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Beschreibung

Mehr als vierzig Spielfilme für Fernsehen und Kino, produziert in über 30 Ländern, vierzehn Romane, zwei Dutzend Erzählungen und Kurzgeschichten, fünf Bühnenwerke – stets zeitlos aktuelle, außergewöhnliche, mitunter provozierende und kontroverse Themen. Gesellschaftskritische Filmkomödien, darunter die Klassiker »Seelenwanderung«, »Orden für die Wunderkinder«, »Endkampf«, »Die Halde« und »Ein Guru kommt«, die Kultfilme »Fleisch«, Die letzten Ferien, »Die Quelle«. Die Polit-Thriller »Plutonium«, »Reise in eine strahlende Zukunft« und das SF-Psychodrama »Operation Ganymed«. Die legendäre fünfteilige Science-Thriller-Reihe »Das Blaue Palais«, zukunftskritisch und von der Realität bereits – fast – eingeholt, was Rainer Erler das Prädikat prophetisch einbrachte – und 27 Auszeichnungen auf nationalen und internationalen Film- und Fernsehfestivals, dazu vier Literaturpreise. Für sein Lebenswerk erhielt Rainer Erler den Metropolis-Preis der deutschen Film- und Fernsehregisseure, den Deutschen Fantasy-Preis und das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. In diesem Buch würdigen bekannte Personen der deutschen Science-Fiction- und Literaturszene Rainer Erler und sein Werk anlässlich seines 90. Geburtstag. Und als besondere Perle: das vollständige Drehbuch zum Film »Operation Ganymed«.

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Seitenzahl: 428

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Rainer Schorm & Jörg Weigand (Hrsg.)

Die Zukunft im Blick

Rainer Erler zum 90. Geburtstag

AndroSF 180

Rainer Schorm & Jörg Weigand (Hrsg.)

DIE ZUKUNFT IM BLICK

Rainer Erler zum 90. Geburtstag

AndroSF 180

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe: 26. August 2023

p.machinery Michael Haitel

Titelbild: Frank G. Gerigk

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Norderweg 31, 25887 Winnert

www.pmachinery.de

für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 339 0

ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 765 7

Florian F. Marzin: Ultra posse nemo obligatur. Rainer Erler zum 90. Geburtstag

Der Regisseur und Autor Rainer Erler, hat wie kein anderer mit seinen Filmen in den Siebziger- und Achtzigerjahren die Fernsehkultur in Deutschland geprägt. In dieser Zeit tat er sich durch Wissenschafts- und Wirtschaftsthriller hervor, die, da meist für das ZDF produziert, in eben jener Periode maßgebliche Akzente in der Programmstruktur des Senders setzen konnten. Seine Filme haben nicht nur mit eingefahrenen Sehgewohnheiten gebrochen, sie waren auch immer ein Aufruf zur Verantwortung. In den wichtigsten dieser Filme nutzt Erler die Extrapolation bestehender Verhältnisse, somit die Methode der Science-Fiction, um mögliche Entwicklungen aufzuzeigen und in vielen Fällen auch vor den negativen Implikationen einer solchen Entwicklung zu warnen.

Als Autor hat er eine Reihe von Kurzgeschichten in Anthologien veröffentlicht und den Erzählungsband Die Orchidee der Nacht (1988). Bekannter ist er aber durch die Novellisierungen der eigenen Drehbücher, die regelmäßig auf seine Filme folgten und teilweise parallel zu der Arbeit am Drehbuch entstanden sind. Als Regisseur ist Rainer Erler nie ein Mann großer Gesten; dort wo andere das Pathos bemühen, erzielen seine Filme ihre Wirkung durch scheinbar unbedeutende Ereignisse, die aber in letzter Konsequenz die Erde ebenso unbewohnbar machen können, wie ein heranrasender Komet oder eine außerirdische Rasse, die pünktlich zum Independence Day mit ihren riesigen Raumschiffen am Himmel erscheint.

Eine der wohl beeindruckendsten dieser Szenen findet man am Schluss der Episode Unsterblichkeit aus der Spielfilmreihe Das Blaue Palais. Ein eigentlich unbeteiligter Polizist, der den Auftrag bekommt die Fliegen in einem Glasbehälter zu töten, lässt diese mit der Begründung frei: »Ich töte keine Tiere. Warum sollte ich?« In Unwissenheit, dass es sich dabei um Millionen von durch DNS-Manipulation unsterblich gewordener Taufliegen handelt, hat er möglicherweise das Ende der Welt heraufbeschworen.

Er und seine Zeitgenossen werden es vielleicht nicht mehr erleben, aber das tragische Vermächtnis wird die folgende Generation ereilen. Alle Vorkehrungen, die der zu diesem Zeitpunkt schon verstorbene Wissenschaftler Mackenzie getroffen hatte, sind somit hinfällig geworden. Mackenzie, als eine der tragischsten Figuren in der Reihe Das Blaue Palais, war sich seiner Verantwortung bewusst, doch auf ebenso tragische Weise sind alle seine Vorkehrungen durch ein banales Ereignis Makulatur geworden. Zuvor noch hatte Mackenzie die Mitarbeiter des Blauen Palais eindrucksvoll darauf hingewiesen, was passieren würde, wenn die Erde unter der Last unsterblicher Menschen und deren ebenso unsterblichen Kindern und Kindeskindern unbewohnbar würde. Was Unsterblichkeit wirklich bedeuten kann, hat schon Jonathan Swift in Gullivers Reisen (1726)seinen Lesern drastisch vor Augen geführt: »Denn man sei der Ansicht, dass ein Mensch, der ohne eigene Schuld zu dauerndem Aufenthalt in der Welt verdammt sei, nicht noch durch die Last eines unsterblichen Weibes doppelt bestraft werden dürfe.«

Die Vernichtung der Welt durch Taufliegen? Im ersten Augenblick möchte man lächeln, doch es bedarf – wie Rainer Erler folgerichtig entwickelt – nicht immer der Atombombe, um die Menschheit auszulöschen. Und es bedarf nicht unverantwortlicher Politiker, die sich der Erfindung bemächtigen, um damit die Menschheit der Vernichtung ein Stück näher zu bringen. In diesem fast beiläufigen Ende des Films ist die Quintessenz aller fünf Folgen des Blauen Palais’ zusammengefasst: Die Verantwortung des Wissenschaftlers gegenüber der Menschheit. Eine Verantwortung, die für den Einzelnen zu groß ist, die er aber auch nicht teilen kann. Die biochemische Forschung, die Veränderung des Erbmaterials, Manipulation an menschlicher DNS, die Rainer Erler in diesem Film noch als Zukunftsvision thematisiert, ist heute schon Wirklichkeit geworden. Es geht schon lange nicht mehr um das Wie, sondern nur noch darum: Wer tut es zuerst.

Die Wissenschaftler im und um das Blaue Palais entscheiden sich dagegen, doch der berühmte Satz: »Tun wir es nicht, dann machen es andere«, trifft leider ohne Abstriche zu, besonders wenn man sich die umstrittene Genforschung vor Augen führt, in der – wie vielleicht nur noch bei der Konstruktion der Atombombe – nicht die Machbarkeit, sondern die ethische Verantwortung in den Vordergrund tritt. Wo liegen die Grenzen der wissenschaftlichen Forschung?, lässt Erler seine Charaktere in den fünf Episoden des Blauen Palais immer wieder fragen. Gibt es eine andere Beschränkung als die Selbstbeschränkung und nützt sie angesichts der weltweiten Verflechtung überhaupt etwas? Die globale Vernetzung, oftmals als neue Freiheit der gesamten Menschheit gefeiert, war in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts noch eine Zukunftsvision, die noch nicht einmal Rainer Erler gedacht hat. In eben jener Episode konnte er die brisanten Forschungsergebnisse in den Archiven verschwinden lassen und so die Menschheit noch eine Zeit lang in Sicherheit wiegen. Die Wissenschaftler in Rainer Erlers Filmen haben zumindest einen Rest von Verantwortungsbewusstsein und noch die Möglichkeit, diese Verantwortung wahrzunehmen.

Der Superlaser, den der Physiker Klöpfer in einer anderen Folge des Blauen Palais’ entwickelt, soll zuerst der Ammoniaksynthese dienen, um billigen Kunstdünger herzustellen, kann aber – so in Erlers Vision – auch dazu verwendet werden, Antimaterie zu erzeugen, die wiederum, militärisch eingesetzt, die Vernichtungskraft von Wasserstoffbomben bei Weitem übertreffen würde. Der neue Werkstoff, den der Chemiker Polazzo in der letzten Folge herstellt, wird zum Bau von Militärflugzeugen verwendet. Es ist ein pessimistisches Bild, das uns Rainer Erler in den Folgen des Blauen Palais’ vor Augen führt, doch leider ein realistisches. Im Gewand gut gemachter Unterhaltung, die mit ihrem Anspruch vieles übertrifft, was damals über die Mattscheibe flimmerte, tritt ein Mahner auf, der die Hoffnung hat, nicht überhört zu werden.

Die nüchterne, sachliche Erzählweise dieser Filme zeigt eine große Nähe zum Dokumentarfilm, einen Eindruck, den der Regisseur ohne Zweifel beabsichtigt hat. Dies findet nicht zuletzt in der Gestaltung der Örtlichkeit seinen Ausdruck. Anders als man es aus ähnlichen Filmen gewohnt ist, wirkt das Blaue Palais, es ist ein altes, teilweise sogar verfallenes Herrschaftshaus, so gar nicht wie eine hochmoderne Forschungseinrichtung, sondern eher wie eine Notunterkunft. Außer der wissenschaftlichen Ausstattung findet man im Inneren Mobiliar, das mehr an heruntergekommene Seminarräume einer Universität erinnert, denn etwas Bequemlichkeit für hoch qualifizierte Wissenschaftler bieten könnte. Der Chemiker Polazzo wohnt zum Beispiel in einem Dachzimmer, das heute noch nicht einmal als Studentenbude durchgehen würde.

Für große menschliche Konflikt, die man hinlänglich aus anderen Filmen kennt, ist im Blauen Palais kein Platz, dafür werden die wissenschaftlichen Probleme in der notwendigen Ausführlichkeit dargestellt. Es sind Filme, die nicht in einer Bilderflut ertrinken – wie soll man Wissenschaft auch in Bilder fassen, ohne dass sie wie heute häufig durch Computeranimierung zu einem Disneyspektakel verflachen –, sondern durch den Dialog ihre Wirkung entfalten, dem Aufeinanderprallen von Meinung und Gegenmeinung. Sie sind somit auch Filme einer anderen Generation, eines Kinos, das den Zuschauer nicht mit visuellen Reizen erschlägt. Es ist ein Zuschauer und Zuhörer im wahrsten Sinne des Wortes gefordert. Es sind Filme, deren Drehbuch nicht mit dem minimalen Wortschatz der Umgangssprache auskommt und in denen sich computergenerierte Monster über die Leinwand hetzen. Eben diese Drehbücher stammen vom Regisseur selbst, der auch darin seine Könnerschaft beweist.

Mit seinem Fernsehfilm Die Delegation (1969) gelingt Rainer Erler ein ähnlicher Geniestreich wie Orson Wells 1938 mit seiner legendären Inszenierung von H. G. Wells' Krieg der Welten als Hörspiel. Vermochte damals Orson Wells Teile der USA in Panik und Schrecken zu versetzen – wobei man aber nicht vergessen sollte, dass es sich dabei um ein Zusammentreffen von mehreren Zufällen handelte – so gelingt es Rainer Erler dreißig Jahre später, das Medium Fernsehen ebenso virtuos einzusetzen. Noch deutlicher als in den Folgen des Blauen Palais’ baut Rainer Erler in der Delegation die Fiktion einer Dokumentation auf und hält diese bis zum Schluss durch.

Dem Zuschauer wird auf den ersten Blick ein Dokumentarfilm über UFOs angeboten, der auf den Recherchen des Reporters Will Roczinski basiert, der ausgezogen war, um zu beweisen, dass der ganze UFO-Glaube Humbug ist. Inzwischen ist der Reporter tot und in der Sendung wird das Material gezeigt, das er bis zu seinem Ableben durch einen mysteriösen Unfall gefilmt hat. Diese Filmsequenzen, die anfänglich noch im Auftrag des Senders, dann, nach seinem Hinauswurf, aus eigenem Antrieb entstanden sind, werden durch Interviews unterbrochen und von einem Redakteur im Studio kommentiert.

Während seiner Nachforschungen wandelt sich Roczinski vom Saulus zum Paulus und lange Zeit bleibt der Film in der Schwebe, ob Roczinski nun echte Beweise gefunden hat oder nicht – bis er zum Schluss in einem Indiodorf in den peruanischen Anden auf ein sterbendes Alien trifft. Eine Vorankündigung seines eigenen Todes.

Rainer Erler setzt in Die Delegation gekonnt auf die Vermischung der Genres und präsentiert einen Film, der auf mehrfacher Ebene den Zuschauer ratlos zurücklässt. Als Erstes darf man nicht in die Wellssche Falle tappen und den Film als das nehmen, als was er sich ausgibt: Eine Reportage über UFOs und die, die an sie glauben. Als Nächstes darf man nicht, wie bei einer Dokumentation üblich, die Charaktere für reale Personen halten und schließlich darf man sich in diesem Kontext nicht von den vorgebrachten Beweisen täuschen lassen. Doch das fällt schwer. Rainer Erler zieht alle Register, dem Zuschauer eben jene drei Schritte unmöglich zu machen. Der Film schlägt den Zuschauer schnell und unmerklich in seinen Bann, das Dargestellte in seiner Form entspricht genau dem, was man im Kontext erwarten kann, und angesichts der vom Regisseur aufgebauten und scheinbar logisch fortgeführten Beweiskette bleibt kaum Raum für Zweifel.

Die Delegation trifft den Zuschauer wie Xenons Pfeil und nagelt ihn an die Wand der eigenen Ungewissheit. Lässt man den Schluss, das heißt das Auffinden des Aliens außer Acht, dann stellt der Film auch die Frage nach der Wahrheit und lässt sie über weite Strecken unbeantwortet, denn Wahrheit ist eine subjektive Interpretation der Wirklichkeit. Auch Rainer Erler spielt mit Wahrheit und Lüge. Die Form, in der Die Delegation daherkommt, ist nach gängiger Auffassung die der Wahrheit, der Inhalt allerdings ist Lüge. Der irische Autor Flann O'Brien hat einmal geschrieben: »Ein ordentlicher Roman habe ein offenkundiger Schwindel zu sein, dem der Leser den Grad seiner Leichtgläubigkeit nach Belieben anpassen könne.« Nichts anderes gilt landläufigerweise auch für einen Film, auch er erzählt eine Geschichte, von der meist noch im Vorspann versichert wird, dass die dargestellten Vorgänge und Personen keine Entsprechung in der Wirklichkeit haben.

Der Reiz des Schreibens und auch des Filmemachens liegt aber genau darin, dem Rezipienten eben dies vorzuspiegeln. Niemand wird wirklich glauben, dass es ein Land namens Mittelerde gibt oder dass ein Hänfling wie ein gewisser Frodo Beutlin wirklich irgendwann einmal einen Ring in einen Lavastrom geworfen und somit die Welt gerettet hat. Man lässt sich bestenfalls auf das Spiel ein, um unterhalten zu werden, und mit dem Abspann endet auch die Fiktion. Die Delegation aber wirkt über das Ende hinaus, lässt den Zuschauer verunsichert zurück und manch einer glaubte nach der Erstausstrahlung, dass nun wirklich der Beweis für außerirdische Besucher erbracht worden sei.

Die nüchterne, schnörkellose Erzählweise, die Rainer Erler im Blauen Palais perfektioniert hat, bestimmt auch den Science-Fiction-Film Operation Ganymed aus dem Jahr 1976. Ein Raumschiff mit fünf Besatzungsmitgliedern kehrt nach viereinhalb Jahren vom Jupitermond Ganymed zurück und schwenkt auf eine Erdumlaufbahn ein. Man erwartet, von der Erde mit einem Shuttle abgeholt zu werden, doch weder kommt das Shuttle noch kann man Kontakt mit der Erde herstellen. Als die Energie- und Luftreserven zur Neige gehen, entschließt sich der Kommandant, eine Notlandung zu versuchen. Die Kapsel landet im Meer vor einer einsamen Wüstenküste. Es beginnt ein qualvoller Marsch, auf dem einer der Männer nach dem anderen stirbt. Nur Don, der Biologe der Expedition, überlebt – scheinbar.

Das Ende ist auf den ersten Blick verwirrend. Nachdem die Astronauten auf ihrem Marsch nur verlassene Dörfer vorgefunden haben und die Vermutung geäußert wurde, dass sich die Menschheit in einem Atomkrieg ausgelöscht hat, erreicht Don eine Stadt, deren Bewohner sich allerdings nicht um ihn kümmern. Am Ende des Films muss Don noch total verdreckt und ausgemergelt auf einer Pressekonferenz die Fragen der Journalisten beantworten. Was auf den ersten Blick wie ein mit Abstrichen versöhnliches Ende wirkt, muss stark angezweifelt werden. Wahrscheinlicher erscheint mir die Interpretation, dass die letzten Sequenzen die Todesvisionen Dons sind, der wie seine Kameraden irgendwo im Wüstensand stirbt. Oder war alles nur eine Übung, wie einer der Protagonisten kurz vor der Pressekonferenz behauptet?

Auch hier stellt sich – wie in Die Delegation – die Frage nach der Wahrheit, mit der der Regisseur sein fulminantes Spiel treibt. Nur wenige Filmminuten, so scheint es zumindest, bewegt sich die Handlung in den bekannten Bahnen, doch schon bald verläuft nichts mehr nach Plan. Weder die Protagonisten noch der Zuschauer erhalten einen Hinweis auf die tatsächlichen Zusammenhänge. Die Notwasserung im Pazifik vor der kalifornischen Halbinsel und der anschließende Marsch durch die südkalifornische Wüste in Mexiko legt eine bestimmte Interpretation nahe, die der Regisseur aber mit dem Schluss zurückzunehmen scheint. Nicht zuletzt wirkt der Film, anders als die zuvor genannten, auch durch die Bilder. Die Erde ist wüst und leer und die fünf Männer haben, wenn das eingetreten ist, was Oss, das russische Besatzungsmitglied, vermutet, keine Chance, auf der strahlenversuchten Erde zu überleben.

Kompromissloser ist nie zuvor die Auswirkung eines globalen Atomkriegs dargestellt worden. Es fehlt in Operation Ganymed jegliches Pathos und jegliche Hoffnung. Keines der in eine unerklärliche Situation geworfenen Mannschaftsmitglieder hat das Zeug zum Helden. Weder der durch Horst Frank verkörperte Kommandant Mac noch der Biologe Don sind wirkliche Identifikationsfiguren. Sie versuchen, so gut es geht, zu überleben und scheitern. Mit diesem Film erweist sich Rainer Erler als ein Meister der Ambiguität. Die gezeigten Geschehnisse sind in vielfacher Weise deutbar und auch der Regisseur legt sich nicht eindeutig fest.

Es ist müßig, Betrachtungen anzustellen, wie wahrscheinlich ein solcher globaler Atomkrieg zur Entstehungszeit von Operation Ganymed (1976) war oder heute noch ist; eine viel größere Bedrohung liegt in der Zerstörung der Umwelt, die im Namen der wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung en passant in Kauf genommen wird. Auch hier steht natürlich das strahlende Material an erster Stelle, denn bei keinem anderen Stoff ist das Verhältnis von Menge zu Wirkung so gravierend. In zwei Filmen aus den Jahren 1977 und 1986 nimmt sich Rainer Erler dieses Themas an. In Plutonium (1977) wird die Gefahr beschworen, dass waffenfähiges Plutonium illegal in den Besitz von Staaten kommt, für die sich inzwischen der Begriff »Schurkenstaaten« eingebürgert hat.

In diesem Film greift Erler wieder auf das in Die Delegation entwickelte Muster zurück und reproduziert es auf einer deutlich höheren Ebene virtuos. Die Journalistin Anna Ferroli setzt sich in einer nicht näher bezeichneten südamerikanischen Diktatur für den deutschen Atomwissenschaftler Manfred Hartung ein, der von Rebellen entführt worden ist. Sowohl die deutsche Botschaft als auch die zuständigen Regierungsstellen zeichnen sich durch Untätigkeit aus und hüllen sich in Schweigen. Anna Ferroli nimmt Kontakt mit den Rebellen auf und es gelingt ihr, Hartung freizubekommen. Einige Zeit später reist die Journalistin wieder, diesmal heimlich, in das Land, um dem Verschwinden von fünfzig Kilogramm waffenfähigen Plutoniums aus der Kernanlage, in der Hartung inzwischen wieder arbeitet, nachzugehen. In der schon bekannten Form werden erneut die Rebellen dafür verantwortlich gemacht, aber es stellt sich heraus, dass es eine geheime Regierungsorganisation ist, die das Plutonium gestohlen hat, um damit den Staat in den Besitz der Bombe zu bringen. Nachdem Anna Ferroli dies live in einem Fernsehinterview gesagt und auch Beweise dafür geliefert hat, wird sie beim Verlassen des Studios von Geheimpolizisten erschossen.

Das journalistische Element bestimmt einerseits den Film, andererseits ist auch Erlers eigene Erzählweise dem perfekt angepasst. Wieder wird der Eindruck erweckt, man hätte es hier mit einer Dokumentation des tragischen Todes einer engagierten Journalistin zu tun, die, das erfährt der Zuschauer schon zu Beginn des Films, Opfer ihres Berufes geworden ist. Diese Fiktion gelingt Rainer Erler in beeindruckender Weise. Seine Botschaft aber könnte deprimierender nicht sein. Nicht nur dass Anna Ferroli wie viele seiner Figuren zu Tode kommt, nein, es wird die ganze Machtlosigkeit gegenüber den Herrschenden und ihren Interessen deutlich. Der Moderator des Fernsehsenders, der im Film die Dokumentation ausstrahlt, darf nicht den Namen des Staates nennen, da dadurch die wirtschaftlichen Interessen des eigenen Landes betroffen wären, das Verschwinden des Plutoniums wird von den Betreibern der Kernanlage bestritten und schließlich stellt sich heraus, dass die ganze Rebellengeschichte ein Manöver der diktatorischen Regierung war, um sich heimlich in Besitz von waffenfähigem Plutonium zu bringen.

Das Bild, das Rainer Erler hier von der Welt entwirft, ist wirklich niederschmetternd, doch leider, wie die Erfahrungen der fast dreißig Jahre, die inzwischen vergangen sind, zeigen, zutreffender als wir alle es uns wünschen würden.

Knapp zehn Jahre später greift Rainer Erler in NEWS – Bericht über eine Reise in eine strahlende Zukunft (1986) ein Problem auf, dass besonders heute von Jahr zu Jahr drängender wird: die Entsorgung von Atommüll. Vor knapp vierzig Jahren schon thematisiert der Film, was man damals vielleicht gar nicht glauben mochte, doch was leider inzwischen schon mehrfach von der Wirklichkeit eingeholt worden ist. Rücksichtlose Unternehmen verdienen mit Atommüll riesige Summen und selbst ein Menschenleben gilt dabei nicht viel. Asien scheint dafür der richtige Ort zu sein, denn man kann sich das Schweigen der bei einem Unfall verstrahlten Seeleute mit einem alten Mercedes erkaufen. Wiederum zeigt Rainer Erler, mit welcher Beiläufigkeit die Dinge geschehen und geschehen können, weil international operierende Konzerne den sie kontrollierenden Institutionen nicht nur einen, sondern mindestens fünf Schritte voraus sind.

Container mit radioaktivem Müll befinden sich auf einer Vertuschungsodyssee auf den Weltmeeren und sollen irgendwo im australischen Outback heimlich verscharrt werden. Wieder steht ein Journalist im Mittelpunkt, der sich in die Organisation eingeschmuggelt hat. Diesmal wählt Rainer Erler allerdings ein gängiges Erzählformat und legt den Film als packenden Thriller an, auch wenn – bedingt durch seine Protagonisten – das journalistische Element immer mitschwingt.

Die Skrupellosigkeit großer Konzerne ist auch das Thema von Das schöne Ende der Welt (1983). In diesem Film soll die Produktion von hochgiftigen Pestiziden, die nur noch in den Ländern der Dritten Welt zum Einsatz kommen, in einen abgelegenen Teil von Australien verlegt werden, doch der Chemiker Michael Brandt, der losgeschickt wird, um das dazu notwendige Land aufzukaufen, wird durch tätigen Eingriff der Einheimischen zu einem entschiedenen Widersacher des Projekts. Hier kann sich Rainer Erler einmal dazu durchringen, dem David zumindest einen Teilsieg gegen den Goliath zuzugestehen. Unglaubwürdig – auch angesichts seiner anderen Filme – wirkt er dabei nicht. Doch es ist nur ein Teilerfolg, denn in irgendeiner anderen Ecke der Welt wird sich bestimmt ein Plätzchen finden, wo die Fabrik entstehen kann. Und nicht immer steht ein Wissenschaftler bereit, seiner Verantwortung Rechnung zu tragen.

Von Die Delegation aus dem Jahre 1969 bis zu News von 1986 thematisiert Rainer Erler den Kampf des Einzelnen gegen einen übermächtigen Gegner. Dieser Einzelne kämpft aber nicht für sich, sondern für Werte, die uns alle etwas angehen. Rainer Erler greift dazu mitunter zu drastischen Mitteln, um das, was er zeigen will, dem Zuschauer vor Augen zu führen. Seine Filme sind nie nur Unterhaltung, sie sind eigentlich nie Unterhaltung. Es gelingt ihm, das persönliche Schicksal seiner Protagonisten aus dem Individuellen herauszuführen und in einen gesellschaftlichen Kontext zu stellen. Dieser Ansatz bewirkt gleichzeitig, dass angebunden an seine Lieblingsfiguren – dem Wissenschaftler und dem Journalisten – abstrakte Probleme und Zusammenhänge konkret und nachvollziehbar werden. Die kleine Meldung in einer beliebigen Zeitung unter der Rubrik »Nachrichten aus aller Welt« wird in ihren Konsequenzen fassbar. Rainer Erler gibt diesen Meldungen ein Gesicht und eine Stimme. Schlimmer sind dabei die Meldungen – und auch das schwingt bei Rainer Erlers Filmen immer mit – die gar nicht erscheinen und sich so dem Zugriff der Öffentlichkeit entziehen.

Rainer Erlers Filme, besonders wenn man sie heute wieder sieht, scheinen aus einer anderen Welt zu stammen. Die meisten sind im Auftrag des ZDF entstanden und stammen aus einer Zeit, in der die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten noch nicht versucht haben, das Niveau der Privatsender zu unterbieten. Man muss wohl nicht groß spekulieren, um zu dem Schluss zu gelangen, dass ein Konzept wie Das Blaue Palais heute nur noch geringe Chancen hätte, verwirklicht zu werden. Figuren wie die Biochemiker Jeroen de Groot und Sibilla Jacopescu, Louis Palm oder Enrico Polazzo, die wirkliche Dialoge führen, sind in einer Zeit, in der sich Filme nur noch über die Zahl ihrer Spezialeffekte und das Maß der Computergenerierung definieren, dem Zuschauer wahrscheinlich nur noch sehr schwer vermittelbar.

In einer anderen Zeit – vielleicht auch in einem anderen Land, als dem, in dem wir heute leben – hat Rainer Erler das seine dazu beigetragen, auf Gefahren aufmerksam zu machen, die heute noch genauso bestehen wie damals. Oder auch vor dreißig Jahren noch gar nicht bewusst waren, wie der Film Fleisch aus dem Jahr 1978 zeigt. Organhandel, besonders in der radikalen Form, wie der Regisseur ihn den Zuschauern in seinem packenden Thriller vor Augen führt, war schlichtweg undenkbar, bis Jahre danach die ersten Meldungen in die Zeitungen kamen, dass in Ländern der Dritten Welt das Wirklichkeit geworden ist, was Rainer Erler als Menetekel auf die Bildschirme gebracht hatte. Besonders dieser Film zeigt, wie kompromisslos Rainer Erler in seiner Darstellung und der Extrapolation möglicher Entwicklungen vorgegangen ist. Noch bevor der Film ausgestrahlt wurde kam es zu Protesten, besonders von der Ärzteschaft, die sich keinesfalls in dem Licht sehen wollte, in das sie in dem Film Fleisch gerückt wurde.

In seinem letzten fantastischen Film, Zucker (1989), der auf seiner 1988 veröffentlichten Erzählung Recycling (später dann als Roman zum Film unter dem Titel Zucker erschienen) basiert, behandelt der Regisseur das Thema einer weltumspannenden Katastrophe zum ersten und einzigen Mal mit einem Augenzwinkern. Lydia, geschiedene Frau des Professors Leo Kaminski, aber auch seine wissenschaftliche Rivalin, gelingt es, durch Genmanipulation Bakterien zu schaffen, die sämtliches Papier auf der Welt in Zucker verwandeln. Die daraus entstehenden Konsequenzen kann man sich lebhaft ausmalen und ob seiner Mitverantwortlichkeit begeht Kaminski Selbstmord. Erler nähert sich hier in Erzählweise und Darstellung seiner berühmten Komödie Orden für die Wunderkinder (1963). Die Charaktere, besonders Kaminski, sind überzeichnet und es fehlt nicht an Situationskomik, doch insgesamt kann der Film über die Parodie hinaus nicht die Wirkung entfalten, die den ernsthaften Darstellungen verwandter Thematik zu eigen ist.

Generell aber hat Rainer Erler in seinen Filmen gezeigt, dass man den Anspruch gewissenhafter Darstellung von komplexen Zusammenhängen und die Warnung vor fatalen Entwicklungen durchaus in das Gewand von ansprechender Unterhaltung packen kann. Er erzählt seine Geschichten ohne Pathos, nüchtern, wie seine Wissenschaftler im Blauen Palais ihren Forschungen nachgehen, pragmatisch, wie der Kommandant Mac seine notgelandete Crew durch die Wüste führt, und konsequent, wie seine Journalisten ihrem Auftrag und ihrem Berufsethos folgen. Oftmals ist es die Suche nach der Wahrheit, oder wie es einmal ausgedrückt wurde, die Suche nach einer schwarzen Katze in einem stockdunklen Raum.

Hamburger Abendblatt, 14.10.1989

Jörg Weigand: ›Ich möchte das Bewusstsein der Leute verändern …‹

Ein Interview mit dem Regisseur Rainer Erler

Herr Erler, auch wenn Sie ihre eigenen Filme und Bücher »Science Thriller« nennen, so werden Sie doch von den Fans unter die Science-Fiction-Autoren gerechnet; ich selbst möchte Sie auch dazu zählen. Welche Definition für SF haben Sie?

Darf ich eine Definition meiner Arbeit bringen? Da wir von dieser Sekunde an nur noch in der Zukunft leben, interessiert mich diese ganz besonders. Wenn dann bei der kritischen Beschäftigung mit der Zukunft Science-Fiction herauskommt, ist es mir recht.

Die moderne Entwicklung der SF zeigt eine Abwendung vom rein Naturwissenschaftlich-Technischen hin zu mehr geisteswissenschaftlich-philosophisch-theologischen Problemen. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang Ihre Arbeit?

Mein nächster Film heißt »Ein Guru kommt«, die Geschichte einer Sektengründung. Ein drittklassiger Opernsänger gründet eine Religionsgemeinschaft und füllt damit eine große Marktlücke aus. Es ist natürlich die Frage, ob diese Komödie nun SF ist. Ich meine aber, im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang könnte man sie fast dazurechnen. Bei meinen anderen Filmen, angefangen bei der »Delegation« – dem ersten »Science Thriller« aus meiner Produktion – ging es mir ja nicht darum, wie intelligente Wesen von einem anderen Planeten hier gelandet sein könnten; es ging mir darum, wie eine Begegnung mit diesen Wesen aussehen könnte und wie man dem Publikum klarmachen kann, dass unser Alleinvertretungsanspruch gegenüber der Schöpfung als vermeintlich einzige intelligente Spezies im Kosmos absurd ist. Deswegen habe ich den Film gedreht und versucht, möglichst viele Aspekte – gesellschaftlicher, soziologischer, philosophischer, theologischer Natur – in diesem Film unterzubringen.

So, wie Sie das hier erklären, ergibt sich ein ungeheurer Anspruch und Hintergrund Ihrer Filme. Nun ist aber auf der anderen Seite SF Unterhaltung, soll Unterhaltung sein, wird vor allem in den angelsächsischen Ländern als reine Unterhaltung verstanden. Haben Sie von daher nicht mit Schwierigkeiten zu rechnen, wenn Sie Ihre Filme ins Ausland verkaufen wollen?

In Amerika gibt es, was Filme betrifft, einen schönen Spruch: »Wenn du eine Botschaft hast, dann geh bitte aufs Telegrafenamt!« Das sagen die Filmleute, und sie wollen damit erst einmal alles loswerden, was aus Europa kommt. Was aus Europa kommt, ist immer verdächtig, ist etwas zu tiefschürfend, stellt Analysen über unsere Gesellschaft her und bringt gar philosophische Aspekte ein. Also, das stimmt natürlich nur zum Teil. Im Grunde genommen mache ich Filme für ein Millionenpublikum, denn ich drehe sie ja in Koproduktion mit dem Fernsehen und für das Fernsehen. Infolgedessen muss ich natürlich daran denken, dass ich mich verständlich ausdrücke, also nicht nur für den Cineasten Filme drehe. Das zweite ist, dass ich unterhaltsame, spannende Filme mache; daher auch mein Hang zur drastischen Dramaturgie, denn das ist ja nichts weiter als angewandte Psychologie: Wie bringt man Leute dazu, einer Haltung oder dem Schicksal irgendwelcher Figuren zu folgen? Das dritte, auch in der Reihenfolge, ist, dass man eine Botschaft hat, dass man mit diesem Film etwas sagen will, und sei es auch nur eine Warnung, dass der bisher eingeschlagene Weg eigentlich ins Leere, in die Katastrophe geht.

Fühlen Sie sich dabei als Prophet?

Als Prophet nicht, eher als Warner. Ich möchte nicht den Leuten irgendwelche Lösungen vorgaukeln, die ich nicht kenne. Ich möchte eigentlich nur dem Zuschauer das Denken angewöhnen. Ich möchte das Bewusstsein der Leute verändern, dass sie bereits in kleinen Anzeichen genügend Schrecken und Horror erkennen, der über sie hereinbrechen kann, wenn sie nicht selber eingreifen und stoppen.

Der Anspruch der frühen SF war die Prognostik, d. h. Möglichkeiten der Zukunft wahrheitsgemäß vorhersagen zu können. Wie groß ich Ihr prognostischer Anspruch?

Bei der Reihe »Das Blaue Palais« empfinde ich diesen Anspruch als gerechtfertigt, denn wir haben ja einige Wissenschaftsgebiete abgedeckt: etwa die Biochemie; oder denken Sie an die Möglichkeit, das Altern zu stoppen – ewiges Leben; oder Laserstrahlen als Lösung des Energieproblems, gleichzeitig aber auch als gefährliche Waffe; oder die Übertragung von Gedächtnismolekülen in dem Buch »Das Genie«. Und schließlich: Parapsychologie, indem wir zeigen, wie Wissenschaftler versuchen, dieses Phänomen in den Griff zu bekommen, was aber im Film – im Buch natürlich ebenso – nicht gelingt. Also. Ein bisschen Prognostik ja; auf der anderen Seite: Es sind ja gar nicht mehr so sehr utopische Filme, sondern es sind futuristische Filme, die sich also mit der Zukunft durch Extrapolieren der Gegenwart beschäftigen.

Ich möchte das Thema gern noch von einer anderen Seite angehen: Wie fiktiv, man könnte auch sagen – wie realistisch sind Ihre Filme?

Ich hoffe, meine Filme sind fiktiv. Ich hoffe, dass »Fleisch« fiktiv bleiben wird, dass nicht Leute gejagt werden und ihre Nieren, Lebern und Herzen einbüßen, nur weil andere halt sehr viel Geld dafür bezahlen. In diesem Fall hoffe ich, dass der Film Fiktion bleiben wird, allein dadurch, dass ich jetzt zeige, was passiert, wenn ein Markt an lebenswichtigen Gütern plötzlich beengt ist, wenn die Nachfrage größer ist als das Angebot und dadurch der Vorgang kriminalisiert wird. Dieser Horror, den wir in unserem Film zeigen, wird nicht passieren – hoffe ich.

Können Sie eigentlich in einem Film all das aussagen, was Sie ausdrücken wollen – etwa im Vergleich zum Buch?

Nein, denn ein Buch bietet eine Beschreibung, ein Film dagegen liefert eine Darstellung. Erstens einmal ist ein Roman grundsätzlich wesentlich länger als die Handlung eines Films. Ich könnte beispielsweise aus dem Roman »Fleisch« einen sechs- oder siebenstündigen Film machen, den kauft mir aber keiner ab. Es ist also so, dass die meisten Nebenaspekte auf der Strecke bleiben, wenn man einen Film dreht. Ich halte das Bücherschreiben für eine sinnvolle Ergänzung des Filmemachens und umgekehrt.

Wo liegt für Sie der besondere Stellenwert des SF-Films, auch in technischer Hinsicht, im Vergleich zum Roman, zur Erzählung?

Der Schriftsteller hat alle Möglichkeiten, die einzige Grenze ist eigentlich die Grenze der Fantasie. Der Film hat in jedem Fall sehr große Barrieren; technisch wie wirtschaftlich sind hier deutliche Grenzen gesetzt. Ich behaupte sogar, dass die besten SF-Romane überhaupt nicht verfilmt werden können, weil dieses Maß an Fantasie nicht fotografisch bzw. filmisch darstellbar ist. Als Beispiel: »Solaris« von Stanislaw Lem ist zwar verfilmt worden, doch die Verfilmung gibt mir recht, wenn ich behaupte: Dieser Roman ist nicht verfilmbar. Für einen der besten deutschen SF-Romane halte ich die »Zone Null« von Herbert W. Franke; aber auch dieser Roman ist absolut unverfilmbar, selbst wenn wir alle technischen Möglichkeiten ausschöpfen, die uns oder auch Hollywood zur Verfügung stehen. Dinge, die sich in der Fantasie des Autors – und des Lesers – abspielen; Dinge, die sich nur durch einen extremen technischen Aufwand realisieren lassen; Dinge, die auf anderen Planeten spielen – ihre Verfilmung ist immer nur mit Kompromissen machbar. Was sich anbietet, ist auf jeden Fall der SF-Film, der Konflikte zwischen Menschen abhandelt, und – ob das hier in der Gegenwart oder in der Zukunft spielt, ist vollkommen gleichgültig – auch der SF-Film, der mit den Versatzstücken der Gegenwart eine Zukunft entstehen lässt. Ich habe das im »Blauen Palais« versucht: Nehmen Sie die verfallene Fassade des Gebäudes, hinter der nur der Geist weiter voranschreitet oder auch in die Irre geht. In meinen Filmen finden Sie viel davon.

Also sehr symbolträchtige Filme. Ist da nicht die Grenze zum Kitsch leicht überschritten?

Das muss ich den Kritikern überlassen; da habe ich keine Ahnung.

Wie kommen Sie zu den Themen Ihrer Filme?

Indem ich mich zum Beispiel in wissenschaftlichen Zeitschriften informiere: Wohin geht ein bestimmter Trend in einem bestimmten Wissenschaftsgebiet?

Man könnte sagen: Der durchschnittliche SF-Fan ist der typische Halbgebildete, der SF-Gläubige. Für wen drehen Sie eigentlich Ihre Filme?

Ich mache sie an sich für Gebildete und Ungebildete, denn der Gebildete wie der Ungebildete lernt gerne dazu; beide sind neugierig und erfahren gerne mehr. Der Halbgebildete kann mit diesen Filmen natürlich am allerwenigsten etwas anfangen, weil der das Gefühl hat, er weiß eigentlich sowieso schon alles, und sich nur sehr ungern belehren lässt.

Wenn Sie einen Film drehen, wie eng halten Sie sich an das vorgegebene Konzept?e

Ich habe immer ein sehr genaues und konkretes Konzept und versuche, es zu realisieren. Da ich aber ein so genaues Konzept habe, bin ich immer in der Lage, zu improvisieren und neue Wege einzuschlagen, die mir sinnvoller erscheinen.

Ihr erster »Science Thriller«-Film, »Die Delegation«, entstand zu einer Zeit, da Erich von Däniken noch nicht die große Berühmtheit war; man kannte vielleicht Robert Charroux und einige andere. Warum haben Sie damals diesen Film gemacht? Inwieweit gibt es einen Konnex mit der Zeitgeschichte, sozusagen als Humus, auf dem Ihr Film gewachsen ist?

Der Film »Die Delegation« entstand vom Manuskript her im Jahre 1968. Das war eine Zeit des großen politischen und gesellschaftlichen Umbruchs in Europa, nicht nur in der Bundesrepublik. Das war auch die Zeit, wo wir technisch wirklich noch gläubig waren, wo die großen Kernkraftwerke geplant wurden, wo die Mondlandung dicht vor der Tür stand, wo ich selbst Erspartes in ein paar Aktien umgewandelt habe, weil ich glaubte, dass die technische Zukunft positiv sein würde. Dass wir das heute besser wissen, sehen Sie am »Blauen Palais«. Denn diese Filme sind wesentlich skeptischer und pessimistischer und sind eigentlich in den Jahren 1971 bis 1973 entstanden. Ich gehe noch weiter: Es hat sich im Jahre 1969 die sozialliberale Koalition gebildet, die restaurative Phase der Bundesrepublik schien damit langsam zu Ende zu gehen. Das spielt alles mit hinein zum plötzlichen »Aufbruch ins dritte Jahrtausend«, wie ja auch Pauwels/Bergier ihr Buch genannt haben.

Kann man sagen, dass Ihre Filme auch politisch sind?

»Fleisch« und andere Filme sind manchmal mit Hitchcock verglichen worden. So schmeichelhaft das für mich ist, ich muss dem eigentlich widersprechen. Denn Hitchcock ist natürlich in gewisser Weise ein Konformist, eingepasst und angepasst an Hollywood, an die hochkommerzialisierte amerikanische Filmindustrie. Er konnte es sich nicht leisten, es mit irgendeiner Gruppe, und sei sie noch so klein, zu verderben. Bei mir ist das genau umgekehrt. Wenn Hitchcock sagte: Das ist der Agent mit dem schwarzen Koffer, in dem die geheimnisvolle Formel ist, um die sich alles dreht, dann handelt er nach dem Motto: Pack nie den schwarzen Koffer aus, zeig dem Publikum nie, um welche konkreten Formeln es geht. Hitchcock meint: Das Publikum will das gar nicht wissen. Ich drehe das einfach um. Ich mache meine Filme nicht nur, weil ich den Agenten und die Formel in dem schwarzen Koffer verfolgen will, ich will wissen: Was, zum Teufel, ist genau in dem Koffer drin, welche Formel ist das, was verändert morgen die Welt, was haben die mit uns vor, welche Machtverhältnisse bahnen sich an, welche Waffen, welcher Horror, welcher Terror kommt da auf uns zu? Mir liegt daran, herauszukriegen: Was an Geistesergebnissen und Wissenschaftsergebnissen kondensiert sich letzten Endes in diesen Formeln? Ich will wissen: Was ist eigentlich mit uns los …? Insofern bin ich sicherlich ein politischer Regisseur.

Wie groß ist eigentlich die Lust, einen solchen Film zu drehen?

Filme zu machen ist nicht nur ein Abenteuer, es ist in gewisser Weise die beständige Katastrophe. Ich habe ja, wie ich vorhin sagte, ein Konzept und ich will das Konzept realisieren – in der Realität. Wir bauen ja nicht ganze Straßen und Dörfer oder Stadtteile auf. Das können wir gar nicht. Wir schleusen unser kleines Team mit den Darstellern in die Realität ein und versuchen, dass die Geschichte dort so spielt, dass die Realität nicht oder kaum verändert werden muss. Und das ist schon die Basis für die permanente Katastrophe. Denn es funktioniert natürlich nicht, die Realität lehnt uns ab. Wir stören. Infolgedessen ist die Lust sehr groß, einen Film in Angriff zu nehmen; ihn aber dann tatsächlich zu realisieren, ist eine unendliche Strapaze. Bücher zu schreiben ist dagegen leicht und erholsam, auch wenn das provozierende leere Blatt in der Maschine den Frust bringt.

Vielleicht wagen Sie eine Prognose? Wie sehen Sie die Zukunft für den SF-Film?

Ich glaube, dass sich die Menschen ganz allgemein mehr mit der Zukunft beschäftigen müssen, nicht nur aus Neugier, sondern auch aus Lebenserhaltungstrieb. Der Zuschauer/Leser wird daher die Prognosen, aber auch die Fantasien der SF-Autoren – ob Film oder Buch – zur Kenntnis nehmen, mit Lust und ein wenig Grausen, und er wird manchmal eine Gänsehaut bekommen und damit den Horror vielleicht besser verarbeiten können. Insofern haben wir, glaube ich, nicht nur prognostische Aufgaben, nicht nur die Aufgabe, das kritische Bewusstsein des Zuschauers und Lesers zu unterstützen, vielleicht sogar bewusstseinsverändernd zu wirken, sondern auch therapeutisch: Indem wir ihm den großen Horror zeigen, wird der Zuschauer vielleicht irgendwo die Möglichkeit haben, ihn zu überwinden oder ihm zumindest gewappnet entgegenzutreten.

Ursprünglich erschienen in: Karl Ermert (Herausgeber), Neugier oder Flucht. Zur Poetik, Ideologie und Wirkung der Science Fiction [Dokumentation einer Tagung in der Evangelischen Akademie Loccum]. Literaturwissenschaft – Gesellschaftswissenschaft, Band 50. Ernst Klett Verlag Stuttgart 1980.)

Cover der EuroVideo-DVD aus dem Jahr 2003

Rainer Erler: Fleisch – Anmerkungen zu einer Verfilmung

I

Auf einer Hochzeitsreise durch den Südwesten der USA wird ein junger Mann ohne ersichtlichen Grund entführt. Seine Frau, eine deutsche Studentin, entgeht dem Anschlag nur durch Zufall. – Ein Lastwagenfahrer, der mit seinem Truck gefrorene Rinderhälften quer durch den Kontinent zur Ostküste transportiert, liest sie auf. Sie folgen der Spur des Entführten und begeben sich erneut in die Falle. Denn ohne es zu ahnen, legen sie sich mit einem weitverzweigten Syndikat an, das mit gekidnappten Menschen skrupellos Handel treibt – Handel mit lebendigem Fleisch – Belieferung von Organbanken für finanzkräftige Kunden.

II

Nein – es lag nicht am billigen Dollar (obwohl wir für dieses Geld in Deutschland einen Film dieses Umfangs nicht hätten produzieren können). – Es war auch nicht die Erfüllung eines Kindertraums, endlich mal einen Film in Amerika drehen zu dürfen (1969 habe ich »Die Delegation« und 1975 »Der Gigant« aus der Reihe »Das Blaue Palais« bereits in den USA verfilmt).

Nur aus Spaß setzt man sich den Schwierigkeiten nicht aus, die einem dort drüben drohen: die Pressionen der allmächtigen Film- und Transportgewerkschaften; die schwerfällige Bürokratie bei der Erteilung von Genehmigungen, die an Ostblockländer erinnert, wo keiner es wagt, Verantwortung zu übernehmen; dieser Versicherungswirrwarr; dieses Sichabsichern nach allen Seiten aus Angst vor diesen prozessfreudigen Zeitgenossen, die ständig nach profitablen Anlässen suchen, um sich »schädigen« zu lassen. Denn »Film« heißt Mammutunternehmen à la Hollywood; das heißt auch: Dort ist Geld zu holen. Bei uns war keines zu holen: Ein eingespieltes Miniteam, das überwiegend unauffällig operierte, hin und wieder auch etwas außerhalb der Legalität die Handkamera in einer Coke-Tasche auf verbotenes Terrain einschleppte, auch mal eine Autobahn mit roter Warnflagge schlicht blockierte und die Geduld, die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Amerikaner mehr als einmal auszuloten versuchte – ohne an eine Grenze zu stoßen.

III

Nein – der Grund ist ganz einfach: Die Geschichte spielt dort drüben in diesem Amerika. In diesem Land, in dem alles immer viel größer ist als anderswo. Die Weite und die Schönheit einer Landschaft, Entfernungen, Hässlichkeit, Geschmacklosigkeit, Korruption, die Mafia, die Möglichkeit, für immer zu verschwinden – oder andere verschwinden zu lassen.

Nein – kein Land: ein Kontinent.

In zweiundvierzig Stunden mehr oder weniger nonstop karrt Bill, unser Truckfahrer, quer durch sieben Staaten, vom Südwesten, von Texas, hoch zur Ostküste: Fleisch für den »Big Apple«, für New York. Er hält sich wach mit Unmengen »heavy-oil« (Schweröl), wie starker Kaffee in Truckerkreisen heißt, mit »speed« und anderen Drogen, mit Stereo und unverständlicher Kauderwelschkonversation mit Kollegen über CB-Funk. Er wird gejagt von den »county-mounties« und den »bears«, den Sheriffs und Polizeipatrouillen, denn er fährt aus Prinzip immer zu schnell. Fleisch ist Terminfracht. Die Ratenzahlungen für Truck und Trailer im Nacken – vor sich dreitausend Meilen durch Wüsten und über Berge und durch diesen beschissenen Mittelwesten, wo ein Kaff aussieht wie das andere …

Dann flattert ihm ein Mädchen ins Scheinwerferlicht wie eine Motte voller Angst, voller Panik. Und damit beginnt für ihn der ganze Ärger, der ganze Zoff. Bill Michalski, Sohn polnischer Einwanderer, ist plötzlich mittendrin in einem Thriller.

IV

Der Thriller als kommerzielles Vehikel für eine apokalyptische Horrorvision? Da werden gesunde, junge Menschen von der Straße weggefangen, gehen in die Falle, in billigen Motels, in Absteigen, wie unser »Honeymoon Inn«, zwischen Steppe und Schrottplatz am Rande irgend so einer Siedlung, werden ausgebeutet, »ausgeschlachtet« für die Profitinteressen eines kriminellen Syndikats, das die Institutionen der Krankenversorgung dieses Landes – vielleicht bereits weltweit – zu unterwandern scheint. Unbemerkt. Wie Metastasen eines Organismus.

Eine Ambulanz bringt mit Rotlicht und Sirene »Fleisch für Doktor Jackson« – so das Codewort – in irgend so ein »Medical Center«, in eine Organbank. Offiziell Schwerverletzte ohne jede Chance. Die Organspenderausweise sind gefälscht, okay, aber sonst läuft das alles völlig legal. – Der Computer der Organbank ist an ein internationales Netz angeschlossen. Aber unter den Hilferufen nach den viel zu knappen Ersatzteilen für den Rest eines neuen Lebens stammen auch welche von denen, die sich jeden Preis leisten können.

V

Wie viel ist der Mensch wert? So in Dollar und Cent? Der Materialwert? – Eine Frage, die in dieser materialistisch ausgerichteten Welt doch gestellt werden muss. – Nicht viel, hieß es früher: Das meiste sei Wasser, dazu Kalzium, Kalium, Natrium, Phosphor und noch ein wenig mehr. Heute weiß man es besser: Fast alle Organe sind verwertbar: Gefäße und Nerven, Haut, Sehnen, Knochen. Vor allem aber auch die Drüsen des endokrinen Systems, Hormone, Fermente, Enzyme, Steuerstoffe, die zum größten Teil heute noch nicht synthetisierbar sind. Sie sind unbezahlbar.

Das alles wird wie vor Jahrtausenden eingescharrt oder verbrannt.

Wenn jeder Sterbende, jedes Unfallopfer sein Einverständnis gegeben hätte, dass mit seinen noch funktionsfähigen Organen andere gerettet werden sollen …

Aber immer noch beherrschen archaische Vorstellungen und Ängste unser Bewusstsein. Keiner ist frei davon. Der unverletzte Leichnam. Dracula. Frankenstein.

Und der schwarze Markt für Organe bringt inzwischen vermutlich Millionen – zumindest in unserem Film!

VI

Nicht nur ein Thriller – und nicht nur die Frage, was er denn wert ist, der Mensch, so in Dollar und Cent: Auch die Geschichte einer spröden und doch sehr tiefen Beziehung zwischen zwei Menschen – diesem Truckfahrer Bill und dieser Studentin Monica –, die einen langen und gefährlichen Weg miteinander gehen, die kaum reden können miteinander, aber die letzten Endes füreinander einstehen, sich füreinander opfern und sich schließlich freiwillig hineinbegeben in den vermutlich tödlichen Horror – um einen anderen zu retten.

In einer offenbar unmenschlichen Welt ein Funke Humanität – nicht weniger und nicht mehr. Zumindest in diesem Film »Fleisch«.

Fundstück aus einem ZDF-Programmheft 1979

Manfred Durzak: In Sorge um unsere Zukunft

Zu den Science-Fiction-Filmen von Rainer Erler

I.

Der Filmemacher und Autor Rainer Erler gehört zu den ungewöhnlichsten Erscheinungen in einem Bereich, in dem sich Literatur, Film und Fernseharbeit überschneiden oder anders gesagt: nebeneinander existieren in einer Symbiose, die von einem Kulturbetrieb, der, in seinem Kern konservativ geprägt, gewöhnt ist, in Genre-Schablonen zu denken, eher mit Misstrauen und Zögern wahrgenommen wird. Der 1933 geborene Erler ist unter den sieben Beispielfiguren, die das thematische und entwicklungsgeschichtliche Spektrum dieser Untersuchung repräsentieren, einer der jüngsten und vielleicht auch deshalb derjenige, dessen kreative Wandlungsfähigkeit und Mobilität am größten ist. Damit ist freilich auch ursächlich eine spezifische Rezeptionsschwierigkeit seiner Wirkung verbunden: Weil sich seine Arbeit nicht ausschließlich von einem Betätigungsfeld her beschreiben und definieren lässt – sei es nun der Film, das Fernsehen oder die literarische Arbeit –, sondern weil seine Produktivität sich in allen Bereichen dokumentiert, entzieht er sich einer definitorischen Beschreibungsformel oder macht es schwierig, eine solche Formel zu finden. Das mag sicherlich mit daran beteiligt sein, dass der qualitative Rang dieser Leistung den Status Erlers im gegenwärtigen Kultur- und Medienbetrieb nicht mit jener Nachdrücklichkeit befestigt hat, wie es eigentlich zu erwarten wäre. Erler, der in seinen filmischen Arbeiten Autor, Regisseur und Produzent vielfach in Personalunion ist und seine Ideen und Vorstellungen daneben auch immer wieder in rein literarischen Entwürfen umsetzt, ist ein Grenzgänger. Als solcher steht er quer zum eingefahrenen Routinebetrieb und widerstrebt damit auch zum Teil den eingespielten Vermarktungsgesetzen dieses Routinebetriebs. Damit soll keineswegs der Eindruck erweckt werden, Erler sei verkannt oder gar erfolglos, höchstens, dass die antizipatorische Dimension seiner Leistung nicht angemessen gewürdigt wird1. Die Vielfalt dieser Leistung ist beeindruckend und hat ihn oft genug ins Rampenlicht der Öffentlichkeit geführt.

Erler begann mit neunzehn Jahren als Regieassistent bei Rudolf Jugert und hat seine achtjährige Lehrzeit (bei Jugert, Harald Braun, Wolfgang Liebeneiner, Paul Verhoeven, Franz Peter Wirth und Kurt Hoffmann) in der Mitarbeit an ca. dreißig Kinospielfilmen absolviert, begann dann Anfang der 60er-Jahre mit eigenen Filmen für Kino und Fernsehen und hatte bis Ende 1969 bereits siebenundzwanzig Filme geschrieben und produziert2. Diese intensive Produktionsweise ist Ausdruck einer enthusiastischen Besessenheit und führte keineswegs zu hektischer Serienproduktion, sondern zu filmischen Höhepunkten, die auch von der Öffentlichkeit anerkannt wurden. Erlers Film »Seelenwanderung« von 1962 wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet3. Ähnliches gilt für die Filme »Orden für die Wunderkinder«4, »Die Delegation«5 und »Operation Ganymed«6.

In den 70er-Jahren wandte sich Erlers Interesse verstärkt dem Genre des Science-Fiction-Films zu. Die beiden zuletzt genannten Filme sind die herausragenden Beispiele dafür. Aber auch die fünf Filme der Reihe »Das Blaue Palais« – »Das Genie«, »Der Verräter«, »Das Medium«, »Unsterblichkeit« und »Der Gigant« – ordnen sich diesem Themenbereich zu. Mit Ausnahme von »Operation Ganymed«, wo die Buchveröffentlichung im Wesentlichen nur das Drehbuch umfasst7, existieren zu all diesen Filmen Erlers auch Romanfassungen8. Es handelt sich also weder um die gedruckten Drehvorlagen der Filme noch um die filmischen Erfolgen aus reinen Marktgesichtspunkten nachgeschobenen sogenannten »Bücher zum Film«, sondern um durchaus eigenständige Versuche, die filmisch umgesetzten Themen von den ganz anderen Gattungsvoraussetzungen der Romanform her neu zu gestalten. Das deckt sich in der Intention also durchaus mit dem vielschichtigen Arbeitsprozess, der sich am »März«-Projekt Kipphardts feststellen lässt. Freilich hat diese Parallelität dennoch dazu geführt, dass diese Romane als literarische Arbeiten kaum zur Kenntnis genommen worden sind. Das hat wohl auch mit den festgefahrenen Wertungspositionen im Kulturbetrieb zu tun.

II.

Dieses mit literarischer Arbeit permanent vernetzte filmische Werk Erlers soll im Folgenden nur in einem beispielhaften Auszug näher betrachtet werden. Das geschieht unter der thematischen Perspektive von Erlers Science-Fiction-Beschäftigung. Science-Fiction, die Erler in seinen Filmen und Romanen thematisiert, ist freilich auf spezifische Weise definiert. Es fehlt die Dimension der vorweggenommenen Zukunft. Das Team von Wissenschaftlern, das im »Blauen Palais« bestimmte Projekte erforscht, arbeitet hier und jetzt. Die sozialen Rahmenbedingungen, in denen sie leben, sind wiedererkennbar die der Gegenwart. Es handelt sich also nicht um prognostische Simulationsspiele, die mit einem künftigen Jahrtausend verbunden sind. Die futurologische Komponente gibt sich unter andern Aspekten zu erkennen. Was die konventionelle Science-Fiction9 gleichsam axiomatisch voraussetzt, den nach vorn verlagerten Anachronismus einer künftigen zivilisatorischen Entwicklung, die man zu simulieren versucht, wird in der Konzeption des »Blauen Palais« als Ausgangspunkt reflektiert. Die jungen Wissenschaftler, die sich hier zusammengefunden haben, sind in gewisser Weise Außenseiter des Wissenschaftsbetriebs, haben sich gleichsam zur Tarnung hinter die blaue Fassade eines altertümlichen Palais, das abgeschieden von der normalen Welt in einem verwilderten Park liegt, zurückgezogen. In dieser Denkfabrik konzentrieren sie ihre Forschungsenergie auf jene Probleme und Bereiche, um die der traditionelle Wissenschaftsbetrieb eher einen Bogen macht: Grenzbereiche des Wissens, die Okkultes, Parapsychologisches berühren. In dem Film »Das Genie« arbeitet die Forschungsgruppe beispielsweise an Versuchen, die in sogenannten Gedächtnismolekülen materialisierte Intelligenz auf andere Lebewesen zu übertragen. In »Unsterblichkeit« geht es darum, dass ein Biologe eine Formel entwickelt hat, mit der sich das genetische Programm höherer Lebewesen beeinflussen und ändern lässt. Ein materieller Schlüssel zur Unsterblichkeit scheint gefunden. Es sind also Fragestellungen und Probleme, die aus der Gegenwart heraus entwickelt werden und Aspekte der naturwissenschaftlichen Wissensprogression thematisieren, deren Voraussetzungen keineswegs fiktional sind, sondern Entwicklungen in der Gegenwart aufgreifen und weiterdenken.

Auch die beiden wichtigsten Science-Fiction-Produktionen, die Erler bisher vorgelegt hat, die Filme »Die Delegation« und »Operation Ganymed« sind nicht im zeitlichen Niemandsland einer vagen Zukunft angesiedelt, sondern spielen in der historischen Gegenwart. Er entwirft in diesen Filmen also nicht von fantastischen Einfällen bestückte Zukunftsszenarios, die mit pseudowissenschaftlichen Requisiten vollgestopft sind und damit den Anschein prognostischer Zukunftsvorwegnahme erwecken, während sie im Grunde nur eine Imponierfassade errichten, hinter der sich uralte Handlungsklischees verbergen10. Erler entgeht damit jener Gefahr, die Lem dem Großteil von SF-Produktionen vorgeworfen hat:

»Eines der wahnwitzigsten Geheimnisse der SF (welches aber nicht einmal streng gehütet wird) ist die Tatsache, dass so um 98–99 % ihrer Autoren die gelehrten Schriften und Handbücher, die es heute gibt und die diese Herren mit ihrem Wissen über das Jahr 6000 zu überbieten bereit sind, selbst dem Titel und dem Namen der Verfasser nach nicht kennen. Wenn ein Autor die Physik im Rahmen des Schulunterrichts beherrscht, wird er deshalb […] in vollem Ernst hochgepriesen und als Musterbeispiel den Autoren vorgestellt, die augenscheinlich nach drei Klassen wegen allgemeiner Gehirnschwäche den Schulunterricht abbrechen mussten. Das Publikum scheint von solchen interessanten Tatsachen nichts wissen zu wollen, wahrscheinlich, weil es solche Nachrichten verstimmen könnte.«11

Diese sarkastische Bestandsaufnahme12 ist sicherlich berechtigt und lässt sich allein durch apologetische Rhetorik13 nicht aus der Welt schaffen. Die höchst kontroverse Forschungsdiskussion dieses Genres ist einerseits so umfangreich und andererseits so diffus, dass sie hier gar nicht aufgerollt werden soll. Es kommt mir mit dem Blick auf Erler nur darauf an, auf eine spezifische Voraussetzung seiner fiktionalen SF-Entwürfe aufmerksam zu machen, nämlich ihre Gegenwartsverklammerung, die ja zugleich mit einer entscheidenden Konsequenz verbunden ist: Das Wahrscheinlichkeitspotenzial ist viel stärker der Kontrolle und Überprüfbarkeit durch den gegenwärtigen Wissens- und Erkenntnisstand unterworfen und muss daher viel nachhaltiger um Plausibilisierung bemüht sein als die Entwürfe von Autoren, die sich, ungehemmt fabulierend, in einem Zukunftsvakuum bewegen, in dem gleichsam alles möglich bzw. nicht möglich sein kann, also das Prinzip der X-Beliebigkeit dominiert. Diese Gegenwartsverankerung von Erlers Spielmodellen lässt sich auch qualitativ als realistische Darstellungsabsicht bezeichnen. Er entwirft seine Handlungsmuster und Konfliktzuspitzungen immer im konzeptionellen Rahmen bereits gegenwärtig erkennbarer Entwicklungstendenzen und ist damit primär an der Geschichtlichkeit des gegenwärtigen Augenblicks interessiert und nicht an vagen Zukunftsprojektionen.

Es kommt jedoch noch ein anderes Moment mit hinzu, dass die Besonderheit von Erlers SF-Standpunkt ausmacht. Die konventionelle SF erliegt der Faszination futuristischer technologischer Apparaturen und verschwendet einen Großteil ihrer Energie auf die Ausfüllung solcher technizistischen Aspekte. Der Mensch, sofern er in dieser von futuristischen Requisiten vollgestopften galaktischen Bühne überhaupt noch eine Rolle spielt, ist zum Anhängsel dieser technizistischen Apparaturen geworden, hat gegenüber all den wesentlich funktionstüchtigeren Androiden, Cyborgs, Replikanten und Robotern ohnehin nur noch wenig zu melden, ist faktisch zur reinen Gehirnfunktion mutiert, da er seine Körperlichkeit weitgehend eingebüßt hat, in einem medizinischen Recycling generalüberholt und quasi unsterblich gemacht werden kann, im Tiefschlaf der Kältekammern riesige galaktische Entfernungen problemlos übersteht oder sich gar in Entmaterialisierungsstationen über solche Entfernungen im Bruchteil von Sekunden hinwegstrahlt und am Ziel wieder körperlich synthetisiert. Uralte mythische Vorstellungen, die den Menschen über Raum und Zeit erheben und ihn seiner naturgeschichtlichen Anfälligkeit auf magische Weise entheben, feiern hier in technizistischer Verkleidung ihre Wiederauferstehung. Erlers Darstellung geht von der naturgeschichtlichen und sozialen Existenz des Menschen aus und hat in der Problematisierung gerade dieser Dimension einen ihrer Schwerpunkte. In der Tat spricht die riesige Entwicklungszeiträume umfassende Evolution des Menschen – in der Eingangssequenz von Stanley Kubricks SF-Film »Odyssee im Weltraum« (1968) wird das paradigmatisch thematisiert: die in die Luft geschleuderte Knochenwaffe des Steinzeitmenschen wandelt sich zum Raumschiff, das einem fernen Ziel entgegenfliegt – gegen die naive Unterstellung, als gelinge es dem Menschen, sozusagen in einem qualitativen Sprung seine körperlichen Fehlersysteme aufzuheben, und gleichsam seine naturgeschichtliche Existenz durch Technisierung unantastbar zu machen. Dieser unvorstellbar lange Evolutionsprozess hat das Biosystem Mensch nicht wesentlich verändert, auch wenn die einzelnen entscheidenden Entwicklungsschübe seine zerebralen Kapazitäten entscheidend erweitert haben. Im Grunde beweisen das sogenannte Space Operas wie »Star Wars«14 oder »Battlestar Galactica«15 gegen ihre eigene Absicht16, indem sie das psychologische und soziale Verhalten ihrer zu galaktischen Helden stilisierten Personen im Grunde von jenen Antrieben bestimmt zeigen, die graduell schon für den steinzeitlichen Menschen galten: Konkurrenzdenken, Eifersucht, feindliche Auseinandersetzung, Vernichtung des Schwächeren, Machtausdehnung – wie immer man diese Antriebe im Einzelnen differenzieren mag.

Für Erler ist dieses schwer zu verbessernde, stets anfällige Bio- und Psychosystem Mensch der Faktor, dem er die größte Aufmerksamkeit schenkt und der die sozialgeschichtliche und psychologische Dimension seiner SF begründet und sie damit von vornherein der zur puren Trivialität tendierenden Anhäufung von technizistischen Versatzstücken entzieht.

III.

Über die Entstehungssituation des Filmes »Die Delegation« hat Erler17 berichtet: