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Anfang und Ende von Mozarts bekanntester Oper scheinen nicht zusammenzupassen: Haben Mozart und sein Librettist Schikaneder mitten in der Arbeit an der "Zauberflöte" kurzerhand die Handlung umgeworfen, wie viele bis heute glauben, weil im Juni 1791 ein Stück herauskam, das auf demselben Märchen basierte? Friedenspreisträger Jan Assmann wagt eine neue Deutung der Oper im freimaurerischen und theaterwissenschaftlichen Kontext: als Mysterienreise, die Tamino von der Oberwelt der Illusionen durch verschiedene Prüfungsstationen der Unterwelt in die Sphäre der Eingeweihten beziehungsweise Aufgeklärten führt.
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Seitenzahl: 87
Copyright © 2018 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
Alle Rechte vorbehalten
Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien
Umschlagabbildung: Joseph Schaffer,
Papageno und Papagena werden getrennt
Druck und Verarbeitung:
Christian Theiss GmbH, St. Stefan im Lavanttal
eISBN 978-3-7117-2073-3
Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unter
www.picus.at
JAN ASSMANN
EINE OPER MIT ZWEI GESICHTERN
PICUS VERLAG WIEN
DER DALK ODER WIE ERNST IST DIE HANDLUNG ZU NEHMEN?
SEYFRIEDS BRUCHTHEORIE
SCHIKANEDER UND DIE WIENER THEATERSZENE
MOZART UND DIE WIENER FREIMAURER
Mozart und die »Ägyptischen Mysterien«
WARBURTONS MYSTERIENTHEORIE
MYSTERIENTHEORIE UND ZAUBERFLÖTE
Die Gliederung der Oper, der Mysterienweihe und der Freimaurergrade
ORPHEUS, DER MYTHOS DER OPER
DIE MUSIKALISCHE STRUKTUR
Ombra: Der Musikalische Ausdruck des Erhabenen und der Todesnähe
Andere Tonsprachen der Zauberflöte
DIE SZENISCH-DRAMATURGISCHE STRUKTUR
Ritual und Liebesroman
DIE VERLAGERUNG DES SCHAUPLATZES: VOM FREIMAURERGARTEN INS ALTE ÄGYPTEN
FAZIT
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
DER AUTOR
Am 8. Oktober 1791 berichtet Mozart seiner Frau Constanze, die zu einer Kur in Baden weilt, von einem Besuch seiner »Zauberflöte« am Vorabend. Er hatte die ersten drei Aufführungen – die Premiere war am 30. September – selbst dirigiert, dann aber die Leitung Kapellmeister Henneberg überlassen und sich damit unterhalten, als Zuschauer dabei zu sein und mitzuerleben, »wie sehr die Oper steigt«1. So schreibt er:
N. N. hatten heute eine Loge, zeigten über alles recht sehr ihren Beifall, aber Er, der Allerhand, zeigte so sehr den Bayern, daß ich nicht bleiben konnte, oder ich hätte ihn einen Esel heißen müssen. Unglücklicherweise war ich eben drinnen, als der zweite Act anfing, folglich bei der feierlichen Scene. Er belachte alles. Anfangs hatte ich Geduld, ihn auf einige Stellen aufmerksam machen zu wollen, allein er belachte alles; – da wards mir nun zu viel – ich heiß ihn Papageno und gehe fort, – ich glaube aber nicht, daß es der Dalk verstanden hat.2
Was hat »der Dalk« nicht verstanden? Warum wird er »Papageno« genannt, was bedeutet dieser Name? Die Oper hat zwei Ebenen. Auf der einen agiert Papageno, die Rolle, die sich Schikaneder selbst auf den Leib geschrieben hat, und die tatsächlich fast das ganze Stück beherrscht und durchaus komisch gemeint ist. Papageno ist die »lustige Figur«, er soll die Zuschauer zum Lachen bringen. Auf dieser Ebene ist der »Dalk« (=Depp, Dummkopf) stehen geblieben und hat nicht kapiert, dass es in der Oper noch eine andere Ebene gibt. Auf dieser spielt die »feierliche Szene«, mit der der II. Aufzug anhebt und auf die der Priestermarsch einstimmt. Das ist die Ebene des Rituals. Was für Späße auch immer Papageno macht: Im Ritual herrscht tiefer Ernst, es geht um Leben und Tod, um höchstes Glück und tiefstes Scheitern, und vom Zuschauer wird verlangt, die Späße ebenso herzlich zu belachen wie den Ernst in aller Tiefe zu empfinden. Dieses Umschalten schaffen nicht alle, und viele machen diese Doppelgesichtigkeit dem Libretto zum Vorwurf und halten es für eine Schwäche der Konzeption.
Diese Zumutung an die Umschaltkompetenz der Zuschauer ist aber durchaus gewollt. Das macht schon das Textbuch zur Uraufführung völlig klar. Es ist mit zwei Kupferstichen illustriert, von denen der eine Papageno (Abbildung 1), der andere das düstere Szenario des Einweihungsrituals (Abbildung 2) darstellt. Im Vordergrund ein frisch ausgegrabener Gang in die Tiefe: ein Grab, wie die monumentale Vase als Grabmal deutlich macht. Die Grabwerkzeuge, Pickel und Spaten, lehnen am Eingang, die bei der Grabung zum Vorschein gekommenen Reste des antiken Grabmals liegen im Vordergrund. Ein Stundenglas deutet auf die Vergänglichkeit sowohl des Lebens als auch der Grabbaukunst hin. Dahinter führt ein Weg an einer steilen Pyramide oder einem dicken Obelisken mit Hieroglyphen zu einem Tor in einer Felsenwand, das den Blick auf einen Innenhof und einen weiteren Eingang in einer Fassade freigibt. Hinter diesem Tor erkennt man noch zwei weitere Eingänge: Man gelangt also vom Vordergrund aus in vier hintereinander gestaffelte Räume. Über dem ersten Eingang ist eine Schrifttafel mit Hieroglyphen angebracht, von ihr hängt eine Lampe in Gestalt eines fünfzackigen Sterns herab, ein eindeutiges Freimaurersymbol. Alberti hat diesen Stich aus zwei Stichen des Grafikers Jean-Laurent Le Geay montiert, der ein großer Verehrer des berühmten Giovanni Battista Piranesi war.3
Abbildung 1: Ignaz Alberti, Schikaneder als Papageno
Abbildung 2: Ignaz Alberti, Eingang zum Prüfungstempel
Dem ersten Stich (Abbildung 3) entnimmt er den Durchgang mit Inschrift und herabhängender Lampe, hier aber in Form einer länglichen Laterne, die Grabungs- und Grabszenerie im Vordergrund und den Durchblick in das Gebäude im Hintergrund. Vom zweiten Stich (Abbildung 4) stammt die Vase, die Alberti als Grabmal an die Stelle des Kreuzes gesetzt hat. Von Alberti selbst stammen also als wichtigste Zusätze, neben dem fünfzackigen Stern, die obeliskenartige Pyramide mit Hieroglyphen, die ein ägyptisches oder ägyptisierendes Milieu andeutet, sowie die Figur eines Jünglings, der an der Böschung des tiefer gelegenen Weges lehnt und von dem man nur den Kopf und die entblößte linke Schulter sieht. Auch dies ist ein eindeutiger Hinweis auf das Einweihungsritual der Freimaurerei. In Joseph Schaffers Wiedergabe des Bühnenbilds der Uraufführung zu einer Szene des II. Aufzugs (Abbildung 5) finden wir die entscheidenden Elemente aus Albertis Stich wieder: die steile Pyramide, die Vase, den Durchgang in einen Innenhof und den hier siebenzackigen Stern. Wir sehen den Priester, der Papagena abführt, während Papageno protestierend zurückbleibt (II. Aufzug, 25. Auftritt).4
Abbildung 3: Jean-Laurent Le Geay, Grotte
Abbildung 4: Jean-Laurent Le Geay, Monumentalvase
Abbildung 5: Joseph Schaffer, Papageno und Papagena werden getrennt
Die beiden Stiche führen dem Besucher die beiden Gesichter oder Welten der Oper vor Augen: die Papageno-Welt des Volkstheaters und die Mysterienwelt der Eingeweihten. Diesen Kontrast wahrzunehmen und zu einem Gesamtbild zu vereinigen, hat der »Dalk« nicht verstanden. Er erscheint bis heute als ein Rätsel.
Da ist zum einen die Frage der Gattung: Was ist »Die Zauberflöte« nun, eine heitere Zauber-, Märchen- und Maschinenoper oder ein geheimnisvolles Mysterienspiel? Zum anderen geht es um eine Frage der Handlungslogik und Personencharakteristik. Meist gibt man auf, nimmt das Libretto als Machwerk nicht weiter ernst und hält sich an Mozarts Musik. Nur wenige, zu denen etwa Goethe gehörte, schätzten gerade die rätselvollen Widersprüche und Kontraste an der Zauberflöte. Peter von Matt bezeichnete sie geradezu als das dritte große Rätselwerk unserer Kultur, neben Shakespeares Hamlet und Leonardos Mona Lisa.
1Brief an Constanze vom 7.10.1791.
2Ludwig Nohl, Mozarts Briefe VI, Nr. 268.
3S. Norbert Miller, »… Ed di mezzo alle tema esce il diletto.« Ägyptische Träume und Alpträume bei Jean-Laurent Le Geay und Giovanni Battista Piranesi«, in: W. Seipel (Hg.), Aegyptomania, S. 213–287.
4Papageno ist an seiner Panflöte kenntlich. Seine Korpulenz und sein Profil lassen Schikaneder erkennen. Zu der Ähnlichkeit Papagenos in den Schaffer-Stichen mit anderen Darstellungen Schikaneders siehe Walther Brauneis, Wolfgang Amadé Mozarts »Zauberflöte« und Innsbruck. Neue Quellen zum Erstaufführungsdatum im National-Hoftheater gegenüber der Innsbrucker Hofburg und zu den sechs Szenenbildern des Innsbrucker Zeichners und Kupferstechers Joseph Schaffer, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck, Download unter www.biologiezentrum.at.
Worin genau besteht dieses Rätsel? Um es auf die allereinfachste Formel zu bringen: Anfang und Ende passen nicht zusammen. Tamino wird ausgeschickt, eine geraubte Prinzessin zu retten und ihrer Mutter zurückzubringen. Stattdessen lässt er sich mit der geraubten Tochter in die Mysterien der Isis einweihen. Die Oper beginnt als Zaubermärchen und endet als Ritual. Im ersten Akt erscheint die Königin der Nacht als die gute Fee, der von einem Bösewicht ihre geliebte Tochter geraubt wurde, im zweiten Akt tritt sie als mordlustige und machthungrige Intrigantin auf. Sarastro, im ersten Akt als Bösewicht und Mädchenräuber dargestellt, erweist sich im zweiten Akt als weiser und gütiger Herrscher. So fragt die Deutsche Oper Berlin im Kommentar zu ihrer aktuellen Aufführung der »Zauberflöte«: »Haben Mozart und sein Textdichter Schikaneder mitten im Werk die Fronten gewechselt zwischen der Königin der Nacht und Sarastro?« Die bei Weitem wirkungsvollste, bis heute verbreitete Antwort auf diese Frage stammt von Ignaz von Seyfried, der selbst als Opernkomponist und Kapellmeister mit Schikaneder zusammengearbeitet hat. Als vierzehnjähriger Bub hat er die Uraufführung miterlebt und will dabei Einblicke in die Entstehungsgeschichte des Werkes gewonnen haben. 50 Jahre später setzte er in einem Brief an Friedrich Georg Treitschke die Legende in die Welt, Mozart und Schikaneder hätten mitten in der Arbeit an der Oper den Plan umgeworfen, weil am Leopoldstädter Theater ein Singspiel herausgekommen sei, Kaspar der Fagottist oder die Zauberzither von Joachim Perinet und Wenzel Müller, das auf demselben Märchen Lulu oder die Zauberflöte basierte.5 Um nun nicht des Plagiats bezichtigt zu werden, hätten Mozart und Schikaneder die Handlung in ein freimaurerisches Ägypten verlegt, den Charakter der Hauptpersonen, der guten feenhaften Königin und des bösen zaubermächtigen Herrschers, umgekehrt und dem Fortgang der Handlung die Struktur eines Einweihungsrituals unterlegt. Hierfür hätten sie sich einer anderen Vorlage bedient: des Romans Sethos von Jean Terrasson6, den Matthias Claudius ins Deutsche übersetzt hatte.7 Es lohnt sich, dieses interessante Zeugnis über die Entstehungsgeschichte der Oper anzuschauen:
Ignaz von Seyfried an Georg Friedrich Treitschke in Wien
Ende 1840/Anfang 1841
Fragment
Hochverehrtester!
Mit innigsten Dank stelle ich das anvertraute Manuscript zurück, welches mir ein großes, gewissermassen verjüngendes Vergnügen gewährte, u: jedem Kunstfreunde ein historisches Interesse bereiten muß. – Ihrem Wunsche gemäß erlaube ich mir, noch folgende Bemerkungen, welche ich notarisch zu verbürgen im Stande bin. –