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Das erste Kapitel des 1976 erschienen Buches, das der Autor in den Beginn des 21. Jahrhunderts gelegt hat, erscheint wie ein utopischer Roman, denn wir alle haben diese Zeit anders erlebt. Der „real existierende Sozialismus“ in der DDR, in der nicht mehr existierenden Sowjetunion und in den anderen östlichen Ländern wurde wieder vom Kapitalismus verdrängt. Warum wurde also dieses Buch erneut veröffentlicht? Weil es der kürzlich verstorbene Autor für bewahrenswert hielt? Weil es noch, wenn auch wenig, Mitglieder kommunistischer Parteien gibt? Weil nach wie vor das sozialistische Kuba existiert, das sich anschickt, sich aus der erzwungenen Isolierung zu lösen? Das Buch beschreibt fundiert, jeweils eingebettet in die Geschichte seiner Zeit, den Weg von den utopischen Sozialisten über die Anfänge der sozialdemokratischen Bewegung bis hin zur Oktoberrevolution und der Entwicklung in der DDR. Insbesondere der euphorischen Beschreibung des DDR-Sozialismus wird der heutige Leser nicht mehr zustimmen wollen. Doch bei der Beschreibung des Kapitalismus im 19. und 20. Jahrhundert, einschließlich Arbeitslosigkeit und dem Drang nach neuen Absatzmärkten und Rohstoffquellen, der dabei auch vor Kriegen nicht zurückschreckt, wird er Vergleiche zur aktuellen Situation in Deutschland herstellen. Es ist sicher auch interessant, die revolutionären Wurzeln der deutschen Sozialdemokratie zu studieren. Wer sich ohne Vorurteile kritisch diesem Thema stellt, für den ist dieses Buch eine Fundgrube. Das Buch wurde ursprünglich für Kinder ab 12 Jahre geschrieben und beschreibt deshalb die geschichtlichen Epochen knapp und präzise als Ergänzung zum Schulunterricht. Wer eine DDR-Schule besucht hat erinnert sich an vieles und kann es nun mit seinem heutigen Wissens- und Erfahrungsstand einordnen. Das Wissen um die Entstehung der Theorie des Kommunismus darf nicht verschwiegen werden. Nach wie vor träumt die Menschheit von einer Welt des Friedens, der Arbeit, der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit, frei von Ausbeutung und Unterdrückung, in der jeder seine Fähigkeiten und Talente voll entfalten kann.
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Seitenzahl: 190
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Hans Bentzien
Ein Buch vom Kommunismus
ISBN 978-3-95655-467-4 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien erstmals 1976 in Der Kinderbuchverlag Berlin.
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
© 2015 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de
„Der Kommunismus ist die lichte Zukunft der Menschheit. In ihm ist jegliche Ausbeutung und Unterdrückung beseitigt, sind die Menschen von der Geißel des Krieges befreit.
Der Kommunismus ist die Welt des Friedens, der Arbeit, der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit.
Im Kommunismus werden alle Völker dieser Erde, alle Menschen ihre Fähigkeiten und Talente voll entfalten können.“
Das erste Kapitel dieses 1976 erschienen Buches, das der Autor in den Beginn des 21. Jahrhunderts gelegt hat, erscheint dann auch wie ein utopischer Roman, denn wir alle haben diese Zeit anders erlebt. Der „real existierende Sozialismus“ in der DDR, in der nicht mehr existierenden Sowjetunion und in den anderen östlichen Ländern wurde wieder vom Kapitalismus verdrängt. Warum wurde also dieses Buch erneut veröffentlicht?
Weil es der kürzlich verstorbene Autor für bewahrenswert hielt? Weil es noch, wenn auch wenig, Mitglieder kommunistischer Parteien gibt? Weil nach wie vor das sozialistische Kuba existiert, das sich anschickt, sich aus der erzwungenen Isolierung zu lösen?
Das Buch beschreibt fundiert, jeweils eingebettet in die Geschichte seiner Zeit, den Weg von den utopischen Sozialisten über die Anfänge der sozialdemokratischen Bewegung bis hin zur Oktoberrevolution und der Entwicklung in der DDR.
Insbesondere der euphorischen Beschreibung des DDR-Sozialismus wird der heutige Leser nicht mehr zustimmen wollen. Doch bei der Beschreibung des Kapitalismus im 19. und 20. Jahrhundert, einschließlich Arbeitslosigkeit und dem Drang nach neuen Absatzmärkten und Rohstoffquellen, der dabei auch vor Kriegen nicht zurückschreckt, wird er Vergleiche zur aktuellen Situation in Deutschland herstellen. Es ist sicher auch interessant, die revolutionären Wurzeln der deutschen Sozialdemokratie zu studieren.
Wer sich ohne Vorurteile kritisch diesem Thema stellt, für den ist dieses Buch eine Fundgrube. Das Buch wurde ursprünglich für Kinder ab 12 Jahre geschrieben und beschreibt deshalb die geschichtlichen Epochen knapp und präzise als Ergänzung zum Schulunterricht. Wer eine DDR-Schule besucht hat erinnert sich an vieles und kann es nun mit seinem heutigen Wissens- und Erfahrungsstand einordnen.
Man muss dem Autor rechtgeben, das Wissen um die Entstehung der Theorie des Kommunismus darf nicht verschwiegen werden. Nach wie vor träumt die Menschheit von einer Welt des Friedens, der Arbeit, der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit, frei von Ausbeutung und Unterdrückung, in der jeder seine Fähigkeiten und Talente voll entfalten kann.
Ein Mann hat lange und tief geschlafen, über hundert Jahre lang. Er erwachte an einem herrlichen Frühsommermorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Als er sich an das Themse-Ufer begibt, spielen große Lachse im Wasser. Eine Brücke, breit und schön geschwungen, führt zum anderen Ufer.
Sollte das die Themse sein, die durch das staubige, schmutzige, lärmende, hastende London fließt? So weit unser Mann auch schaut, er kann keine Seifensiedereien, keine rußenden Schornsteine, keine Bleiwerke entdecken.
Ein Fährmann legt am Ufer an. Der Mann besteigt den Kahn und betrachtet verwundert den stattlichen, jungen Mann, der schweigend seine Arbeit verrichtet. Man sieht, dass sie ihm Freude bereitet. Als der Mann am Ende der Fahrt bezahlen will, antwortet der Fährmann:
„... Sie glauben, dass ich Ihnen einen Dienst geleistet habe, und dafür halten Sie sich für verpflichtet, mir etwas zu geben, was ich meinerseits einem Nachbarn auch nur dann zu geben habe, wenn er mir einen besonderen Dienst geleistet hat. Ich habe von so etwas gehört, aber nichts für ungut, uns erscheint das als ein recht lästiger und umständlicher Brauch. Wie Sie sehen, ist das Übersetzen und Wasserfahren mein Beruf, den ich für einen jeden ausübe, der meine Dienste wünscht; mir dafür etwas schenken zu lassen wäre doch mehr als sonderbar. Und wenn mir erst einer etwas gibt, will es der zweite und dritte auch tun, und Sie werden mir’s hoffentlich nicht verübeln, wenn ich Ihnen sage, dass ich nicht wüsste, wie ich so viel Freundschaftspfänder unterbringen sollte.“
Der Fährmann nimmt also das Geld nicht und schlägt dem Fahrgast vor, die Münzen in ein Museum zu geben. Als dieser recht verdutzt dreinschaut, bietet sich der Fährmann an, ihn durch seine Welt zu führen.
In einem Gasthaus frühstücken sie. Die Speisen sind einfach, aber wohlschmeckend. Auf dem Tisch stehen Rosen und Erdbeeren. Am besten aber ist das Brot, gut durchgebacken wird es in allen Arten und Formen angeboten, und sie langen tüchtig zu. Als der erste Hunger gestillt ist, kommt das Gespräch auf das Lebensalter. Der Mann aus dem anderen Jahrhundert ist 56 Jahre alt, aber die Frühstücksteilnehmer finden, dass er älter aussieht. Eine schöne Frau sitzt am Tisch. Sie sieht aus wie eine Zwanzigjährige, zählt aber bereits 42 Jahre. Man findet keine Sorgenfalten auf ihrer Stirn, die Haut ist glatt, die Wangen sind rund und voll. Sie verabschiedet sich bald, denn am Abend hatte sie begonnen, ein Buch zu lesen, sie hat Gefallen daran gefunden und will es beenden.
Am Tisch sitzt noch ein stiller Mann, der nun gebeten wird, etwas über seine Arbeit zu berichten. Er ist von Beruf ein Weber. der einen mechanischen Webstuhl bedient, sich daneben noch mit Maschinendruck und Schriftsetzen beschäftigt, an der Mathematik Freude hat und an einem geschichtlichen Buch über die Zustände am Ende des 19. Jahrhunderts schreibt. Noch während dieser vielseitige Weber von sich erzählt, erscheint ein Mann, dessen Kleidung mit goldenen Stickereien reich verziert ist. Der Fährmann empfängt ihn scherzend. Dieser Baron in Brokat und Gold ist nichts anderes als ein Straßenfeger, der nur eine harmlose Eigenschaft hat, er kleidet sich gern gut und schreibt an altertümlichen Romanen.
Wohin war unser Langschläfer geraten? Er war gar nicht aus London herausgekommen, und trotzdem war es nicht das London, das er von früher kannte. Die Stadt hatte sich in den 100 Jahren, die er verschlafen hatte, vollkommen verwandelt. Er war in eine neue Gesellschaft geraten. In ihr erlebte er die wunderlichsten Überraschungen. Alle Menschen lesen bereits mit vier Jahren, wenig später können sie auch schreiben, fast gleichzeitig erlernen sie moderne Fremdsprachen und die alten Sprachen Latein und Griechisch. Alle beschäftigen sich mit dem, was ihnen Spaß macht, zum Beispiel mit Geschichte oder Mathematik, alle arbeiten und tun Nützliches für sich und die anderen. Die Kinder lernen selbstständig zu denken und zu handeln, die Natur und die Tiere des Waldes zu beobachten. Im Sommer wohnen sie in Zelten im Freien.
Die Menschen dieser Gesellschaft produzieren in „Vereinigten Werkstätten“, was sie für ihren Lebensunterhalt brauchen. Trotzdem bleibt ihnen viel Zeit, sich ihren Neigungen zu widmen. Jeder hat mehrere Berufe, in denen er Tüchtiges leistet. Einer von ihnen sagt dem Fremden: „Wenn man sein ordentliches Arbeitsmaß hat und unter ordentlichen, lustigen Menschen ist, dann fühlt man sich unendlich glücklich. Die Arbeit ist doch die höchste Wonne.“
In dieser glücklichen Gesellschaft gibt es keinen Raub, keinen Diebstahl und Zank mehr. Die Regeln des Zusammenlebens werden freiwillig befolgt, jeder kann seine Fähigkeiten ausbilden, alle ermuntern ihn dazu, es gibt keine Missgunst mehr.
Überschreitungen der Lebensregeln beruhen meistens auf Irrtümern. Ein Streit wird nicht durch Strafen, sondern durch gegenseitiges Verzeihen beendet, denn Strafen machen alles nur noch schlimmer. Ähnlich ist es auch im Großen: Meinungsverschiedenheiten in der Stadt kommen vor, meist geht es dabei um die gesellschaftliche Produktion. Diese Streitigkeiten führen aber nicht zur Uneinigkeit, sondern zur Klärung der Probleme.
Männer und Frauen sind vollkommen gleichberechtigt. Menschen, die sich lieben, leben auch zusammen, andere Gründe für ein Zusammenleben gibt es nicht mehr. Die Mütter sind hoch angesehen und geehrt, auch die Leitung eines Haushaltes ist gesellschaftlich anerkannt. Die ganze Gesellschaft kümmert sich um die Erziehung der Kinder.
Das Volk regiert sich selbst, die Tyrannei der Klassengesellschaft ist vorbei, so wurde auch der alte Staatsapparat abgeschafft, Im Gebäude des alten bürgerlichen Parlaments von London ist ein Düngerlager untergebracht, so dient es einem nützlichen Zweck. Das Volk erlässt die wenigen Regeln, die für alle gelten, und sorgt für deren Einhaltung.
Der Mann, der nach wenigen Tagen seiner Wanderung durch das Land Nirgendwo, gemeint ist die Stadt London am Anfang des 21. Jahrhunderts, wieder in seine Welt am Ende des 19. Jahrhunderts zurück muss, ist natürlich nur eine Romanfigur, erfunden von William Morris in seinem Roman „News from Nowhere“ (Kunde von Nirgendwo). W. Morris, Arbeiterführer und Kunsthandwerker, der Ende des vorigen Jahrhunderts lebte, zeigt in dieser Geschichte, wie er sich die Zukunft vorstellt.
Die englische Arbeiterklasse lebte in den von Schmutz und Lärm erfüllten, übervölkerten Industriestädten, deren schlimmste London war. Deshalb dachte sich Morris ein London aus, in dem die Arbeiter die Macht übernommen haben und in ländlicher Idylle zusammen leben.
Er nennt seinen Roman eine „Utopie der vollendeten kommunistischen Gesellschaft“, von der er und seine Freunde in der Arbeiterschaft träumten und für die sie politisch eintraten. Das Wort Utopie ist doppeldeutig. Es heißt „Nirgendwo“. Das kann bedeuten, dass es diese Gesellschaft nirgendwo gibt, aber auch, dass es diese Gesellschaft heute noch nicht gibt.
Die Menschheit träumte schon lange von einer Gesellschaft, in der es allen gut geht und sich jeder nach Fähigkeiten und Wünschen entwickeln kann. Meistens entstanden diese Utopien als Antwort auf besonders schlechte gesellschaftliche Zustände und brachten den Menschen neue Hoffnung. So um die Zeitenwende die Geschichte vom Himmelreich Gottes, in dem alle Menschen guten Willens das Paradies finden würden, das sie auf Erden ersehnten. Der Trost sollte sie erst nach dem Tode erreichen, in einer himmlischen Welt, in der die Engel Harfe spielen und singen und die ewige Gerechtigkeit herrscht. Wie man ein solches Reich schaffen könne, wissen die Priester bis heute noch nicht zu sagen, sie haben als Antwort nur, dass man kräftig daran glauben müsse. Andere gesellschaftliche Utopien versuchen, den „Sonnenstaat“ oder die „Utopia“ näher zu beschreiben, und immer ist es ein Land, das den herrschenden Verhältnissen genau entgegengesetzt ist. Oftmals sind diese Staaten der Zukunft auf fernen Inseln zu finden oder auf fremden Erdteilen. Immer wieder beschäftigten sich kluge Menschen mit der Gesellschaft der Zukunft, entwarfen Pläne dafür und opferten Eigentum und Stellung für ihre Ideen.
Morris betont in seiner Zukunftsvorstellung, dass jeder Mensch arbeiten muss, um menschlich zu leben, und schildert auch in einer etwas verworrenen Handlung, wie durch einen revolutionären Aufstand die Arbeiter Londons die Macht eroberten und die bürgerliche Herrschaft beseitigten. Aber ist das Land Nirgendwo von Morris das Land der Zukunft?
Morris träumte noch von friedlichen, dörflichen Verhältnissen, von Villenstädten, in denen jeder so leben kann, wie er es will. Die Produktion spielt sich in Handwerkerbetrieben ab, in Werkstätten, die denen des ausgehenden Mittelalters gleichen. Eine Lebensgemeinschaft, die aus den Bewohnern eines Dorfes besteht, versorgt sich mit allem Notwendigen selbst. Von einer Großindustrie, die es zu seiner Zeit natürlich in London bereits gab, ist nicht mehr die Rede. Er konnte sich nicht vorstellen, dass die Großindustrie die Grundlage für die schnelle Entwicklung des gesellschaftlichen Reichtums sein muss, dass die Arbeiterklasse es lernen muss, die Industrie zu leiten und alle anderen Zweige des gesellschaftlichen Lebens.
Morris war kein wissenschaftlicher Kommunist, er war ein kommunistischer Utopist, also ein Mann, der sich eine kommunistische Gesellschaft erdachte, so gut er es konnte. Er besaß den guten Willen, seinen Freunden und Zeitgenossen den Weg dahin zu zeigen, kannte ihn aber selbst nicht genau. Wenn man über die Gesellschaft Aussagen treffen will, muss man sie gründlich studiert haben, genauso wie ein Mathematiker die Mathematik oder ein Chemiker die Chemie studiert haben muss. Doch Morris war kein Wissenschaftler, sondern hauptsächlich ein Kunsthandwerker, der schöne, praktische Stühle und anderes Gerät entwarf und baute. Vielleicht kommt aus dieser Erfahrung auch die Idee, dass die von allen im Kommunismus geleistete Arbeit hauptsächlich Handwerkerarbeit sein soll, weil sich in ihr Hand- und Geistesarbeit miteinander verbinden.
Gegenüber anderen Utopisten hatte er jedoch einen großen Vorteil, der seine Utopie so lesenswert macht. Er kannte das Leben der Arbeiter seiner Zeit genau, denn er war als ihr Funktionär unermüdlich tätig, als Redner, Teilnehmer von Demonstrationen für größere Rechte der Arbeiter, als Zeitungsverkäufer, Gründer von Arbeiterorganisationen (Socialist League). Theoretisch war er bemüht, Karl Marx zu verstehen, hatte aber Schwierigkeiten beim Studium der Marxschen politischen Ökonomie, wie er selbst zugab.
So verstand er wohl das Anliegen der marxistischen Arbeiterbewegung, erkannte aber nicht immer den rechten Weg in den Kämpfen des Proletariats. Sein Buch blieb eine Utopie. Man ist angerührt, wenn man die Lauterkeit seiner Gesinnung versteht, aber ratlos, wenn man sich fragt, was aber wird mit der modernen Industrie, mit den großartigen wissenschaftlichen und technischen Entdeckungen? Was wird in der Schule gelehrt werden, außer Geschichte und alten und neuen Fremdsprachen. Ist der Handwerker das Idealbild für den Werktätigen des Kommunismus? Darauf kann Morris keine Antwort geben.
Als Marx und Engels in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ihre kommunistischen Ansichten herausbildeten, gab es bereits eine Vielzahl kommunistischer und sozialistischer Theorien. Die meisten davon sind dem utopischen Sozialismus zuzurechnen.
Einer dieser Utopisten, dessen Ideen zu Zeiten des jungen Marx in aller Munde waren, hieß Robert Owen (1771-1858). Er war ein Engländer, der sich äußerst kritisch zum Kapitalismus verhielt, der damals in England am weitesten fortgeschritten war. Owen war selbst ein Kapitalist, der in seiner Baumwollspinnerei täglich beobachtete, wie die wirkliche Lage der Arbeiter war. Mehr als alle anderen versuchte er hinter den Mechanismus der kapitalistischen Wirtschaft zu sehen und machte sich ernsthafte Gedanken, wie man eine Gesellschaft einrichten könne, in der die üblen Auswirkungen des Kapitalismus beseitigt sind. Er glaubte an die unüberwindbare Kraft der Vernunft, an die Aufklärung. Friedrich Engels hat seinen Mut gerühmt. Er nennt ihn einen Fabrikanten und Reformator. Owen war 29 Jahre alt, als er im Jahre 1800 in Schottland, in dem Ort New Lanark, begann, eine große Baumwollspinnerei aufzubauen, in der er die Leitung übernahm. Schon vorher hatte er als junger Mann in der großen Industriestadt Manchester eine Fabrik mit 500 Arbeitern geleitet. Er sah die weitreichenden Möglichkeiten der Dampfmaschinen und hatte, im Gegensatz zu manchen seiner Freunde unter den Unternehmern, keine Angst vor den Folgen der schnellen Entwicklung der Industrie. Allerdings sah er auch das erbärmliche Leben der Arbeiter in den Fabriken. Der Arbeitstag betrug 14 und 16 Stunden. Dafür gab es nur geringen Lohn. Armut und Hunger herrschten in den Arbeitervierteln. Owen wollte ein Beispiel schaffen, das diesen Verhältnissen entgegenwirkte. Er hoffte, die anderen Kapitalisten davon überzeugen zu können, ihm nachzueifern.
In New' Lanark baute er eine Musterstadt auf. Seine Arbeiter kamen aus allen Gegenden Englands. Nach und nach wuchs die Zahl der Arbeitskräfte in seiner Fabrik auf 2 500 an. Es handelte sich also um ein großes Unternehmen, nicht nur für die damalige Zeit. Owen sorgte dafür, dass die Arbeiter in anständigen, sauberen Verhältnissen leben konnten, baute ihnen Wohnungen, zahlte guten Lohn. Während die anderen Kapitalisten auch noch aus den ärmsten Geschöpfen den letzten Pfennig herauspressten, verstand er, dass man mit menschlicher Behandlungsweise mehr erreichen kann. In Owens Musterstadt gab es weder Diebstahl noch Trunksucht, weder Polizei noch Gerichte. Besonderen Ruf erhielt New Lanark durch die gute Erziehung der Jugend. Owen war der erste, der die Kleinkinderschulen einrichtete, wir würden heute Kindergärten dazu sagen. Mit zwei Jahren kamen die Kinder in diese Schulen. Statt 14 Stunden brauchten ihre Eltern in New Lanark nur 10 1/2 Stunden zu arbeiten, und wenn es Produktionsschwierigkeiten gab, wurde sogar der volle Lohn ausgezahlt. Owens 2 500 Arbeiter produzierten so viel wie fünfzig Jahre vorher 600 000 Arbeiter produziert hatten. Hier war eine große Steigerung der Arbeitsproduktivität vor sich gegangen. Owen wusste, dass die Verbesserung der Maschinen und ihre bessere Bedienung der Grund dafür waren. Nach 23 Jahren seiner Erfahrungen mit New Lanark schlug er 1823 vor, das Elend in Irland dadurch zu beheben, dass überall kommunistische Kolonien eingerichtet werden sollten. Dazu hatte er Berechnungen angestellt und legte genaue Pläne vor. Er wollte nunmehr in großem Maßstab zu einer kommunistischen Lebensform übergehen, die auf die einfache Formel zu bringen war: gemeinsame Produktion, gemeinsame Verteilung. Und das war der gedankliche Schritt zum Kommunismus Friedrich Engels schreibt darüber:
egoe UI Symbol",sans-serif'>„Der Fortschritt zum Kommunismus war der Wendepunkt in Owens Leben. Solange er als bloßer Philantrop [Wohltäter] aufgetreten, hatte er nichts geerntet als Reichtum, Beifall, Ehre und Ruhm. Er war der populärste Mann in Europa. Nicht nur seine Standesgenossen, auch Staatsmänner und Fürsten hörten ihm beifällig zu.
Als er aber mit seinen kommunistischen Theorien hervortrat, wendete sich das Blatt. Drei große Hindernisse waren es, die ihm vor allem den Weg zur gesellschaftlichen Reform zu versperren schienen: das Privateigentum, die Religion und die gegenwärtige Form der Ehe. Er wusste, was ihm bevorstand, wenn er sie angriff: die allgemeine Achtung durch die offizielle Gesellschaft, der Verlust seiner ganzen sozialen Stellung. Aber er ließ sich nicht abhalten, sie rücksichtslos anzugreifen, und es geschah, wie er vorhergesehen.“
Die Klasse der Kapitalisten wandte sich von Owen ab. Während früher in der Presse über ihn geschrieben wurde, las man jetzt kein Wort mehr. Um seine Experimente mit den kommunistischen Siedlungen in größerem Maßstab dennoch durchzuführen, ging er in die Vereinigten Staaten von Amerika. Aber in dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten des Kapitals gab es für ihn keine Möglichkeiten mehr. Seine kommunistische Musterkolonie New Harmony (Neue Harmonie) scheiterte an ihrer kapitalistischen Umwelt, auch New Lanark ging zugrunde (1829), da er alles verkaufen musste, um seine Schulden zu decken.
Dass er diese Erfahrungen machen würde, als er mit seinem mutigen sozialen Versuch begann, hatte Owen nicht bedacht. Er wollte seine Utopie von der harmonischen Gesellschaft in einer Gesellschaft des erbitterten Klassenkampfes verwirklichen. Die herrschenden Kapitalisten ließen ihn gewähren, als er nach fünfjährigem Kampf im Jahre 1819 sein Gesetz zur Beschränkung der Weiber- und Kinderarbeit in den Fabriken durchsetzte, sie verziehen ihm aber seine Generalkritik an ihrer Herrschaft nicht. Sein Versuch sollte und musste scheitern. So schloss er sich der Arbeiterbewegung an und wirkte noch dreißig Jahre in ihrer Mitte. Überall war er zu finden, wenn es um Fortschritte für die Arbeiter ging.
So war er der Präsident des großen Kongresses, auf dem sich alle Einzelgewerkschaften (Trade-Unions) zu einer Einheitsgewerkschaft vereinigten.
Auch die Konsum- und Produktionsgenossenschaften wurden von ihm angeführt. Er machte Versuche, das Geld abzuschaffen und die Waren direkt gegeneinander zu tauschen, was natürlich in einer Gesellschaft, in der alle Waren zu Geld werden, nicht geht. Obwohl sein Weg scheiterte, da kommunistische Verhältnisse auf einer Insel inmitten eines kapitalistischen Ozeans nicht funktionieren können, regte er doch die Diskussion an und zeigte den Kapitalisten die Gefahr, die ihnen durch den Sozialismus droht. Deshalb wurde er bis aufs Messer bekämpft und totgeschwiegen, die Arbeiter aber sprachen mit Hochachtung von ihm.
Der Owensche Sozialismus als Utopie ging am weitesten, da er auch praktisch ausprobierte, was er verkündete.
In jener Zeit, als Owen die Leitung von New Lanark übernahm (1. Januar 1800), schrieb der Kaufmannsgehilfe Charles Fourier (1772-1837) sein erstes Werk. Er begann damit, die Gesellschaftszustände im kapitalistischen Frankreich nach der Französischen Revolution zu kritisieren.
In der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sah er die Ursachen für Krisen, Not und soziales Elend. Er trat für die Befreiung der Frau ein und wandte sich scharf gegen ihre entwürdigende Stellung. Auch er erstrebte, wie Robert Owen, eine harmonische Gesellschaft. Sie sollte auf gemeinsamer Arbeit beruhen. Die in Genossenschaften erzeugten Produkte sollten gerecht verteilt werden. Alle Menschen in seiner harmonischen Gesellschaft sollten die Möglichkeit haben, ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten nach ihren Neigungen zu entwickeln. Bei seinen Untersuchungen fand er zwar nicht die Gesetze, nach denen sich die menschliche Gesellschaft entwickelt, aber er entdeckte in der menschlichen Geschichte Entwicklungsstufen und erkannte, dass der Reichtum die Armut erzeugt. Je reicher die einen werden, desto ärmer werden die anderen. Seine Gesellschaft kennt das Gemeineigentum an Grund und Boden, Gebäuden und Betrieben. Einen bedeutenden Platz in seinem System nimmt die Kindererziehung ein, die nach ganz bestimmten Regeln verläuft. Die Genossenschaft der Menschen führt zur Harmonie, auf die Höhe des Glücks.
Um dieselbe Zeit, im Jahre 1802, erschienen die „Genfer Briefe“ von Claude-Henri Comte de Saint-Simon (1760-1825). In ihnen schrieb er, dass alle Menschen arbeiten sollen. Er erkannte zuerst, dass die Französische Revolution ein Klassenkampf gewesen war. Hier standen sich nicht nur der Adel und das Bürgertum gegenüber, sondern auch Adel, Bürgertum und Besitzlose. Engels nennt diese Erkenntnis aus dem Jahre 1802 eine geniale Entdeckung. Marx hat diese Entdeckung später näher untersucht und in seiner Theorie vom Klassenkampf anhand der menschlichen Geschichte im Einzelnen nachgewiesen. Saint-Simon dachte auch über die Beziehungen zwischen Ökonomie und Politik nach und stieß zu der Wahrheit vor, dass die Politik von ihrer ökonomischen Grundlage abhängt, dass also die Bourgeoisie eine Politik betreibt, die ihrer Wirtschaft günstig ist. Er glaubte daran, dass die bessere Gesellschaft zu errichten ist, wenn man ein neues Christentum schafft. In Gesprächen zwischen einem „Konservativen und einem Neuerer“ äußerte er den Grundsatz: Die Menschen sollen sich gegenseitig als Brüder behandeln. Er klagt die katholische und protestantische Religion an und meint, die Religion habe die Aufgabe, „die Gesellschaft dem großen Ziele einer möglichst raschen Verbesserung des Loses der ärmsten Klasse zuzulenken“. Seine Auffassungen gingen zu einem guten Teil in das sozialistische Gedankengut seiner Zeit ein und gehören zu den anregenden Überlegungen dieser Zeit.
Über die drei großen Utopisten Owen, Fourier, Saint-Simon schreibt Friedrich Engels:
„Allen dreien ist gemeinsam, dass sie nicht als Vertreter der Interessen des inzwischen historisch erzeugten Proletariats auftreten. Wie die Aufklärer, wollen sie nicht zunächst eine bestimmte Klasse, sondern sogleich die ganze Menschheit befreien.“
Etwas jünger als die drei Utopisten, die wir kennengelernt haben, ist der Magdeburger Schneider Wilhelm Weitling. Er war der erste bedeutende Utopist, der aus Deutschland stammte, sich der Arbeiterbewegung anschloss und kommunistische Gemeinden verkündete. Seine revolutionäre Grundhaltung führte ihn immer wieder zu Zusammenstößen mit der Gewalt des Klassenstaates. Er ging, um seiner elenden Lage zu entfliehen, auf die Wanderschaft und kam dabei mit vielen Menschen zusammen, die so eingestellt waren wie er. Ihre Diskussionen kreisten immer wieder um das Thema „Die Menschheit, wie sie ist und wie sie sein sollte“. So lautete auch die erste Schrift, die Weitling verfasste und 1838 in Paris herausgab. Sie war das Programm des „Bundes der Gerechten“, einer Organisation, die verfolgt wurde, weil sie kommunistische Ideen verbreitete. Die Arbeiter hatten bereits eine bestimmende Stellung in diesem Bund und leiteten ihn nach demokratischen Grundsätzen. Weitling wurde nach 1835 zu einer seiner führenden Persönlichkeiten. Seit dem Programm des „Bundes der Gerechten“ kann man von einem Arbeiterkommunismus sprechen, denn es ging nicht mehr nur um die Kritik des Kapitalismus. Dieses Programm sagt aus, dass die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen nur abzuschaffen ist, wenn das Privateigentum abgeschafft und die kommunistische Gütergemeinschaft eingeführt wird. Der Weg dazu führt über eine große soziale Revolution, an der die arbeitenden Menschen direkt beteiligt sein müssen.
Seit dem Programm des „Bundes der Gerechten“ kann man von einem Arbeiterkommunismus sprechen, denn es ging nicht mehr nur um die Kritik des Kapitalismus.
In dieser Utopie spielt zum ersten Mal die Arbeiterklasse die entscheidende Rolle. Obwohl die Gesetze noch nicht erkannt wurden, nach denen sich die menschliche Gesellschaft entwickelt, so wurde doch auf ein kommunistisches Ziel orientiert. Nach einem misslungenen Aufstand wurde der Bund 1839 zerschlagen, und Weitling sammelte die Mitglieder wieder in Paris. Doch die Bundesleitung schickte ihn in die Schweiz, wo er neue Vereine des Bundes gründete und seine Ziele propagierte. Hier veröffentlichte er auch die erste Zeitung der deutschen Arbeiter im Jahre 1841. Anfangs hieß sie „Der Hilferuf der deutschen Jugend“, später „Die junge Generation“. Ihre Auflage betrug 1000 Exemplare. Neben der Redaktion der Zeitung schrieb Weitling an seinem Hauptwerk „Garantien der Harmonie und Freiheit“. Neben einer ausführlichen Kritik an den feudalen und kapitalistischen Verhältnissen entwickelte er hier seinen Plan von der künftigen kommunistischen Gesellschaft. Dieser Plan war noch utopisch, stellte aber gegenüber den anderen Utopien, die wir schon kennen, einen Fortschritt dar. Die Revolution muss von den Massen durchgeführt werden, die sich dadurch von der kapitalistischen Ausbeutung befreien. Er schildert die Vorteile der neuen Gesellschaft:
Keine Armen! und folglich auch keine Bettler, keinen Kummer, Sorge, Gram, Verzweiflung, keine bitteren Tränen des Elends, keine Geringschätzung und Verachtung, keine Unwissenheit, Dummheit, Rohheit, keine ekelhaften Lumpen und Hadern, keine bleichen, ausgemergelten Gesichter und betrübten, traurigen Mienen mehr.
Keine Verbrechen! und folglich auch keine Strafen, keine Richter, Polizei, Gefängnisse, Kerkermeister; keine Gendarmen, Büttel, Gerichtsdiener, Advokaten; keine Klagen, Kläger und Verklagte; keine Gesetzbücher, Akten, Mordbeile, Galgen, Spießruten, keine Angst und Furcht; keine gekünstelten Tugenden und Laster; keine Mörder, Räuber, Diebe, Verleumder und Betrüger mehr!
Keine Herren! und folglich auch keine Bediente, Knechte, Mägde, Lehrjungen, Gesellen; keine Hohen und keine Niederen, keine Befehle und Unterwürfigkeiten, keinen Hass, Neid, Stolz und Übermut, keine Missgunst, Verfolgung und Bedrückung mehr.
Keine Müßiggänger! und folglich auch keine Taugenichtse, keine sich krank und dumm arbeitenden Sklaven; keine Verachtung und Verhöhnung der Arbeit, keine Last derselben und keine Besorgnis um dieselbe mehr.
Keine Verschwender! und folglich auch keinen Mangel, keine Hungerleidenden und Darbenden, keine Üppigkeit und keinen Hochmut; keine schrankenlosen, die geistigen und physischen Kräfte der Gesellschaft störenden Leidenschaften mehr.