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Zweitausend Jahre lang war Atticus O'Sullivan der einzige Druide auf der Erde – da taucht plötzlich sein verschollener alter Lehrmeister auf. Auch Atticus' Schülerin Granuaile hat Ärger mit ihrem Vater – der Geist eines Hexers hat Besitz von ihm ergriffen. Seit Äonen war Atticus O'Sullivans alter Lehrmeister auf einer Zeitinsel gefangen, bis er von Atticus entdeckt wird. Owen Kennedy, wie der Erzdruide umgetauft wird, muss viele Sachen neu lernen, darunter die englische Sprache und den Umgang mit Handys. Atticus plagen unterdessen ganz andere Probleme: Für ihn ist unklar, ob Owen eine Hilfe sein wird – oder bloß ein Klotz am Bein. Im Kampf gegen seuchenverbreitende Dämonen, speckfressende Yetis, bösartige Flugfüchsen und verrückte Feen können Atticus, Granuaile und Owen nur hoffen, dass aller guten Dinge drei sind.
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Seitenzahl: 625
Kevin Hearne
Erschüttert
DIE CHRONIK DES EISERNEN DRUIDEN 7
Aus dem Amerikanischen von Friedrich Mader
Klett-Cotta
Die für die Handlung wichtigsten Götternamen sind in VERSALIEN gesetzt.
Von der 4. Auflage an enthält dieser Band die Zusatzgeschichten »Vorspiel zum Krieg« und »Das Buch der fünf Fleischsorten«.
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Hobbit Presse
www.hobbitpresse.de
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Shattered. The Iron Druid Chronicles«
im Verlag Ballantine Books, New York
© 2015 by Kevin Hearne
Für die deutsche Ausgabe
© 2017 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Cover: Birgit Gitschier, Augsburg
unter Verwendung der Illustration des Originalverlags © Gene Mollica
Datenkonvertierung: Dörlemann Satz, Lemförde
Printausgabe: ISBN 978-3-608-96170-6
E-Book: ISBN 978-3-608-10895-8
Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.
Für Nicole Peeler und Jaye Wells,
die ursprünglichen Laser Vaginas,
und für alle Ehrenmitglieder der Band.
Pew! Pew! Pew!
Atticus O’Sullivan, im Jahr 83 vor Christus als Siodhachan Ó Suileabháin geboren, war einen Großteil seines Lebens als Druide auf der Flucht vor AENGHUS ÓG, einem Gott aus den Reihen der TUATHA DÉ DANANN. AENGHUS ÓG wollte Fragarach zurückhaben, ein magisches Schwert, das Atticus im zweiten Jahrhundert gestohlen hatte, und die Tatsache, dass Atticus gelernt hatte, dauerhaft jung zu bleiben, und einfach nicht sterben wollte, war ihm ein Dorn im Auge.
Als AENGHUS ÓG Atticus in seinem Versteck in Tempe, Arizona, aufspürt, entschließt sich Atticus zum Kampf, statt weiter zu fliehen. Mit dieser schicksalhaften Entscheidung löst er ohne sein Wissen eine Kettenreaktion von Ereignissen aus, die über ihn hereinbrechen wie eine Lawine.
In Gehetzt gewinnt er in Granuaile eine Schülerin, gelangt in den Besitz einer Halskette, die der indischen Hexe Laksha Kulasekaran als Zufluchtsort für ihren Geist dient, und entdeckt, dass ihn seine Eisenaura vor dem Höllenfeuer schützt. Mit Unterstützung der MORRIGAN, BRIGHIDS und des örtlichen Werwolfrudels besiegt er AENGHUS ÓG. Dabei fügt er jedoch einem Hexenzirkel Schaden zu, der den Einzugsbereich von Phoenix bisher vor gefährlicheren Bedrohungen schützte.
Mit den Folgen sieht sich Atticus im zweiten Band Verhext konfrontiert, als ein rivalisierender und weitaus tödlicherer Zirkel den Schwestern der Drei Auroras ihr Territorium streitig macht und eine Gruppe von Bacchantinnen in Scottsdale Fuß zu fassen versucht. Atticus trifft Vereinbarungen mit Laksha Kulasekaran und dem Vampir Leif Helgarson, damit sie ihm helfen, die Stadt von diesen Bedrohungen zu befreien.
Im dritten Band Gehämmert muss Atticus seine Versprechen einlösen. Sowohl Laksha als auch Leif verlangen, dass Atticus nach Asgard zieht und den ASEN in ihren Methallen die Stirn bietet. Mit einem handverlesenen Team von Recken fällt Atticus zweimal in Asgard ein, obwohl ihn die MORRIGAN und JESUS warnen, dass das keine gute Idee ist und er stattdessen lieber sein Wort brechen sollte. Es kommt zu einem epischen Blutbad mit großen Verlusten aufseiten der ASEN: unter anderem sterben die NORNEN und THOR, und ODIN wird schwer verwundet. Der Tod der NORNEN, die einen Aspekt des Schicksals darstellen, führt dazu, dass die alten Prophezeiungen über den Endkampf Ragnarök nicht mehr zutreffen und dass die Unterweltgottheiten HEL und LOKI sich ohne große Gegenwehr der ASEN an ihr finsteres Werk machen können. Allerdings wird Atticus bei einem seltsamen Zusammentreffen mit dem finnischen Helden Väinämöinen auch an eine andere Prophezeiung erinnert – die der Sirenen an Odysseus. Von nun an treibt ihn die Sorge um, dass es vielleicht nur noch dreizehn Jahre dauern könnte, bis die Welt bei einem alternativen Ragnarök in Flammen aufgeht.
Weil ihm die Konsequenzen seines leichtfertigen Handelns immer stärker auf den Nägeln brennen und er zudem für die Ausbildung seiner Schülerin Zeit braucht, täuscht Atticus im vierten Band Getrickst mithilfe von COYOTE seinen Tod vor. Tatsächlich taucht HEL auf, die Atticus für die dunkle Seite zu gewinnen hofft, nachdem er so viele ASEN getötet hat. Atticus weist ihr Angebot schroff zurück. Später wird er von Leif Helgarson verraten und entrinnt nur knapp dem Mordanschlag eines alten Vampirs namens Zdenik. Dennoch endet das Buch mit der Hoffnung, dass Atticus seine Schülerin Granuaile ungestört ausbilden kann.
In der Erzählung »Zwei Raben und eine Krähe« erwacht ODIN aus seinem langen Genesungsschlaf und geht eine Art Waffenstillstand mit Atticus ein, unter der Bedingung, dass der Druide THORS Rolle im Endkampf Ragnarök übernimmt, falls es dazu kommt – und sich bis dahin vielleicht noch um ein paar weitere Details kümmert.
Im fünften Band Erwischt ist Granuaile nach zwölf Jahren Ausbildung bereit für ihre Bindung an die Erde, doch es hat den Anschein, als hätten die Feinde des Druiden nur auf sein Wiedererscheinen gewartet. Atticus muss sich mit Vampiren, Dunkelelfen, Feenwesen und dem römischen Gott BACCHUS herumschlagen. Vor allem Letzteres weckt die Aufmerksamkeit eines der ältesten und mächtigsten Pantheons der Welt.
Sobald Granuaile eine vollwertige Druidin ist, muss Atticus mit ihr durch ganz Europa fliehen, um den Pfeilen von DIANA und ARTEMIS zu entrinnen, die ihm übelnehmen, wie er BACCHUS und die Dryaden am Olymp im fünften Buch behandelt hat. Damit Atticus, der im sechsten Buch Gejagt wird, einen Vorsprung bekommt, opfert die MORRIGAN ihr Leben. Rennend und kämpfend entzieht er sich einem koordinierten Mordkomplott und gelangt nach England, wo er sich die Hilfe von Herne dem Jäger und von FLIDAIS, der irischen Jagdgöttin, sichert. Dort gelingt es Atticus, die OLYMPIER zu besiegen und mit ihnen ein fragiles Bündnis gegen HEL und LOKI auszuhandeln. Am Ende des Buches entdeckt er, dass sein Erzdruide in Tír na nÓg auf einer Zeitinsel gefangen ist. Als er ihn befreit, ist die Laune seines alten Lehrers so schlecht wie eh und je.
Außerdem kommen im Verlauf der Handlung gelegentlich auch Pudeldamen und Würste zur Sprache.
Nur wenige Dinge wecken so schnell alte Erinnerungen wie Autoritätspersonen aus unserer Jugend. Damit will ich nicht behaupten, dass das unbedingt schöne Erinnerungen sind; sie sind einfach da und werfen uns gern zurück in Rollen, die wir eigentlich schon längst hinter uns gelassen haben sollten. Manchmal sind diese Erinnerungen glücklich und bieten uns Geborgenheit wie die Liebe einer Mutter. Häufiger allerdings haben sie die Schärfe von Rauhreif, die zuerst beißt, dann betäubt und schließlich als eisige Kälte tief in die Knochen kriecht.
Der alte Mann, der sich vor meinen Augen in eine sitzende Position aufrichtete, weckte nur wenige Erinnerungen der glücklichen Art in mir. Bei aller Intelligenz und magischen Begabung hatte sich mein Erzdruide meistens durch Grobheit hervorgetan und in seinem Leben nur wenige Freunde gewonnen – einem Leben, dessen Ende nach meiner bisherigen Überzeugung schon Jahrtausende zurücklag. Nachdem er mich noch vor der christlichen Zeitrechnung an die Erde gebunden hatte, waren wir uns nur noch zweimal begegnet und dann getrennte Wege gegangen, und ich hatte immer angenommen, dass er wie fast alle, die ich aus meiner Jugend kannte, gestorben war. Doch aus mir unbekannten Gründen hatte ihn die MORRIGAN in Tír na nÓg konserviert und ihm damit eine Zeitreise zugemutet, der er sich jetzt stellen musste – und zwar, wie ich hinzufügen darf, mit Speckbröseln und Speicheltropfen an den Rändern seiner zerfurchten Lippen.
Ich hoffe, dass es noch Speck geben wird, falls ich einmal zweitausend Jahre in die Zukunft reise.
Mit einer Art permanent verschleimtem Knurren bellte er mir auf Altirisch eine Frage entgegen. Er musste schnell Englisch lernen, wenn er auch mit anderen Leuten außer den TUATHA DÉ DANANN und mir sprechen wollte. »Wie lang war ich auf dieser Insel, Siodhachan? Schaust ja noch immer ziemlich jung aus. Können nicht mehr als drei oder vier Jahre gewesen sein, nach deinem Äußern zu urteilen.«
Da stand ihm eine große Überraschung bevor. »Das verrate ich dir im Austausch gegen etwas, das ich gerne wüsste: deinen Namen.«
»Meinen Namen?«
»Ich hab dich immer bloß Erzdruide genannt.«
»Und das war auch richtig so, du kleiner Kacker. Aber jetzt, wo du ein bisschen älter und ein echter Druide bist, kann ich’s dir ja sagen. Ich heiße Eoghan Ó Cinnéide.«
Ich grinste. »Ha! Anglisiert ist das Owen Kennedy. Das passt wunderbar. Ich rufe Hal an, dann kriegst du Papiere auf diesen Namen.«
»Was faselst du da?«
»Diese Frage wirst du in nächster Zeit bestimmt öfter stellen. Owen – hoffentlich macht dir diese Anrede nichts aus, aber ich kann dich einfach nicht ständig Erzdruide nennen – also, Owen, du warst über zweitausend Jahre auf dieser Insel.«
Er verzog das Gesicht. »Du willst mir wohl den Arsch mit einer Feder kitzeln. Meine Frage war ernst gemeint.«
»Meine Antwort auch. Die MORRIGAN hat dich auf die langsamste Zeitinsel gesetzt.«
Owen musterte mich angestrengt und begriff schließlich, dass ich keinen Witz gemacht hatte. »Zweitausend?«
»Ganz recht.«
Sein Gesicht verriet, dass er verzweifelt nach irgendeinem inneren Halt suchte. Diese Zahl war in ihrer Ungeheuerlichkeit nicht zu erfassen. Die Erkenntnis, dass er entwurzelt und für immer aus seiner alten Heimat verstoßen worden war, glich ohne Zweifel dem Sturz in einen Brunnen ohne Grund. Zweimal öffnete er den Mund und schloss ihn wieder, nachdem ein halber Laut herausgedrungen war. Nach längerem Brüten wandte er sich schließlich an mich, weil ich das einzig Handfeste war, das ihm blieb. »Dann warst du anscheinend auch auf so einer Insel. Sie muss uns ungefähr zur gleichen Zeit hingebracht haben.«
»Nein, ich habe diese vielen Jahre nicht in einem Augenblick übersprungen. Ich habe sie durchlebt. Und dabei habe ich ein paar Sachen gelernt, die du mir nie beigebracht hast.«
Er grummelte ungläubig. »Jetzt weiß ich, dass du mich verkohlst. Willst du mir wirklich weismachen, dass du über zweitausend Jahre alt bist?«
»Allerdings. Schau der Wahrheit lieber ins Auge. Die Welt ist weit größer und ganz anders als damals, als du sie verlassen hast. Du hast noch nicht mal was von JESUS CHRISTUS, ALLAH, BUDDHA oder der Neuen Welt gehört. Nicht mal von Pommes. Da wartet ein Schock nach dem anderen auf dich.«
»Ein Schock? Was soll das sein?«
Natürlich. Elektrizität war ihm genauso fremd wie die übertragene Bedeutung des Wortes. Ich hatte einen modernen Begriff benutzt, weil es im Altirischen nichts Entsprechendes gab.
»Aber dass du fast keine Haare am Kopf hast, überrascht mich.« Er deutete auf meinen kurz geschorenen Schädel. Nach der Begegnung mit gewissen Feenwesen, die mir den Skalp abgenagt hatten, hatte ich alles radikal abrasiert, und es war erst wenig nachgewachsen. Owen führte das natürlich auf eine fragwürdige kosmetische Entscheidung zurück. »Und was bei den neun Welten ist mit dem Rest von deinem Bart passiert? Du schaust nicht wie ein Mann aus, sondern als wäre auf deinem Kinn eine Ratte krepiert.«
»Mir gefällt es so.« Ich winkte ab. »Hör zu, Owen, du kannst mir einen Gefallen tun.«
»Schulde ich dir was?«
»Ich denke schon. Ohne mich wärst du noch immer auf dieser Insel.«
Laut schnaufend wischte sich mein Erzdruide über den Mund und entfernte dabei endlich die letzten Speckbrösel. »Was willst du von mir?«
Ich schob den rechten Ärmel über die Schulter hoch und zeigte ihm die versehrte Stelle am oberen Bizeps. »Ein Mantikor hat mich verletzt und mir die Fähigkeit geraubt, mich in einen Menschen zurückzuverwandeln, wenn ich in einer meiner Tiergestalten bin. Solange die Tätowierung nicht repariert wird, kann ich also keine meiner Tiergestalten annehmen. Könntest du das vielleicht ausbessern?«
Mit finsterem Gesicht herrschte er mich an: »Hab ich dir nicht beigebracht, wie man einen Mantikor zähmt, du Hornochse? Erzähl mir bloß nicht, dass das meine Schuld ist.«
»Ich hab nicht behauptet …«
»Ach, ich erinnere mich noch genau an dein ständiges Gejammer.« Er fuhr mit einer gekünstelten Falsettstimme fort: »›Wann werde ich je einem Mantikor begegnen? Warum muss ich Latein lernen? Wann kommen endlich die Sexriten dran?‹«
»Hey, das hab ich nie gesagt!«
»War auch gar nicht nötig. In dem einen Jahr hättest du dich nicht mal mehr an jemanden anschleichen können, weil deine Rute schon um die Ecke gelugt und jeder gerufen hat: ›Da kommt Siodhachan!‹, bevor der Rest von dir zum Vorschein kam. Weißt du das nicht mehr?«
Ich hatte keine Lust, das Thema meiner schwierigen Pubertät zu vertiefen, und kam daher auf Narben jüngeren Datums zurück. »Der Mantikor hat völlig unerwartet zugeschlagen. Ich hatte keine Möglichkeit, ihn zu zähmen.«
»Die Möglichkeit hat man immer.«
»Nein. Du warst nicht dabei und hast dich noch nie mit Mantikorgift auseinandersetzen müssen. Man braucht alle Kraft, damit man es aufspalten kann, glaub mir. Und als ich es endlich geschafft hatte, war ich so schwach, dass ich eine weitere Dosis nie überlebt hätte. Ich war schwer verletzt, und wenn ich ihm gegenübergetreten wäre, hätte ich die nächste Ladung abgekriegt. Jeder Zähmungsversuch wäre mein sicherer Tod gewesen. Ich kann von Glück sagen, dass ich lebend da rausgekommen bin.«
»Na gut, von mir aus. Aber warum ich? Kannst du das nicht von einem anderen Druiden machen lassen? Schließlich muss ich mich erst mal hier eingewöhnen.«
Fürs Erste ließ ich lieber unerwähnt, dass er und ich zwei von den drei letzten noch auf der Welt lebenden Druiden waren. Dafür war auch später noch Zeit. »Natürlich, wir haben viel zu beraten, und ich muss dir eine neue Sprache beibringen, damit du dich hier zurechtfindest. Allerdings ist der andere Druide, dem ich das anvertrauen könnte, zurzeit mit einer wichtigen Aufgabe beschäftigt.«
Granuaile unterrichtete ihre neue Wolfshündin Orlaith gerade im Sprechen und passte auch auf Oberon auf. Außerdem wollte ich sowieso nicht, dass sie mit Owen zusammentraf, solange ich ihm keine modernen Manieren beigebracht hatte. Wenn er mit ihr redete wie mit mir, würde in kürzester Zeit Blut fließen, und zwar vor allem seines.
Mein Erzdruide schüttelte sich, seufzte und rieb sich über die Schläfen, als hätte er schlimme Kopfschmerzen. »DAGDA kann mich kreuzweise, ich brauch jetzt was zu trinken. Weißt du vielleicht eine Schenke, wo man was anderes kriegt als Wasser?«
»Klar. Ich lad dich ein. Kannst du schon wieder gehen?« Mein Blick streifte über seine Beine, die er sich bei der komplizierten Bergung von der Zeitinsel gebrochen hatte. Inzwischen hatte er sich dank FANDS Betreung, MANANNAN MAC LIRS magischem Speck und seinen eigenen Heilkräften ein wenig erholen können, doch ich wusste nicht, ob das schon genügte.
»Glaub schon.« Er nickte. »Knochen verbinden sich schnell. Die geschundenen Muskeln brauchen da schon mehr Zeit. Wir gehen langsam und trinken dafür umso schneller.«
Er stützte sich ein wenig auf mich und konnte nur vorsichtig auftreten. Trotzdem schafften wir es problemlos von dem Kahn auf das Boot, mit dem ich zur Insel hinausgefahren war. Wenn wir erst am Flussufer angelangt waren, mussten wir nur noch einen kurzen Fußweg bis zu einem mit Irland verknüpften Baum zurücklegen. Von dort konnten wir an einen Ort mit einer reichen Auswahl an Getränken und einer ruhigen Ecke zum Unterhalten wechseln. Merkwürdigerweise freute ich mich sogar irgendwie darauf. Ich fühlte mich überlegen, weil ich mehr wusste als mein Erzdruide.
Doch anscheinend hatte jemand etwas dagegen, dass wir diese Unterhaltung führten. Kaum hatte sich das Boot schürfend auf den Uferkies geschoben, wurden wir von einem zornigen, schrillen Bellen begrüßt.
»Oi!« Ein Fir Darrig mit hervorquellenden Augen, der vor Wut schäumte und kriegerisch seinen Shillelagh schwenkte, stürzte auf uns zu. Schwer zu sagen, ob er bloß unsere Aufmerksamkeit erregen oder unsere Köpfe als Golfbälle benutzen wollte. Fir Darrigs tragen eine rote Jacke, haben ein Rattengesicht und eine Körpergröße von knapp einem Meter. Dank ihrer Fähigkeit, eineinhalb mal so hoch in die Luft zu springen, und ihrer Behendigkeit mit dem Shillelagh, verbunden mit einem IQ im einstelligen Bereich, glauben sie, sie seien zweieinhalb Meter groß und viermal so furchteinflößend.
Normalerweise muss man ihnen bloß irgendwas Glänzendes zuwerfen, damit sie stehen bleiben und neugierig danach suchen, denn sie sind gierige kleine Kobolde, die alles wertvoll Scheinende horten. Ich hatte einen Vierteldollar in der Tasche und schnippte ihn so in die Höhe, dass sich das Sonnenlicht darin spiegelte, doch der Blick des Fir Darrig geriet nicht einmal ins Flackern. Aus irgendeinem Grund blieb er darauf fixiert, mir den Schädel einzuschlagen.
Ein Stück flussabwärts schnellte ein weiterer zwischen den Bäumen hervor und sprang auf uns zu, als er uns erspähte. »Oi!« Eine Sekunde später tauchten die drei nächsten auf. »Oi! Oi! Oi!«
»Verrecken will ich, wenn das nicht seltsam ist«, knurrte mein Erzdruide. Und recht hatte er. Fir Darrigs sind normalerweise Einzelgänger. Ab und zu konnte man zwei beobachten, die die Fäuste aneinanderknallten. Das war ihr Paarungsritual. Wenn sie sich nicht vorher gegenseitig umbrachten, knallten sie schließlich andere Sachen aneinander und sorgten so für den Fortbestand der Gattung. Aber ich hatte noch nie drei auf einmal gesehen, und jetzt stürmten sogar fünf auf uns zu.
»Oi! Oi! Oi!« Ups. Korrigiere: acht.
Da der vorderste natürlich die unmittelbarste Bedrohung darstellte, schuf ich eine Bindung zwischen der Wolle seiner schicken roten Jacke und dem Uferschlick und ließ ihn von der Erde zu Boden ziehen. Dummerweise konnte ich das Kleidungsstück nicht mehr rechtzeitig zubinden, sodass er sich herauswand und nackt auf uns zulief – Fir Darrigs tragen nichts anderes als diese roten Jacken. Er war schmutzig und hässlich, und durch seine gelben Beißer brachen abgerissene Fauchlaute. Zu spät fiel mir ein, dass ich wohl besser den Shillelagh mit dem Flussufer verknüpft hätte. Ich zog mein Schwert Fragarach aus der Scheide und baute mich kampfbereit auf. Für weitere Bindungen blieb keine Zeit mehr.
Hinter mir riss sich Owen die zerlumpte Tunika und Hose herunter. Er hatte keine Waffe – aber egal, die Waffe war er selbst, wenn er seine Raubtiergestalt annahm. »Weg da, Junge, das erledige ich.«
Über die Schulter warf ich ihm einen finsteren Blick zu. »In deiner Verfassung kannst du nicht kämpfen.«
Das stachelte ihn nur an. »Wenn ein Kampf kommt, fragt er nicht lange nach deiner Verfassung. Man muss immer bereit sein, und der Tag, an dem ich nicht bereit für einen Kampf bin, ist der Tag, an dem ich ins Gras beiße!«
Befreit von seinen Kleidern, verwandelte er sich in einen riesigen Schwarzbären und brüllte. Damit zog er die Aufmerksamkeit des ersten Fir Darrig auf sich, der ein paar Oktaven höher zurückröhrte, nach links auswich und in hohem Bogen in die Luft hüpfte, in der Absicht, Owen mit seinem Shillelagh den Schädel zu zertrümmern. Wie jemand, der einem Frisbee nachrennt, fuhr ich herum und nahm die Verfolgung auf. Owen wollte sich gerade auf den Hinterbeinen aufrichten und den Fir Darrig in Empfang nehmen, doch das Gewicht eines Bären war für seine Frakturen noch zu viel. Er kam halb in die Höhe, dann knickten seine Beine ein, und er sackte wieder nach unten. Der Fir Darrig hatte weiter nach oben gezielt und konnte seinen Hieb nicht rechtzeitig nachjustieren, als der Bär zu Boden ging. So streifte der Knüppel Owen nur schwach an der Schulter, krachte ihm aber dann im Vorbeiziehen ziemlich heftig ans Ohr. Belfernd vor Schmerz taumelte Owen zur Seite. Der Fir Darrig hatte keine Gelegenheit mehr für den nächsten Schlag, denn in diesem Moment hatte ich ihn eingeholt und stieß ihm Fragarach durch den Hals. Noch während er umkippte, wandte ich mich den sieben anderen zu.
Der vorderste war vierzig Meter entfernt, die Übrigen folgten in größeren Abständen. Ungefähr fünf Sekunden bis zum Zusammenprall, wenn ich auf sie wartete, weniger, wenn ich ihnen entgegenlief. Ich durfte sie nicht zu nahe heranlassen, denn Owen litt noch unter den Folgen des ersten Treffers und wäre vom nächsten Shillelagh unweigerlich niedergestreckt worden. Also griff ich an und machte dabei ordentlich Radau, damit sie sich auf mich konzentrierten statt auf den großen torkelnden Bären. Gleichgültig, was er sagte, Owen war der Sache nicht gewachsen.
Mit hoch erhobenem Schwert schlitterte ich im letzten Moment nach unten und brachte mehrere zu Fall, die nicht rechtzeitig hochgesprungen waren, um mich von oben mit ihrem Knüppel zu bearbeiten. Die Springer schossen über mich hinweg, die anderen drei purzelten auf mich. Sobald sie mit meiner kalten Eisenaura in Berührung kamen, waren sie als magische Geschöpfe zum Untergang verurteilt. Ich musste mich nicht einmal mit ihnen prügeln; ein erschrockener Schrei, dann zerplatzte ihre Substanz zu einer Wolke aus Asche und ließ nur die leeren Jacken zurück.
Als die letzten vier landeten und herumwirbelten, rappelte ich mich rasch hoch und riss Fragarach schützend über den Kopf. Einer, der kleinste und agilste aus dieser Schar kleiner und agiler Wesen, schoss bereits auf mich zu. Er erwischte mich auf dem falschen Fuß und stieß mich zurück in den sandigen Kies des Flussufers. Seine Asche wurde zwar vom Wind verweht, kaum dass ich auf dem Boden landete, doch seine Kumpane hatten jetzt die Gelegenheit, mich zu Brei zu klopfen. Zum Glück waren sie nicht die Hellsten. Statt von der Seite zu kommen und wie beim Holzhacken nach unten zu hauen, sprangen sie auf mich, um mich niederzuhalten, und rissen ihre Shillelaghs in die Höhe. Ihr Aufprall verschlug mir den Atem, und ihre Zehenkrallen bohrten sich in mich, aber dafür zahlten sie einen hohen Preis. Bevor sie zuschlagen konnten, zerfielen sie, und die einzigen weiteren Blessuren, die ich erlitt, verdankten sich den auf mich niederregnenden drei Shillelaghs und ihren schmierigen roten Jacken. Ich hustete von der Asche in der Luft und schaute mich nach Owen um. Immer noch zwanzig Meter von mir entfernt, hatte er die Ohren aufgestellt, und in seinen großen Augen malte sich bärenhafte Verwunderung.
Der Erzdruide äußerte sich nicht dazu, dass ich ihm das Leben gerettet und ganz allein acht Fir Darrigs unschädlich gemacht hatte. Zum Glück erwartete ich aufgrund meiner langen Bekanntschaft mit ihm weder Dank noch Lob.
»Was hast du da gerade gemacht?« Sein Atem ging ein wenig mühsam, nachdem er sich zurück in einen Menschen verwandelt hatte. »Die hatten dich fix und fertig zum Abmurksen, und dann sind sie auf einmal zerplatzt! Wenigstens zwei hättest du mir lassen können!«
Ich stand auf und staubte mich ab. Ich deutete auf meine Halskette. »Ein Grund, warum es mich noch gibt, ist dieses Amulett. Es ist aus kaltem Eisen, und ich habe es hauptsächlich zum magischen Schutz an meine Aura gebunden. Eine nützliche Nebenwirkung ist, dass Feenwesen bei der Berührung damit sterben. Deswegen nennen sie mich den Eisendruiden.«
»Kaltes Eisen trägst du? Und du kannst trotzdem Bindungen schaffen?«
»Ja. Musste ein bisschen rumprobieren, aber jetzt ist die Masse gering genug dafür.«
Grummelnd deutete Owen auf den Rest meiner Halskette. »Und wozu das ganze Silber auf der anderen Seite?«
»Das sind meine Anhänger. Mit ihnen kann ich über mentale Befehle grundlegende Bindungen ausführen. Geht schneller als Sprechen. Ein echter Vorteil.«
Er grummelte erneut und überlegte. »Machen das jetzt alle Druiden?«
»Nur ich. Aber das sind fast alle Druiden.«
»Was?« Die gesträubten, weißen Augenbrauen meines Erzdruiden, die man gut und gerne auch als Staubwedel hätte verwenden können, zogen sich zusammen und gruben tiefe Furchen in seine Stirn.
»Ohne die TUATHA DÉ DANANN, die eigentlich nicht zählen, weil sie sich so viel wie möglich in Tír na nÓg aufhalten müssen, sind nur noch drei Druiden übrig – wir beide mitgerechnet.«
»Red nicht so einen Bockmist. Das kann einfach nicht sein.«
»Die Römer haben uns ausgerottet. Haben alle Haine auf dem Kontinent verbrannt und Jagd auf uns gemacht. Wir konnten nicht mehr das Gefilde wechseln, da hatten sie leichtes Spiel. Du hast bestimmt davon gehört damals. Julius Cäsar war zu deiner Zeit in Gallien.«
Owen erstarrte. »Aye, jetzt erinnere ich mich. Haben die Römer auch Irland erobert?«
»Nein, so weit sind sie nie vorgedrungen.«
»Und warum gibt es dann bloß noch drei Druiden?«
»Weil aus den heidnischen Römern später christliche Römer wurden. Die Heilige Römische Kirche ist ein paar Jahrhunderte später nach Irland gekommen, und ein Mann namens St. Patrick hat einen Großteil der Bevölkerung zu seiner Religion bekehrt. Die Druiden sind ausgestorben, weil sie keine Schüler mehr fanden.«
In sich zusammengesunken suchte er in dem Wust von für ihn kaum verständlichen Informationen etwas, woran er sich klammern konnte. »Alle Druiden sind gestorben, nur du nicht, was? Wenn das nicht alles bloß Quatsch ist – und falls ja, dann prügle ich dir zusammen mit OGMA die Kacke aus dem Leib, das schwör ich dir –, wie hast du als Einziger überlebt?«
»Ich habe Irland schon vor langer Zeit auf Drängen der MORRIGAN verlassen und gelernt, meinen Körper jung zu halten. Ich habe die ganze Welt gesehen, Owen. Sie ist viel, viel größer, als wir damals dachten. Im Vergleich zur restlichen Welt ist Irland bloß ein winziges Land, das berühmt ist für seine Kämpfer und seinen Alkohol.«
»Wie winzig?«
»Wenn die Welt aus neunhundert Schafen und einem Ziegenbock besteht, ist Irland der Bock.«
»Hm.« Eine Weile versuchte er stumm, die Tragweite des Gehörten zu erfassen und sich zu orientieren, doch letztlich blieb es unbegreiflich für ihn. »Trotzdem, Junge. Warum so wenige? In zweitausend Jahren hättest du doch wirklich ein paar Schüler haben können.«
»Die meiste Zeit hat AENGHUS ÓG auf mich Jagd gemacht.«
»Ach, der. Für einen Gott der Liebe ziemlich hasserfüllt und verhasst. Ein echter Kotzbrocken.«
»Ein toter Kotzbrocken inzwischen. Ich hab ihn umgebracht.«
Er hob den Finger und legte den Kopf schief. »Erzählst du mir da auch keinen Stuss, Siodhachan?«
»Nein. Und gleich nach seinem Tod habe ich mit der Ausbildung einer Schülerin angefangen. Vor etwas über einem Monat habe ich ihre Bindung an die Erde abgeschlossen.«
»Ah, das hast du? Und wie heißt sie?«
»Granuaile.«
»Wann lerne ich sie kennen?«
»Später«, antwortete ich. »Erst musst du dich noch ein bisschen einleben. Die Welt hat sich stark verändert, und ich mache mir Sorgen, dass du einfach alles verabscheust und dich zurückziehst.«
»So weit wird es nicht kommen.« Um Owens Mundwinkel zuckte es leise. »Ehrlich gesagt, kann ich es gar nicht erwarten, alles zu sehen. Und die grundlegenden Dinge sind bestimmt gleich geblieben. Die Leute essen, kacken und schlafen noch immer, oder?«
»Ja, schon.«
»Dann kann es auch nicht so viel anders sein. Wir müssen einfach noch ein paar Druiden ausbilden.«
»Wahrscheinlich hast du recht. Trotzdem wirst du dich ganz schön anpassen müssen, das kann ich dir nicht ersparen. Und am besten fangen wir mit dem Anpassen bei ein paar Pints an.« Mir fiel ein, dass er vielleicht gar nicht wusste, was ein Pint war. Also fügte ich hinzu: »Möchtest du jetzt was trinken?«
»Aye. Und vielleicht zieh ich lieber wieder meine Kleider an.«
Wir wechselten nach Irland – genauer gesagt nach Kilkenny Castle, wo es am Kanal mehrere verknüpfte Bäume gab. Von dort führte ich ihn durch die Straßen der Stadt zum Kyteler’s Inn, einem ursprünglich im Jahr 1324 errichteten grauen Steingebäude. Dennoch war damit zu rechnen, dass das Interieur einen verstörenden Eindruck auf ihn machen würde. Wenigstens gab es keine riesigen Plasmabildschirme, die mit aufgeregter Stimme vom jüngsten Fußballspiel berichteten.
Der Schwall von Fragen, mit dem ich unterwegs und spätestens nach dem Auftauchen des Schlosses gerechnet hatte, blieb aus, denn er gaffte die ganze Zeit bloß mit offenem Mund auf Autos, auf mit Plastersteinen und Asphalt bedeckte Straßen und auf die moderne Architektur aus Beton und Stahl, die vom Mörtel und Stein älterer Tage durchsetzt war. Auch die Menschen starrte er an, deren Kleider und Schuhe er verblüffend finden musste. Umgekehrt zog der Erzdruide ebenfalls einige Blicke auf sich. Lumpen, wie er sie trug, wurden einfach nicht mehr hergestellt.
Der Barkeeper begrüßte uns unsicher. Anscheinend hielt er mich für einen Studenten, der einen Obdachlosen zu einem Drink einladen wollte.
Entschlossen deutete ich auf einen leeren Tisch. »Können Sie uns bitte zwei Jameson pur und zwei Pint Guinness bringen?«
»Sofort, Sir.«
Vorsichtig glitt Owen auf den gepolsterten Stuhl, nachdem ich es vorgemacht hatte, und seine Miene verriet große Verwunderung über die weiche Sitzgelegenheit. Doch gleich darauf wurde sein Gesicht zu einer Maske des Grauens, als er sich erinnerte, was er auf dem Weg hierher erblickt hatte. Tief über den Tisch geneigt, flüsterte er mir die ersten Worte zu, seit er die moderne Welt kennengelernt hatte: »Sie haben die Erde zugemauert, Siodhachan!«
Atticus ist unterwegs, weil er sich mit irgendeinem alten Kauz aus der Vergangenheit unterhalten muss – ein ungewaschener, aufbrausender Kerl, wie er meinte, so eine Art menschliches Gegenstück zu einem Propangastank –, während ich inzwischen in Colorado die Gesellschaft der beiden Hunde genieße. Ich finde, ich habe das bessere Los gezogen.
Oberon ist so glücklich über Orlaiths Gegenwart, dass mich seine überschäumende Freude mitreißt, als würde er mit seinem wedelnden Schwanz eine hohe Welle aufpeitschen. Jeden Morgen fragt er mich, ob er schon mit Orlaith reden kann, und lässt sich nicht entmutigen, wenn ich verneine. Nach dem Aufstehen laufen wir sowieso immer gemeinsam durch den Wald, und dieses Vergnügen kann viele Enttäuschungen versüßen. Dunkel und geschmeidig tänzle ich als Jaguar neben den ausgelassen tollenden Hunden durch die Bäume, und gemeinsam lassen wir gut gelaunt die Blätter unter unseren Pfoten rascheln. Wir jagen Eichhörnchen und gelegentlich auch ein Reh und wittern Dinge, die uns Geschichten vom Leben und Tod im Wald erzählen.
Inzwischen habe ich mich schon besser an die Gerüche gewöhnt und habe keine Angst mehr vor dieser Gestalt. Wie bei der magischen Sicht kommt es darauf an, das Überflüssige herauszufiltern.
Orlaith lernt langsam sprechen. Noch redet sie bloß in kurzen Bruchstücken und einfachen Sätzen. Später werden Geläufigkeit und Syntax dazukommen, und schon jetzt ist sie imstande, nach neuen Wörtern zu fragen. Durch unsere Verbindung verstehe ich immer, was sie meint, auch wenn es noch nicht viel mehr ist als ein Überschwappen von Emotionen und Bildern in meine Richtung, ähnlich wie bei der Kommunikation mit Elementargeistern.
Sie war im Hundeheim gelandet, weil das neugeborene Kind des Paares, bei dem sie lebte, unter einer Hundeallergie litt. Sie vermisst die beiden noch immer und erinnert sich noch gut, wie traurig sie waren, als sie sie hergeben mussten. Doch sie ist auch froh, dass sie jetzt bei uns ist.
Sie liebt die Bäume hier. ›Kiefern! Fichten!‹ Ihre mentale Stimme klingt ein wenig heller als die Oberons, und der peitschende Schwanz unterstreicht ihre Begeisterung. ›Stadt! Geräusche!‹
Heute haben wir uns vorgenommen, zu Fuß den kleinen Ort Ouray zu erkunden. Auf drei Seiten von den San Juan Mountains umgeben und mit einer Fläche von etwas über zwei Quadratkilometern liegt er in einer natürlichen Mulde mit einem Ausgang nach Norden. Gestern haben wir über der Stadt ein Loch gegraben und darin Geld und eine Garnitur Kleider für mich sowie Halsbänder und Leinen für die Hunde versteckt, denn in dem eigentlich hundefreundlichen Ort besteht strikter Leinenzwang.
Der halbe Spaß besteht natürlich darin, die Sachen zu vergraben und später wieder auszubuddeln.
In Jeans, Sandalen und einem schwarzen T-Shirt, das meine Vorliebe für die legendäre Frauenpunkband Laser Vaginas verkündet, falte ich die Papiertüte zusammen, die meine Kleider geschützt hat, und mache mich auf den Weg in die Stadt. Die Hunde springen voraus und schauen sich immer wieder irritiert nach mir um, weil ich mich jetzt viel langsamer bewege als vorhin.
Ouray lebt weitgehend vom Tourismus. Den größten Teil der Einkünfte erzielen Hotels, Restaurants und Geschäfte, die Souvenirs, Plunder und mitunter auch künstlerisch Ambitioniertes anbieten. Ein Glasbläser und ein Schmied führen Läden, die im Sommer geöffnet sind, und ein Typ hier schafft mit Kettensägen fantastische Skulpturen aus Baumstämmen. Auch Jeep-Touren sind in den warmen Monaten sehr gefragt und werfen so viel Gewinn ab, dass die Organisatoren für den Rest des Jahres ausgesorgt haben. Inzwischen haben wir Oktober, und die Temperaturen sinken. In der Stadt ist es weitgehend still, und Orlaith kann in aller Ruhe lernen, wie sie sich in einem urbanen Umfeld benehmen soll. Außerdem bietet der Ausflug eine wertvolle Gelegenheit, ihr neue Wörter beizubringen.
Ohne Jacke spüre ich rasch die Kälte und erhöhe mit der Bindung, die ich von Atticus gelernt habe, meine Kerntemperatur. Als wir uns dem Fluss Uncompahgre nähern, der die westliche Grenze von Ouray markiert, rufe ich die Hunde zu mir.
Ich lege ihnen die Halsbänder an und wende mich mahnend an die beiden. »Gehen wir noch mal die Regeln für die Stadt durch. Oberon, du zuerst.«
›Wir dürfen nicht auf die Leute zulaufen, müssen sie aber an uns heranlassen.‹
»Sehr gut.« Ich wiederhole Oberons Worte für Orlaith und frage sie: »Kannst du dich an Regeln erinnern?«
›Nicht Haufen machen! Nicht pinkeln!‹
»Ausgezeichnet. Am besten also, du erleichterst dich noch mal, bevor wir über die Brücke gehen. Sonst noch was?«
Oberon antwortet: ›Wir dürfen niemanden am Hintern beschnuppern.‹
›Nicht wuffen!‹, fügt Orlaith hinzu.
»Gut, gut. Und?«
›Nicht rumhüpfen, niemand bespringen, immer bei dir bleiben und dich fragen, wenn wir stehen bleiben und an irgendwas schnüffeln wollen‹, schließt Oberon.
»Fantastisch!« Ich wiederhole Oberons Beitrag für Orlaith und schenke mir die umgekehrte Richtung, weil Oberon das alles sowieso aus dem Effeff kennt.
Mit beiden Leinen in der Faust nehme ich unbeschwert den Schotterweg von den Box Canyon Falls über die Brücke und betrete den Ort in der Nähe des Victorian Inn. Wir biegen links in die Main Street und arbeiten uns langsam nach Norden voran. Dabei machen wir viele Pausen, weil die Hunde etwas erkunden oder weil Passanten sie tätscheln und ein paar Takte plaudern möchten. Manche Leute wechseln bei unserem Anblick die Straßenseite; Wolfshunde können ziemlich furchterregend wirken, und bestimmt trauen sie mir nicht zu, dass ich auch nur einen der beiden Hunde festhalten kann, wenn sie es sich in den Kopf setzen wegzurennen.
Als wir vor einem Lederladen stehen bleiben, ist es auf einmal vorbei mit dem netten Vormittagsausflug. Das liegt aber nicht am Leder. Der Geschäftsführer, ein angegrauter Herr über fünfzig mit verwirrt gefurchter Stirn, kommt mit einem schnurlosen Telefon heraus. »Entschuldigen Sie bitte, aber heißen Sie zufällig Grani-Wuh oder so ähnlich?« Er spricht meinen Namen völlig falsch aus, aber daran bin ich gewöhnt.
Gemeinsam machen Oberon und Orlaith kehrt und fixieren ihn mit gespitzten Ohren. Er zuckt zusammen. Von seinem Posten im Laden aus hat er sie nicht bemerkt und ist jetzt ziemlich überrumpelt, als er über die Schwelle tritt. »Mensch, sind das Riesenköter«, ächzt er.
›Wuff?‹, fragt Orlaith.
›Wenn ich ihn jetzt anbelle, quiekt er garantiert wie ein Schwein‹, bemerkt Oberon trocken.
Nur mit Mühe kann ich eine neutrale Miene bewahren, da beide Hunde offenbar das Gleiche denken. Und sie haben recht: Wahrscheinlich würde er zurücktaumeln und sich vor lauter Schreck verletzen. Ich mahne sie zur Ruhe.
»Ja, ich bin Granuaile«, antworte ich dann.
»Also, da ist ein Anruf für Sie.« Der Geschäftsführer streckt mir das Telefon hin. »Angeblich ein Notfall. Es geht um Leben und Tod.«
Ich nehme das Telefon, und er erklärt mir, dass ich es ihm in den Laden bringen soll, sobald ich fertig bin. Meine Überraschung hält sich in Grenzen, denn es wäre nicht das erste Mal, dass mein Aufenthalt durch Wahrsagerei ermittelt wird. Doch ich fürchte die schlechten Nachrichten.
»Danke.« Ich nicke ihm zu, dann drücke ich das Telefon ans Ohr. »Hallo?«
»Granuaile? Hier spricht Laksha.«
»Laksha? Wo bist du?« Seit über einem Jahrzehnt habe ich nichts mehr von Laksha Kulasekaran gehört. Der Geist der indischen Hexe hatte sich früher einmal mit mir den Platz in meinem Kopf geteilt, und eigentlich ist es nur ihr zu verdanken, dass ich von Atticus’ wahrer Natur erfuhr und seine Schülerin wurde. Doch nachdem sie einen Körper gefunden hatte, von dem sie vollständig Besitz ergreifen konnte, hatten wir nur noch selten miteinander gesprochen, weil für mich die Ausbildung anfing und sie sich anderswo eine neue Existenz aufbaute.
»Ich bin in Thanjavur in Indien.«
»Aha. Hab leider keine Ahnung, wo das ist.«
»In der Nähe der Südostküste im Bundesstaat Tamil Nadu. Ich lebe schon seit einigen Jahren in dieser Gegend. Jetzt gibt es hier ein Problem, das dich vielleicht betrifft. Und selbst wenn es dich nicht interessiert, wäre ich dankbar für deine Hilfe. Du bist doch jetzt eine richtige Druidin, nicht wahr?«
»Ja.«
»Meinen Glückwunsch. Mit deinen Fähigkeiten könntest du hier viel Gutes bewirken, vor allem wenn du mit dem Mann verwandt bist. Kennst du einen Herrn namens Donal MacTiernan?«
»Ja, das ist der Name meines Vaters. Mein echter Dad, nicht mein Stiefvater.«
»Ist dein Vater Archäologe?«
Der Verlauf des Gesprächs wird mir allmählich unheimlich. »Ja.«
»Das habe ich befürchtet. Deswegen habe ich durch Wahrsagen deinen Aufenthalt bestimmt und dich angerufen. Ich glaube, dein Vater ist hier. Hast du gewusst, dass er sich zu Ausgrabungen in Indien aufhält?«
»Nein, aber es erstaunt mich nicht. Er gräbt überall in der Welt.«
»Leider hat er was entdeckt, das besser verborgen geblieben wäre. Er ist kürzlich auf ein Tongefäß gestoßen und hat es trotz der warnenden Aufschrift geöffnet. Es war nicht leer. Es enthielt einen Geist, der dort viele Jahrhunderte lang eingesperrt war – und zwar aus gutem Grund. Der Geist ist in ihn gefahren.«
»In ihn gefahren? Scheiße! Du meinst, so wie du das machst?«
»Nein, aber auf ähnliche Weise. Der Geist deines Vaters wohnt noch immer im Körper, doch er ist jetzt von dem anderen besessen.«
Ich schweige einen Moment. »Kannst du mir mehr dazu sagen?«
»Ich habe das Gefäß in der Ausgrabungsstätte gefunden. Dein Vater hat es fallen lassen oder vielleicht absichtlich zerbrochen. Ich habe es zusammengesetzt, damit ich die Sanskrit-Beschriftung lesen konnte. Sie warnt vor einem Raksoyuj in dem Gefäß.«
»Entschuldige, wie bitte?«
»Ein Raksoyuj, das heißt ein Bändiger von Rakshasas, also von Dämonen. Mit anderen Worten: eine Art von Zauberer. Eigentlich dachte ich, dass sie längst ausgerottet sind. Sie können die Dämonen rufen und sie ihrem Willen unterjochen, und genau das tut er jetzt. Die Rakshasas, die dein Vater gerufen hat, verbreiten in der ganzen Gegend eine Seuche. Menschen liegen im Sterben.«
»Moment mal. Soll das heißen, mein … mein Dad bringt Leute um?«
»Verantwortlich ist natürlich der Geist, der von ihm Besitz ergriffen hat. Aber ja, es ist sein Körper. Ich könnte mir vorstellen, dass ihm bald jemand entgegentritt und dass er dabei nicht mit großer Rücksicht rechnen kann.«
»Von den Göttern …«
»Nein, von den Göttern auch nicht.«
»Also gut, ich kann in ein paar Stunden dort sein.« Ich muss zurück zur Hütte, ein paar Sachen zusammensuchen und Atticus verständigen. Für den Wechsel auf die andere Seite der Welt brauche ich so gut wie keine Zeit. »Wo sollen wir uns treffen?«
»Du findest mich am Eingang des Brihadishvara-Tempels. Bei uns ist es siebeneinhalb Stunden später, es wird also dunkel sein, wenn du ankommst.«
»Bis nachher. Danke für deinen Anruf.« Ich schalte aus und fordere die Hunde auf zu warten, dann husche ich in den Laden und gebe dem Geschäftsführer sein Telefon zurück.
›Stimmt was nicht, schlaues Mädchen?‹, fragt Oberon, als ich wieder heraustrete.
Ja, antworte ich und nehme Orlaith mit in die mentale Verbindung auf. Wir müssen schnell zurück zur Hütte. Lauft mit mir und bleibt nur stehen, wenn ich stehen bleibe.
›Keine Stadt mehr?‹, fragt Orlaith.
Diese Stadt nicht mehr. Wir besuchen eine andere.
Wir wenden uns ab und machen uns zügig auf den Rückweg. Die Menschen auf dem Gehsteig weichen uns aus.
›Ich hab gehört, dass jemand besessen ist‹, bemerkt Oberon. ›Damit war doch hoffentlich nicht Atticus gemeint, oder?‹
Nein, mein Vater. Laksha sagt, er ist in Indien und braucht meine Hilfe.
›Soll ich auch mitkommen?‹
Verdammt gute Frage. Ich kann nicht Oberon und Orlaith gleichzeitig mitnehmen, außer ich reise zweimal hin und her. Eine Druidin braucht für jedes Wesen, mit dem sie in ein anderes Gefilde springt, einen eigenen Kopfraum, und davon habe ich nur einen. Kopfräume sind von großen Dichtern geschaffene Welten, mit deren Hilfe Druiden ihr Bewusstsein in getrennte Abschnitte aufteilen können. Atticus hat es mir folgendermaßen erklärt: Die Verknüpfungen sind Straßen, und die Druiden sind die Fahrzeuge. Kopfräume sind wie Plätze für Fahrgäste. Bisher habe ich mir nur die Welt von Walt Whitman eingeprägt, das heißt, ich kann beim Wechsel nach Tír na nÓg und von dort nach Indien genau einen Passagier mitnehmen. Am besten wäre es, wenn Atticus zu uns stoßen könnte, denn er verfügt über sechs Kopfräume. Er ist wie einer von diesen altmodischen Riesenschlitten, während ich nur ein Smart mit zwei Sitzen bin. Nein, vergiss es. Ich bin eher wie ein Jaguar mit zwei Sitzen. Das weiß ich noch nicht, Oberon. Ich muss mal schauen, ob ich Atticus erreiche.
Nachdem wir die Brücke über den Uncompahgre hinauf zu den Box Canyon Falls überquert haben, verziehen wir uns ins Gebüsch, und ich werfe meine Kleider ab, damit ich mich in einen Jaguar verwandeln kann. Jeans und Sandalen lasse ich zurück, doch das Laser-Vaginas-Shirt trage ich zwischen den Zähnen. Die Dinger sind schließlich ziemlich rar. Zusammen hetzen wir zurück zur Hütte, und die Hunde kosten jeden Augenblick aus. Sie wissen nichts von meinen Sorgen, und so soll es auch sein.
Zu Hause angekommen steuern sie sofort auf ihren Wassernapf zu, während ich ins Schlafzimmer eile und mich in meine Kampfmontur werfe. Zwar kann ich mir kaum vorstellen, dass man einem Geist mit Waffen etwas anhaben kann, aber Geister, die in Menschen fahren, haben oft die Fähigkeit, sich als physische Bedrohung zu manifestieren. Ich schlüpfe in eine Jeans und ein unauffälliges T-Shirt, alles in schlichtem Schwarz. Weder Zollbeamten noch Metalldetektoren werden meine Reise verzögern, daher schnalle ich mir zwei Halfter mit je drei Wurfmessern um und stecke ein weiteres hinten in den Hosenbund.
Oberon und Orlaith, ich mach mich jetzt auf die Suche nach Atticus in Tír na nÓg. Ich hoffe, dass es nicht lang dauert. Kriegt ihr das mit dem Essen hin?
›Kommt darauf an, wie du hinkriegen definierst‹, antwortete Oberon. ›Jedenfalls habe ich meine Frühstückswurst noch nicht gekriegt.‹
›Jetzt Wurst?‹, fragt Orlaith.
Trotz meiner Anspannung muss ich grinsen. Da haben sich zwei gefunden. Okay, hab verstanden. Das hat natürlich Vorrang. Ich nehme mir die Zeit, erst einmal Würste für die Hunde zu braten und etwas Keimlingsbrot für mich zu toasten. Natürlich wünsche ich mir, dass es nur ein kurzer Ausflug wird, aber es kann durchaus auch länger dauern. Ich weiß nicht, wann ich wieder eine Gelegenheit zum Essen haben werde – und tatsächlich habe auch ich noch nicht gefrühstückt.
Mir fällt ein, dass die gleiche Unsicherheit auch für die Hunde gilt. Daher hole ich eine Packung Trockenfutter und kippe es in zwei riesige Schüsseln.
›Du glaubst doch nicht im Ernst, dass wir dieses Zeug essen‹, bemerkt Oberon.
»Ist nur für den Notfall«, antworte ich. »Ihr könnt natürlich jagen, so viel ihr wollt, und zum Trinken habt ihr ja den ganzen Fluss. Ich hoffe, dass ich in ein paar Minuten wieder da bin und dass das alles nicht nötig ist. Aber du weißt ja selbst, was für schräge Sachen passieren können, wenn man von Atticus ein ganz normales Verhalten erwartet.«
›Das kannst du laut sagen! Manchmal isst er sogar Gemüse!‹
»Wichtig ist, dass ihr nicht verhungert, solange ich weg bin, und ich verspreche, dass ich möglichst schnell wiederkomme.«
Wir machen kurzen Prozess mit unserem Frühstück, und ich umhalse die Hunde, dann wechsle ich nach Tír na nÓg, das irische Hauptgefilde, mit dem die irischen Götter alle anderen verknüpft haben, damit wir an jeden Ort reisen können. Zuerst schaue ich auf MANANNANS Gut vorbei, doch dort ist Atticus nicht. Auch bei der Zeitinsel finde ich ihn nicht; sein Boot ist mit einem Seil an einem Pflock im Boden vertäut. Ich finde ihn weder in GOIBHNIUS Werkstatt noch am Feenhof, und damit sind alle mir bekannten Orte in Tír na nÓg erschöpft. Niemand, den ich frage, kann mir sagen, wohin er und der Alte gegangen sind. Ich kann keine Zeit mehr aufs Suchen verschwenden, also wechsle ich zurück nach Colorado und stoße auf die Hunde, die am Fluss spielen.
Oberon! Orlaith!
›Das schlaue Mädchen ist wieder zu Hause!‹
›Granuaile! Laufen!‹
Nirgends fühlt man sich so willkommen wie bei glücklichen Hunden. Obwohl ich nur ungefähr eine halbe Stunde weg war, ist ihre Freude über meine Rückkehr genauso groß, als hätten wir uns ein halbes Jahr nicht gesehen. Manchmal wünsche ich mir, auch Menschen könnten sich mit solch rückhaltloser Begeisterung begrüßen. Na gut, vielleicht ohne das Gesicht-Ablecken.
Leider habe ich keine Zeit zum Spielen, und obwohl es mir das Herz bricht, muss ich Oberon zurücklassen. »Ich habe Atticus nicht gefunden. Du musst hierbleiben und ihm erklären, wo ich bin, damit er mich findet.«
Wir gehen in die Hütte, und ich kritzle eine Nachricht auf einen Zettel.
›Was soll ich ihm denn erklären?‹
»Sag ihm, dass ich bei Laksha bin. Mein leiblicher Vater steckt in Schwierigkeiten, und wir müssen ihn suchen, damit wir ihm helfen können. Auf dem Zettel, den ich hier hinlege, habe ich beschrieben, wo er mich finden kann. Bitte vergiss nicht, dass du ihn auf diese Nachricht aufmerksam machst. Okay?«
›Bestimmt nicht.‹
»Braver Hund.«
›Fändest du es schräg, wenn ich dich bitten würde, Orlaith zu bestellen, dass ich sie vermissen werde, solange ihr weg seid?‹
Ich lächle und antworte ihm über unsere direkte Verbindung. Du hast zu viele Menschenfilme gesehen. Hunde dürfen vermissen, wen sie wollen und wann sie wollen, ohne dass es schräg rüberkommt.
›Stimmt. Wir haben andere Regeln.‹
Ich werde dich und Atticus jedenfalls sehr vermissen. Ich greife nach meinem Stab Scáthmhaide und trete, gefolgt von Orlaith, durch die Tür. Bis bald, hoffe ich.
›Bis bald!‹
Ich lege die Hand an einen verknüpften Baum und fordere Orlaith auf, mit einer Pfote mich und mit der anderen den Stamm zu berühren.
›Tschüs, Oberon!‹, sagt Orlaith. ›Spielen später!‹
Ich wiederhole ihre Worte für Oberon, dann wechseln wir nach Indien.
»Warum haben sie das getan?«, fragte Owen. »Die Erde zugemauert, meine ich?«
»Wahrscheinlich würden sie sagen, dass es ihr Verkehrssystem beschleunigt, aber ich glaube, es liegt vor allem an ihrer Abneigung gegen Schlamm. Sie spüren nicht die Magie der Erde wie wir, daher ist es für sie auch keine Frage der Moral. Es ist einfach praktischer.«
»Ach, Siodhachan.« Verzweifelt schüttelte er den Kopf. »Willst du mir erzählen, dass alles schlechter ist als früher? Ist die Welt in zweitausend Jahren nicht besser geworden?«
Der Barkeeper kam mit unserer Bestellung, und ich dankte ihm. »In manchen Bereichen gibt es deutliche Fortschritte.« Ich richtete den Blick auf die Getränke.
»Was ist das für Zeug?« Mit misstrauischer Miene schielte der Erzdruide auf die Gläser.
»Beispiele irischer Genialität.« Ich nannte ihm die Namen, die es im Altirischen nicht gab. »Whiskey und Stout.« Dann griff ich nach dem Whiskeyglas. »Fang damit an und kipp es runter. Anschließend nimmst du ein paar Schluck von dem dunklen Bier.«
»Also gut.« Er hob das Glas. »Auf deine Gesundheit.«
»Sláinte«, erwiderte ich in modernem Irisch.
Der Whiskey brannte genau, wie er sollte, und das Guinness war perfekt eingeschenkt.
Owen hustete einmal, und das Wasser schoss ihm in die Augen. »Oh, Dank sei den Göttern der Unterwelt.« Nach einem kräftigen Zug stellte er das Pint-Glas ab. »Anscheinend ist mein Volk doch nicht ganz verloren.«
Wir lachten beide. Eigentlich war eine Situation wie die hier ganz normal, doch gemeinsam mit ihm hatte ich diese Erfahrung noch nie gemacht. Danach musste ich einen Schwall von Fragen beantworten, die sich um seine Eindrücke auf dem Weg zum Pub drehten. Das wiederum mündete in einen Schwall von Fragen, die sich um Dinge drehten, die er in der Bar bemerkt hatte. Und was war das überhaupt für eine merkwürdige neue Sache mit der Wissenschaft?
Während der nächsten zwei Runden redeten wir ununterbrochen, und allmählich füllte sich das Lokal. Irgendwann kam Owen so richtig in Fahrt, und ein paar junge Kerle an der Bar fanden das witzig. Sie lachten, und einer äffte ihn sogar nach. Eine ausgesprochen unbedachte Handlung, die ihm den netten gemeinsamen Abend mit seinen Kumpels verderben sollte.
»Halt bloß dein Maul, du«, knurrte ihn Owen an. Auf Altirisch, aber der Ton war unmissverständlich.
Das Grinsen verschwand aus dem Gesicht des Burschen, und er stellte sein Glas ab. Dann spannte er die Kiefermuskeln an, wie es manche Männer machen, weil sie glauben, dass sie dadurch besonders hart erscheinen. »Redest du mit mir, Alter?«
Der Typ hatte sicher die Erfahrung gemacht, dass die meisten Leute nach so einer Frage den Schwanz einzogen. Aus seiner Sicht hatte er Owen die Chance gegeben, mit einem gemurmelten »Entschuldigung« den Blick abzuwenden, und hielt die Angelegenheit damit für erledigt.
Doch mein Erzdruide war kein durchschnittliches Seniorenmaterial. Er erkannte eine Herausforderung, wenn er sie hörte, und er hatte noch nie eine ausgeschlagen. Mit höhnischem Blick fixierte er den Trottel. »Siodhachan, sag ihm, dass seine Mutter quiekt wie ein Dachs, wenn ich sie von der Seite bespringe.«
Ich grinste, verzichtete aber auf die Übersetzung. Sie war auch gar nicht nötig, denn Owens Körpersprache und Stimme reichten als Beleidigung.
Der Kerl ballte die Hände zu Fäusten und näherte sich unserem Tisch. »Hör zu, Alter, wenn du Scherereien willst, kannst du sie gern haben.« Er hob eine Faust und deutete auf Owen. »Und zwar glei…«
Weiter kam er nicht. Owen packte den Kerl am Arm, riss ihn zu sich heran und versetzte ihm einen Kopfstoß. Er ging jaulend zu Boden. Owen stand auf und kickte den Stuhl hinter sich. »Ein bisschen mehr Respekt vor den Älteren, Junge!«
Im Pub wurde es auf einmal ganz still, wie immer, wenn es ans Eingemachte geht. Die vier Freunde des Typen an der Theke hatten gerade beobachtet, wie er in weniger als einer Sekunde einem Mann unterlag, der aussah, als wäre er über siebzig und könnte nicht mal mehr ein Bier bestellen. Einen Moment lang standen sie vor der Entscheidung, ihren Kumpel auszulachen und ihn den Rest seines Lebens mit diesem Vorfall aufzuziehen oder ihm zu Hilfe zu eilen.
Owen ersparte ihnen weitere Gewissenskonflikte. Er trat dem Idioten in den Bauch und winkte die anderen heran. »Na, kommt schon und holt euch eure Abreibung.« Auch ohne Altirisch-Kenntnisse war leicht zu begreifen, was er meinte. Der Dinosaurier wollte einen Kampf, und das breite Grinsen in meinem Gesicht tat wohl ein Übriges.
»Hey, Jungs, wartet mal …«, rief der Barkeeper.
Doch da hatten sie schon ihre Gläser abgestellt und stürzten sich auf Owen. Stolz und Freundschaft ließen ihnen keine andere Wahl. Ohne mich von der Stelle zu rühren, murmelte ich Worte zur Steigerung von Stärke und Schnelligkeit, nur für den Fall, dass ich in die Sache hineingezogen wurde.
Der Erste rauschte bereits heran und hatte offenbar vor, Owen zu Boden zu ringen, damit er ihn dort umso besser mit den Fäusten bearbeiten konnte. Das konnte nicht gut gehen. Genau auf diese Weise hatten wir den Erzdruiden bei der Ausbildung immer attackieren müssen, weil das auch damals schon eine verbreitete Taktik im unbewaffneten Nahkampf war. Mit einer Finte nach rechts klatschte Owen den ausgestreckten Arm des Heranstürmenden beiseite und wirbelte herum, als dieser vorbeitorkelte. Die Fäuste vor dem Brustbein, rammte der Erzdruide dem Typen den linken Ellbogen an die Schläfe und empfing nach einer erneuten Drehung gleich den nächsten Angreifer mit einem Hieb des angewinkelten rechten Arms in den Bauch. Der Mann knickte ein und verlor mehrere Zähne, als ihm Owen den Ellbogen ans Kinn schmetterte.
Der Dritte bremste, um vielleicht eine Schwachstelle auszumachen, während der Vierte abdrehte und auf mich losging, obwohl das über meinen Rücken geschnallte Schwert nicht zu übersehen war. Mit erhobener Faust rückte er von links heran, und ich wartete darauf, dass er zuschlug. Sobald seine Faust auf mich zusauste, packte ich sie mit der linken Hand und folgte Owens Beispiel: Ich nutzte seinen Schwung und verpasste ihm dabei einen Kopfstoß. Beide Hände an die gebrochene Nase pressend, sackte er nach unten.
Der Letzte einer Gruppe benimmt sich selten so hartgesotten wie im Schutz der Gemeinschaft. Die Moral verflüchtigt sich ganz schnell, wenn von den Freunden auf einmal keiner mehr aufrecht steht.
Beschwichtigend hob er die Hände und wich zurück. »War wohl ein Irrtum, Entschuldigung.«
»Hat der Kerl keinen Mumm im Leib, Siodhachan? Gerade wollte er mir noch an den Kragen, und jetzt überlegt er es sich plötzlich anders?«, knurrte Owen.
»Was würdest du an seiner Stelle tun?«
»Ich würde die Sache vielleicht auf später verschieben, sicher. Schließlich müsste ich erst mal kämpfen lernen. Mit solchen Gestalten macht das doch keinen Spaß.«
»Vielleicht ist der da eher nach deinem Geschmack.« Ich deutete an ihm vorbei auf den sich nähernden Rausschmeißer. Ein bulliger Typ von der Sorte, die viel einstecken können und geduldig so lange auf einen Widersacher eindreschen, bis er sich nicht mehr rührt. »Der Mann hat die Aufgabe, Unruhestifter an die frische Luft zu befördern.«
»Versteht er was von seiner Arbeit?«
»Das wirst du gleich rausfinden.« Ich zog Geld aus der Tasche und wandte mich auf Englisch an den Barkeeper. »Tut mir leid, dass die Sache so aus dem Ruder gelaufen ist. Ich lasse was da für unsere Getränke und fürs Aufräumen.« Die amerikanischen Dollar, die ich dabeihatte, ließen sich leicht einwechseln. Außer ein wenig Blut, das aufgewischt werden musste, war nicht viel passiert, doch das würde sich vermutlich bald ändern. Im Gegensatz zu den Halbstarken hatte der Rausschmeißer sehr wohl eine Ahnung vom Kämpfen. Er sah aus wie ein Exmilitär und hatte wohl irgendwann Krav Maga gelernt. Owen schloss sofort Bekanntschaft mit den Feinheiten dieser Technik. Nach ungefähr zwanzig Sekunden lag der Erzdruide nach Luft ringend und mit auf den Rücken gedrehten Armen auf dem Boden. Auch der Rausschmeißer schnaufte schwer, denn Owen hatte ihm zwei ordentliche Schwinger verpasst. Beide lächelten jetzt mit blutigen Lippen.
»Grandpa hat echt was auf dem Kasten.« Der große Mann spuckte Blut auf den Boden und schaute sich nach mir um. »Willst du dich auch mit mir anlegen? Wenn du das Schwert ziehst, kriegst du allerdings nicht nur mit mir Schwierigkeiten, sondern auch mit dem Gesetz.«
»Nein, ich brauche keine Nachhilfe in Benimmfragen. Aber ihm hat sie nicht geschadet.«
»Gut. Dann raus mit dir.« Er deutete mit dem Kinn zur Tür. »Grandpa kommt gleich nach.«
In sicherem Abstand marschierte ich an ihnen vorbei zum Pub-Eingang. Owen lachte, als der Große ihn auf die Beine zog. »Siodhachan, sag diesem Riesenochsen, dass ich ihn mag.«
»Was will er?« Der Rausschmeißer bugsierte Owen durch den Gang. »Mich später windelweich prügeln?«
»Nein. Er findet dich sympathisch.«
»Okay. Das ist was anderes.«
»Aber später werde ich ihn natürlich windelweich prügeln.« Owen machte eine unmissverständliche Geste.
Ich lachte. »Also doch.«
Der Rausschmeißer grinste. »Das ist der Standardspruch in solchen Fällen. Hört zu, ist mir eigentlich ganz recht, dass ihr diese Typen in die Mangel genommen habt, das sind nämlich echt blöde Wichser, aber lasst euch bloß nicht mehr hier blicken, Freunde, sonst bin ich vielleicht nicht mehr so nett.«
»Keine Sorge.« Ich trat nach draußen.
Er schob Owen auf die Straße und schloss die Tür.
»Was war das mit den Ellbogen da drinnen?«, fragte ich.
»Ach das. Ich hab diese Scheißschmerzen in den Knöcheln.« Er streckte sich und fasste sich mit gequälter Miene ans Kreuz. »Wenn ich so was mit den Händen erledige, krieg ich sie morgen nicht mehr auf. Altwerden ist ungefähr so lustig wie in Kacke schwimmen.«
»Ich weiß, hab’s mal ausprobiert.«
»Tatsächlich? Wie alt warst du, bevor du wieder jünger geworden bist?«
»Ich war fünfundsiebzig, als mir AIRMED den Trick beigebracht hat. Dieser Schmerz, den du erwähnt hast, das nennt man heute Arthritis.«
»Hab ich dich gefragt, wie man es nennt? Mir ist das schnurz, für mich ist das einfach ein Schmerz in den Knöcheln.«
»Schon gut.«
Nach einer Pause fragte er: »Und wie bist du dann so jung und frisch geblieben? Was ist dein Geheimnis? Hast du MANANNAN eins von seinen Schweinen gestohlen?«
»Nein, ich trinke einen bestimmten Tee. Ich werde dir nachher was davon machen, bevor wir dir eine moderne Identität verpassen. Wie alt möchtest du gern sein?«
»Ist das eine ernste Frage?«
»Ja.«
»Hm. So jung wie du möchte ich nicht mehr aussehen. Ich weiß, du bist inzwischen viel älter als ich, trotzdem fühlt es sich nicht so an, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Klar.« Mir gefiel es, jung zu wirken. Dadurch unterschätzten mich alle.
»Ich glaube, ich würde gern noch mal auf meine Vierziger zurückkommen. Da ist man immer noch stark und lebendig, aber genießt auch Respekt.«
»Leuchtet mir ein. Laufen wir rüber zu den Bäumen, dann können wir alles Nötige holen. Deinen Beinen geht’s wieder besser, oder?«
»Aye. Fühlen sich so gut an wie eh und je als Greis. Dieser Speck von FAND war wirklich wunderbar.«
Wir steuerten auf das Kilkenny Castle zu, und er schritt schon viel zuversichtlicher aus als auf dem Hinweg. Vielleicht hatten ihm der Alkohol und die Prügelei ja ebenso geholfen wie die Heilkraft von MANANNANS Wunderspeck.
»Bist du bereit, die neue Sprache zu lernen?«
»Ja. Fangen wir mit Schimpfwörtern an, dann tu ich mich leichter.«
So machte ich mich daran, ihm Englisch mit irischem Akzent beizubringen, und wie sich herausstellte, hatte er ein ausgezeichnetes Ohr dafür. Natürlich beruhte dieser schnelle Spracherwerb auf seinen druidischen Fähigkeiten. Wir wechselten von Kilkenny nach Flagstaff in Arizona, wo es kurz nach Mittag war und die Handelsgesellschaft Winter Sun an der San Francisco Street geöffnet hatte. Dort gab es die nötigen Zutaten für Immortali-Tee sowie anständige Teekannen, und ganz in der Nähe wartete ein Wald, der Owen bestimmt gefallen würde.
Bevor wir das Geschäft betraten, zückte ich das Handy und rief meinen Anwalt Hal Hauk an, der auch der Alpha des Tempe-Rudels war. Owen war so fasziniert von den Passanten und dem sonstigen Geschehen im Zentrum von Flagstaff, dass er gar nicht mitbekam, dass ich über ein kleines rechteckiges Gerät am Ohr mit jemandem konferierte.
»Hallo Hal! Ich brauche Papiere!«
»Du machst Witze. Ich hab dir doch gerade welche besorgt.«
»Nicht für mich.« Granuaile und ich hatten unsere früheren falschen Identitäten als Sterling Silver und Betty Baker abgelegt, die uns COYOTE zu unserem Leidwesen angehängt hatte. Jetzt lebten wir unter den Namen Sean Flanagan und Nessa Thornton, die wir allerdings privat nie benutzten. Für mich war sie weiterhin Granuaile, und ich für sie Atticus. »Für jemand anders. Ich brauche einen kompletten Lebenslauf, weil er bisher nicht … da war.«
»Und wer ist das?«
»Ein ganz alter Freund namens Owen Kennedy. Hör zu, wir sind in Flagstaff und können nicht so schnell zu dir kommen. Weißt du vielleicht jemanden hier in der Nähe, der die Bilder und die Infos zusammenstellen und dir dann alles schicken kann?«
»Ja. Geh zu Sam Obrist. Ein Schweizer, der für die Gruppe dort zuständig ist. Hier seine Adresse.«
Ich prägte sie mir ein und bedankte mich mit dem Versprechen, Owen mitzubringen und dem Rudel vorzustellen, sobald seine Papiere fertig waren.
Nachdem wir alles Nötige bei Winter Sun eingekauft und einen kurzen Abstecher zum Peace Surplus an der Route 66 gemacht hatten, weil wir noch einen Gaskocher, einen kleinen Spiegel, moderne Klamotten für Owen und einen von diesen kleinen Klappspaten für den Rucksack besorgen mussten, wanderten wir mit zwanzig Litern Wasser hinauf zum Mars Hill und versteckten uns in den Ponderosa-Kiefern mehrere hundert Meter entfernt vom Lowell-Observatorium. Ich setzte die Kräutermischung an und schuf die Bindungen, die ich vor so langer Zeit von AIRMED gelernt hatte und die diesen Tee zu einem echten Verjüngungsmittel machten, statt nur zu einem Gebräu mit leicht antioxidativer und entgiftender Wirkung. Da ein offenes Feuer nicht nur illegal, sondern auch ineffizient gewesen wäre, bereitete ich den Immortali-Tee auf dem Gaskocher zu und forderte meinen Erzdruiden anschließend auf, sich das Zeug hinter die Binde zu kippen.
Nach dem ersten Schluck musterte er die Tasse mit finsterer Miene. »Schmeckt wie Hammelkacke, Junge.«
»Aber es tut dir gut. Du wirst es bald spüren.«
Achselzuckend schüttete er den Tee hinunter und trank weiter, bis die erste Kanne leer war. Mit einem leisen Lächeln setzte ich die nächste auf.
Er bemerkte mein Amüsement. »Warum bist du so gut gelaunt?«
»Ich trinke immer nur ein paar Schluck davon. Ungefähr eine halbe Tasse alle vier oder fünf Monate reicht, damit ich mein Alter bewahre. Und die hat schon eine leicht laxative Wirkung.«
»Was für eine Wirkung?«
»Laxativ. Das heißt, es ist ein Abführmittel.«
»Eine halbe Tasse hat …? Du hast mich gerade eine ganze Kanne trinken lassen!«
»Dafür haben wir den Spaten dabei. Du gräbst dir jetzt ein Loch. Das wirst du nämlich bald brauchen. Hier.« Ich warf ihm den Spaten zu.
»Du nutzlose Nachgeburt einer Ziege!« Er fing den Spaten auf und schüttelte ihn drohend. »Am liebsten würde ich dir damit den Schädel einschlagen!«
»Bis du das schaffst, brauchst du noch ein paar Kannen. Damit spülst du die ganzen Gifte aus dir raus, und denen musst du garantiert nicht nachtrauern. Zum Beispiel wirst du den Schmerz in deinen Knöcheln los.«
Aus dem Mund meines Erzdruiden brach ein Schwall wüster Verwünschungen, als er sich daranmachte, eine behelfsmäßige Latrine auszuheben. Er drohte mir ernste Konsequenzen für diese Demütigung an.