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Jede der großen Armeen, so heißt es, hat solche Spezialeinheiten, wie sie ganz allgemein genannt werden, um ihre eigentlichen Ziele, die Sabotage und Spionage, einschließlich der Gegenspionage, zu verschleiern. Diese Praktiken haben in der deutschen Armee eine lange Tradition. Schon König Friedrich II. bediente sich der Spione für Geld und der Freischaren, die später als Streifkorps im Kampf gegen Napoleon eingesetzt wurden. In der kaiserlichen Armee wurde ein systematischer Spionagedienst aufgebaut, in dem auch der Leiter des Amtes Abwehr der Naziwehrmacht, Admiral Canaris, seine erste Ausbildung bekam, die er unter Förderung Hitlers dann in der faschistischen Wehrmacht zur Perfektion brachte. Hitler fand in diesem Seeoffizier den Mann, der ihm bei der schnellen Erreichung seiner imperialistischen Ziele die größte Hilfe leisten sollte und förderte großzügig den Apparat der Abwehr und ihrer Einsatztruppe, genannt die „Brandenburger“. Diesen Namen verdankte diese Rangereinheit einem ersten Ausbildungslager für Agenten, die in Sabotage trainiert wurden, das die Abwehr in der Nähe von Brandenburg unterhielt, das Quenzgut. Es handelte sich um ein größeres Anwesen eines jüdischen Gummifabrikanten, das „arisiert“ worden war. Es lag abseits, der Quenzsee ist eigentlich nur die nördliche Ausbuchtung des Plauer Sees, schwer zu erreichen, leicht zu tarnen und mit Berlin durch die Reichsstraße 1 verbunden. Dort wurden Funker, V-Leute, Saboteure, Sprengmeister und Spezialisten für die Zersetzung von kleineren und größeren Gruppen ausgebildet. Die Unterlagen über die Theorie und Praxis der „Brandenburger“ sind verschwunden, wahrscheinlich gegen Kriegsende vernichtet, manche Kenner sprechen auch davon, dass sie unter Verschluss im amerikanischen Kriegsarchiv liegen. Wie auch immer, so Autor Hans Bentzien, es ist inzwischen ein ungefähres Bild entstanden, mit dem der geheimnisvolle Schleier gelüftet werden kann, der über diese Rangereinheit gelegt worden ist. Aber auch heute werden sie offenbar überall in der Welt gebraucht – die Männer, die dieses schmutzige Geschäft beherrschen, das nur moderner geworden ist. Und es finden sich noch immer Freiwillige, die sich bei diesen verbrecherischen Unternehmungen Abenteuer versprechen. Wie es diesen Männern ergeht, kann man lernen, wenn man einen Blick auf die nur fünf Jahre währende Existenz der „Brandenburger“ wirft. Und genau darum geht es bei diesem Buch über „Die Ranger von Admiral Canaris“.
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Seitenzahl: 368
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Hans Bentzien
Division Brandenburg
Die Rangers von Admiral Canaris
ISBN 978-3-95655-457-5 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien erstmals 2004 in der Edition Ost, Berlin.
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
© 2015 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de
Die erstaunte Öffentlichkeit erfuhr Anfang des Jahres 2004 davon, dass der Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland einen General von Knall auf Fall entlassen hatte. Auch der Grund war ungewöhnlich. Dieser „oberste Geheimsoldat“ hatte sich in einem Schreiben mit einem CDU-Bundestagsabgeordneten solidarisiert, der die Juden als Tätervolk bezeichnet hatte. Der Minister wollte die Kritik von seiner Armee ablenken und opferte den bewährten Chef seiner Sondereinheit. Bei den vielen Presseberichten tauchte ein Bild auf, das den General vor einigen seiner Soldaten zeigte. Nicht sein hageres, asketisches Gesicht ist das Interessante an diesem Foto, sondern der Umstand, dass die Soldaten durch Masken und Tarnanzüge jedwede Identität verloren haben.
Seitdem und in Verbindung mit der Kriegsberichtserstattung über Afghanistan und Irak tauchen Presseberichte und Fernsehsendungen auf, in welchen einige Einzelheiten über diese Sonderkommandos mitgeteilt werden. Der Sender 3sat berichtet zur Mittagszeit darüber, dass nicht nur die Minentaucher der Bundesmarine absolute Spezialisten beim Legen und Beseitigen von Minensperren sind und dazu umfassende besondere ingenieurtechnische Ausbildung erhalten haben und ihre Kenntnisse souverän und aufopferungsvoll anwenden, sondern dass auch die Kampfschwimmer ausgebildet werden, um zu See, Luft und Land allseitig verwendbar zu sein.
In den Kommentaren wird darauf hingewiesen, dass die Zeit der alten Kriegführung vorbei ist und die Zukunft des Kriegshandwerks den flexiblen Sonderformationen gehört, die lautlos und überhaupt spurlos eingreifen können und verschwunden sind, bevor sie entdeckt werden. Bei der neuen Planung der Bundeswehr soll das alte Denken in den Kategorien Heer, Marine, Luftwaffe überwunden werden. Die traditionellen Strukturen sollen abgeschafft und an ihre Stelle eine neue Gliederung treten. Dabei kommt den Eingreifkräften die entscheidende Rolle zu. Im Umfange von 35 000 Mann sollen sie „vernetzte Operationen“ hoher Intensität ausführen, das heißt Kurzeinsätze jeder Art. Ihnen folgen nach „erzwungenem Frieden“ dann die Stabilisierungskräfte, fünf Einheiten zu je 14 000 Mann nach dem Muster der Bundeswehr-Einsätze auf dem Balkan und in Afghanistan, wo am Hindukusch die Freiheit der Menschheit verteidigt werden soll. Und die Logistik, immerhin 145000 Mann, sorgt für Verpflegung, Waffen und jederart von Material. Dazu kommen die Ausbildung der Rekruten und der Einsatz bei Rebellion im heimischen Territorium und schließlich auch bei Naturkatastrophen.
So erscheint die Bundeswehr gerüstet, in jeder Ecke der Welt eingesetzt zu werden. Aber auch die anderen, befreundeten Armeen sind mit ihren Sondereinheiten schon an Ort und Stelle, so der umfassende Einsatz der US-Armee mit ihrem Geheimdienst INSCOM, einer Einheit, die jederart verdeckte Operationen ausführt. Man wird sich abstimmen.
In die Öffentlichkeit rückt zurzeit die israelische Eliteeinheit „Orev“, eingesetzt zur Aufspürung der palästinensischen Selbstmordattentäter und Liquidierung ihrer Leiter. Diese Soldaten sind die ausführenden Truppen des Abschirmdienstes und des Inlandgeheimdienstes, die mithilfe eines umfangreichen Netzes von Agenten und Kollaborateuren die Ziele ausmachen und bestimmen. Nur so ist zu erklären, wie es gelingt, mit einem Kampfhubschrauber einzelne Autos von der Straße zu schießen.
Jede der großen Armeen hat solche Spezialeinheiten, wie sie ganz allgemein genannt werden, um ihre eigentlichen Ziele, die Sabotage und Spionage, einschließlich der Gegenspionage, zu verschleiern. Diese Praktiken haben in der deutschen Armee eine lange Tradition. Schon König Friedrich II. bediente sich der Spione für Geld und der Freischaren, die später als Streifkorps im Kampf gegen Napoleon eingesetzt wurden. In der kaiserlichen Armee wurde ein systematischer Spionagedienst aufgebaut, in dem auch der Leiter des Amtes Abwehr der Naziwehrmacht, Admiral Canaris, seine erste Ausbildung bekam, die er unter Förderung Hitlers dann in der faschistischen Wehrmacht zur Perfektion brachte.
Hitler fand in diesem Seeoffizier den Mann, der ihm bei der schnellen Erreichung seiner imperialistischen Ziele die größte Hilfe leisten sollte und förderte großzügig den Apparat der Abwehr und ihrer Einsatztruppe, genannt die „Brandenburger“. Wie Hermann Rauschning in seinen Gesprächen mit Hitler berichtet, so äußert sich der „Führer“ bereits 1934 gegenüber seinem Gauleiter Förster, der in Danzig amtierte, über die bevorzugten Methoden der Kriegführung folgendermaßen:
„Wenn ich Krieg führe, Förster, dann werde ich eines Tages mitten im Frieden etwa Truppen in Paris auftreten lassen. Sie werden französische Uniformen anhaben. Sie werden am hellen Tage durch die Straßen marschieren. Niemand wird sie anhalten. Alles ist bis aufs kleinste vorbereitet. Sie marschieren zum Generalstabsgebäude. Sie besetzen die Ministerien, das Parlament. Binnen weniger Minuten ist Frankreich, ist Polen, ist Österreich, ist die Tschechoslowakei seiner führenden Männer beraubt. Eine Armee ohne Generalstab. Alle politischen Führer sind erledigt. Die Verwirrung wird beispiellos. Aber ich stehe auch längst mit Männern in Verbindung, die eine neue Regierung bilden, eine Regierung, wie sie mir passt. Wir haben einen Friedensschluss, ehe wir den Krieg haben. Ich garantiere ihnen, dass das Unmögliche immer glückt. Das Unwahrscheinlichste ist das Sicherste. Wir werden Freiwillige genug haben, Männer wie unsere SA, verschwiegen und opferbereit. Wir werden sie mitten im Frieden über die Grenzen bringen. Allmählich, kein Mensch wird in ihnen etwas anderes sehen als friedliche Reisende ... Unsere Strategie ist, den Feind von innen zu vernichten, ihn durch sich selbst besiegen zu lassen.“
Der Mann, der ihm diese Strategie ausarbeiten sollte, Canaris, baute diesen Apparat auf. In heutiger Zeit, in der wieder mit solchen Idiotismen gespielt wird, ist es interessant, in die Theorien und Praktiken der „Brandenburger“ zu sehen. Die Unterlagen dazu sind verschwunden, wahrscheinlich gegen Kriegsende vernichtet, manche Kenner sprechen auch davon, dass sie unter Verschluss im amerikanischen Kriegsarchiv liegen. Wie auch immer, es ist inzwischen ein ungefähres Bild entstanden, mit dem der geheimnisvolle Schleier gelüftet werden kann, der über diese Rangereinheit gelegt worden ist. Beim Aufbau der Bundeswehr dienten sich die Abwehroffiziere den amerikanischen und englischen Armeen und ihren Spionageapparaten an, und die alten Nazispione wurden auch für den Bundesnachrichtendienst in Pullach gebraucht.
Es ist nichts geheimnisvolles an diesem Geschäft, denn verdeckt ist nur der Betrug am Gegenstand der Spionage und Sabotage, offensichtlich aber die Methode, unter Missachtung aller zivilen Übereinkommen zwischen den Völkern, unter Verletzung der Würde der Person und aller dazu verfassten nationalen und internationalen Gesetze der größten Geißel der Menschheit, dem Krieg zu dienen.
Der Krieg ist wieder aufgerufen in Afrika, im Nahen Osten, in Asien. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Welt kein Jahr zur Ruhe gekommen. Die Formen des Krieges haben sich geändert, aber es geht immer noch um die Reichtümer der Erde, die sich die Riesenkonzerne im Dienste der Führungsmacht aneignen wollen. Man nennt das Globalisierung. Dazu haben sie ihre Vertreter in Staat und Armee stationiert. Die Vertuschungen, die Lügen, die Anrufung Gottes sind geblieben, nur die Formen haben sich geändert. Und es finden sich noch immer Freiwillige, die sich bei diesen verbrecherischen Unternehmungen Abenteuer versprechen. Wie es diesen Männern ergeht, kann man lernen, wenn man einen Blick auf die nur fünf Jahre währende Existenz der „Brandenburger“ wirft.
Vier Wochen vor der bedingungslosen Kapitulation des Hitlerreiches werden im KZ Flossenbürg fünf Männer gehenkt. Sie müssen sich am frühen Morgen des 9. April 1945 im Büroraum einer Baracke nackt ausziehen und werden unter den Galgen getrieben. Sie waren Mitarbeiter der militärischen Abwehr, der Spionageorganisation der Hitlerwehrmacht und könnten auf hochgradige Verdienste verweisen. Aber sie sind Hitlergegner, und das ist das Erstaunliche und Widerspruchsvolle an ihrer Lebensleistung, sie trennen in ihrem Verständnis den Dienst am Vaterland vom Eid, den sie dem Verderber ihres Vaterlandes geschworen haben. Wie kaum sonst jemand besaßen sie genaueste Kenntnisse über die internen Vorgänge des deutschen Reiches und seiner Führungsschicht, über die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft, des Militärs, der Denkungsart der Eliten, die Verbrechen von Justiz, Polizei, SA und SS und wussten nur zu genau, dass der Versuch, Europa und viele andere Länder in Afrika und im Nahen Osten zu unterjochen, von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Deutschland sollte seinen Part im Konzert der Völker nur mit friedlichen Mitteln spielen und seine beachtlichen Fähigkeiten in Wissenschaft, Technik und im Geistesleben nicht verbrecherischen Zielen dienstbar machen. So dachten sie, und deshalb wurden sie jetzt unter dem Brüllen der Schergen, die sie auf ihrem letzten Gang antrieben, auf schlimmste und für Militärs entwürdigende Weise, mit einer Drahtschlinge, umgebracht, ihre Körper und die wenigen Habseligkeiten auf einen Scheiterhaufen geworfen.
Ihre Namen sind bekannt, es starben an diesem Frühlingsmorgen, kurz vor dem Einmarsch amerikanischer Truppen, Pastor Dietrich Bonhoeffer, Heeresrichter Dr. Karl Sack, Hauptmann Ludwig Gehre, Hauptmann Theodor Strünck, General Hans Oster und ihrer aller Chef, Admiral Wilhelm Canaris. Den Tod durch Erschießen hatte ihnen das Standgericht der SS auf Anweisung Hitlers verweigert. Über ihr Leben und Wirken legt sich immer noch der Schleier des Geheimnisvollen. Gewiss, während der Remilitarisierung in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wagten es einige Überlebende und beharrliche Forscher, den verschlungenen Pfaden ihrer geheimnisvollen Tätigkeit nachzugehen, aber seit dieser Zeit ist es um dieses Thema ruhiger geworden, denn die Arbeit der Abwehr und ihrer ausführenden Truppe war zu offensichtlich gegen alle gültigen Grundsätze des Völkerrechts betrieben worden, ihre öffentliche Erörterung passte nicht mehr in die Entspannungspolitik.
Sollte man sie nicht in der historischen Versenkung verschwinden lassen? Als einen unangenehmen Begleiter des vor sechs Jahrzehnten beendeten Krieges, der für unser Vaterland eine Katastrophe von gigantischen Ausmaßen war und die Blüte der jungen Generationen dieser Jahre vernichtete? Ein Verschweigen wäre falsch, denn es droht eine Ausweitung der ohnehin nie abgerissenen Welle militärischer Gewalt und kriegerischer Annexionen am Beginn des 21. Jahrhunderts. Auch Deutschland ist daran beteiligt, und der Kriegsminister will der Bevölkerung weismachen, dass ihre Freiheit am Hindukusch verteidigt werden muss. Dorthin wollte schon einmal ein sogenannter Feldherr; unter anderen Voraussetzungen und mit anderem Elan.
Diese sechs Männer, alle aus der militärischen Abwehr, hatten sich auch für dessen Pläne hergegeben, wollten aber die Folgen nunmehr verringern, indem sie auf einen erträglichen Frieden hinarbeiteten. Doch die Gegner des Hitlerreiches kannten kein Pardon und bestanden auf der bedingungslosen Kapitulation. Die Machthaber im Innern des Landes, die SS und ihre Polizei, hegten ein tiefes Misstrauen gegen die verschwiegenen Herren der militärischen Abwehr, die faschistische Emporkömmlinge verachteten. So war ihr Schicksal, wie das auch vieler anderer ähnlich denkender Menschen, vier Wochen vor Kriegsende besiegelt.
Der Abiturient Wilhelm Canaris tritt als Seekadett im Frühjahr 1905 in die kaiserliche Marine ein. Es ist die Zeit, als man glaubte, die Größe Deutschlands würde durch die Flotte entschieden. So lässt man auch den Kreuzer „Bremen“, auf dem der Kadett stationiert ist, in mittel- und südamerikanischen Gewässern kreuzen. Hier nimmt der talentierte junge Mann eine schnelle Laufbahn in Angriff, hier lernt er die Sprache der besuchten Länder, Spanisch. Ende 1909 bescheinigt ihm sein Kommandant, dass er zwar nicht der Typ des ungestümen Draufgängers ist, dafür aber ein ausgewogenes Naturell besitze. Er sei gewandt und könne mit schwierigen Aufgaben, die Takt und Diplomatie erfordern, betraut werden.
Nach einem Zwischenkommando auf einem Torpedoboot der Nordsee geht es wieder in ausländische Gewässer. Wozu hat man eine Marine, sie soll überall präsent sein, auch im Mittelmeer! Dort beobachtet der Kreuzer „Dresden“ den Krieg zwischen der Türkei und den Balkanstaaten. Canaris kommt dabei mit Persönlichkeiten der verschiedenen Seiten und deren Interessen in Beziehung, nachdem sein Kommandant erkannt hatte, dass er, inzwischen ein guter Kenner der Probleme, die mit der von Deutschland gebauten Bagdadbahn verbunden sind, in Gesprächen, die diplomatisches Gespür verlangen, sich außerordentlich geschickt verhält. Nach einem Jahr löst die „Dresden“ seinen früheren Kreuzer „Bremen“ ab, und somit erreicht er wieder sein erstes Einsatzgebiet in Mittel- und Südamerika. Hier wird die Besatzung vom Ersten Weltkrieg überrascht. Sie erhält Befehl, dort zu bleiben und den Kreuzerkrieg gegen die Handelsschiffe der Gegner aufzunehmen.
Die „Dresden“ ist ein Teil der Flotte des Admirals Graf Spee und wird in die für Deutschland siegreiche Seeschlacht vor Coronal geworfen. Die Feuertaufe ist bestanden. Doch die englische Flotte will die Scharte auswetzen und stellt den deutschen Verband Anfang Dezember 1914 vor den Falklandinseln. Als einzigem deutschen Schiff gelingt es der „Dresden“ der Versenkung zu entgehen und zu entkommen. Allerdings hat sie keine andere Wahl, als sich zu verstecken, die ungezählten Arme des Feuerland-Archipels geben dazu jede Möglichkeit.
Doch zur Versorgung muss ein Kontakt zum Festland hergestellt werden. Als die „Dresden“ im März 1915 versucht, sich im chilenischen Seegebiet mit Kohle zu bevorraten, erscheint der weit überlegene englische Kreuzer „Glasgow“ und beginnt sofort, die „Dresden“ aus allen Rohren anzugreifen. Zu den angebotenen Kapitulationsverhandlungen, der ersten Bewährungsprobe des Oberleutnants Canaris in diplomatischer Hinsicht, setzt er auf die „Glasgow“ über. Er protestiert gegen den Überfall in den Seegewässern des neutralen Chile, das sei ein Verstoß gegen internationales Recht, doch der Kommandant des englischen Schiffes kontert nur kurz: „Ich habe den Befehl, die >Dresden< zu vernichten, wo immer ich sie antreffe. Alles andere wird auf diplomatischem Wege zwischen Großbritannien und Chile geregelt werden.“
Er wartet noch die Rückkehr der Barkasse mit Canaris auf die „Dresden“ ab, und dann beginnt erneut die Kanonade. Es bleibt keine andre Wahl, als die „Dresden“ zu versenken. Die Ventile werden geflutet, die Besatzung wird interniert und kommt, vollkommen isoliert, auf die chilenische Insel Quiriquina. Canaris schmiedet einen Fluchtplan und zögert nicht lange ihn anzugehen. Er hat dafür die wichtigste Waffe bereit, seine spanischen Sprachkenntnisse.
Mit einem gestohlenen Boot flieht er auf das Festland. Die Anden schrecken ihn nicht, er beginnt den Marsch über die kaum passierbaren Pässe, meist zu Fuß, manchmal kann er ein Pferd besorgen. Nach acht Monaten, nur durch kleinere Pausen unterbrochen, erreicht er um Weihnachten 1915 mit einem kleinen Boot auf dem Paranáfluss die Hafenstadt Buenos Aires.
Er findet Anschluss an eine deutsche Familie, die nach der Auswanderung hier schon längere Zeit in der Nähe der Hauptstadt lebt. Mit ihrer Hilfe beschafft er sich einen chilenischen Pass. Seine Legende ist nicht besonders kompliziert. Er verwandelt sich in einen Witwer, den jungen Chilenen namens Reed Rosas. Er hat eine Erbschaft gemacht, Verwandte seiner verstorbenen englischen Mutter leben in Holland, bei ihnen will er sich um die Sache kümmern. Es soll sich um nennenswerte Summen handeln. Da lohnt die lange Reise, hoffentlich. Das holländische Schiff „Frisia“ nimmt ihn auf, er schließt sich einer englischen Reisefamilie an und beginnt verhalten, aber zielstrebig einen Flirt mit der schönen Tochter Rosy. Sein Benehmen ist untadelig, er wird gern gesehen. So stellt man sich einen guten Schwiegersohn vor.
Seine Tarnung besteht auch eine ernstere Probe. Die „Frisia“ wird von englischen Patrouillenschiffen aufgebracht und im Hafen von Plymouth kontrolliert, die Passagiere verhört. Der junge Chilene gibt keinen Grund zu einer Beanstandung, er darf wieder aufsteigen. In Rotterdam verabschiedet man sich, mit dem chilenischen Pass gelingt auch die Weiterfahrt nach Hamburg. Hier akklimatisiert er sich, seine Tante nimmt ihn einige Tage auf, und dann meldet sich Oberleutnant Canaris in Berlin von Feindfahrt zurück.
Seine Vorgesetzten sind erfreut über seinen Bericht, den er ausführlich in seinem Urlaub anfertigt. Über seine Geschicklichkeit und Fantasie ist man sogar erstaunt und erkennt, dass ein solcher Mann ein kreatives Potenzial besitzt, das auf einer Schiffsbrücke beim normalen Wachdienst wohl nicht ausgeschöpft werden kann. So entscheidet Oberst Walter Nicolai, der Leiter des militärischen Nachrichtendienstes, Wilhelm Canaris zu einem Lehrgang einzuladen, wo er geprüft werden soll, ob er für Spionage und auch für die komplizierte Gegenspionage geeignet ist. Der kritische Nicolai, mit der Spürnase eines Jägers, spricht die Eignung aus, und so finden wir Senor Reed Rosas im Dezember 1916 in Spanien wieder, wie er sich durchgeschlagen hat, bleibt sein Geheimnis.
Der Botschafter Prinz Ratibor teilt ihn dem Militärattaché zu. Sein Vorgesetzter ist außer für Spanien auch noch für die Agenten in Frankreich verantwortlich, so ist er über jede Entlastung in seiner Arbeit erfreut. Canaris wird Mitarbeiter des Marineattachés von Krohn, als Korvettenkapitän auch zugleich unmittelbarer Vorgesetzter des Oberleutnants C. Bei von Krohn lernt er das Spionagehandwerk in der Praxis, und diese ist inzwischen sehr umfangreich. Das neutrale Spanien ist ein fester Posten in der deutschen Seekriegführung. Die Hilfskreuzer, Handelsschiffe mit getarnter Bewaffnung unter dem Kommando von Flottenoffizieren, sparen sich die weiten und gefährlichen Seewege zu deutschen Häfen, wenn sie in Spanien die notwendigen Versorgungsgüter bunkern können. Das gilt auch für die U-Boote im Mittelmeer und im Atlantik.
Das Problem besteht nur darin, dass dem spanischen Staat Aktionen der Engländer drohen, wenn sie erfahren, dass Spanien nicht neutral ist, sondern einer Seite gestattet, was sie der anderen verwehrt. Und die Engländer haben ein mächtiges Pfand in der Hand, den Felsen von Gibraltar, ihre wichtigste Festung außerhalb des Mutterlandes. Dort ist ein entscheidender Stützpunkt der englischen Marine, eine vollständig mit allen Schikanen ausgebaute Festung, das Tor zum Mittelmeer, die Kontrollstelle für den Schiffsverkehr jeder Art, gefürchtet selbst von den U-Booten. Aber gerade diese müssen die Enge passieren, wenn sie den englischen Schiffsverkehr im Mittelmeer stören wollen. So ist es eine Lebensfrage für die deutsche Flotte, ob ihre Spionage die notwendigen Angaben über die englischen Schiffsbewegungen an dieser sensiblen Stelle liefern kann.
Doch an diese wichtigste Aufgabe lässt man den Anfänger noch nicht heran. Er soll Agenten finden, mit deren Hilfe die Versorgung der deutschen Schiffe reibungslos klappt. Ein logistisches Unternehmen, das viele Hände und Köpfe braucht: Kaufleute, die das Geschäft mit den Lebensmitteln, mit Kohle und Öl und den vielen marinetechnischen Waren unter den besonderen geheimen Bedingungen machen wollen. Diese Männer brauchen wiederum Hilfskräfte unter den Fischern und Schiffern mit Küstenbooten, welche die Waren in die neutrale Zone transportieren. Der Chilene mit dem untadeligen Pass erweckt Vertrauen bei den entsprechenden Kräften und bei den Verwaltungen, wenn er sie denn braucht und aufsuchen muss. In einem Jahr steht seine Nachschuborganisation, er hat die zuverlässigen Männer gefunden, die unter seiner Anleitung recht selbstständig arbeiten können. Dieses Prinzip bei der Führung seiner Agenten hat er immer beibehalten, geprüfte Zuverlässigkeit und selbstständiges Arbeiten.
Wie umfangreich seine Aufgabe ist, mag man daran ermessen, dass er dieses Netz in sieben Häfen knüpfen muss, in Barcelona, Valencia, Santander, Bilbao, Cadiz, Vigo und Algeciras. Aus alledem ergibt sich, dass er seine Arbeit im Wesentlichen nicht im Büro abwickelt, sondern er ist unterwegs, lernt Menschen kennen und schätzen und befreundet sich mit manchem. Diesen und jenen sollte er nach über zwanzig Jahren noch in wichtiger Angelegenheit wiedersehen. Wenn er in komplizierter Problematik den richtigen Lösungsweg finden soll, finden muss, setzt er nach genauer Abwägung alles auf eine Karte.
Als er, was seine Vorgesetzten sehr bedauern, sich 1917 zum Einsatz an der Front meldet, muss er auf dem Landweg nach Deutschland kommen. Er bekommt die spanischen Papiere, weil er und sein begleitender Agent, ein spanischer Priester, in der Schweiz ihre Tuberkulose auskurieren wollen. Die Grenze nach Frankreich macht keine Probleme, aber die italienische Grenzkontrolle beim Übergang in die Schweiz, in Domodossola, macht Schwierigkeiten. Die italienische Gegenspionage hat in ihren Unterlagen ein Dossier über einen falschen Chilenen erhalten. Der Priester und Don Rosas landen in der Gefängniszelle und werden verhört, behandelt wie deutsche Spione. Um die Vernehmer zu täuschen, beißt sich Canaris die Lippen blutig und sammelt das Blut in einem Gefäß. Das wirkt zwar, aber reicht nicht für eine Abschiebung in die Schweiz. Erst eine von Spanien ausgelöste Hilfsaktion bewirkt eine Änderung. Er darf zwar nicht in die Schweiz weiterreisen, doch wird er mit seinem Gefährten auf einen spanischen Frachter gebracht, der von Genua nach Cartagena fahren soll, allerdings mit einer Anlandung in Marseille.
Als Canaris die genaue Route erfährt, ist er sich sofort im Klaren, dass er bei der französischen Abwehr nicht so glücklich davonkommen wird, wie bei den Italienern. Es gibt für ihn nur eine Möglichkeit, er muss den Kapitän gewinnen. Es hat keinen Zweck, sich an Bord zu verstecken, man wird das Schiff durchsuchen, denn er muss davon ausgehen, dass die Franzosen bereits informiert sind. So gewinnt er den Kapitän dafür, den Hafen Marseille überhaupt nicht anzulaufen, was dieser, nach rückhaltloser Erklärung seiner wirklichen Identität auch entscheidet. Gewagt - gewonnen.
In der Botschaft erkennt man den abgemagerten Mann zuerst nicht. Seine aus Südamerika erworbene Malaria meldet sich erneut. Er muss sich fiebergeschüttelt ins Krankenbett legen. Aber eine ihm verbundene Dame pflegt ihn körperlich und seelisch, und somit kann er bald wieder Herrn von Krohn unterstützen, gibt aber den Plan, nach Deutschland zu gelangen, nicht auf. Mit zwei anderen Männern besteigt er in den ersten Oktobertagen ein deutsches U-Boot, das zwei Meilen vor der Küste vor Cartagena aufgetaucht ist und nun Kurs auf den Hafen von Pula im Golf von Triest nimmt.
Er will mit der Spionagetätigkeit nichts mehr zu tun haben. Die Gründe dafür sind nicht ganz geklärt, auf jeden Fall betreibt er seine Kommandierung auf ein U-Boot. Dazu nimmt er an Lehrgängen zur speziellen Vorbereitung in Kiel teil. Eine Kommandantenstelle wird erst im Frühjahr frei, inzwischen unterrichtet er als Lehroffizier an der U-Bootschule in Eckernförde. Doch dann ist es so weit. Im letzten Kriegsjahr steigt er auf ein neu in Dienst gestelltes Boot und nimmt Kurs auf sein Einsatzgebiet, den Hafen von Cattaro im Mittelmeer. Der Krieg geht dem Ende zu. Zwar greift er alliierte Schiffseinheiten erfolgreich an, aber der Nachschub für sein Boot und die zehn anderen in Cattaro stockt. Denn in Jugoslawien brennt die Bewegung gegen die Habsburger Monarchie, der Aufstand ist in vollem Gange. Mit seinem U 128 folgt er dem Befehl zur Heimreise, und er läuft einen Tag vor dem Ausbruch der Novemberrevolution, am 8. November 1918, in Kiel ein, wo die Dickschiffe bereits die rote Flagge gehisst haben.
Die Abdankung des Kaisers Wilhelm II. und seine Flucht nach Holland verunsichern Canaris, er muss sich neu orientieren und sucht in Berlin das Zentrum der Konterrevolution und findet es im berüchtigten Hotel „Eden“, wo Hauptmann Waldemar Pabst die Einsätze gegen die aufständischen Revolutionäre koordiniert. Doch in die Gardekavallerieschützendivision des Hauptmanns Pabst wird er nicht eingegliedert, dieser schickt ihn nach München, wo er konterrevolutionäre Zellen in Gestalt von Bürgerwehren aufstellen soll. In der gleichen Nacht, als Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg verhaftet werden, fährt er ab und wird erst Ende Februar 1919 nach Berlin zurückkehren.
Mit der Nationalversammlung hält er sich in der nächsten Zeit in Weimar auf. Er hat den Auftrag von Pabst, als Verbindungsoffizier zu den Gardeschützen wegen eventueller militärischer Unterstützung zu wirken und zugleich als Berater für die Aufstellung von Einwohnerwehren bereit zu sein. Hier ist schon erkennbar, dass er nicht wie viele seiner Kameraden in irgendeinem der vielen Freikorps untergekommen ist, sondern für politische Verhandlungen eingesetzt wird. Von seiner politischen Überzeugung her ist er Antidemokrat und Antikommunist, er verabscheut das „Rote Pack“ und unterstützt die antirevolutionären Kräfte jeder Couleur. So ist er auch geeignet, in einer von der Reichsregierung angeordneten Untersuchung über die Morde an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg als Beisitzer eines sogenannten Feldgerichts mitzuwirken. Vier Offiziere sind angeklagt, am Mord an Karl Liebknecht beteiligt zu sein. Sie werden alle freigesprochen. Im Mordfall Rosa Luxemburg ist der Leutnant Vogel der Hauptangeklagte. Seine Teilnahme am Mord wird nicht verfolgt, er erhält lediglich eine Strafe wegen „Missbrauchs der Dienstgewalt“ und eines „Wachvergehens“.
Mit diesen skandalösen Freisprüchen der Mörder ist der Name Canaris auf das Unrühmlichste verbunden. So nimmt es nicht wunder, dass bei der öffentlichen Diskussion dieser Urteile seine Person auf das Schwerste belastet wurde. Außerdem bezichtigt man ihn, kurz nach der Verhaftung dem Leutnant Vogel die Möglichkeit zur Flucht verschafft zu haben. Er und noch ein Beisitzer, Souchon, werden sogar ein paar Tage in Hausarrest, der im Berliner Schloss abgesessen wurde, gesetzt, doch die Untersuchungen verlaufen natürlich im Sande. Obwohl er freigesprochen wird, tauchen auch Jahre später immer wieder die Beschuldigungen auf. Aus Spanien kommt im Jahre 1931 sogar der Vorwurf, er hätte während seines Aufenthaltes in diesem Land Sabotage betrieben. Er hält es zwar für möglich, dass ein Konsul und sein ehemaliger Vorgesetzter, der Marineattaché von Krohn, von Spanien aus Sabotage vorbereitet und in die Feindländer getragen haben, er aber leugnet jede Tätigkeit dieser Art. Andererseits ist er froh, dass er in den Reichstagsdebatten nicht mehr erwähnt wird. Wahrscheinlich ist es das Beste, alles ruhig laufen zu lassen und keinerlei Erklärungen in dieser Angelegenheit abzugeben.
Wir sehen, er ist in allerlei geheime Vorgänge verwickelt, versteht es aber, sich immer aus der unmittelbaren Beweisführung herauszuhalten. So verhält er sich auch im Kappputsch im Jahre 1920. Mit zwei anderen Seeoffizieren finden wir ihn im Stab des Reichswehrministers Gustav Noske. Dieser ist zwar ein militärischer Laie, wird aber für sehr geeignet gehalten, die Belange der Reichswehr und Marine in der Regierung zu vertreten. Das Land ist immer noch in einer tiefen Krise. Die Parteien streiten um die Berechtigung des Versailler Vertrages, den Canaris natürlich entschieden ablehnt. Die Rechten haben sich wieder formiert und probieren ihre Stärke in der Öffentlichkeit. Mitte März 1920 paradiert die Marinebrigade Ehrhardt, ein Freikorps, das gegen die revolutionären Bewegungen gern eingesetzt wurde und wegen seiner brutalen Einsätze berüchtigt war. Unter den Linden in Berlin beginnt sie ihren Putsch mit dem Absingen des Deutschlandliedes, und dann nimmt der ostpreußische Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp das Wort. Er ruft mit militärischer Unterstützung der Reichswehr und ihres Befehlshabers, General von Lüttwitz, eine neue „Regierung des Vaterlandes“ aus und setzt damit die sozialdemokratische Regierung Scheidemann ab. Sofort fliegt Scheidemann mit seinen Ministern nach Stuttgart, und hier begeht Canaris einen Treuebruch gegenüber seinem Minister, dem er dienen soll. Er bleibt in Berlin und will die neue Regierung unterstützen.
Doch dazu kommt es gar nicht, denn durch einen Generalstreik der linken Kräfte, die diesmal geeint auftreten, wird der Kappputsch in wenigen Tagen niedergeschlagen. Nach fünf Tagen zieht die Regierung Scheidemann wieder in Berlin ein. Auch Canaris wird kurze Zeit im Polizeipräsidium eingesperrt, kommt aber bald wieder frei, denn Scheidemann kann es sich nicht mit der Reichswehr verderben, auf die er sich auch weiterhin stützen will.
Der neue Minister Dr. Geßler will Canaris natürlich nicht weiter verwenden, und somit enden vorläufig die politischen Ausflüge des inzwischen zum Korvettenkapitän beförderten Wilhelm Canaris sang- und klanglos. Er geht wieder zur Marine zurück.
Seine Weiterverwendung erfolgt nunmehr als Stabsoffizier beim Ostseekommando, und zwei Jahre später (1922) vertraut man ihm die Ausbildung der Seekadetten, der zukünftigen Seeoffiziere, an. In seiner Position als 1. Offizier auf dem Ausbildungskreuzer „Berlin“ bringt er nunmehr in die Ausbildung seine Erfahrungen, gesammelt auf so mancher Feindfahrt, ein. Diese neue Tätigkeit dauert wiederum zwei Jahre, und er wird nun als für den Auslandseinsatz sehr geeignet in einer Art diplomatischer Tätigkeit verwendet. Ein halbes Jahr später treffen wir ihn in Japan, wo ein neuer deutscher U-Boot-Typ, der auf einer deutschen Werft nach dem Versailler Vertrag nicht gebaut werden darf, in Lizenz auf Kiel gelegt wird. Es ist anzunehmen, dass es nicht um technische Beratung ging, sondern um Verhandlungen, wie unter Umgehung der Bestimmungen U-Boote in Japan für die deutsche Marine gebaut werden könnten. Ob die Gespräche erfolgreich verliefen, weiß man nicht, aber Canaris wird sich bewährt haben, denn er wird in eine wichtige Position berufen. Gleich nach seiner Rückkehr finden wir ihn im Stab der Marineleitung im Reichswehrministerium wieder, von wo er häufig ins Ausland kommandiert wird und sein Lieblingsland Spanien mehrfach besuchen darf. Doch seine Reisen führen ihn auch nach Italien, Finnland und Holland, privat auch nach Argentinien.
Den Urlaub in Südamerika wird er mit seiner Frau verbracht haben, die in den jungen Jahren ihrer Ehe recht oft auf die Anwesenheit ihres Mannes verzichten musste. Ende November 1920 hatte er die Tochter eines Fabrikbesitzers aus Pforzheim, Erika Waag, geheiratet. Bereits bei seinem Aufenthalt in Deutschland 1917 hatte er sie kennen- und liebengelernt, an eine Heirat aber war wegen des Krieges damals nicht zu denken. Sie sei besonders schön gewesen, wird berichtet, von feiner Bildung, musikbegeistert und eine gute Violinistin. Es ist für seine weitere Tätigkeit nicht unwichtig, da diese Fähigkeit seiner Frau Anlass dafür ist, dass er sich mit dem Seekadetten Reinhard Heydrich näher bekannt macht. Dieser ist ihm während der seemännischen Ausbildung wahrscheinlich nur dadurch aufgefallen, dass er über eine überdurchschnittliche Körperlänge verfügte. Aber er spielte sehr gut Geige, und als seine Frau davon erfuhr, wurde Heydrich zu ihren Hauskonzerten eingeladen. Sie spielen zusammen Streichquartett, und bald wird seine Mitwirkung unentbehrlich. Aus dieser Zeit stammt die Bekanntschaft der beiden Männer, die sich in ihrer Laufbahn kreuzen, ergänzen und bekämpfen werden. Diese Beziehung reicht bis hin zum Begräbnis des durch ein Attentat in Prag ums Leben gekommenen Heydrich, auf dem Canaris ihn in einer Rede einen „großen Mann und wahren Freund“ nannte, wohl wissend, dass sein Rivale ein großer Schurke und in Wahrheit bereits sein Kontrolleur im Auftrage Hitlers geworden war. Doch bis dahin sollten noch zwanzig Jahre vergehen.
Im Jahre 1928 steigt er wieder auf ein Linienschiff als 1. Offizier und wird bald darauf zum Fregattenkapitän befördert. Nach weiteren zwei Jahren Dienst auf der „Schlesien“ avanciert er zum Chef des Stabes des Nordseekommandos. Die „Schlesien“ ist ein inzwischen unmodern gewordener Kanonenträger, der Vorläufer des späteren Schlachtschiffes, aber die deutsche Marine muss auch diese alten Pötte in Dienst behalten, auch wenn sie aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammen. Im Jahre 1932 übernimmt er auf der „Schlesien“ das Kommando, jetzt 46 Jahre alt. Er begrüßt die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933, erhofft er doch die Abkehr vom Versailler Vertrag und den Aufbau einer starken Wehrmacht. Besonders sympathisch ist ihm der wütende Antikommunismus Hitlers, mit dem er voll übereinstimmt. In der Beseitigung der Kommunisten und Sozialisten aus dem politischen Leben und in ihrer Verfolgung sah er kein Verbrechen, demokratische Grundüberzeugungen hatte er nicht, er war ein Anhänger der alten Reichsidee, ein Monarchist. Wenn auch der Kaiser schmählich geflohen war, so sah er doch in einem Führer des Reiches den Garanten für die Verwirklichung seiner Staatsidee in einem Dritten Reich.
So heißt er die Beseitigung der SA-Führung in einer Mordnacht durch die der SA unterstellten SS, an der Spitze Himmler und Heydrich, sein ehemaliger Seekadett, gut und richtig. Und Canaris begrüßt die Stärkung der Armee und der Marine nach dem Austritt Deutschlands am 14. Oktober 1933 aus dem Völkerbund. Folgerichtig leistet er mit der Besatzung des Linienschiffes „Schlesien“ in Hamburg den militärischen Eid auf „den Führer des deutschen Reiches und Volkes und Obersten Befehlshabers der Wehrmacht“.
Es scheint so, dass die Marinelaufbahn von Wilhelm Canaris in diesen Monaten langsam ihrem Ende zugehen sollte. Er wird zum Kapitän zur See befördert und soll Festungskommandant von Swinemünde werden. Ein Ruheposten wartet auf ihn, dort kann man ohne die üblichen Aufregungen des Dienstes alt werden, die inzwischen weißen Haare deuten schon auf diese Lebensphase hin. Doch dann zeigt ein äußerer Konflikt, mit dem er eigentlich gar nichts zu tun hat, zielgerichtet auf ihn, er soll ihn lösen. Ist er der richtige Mann dafür?
Der geheime Nachrichtendienst der Wehrmacht wird seit 1932 von einem Seeoffizier, Kapitän Konrad Patzig, geleitet. Patzig fühlt sich für diesen Dienst eigentlich nicht geeignet. Er wurde zum Kandidaten für dieses Amt, weil sein Vorgänger, General von Bredow, Chef des Ministeramtes beim 1932 neu berufenen Kanzler General von Schleicher wurde. Patzig ist ein guter Bekannter von Bredows, und er tut ihm den Gefallen, das wichtige, wenn auch nicht gut ausgestattete Amt zu übernehmen.
Unter seiner Leitung arbeitet der Nachrichtendienst auf übliche Weise. Er spioniert die Armeen der Nachbarn aus, das machen alle Mächte, sie bedienen sich dabei der angeworbenen Agenten, der Militärattachés und der Kriegsorganisationen (KO), die in einiger Grenznähe ihre Informanten in den angrenzenden Ländern leiten, mithilfe der Grenzkontrollen das geheime Material hinüber- und herüberschaffen, feindliche Agenten ausschalten oder umdrehen, wie die Anwerbung von Agenten der anderen Seite im Fachjargon genannt wird.
Nunmehr, nach Hitlers Machtübernahme, konzentriert die Naziregierung alle Kräfte in Berlin, die Abwehr muss von München in die Hauptstadt ziehen. Patzig spürt den alleinigen Machtanspruch des Geheimdienstes der SS, Reinhard Heydrich, der Chef des Sicherheitsdienstes (SD), steckt seine Nase jetzt auch verstärkt in die Angelegenheiten der Abwehr und verlangt von Patzig umfassende Informationen. Der Offizier verachtet den kalten Mörder, hat er doch seinen Vorgänger von Bredow auf die Liste der in der Nacht der langen Messer zu ermordenden Personen gesetzt.
Nach der Bekanntschaft mit Heydrich und der Nachricht über die Ermordung seines früheren Chefs sammelt Patzig eine Akte über Heydrich und seine Untaten, die er in einem Banksafe deponiert. Selbst im Archiv der Abwehr sind solche brisanten Materialien nicht sicher. Der SD hat längst seine Informanten auch in der Zentrale der Reichswehr. Obgleich die Geheime Staatspolizei des Innenministers Hermann Göring und der SD des Reichsführers SS Heinrich Himmler bald zusammengelegt wurden und Heydrich als Himmlers Stellvertreter fast unbegrenzte Vollmachten über alle Informationen besaß, konnte er doch den Abwehrchef nicht ohne Rückendeckung ausschalten.
So wandte sich Himmler an den Reichswehrminister Blomberg und verlangte die Ablösung des Kapitäns Patzig. Er sei für die Partei in dieser Funktion nicht tragbar. Blomberg beauftragt Admiral Raeder mit dem Personalgespräch, und Patzig ist erleichtert, er möchte zu gern wieder seemännischen Dienst tun. Raeder will, dass diese Stellung wieder von einem seiner Offiziere besetzt werden soll, und damit kommt Canaris ins Gespräch und in den Kreis der Kandidaten. Er kennt Heydrich und dieser ihn, sie sind sogar privat verbunden, in der Zusammenarbeit sollten keine Störungen erwartet werden. Schließlich reden der Minister von Blomberg und der Oberbefehlshaber des Heeres, General von Fritsch, mit dem Kandidaten, und Canaris sagt nach einer Bedenkzeit zu. Die ruhigen Tage in Swinemünde sind vorbei, eine entscheidende Aufgabe wartet auf den diplomatischen Militärpolitiker.
Canaris weiß, dass die SS ihren Einfluss im Militär verstärken will und sich als die eigentliche Garde sieht, der auch der Nachrichtendienst vorbehalten sein muss. Er will ihn freihalten von den Emporkömmlingen und selbst die Verbindung zu deren Spitze knüpfen. Himmler wäre leicht zu schaffen. Und Heydrich? Er ist ein „brutaler Fanatiker, mit dem es schwer sein wird, offen und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten“. Das gleiche sagt ihm auch der Regierungsrat im Innenministerium, Hans-Bernd Gisevius, in einem persönlichen Gespräch, in dem er ohne Rücksichten die SS eine Bande von Verbrechern nennt. Der Anlass ist neben der grundsätzlichen Abneigung gegen die SS eine der Querelen über Zuständigkeiten zwischen den Ministerien und der SS. Bei diesem Gespräch ist auch der Leiter der Gegenspionage anwesend, der postwendend Heydrich von der Haltung Gisevius informiert. Zwischen beiden kommt es zu einem mit Drohungen gespickten Gespräch, von dem Canaris informiert wird. Er weiß nun Bescheid und richtet sich danach. Er wird nicht den Fehler machen, Heydrich zu unterschätzen, ihn aber auch nicht ignorieren können. Die Kompetenzen müssen abgegrenzt werden.
Eine der ersten Aufgaben, die er mit seinem Dienstantritt am 1. Januar 1935 in Angriff nimmt, ist eine Vereinbarung mit Heydrich, genannt die „Zehn Gebote“. Darin wird festgelegt, dass die militärische Abwehr für die Nachrichtenbeschaffung, für die Spionage und Gegenspionage im militärischen Bereich zuständig ist und die SS sich hier nicht einmischen darf, andererseits ist ihr die politische Nachrichtenbeschaffung vorbehalten. Eine scharfe Abgrenzung ist in Einzelfällen nicht immer möglich, deshalb sollte man sich von Fall zu Fall abstimmen. Beide Partner sind sich im klaren darüber, dass es sich nur um eine kosmetische Operation zur Beruhigung der Beziehungen handelt, in der Praxis kümmern sich beide nicht um Kompetenzen des anderen.
Hitler kennt Heydrich, der ihm die innere Gegnerfront zerschlägt und über alle und jeden eine lückenlose Überwachung zieht und Gegner mit seiner Gestapo verfolgen lässt, egal ob sie spurlos verschwinden oder in Zuchthäuser eingesperrt werden. Auf den Schein des Rechts legt Hitler keinen Wert. Den Militär Canaris, der in der „Bewegung“ unbekannt ist, aber als zuverlässiger Patriot gilt, muss er erst kennenlernen. Diese Bekanntschaft, unter vier Augen begonnen, weckt in Hitler die Überzeugung, dass dieser ruhige Mann, der sich immer im Hintergrund hält, die rechte Kraft entwickeln kann, einen starken Geheimdienst aufzubauen. Canaris kann zuhören, lange zuhören und äußert sich selbst kurz und präzise zu den Problemen. So bekommt er alle notwendige Unterstützung und vor allem das bisher fehlende Geld in ausreichender, um nicht zu sagen, unbegrenzter Höhe. Persönlich für Hitler ist wichtig, dass dieser Mann nicht aus den alten Offiziersfamilien und -cliquen kommt, die, wie er meint, in snobistischer Herablassung auf die plebejischen nationalen Sozialisten herabschauen. Diese Leute hält Hitler sich vom Hals, obwohl er nicht auf sie verzichten kann. Canaris’ Herkunft aus einer westfälischen Fabrikantenfamilie, die Eisen und Stahl produziert, gefällt ihm mehr als die eines Junkers. Er unterstützt die Bauern und garantiert ihnen die Höfe als Erblehen, ihnen, nicht den Junkern, verspricht er das Land im Osten, dafür sollen die Bauernsöhne kämpfen und sich den Boden erobern. Die Eisen- und Stahlkocher braucht er für den Krieg und die überlegenen deutschen Waffen.
Das Vertrauen Hitlers schafft Canaris den notwendigen Rückenhalt für den nunmehr beginnenden Ausbau eines starken Geheimdienstes. Seine überdurchschnittlichen Fähigkeiten setzt er in zwei Hauptrichtungen ein: Zum ersten legt er die Prämissen für den Apparat seiner Dienststelle fest. Für alle, ob noch aus der Kaiserzeit, der Weimarer Republik oder erst aus den neu zur Reichswehr gewonnenen Offizieren zum Dienst gestoßen, gelten die gleichen Grundsätze. Unterschiede, aus alten Vorrechten oder Dienstzeiten überkommen, schafft er ab. Er verlangt den Typ des Gentleman und nicht den skrupellosen Gangster. Das ist die Abgrenzung zur SS, das spüren alle. Er ist für einen Aufstieg Deutschlands nach den Demütigungen, die aus der Niederlage von 1918 erwuchsen, aber er ist auch zugleich für eine friedliche Gemeinschaft der europäischen Völker. Daher kommt auch seine innere Gegnerschaft zur Hitlerschen Herrschaftspolitik der angeblich überlegenen nordischen Rasse. So steht er schon bald in Widerspruch zur immer stärker sich ausweitenden Rüstung, die nur auf Expansion zielen kann. Er kann das beurteilen, er verfügt über alle Informationen, vielleicht hofft er auch auf eine Möglichkeit, diesen Mechanismus zu ändern und die unübersehbaren Folgen abzuwenden.
Eine zweite starke Richtung seiner Tätigkeit sehen wir in der Anknüpfung von Beziehungen zu Persönlichkeiten anderer Dienststellen und Einflussbereiche, die früher absolut tabu für die Abwehr waren. Die wichtigsten Informationen konnte man vom Auswärtigen Amt erhalten, das seine Vertretungen in aller Welt hatte und über eine unschätzbare Fülle von Meldungen verfügte. Mit dem Leiter der Politischen Abteilung, Ernst von Weizsäcker, später Staatssekretär, spinnt er einen guten Faden, auch dieser erfahrene Politiker ist ehemaliger Marineoffizier und verabscheut Grausamkeiten in der Politik, auch wenn sie sich auf angeblich objektive Gesetzmäßigkeiten stützen, wie die Rassentheorie, aus der sich die Überlegenheit der nordischen Rasse und des deutschen Volkes über die nicht nordischen, sprich slawischen Völker ergeben soll. Auch die Luftwaffe und die Marine haben ihre eigenen Nachrichtendienste, ebenfalls die SS in einer Zentrale, die sich mit der Beschaffung von Informationen unter den Volksdeutschen im Ausland kümmert.
Das alles sind Felder, in denen sich auch die militärische Abwehr tummelt, aber einzigartig ist der Aufbau einer Organisation in den Exportunternehmen, die ins Ausland liefern und Agenturen ihrer Betriebe im Ausland unterhalten. Das Zentrum ist die Export-Import-Firma Transmare. Sie wird von einem Türken geleitet, der als „Baron Ino“ bei der Zentralabteilung der Abwehr geführt wird. Dieser Mann ist ein Duzfreund des „kleinen Admirals“, wie er von seinen Mitarbeitern aufgrund seiner Körperhöhe genannt wird. Es ist offensichtlich, dass das Amt Abwehr viele Dienstreisen und personelle Entsendungen und Rückrufe von Agenten über diese zentrale Agentur problemlos abwickeln kann. Überhaupt arbeitet Canaris häufig mit ausländischen Agenten und anderen Mitarbeitern. Frauen dagegen hält er für den Geheimdienst für weniger geeignet, ganz im Gegensatz zu den heutigen Praktiken.
Der Admiral besitzt die seltene Gabe, seine Gesprächspartner in seinen Bann zu ziehen. Er geht auf sie ein, bezieht sie ein in seine Gedankengänge. Im Ausland, das er häufig besucht, verständigt er sich frei in Fremdsprachen und bekommt daher einen unmittelbaren Kontakt zu Partnern unterschiedlicher Denkungsart und Interessenlage. Er geht nur auf Persönlichkeiten mit umfassendem Informationsstand zu, häufig wie er aus dem Militär hervorgegangen. Das trifft auf den japanischen Botschafter in Deutschland Oshima genau so zu wie auf den Marschall Mannerheim in Finnland, Admiral Florthy in Ungarn und wie auf die italienischen Generale Ame und Roatta. Aber auch mit dem Zaren Boris von Bulgarien sowie dem Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin Al Husseini, führt er Gespräche, mit dem indischen Nationalisten Bose und seinen vielen spanischen Freunden ebenso. Stets sind seine Partner von seiner Kenntnis der Probleme und den darauf bauenden Vorschlägen für Zusammenarbeit beeindruckt und gehen meistens auch, zu ihrem eigenen Vorteil, darauf ein.
Für seine diplomatischen Verbindungen braucht er im Inneren der Abwehr freie Hand. Die garantiert ihm sein alter Freund aus den Tagen in Wilhelmshaven, Kapitän Leopold Bürkner, sein Stellvertreter. Aber auch mit seinen engen Mitarbeitern Hans Oster, Hans Piekenbrock verbindet ihn ein absolutes Vertrauensverhältnis. Letzterer begleitet ihn oft auf seinen Reisen und kontrolliert dabei gleichzeitig die Agenturen in den besuchten Ländern. Mit diesen Männern setzt er seine Amtsphilosophie durch, nach der er seine Grundsätze ausrichtet: Die operativen Agenten sind die Speerspitzen des Nachrichtendienstes, ihnen gilt die absolute Fürsorge der Offiziere, sie sollen den Kern der gegnerischen Operationen und deren Zielrichtung erkennen. Aber ihre Arbeit ist nur die Hälfte des Erfolges. Dazu muss für das Einsammeln der Ernte die auswertende Analyse kommen.
Der Dienst braucht daher eine ausreichende Anzahl von Spezialisten, die in der Lage sind, die Informationen zu überprüfen und zu werten, ihre Dringlichkeit einzustufen und die folgenden Schritte festzulegen. Canaris verbreitet das berühmte und immer wieder zitierte Wort seines Lehrers Oberst Nicolai: „Die geheime Aufklärung ist ein Dienst, der nur Herren vorbehalten ist.“ Unter seinem Schirm fanden sich auch eine Reihe führender Männer des Widerstandes gedeckt.
Im Juli 1936 bricht in Spanien, im Land, dem sich Canaris besonders verbunden fühlt, der Bürgerkrieg aus. Eine Gruppe reaktionärer Offiziere bricht ihre Pflicht gegenüber der demokratischen Volksfrontregierung und putscht. Doch wichtige Landstriche, Teile der Marine und der Luftwaffe, schließen sich nicht an, die größten Städte sind in der Hand der Republikaner. Eine Welle der Empörung erfasst die sozialistische Bewegung in Europa und Amerika, Hilfsaktionen für die Republik entwickeln sich, Freiwillige eilen nach Spanien, darunter auch viele Deutsche, von Hitler Verfolgte. Die Sowjetunion liefert Ausrüstung und Waffen, auch die Volksfrontregierung in Frankreich unterstützt die Republikaner. Die spanischen Generäle wenden sich um Hilfe an Italien und Deutschland, weil sie wohl nicht zu Unrecht damit rechnen, dass sie bei den faschistischen Diktaturen, sie selbst streben eine faschistische Diktatur in Spanien an, Unterstützung finden werden. Vor allem geht es um Flugzeuge, um die putschenden Truppenteile von den Inseln und von Nordafrika auf das Mutterland zu fliegen.
Doch wider Erwarten lehnt Mussolini eine Hilfe ab und bleibt anfangs auch dabei, obwohl die Nationalisten und ihre italienischen Sympathisanten ihn belagern. Erst als die verschiedenen Gruppierungen unter den Rechten, die Monarchisten, Carlisten, Falangisten und auch der sich in den Vordergrund schiebende General Franco versichern, ihr künftiger Staat würde dem faschistischen Staat in Italien gleichen, stimmt er zu und stellt zwölf Transportflugzeuge zur Verfügung, von denen allerdings eines abstürzt und zwei weitere im französischen Marokko notlanden.
Das deutsche Außenministerium empfängt die spanischen Bittsteller mit kühler Zurückhaltung. Es fürchtet erhebliche Einbußen an Ansehen und Nachteile für den Außenhandel, wenn die Aufrührer unterstützt würden. Die NSDAP aber begleitet die Sendboten nach Bayreuth, wo Hitler die Wagner-Festspiele, bei denen er gern gesehen ist, besucht. Nach einer Vorstellung übergeben sie ihren von Franco geschriebenen Brief. Danach beruft Hitler eine Sitzung ein. Er steht der Bitte ablehnend gegenüber, er fürchtet mit Frankreich und England könnten neue Schwierigkeiten entstehen, haben sie doch gerade erst die Besetzung des Rheinlandes durch die Wehrmacht schlucken müssen.
In später Stunde kommen die anwesenden Regierungsmitglieder, Göring, Blomberg und Admiral Canaris, der ebenfalls Gast der Festspiele ist, bei Hitler zusammen. Bis zum Morgen um 4 Uhr besprechen sie den Fall. Göring und Blomberg raten von einer Unterstützung der Rebellen ab, den Ausschlag aber gibt Canaris pro Franco. Er argumentiert damit, dass die Volksfrontregierungen de facto eine Ausbreitung des Kommunismus in Westeuropa bedeuten, nach Frankreich nun auch noch Spanien. Damit würde auch Deutschland in die Zange genommen, das genau in der Mitte läge. Canaris überzeugt mit seiner Landes- und Personenkenntnis und gibt ein positives Porträt von Franco, den er sehr gut kenne. Er sei ein asketischer Mann, sehr begabt, immer als Jüngster auf der Rangleiter der Militärs, obwohl Katholik für die Trennung von Kirche und Staat, weil er deren Einfluss auf die Armee nicht duldet.
Die Neugier bei den beteiligten Männern wächst, sie müssen annehmen, dass Franco dem Nationalsozialismus und dem Faschismus mit Sympathie gegenübersteht, was aber keineswegs der Fall ist. Besonders lehnt er die Rassengesetze Hitlers ab, da er spürt, dass auch sein Volk zu den „minderwertigen“ gezählt wird. Diese Überzeugungen Francos verschweigt Canaris. Auch Görings Meinung, man könnte einige Flugzeuge gegen Devisen verkaufen, folgt er nicht, darauf komme es nicht an. Der politische, antikommunistische Aspekt solle entscheidend sein, dass man neue Waffen erproben könne, käme noch positiv hinzu. Nachdem er noch erwähnt, er sei vor einigen Stunden informiert worden, dass Mussolini Flugzeuge freigegeben habe, stimmt Hitler endlich zu.
Nun regeln Keitel, als Vertreter von Blomberg, Göring und Canaris die Einzelheiten, jetzt läuft die Maschinerie. Harmlos klingende Firmen werden gegründet, die die Lieferungen abwickeln sollen, vorerst sind 20 Transportflugzeuge Junckers Ju-52 und sechs Jäger Heinkel He-51 angekündigt. Franco bedankt sich mit der Meldung, dass drei Generale, unter seiner Leitung noch Queipo de Llano und Mola, die neue spanische Regierung bilden werden. Nun kann sich Canaris auf weitere Schritte zur Niederschlagung der republikanischen Regierung einrichten. Ein Vierteljahr nach Beginn des Putsches fliegt er nach Spanien, um Franco zu besuchen.
Er wird sofort empfangen und erfährt, dass eine Offensive auf Madrid beginnen wird, Toledo sei schon genommen, gleich danach auch Oviedo. Doch unter vier Augen dämpft Canaris den Optimismus Francos. Er unterbreitet ihm genaue Angaben über die Lieferungen der Sowjetunion, die unterwegs sind und die Dardanellen bereits passiert haben. In der Tat, die sowjetischen Frachtschiffe sind mit erheblichen Lieferungen bereits im Mittelmeer und werden in kurzer Zeit ausladen können. Die Bewaffnung der Internationalen Brigaden, die inzwischen aufgestellt werden, ist damit gesichert. Angesichts dieser Militärmacht könnten die Nationalisten mit ihren schwachen Landstreitkräften die Hauptstadt nicht einnehmen, was sich auch bewahrheitete.
Franco erkannte anscheinend die Überlegungen Canaris an und legte seine Absicht dar, in den von ihm kontrollierten Gebieten eine Armee zu rekrutieren. Dafür versprach Canaris die Unterstützung, wenn er sich an Italien und Deutschland mit der Bitte um Hilfe wenden würde. Nun hielt er nicht mehr mit der eigentlichen Besorgnis hinter dem Berg. Der deutsche Generalstab hielt die Kampfesweise der Francotruppen für äußerst unzulänglich, besonders die Luftangriffe seien nicht konzentriert. Alles müsse auf Madrid gerichtet werden, der Fall der Hauptstadt solle so schnell wie möglich erfolgen, das hätte die diplomatische Anerkennung der Regierung zur Folge, und damit wären weitere Hilfslieferungen einfacher und sicherer.
Franco ist anderer Meinung. Er will den Krieg schonend führen, um so wenig wie möglich das Land und besonders seine Industrie zu schädigen: „Zwingen Sie mich nicht zur Eile“. Obwohl Canaris diesen Standpunkt unterstützt, muss er doch Franco die deutschen Bedingungen für militärische Hilfe übergeben: Die deutschen Verbände stehen ausschließlich unter deutschem Befehl, wenn es auch nach außen anders aussehen soll. Ihre Stützpunkte, besonders die Flugplätze müssten ausreichend gesichert sein. Es sei zu einer aktiveren Kriegführung überzugehen, sie sei rationeller zu gestalten und sollte als erstes auf die Häfen, in denen die russischen Schiffe ausladen, gerichtet sein. Freiwillige würden nicht geschickt werden, lediglich das Fliegerkorps, die „Legion Condor“. Sollte Madrid erobert sein, würde die Anerkennung am nächsten Tag erfolgen und der Geschäftsträger Wilhelm Faupel, ein General, den Hitler als seinen Regimentskommandeur aus dem ersten Weltkrieg kennt, seine Tätigkeit sofort aufnehmen.
Ein paar Tage später wird die „Legion Condor“ aufgestellt, die Anerkennung der Regierung Franco erfolgt bereits im November, obwohl Madrid noch nicht erobert worden ist. Faupel trifft in Salamanca ein. Beide Partner halten nicht viel voneinander. Faupel ist für Franco nur ein preußischer Nazi, Franco für Faupel zwar sympathisch, aber mit seinem Amt überfordert. Obwohl in einer römischen Konferenz, bei der auch Canaris anwesend war, die Grenzen für die Spanienhilfe festgelegt wurden, weitet Italien seine Zusagen aus und schickt die „Schwarzhemden“, eine gut ausgerüstete Freiwilligen-Truppe, Deutschland verweigert die angeforderte Division, und es bleibt bei der Legion der Luftkräfte.
Canaris aber zieht sich von der direkten Unterstützung der militärischen Belange zurück und verschafft durch seine Agenten weitere Waffen aus anderen Quellen, aus Tschechien und den USA. Die finanzielle Unterstützung wird über London abgewickelt, manchmal muss Deutschland in Vorkasse gehen. In der spanischen Botschaft in Berlin arbeiten bekannte Leute aus der früheren spanischen Zeit, mit denen es sich problemlos verhandelt, und auch der Rüstungsbeauftragte Francos ist ein alter Bekannter, der Industrielle Augusto Miranda. Canaris hat mit seiner Weichenstellung in der Bayreuther Nachtsitzung in einem guten halben Jahr Deutschland fest in ein Kriegsabenteuer eingebunden.