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In vielen Veröffentlichungen über Friedrich II. von Preußen wird die Rheinsberger Zeit, vom Kauf des Schlosses 1734 bis zur Thronbesteigung 1740, als freiheitliches Idyll im ansonsten plagenreichen Leben Friedrichs dargestellt. Kurz vor seinem Tod sprach er den bekannten Satz: „Das Unglück hat mich immer verfolgt. Ich bin nur in Rheinsberg glücklich gewesen.“ Überschaut man sein hartes Leben, immer im Widerspruch, immer im Streit mit seiner Umwelt oder sie mit ihm, immer gezwungen, listenreich bis zur Selbstaufgabe sich schließlich behaupten zu müssen, ohne glückliches Familienleben, geplagt von schweren Krankheiten, dann leuchten die Rheinsberger Jahre in der Tat als eine fröhliche und unbeschwerte Zeit hervor. Doch wie erklären sich die Jahre der „Rheinsberger Republik“, wie sie ein französischer Historiker längst vor der erneuten Preußendebatte unserer Jahre nennt. Eine Republik mitten im Absolutismus? INHALT: Kindheit und Jugend Lehrjahre eines Fürsten in Küstrin Es gibt kein Entrinnen Regimentskommandeur in Ruppin Das Schloss Die Stadt Ankunft eines Gastes Der Schlossherr — die Schlossherrin Freunde — Hofstaat Freiherr Hans Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff Frangois-Marie Arouet, genannt Voltaire Die Musiker und Künstler Der Damenhof „Antimachiavell“ Anhang Order des Königs Friedrich Wilhelm I. an das Generaldirektorium vom 30. Juni 1734 Die Sage vom Remusberg Zeitgenössische Beschreibungen von Rheinsberg Die Ländereien der Herrschaft Der Hofstaat Die Hofkapelle Treibhäuser Postverbindungen Briefe Friedrichs an Voltaire Gedanken über die rechte Herrschaft (aus „Antimachiavell“ 1739) „Die Possen haben ein Ende!“
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Seitenzahl: 148
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Hans Bentzien
Nur in Rheinsberg bin ich glücklich gewesen
Kronprinz Friedrich in Küstrin, Ruppin und Rheinsberg
ISBN 978-3-95655-455-1 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien erstmals 2001 im Westkreuz-Verlag GmbH Berlin/Bonn.
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
© 2015 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de
In vielen Veröffentlichungen über Friedrich II, von Preußen wird die Rheinsberger Zeit, vom Kauf des Schlosses 1734 bis zur Thronbesteigung 1740, als freiheitliches Idyll im ansonsten plagenreichen Leben Friedrichs dargestellt. Kurz vor seinem Tod sprach er den bekannten Satz: „Das Unglück hat mich immer verfolgt. Ich bin nur in Rheinsberg glücklich gewesen.“ Überschaut man sein hartes Leben, immer im Widerspruch, immer im Streit mit seiner Umwelt oder sie mit ihm, immer gezwungen, listenreich bis zur Selbstaufgabe sich schließlich behaupten zu müssen, ohne glückliches Familienleben, geplagt von schweren Krankheiten, dann leuchten die Rheinsberger Jahre in der Tat als eine fröhliche und unbeschwerte Zeit hervor. Doch wie erklären sich die Jahre der „Rheinsberger Republik“, wie sie ein französischer Historiker längst vor der erneuten Preußendebatte unserer Jahre nennt? Eine Republik mitten im Absolutismus?
Er wuchs an einem streng geführten Hof auf, an dem der König unumschränkt herrschte. Das Leben in Berlin war bei Weitem kein Zuckerschlecken. Als Kind in den Händen der Oberhofmeisterin der Königin, sei er ein überaus munterer und lebhafter Prinz gewesen, der eine sehr feine und geistreiche Bildung genossen habe. Frau von Sacetot erkannte in ihm entzückt „einen englischen (engelsgleichen) Verstand, der alles, was man ihm unterbreitete, mit der größten Leichtigkeit erfasse.“ Als er sieben Jahre alt wurde, nahm man ihn aus der Erziehung der frauenbestimmten Hofhaltung und übergab ihn einem Oberhofmeister, dem Grafen Albrecht Konrad Finck von Finckenstein, der von nun an die Hofhaltung des Kronprinzen und damit seine Erziehung nach den Anweisungen des Königs leitete. Dieser wiederum beauftragte Graf Christoph Wilhelm von Kalckstein mit der Stelle des Hofmeisters beim Prinzen.
Die richtige Erziehung des Thronfolgers gehörte zu den erstrangigen Staatsangelegenheiten. Die ihm anerzogenen Grundsätze und Kenntnisse bestimmten schließlich, durch einen lauteren Charakter angewandt, über das weitere Schicksal des Hauses Brandenburg und Preußen. Daher verwundert es nicht, dass die Erziehung minutiös geregelt war und mit „streng“ zu gering bezeichnet ist. Ein Zeitgenosse, der das Hofleben distanziert beobachtete, meinte: „Der König sowohl als auch die Königin halten im übrigen diesen Prinz unter einer scharfen Zucht und es sind wohl wenige Königskinder in der Welt, denen so durch den Sinn gefahren und der jugendliche Wille gebeuget wird.“
Diese Haltung der Königsfamilie war die Reaktion auf die Verschwendung des Hofes unter Friedrich I. Sein Nachfolger, der Vater unseres Kronprinzen, König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, hatte ein Sparregime eingeführt und eisern durchgehalten, was der Zeitgenosse auch bei der königlichen Familie beobachtet:
„Die Königin ist eine höchst verehrungswürdige Dame: sie hat das beste Herz von der Welt und eine gründliche Vernunft. Sie weiß sich vollkommen in die Gemütsart des Königs zu schicken. Sie liebt die Musik als ihre einzige Ergötzlichkeit. Dem ungeachtet aber finden sich doch wenige Virtuosen bei Hof. Der König wendet lieber etwas auf einen guten Waldhornisten. Im Sommer fährt die Königin insgeheim gegen Abend nach Monbijou, welches ein Garten an der Spree mit einem kleinen Lustgebäude ist, worinnen vor einem Jahr der Zar (Peter der I.) sich hat gefallen lassen, sein Quartier zu nehmen. Ein paar schlechte Kutschen, mit sechs alten Pferden bespannet und ein kleiner Mohr zu Seiten: Dieses ist gemeiniglich der ganze Aufzug dieser großen Königin. Hier, dachte ich, können die Großen haushalten lernen.
Ich wollte es keinem raten, dass er sich am Hof zu Berlin mit buntscheckigen französischen Modellkleidern sehen ließ, er müsste sich dann gern auslachen lassen, wie solches einem von meinen guten Freunden begegnet ist, der seine von Paris mitgebrachten Kleider, nachdem er sich einmal damit bei Hof gezeiget, wieder einpacken musste, um dem Missfallen des Königs und dem Gespötte der Höflinge sich zu entziehen. Dieser Monarch kann nichts weniger als dergleichen kleine geputzte Puppen leiden.
Der schönste Glanz des preußischen Hofes besteht in der auserlesenen Mannschaft, die der König auf den Beinen hat. In Sonderheit ist das große Grenadier-Regiment zu Potsdam etwas so herrliches und majestätisches, dass kein Potentat in der Welt es darinnen leicht dem König in Preußen wird vortun können. Man kann nichts schöneres, nichts ordentlicheres und zugleich auch nichts kriegerischeres sehen. Wenn sie ihre Waffenübungen machen, wenn sie schwenken, wenn sie Feuer geben, wenn sie auf und ab ziehen, so lässt es, als ob sie zusammen nur einen Körper ausmachten und von einer einzigen Triebfeder zugleich angezogen würden.
Man sagt, dass der König imstand sei, für das Geld, womit er unter dem Schloss die Gewölbe angefüllt hätte, noch zwei solcher Armeen auf die Beine zu setzen. Dieses ist wohl zu glauben. Der größte Teil der königlichen Einkünfte kommet in die Gewölbe.“
In dieser Welt wächst der Kronprinz mit seinen Geschwistern auf. Dort verbringt er seine freien Stunden. Da in Monbijou heimlich musiziert wird, lernt er die Heimlichkeiten vor dem König kennen und damit auch, dass man seine Gedanken nicht frei äußern kann, wenn sie denen des Königs nicht entsprechen. „Das Französische“ kommt in einer veränderten, bescheideneren Form nach Berlin, über die Hugenotten, die ohnehin nicht Anhänger des Prunks am französischen Hof sind. Allerdings bringen sie die aufklärerischen Gedanken aus Frankreich mit. Friedrichs Lehrer Duhan verschafft ihm die wichtigsten Bücher aus Frankreich, sie wecken die Liebe zur französischen Sprache, zur französischen Kultur überhaupt. Sein feiner Sinn und Geschmack kommen von daher. Dem Schönheitsideal seines Vaters entspricht ein Regiment ansehnlicher, groß gewachsener Soldaten. Seine Unterhaltung sucht er im Würfelspiel, Biertrinken und Tabakrauchen. Er bevorzugt grobe Späße und Zoten anstelle eleganter Verse und Preislieder über die Liebesbeziehungen griechischer Götter. Das freie Lebensideal hat seine Wurzeln in Griechenland und Rom und kommt via Frankreich nach Preußen.
So wächst er auf. In den Unterrichtsstunden die bigotten Religionsübungen, Bibelexegese einfältigster Art nach dem Religionsverständnis des Vaters, Geschichte des Hauses, Reiten, Fechten. Der Oberaufseher ist jetzt der Kriegsminister Grumbkow. Der steht zwischen Vater und Sohn, zwischen Erziehung und Aufsicht. Alle wissen, dass er jede Regung an den König melden muss, und wenn er etwas Positives berichtet, glaubt dieser ihm nicht. So stellt sich kein Vertrauen her, überall nur Berechnung, Heuchelei an allen Ecken und Enden. Zur Mutter hat er eine größere Zuneigung, aber insgeheim belächelt oder bedauert er sie. Das Eheleben ist nachhaltig gestört, der König mutet seiner Frau sogar zu, in seinen Hass gegen ihr Welfenhaus einzustimmen: „Ein Kujon, wer gut hannoveranisch ist!“
Diese Verhältnisse erwecken beim frühreifen, pubertierenden Jungen nur Verachtung. Diese aber kann er nicht verbergen, sodass er immer wieder Gegenstand öffentlicher Belehrungen durch den König wird, manchmal verbunden mit körperlichen Züchtigungen, Ohrfeigen und Faustschlägen. Er hat keine andere Wahl als sich den Umständen anzupassen, demütig zu tun und listenreich zu sein. Glücklich ist er wohl nur, wenn er die Flöte in den Händen hält. Um das permanent gespannte Verhältnis zu seinem Vater zu bereinigen, schreibt er einen Brief an „meinen lieben Papa. ... bitte ich hiermit untertänigst um Vergebung und hoffe, dass mein lieber Papa den grausamen Hass, den ich aus allem seinem Tun genug habe wahrnehmen können, werde fahren lassen. Ich hoffe, dass mein lieber Papa dieses alles nachdenken und mir wieder gnädig sein wird; indessen versichere ich ihm, dass ich doch meiner Tage nicht mit Willen fehlen werden ...“
Als der Brief ankommt, zögert der Vater keinen Moment, die Antwort kommt prompt. Sie ist sehr aufschlussreich und erklärt mehr als alle psychologischen Betrachtungen das Spannungsverhältnis zwischen dem König und dem sechzehnjährigen Kronprinzen, an dessen Eignung für den Thron er nicht glauben will, solange der sich nicht fügt: „Sein eigensinniger böser Kopf, der nicht seinen Vater liebet; denn wenn man seinen Vater liebet, so tut man, was er haben will, nicht wenn er dabei steht, sondern wenn er nicht alles sieht. Zum anderen weiß er wohl, dass ich keinen effeminierten (verweiblichten) Kerl leiden kann, der keine menschlichen Inklinationen (Neigungen, Vorlieben) hat, nicht reiten noch schießen kann, und dabei malpropere (unsauber, unordentlich) an seinem Leibe, seine Haare wie ein Narr sich frisieret und nicht verschneidet, und ich dies alles tausendmal reprimandieret (beanstandet, getadelt), aber alles umsonst und keine Besserung in nichts ist. Zum anderen hoffärtig, recht bauernstolz ist, mit keinem Menschen spricht und nicht populär und affable (umgänglich) ist, und mit dem Gesicht Grimassen macht, als wenn er ein Narr wäre, und in nichts meinen Willen tut, als mit der Force (Zwang) angehalten; nichts aus Liebe, und er alles dazu nichts Lust hat, als seinem eigenen Kopf folgen, sonsten alles nichts nütze ist. Dieses ist die Antwort. Friedrich Wilhelm.“
Am Beispiel dieses Briefes kann man sich vorstellen, wie die Atmosphäre am Hof war. Die ausländischen Diplomaten haben jede Differenz zwischen Vater und Sohn benutzt, um Intrigen zu spinnen, um für die eigenen Interessen nach der Machtübernahme günstige Konstellationen vorzubereiten. Bereits mit dem Vierzehnjährigen sprechen die französischen und englischen Gesandten über die Zeit nach dem Tod des Königs, und er lässt sich darauf ein. Später kommen auch die Österreicher dazu, von ihrem Gesandten Seckendorff nehmen er und seine Schwester Wilhelmine finanzielle Unterstützung an, die der Wiener Hof nur allzu gern gewährt.
In Dresden, wohin der Sechzehnjährige seinen Vater begleiten darf, lernt er eine andere, sinnenfrohe, ausgelassene Lebensauffassung kennen. Er wird von den Damen umschwärmt, seine klugen Sprüche werden bewundert, seinem Flötenspiel applaudiert. Er lernt den Virtuosen Quantz kennen, spielt ihm vor und erfährt so manche Unterweisung. Und die Damenwelt im Dresdener Schloss zeigt sich ihm auch unverhüllt, und seine Schwester teilt der Nachwelt mit, dass er sich bei einer von ihnen die „französische Krankheit“ erworben habe, die damals unheilbar war. Daher mag die Furcht vor der Ehe und die dauernde Trennung von seiner Frau verständlich werden, denn auch die Bemerkungen Voltaires über seine sexuellen Vorlieben deuten darauf hin: „Wenn Seine Majestät angekleidet war und die Stiefel angezogen hatte, widmete der Stoiker einige Augenblicke den Anhängern Epikurs. Er ließ zwei oder drei Günstlinge kommen, Leutnants seines Regiments, Pagen, Heiducken oder junge Kadetten, und nahm mit ihnen den Kaffee. Derjenige, dem er ein Taschentuch zuwarf, blieb ein kleines Viertelstündchen mit ihm allein. In Anbetracht dessen, dass der Fürst zu Lebzeiten seines Vaters bei seinen flüchtigen Liebschaften sehr schlecht gefahren war und nicht weniger schlecht geheilt wurde, kam es dabei nicht zum Alleräußersten. Er konnte nicht die erste Rolle spielen und musste sich mit der zweiten begnügen. Waren diese Schuljungenvergnügen beendet, so kamen die Staatsgeschäfte an die Reihe.“
Die Spannungen nehmen eher zu, der König denkt schon daran, die Erbfolge zu ändern, wenn Friedrich sich nicht an seine Weisungen hält. Ein Streitpunkt ist die Meinung der Königin, Friedrich und seine Schwester Wilhelmine müssten in einer Doppelhochzeit mit dem englischen Königshaus verbunden werden. Die Prinzessin träumt bereits davon, aber Friedrich denkt noch nicht ernsthaft ans Heiraten. Eigentlich kann jedes größere Königshaus in Europa mit jedem anderen durch Eheschließung verbunden werden, es kommt allein auf die politischen Absichten der Herrscher an. Gründe zur Annahme oder Ablehnung sind daher meistens nur vorgeschoben. Die Aussichten für Friedrich stehen nicht schlecht. Ein Vorschlag, ihn mit der künftigen Zarin zu verheiraten, findet zuerst Anklang, man bedenke, das Riesenreich im Osten mit Preußen verbunden! Die Sache scheitert daran, dass Russland verlangt, die Kinder sollten der russisch-orthodoxen Religion angehören.
Hinter der englischen Option einer Doppelhochzeit wittert der König schließlich eine Intrige der Mutter, die mit dem englischen Haus über Hannover verbunden ist. Bleibt noch die Verbindung mit dem kaiserlichen Hof in Wien. Auch hier spielt schließlich die Religion eine Rolle, Friedrich hätte katholisch werden müssen. Das aber kam für den Calvinisten Friedrich Wilhelm gar nicht infrage. Die Engländer blieben hartnäckig, sie wollten in das Zentrum Europas und boten für beide Kinder gute Partien, zuerst aber nur im Doppelpack, damit die Bindungen stärker würden. Die Intrigen am Hof konzentrierten sich um die Wiener und die Londoner Partei. Alle belauerten sich, fingen Briefe ab und spielten sie sich zu. In einer peinlichen Konfrontation Friedrich Wilhelms wegen eines Geheimbriefes seines Ministers Grumbkow an den Wiener Gesandten Seckendorff durch den englischen Botschafter verlor Friedrich Wilhelm die Nerven und brüskierte den Gesandten Georgs II. Dieser reiste wegen der Beleidigung seines Herrn ab, und der englische Plan war vorerst beendet.
Friedrich denkt von hier ab ernsthaft an eine Flucht aus dem Machtbereich seines Vaters. Erwogen hatte er diesen Schritt schon länger, nun hat er die Demütigungen endgültig satt. Was sollte er tun? Zu einer Bildungsreise, erhofft und vielleicht sogar fest geplant, war es nicht gekommen. Durfte er die Welt nicht kennenlernen, wo sie am interessantesten war? Warum schickte ihn der Vater nicht nach Holland oder Frankreich oder Italien? Mit seinem Freund Keith spricht er zum ersten Mal über die Flucht, dann aber wird dieser nach Wesel versetzt, und Friedrich vertraut sich Hans Hermann Katte an, der ihm auf der sächsischen Reise nähergekommen war. Der Kronprinz will nach England gehen. Dem Gesandten wird ein Brief an Onkel Georg übergeben, in dem er ankündigt, dass er bei einer Reise nach Ansbach, Stuttgart und Cleve, auf der er seinen Vater begleiten solle, über Frankreich nach England fliehen wolle. Er bitte um Unterstützung und freundliche Aufnahme. Georg II. antwortet zwar freundlich, aber ablehnend. Friedrich möge bedenken, welche unabsehbaren Verwicklungen aus diesem Schritt entstehen könnten. Er versprach ihm die Bezahlung seiner Schulden, die Friedrich verdoppelt mit 15 000 Talern angab.
Wahrscheinlich lag es an einer erneuten Züchtigung durch den Vater, dass der Kronprinz fest auf seinem Plan beharrte. Katte riet ab, versprach aber schließlich mitzumachen. Ihre Fluchtkasse betrug 3000 Taler. Friedrich wusste jedoch nicht, dass der Vater ihn nur auf die Reise mitnahm, um ihn auf diese Weise besser überwachen zu können. Er befahl, dass drei Offiziere mit dem Kronprinzen im selben Wagen reisen sollten. Friedrich rechnet fest mit der Hilfe Kattes, dieser schreibt ihm jedoch, dass er nicht kommen könne. So wendet er sich an einen Bruder Keiths, der in der Pagengruppe des Königs diente.
Doch alles misslingt. Keith ist unbedarft, hält die Verabredung, die Pferde zu bringen, nicht ein. Friedrich wartet nachts vor der Scheune und wird entdeckt. Aber alles scheint noch einmal gut zu gehen, und er bestimmt den nächsten Tag, den 6. August 1730, zur Flucht. Doch Keith schlägt das Gewissen, und er offenbart sich dem König. Dieser lässt seinen Sohn verhaften und setzt die Reise planmäßig fort, aber als sie nach einer Woche in. der Festung Wesel auf preußisches Gebiet kommen, beginnt der König, nachdem er Friedrich bald erwürgt hätte, mit den Verhören. Von nun an ist er Staatsgefangener. Keith kann nach England fliehen, Katte wird bei Berlin gefasst. Der Gerichtsprozess beginnt. Keith wird in Abwesenheit wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt, Katte wegen mehrerer Anklagepunkte ebenfalls. Das Militärgericht bittet aber den König, die Strafe zu mildern, weil Katte versucht habe, den Kronprinzen von der Flucht abzuhalten. Bei Friedrich erklären sich die Offiziere für unzuständig, da er als Angehöriger des Königshauses nicht ihrer Gerichtsbarkeit unterstünde.
Beide kommen in das Küstriner Schloss. Der Befehl des Königs lautet: „Den Montag als den 6. (November 1730), früh um 7 Uhr, sollet ihr von der Garnison 153 Mann commandiren lassen, die den Kreis schließen sollen vor die Fenster des Kronprinzen ..., sodass der Kronprinz aus dem Fenster selbigen Platz gut übersehen kann. Der Leichnam soll, von Posten bewacht, bis zwei Uhr nachmittags auf dem Richtplatz liegen bleiben.“ Zwei Soldaten kamen in das Zimmer Friedrichs und zwangen ihn, aus dem Fenster zu sehen. Katte war gefasst und starb beim ersten Streich des Scharfrichters. Friedrich sank in Ohnmacht. Später und in den nächsten Tagen kam Pastor Müller, vom Vater bestimmt, um Friedrich religiösen Beistand zu leisten. Aber Müller hatte noch einen zweiten Auftrag bekommen. Er sollte den Sohn veranlassen, vor Zeugen auf die Knie zu fallen und zu bereuen, denn nur dadurch könnte der Vater milde gestimmt werden und vergeben. Der König warnt aber, sich nicht täuschen zu lassen, denn sein Sohn sei ein verschlagener Kopf.
Müller gibt sich alle Mühe, den ersten Teil der Läuterung herbeizuführen. Die Schwierigkeit in den Gesprächen besteht im Glauben Friedrichs an die Prädestination (göttliche Vorherbestimmung). Solange er daran glaubt, dass menschliches Handeln durch den Willen Gottes bestimmt sei, könne er sich darauf berufen und ist von persönlicher Verantwortung für die Folgen frei. Theologisch ist dieses Problem nicht einfach zu klären und auch in den verschiedenen Perioden des Christentums und des Islam nie gelöst worden. Zwischen der Willensfreiheit des Individuums und der göttlichen Bestimmung besteht ein unauflösbarer Widerspruch, den Müller jetzt im Sinne preußischer Zucht aufheben soll.
Der Pastor weicht aus auf das Gottesgnadentum, das den Herrscher als von Gott berufen darstellt: Nur ihm ist der Fürst verantwortlich, seinem Titel ist die Formel „von Gottes Gnaden“ hinzugefügt. Alle Machtentscheidungen sind von daher gerechtfertigt, ein Monarch muss niemandem auf der Welt Rechenschaft ablegen. Wenn Friedrich einmal regieren wolle, müsse er den Glauben an die Prädestination ablegen. Seine Flucht, die der Vater Desertion nennt, sei nicht durch den göttlichen Willen gerechtfertigt. Nun begreift Friedrich die Absicht der Belehrung, und er gibt langsam nach und erklärt dann: „Es ist also keine Fatalität, sondern ich allein habe Schuld an Kattens Tod und meinem eigenen Unglück.“ Müller meldet erleichtert, dass die Ketzerei überwunden sei, nun solle Barmherzigkeit und Vergebung einsetzen, sonst würde Friedrich von einer Gemütskrankheit bedroht sein.
Die Antwort kommt. Es ist ihm noch nicht vergeben, aber der Arrest wird gelockert, er darf die Stube verlassen und sich innerhalb der Stadt bewegen. Bevor er die vorgesehene Ausbildung in der Kriegs- und Domänenkammer beginnen darf, soll er einen Eid ablegen, mit lauter, deutlicher Stimme und ohne Vorbehalte: „So helfe unser Heiland, dass dieser ungeratene Sohn zu seiner Gemeinschaft gebracht, sein gottloses Herz zerknirscht, erweicht und geändert, auch dem Satan aus den Klauen entrissen werden möge.“ Vor Grumbkow, fünf weiteren Offizieren und einem Geheimrat schwört der Kronprinz am 18. November 1730 dem König, Vater und Herrn „allemal getreu, gehorsam und untertänig“ zu sein. Er erhält darauf zwar den Degen, doch er bleibt außerhalb der Armee, ihm wird von keinem Posten salutiert. Ein Deserteur hat nicht das Recht, die Uniform zu tragen.
Am Montag, dem 20. November 1730, meldet er sich zum ersten Mal zum Dienst.
Während Friedrich bei jedem Besuch des Feldpredigers Müller vom Regiment Gendarms, der königlichen Leibgarde, geglaubt hatte, dieser käme, um ihn auf seine Hinrichtung vorzubereiten, konnte er jetzt, nachdem eine neue Lage entstanden war, etwas freier atmen. Jedoch der Vorwurf, er würde nach wie vor der Prädestination anhängen, war nicht glaubhaft ausgeräumt. Vielmehr verlangte der Vater weiterhin, er solle die Personen nennen, die ihm die Irrlehre beigebracht hätten. Trotz mehrmaliger Aufforderung schweigt Friedrich, er nennt nur einige Buchtitel und wiederholt seine Unterwerfung unter den Willen des Vaters.
Drei Männer haben die Aufgabe, sein Verhalten zu beobachten. Zum ersten ist es der Kriegsminister und Feldmarschall Friedrich Wilhelm von Grumbkow. Er könnte vom Alter her sein Vater sein und dient als Verbindungsmann zwischen dem Hofmarschall Gerhard Heinrich von Wolden, dem Kammerdirektor Christoph Werner Hille auf der Küstriner Seite und dem König in Berlin. Grumbkow gibt die Berichte der beiden mit Streichungen oder Zusätzen weiter, auch an die Österreicher, die ihn dafür gut bezahlen.