Die Wirklichkeit der Welt - Thomas Kühn - E-Book

Die Wirklichkeit der Welt E-Book

Thomas Kuhn

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Beschreibung

Der Autor entwickelt in einer losen Folge von Essays, deren Herzstück die Auseinandersetzung mit der Sinnfeldontologie von Markus Gabriel darstellt, die Idee eines ontologischen Holismus, der mit einem epistemischen und semantischen Pluralismus vereinbar sein solle; das bedeutet vor allem, dass die solcherart holistisch verstandene Welt ontologisch unabhängig, jedoch epistemisch und semantisch abhängig von jedem Erkenntnissubjekt sei. Die Schlussfolgerung aus dieser Idee ist frappierend: Die Existenz der Welt - einschließlich unserer eigenen - sei jenseits von Sinn und Bedeutung, von Wahrheit und Erkenntnis, von Gut und Böse als gesichert anzunehmen. Dies Existenzpostulat korrespondiert mit der Erkenntnis unserer metaphysischen Freiheit. Wir selbst treten als Schöpfer von Sinn und Bedeutung auf den Plan. Diese altehrwürdige philosophische Position beansprucht keineswegs, "neu" zu sein; eher versucht der Autor, sie in der Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Positionen neu zu denken.

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Thomas Kühn

Die Wirklichkeit der Welt

Essays

© 2021 Thomas Kühn

Verlag und Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-347-42143-1

Hardcover:

978-3-347-42144-8

e-Book:

978-3-347-42145-5

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

Vorbemerkung

Ich bin, also existiert die Welt

„Jeder lebt nur in seiner eignen Welt“

Kommunikation in der Krise

Der Nihilismus als Schattenseite der Transzendenz

Erkenntnis und Freiheit

Als kluge Tiere den Geist erfanden

Ein neuer Realismus?

Mundus absconditus oder Die Wirklichkeit der Welt

Individuelle Existenz

Und sie existiert doch!

Bewusstseinsunabhängigkeit

Die Selbstverständlichkeit der Welt

Grosso modo

„Die Wachenden haben eine einzige und gemeinsame Welt.“

Heraklit

Vorbemerkung

Existiert die Welt – uns eingeschlossen - unabhängig von Sinn und Bedeutung, von Wahrheit und Erkenntnis, von Gut und Böse oder ist sie lediglich eine Idee, die wir abhängig von unserer Sprache, Erkenntnis und Wertvorstellung gebildet haben? Oder ist das die falsche Alternative? Können wir vielleicht erkennen, dass es eine Welt gar nicht gibt – nicht einmal als Idee? Ist „Welt“ womöglich nur ein Wort, dem nichts entspricht? Jedenfalls in der Welt kann ihm nichts entsprechen (sehen wir einmal von der Welt des Motorsports ab). In den vorliegenden Essays versuche ich, mich diesen Fragen zu stellen. Das Sein der Welt ist der Ausgangspunkt, so werde ich argumentieren, all unserer Bemühungen, auch um Moral, Rationalität und Sinn. Das Sein kommt vor dem Sollen, und aus einem Sein folgt kein Sollen mit Notwendigkeit – diese Einsicht David Humes erweist sich als wichtig nicht nur für Fragen der Moral, sondern auch der Ontologie. Das Sein kommt nämlich noch vor dem Sinn (selbst vor dem „Sinnfeld“). Was ist, ist unabhängig von unserem Glauben, Meinen und Wissen, sonst hätten unsere geistigen Einstellungen keinen Inhalt. Dies Existenzpostulat korrespondiert mit der Erkenntnis unserer metaphysischen Freiheit. Die Welt existiert vor und jenseits aller Beschreibung, auch vor aller moralischen und rationalen Festlegung. Wir entwerfen Moral und Vernunft, weil wir von keiner Notwendigkeit dazu gezwungen sind, einen bestimmten moralischen oder rationalen Pfad zu beschreiten. Daher wählen wir, was uns gut, was uns sinnvoll erscheint. In einer losen Folge von Essays, deren Herzstück die Auseinandersetzung mit der Behauptung von Markus Gabriel darstellt, die Welt existiere nicht, entwickle ich in diesem Buch die Idee eines ontologischen Holismus, der mit einem epistemischen und semantischen Pluralismus vereinbar ist. Denn unsere Erfahrung der Welt ist selbstverständlich an die Erkenntnisbedingungen unserer Spezies geknüpft. Das bedeutet vor allem, dass die solcherart holistisch verstandene Welt ontologisch unabhängig, jedoch epistemisch und semantisch abhängig von jedem Erkenntnissubjekt ist. Dass etwas existiert, nennen wir Welt, gleichgültig, was es sei, wie wir es erkennen und wie wir es nennen. Aber Sein geht keinesfalls in seiner Beschreibung auf. Mit den Worten Sartres: Die Existenz geht der Essenz voraus. Wir selbst treten als (sehr unvollkommene) Schöpfer von Sinn, Wert und Bedeutung auf den Plan. Diese philosophische Position beansprucht keineswegs, „neu" zu sein; eher versuche ich, sie in der Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Positionen neu zu denken. Vorliegender Band ist eine überarbeitete und erweiterte Neuauflage von „Die Selbstverständlichkeit der Welt.“

Wünsdorf, 20.10.2021

Ich bin, also existiert die Welt

Spätestens seit der „Revolution unserer Denkungsart“, die Immanuel Kant im Alleingang entfacht hatte, gilt die Welt als Fiktion oder Illusion – in den Worten Kants als „regulative Idee“ der reinen Vernunft. Ein Konzept, das uns hilft, unsere Erfahrungen, aber mehr noch unsere Innen- und unsere Außenwelt zusammenzuhalten. Umso verwunderlicher wirkt die Vehemenz, mit der seit wenigen Jahren öffentlich abermals die Inexistenz der Welt diskutiert wird. Unter keinem Betracht ist dies eine neue These, originell ist allenfalls die dahinterstehende Idee, die Wirklichkeit zu rehabilitieren, indem man ihren allumfassenden Sinnzusammenhang bestreitet; den Sinn im Kleinen zu bewahren, indem man die Idee des Großen und Ganzen für sinnlos erklärt. So als wäre die Wirklichkeit nur zu retten, indem man sie aus dem Käfig des Monismus befreit, eben aus der Zwangsklammer, das allumfassende Eine und Ganze zu sein. Welt ist different und eben deshalb nicht mehr als (nur eine) Welt ansprechbar. Nicht neu, aber passender seien da allemal unendlich viele verschiedene Welten („Sinnfelder“). Schließlich sei es schlicht logisch absurd, sich die Welt als Bereich aller Bereiche vorzustellen, denn dann müsste sie sich selbst enthalten; auch sei es begriffslogisch Unsinn, sich die Welt nach dem Dingschema als kohärentes Ganzes vorzustellen, weil man zwar auf ein Ding referieren könne, aber eben nicht auf die Welt. All das ist nicht neu und galt auch nie als Anlass, die Inexistenz der Welt zu behaupten, weil klar war, dass mit diesem Begriff im philosophischen Sinn einfach alles gemeint ist, was es gibt. Was der Weltkritiker übersieht, ist die Banalität, dass die Wirklichkeit, die er rettet, mit dem identisch ist, was jeder bereit ist, Welt zu nennen (abgesehen von den derivativen Gebräuchen à la Welt der Mode). Warum hier ein Irrtum vorliegt, wird sich im Laufe der Essays immer wieder – hoffe ich – zeigen. Das Hauptargument des Weltkritikers lautet indes schlicht, dass die Welt als Ganzheit dessen, was es gibt, unterbestimmt sei, da es schließlich auch das gäbe, was es nicht „gibt“: Fiktionen, Träume, Illusionen, Wahnvorstellungen. Wäre die Welt nun die Gesamtheit der existenten und der inexistenten Dinge, dann, so das Argument, enthielte das Konzept der Welt einen Widerspruch und die Welt wäre damit logisch erledigt. Aber natürlich stimmt das nicht, denn Fiktionen und Illusionen gibt es schließlich in rauen Mengen. Der Weltbestreiter zählt zu den inexistenten Entitäten auch Weltbilder. Welt- und Menschenbilder sind jedoch Realitäten, sie sind historisch überaus wirkmächtig, wenn sie nicht gar der Motor der Geschichte sind (jedenfalls der Treibstoff bzw. die Energiequelle gravierender Veränderungen). Dass diese Ideen die Realität nicht einfach repräsentieren oder beschreiben, ist kein Einwand gegen sie, denn es ist das Schicksal aller philosophischen Grundbegriffe, wie Wahrheit, das Gute, Sinn und Sein, an der Grenze zum Unsinn zu stehen. Deshalb ist Philosophie ein Abenteuer. Man riskiert seinen Verstand. – Aber der Reihe nach. Überlegen wir, ob wir alles, was wir kennen, was wir als real oder bedeutsam anerkennen, beschreiben können. „Beschreibung“ gilt als Signum eines kognitiv-sprachlichen Zugangs zur Welt. Also: Gibt es eine angemessene Beschreibung der Welt? Nein. Kein Mensch kann sich darunter etwas Sinnvolles vorstellen, zumal völlig unklar ist, was das Adjektiv „angemessen“ bedeuten soll. Denn welcher Maßstab wäre der richtige? Oder, genauer gefragt: Welcher Maßstab wäre angemessen? Man sieht allein an dieser Frage, dass wir in einen infiniten Regress hineingeraten. So fragte Kant beispielsweise auch nicht, welcher Erkenntnismaßstab angemessen wäre, sondern welchen wir faktisch hätten. Mit seiner Antwort lag er jedoch daneben. Die Kategorien des reinen Verstandes (wie Raum, Zeit und Kausalität) sind weder hinreichende noch notwendige Bedingungen der Erfahrung. Eine objektiv angemessene Beschreibung der Welt kann es nicht geben, weil es keinen objektiven Maßstab gibt. Der Glaube eines Pythagoras, Platon oder Galilei, diesen objektiven Maßstab in der Mathematik gefunden zu haben, ist spätestens seit der Grundlagenkrise der Mathematik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts philosophisch fragwürdig geworden. Die Idee einer angemessenen und vollständigen Beschreibung der Welt scheint also selbst unangemessen, denn unvorstellbar scheint eine solche Ausweitung unserer Vorstellungskraft. Existiert deshalb die Welt nicht? Nein, denn die Prämisse, dass nur existiert, was beschreibbar ist, läuft auf die Tautologie hinaus, dass wir nur auf das mental oder sprachlich referieren können, was wir beschreiben können (worauf wir also mental oder sprachlich uns beziehen können). Wahrscheinlich gibt es keine angemessene Beschreibung von irgendetwas, sondern allenfalls nur perspektivische Annäherungen, eindimensionale Fokussierungen. Bruchstücke eines wahren Portraits der Welt. Eine krass unangemessene Beschreibung der Wirklichkeit der Welt hat indes mittelbare und unmittelbare Auswirkungen auf unser Fühlen, Denken und Handeln, also auch darauf, wie wir mit der Wirklichkeit umgehen. Wir können die Welt verfehlen, aber niemals treffen. Denn wir haben zwar ein Verhältnis zur Wirklichkeit und nicht nur zu einzelnen Situationen, Personen, Sachverhalten. Aber die Welt tritt uns nie nackt („an sich“) entgegen. Wir können die Welt nur durch eine spezifische Optik erfahren und erkennen: durch die des transzendentalen Idealismus Kants oder des neurobiologischen Konstruktivismus Roths oder der Keine-Welt-Anschauung Gabriels: Jeweils erscheint uns auch das, was wir sehen, in anderem, fremdem Licht. Beschreibe ich ferner die Wirklichkeit in den Kategorien der mathematischen Naturwissenschaften, dann verliert die Realität des Subjektiven, Individuellen und Qualitativen an Relevanz. Dies geschieht generell, lasse ich mich von stark objektivistischen Vorstellungen leiten. Beschreibe ich hingegen die Welt nur als Spiegel meiner Gefühle und Gedanken, dann verfehle ich den Exit aus dem Solipsismus – die Anerkennung der Wirklichkeit, die weder von meinem Willen noch von meinen Vorstellungen abhängt, jedenfalls zu allergrößten Teilen. Aber was wäre das: eine angemessene Beschreibung? Ihr müsste eine angemessene metaphysische Grundhaltung korrespondieren, die als die wahre ausgezeichnet wäre. Vergeblich sucht man aber in den Werken der Weltliteratur, der Kunst, der Philosophie und in den Wissenschaften nach einer wahren Beschreibung auch nur eines Augenblicks in einem beliebigen Leben. Auch wenn die Höhe der künstlerischen und wissenschaftlichen Meisterschaft genau darin zu bestehen scheint, das anvisierte Phänomen minutiös zu beschreiben, so ist selbst die detaillierteste Beschreibung kein Qualitätssiegel für Angemessenheit in der Erkenntnis und Beschreibung dessen, was ist. Woran liegt das? Ich vermute, der stilprägende Blick aufs Ganze ist verloren und nicht wiedergewonnen worden, so dass die Obsession des Details, der Fanatismus der Nuance Feste feiert. Was wäre ein Kriterium der Angemessenheit? Ich schwanke: es kann kein theoretisches Kriterium allein sein, denn die Erkenntnis genießt keinen Vorzug gegenüber dem Sein. Es kann aber auch kein praktisches allein sein, denn das Handeln an sich hat keine Bedeutung, wenn es nicht gedeutet wird. Indem ich das aber so formuliere, wird deutlich, dass auch das Handeln nur im Kontext einer Sinnzuschreibung bedeutungsvoll ist. Die sich hier nahelegende Forderung nach einer Übereinstimmung von Erkennen und Handeln würde aber die Frage der Angemessenheit in das Subjekt selbst, in mich, hineinverlegen. Die Frage nach der Welt scheint zu verschwinden. Warum ist die Frage nach einer ange-messenen Beschreibung der Welt wichtig – wenn sie wichtig ist? Vielleicht ist diese Frage schon unangemessen? Der philosophische Diskurs war ohnehin lange Zeit von der Frage nach der epistemischen Bedingung der Möglichkeit angemessener Beschreibung geprägt, also von Kants Frage: Was kann ich wissen?

Die neuzeitliche Philosophie ist durch die epistemologische Wende gekennzeichnet. Das Erkenntnissubjekt erweist sich aber als unzuverlässige Quelle von Wissen und Gewissheit. Am Ende der erkenntniskritischen Tour de Force steht der Verlust der Welt-Idee, stattdessen haben wir Idealismus, Konstruktivismus und Relativismus und alles darbt im Schatten der skeptischen Bedrohung. Doch woher kommt der Skeptizismus? Ich vermute: Aus der übergroßen Sehnsucht nach dem wahren Ausdruck dessen, wessen jeder sich zutiefst gewiss zu sein glaubt: diese Welt, mit all ihrem Schmerz und Glück, mit ihrer Stupidität und ihrer Schöpferkraft, mit ihrer Biodiversität und menschlicher Technologie, mit all ihren Fakten und Fiktionen ist wirklich, sie ist real, jedes Staubkorn, jeder Traum, jede Illusion und jeder Mensch existieren wirklich. Aber eben eine vollkommene Beschreibung dieser Wirklichkeiten scheint unmöglich, auch und gerade, weil alle Erkenntnisansprüche im Diskurs epistemisch und veridisch gerechtfertigt werden müssen. Welt kann nur im Modus des Weltbezugs kenntlich gemacht werden. Der Weltbezug kann aber nur als Aspekt der Welt verständlich gemacht werden. Eine vollständige Rechtfertigung ist nicht möglich. Dass eine Welt sei: eine Behauptung. Jeder Weltbezug kann nur intersubjektiv und interdiskursiv artikuliert werden – selbst diese Behauptung steht in Überlappungsbereichen diverser Diskursfelder. Damit ist klar, dass jeder Erkenntnisanspruch als Wahrheitsanspruch von irgendjemandem vertreten wird und von jedem anderen zurückgewiesen werden kann im Spiel des Gebens (und Nehmens) von Gründen. Aber Diskurs- und Argumentationsregeln scheinen wandelbar und ebenfalls nicht kritikimmun zu sein. In dieser Perspektive stehen alle Aussagen zur Ontologie unter epistemischem und veridischem Vorbehalt. Die Epistemologie als prima philosophia ist aber Opfer des Münchhausen-Trilemmas geworden – es besteht für die von Ontologie freier Erkenntnisbegründung nur die Wahl zwischen einem Regress, einem Zirkel oder einem dogmatischen Abbruch. Immer mehr schält sich heraus, dass ontologische und epistemologische Fragestellungen nicht getrennt voneinander behandelt werden können, ohne dass indes weder der Ontologie noch der Epistemologie die Vorrangstellung gebührt. Stattdessen gilt der Slogan: Keine Welt ohne Ich, kein Ich ohne Welt. Bestreitet jemand die Existenz der Welt, dann bestreitet er lediglich ein bestimmtes Was- und Wie-Sein der Welt. Andernfalls fiele er diesem gewagten Coup selbst zum Opfer. Dass es etwas gibt und dass wir dies Etwas „Welt“ nennen, kann indes niemand bestreiten, ohne seine eigene Existenz zu bestreiten; über das Was und Wie lässt sich dagegen trefflich diskutieren. Dass Welt und Ich existieren – und dies gilt für jedes Ich - ist das brutum factum unserer Rede, während das Was-und-Wie-Sein sich in bunten, üppigen Beschreibungen wiederfindet.

Das, was der Begriff „Welt“ extensional umfasst, ist kein singulärer Gegenstand der Erkenntnis, sondern die Grundbedingung von Denken, Fühlen, Handeln und – menschlichem Dasein. Zu dieser Extension gehört beispielsweise die Existenz der Erde in unserem Sonnensystem als Teil eines Spiralnebels, der mit dem gesamten Universum expandiert. Ebenso gehört das Vorkommen von Lebensformen dazu und deren Evolution bis hin zum Menschen. Im Gegensatz zum Apriorismus von Descartes und den verschiedenen Spielarten des Idealismus und Konstruktivismus, die die „Welt“ durch die Hintertür apriorischer Selbstvergewisserung des epistemischen Subjekts hereinzaubern oder sie aus dem Hut eines imaginierten „realen“ Gehirns herauszaubern, scheint es also zunächst angemessener, die „Welt“ nicht draußen vor der Tür der Erkenntnis stehen zu lassen, nur weil sie scheinbar jeden epistemischen Rahmen sprengt. Sie ist immer schon da als notwendige Voraussetzung unserer eigenen Existenz: Ich bin, also existiert die Welt. Diesem Modus ponens liegt das Konditional „Wenn ich bin, dann existiert die Welt.“ zugrunde. Man bedenke: das „Ich bin“ ist eine hinreichende Bedingung für die Welt, keine notwendige, während umgekehrt die Welt eine notwendige Bedingung für meine Existenz ist. Gäbe es keine Welt, würde ich nicht existieren. Die Existenz der Welt schließt jedoch meine Existenz nicht notwendig ein. Analog liegt dem Ich denke, also bin ich von René Descartes das Konditional „Wenn ich denke, dann bin ich.“ zugrunde. Also: Ohne Ich auch kein Denken. So wenig wie ein Subjekt bestritten werden kann, wenn ihm eine Tätigkeit zugeschrieben wird, genauso wenig kann die Existenz der Welt bestritten werden, wenn man die Existenz eines Subjekts zulässt. Die Welt kann in ihrer Existenz nicht bestritten werden, allenfalls kann bestritten werden, dass es „die“ Welt sei, deren Existenz für meine notwendig sei. Vielleicht handelt es sich nur um „eine“ Welt oder „meine“ Welt. Aber verstehen wir unter Welt „alles, was es gibt“, dann folgt aus meiner Existenz zwingend die Existenz einer – wie auch immer beschaffenen - Welt. Gäbe es nur mich, dann wäre ich meine Welt (Wittgenstein). Hätte der (subjektive) Idealismus oder der Konstruktivismus recht, dann gäbe es nur mich und meine Konstrukte bzw. es gäbe dann nur meine Konstrukte, denn auch ich wäre eines von ihnen; wobei dann unklar bliebe, wer deren Urheber wäre – es wären dann nicht einmal „meine“ Konstrukte, sondern herrenlose Seifenblasen. Extensional ist die Welt die offene Gesamtheit dessen, was ist, was existiert. Welche konkreten und/ oder abstrakten Entitäten zur Welt gehören, ist aus prinzipiellen Gründen offen, da es eine Eigenheit der Welt zu sein scheint, dass in ihr Neues entstehen kann. Auch wenn Raum und Zeit selbst zu den Entitäten zählen, deren Realität man anerkennen oder zumindest diskutieren kann, scheinen alle Entitäten in der Zeit zu existieren. Da wir also vermutlich in der Zeit existieren, die Zeit aber unabgeschlossen ist, ist auch die Gesamtheit dessen, was ist, unabgeschlossen. Es ist keine Gesamtheit im Sinne einer definiten Menge; es ist eine offene Gesamtheit, eine Totalität ohne Grenzen. Diese sowohl zeitlich und räumlich als auch ontisch und mental offene Gesamtheit ist daher kein Gegenstand der Erkenntnis, sondern kann nur als Gesamtheit induktiv erschlossen oder konstruiert werden. Das heißt aber nicht, dass die aktuale Wirklichkeit eine Konstruktion wäre. Allenfalls ist die mentale Konzeption von Welt und Selbst eine aktive Synthese aus den jeweils aktualen Wirklichkeiten. Zu dieser Synthese gehört auch die Erkenntnis, dass die vergangene Wirklichkeit als kausale und kreative Wirklichkeit in ihren Konsequenzen präsent bleibt. Ein Mord, der in der Vergangenheit verübt wurde, ist jetzt wirklich in dem Umstand, dass ein Leben gewaltsam zerstört wurde und jetzt zerstört ist und immer zerstört sein wird. Auch vom aktualen Zustand des Universums, der Leben auf der Erde ermöglicht, kann man sagen, dass jeder aktuale Zustand ein Ergebnis aller vorherigen ist. Während es diese Kausalgeschichte gibt, ist die Idee, dass es diese Kausalgeschichte gibt, eine Synthese oder Konstruktion. Da wir nicht das Universum sind, sondern das Universum denken, während wir zugleich selbst zeitlich existieren und immer nur auf der Höhe unseres aktualen Bewusstseins denken und handeln können, ist die Idee dieser Ganzheit – einer Welt, die mindestens ein Selbst enthält – eben nur ein Gedanke, den wir aufgrund unserer Erfahrung mit Inhalt füllen.

Ohne diese Idee könnten wir aber keine Erfahrungen haben, die wir zu einem Ganzen verbinden. Insofern muss man Kant dahingehend zustimmen, dass es eine apriorische Initiation in die Wirklichkeit geben muss. Da jede Erkenntnis eine besondere Erkenntnis ist oder, wie Hegel es formulierte, die Wahrheit konkret sei, ist sie eingebettet in eine Gesamtheit, von der sie abgesondert wird, die aber ihrerseits nur erschlossen, nicht erkannt werden kann. Jede Erkenntnis – jede Erfahrung, jede Wahrnehmung, jede Beobachtung, jede Schlussfolgerung – findet vor einem Hintergrund statt, der jederzeit in den Vordergrund treten kann – je nach Aufmerksamkeit und Fokussierung. Es mag so der Eindruck mehrerer Dimensionen der Wirklichkeit oder gar der Existenz mehrerer Welten entstehen. Aber das Postulat mehrerer Welten ist inkohärent, wenn es impliziert, dass diese Welten gegeneinander vollständig abgeschottet seien; sobald ich die Möglichkeit habe, zu einer anderen Welt Kontakt aufzunehmen, wird sie zu einem Teil „meiner“ Welt; habe ich diese Möglichkeit nicht, dann kann ich auch kein Wissen um andere Welten haben; sie wären reine Spekulation, reine Möglichkeit. Gehen wir davon aus, dass „Sein“ oder „Wirklichkeit“ sich immer auf das real Seiende bezieht, dann schließen wir auch aus, dass „mögliche Welten“ existieren. „Mögliche Welten“ existieren nicht wirklich, sondern eben möglicherweise – dann in Form von Gedanken, die sich nicht deskriptiv und konstatierend auf Faktuales, sondern Fiktionales beziehen, das logisch und kausal mit dem Realen vereinbar erscheint. So schließt meine Existenz als biologischer Organismus mit sexueller Reproduktionsstrategie meinen Tod kausal ein und logisch nicht aus. Möglichkeit besteht nur in Bezug auf das, was noch nicht der Fall ist – also auf die Zukunft. In Bezug auf die Vergangenheit wäre Möglichkeit kontrafaktische Spekulation. Daher ist es auch nicht sinnvoll, von vielen aktuellen Welten zu reden, von Multiversen, als gäbe es mehrere abgeschlossene Gesamtheiten dessen, was ist. Denn es gibt zwar nur eine Wirklichkeit, aber beliebig viele Möglichkeiten sind denkbar. Allenfalls im metaphorischen Sinne gibt es mehrere unabgeschlossene Gesamtheiten: die Gesamtheit aller Nike-Turnschuhe oder die Gesamtheit aller Schrippen. Wenn aber irgendwann einmal keine NikeTurnschuhe oder Schrippen mehr hergestellt werden, dann kann man von endlichen, abgeschlossenen Gesamtheiten reden. Alle speziellen Gesamtheiten sind abschließbare – endliche, zählbare - Gesamtheiten. Retrospektiv sind alle Tatsachen der Welt endlich und abzählbar – jedenfalls theoretisch -, prospektiv aber nicht. Die lokalen Gesamtheiten konstituieren sich aber nicht als separate Welten, sondern als Aspekte einer Wirklichkeit, die sich darin realisiert, dass ich beispielsweise zum Bäcker in meinen Nike-Laufschuhen jogge, um Schrippen zu holen. Was und wie die Welt ist, lässt sich nicht mit der gleichen Bestimmtheit sagen wie das, dass eine Welt ist. Auch warum eine Welt ist, kann nicht mit Bestimmtheit festgestellt werden, weil wir dazu die Herkunft von Raum, Zeit, Materie, Energie, Leben und Bewusstsein sowie der Naturgesetze erkennen können müssten. Es ist zudem unklar, nach welcher Art von Ursache man hier fragen kann. Umso faszinierender ist unsere Erkenntnis, dass das Universum räumlich endlich und offenbar – wie alles in ihm – selbst von begrenzter Dauer und Ausdehnung ist. Es kann also ein Zeitpunkt angenommen werden, zu dem die Geschichte des Universums mitsamt allen intelligenten Bewohnern zu Ende sein wird. Entsprechend der kosmologischen Standardtheorie wird es dann auch weder Zeit noch Raum oder Masse und schon gar keinen Beobachter mehr geben, weil diese Konstituenten unserer Welterfahrung an das expandierende Universum geknüpft sind. Die Frage, ob es dann nichts – also keine Welt - mehr geben wird, lässt sich allerdings ebenso wenig beantworten, wie die Frage, ob es vor der Entstehung des Universums „etwas“ oder „vielmehr nichts“ gegeben habe. Ich setze hier voraus, dass das raum-zeitlich verfasste, materiell-energetische Universum mit der Gesamtheit dessen, was ist, identisch ist; dass also auch alle Bewusstseinsphänomene nur als Vorkommnisse dieses Universums existieren. Das wirkliche Universum zu verstehen, bedeutet, auch Bewusstseinsphänomene zu verstehen. Das bedeutet – worauf Thomas Nagel immer wieder zurecht aufmerksam gemacht hat -, dass wir so lange auch kein umfassendes Verständnis der Physik, Chemie und Biologie des Universums haben, solange wir keine angemessene Theorie des Geistes haben. Und eine angemessene Theorie des Geistes haben wir erst, wenn wir Physik und Phänomenologie zusammendenken können. Der semantischen Opposition von Geist und Materie entspricht kein ontologischer (substanzieller) Dualismus, denn alle geistigen Phänomene haben physische Eigenschaften, aber nicht alle physischen Phänomene haben geistige Eigenschaften. Geistige Phänomene bilden eine Teilmenge der physischen Phänomene. So sind Gehirne als Teil eines lebendigen Organismus zugleich physische Phänomene mit geistigen (semantischen und epistemischen) Eigenschaften. Diese skizzierte Sichtweise lässt sich als ontologischen Holismus betrachten, der mit einem semantischen und epistemischen Pluralismus vereinbar ist. Dieser Holismus ist in Bezug auf die Ontologie gerechtfertigt. Nicht jedoch in Bezug auf die Sprache oder andere Symbolsysteme -, weil alle Symbolsysteme aufgrund ihrer semantischen und pragmatischen Funktionen auf die Welt hin orientiert sind. Die Welt aber ist auf nichts hin orientiert, mithin ist sie die einzige Ganzheit, die es überhaupt gibt. Da sie auf nichts außer sich verweist, ist sie extern oder sub specie aeternitatis ohne Sinn und Zweck. Im Unterschied zu einem ontologischen Monismus ist der ontologische Holismus nicht auf einen Substanzbegriff festgelegt, der aller Wirklichkeit zugrunde liegt, sondern lediglich darauf, dass die Wirklichkeit nur genau eine sei, wenngleich sie allein in unterschiedlichen, logisch nicht aufeinander reduzierbaren epistemischen Perspektiven und Semantiken beschrieben werden kann. Die Welt ist ein Ganzes, das sich nicht als Summe seiner Teile auffassen lässt. Das wäre andernfalls so, als würde man die belebte und unbelebte Natur lediglich anhand des Periodensystems der Elemente beschreiben. Dabei sind meine chemischen Grundbestandteile – Kohlenstoff, Stickstoff, Wasserstoff, Sauerstoff etc. – überall in der Atmosphäre bunt verteilt. In diesem Sinn lässt sich die Welt auch nicht inventarisieren – als könnte man die Elemente der Welt aufzählen und sie damit vollständig beschreiben; aus dem gleichen Grund ist die Welt keine Menge, auch keine Super-Menge (keine Menge aller Mengen, kein Bereich aller Bereiche), denn die Metapher der Menge suggeriert, dass man die Welt beschreiben kann, indem man alles aufzählt, was in ihr vorkommt (nach Merkmalen sortiert). Die Idee, dass die Welt am besten holistisch beschrieben werden kann, impliziert, dass die Vorstellung, man könne die Welt auf elementare Daten reduzieren, falsch sein muss; ebenso ist damit ausgeschlossen, dass es keine Welt gibt. Denn da ich existiere, gibt es zumindest „meine Welt“. Da diese Idee einer je meinigen Welt nicht kohärent vertreten werden kann, kommt man zwangsläufig zur Anerkennung einer von mir ontologisch unabhängigen Welt. Ganzheit impliziert nicht Einheit, Sinn oder Verständlichkeit, sondern lediglich, dass die Welt nicht die Summe ihrer Tatsachen ist, dass sie ferner nicht aus ihren Bestandteilen erklärt werden kann und schließlich, dass sie von nichts weiter abhängt, mit dem sie nicht identisch ist. Schließlich ist mit dieser Idee ausgeschlossen, dass die Welt das Produkt einer subjektiven, sei es auch einer göttlichen, Tätigkeit wäre. Welt ist traditionell der Titel für das Ganze der Wirklichkeit und zu behaupten, dass es eine solche Ganzheit nicht gäbe, ist unbegründet. Die Wirklichkeit kann als zerrissen, als fragmentiert, als absurd und widersprüchlich oder als illusorisch und imaginär erlebt und gedacht werden – die Zerrissenheit oder das Absurde könnten aber nicht erfahren werden, wäre die Wirklichkeit keine Ganzheit. Weil die Welt die einzige Ganzheit ist, lässt sie sich auch nicht vollständig beschreiben oder auch nur vollständig kategorisieren oder katalogisieren, wie dies von den Systemtheoretikern versucht wurde, die zwar ebenfalls einen holistischen Ansatz verfechten, aber so tun, als könne man den weltgenerierenden und -regulierenden Charakter von Systemen objektiv beschreiben. Dabei bleibt sowohl das Subjekt als auch das Objekt der Erkenntnis auf der Strecke. Aus diesen Gründen ist die Welt – als Ganzes der Wirklichkeit – Gegenstand der philosophischen Reflexion und ästhetischen Produktion, aber nicht der Wissenschaften und des Wissens, die es immer nur mit Aspekten der Wirklichkeit und speziellen Phänomenen zu tun haben. Diese Schlussfolgerung erlaubt im Rückblick ein vorsichtiges Urteil: im Begriff der Angemessenheit stecken schon ästhetische und ethische, also praktische Aspekte, deren theoretische Artikulationen nicht wie wissenschaftliche Aussagen wahrheitsfähig sind. Es gibt aber keine spezielle „philosophische Wahrheit“, so dass es von der Welt en gros auch kein Wissen geben kann. So ist es wohl angemessener, von einem „philosophischen Glauben“ oder einer „philosophischen Kunst“ zu reden, wenn wir von der Welt sprechen und nach der Angemessenheit einer Beschreibung fragen.

„Jeder lebt nur in seiner eignen Welt.“

Die Rede von „meiner Welt“ hat gewisse auffällige Tücken. Denn der Gebrauch des Possessivpronomens „meiner“ lässt die Möglichkeiten offen, in deiner Welt, in unserer Welt, in eurer oder ihrer Welt zu leben. Die obige Behauptung will das aber ausschließen, indem sie das Leben in einer je eigenen Welt zum allgemeinen Faktum erhebt. Zum einen kann sie metaphorisch verstanden werden. Genauso wie ich in meiner Wohnung, in meinem Körper, mit oder in meinen Besitztümern lebe, kann ich auch sagen, ich lebe nur in meinen Wahrnehmungen und Gedanken, in meinen Gefühlen und in meiner Welt der Tatsachen. Es ist richtig: ich kann zwar in deiner Wohnung leben, aber nicht in deinem Körper und ich kann die Welt auch nicht mit deinen Sinnen wahrnehmen oder mit deinen Gedanken denken. Folgt daraus aber, dass ich die Wahrnehmungen, Gefühle und Gedanken, die du hast, nicht haben kann? Offenbar liegt eine Doppeldeutigkeit im Gebrauch des Possessivpronomens, die mit der privilegierten Ich-Perspektive etwas zu tun hat, also mit der Idee der Privatheit von Gefühlen und Gedanken, allgemeiner mit Bewusstseins-zuständen. Offenkundig bedeutet „mein“ jeweils etwas anderes: diesen bestimmten Koffer, von dem es viele Exemplare gibt, besitze ich, weil ich ihn gekauft habe (o.ä.); diese bestimmte Frau, die es nur einmal gibt, gehört zu mir (daraus leite ich vielleicht bestimmte Rechte ab, z.B. das Recht auf Vertrauen, Treue, Ehrlichkeit, Zugehörigkeit etc.), meinen Körper gibt es ebenfalls nur einmal, aber ich bin ihm auf andere Weise „verbunden“ als meiner Frau. Mein Körper ist einerseits ein öffentliches Phänomen, er existiert ja physisch und hat bestimmte materielle Eigenschaften, die ich meinem Ich nicht zuschreibe. Mein Körper und meine Existenz hängen auf eine Weise zusammen, die es schwierig macht, mir ihn ohne mich und mir mich ohne ihn vorzustellen – was im Fall meiner Frau schon leichter ist. Zu sagen, ich bin mein Körper, hat auch seine Tücken, denn ich kann das zumindest sprachlich nicht kohärent artikulieren. Immerhin behaupte ich die Identität zwischen mir und dem Körper, der mir gehört. Sage ich statt „ich schau mich im Spiegel an“ „mein Körper schaut sich im Spiegel an“ – wo steckt dann dies ominöse Ich? Natürlich in im Possessivum „mein“ und ich bin so klug als wie zuvor. Sage ich „mein Gehirn konstruiert sich ein neuronales Bild von seinem Körper“, stehe ich vor dem gleichen Problem. Immerhin kann ich die Sprache, die du benutzt, um deine Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen auszudrücken, auch benutzen und ich kann sie auch verstehen, wenn du von deinen Gedanken etc. berichtest. Die Tatsache, dass jemand Gedanken etc. hat, heißt nicht, dass nur er sie hat. Nun beziehen sich deine Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen auf etwas, was du nicht hast, beispielsweise mein Buch oder meine Frau oder meinen Laptop. Wenn du durch die Stadt fährst, siehst du lauter Dinge, die du nicht besitzt. Du hast zwar nur deine Wahrnehmungen, aber das, was du wahrnimmst, gehört nicht nur zu deiner Welt, sondern auch zu meiner Welt. Also kannst du gar nicht nur in deiner Welt leben. Außer du interpretierst den Satz streng solipsistisch, dann existieren ich und mein Buch auch nur in deiner Welt. Zu behaupten, dass für jeden nur das Wirklichkeit ist, was er selbst wahrnimmt, denkt etc., würde implizieren, dass beispielsweise mein Buch streng genommen dir gehört. Denn du hättest nicht die Möglichkeit, wenn deine Annahme zuträfe, meine Existenz und meine Besitztümer anzuerkennen. Weder als Existenz noch als Besitztümer: Ich und mein Buch würden gar nicht existieren, wenn sie nur für dich existieren würden. Es ergibt sich ein weiteres Problem aus der Verallgemeinerung „Jeder“. Wenn „jeder“ in „seiner“ Welt lebt, dann können für keinen andere Welten existieren – die er aber doch zugleich behauptet. Dann wäre auch das Possessivpronomen „mein“ überflüssig, denn „dein“ oder „unser“ gäbe es nicht. Der Satz ist paradox, denn, wenn er wahr wäre, dann würde es nur meine Welt geben. Wenn ich aber andere Welten zugestehe, was ich mit dem Satz ja tue, dann kann ich schon nicht mehr behaupten, dass jeder ganz streng genommen nur in seiner Welt lebt, denn dann würde ich ja meine Welt auf andere Welten hin öffnen. Auch das „Jeder“ schließt eine gemeinsame Welt ein, in der jeder für sich und für andere existiert. Sobald ich auch nur die Existenz eines anderen anerkenne, lebe ich schon nicht mehr nur in meiner Welt. Die Sätze „jeder lebt (nur) in seiner eigenen Welt“ oder „jeder hat (nur) seine Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle“ sind also aus logischen Gründen unhaltbar, da sie einerseits keine Perspektive zulassen, von der aus über jeden geurteilt werden kann; andererseits benutzen sie eine solche Perspektive, indem sie eben über jeden urteilen. Ließen sie nämlich eine solche universelle Perspektive zu, dann wären sie falsch, dann kann gar nicht jeder nur in seiner Welt leben, sondern eben – zumindest zum Teil – lebt jeder auch mit und in der Welt der anderen. Dies aber ist nur denkbar, wenn alle in einer gemeinsamen Welt leben, in der sie sich auf die Erkenntnis dieser Welt einigen können, wenn sie es wollen und wenn sie die Befähigungen dazu haben. Die Tatsache, dass jeder nur seinen Körper, seine Gefühle, Gedanken und Wahrnehmungen hat, impliziert also nicht, dass er nur in seinen Wahrnehmungen existiert, denn der Körper ist ebenso wie geistige Zustände und Eigenschaften zum Teil öffentlich für andere wahrnehmbar, erkennbar. Zugleich ist der Körper mit seinen Organen und Sinnesleistungen ein Teil der physischen Welt, die unabhängig von meinem Denken, Wahrnehmen etc. existiert. Anders verhält es sich auf dem ersten Blick mit dem Solipsismus, denn