich bin froh darüber. Und dann bin ich frei.«

Fragend schaute er sie von der Seite an. Was sollte seine geschiedene Frau darauf schon antworten? Sie ging etwas schneller, ein Zeichen ihrer Erregung.

»Ich hab gedacht, wenn wir beide dann ... und Christine ... Ich meine, ich bin doch schließlich ihr Vater. Wir könnten wieder heiraten.«

Abrupt blieb Mareike stehen.

»Ich bin verheiratet«, erinnerte sie ihn rau. »Das hast du anscheinend vergessen.«

»Du könntest dich doch scheiden lassen. Simon ist kein Mann, der zu dir passt. Und ich glaube nicht, dass er dir Schwierigkeiten machen wird.«

»Du hast nichts dazu gelernt, Lüder, du denkst nur an dich. Du suchst jemanden, der dir preiswert den Haushalt führt und dir ein gemütliches Heim schafft. Die Frau war ich einmal. Ich denke nicht mehr daran, Dienstmädchen zu spielen. Deine Ellen hat dir bestimmt niemals die Schuhe geputzt, die war nicht so dumm wie ich. Und jetzt denkst du, die Mareike war gar nicht so schlecht. Vergiss nicht, dass du mich schamlos betrogen hast. Niemals kehre ich zu dir zurück. Niemals!«

Ein paar Passanten warfen ihr verblüffte Blicke zu. In ihrer maßlosen Erregung hatte sie lauter gesprochen, als es nötig gewesen wäre.

Lüder starrte auf die Spitzen seiner abgetretenen Schuhe.

»Ich versteh, dass du mich so anfährst.«

»Ach, du verstehst das!«, blaffte Mareike ihn an. »Wie freundlich von dir, mich zu verstehen. Aber ich verstehe dich auch, Lüder, und deshalb danke ich für dein Angebot. Du bist mir nicht gut genug. Einem Mann wie Simon kannst du nicht das Wasser reichen. Er sieht nicht so gut aus wie du, aber auf ihn kann ich mich verlassen. Und darauf kommt es an, nur darauf. Im Übrigen habe ich keine Zeit mehr.«

»Halt!« Lüder hielt sie am Mantel fest. »Wir müssen in Ruhe darüber sprechen, ich meine, das ist doch eine wichtige Angelegenheit.«

»Vielleicht für dich, für mich nicht. Du solltest dich schämen, einer Ehefrau einen Heiratsantrag zu machen. Was für eine Unverschämtheit überhaupt!«

»Aber Mareike!« Lüder Kirchner war ehrlich entsetzt. Mit solch einer scharfen Antwort hatte er nicht gerechnet. »Denk doch auch Christine. Du weißt doch, wie sie an mir hängt.«

»Gehangen hat«, verbesserte Mareike ihn bitter. »Deine Tochter ist mit ihren knapp acht Jahren nicht mehr so dumm, wie du glaubst. Sie weiß jetzt ziemlich genau, was sie von dir zu halten hat. Man hat ihr erzählt, was damals geschehen ist, die nette Geschichte vom Vater, der sie achselzuckend verließ, weil er eine jüngere Frau gefunden hatte. Sie weiß auch, dass ihr Vater kein Geld für sie übrig hatte. Erwartest du, dass sie dich dafür liebt?«

»Schrei doch nicht so.«

»Lass mich allein. Ich kann dich nicht mehr sehen, Lüder. Jetzt, wo du unten bist, besinnst du dich auf mich. Jetzt bin ich dir wieder gut genug. Aber man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Wir beide sind fertig miteinander, restlos fertig. Und wenn du mich weiterhin belästigst, rufe ich den Schutzmann da hinten.«

Sie sah aus wie eine Frau, die imstande war, ihre Drohung auszuführen. Lüder presste die Zähne tief in die Unterlippe.

»Das kann doch nicht dein letztes Wort sein«, sagte er leise.

Es war ihr letztes Wort, sie ließ ihn stehen und ging mit schnellen Schritten davon.

Lüder erinnerte sich noch genau, wie es damals gewesen war, als er sie kennengelernt hatte.

Zehn Jahre war es her. Es war am Strand gewesen, er hatte dort gebadet, allein, und sie war mit einer Freundin da gewesen. Und dann waren sie gemeinsam auf dem überfüllten Dampfer nach Kiel zurückgefahren. Es war die berühmte Liebe auf den ersten Blick gewesen, er hatte sie gesehen und sofort gewusst, dass sie das Mädchen war, auf das er immer gewartet hatte.

Sie hatten eine glückliche Ehe geführt, und dann hatte er sie wegen einer anderen verlassen. Ein großer Fehler, wie Lüder heute wusste.

Er starrte Mareike nach, sah sie immer kleiner werden, manchmal von Passanten verdeckt, dann tauchte ihr alter blauer Mantel wieder auf. Sie war noch immer hübsch, nur müde sah sie aus, sie hatte zwei Falten neben den Mundwinkeln, die sie früher nicht gehabt hatte.

Seine Schuld. Lüder wusste es genau, und in diesem Augenblick und eigentlich zum ersten Mal schämte er sich wirklich. Was für ein Mann war er nur, was für ein gemeiner Kerl. Er glaubte, sie würde sofort zu ihm zurückkehren und Simon im Stich lassen, nur weil sie ihn liebte.

Sicherlich, sie mochte ihn vielleicht noch immer lieben, aber gleichzeitig verachtete sie ihn auch. Der Mann gab einem kleinen Stein auf dem Pflaster einen ärgerlichen Fußtritt.

Diesen Vormittag hatte er sich freigenommen, obwohl er das Geld, das er als Bauhilfsarbeiter verdiente, bitter nötig brauchte. Er hatte in der Firma Lingenkamp fünftausendfünfhundert Mark unterschlagen, um Ellen einen Pelzmantel kaufen zu können, einen echten Nerz.

Als die Geschichte herausgekommen war, hatte der alte Lingenkamp ihn fristlos entlassen. Jede Woche brachte Lüder ihm etwas Geld von seinem sauer verdienten Lohn. Er würde Jahre brauchen, um die unterschlagene Summe zurückzuzahlen.

Aber er würde es schaffen. Nur Mareike, die war ihm verloren. Er hatte sie nicht geachtet, solange er sie besessen hatte, sie war so selbstverständlich gewesen, so unscheinbar, und plötzlich erschien sie ihm die begehrenswerteste Frau der Welt zu sein.

Lüder senkte den Kopf. Die Hände in den Manteltaschen vergraben, schlurfte er die Straße entlang. Er hatte Zeit, in seinem ärmlich möblierten Zimmer erwartete ihn niemand. Er hatte keine Freunde und keine Bekannten, sein Schicksal interessierte niemanden mehr.

Doch Lüder war kein Mann, der resignierte. Er würde sich wieder durchsetzen, er würde es wieder schaffen, sich eine Position zu erringen.

Und dann? Für wen wollte er arbeiten? Für Christine selbstverständlich. Sie sollte die Oberschule besuchen und genauso hübsche Kleider tragen wie die anderen Mädchen. Vielleicht hatte sie auch Lust zu studieren.

Lüder hatte wieder ein Ziel. Für einen Bauhilfsarbeiter war es ein hohes Ziel, aber für den fortgejagten Prokuristen Lüder Kirchner schien es nicht unmöglich zu sein, es zu erreichen.

♥♥♥

»Du hast lange gebraucht«, empfing Frau Erna ihre Schwiegertochter. Ihr misstrauischer Blick heftete sich starr auf Mareikes Gesicht. »Kein Wunder, dass du niemals mit deiner Arbeit fertig wirst, wenn du mit allen möglichen Leuten an den Ecken stehst und klatschst.«

»Wie meinst du das?«, fragte die junge Frau erbleichend.

»Wie ich es gesagt habe. War die Sehnsucht nach deinem Verflossenen so groß, dass du dich schon am helllichten Vormittag mit ihm treffen musstest? Was sollen die Leute nur von uns denken? Bisher waren wir eine anständige Familie. Ich mag es Simon gar nicht erzählen, dass du ...«

Sie brach ab, während sich ein gehässiges Lächeln über ihr zerfurchtes Gesicht legte.

Schweigend packte Mareike die Einkaufstasche aus. Sie hatte das Suppengemüse vergessen, jetzt fiel es ihr ein.

Wie üblich legte sie die Geldbörse in die kleine Schublade im Küchenschrank. Sie hatte noch fünfundzwanzig Mark, die mussten für vier Tage reichen. Und wenn sie sparsam wirtschaftete, würde es ihr auch gelingen, über die Runden zu kommen.

Frau Erna leckte sich über die Lippen. Ihr Geierblick glitt hastig von der Schublade fort und heftete sich auf das Fenster.

»Was wollte er denn noch von dir?«, fragte sie.

»Nichts.«

»Ach, und um dir das zu sagen, habt ihr fünfundzwanzig Minuten miteinander gesprochen!« Simons Mutter schnellte herum. »Das will mir nicht gefallen, meine Liebe, diese Heimlichkeiten. Du vergisst wohl ganz, dass du verheiratet bist.«

»Du erinnerst mich oft genug daran«, gab Mareike gereizt zurück. »Im Übrigen muss ich jetzt die Suppe aufsetzen.«

»Ich störe dich bestimmt nicht dabei.«

Frau Erna setzte sich auf einen Küchenstuhl und beobachtete jeden Handgriff der jungen Frau.

Mareike setzte den Topf mit Wasser auf den Herd. Beim Gemüsehändler war es meistens voll. Lohnte es sich, jetzt schnell hinzulaufen, bevor das Wasser kochte? Oder sollte sie solange warten und erst das Fleisch hineintun?

»Er sieht ja ziemlich abgerissen aus«, stellte die alte Frau nach kurzem Schweigen triumphierend fest. »Er ist wohl nicht mehr Prokurist, was?«

»Am besten ist es, du fragst ihn selbst danach«, schlug Mareike wütend vor.

»Was regst du dich so auf?«, erkundigte sich Frau Erna scheinheilig. »Man darf doch wohl mal etwas fragen. Und wo du dich noch so für ihn interessierst. Es wundert mich nur, dass du nicht seine schmutzige Wäsche holst und sie hier bei uns wäschst. Sein Oberhemd war grau.«

»Woher weißt du das?«

»Ich hab ihn gesehen. Ich hab mir ein bisschen Tee geholt, und da habe ich euch stehen sehen. Simon wird sich freuen, dass du dich noch immer mit ihm triffst. Jetzt weiß ich auch, wo du abends hingehst, wenn du angeblich noch einen Spaziergang machst.«

»Dürfte ich dich bitten, mich in der Küche allein zu lassen?«, fragte Mareike scharf.

In Frau Ernas Augen zuckte es befriedigt auf. Sie hatte es wieder einmal geschafft, ihre Schwiegertochter ins Unrecht zu setzen. Sie, eine arme alte Frau, wurde von diesem bösartigen Geschöpf aus der Küche gewiesen, obwohl sie nur gekommen war, um sich ein Tässchen Tee aufzugießen.

Heute Abend würde sie ihrem Simon alles brühwarm erzählen.

»Gut, ich geh. Es ist zwar meine Küche, in der du dich breitgemacht hast, aber ich gehe.«

Das Wasser kochte, Mareike legte das Fleisch hinein, stellte den Herd auf klein und hastete dann hinaus. Eine Viertelstunde später kam sie zurück, erhitzt, atemlos, sie war den ganzen Weg gelaufen. Und warum?

Es bestand gar kein Anlass. Die Suppe würde rechtzeitig genug fertig werden, es war nur ihre nervöse Unruhe, die es ihr unmöglich machte, etwas besonnen zu tun.

Christine kam pünktlich aus der Schule, ein ernstes, blasses Kind mit großen Augen, das das Lachen vollkommen verlernt hatte. Ihr Gesichtchen erhellte sich erst ein wenig, als sie feststellte, dass sie mit der Mutti allein in der Küche war.

»Ist sie in ihrem Zimmer?«, wisperte sie. Mutter und Tochter sprachen fast immer nur in diesem geheimnisvollen Flüsterton miteinander. Gefangene in der eigenen Wohnung, die lauschende Ohren zu fürchten hatten.

Mareike nickte wortlos.

Schweigend löffelte Christine ihre Suppe. Es war, als hätten sie sich nichts zu erzählen, und dabei gab es so viele Probleme, über die das Kind nachdachte. Sie wagte nur nicht, mit der Mutti darüber zu sprechen.

Sie hatte einen richtigen Vati, er lebte in der Stadt. Weshalb hatte er sich eine andere Frau genommen? Durfte man das, wenn man Vati war? Und auch ihre Mutti hatte wieder geheiratet, diesen Onkel Hagen, den sie jetzt mit Papa anreden musste. Und dabei war die Mutti nicht glücklich, sie lachte nie mehr, und manchmal hörte Christine sie sogar weinen, wenn sie sich allein glaubte.

Weshalb taten Erwachsene so unvernünftige Dinge? Vati und Mutti gehörten doch zusammen!

Mareike strich Christine mitleidig über das helle Blondhaar. Das Kind hob kurz die dunklen Augen.

Ohne Lächeln schaute sie die Mutter an, es war ein Blick, der Mareike ins Herz traf.

Ihr Kind war frühreif, ernst, verschlossen, und sie hatte doch versucht, ihm seine Fröhlichkeit zu erhalten. Nur der Kinder wegen – damals hatte Gerda noch gelebt – hatte sie Simon Hagen geheiratet. Und nun dämmerte es ihr, dass ein Dach über dem Kopf nicht genug war.

»Iss weiter«, forderte sie die Kleine liebevoll auf. Christine gehorchte. Sie hatte ein schönes Bett, ein kleines Zimmer ganz für sich allein, sie bekam regelmäßig ihre Mahlzeiten, und die Mutti half ihr bei den Schularbeiten.

Doch glücklich war das Mädchen nicht.