Do not eat! - Kevin Hearne - E-Book
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Do not eat! E-Book

Kevin Hearne

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Beschreibung

Sechs Wissenschaftler – ein Plan: nicht als Alien-Snack enden … In der bitterbösen Science-Fiction-Komödie Do not eat! von Kevin Hearne geht es um Alien-Entführungen, interstellare Reisen durchs Weltall und natürlich nichts weniger als die Rettung der Menschheit! Wie scheiße kann ein Tag werden? Erst muss Physiker Clint Beecham mit ansehen, wie sein bester Freund von Aliens gefressen wird, dann wird er selbst auf deren Raumschiff verschleppt. Immerhin steckt man ihn zur Sicherheit in ein T-Shirt mit der Aufschrift »Do not eat!« – denn Clint und fünf weitere Wissenschaftler sollen für etwas Besonderes aufgespart werden. Während die Aliens mit Reiseproviant in Form von 50.000 Gefangenen ihren Heimatplaneten ansteuern, um dort vom All-you-can-eat-Buffet namens Erde zu schwärmen, wird den Wissenschaftlern eines klar: Es ist höchste Zeit, E.T. so richtig in den Arsch zu treten! Bestseller-Autor Kevin Hearne hatte sichtlich Spaß am Schreiben dieses urkomischen Science-Fiction-Romans, der voller schwarzem Humor steckt und sich selbst nie zu ernst nimmt. »Hearnes fesselnder, mitreißender Alien-Entführungsroman ist sowohl unterhaltsam als auch zum Nachdenken anregend.« Publishers Weekly

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Seitenzahl: 189

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Kevin Hearne

Do not eat!

Wie ein T-Shirt mich vor Aliens bewahrte

Aus dem amerikanischen Englisch von Urban Hofstetter

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Alien Snack-Attack!

Sechs Wissenschaftler – ein Plan: nicht auf der Speisekarte der Aliens enden

Wie scheiße kann ein Tag werden? Erst muss Physiker Clint Beecham mit ansehen, wie sein bester Freund von Aliens gefressen wird, dann wird er selbst auf deren Raumschiff verschleppt. Immerhin steckt man ihn zur Sicherheit in ein T-Shirt mit der Aufschrift »Do not eat!« – denn Clint und fünf weitere Wissenschaftler sollen für etwas Besonderes aufgespart werden. Während die Aliens mit Reiseproviant in Form von 50.000 Gefangenen ihren Heimatplaneten ansteuern, um dort vom All-you-can-eat-Buffet namens Erde zu schwärmen, wird den Wissenschaftlern eines klar: Es ist höchste Zeit, E.T. so richtig in den Arsch zu treten!

In der bitterbösen Science-Fiction-Komödie Do not eat! von Kevin Hearne stehen Alien-Entführungen, interstellare Reisen durchs Weltall und natürlich nichts weniger als die Rettung der Menschheit auf dem Plan. Schwarzer Humor garantiert!

 

Lust auf mehr?

Von Kevin Hearne ist ebenfalls die epische Fantasyreihe »Fintans Sage« erschienen:

Das Spiel des Barden. Fintan Sage 1

Der Ruf des Kriegers. Fintan Sage 2

Inhaltsübersicht

Tag 2, Labor Day, 5. September 2022

Tag 3, 6. September. Ich glaube, sie lügen

Meine hübsche graue Zelle

Tag 3, immer noch, aber später.Dezentrale Nervensysteme

Die geheimnisvolle Kiste

Jeder Name zählt

Dereks logischer Umkehrschluss

Die Treppe zur Hölle

Emily TV

Mob-Mentalität

Die Verarbeitung

Von der Reserveliste gestrichen

Der Plan

Janelle

Haltet die Tür!

Captain Emily

Was mit Oscar geschah

Leseprobe »Das Spiel des Barden«

Tag 2, Labor Day, 5. September 2022

Sie haben mich gestern entführt, und ich bin mir nicht sicher, wie genau meine Zeitmessung ist. Die Schiffstage unterscheiden sich bestimmt von den Erdtagen – sie verwenden nicht einmal die gleichen Zeiteinheiten wie wir und haben auch keinen Planeten, der sich innerhalb von vierundzwanzig Stunden einmal um die eigene Achse dreht. Außerdem wird die Zeitdilatation zunehmen, während wir uns der Lichtgeschwindigkeit annähern. Daher spielt es wahrscheinlich keine Rolle, welcher Wochentag gerade ist. Über das Datum kann ich mir wieder Gedanken machen, wenn ich es je zur Erde zurückschaffe.

Hier ist eine Liste der Dinge, über die ich mir derzeit stattdessen Sorgen mache:

Sondenuntersuchungen und ...

Äh, das ist eigentlich schon alles. Nur Sondenuntersuchungen.

Emily hat versprochen, dass sie mich nicht fressen werden, und damit fürchte ich mich im Augenblick bloß vor:

Sondenuntersuchungen

Vor allem weil ich Emily auf das Thema angesprochen habe und sie mir bezeichnenderweise auf meine direkten Fragen eine ganze Reihe ausweichender Antworten gegeben hat.

ICH: Werdet ihr mich mit Sonden untersuchen?

EMILY: Unsinn! Was ist das denn für eine Frage?

ICH: Entführungen durch Aliens sind bei uns fast so was wie ein eigenständiges Genre. Und in diesen Geschichten führen die Aliens immer ohne jeden Grund Sondenuntersuchungen an den Menschen durch. Erst ertönt ein schmatzendes Geräusch, dann gibt es jede Menge Geschrei, und wir bekommen Albträume davon. Ich glaube, man kann sagen, dass unsere Spezies eine Urangst davor hat, von anderen intelligenten Lebensformen mit Sonden untersucht zu werden. Schlimmer finden wir nur noch die Vorstellung, von anderen Lebensformen gegessen zu werden, aber du hast mir ja versprochen, dass ihr mich nicht essen werdet.

EMILY: Ja, wir haben beschlossen, dich am Leben zu lassen. Das freut dich doch, oder? Wir haben dir diese schönen Sachen angezogen, auf denen hinten und vorn in unserer Sprache DO NOT EAT – ESSEN VERBOTEN steht.

ICH: Das freut mich sehr. Das ist mein Ernst, danke! Und die Klamotten gefallen mir. Aber kannst du mir auch versprechen, dass ihr mich nicht mit Sonden untersuchen werdet?

EMILY: Ich weiß nicht einmal genau, was das für Untersuchungen sein sollen, und irgendwie habe ich jetzt die Befürchtung, dass wir nicht deinen Erwartungen genügen. Was verursacht dieses schmatzende Geräusch?

ICH: Moment mal. Du weißt ganz genau, was Sondenuntersuchungen sind. Ich weiß, dass ihr meine Sprache fließend sprecht, und ich will von dir hören, dass ihr mir keine Sonde einführt.

EMILY: Weißt du was, Clint, das klingt wirklich wichtig, und ich will nichts falsch machen, nur weil ich etwas nicht ganz genau verstehe. Darauf kommen wir später noch mal zurück.

ICH: Was? Nein, Emily, es gibt nichts, was man an einer Sondenuntersuchung missverstehen könnte!

EMILY: Bis nachher.

Verdammt! Sie werden mich mit Sonden untersuchen.

Ich kann keine Notizen auf meinem Handy machen, da sie es mir weggenommen haben. Aber es war ohnehin leer, und auf dem Schiff gibt es keine kompatiblen Ladegeräte. Dafür hat Emily mir einen Stapel Notizbücher und Stifte gegeben, die sie irgendwo geklaut haben. Sie hat gesagt, dass ich alles aufschreiben soll, was mir durch den Kopf geht. Ich glaube nicht, dass sie meine Privatsphäre respektieren werden, also: Hallo, Emily, oder wer immer von euch das hier liest. Vielen Dank, dass ihr mich nicht esst. Das weiß ich wirklich zu schätzen.

Aber ich will aufschreiben, wie ich hierhergekommen bin, bevor mein Terminplan mit Sondenuntersuchungen gefüllt ist und ich mich nicht mehr daran erinnere, weil sie mir das Gehirn entfernt haben.

Derek und ich waren gerade zum ersten Mal seit dem Ende der Pandemie im Rocky Mountain National Park wandern. Auf dem Bierstadt Trail stießen wir auf zwei Mädchen, die aussahen, als wären sie keine zehn Jahre alt. Sie waren ohne erwachsene Aufsichtspersonen unterwegs. Zumindest konnten wir auf dem Pfad hinter ihnen niemanden entdecken, und uns war auch keiner entgegengekommen.

Eine von ihnen war weiß. Sie trug ein T-Shirt mit einem rosafarbenen Einhorn darauf. Die Baseballkappe auf ihren langen blonden Haaren und ihre Jeans waren ebenfalls pink. Das andere Mädchen war nicht weiß. Auf ihren glatten dunklen Haaren saß eine schwarze Kappe der Colorado Rockies. Mit den beiden stimmte etwas nicht – ihre Augen waren ein bisschen zu groß.

Das Einhornmädchen deutete auf uns. »Schau mal, da sind zwei. Kann ich einen von ihnen haben?«

»Vielleicht«, sagte ihre Begleiterin. Sie betrachtete den Pfad hinter uns und warf einen kurzen Blick über die Schulter, bevor sie uns ansprach: »Hallo.«

»Hallo«, erwiderten wir, und ich fragte: »Wo sind denn eure Eltern?«

Das Einhornmädchen schaute ihre Freundin an. »Wieso fragt er uns nach unseren Eltern?«

»Das ist mir schon ein paarmal passiert. Wir wirken wie Kinder auf sie, und das weckt ihre Beschützerinstinkte.«

Das Einhornmädchen sah verblüfft aus. »Das ist ja eine ziemlich eklatante Fehleinschätzung.«

»Es ist vor allem eine glückliche Fügung. Wir kommen ihnen nicht bedrohlich vor. Sie sind in unserer Gegenwart nicht vorsichtig und machen sich weder zum Kampf noch zur Flucht bereit. Siehst du? Sie stehen einfach nur dumm rum.«

Das erste Mädchen schaute uns erneut an, um zu überprüfen, ob diese Aussage stimmte. »Hmm. Du scheinst recht zu haben.«

Die Art, wie die beiden miteinander sprachen, war mir sofort unheimlich, und ich zupfte an Dereks Ärmel, um ihn zum Weitergehen zu bewegen. Doch entweder spürte er die schlechten Vibes der beiden nicht, oder es war ihm egal, denn er fragte: »Habt ihr euch verlaufen? Wo wolltet ihr denn hin?«

»Genau hierher«, erwiderte das Einhornmädchen. »Jetzt ist meine Essenszeit. Welchen soll ich nehmen, Emily? Kann man von außen erkennen, wer von ihnen besser schmeckt?«

»Reiß dich zusammen und hab etwas Geduld«, sagte Emily mit leicht vorwurfsvoller Miene. Dann drehte sie sich zu uns um und bedachte uns mit einem Lächeln, das vermutlich charmant und beruhigend wirken sollte, aber es sah so aus, als hätte sie mehrere Zahnreihen im Mund. »Hat einer von euch einen Universitätsabschluss?«

»Ja, wir beide«, antwortete Derek. »Geht es dir gut? Was ist mit deinen Zähnen passiert?«

Emily ignorierte die Gegenfrage und hakte nach. »In welchen Fächern?«

»Anglistik«, sagte Derek.

Emilys zu große Augen verengten sich, und ihr Lächeln verblasste. »Verstehe. Und du?«

»Physik«, sagte ich.

Ihre vielen Zähne blitzten erneut auf. »Ah! Physik! In deinem Wissen klaffen vermutlich peinliche Lücken, aber damit können wir etwas anfangen.« Sie drehte sich zum Einhornmädchen um und deutete mit einer wegwerfenden Handbewegung auf Derek. »Du kannst den Anglisten haben, Janelle.«

»Hey, was?«, fragte Derek.

»Ja! Endlich!« Janelle nahm die Kappe mitsamt ihren Haaren ab. Das ganze Ding war eine Perücke gewesen, und darunter verbarg sich …

 

O SCHEISSE …

Tag 3, 6. September. Ich glaube, sie lügen

Gestern hat Emily mich auf die schlimmstmögliche Weise unterbrochen. Während ich gerade schrieb, betrat sie den kleinen Raum, in dem man mich untergebracht hat. Sie entblößte die spitzen Zähne zu diesem Lächeln, das sie für gewinnend und unschuldig hält, bei dessen Anblick mir jedoch immer ein kalter Schauder über den Rücken läuft. »Sag mal, Clint, wie wäre es, wenn wir dir versprechen, dass es keine schmatzenden Geräusche und damit auch keinen Grund zum Schreien gibt? Wir werden ganz sanft sein. Wäre das in Ordnung für dich?«

»Nein! Das wäre überhaupt nicht in Ordnung! Ich will nicht untersucht werden!«

»Aber ich habe dich so verstanden, dass ihr vor allem vor dem Schmatzen Angst habt. Stimmt das etwa nicht?«

»Doch, aber mir geht es nicht um irgendwelche Kompromisse, was das Geräusch anbelangt. Es ist nicht die Methode, die uns so erschüttert, sondern die Untersuchung an sich. Die Gewaltanwendung.«

»Wir wollen dir keine Gewalt antun. Wir werden uns nur mit dir unterhalten und dabei deine Gehirnaktivitäten aufzeichnen.«

»Sprechen wir von einer passiven Überwachung, oder wollt ihr irgendetwas mit meinem Gehirn anstellen?«

»Nein, gar nicht. Das Gerät funktioniert wie ein Elektroenzephalograf. Sagt dir das was?«

»Ja.«

»Großartig! Dann musst du dir ja keine Sorgen mehr machen.«

»Na ja, ihr habt mich entführt, und ich befinde mich auf einem Schiff voller Aliens, denen man extra sagen muss, dass sie mich nicht essen sollen, wenn sie mich sehen. Das finde ich schon ziemlich besorgniserregend.«

»Ach, Clint. Sei doch nicht albern. Ich kann dir versichern, dass du absolut sicher bist.«

»Und wenn ich mich weigere?«

»Dann muss ich dich leider zu ›Nahrung‹ umetikettieren.«

»Ist das dein Ernst?«

»Ich mache nur Spaß! Ha, ha. Aber nicht die Zusammenarbeit verweigern, okay?« Sie hatte wirklich mehrere Zahnreihen im Mund. In meinem Hals bildete sich ein harter Kloß.

»Okay.«

»Danke. Komm mit.«

Sie führte mich hinaus und ging nach links in einen dunkelgrauen Flur, der aus demselben allgegenwärtigen Verbundmaterial bestand wie meine Unterkunft. Die gesamte Inneneinrichtung war zweifellos auf die Bedürfnisse der Aliens abgestimmt, hätte aber auch für Menschen geschaffen worden sein können.

Nachdem wir ein paarmal abgebogen waren, gelangten wir in einen Raum, in dem sich mehrere Leute mit weißen Laborkitteln und Baseballkappen aufhielten. Auf den ersten Blick wirkten sie wie menschliche Erwachsene, doch auch sie hatten zu große Augen und auffällig spitze Zähne. Da stand ein Sitzmöbel, das wie ein Zahnarztstuhl aussah, außerdem waren da einige Gerätschaften, die medizinischen Zwecken zu dienen schienen.

»Mach dich bitte frei«, sagte Emily.

»Ich soll mich ausziehen? Wozu das denn? Du hast doch gesagt, dass ihr nur meine Gehirnströme überwachen wollt.«

»Dann haben wir es leichter, falls weiterführende Tests nötig sind. Zieh die Sachen aus.«

»Aber ich mag sie. Vor allem weil hinten und vorn ESSEN VERBOTEN draufsteht.«

»Nun, da kann ich dich beruhigen. Hört mal alle her, das ist Clint. Ich will, dass ihr ihm feierlich schwört, ihn nicht zu essen, damit wir in kooperativer Atmosphäre weitermachen können.«

Eine Außerirdische, die wie eine Lateinamerikanerin aussah, stellte sich als Maria vor und versprach, mich nicht zu essen.

Ein Mann, der so schwarz war wie ich, sagte, sein Name sei Antoine und dass er in den nächsten Tagen keinen Hunger haben würde.

Der dritte nannte sich Achmed und schien arabischer Herkunft zu sein. Er schwor ebenfalls, mich nicht zu essen.

Sie wirkten zwar ganz normal, doch ich wusste, was sich unter ihren Kappen verbarg und dass sie sich von Menschen ernährten.

»Vielen Dank euch allen!«, sagte Emily. »Zieh dich aus, Clint.«

Ich traute ihnen nicht über den Weg, hielt es aber für minimal sicherer, bei ihrem Spiel mitzumachen, als mich zu weigern und als Nahrung gekennzeichnet zu werden. Also entkleidete ich mich und nahm auf dem Stuhl Platz. Maria und Achmed begannen, Sensoren an meinem Kopf zu befestigen, während Antoine und Emily ein wenig abseits standen und auf ihre Tablets schauten. Da sie sich nicht voller Schadenfreude die Hände rieben, würde es vielleicht doch gar nicht so schlimm werden.

Ich sah Maria und Achmed an. »Darf ich euch etwas fragen?«

»Na klar«, erwiderte Achmed, während er mir einen Sensor an die Schläfe klebte. »Schieß los.«

»Wir sind auf dem Weg zu eurem Heimatplaneten, richtig? Also jetzt, in diesem Moment.«

»Das stimmt.«

»Da sich die Schwerkraft an Bord ziemlich normal anfühlt, erzeugt ihr sie entweder künstlich oder wir beschleunigen konstant mit einem G.«

»Richtig. Letzteres stimmt. Oder ist zumindest ganz nahe dran. Die Gravitation auf unserem Planeten beträgt 89 Prozent von eurer. Wir beschleunigen also mit etwas weniger als einem G.«

»Okay, und weshalb habt ihr immer noch eure menschlichen Gestalten? Wieso haltet ihr diese Illusion aufrecht?«

Darauf antwortete Maria: »Euretwegen. Wir haben herausgefunden, dass unsere natürliche Gestalt den Menschen Angst macht, und das wäre kontraproduktiv. Schau mal, wie kooperativ du dich verhältst. So ist es für uns alle am besten.«

Achmed schnaubte. »Das stimmt. Stell dir nur mal vor, wie sie im Proviantlager ausflippen würden, wenn wir nicht …«

»Achmed«, fiel Emily ihm ins Wort. »Sei nicht so unhöflich zu unserem Gast.«

»Entschuldige, Emily«, entgegnete er verlegen.

»Proviantlager?«, fragte ich.

»Er hat nicht von dir gesprochen, Clint! Keine Sorge!«

»Wer seid ihr überhaupt? Während der Entführung war ich so sehr damit beschäftigt, nicht zu sterben, dass wir uns noch gar nicht richtig vorgestellt haben. Ich kenne die menschlichen Namen, die ihr euch gegeben habt – übrigens, Hut ab, ihr habt euch wirklich ein paar sehr unauffällige ausgesucht –, aber darf ich erfahren, wer ihr wirklich seid? Auf was für einer Mission befindet ihr euch eigentlich?«

»Natürlich darfst du«, sagte Emily, während Maria und Achmed ihre Arbeit beendeten und von mir wegtraten, um die Anzeigen auf einer Instrumentenkonsole zu überprüfen.

»Wir müssen einen Testlauf machen«, verkündete Maria.

»Ich werde dir alle Fragen beantworten, Clint«, erklärte Emily, »aber bevor wir zu den wirklich spannenden Themen kommen, wird Antoine dich erst noch ein paar langweilige Sachen fragen, okay?«

»Okay.« So funktionierten auch Lügendetektortests. Damit kam es mir zwar nicht normal, aber immerhin vertraut vor. Ich war mir ohnehin ziemlich sicher, dass ich eine ganze Weile lang keinen normalen Tag mehr erleben würde – vielleicht nie wieder.

Sie fragten mich nach meinem Geburtsort, meiner Lieblingsfarbe, dem Mädchennamen meiner Mutter und so weiter, bis Maria schließlich verkündete, dass sie nun alles Nötige habe.

»Wunderbar«, sagte Emily. »Dann werde ich jetzt deine Frage beantworten, Clint. Wir stammen aus einem Sonnensystem, das rund achthundert Lichtjahre von der Erde entfernt ist. In ein paar Tausend Jahren wird unsere Sonne ihren Wasserstoff aufgebraucht haben und anfangen, sich auszudehnen. Da das Verfallsdatum unseres Heimatplaneten unerbittlich näher rückt, halten wir nach einem neuen Wohnort Ausschau. Unser Schiff ist Teil einer groß angelegten Langstreckenerkundungsmission, und zum Glück hat euer Planet vor ungefähr hundert Jahren damit begonnen, Funksignale zu senden. Als wir sie abfingen, waren wir gerade zu einem nahe gelegenen Sonnensystem unterwegs, das eure Astronomen Trappist nennen. Wir haben fix den Kurs geändert, um euren Übertragungen nachzugehen. Und jetzt sind wir kurz davor, unsere Mission erfolgreich abzuschließen: Die Erde ist ein bewohnbarer Planet mit einer sehr ergiebigen Nahrungsquelle, und eure Sonne wird sich erst in fünf Billionen Jahren ausdehnen.«

»Interessante Resultate«, murmelte Maria, die auf ihre Instrumente starrte. »Sein Gehirn schüttet große Mengen körpereigener Chemikalien aus.«

»Dann werdet ihr uns also kolonisieren?«, fragte ich.

»Ja!« Emily zeigte triumphierend auf mich und machte eine Siegerfaust. »Deswegen habe ich dich in die Reserve gesteckt, Clint! Du bist wirklich schlau. Sag, habe ich die Faust richtig eingesetzt? Diese menschlichen Gesten sind ungeheuer faszinierend, aber es ist wichtig, dass man sie im richtigen Kontext verwendet.«

»Ja«, flüsterte ich. Das Timing ihrer in die Luft gereckten Faust war mir völlig schnuppe. Meine Atmung ging schneller, und ich versuchte, mich mit ein paar physikalischen Berechnungen abzulenken. »Wir beschleunigen mit knapp einem G. Werden wir das bis zur Hälfte des Wegs tun und dann mit der gleichen Kraft abbremsen?«

»Ja. Wir haben eure Science-Fiction-Serien angeschaut – wobei wir offensichtlich die Folgen mit den Sondenuntersuchungen verpasst haben. Und wir finden sie echt super, aber wir haben keine schicken Wurmlöcher oder Tore zwischen den Sternen. Wir sind lediglich imstande, langfristig zu denken. Und die Probleme mit der Raketentechnik und dem Treibstoff, die eure Wissenschaftler für unüberwindlich halten, sind in Wahrheit kein großes Problem.«

»Ich würde gern erfahren, wie ihr das gemacht habt. Trotzdem werden wir bei konstanter Beschleunigung jahrhundertelang unterwegs sein. Für diese Strecke werden wir ungefähr achthundert Jahre brauchen.«

»Nicht schlecht, Clint! Aber für uns werden wegen der Zeitdilatation subjektiv nur acht Jahre vergehen.«

»Wie dem auch sei … acht Jahre mit konstantem Vortrieb und einem selbsterhaltenden System? Dafür brauchte man enorme Ressourcen.«

»Dann ist es ja gut, dass wir die haben, nicht wahr?«

Ich hatte immer noch keine Ahnung, wie groß dieses Schiff eigentlich war. Als man mich von der Erde fortgeschafft hatte, war mir bloß ein Blick auf das Shuttle vergönnt gewesen, aber nicht auf dieses Mutterschiff. Und seit ich an Bord war, hatte ich nur einen kleinen Teil davon gesehen: meine Unterkunft und das Labor. Aber vielleicht konnte ich mir ja auch auf andere Weise eine Vorstellung von seiner Größe verschaffen. »Erzählt mir von eurem Proviantlager«, sagte ich.

Emily riss überrascht die Augen auf und warf Achmed einen finsteren Blick zu. »Siehst du? Er hat mitbekommen, was du gesagt hast. Und jetzt reitet er darauf herum.«

»Es tut mir wirklich sehr leid«, entschuldigte er sich abermals.

Murrend wandte Emily sich wieder mir zu. »Du hast doch gesehen, was Janelle mit Derek gemacht hat. Dir ist also sicher klar, dass die Menschen für uns so etwas sind wie für euch die Hühner. Willst du es wirklich wissen?«

»Ja, unbedingt.«

Sie zuckte die Achseln und tippte etwas in ihr Tablet ein. »Okay, dann zeige ich dir die Käfige. Die Verarbeitung musst du nicht sehen.« Sie trat vor und drehte das Tablet um, sodass ich einen Blick auf das Display werfen konnte. Es zeigte die Weitwinkelaufnahme eines riesigen Raums mit grauen Wänden. Er war mit lauter nackten und relativ jungen erwachsenen Menschen vollgepackt. Da ich immer noch von der Pandemie geprägt war, dachte ich bei ihrem Anblick sofort an die Ansteckungsgefahr, doch dann wurde mir bewusst, dass Viren gerade ihre geringste Sorge waren. Alle paar Sekunden tippte Emily auf das Tablet, um weitere Bilder dieser Art aufzurufen.

»Mein Gott«, hauchte ich. »Die sind alle an Bord? Wie viele sind das denn?«

»Fünfzigtausend gesunde Menschen, die wir überall auf dem Planeten geerntet haben. Sie befinden sich ein paar Decks unter uns.«

Bei der Vorstellung, dass wir geerntet worden waren, lief mir ein Schauder über den Rücken. »Ihr habt genügend Proviant, um fünfzigtausend Menschen und wie viele auch immer ihr seid acht Jahre lang zu versorgen?«

»Nein, für die Menschen haben wir nur Nahrung für ein paar Wochen an Bord. So lange brauchen wir, um sie alle zu schlachten und einzufrieren. Und dann werden wir uns acht Jahre lang von ihnen ernähren.«

»O Gott. Ihr Monster.«

»Na, na, Clint, nicht pampig werden. Ein bisschen mehr Verständnis erwarte ich schon von dir. Ich bin mir sicher, dass die Tiere auf der Erde die Menschen auch für Monster halten. Du kannst uns doch nicht vorwerfen, dass wir weiter oben in der Nahrungskette stehen als ihr.« Sie drehte sich zu Achmed um. »Ich glaube, er ist so weit.«

»Richtig.« Achmed trat vor und streckte eine Hand nach meinem Schoß aus. Als ich sah, dass er eine Metallklammer hielt, an der ein Draht befestigt war, wollte ich mich instinktiv bedecken. Dabei stellte ich fest, dass ich die Arme nicht von den Lehnen lösen konnte und meine Beine ebenfalls erschlafft waren. Obwohl ich nirgends Fesseln sah, konnte ich mich nicht bewegen.

»Was ist das? Was macht ihr? Nein!«

Achmed befestigte die Klammer an einer sehr empfindlichen Stelle, an der ich auf keinen Fall einen Stromstoß erhalten wollte.

»Au! Emily. Du hast doch gesagt, ihr würdet mir keine Gewalt antun.«

Die Außerirdische in Kindergestalt warf den Kopf in den Nacken und lachte. Dabei sah ich zum ersten Mal all ihre Zähne. Es waren oben und unten jeweils drei Reihen.

Ich werde nicht darauf eingehen, was danach passiert ist. Diese Arschlöcher haben mich tatsächlich mit Sonden untersucht.

* * *

Was mit Derek geschehen ist, muss ich mir allerdings noch von der Seele schreiben. Beim letzten Mal bin ich dabei unterbrochen worden.

* * *

Das Einhornmädchen – Janelle – war offenkundig gar kein Mädchen. Als sie Kappe und Perücke abnahm, stieß sie einen Laut aus, der kein Schrei, sondern eher ein hohes Kreischen war, dessen Frequenz fast im Ultraschallbereich lag. Wie einer dieser absichtlich nervenden Alarmtöne, die kein Mensch mit seinen Stimmbändern erzeugen kann.

Und unter der Kappe kam auch kein schöner kahler Kopf zum Vorschein. Der Schädel hatte nicht einmal die gleiche Farbe wie ihre übrige Haut: Er war grau und mit ausfahrbaren Stacheln übersät, die jeweils etwa so dick wie ein Koaxialkabel waren. Als sie Derek mit Anlauf in die Arme sprang, als wäre er ihr Lieblingsonkel, der sie gerade vom Flughafen abholte, stach sie ihm mit diesen Mistdingern mehrfach ins Gesicht.

»Ach du Scheiße!«, sagte er und trat mit dem vermeintlichen Mädchen in den Armen zwei Schritte nach hinten. Im nächsten Moment verkrampften sich all seine Muskeln, da diese Stacheln ein lähmendes Gift enthielten. Er fiel wie ein Kantholz rückwärts um. Er war immer noch bei Bewusstsein und schrie, als Janelle sperrangelweit den Mund aufriss und die Zähne in seiner Brust vergrub.

»Was zum Teufel …? Geh von ihm runter!« Ich holte mit dem Fuß aus, um sie zu treten, doch Emily rang mich zu Boden. Sie war viel schwerer und stärker, als sie aussah.

»Nie beim Essen stören, du Dummerchen.« Sie setzte sich auf meiner Brust auf und nahm ebenfalls ihre Kappe mitsamt den Haaren ab. Ich schlug nach ihrer Schläfe, doch sie packte meine Faust und hielt sie mühelos fest. »Wir reden später weiter.« Ihre grauen Stacheln peitschten auf meine Wangen herab und steckten meine Nervenenden in Brand. Kurz darauf war ich bewegungsunfähig. Doch ich konnte immer noch einwandfrei sehen.

Als Emily sich von mir herunterwälzte, blickte ich zu den Espen hinauf. Ich hätte das sanfte Flüstern des Windes in ihren Wipfeln wesentlich mehr genossen, wenn ich nicht gleichzeitig hätte mit anhören müssen, wie Janelle direkt neben mir Derek fraß. Seine Schreie waren schwach und abgehackt, und irgendwann verstummte er. Doch das Kauen und Schlucken nahm kein Ende.