Kerze & Krähe - Kevin Hearne - E-Book

Kerze & Krähe E-Book

Kevin Hearne

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Beschreibung

»Eine actiongeladene, umwerfend witzige Reihe. Atemberaubend!« Booklist  Al MacBharrais ist ein Zauberer und Detektiv in Glasgow, der mit Hilfe seiner besonderen Kraft – der Magie der Schreibfeder – vertrackte Fälle aufklärt. Endlich ist Al auch ganz nah dran, den Grund der Flüche, die auf ihm selber liegen, zu verstehen und herauszufinden, wer ihm all das angetan hat… Der Abschlussband der aktionsgeladenen, rasant unterhaltsamen Chronik des Siegelmagiers. Der Schotte Al hat einen ungewöhnlichen Job: Er praktiziert mit Tinte und Siegeln Magie und hat die Aufgabe, die Ordnung zwischen den Göttern und Monstern aufrechtzuerhalten, die verborgen in der Menschenwelt leben. Aber es gibt ein übernatürliches Rätsel, das er nie lösen konnte: Vor Jahren verhängte jemand einen Doppelfluch auf ihn, der seine Lehrlinge tötete und alle vertrieb, die ihn sprechen hörten, was ihn völlig isoliert zurückließ. Aber er ist nicht ganz allein:  Seine letzten Freunde ziehen ihn in ihre exzentrischen Dramen hinein. Buck Foi, der Kobold, hat einen Plan für einen waghalsigen Streich, der ihn zum berühmtesten Hobgoblin machen wird. Nadia, Gothic-Queen und Kampfseherin, gründet ihren eigenen Kult um einen Gott, der Whiskey und Käse liebt. Und die Morrigan, die irische Todesgöttin, hat beschlossen, dass sie sich der gefährlichsten Herausforderung der Welt der Sterblichen stellen möchte: Online-Dating.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 498

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Dies ist der Umschlag des Buches »Kerze & Krähe« von Kevin Hearne, Alexander Wagner

Kevin Hearne

KERZE & KRÄHE

Die Chronik des Siegelmagiers 3

Aus dem Amerikanischen von Alexander Gerald Wagner

Klett-Cotta

Impressum

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe zum Zeitpunkt des Erwerbs.

Hobbit Presse

www.hobbitpresse.de

J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH

Rotebühlstr. 77, 70178 Stuttgart

Fragen zur Produktsicherheit: [email protected]

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Candle & Crow« im Verlag Del Rey, New York

© 2024 by Kevin Hearne

Für die deutsche Ausgabe

© 2025 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte sowie die Nutzung des Werkes für Text und Data Mining i.S.v. § 44b UrhG vorbehalten

Cover: Birgit Gitschier, Augsburg, unter Verwendung der Daten des Originalverlages

Coverillustration: Sarah Colemann

Gesetzt von Dörlemann Satz, Lemförde

Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck

Redaktion: Tamara Rapp

ISBN 978-3-608-98210-7

E-Book ISBN 978-3-608-12402-6

Inhalt

1

 Ein Bier am Ort der letzten Begegnung

2

 Die Wichtigkeit eines guten Alibis

3

 Der Fall der verschwundenen Rezeptionistin

4

 Wilde Druidin

5

 Aufgeblasene Regierungsbastarde

6

 Die Blauen Männer vom Minch

Zwischenspiel: Sepiatinte

7

 Eine Krähe in der Necropolis

8

 Das Paragon der Hobgoblins

9

 Neun Wege zu Nancy

10

 Rose bekommt es mit wahrer Größe zu tun

11

 Kampf auf den Faraglioni

12

 Die heiligen Schriften

13

 Ein Schritt in die Sterblichkeit

14

 Das Doppeldate

15

 Das Fußballspiel

Zwischenspiel:Die Chemie des Scheiterns

16

 Übers Ziel hinausgeschossen

17

 Die Hobgoblin-Fete

18

 Der legendäre Zusammenbruch von Percy Tempest Vane

19

 Von Cheesedicks und Schach

20

 Der Schlund von Lhurnog

21

 Rote Roxanne

22

 Der goldene Rahmen

23

 Barhopping in Kalifornien

Zwischenspiel:Pilzsaft

24

 Bären und Schlagringe

25

 Der Whisk(e)y-Kuss

26

 Die unerträgliche Härte von Softwood

27

 Im Hexer-Haus

28

 Der Kriegsgott

29

 Furcht und Schrecken

30

 An LHURNOGS Tisch

31

 Der achte Schüler

Epilog

Die Bibliothekarin

Glossar mit Hinweisen zur Aussprache

Danksagung

Für Dirk, Nick & Abe: Danke für die vielen Späße.

1

Ein Bier am Ort der letzten Begegnung

Wenn du einen Hobgoblin engagierst, sagt dir niemand, dass du im Prinzip alle Pläne vergessen kannst. Klar, du kannst schon Pläne machen. Aber es wird schwierig, sie in die Tat umzusetzen, wenn du beispielsweise nach dem Duschen feststellst, dass er deine frische Unterwäsche mit einer Speckschwarte eingerieben hat, sodass du noch mal duschen musst und infolgedessen zu spät zu deinem Termin kommst. (Ich bin stolz auf meine Pünktlichkeit, doch wenn man die Wahl hat, entweder zu spät oder mit speckigen Eiern aufzutauchen, dann wird auch bei mir der Zeitplan über den Haufen geworfen.)

Dass mich niemand vor bestimmten Eigenschaften der Hobgoblins gewarnt hatte, lag daran, dass niemand mehr Hobgoblins beschäftigte, und den Grund dafür erfuhr ich fast täglich am eigenen Leib.

Von einem Hobgoblin wurde natürlich erwartet, dass er seinen Arbeitgeber ein wenig verarschte; es musste schließlich Nachteile haben, ihn zu beschäftigen, sonst hätte sich jeder so einen teleportierenden Laufburschen angeschafft. Das Problem war, dass ein wenig sehr subjektiv war und Buck Foi und ich sehr unterschiedliche Vorstellungen davon hatten. Buck wollte eine Legende unter seinesgleichen werden und den Dienst bei Menschen wieder salonfähig machen, also ging er an alles, was er tat – auch ans Verarschen –, mit dem Gedanken heran, dass es das Zeug zur Legende haben müsse. Im Prinzip erledigte er alles, was ich von ihm verlangte, fehlerfrei, wenn auch mit viel Gejammer. Andererseits konnte ich mich nie, wirklich nie entspannen, weil er immer schon den nächsten Streich plante.

Ich hatte ihn gebeten, die Sache kreativ und konstruktiv anzugehen, in der Hoffnung, dass mein Eigentum verschont bliebe und ihn das vielleicht bremsen würde. Doch er war kreativer als erwartet. Immerhin weitgehend zerstörungsfrei, wie ich zugeben muss, bis auf die ruinierte Unterwäsche.

Allerdings machte ich mir Sorgen wegen der Zerstörung, die sich gegen ihn selbst richtete. Er trank viel zu viel und hatte kürzlich herausgefunden, dass Hobgoblins von Capsaicin high werden, dem Alkaloid, das jedem Pfeffer seine Schärfe verleiht. Er hatte in all den Jahren bisher noch nie Curry gegessen, sonst wäre ihm das schon früher aufgefallen. Aber bei einem Besuch in einem mexikanischen Restaurant in Philadelphia entdeckte er diesen seltsamen Effekt, der einen Hobgoblin umhauen kann. Und seither war er vor lauter Salsa-Schlürfen und Whisky-Kippen oft nicht ganz bei Sinnen. So wie jetzt, als er über seinen Streich kicherte, bis er einfach umfiel.

[Du solltest weniger trinken, Buck], sagte ich zu ihm, oder besser gesagt, ich tippte es in meine Sprech-App. [Langsam mache ich mir Sorgen. Es muss einen Grund geben, warum du dir das antust. Soll ich einen Termin bei einem Therapeuten vereinbaren?]

»Was? Nee. Warte, meinst du das ernst? Quatsch, ich weiß, was in meinem Kopf vorgeht. Ich meine, jeder blickt in die Zukunft und fragt sich, ob seine Vergangenheit im Nachhinein eine gute Show oder eine Lachnummer abgibt, oder? Kein Grund, einem Fremden das Offensichtliche zu erklären.«

Das war nicht annähernd die Antwort, die ich erwartet hatte. [Willst du damit sagen, dass du dir Sorgen um dein Erbe machst und deshalb trinkst?]

»Nee. Ja? Nee. Na ja, vielleicht.«

[Wir reden später weiter, ich muss los. Aber überleg mal, ob du als besoffener Idiot in die Geschichte eingehen willst oder ob du das Potenzial hast, das zu verhindern.]

Er verzog genervt das Gesicht. »Um Himmels willen, Alter, musst du unbedingt so eine Spaßbremse sein?«

[Ich spreche als Freund zu dir. Wenn du nicht die Kraft hast, selbst aufzuhören, werden wir andere Wege finden.]

»Befiehlst du mir aufzuhören?«

[Nein, ich befehle dir, darüber nachzudenken. Sei ehrlich zu dir selbst und mach dir bewusst, was du tust. Wie gesagt, wir sprechen später darüber.]

Vielleicht war er ja schon süchtig nach Alkohol; andererseits deutete seine etwas vage Antwort darauf hin, dass er schlicht viele ungelöste Probleme hatte und trank, um sich ihnen nicht stellen zu müssen. Wenn ich ihn dazu bringen konnte, würde er vielleicht mit dem Trinken aufhören. Manche mögen das für naiven Optimismus halten, aber ich spreche hier aus eigener Erfahrung. Nach Josephines Tod habe ich viel zu viel Whisky getrunken und den gleichen Fehler gemacht wie unzählige andere: Ich dachte, ich könnte meinen Kummer im Alkohol ertränken. Bloß ging es mir nach drei durchzechten Nächten nicht besser, sondern schlechter, und die Trauer war noch genauso frisch und quälte mich unerbittlich. Ich musste also etwas anderes ausprobieren. Es tat weh, mich so verletzt und verlassen zu fühlen und nichts zu haben, womit ich den Schmerz hätte lindern können, doch ich trank ein Jahr lang keinen Tropfen und war schließlich zuversichtlich, dass ich es allein schaffen würde. Danach trank ich nur noch in Gesellschaft und schaute nie wieder zu tief ins Glas. Jetzt wollte ich, dass Buck es ebenfalls alleine schaffte, und wenn nicht, würde ich ihm helfen – oder Hilfe besorgen, je nachdem.

Ich ließ ihn schimpfend zurück und machte mich auf den Weg zu meiner Besprechung. Ich war sicher, er würde darüber nachdenken, und ich für meinen Teil würde saubere Unterwäsche nie mehr als etwas Selbstverständliches ansehen, sondern als den süßen Segen, der die Grundlage meines Wohlbefindens war. Ja, wir entwickelten uns.

Zum Glück war das Treffen informell, und man würde meine Verspätung entschuldigen. Ich hatte eigentlich gehofft, nach meiner Rückkehr aus Australien ein langes Wochenende zu haben, um am Problem meiner Zwillingsflüche zu arbeiten, aber bevor ich mich voll und ganz der Aufgabe hatte widmen können, hatte ich am Freitagmorgen eine unerwartete Textnachricht erhalten.

Al! Saxon hier. Ich bin wieder da. Neue Nummer. Wie wär’s heute Abend mit einem Bier am Ort unserer letzten Begegnung?

Saxon Codpiece zurück aus dem selbst gewählten Exil? Ich hatte mit mindestens einem weiteren Monat Funkstille gerechnet, da er sich neben seinen höchst illegalen Hacking-Aktivitäten für mich offenbar auch Zugang zu einigen Regierungsdateien verschaffen wollte. Ich hatte kurz gezögert, bevor ich zusagte.

Freitagabends waren die Pubs voll mit jungen, betrunkenen und vergnügungssüchtigen Leuten, aber wenn wir früh genug wieder verschwanden, waren die Gäste vielleicht noch nicht allzu enthemmt. An solchen Abenden kam es vor, dass eine junge Frau meinen Kaschmirmantel und mein gepflegtes Äußeres abcheckte und kurz mit mir flirtete, bevor sie merkte, dass ich nicht der Sugar Daddy war, den sie suchte. Diese flüchtigen Intermezzi waren an sich nicht störend, führten aber mehr als einmal dazu, dass ein junger Mann sich bemüßigt fühlte, mich herauszufordern, weil er bereits entschieden hatte, dass die junge Frau zu ihm gehörte und deshalb nicht flirten durfte, mit wem sie wollte. Für den jungen Mann ging das nie gut aus, für mich aber auch nicht, denn es verdarb mir den Spaß, den ich sonst vielleicht aus dem Abend hätte ziehen können. Doch am Ort unseres letzten – und damit auch dieses – Treffens, der Bier-Halle in der Gordon Street, ging es mehr um Essen und Bier als um Anmache. Es sollte also nicht allzu schlimm werden.

Klar. Sieben?, fragte ich ihn.

Die Antwort kam sofort. Super, Kumpel. Wir sehen uns.

Nach dieser kleinen Ablenkung nahm die Arbeit in der Druckerei den ganzen restlichen Tag in Anspruch, und ich begriff, dass ich nicht vor dem Wochenende Zeit für die Arbeit an meinen Flüchen finden würde. Es gab viel zu tun, denn sowohl Nadia und ich als auch Gladys, die schon viel Scheiße erlebt hat, waren lange weg gewesen, und Gladys sollte sogar erst am Montag zurückkommen.

Da Saxon von der Polizei gesucht wurde, musste ich vorsichtig sein. Als es so weit war, setzte ich meine Melone mit dem Siegel des Verschluckten Lichts auf, das Kameras ausschaltet, und schnappte mir meinen Gehstock aus Karbonstahl, eine Waffe, die ein Mann in seinen Sechzigern unauffällig mit sich herumtragen konnte. Ich hoffte, dass ich ihn nicht brauchen würde, aber man weiß ja nie.

Auf dem Weg nach unten tastete ich in meiner Manteltasche nach dem Füllfederhalter und den Siegeln, die ich aus dem Büro mitgebracht hatte, denn ich wusste, dass Saxon für seine Dienste ein Siegel verlangen würde. Nicht dass ich seine Dienste im Moment benötigte, doch es war besser, vorbereitet zu sein. Zu meiner Erleichterung war alles an seinem Platz, einschließlich der Siegel, die ich meinen »offiziellen« Ausweis nannte, und einiger anderer, die ich immer überallhin mitnahm.

Buck durfte meine Tinte und Siegel nicht anrühren – schließlich sorgten sie dafür, dass wir sicher waren und unsere Rechnungen bezahlen konnten, und das war eine rote Linie, die er nicht überschreiten durfte. Allerdings lebte ich in der Sorge, dass er es trotzdem eines Tages tun würde.

Die rote Linie, die für mich galt, war die Erwähnung seines früheren Namens: Gag Badhump. Er sprach nie von seiner Familie – ich wusste nicht einmal, ob sie noch lebte, – und ich fragte mich gelegentlich, ob das vielleicht etwas mit seinem starken Alkoholkonsum zu tun hatte. Irgendwann würde ich der Sache nachgehen, wenn auch so unauffällig wie möglich.

Nach einem kurzen, strammen Marsch erreichte ich die Bier-Halle in der Gordon Street, deren grünes Vordach in fröhlichen weißen Buchstaben verkündete: IT’LL ALL END IN BEERS! Hier hatten wir uns getroffen, bevor Saxon untergetaucht war. Eine Treppe führte in den Keller, und mir kam in den Sinn, dass Saxon mich meistens in unterirdischen Räumen traf.

Er war leicht zu entdecken, denn er war selbst im Sitzen größer als fast alle anderen, und er winkte mir aus einer Ecknische zu. Ich zog meinen Mantel aus, faltete ihn über den linken Arm und gesellte mich zu ihm.

»Alles in Ordnung, Al?«, fragte er.

Ich nickte, schüttelte ihm die Hand und musterte ihn. Er war elegant gekleidet, trug eine Art maßgeschneiderten Businessanzug in hellen Braun- und Blautönen, was so ungewöhnlich war, dass ich mit dem Finger wackelte und eine Augenbraue hochzog.

»Ach, das meinst du? Mal was anderes als meine Anarcho-Klamotten, oder? Tja, ich erfinde mich gerade neu. Deshalb wollte ich mit dir reden.«

Er hatte schon ein Bier auf dem Tisch stehen, und als die Kellnerin kam, deutete ich darauf und zeigte mit dem Daumen nach oben. Während sie mein Bier holte, studierten wir die Speisekarte und orderten, als sie zurückkehrte, zwei Pizzen. Saxon bestellte für mich, damit ich nicht sprechen musste – der Fluch, der die Leute dazu brachte, mich zu hassen, wenn sie meine Stimme zu lange hörten, würde die Kellnerin nicht so schnell treffen, aber natürlich bestand die Möglichkeit, dass er bei Saxon ausbrach, wenn ich in seiner Gegenwart nicht mit Worten sparte. Ich nahm die mit Peperoni und pikantem Honig, und er wählte die Balmoral mit Haggis, gebratenem Huhn und Parmesan.

Als das erledigt war, zückte ich mein Handy. Ich benutzte Signal statt meiner Sprech-App, weil sich der schwache Lautsprecher des Telefons gegen den Lärm in der Bar nicht wirklich durchsetzen konnte. Ich dachte, du wärst länger weg, tippte ich, und sein Handy leuchtete mit einem Ping auf.

»Nee, ich musste nur kurz mal komplett untertauchen, um eine neue Operationsbasis aufzubauen, falls mich jemand auf dem Kieker haben sollte. Die Basics krimineller Sorgfalt. Paranoide Typen kommen nicht ins Gefängnis, stimmt’s? Wenn die Bullen mir tatsächlich bereits auf die Spur waren, müssen sie jetzt wieder von vorne anfangen, weil Saxon Codpiece spurlos verschwunden ist. Ich hab neue Firmen, neue Briefkastenfirmen, neue Konten und einen neuen Namen. Hier, schau dir das an.« Er zog eine Visitenkarte aus der Tasche und klatschte sie auf den Tisch. Darauf stand: Norman! Pøøts!

Ich musste unwillkürlich kichern, und vielleicht war das auch der Sinn der Sache. Saxon hatte sich zwar neu erfunden, war aber in Sachen seltsamer und einprägsamer Namen konsequent geblieben.

Ich verstehe den Witz, von Saxon zu Norman zu wechseln, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Nachname nicht zulässig ist.

»Was meinst du mit nicht zulässig?«

Ich meine deine Schreibweise. Du benutzt das schräggestrichene dänische o, und das wird niemals verdoppelt.

»Doch, wird es! Im Abspann von Ritter der Kokosnuß gibt es einen ganzen Abschnitt über møøse.«

Wird es auch anders ausgesprochen?

»Natürlich! Wenn du ein normales o benutzt, heißt es einfach poots, was sich auf boots und toots und fruits reimt. Aber wenn du das schräggestrichene o verdoppelst, wird es wie bleu in bleu cheese ausgesprochen. Also, hör zu, Al, Poots. Pøøts. Hörst du den Unterschied?«

Das ist ein sehr feiner Unterschied.

»Und es wird mir endlos Spaß machen, die Leute immer wieder Pøøts sagen zu lassen, bis ich zufrieden bin. Oder auch nicht. Wenn ich jemandem erkläre, dass er es nicht richtig aussprechen kann und es einfach bleiben lassen soll, wird das seiner Psyche sicher nachhaltig schaden.«

Hast du auch einen Ausweis mit deinem Namen drauf?

»O ja. Ich bin mit einem neuen Pass gereist. Saxon Codpiece wird nie wieder aus Argentinien zurückkehren.«

Beeindruckend. Ich klopfte ein paarmal auf die Karte und tippte dann schnell: Ich sehe, du hast sogar den Beruf gewechselt.

Auf seiner alten Visitenkarte hatte er sich professioneller Wichser genannt. Auf der neuen Karte stand Sicherheitsberater.

»Ja, das ist mein legales Feigenblatt für den ganzen illegalen Scheiß, den ich für euch machen soll. Von den Schlepperbanden, die ich für euch aufgespürt habe, hab ich eine Menge über Geldwäsche gelernt – und ich habe übrigens ein paar neue für euch.« Er zog einen ziemlich dicken Aktenordner hervor. »Das ist alles illegal beschafft, also müsst ihr es als anonymen Tipp verkaufen. Aber diese Typen sind ein Haufen Mistkerle. Wenn sie die schnappen, fliegt wahrscheinlich der halbe Menschenhandel von Glasgow auf. Die zwingen nicht nur Frauen zur Sexarbeit. Sie verkaufen auch Männer und Kinder an verschiedene Branchen. Und der Fokus muss unbedingt wieder darauf liegen, den Opfern zu helfen, nicht, sie zu bestrafen.«

Ich gebe das weiter.

»Super. Und was hast du so gemacht?«

In Australien ein bisschen Unfug getrieben. Bin erst gestern zurückgekommen.

»Ach ja? Seid ihr einer dieser Riesenspinnen begegnet?«

Wir sind ein paar ungewöhnlich großen Tieren begegnet, ja.

»Und hat sich die Reise gelohnt? Gibt’s irgendwelche Schmuggelware zu waschen?«

Für mich nicht, aber möglicherweise bald für Nadia.

»Das sind ja tolle Neuigkeiten! Nadia ist die Beste. Du hast doch ihren Hexenwagen gesehen, oder?«

Aye.

»Ich wollte dich schon lange fragen: Kennst du den Gott, der auf der einen Seite abgebildet ist und Typen am Spieß frisst, als wären es Kebabs?« Ich nickte, denn so ein Bild prägte sich ein. »Gut. Ich hab mich gefragt, warum er auf einem Thron aus Käse sitzt?«

Erstens, weil es lecker ist. Und zweitens, wenn man ein Gott ist, kann man auf allem Möglichen sitzen, warum also nicht?

»Ja, natürlich«, sagte Saxon und nickte zustimmend. »Ich frage mich nur, ob es einen bestimmten Grund gibt, warum er aus Käse ist und nicht aus Schokolade oder Margaret Thatchers Knochen.«

O ja, den gibt es. Nadia hat mir erklärt, dass er das Fett des Landes symbolisiert.

»Wow, das ist perfekt! Echt, je mehr ich über Lhurnog höre, desto besser gefällt er mir.«

Ich beschloss, diesen Teil des Gesprächs im Sande verlaufen zu lassen. Lhurnog der Unheilige war nicht die Art von Gottheit, die man mittels Opfergaben und Gebeten zum Leben erwecken sollte. Möglicherweise wollte er dann nämlich mehr Opfergaben, als man ihm liefern konnte, oder noch schlimmer, er würde anfangen, seine Gier nach Menschenfleisch auszuleben.

Was sehr wahrscheinlich bedeutete, dass es Leute gab, die ihn am liebsten sofort zum Leben erweckt hätten.

Unsere Pizzen kamen schnell, und da der Laden brummte, bestellten wir gleich noch ein Bier, da die Kellnerin vielleicht nicht so bald zurückkehren würde. Wir machten uns über das Essen her, und ich fand meine Peperoni-Pizza mit dem scharfen Honig fantastisch. Ich musste unbedingt öfter herkommen, nicht nur dann, wenn ich meinen freiberuflichen Hacker traf.

Norman unterhielt mich gerade mit Geschichten über seine waghalsigen Taco-Experimente in Argentinien, als ein Mann in einem bis zum Bauchnabel offenen weinroten Seidenhemd das Lokal betrat. Auf seiner enthaarten Brust schimmerten Goldketten, und an seinem Handgelenk funkelte eine überflüssige, aber ganz offensichtlich teure Uhr. Ihm folgten drei Frauen in knappen Outfits, die sicher nicht wegen seines guten Aussehens an ihm interessiert waren, denn er war, um es mit den Worten von Hot Fuzz zu sagen, fuck ugly – die Art von missgestalteter Visage, die man erwartet, wenn man das Leichentuch vom Porträt Dorian Grays abzieht.

Mein Ausgangsverdacht wurde durch die Männer mit den maßgeschneiderten Jacketts und den Ohrstöpseln hinter den Ladys erhärtet: Gorillas, angeheuert vom schmierigen Seidenmann.

Norman, der bemerkte, dass meine Aufmerksamkeit abschweifte, folgte meinem Blick und stieß einen leisen überraschten Laut aus. »Der ist auch in der Akte«, flüsterte er und tippte auf den Ordner, um seine Worte zu unterstreichen.

Sofort machte es klick. Seidenmann war ein Menschenhändler, und die Frauen, die ihm folgten, arbeiteten höchstwahrscheinlich unter Zwang. Am liebsten hätte ich ihn sofort unschädlich gemacht, noch bevor ich genauer wusste, wer und was er war – er sah einfach aus wie ein ganz übler Scheißkerl, denn wer sonst trägt so viel Seide und Gold? Aber der Laden war voll und die Wahrscheinlichkeit von Kollateralschäden hoch. Außerdem soll ich meine Kräfte als Siegelagent eigentlich nicht in den Dienst menschlicher Gesetze stellen. Der richtige Schritt war es daher, nichts zu sagen, nichts zu tun und die Akte einfach der Polizei zu übergeben – dann würde er ordnungsgemäß verhaftet werden.

Nun, ich sagte nichts.

Aber Seidenmann bemerkte, dass Norman und ich ihn angewidert anstarrten, und er stoppte mitten in seinem Aufmarsch, um uns mit einer Kopfdrehung und einem finsteren Seitenblick zu bedenken. Er schien davon auszugehen, dass die Sache damit erledigt war.

»Was glotzt du so, Alter?«

Ich antwortete nicht, sondern legte bedächtig mein Handy beiseite, richtete mich auf der Bank auf und stützte beide Hände auf meinen Stock, den ich in der Mitte zwischen den Knien hielt. Nicht drohend, eher defensiv. Nur dass ich seinem Blick nicht auswich, während ich meine Haltung änderte. Eine Herausforderung par excellence. Hätte ich nachgeben wollen, hätte ich weggeschaut.

Als ich mich aufgerichtet hatte, richtete er sich ebenfalls auf und wandte mir nun auch seinen Körper zu. Offenbar hatte ich mir seine volle Aufmerksamkeit verdient.

»Soll ich dir den Schnurrbart aus dem Gesicht fegen?«

So exakt konnte er mich unmöglich treffen. Ich starrte ihn weiterhin voller Verachtung an und wartete darauf, dass er mehr als heiße Luft absonderte. Norman spielte das Spiel mit, schwieg, setzte aber eine ziemlich drohende Miene auf. Als Seidenmann die Faust ballte und ausholte, wartete ich nicht ab, ob er zuschlagen oder nur versuchen würde, mich einzuschüchtern. Ich ließ die linke Hand oben am Stock, senkte die rechte am Schaft ab und riss sie dann nach oben und vorne, um ihm von unten einen schnellen Schlag in den Schritt zu versetzen. Da er keinen Hodenschutz trug, war mein Schnurrbart innerhalb einer Millisekunde vergessen. Reflexartig krümmte er sich nach vorne, sodass ich ihm die Spitze meines Stockes unter das Kinn rammen konnte – ein raffinierter Aufwärtshaken, bei dem ich meine Knöchel schonte. Er taumelte zurück, aber weil ich nicht wollte, dass er auf den Tisch gegenüber fiel, sprang ich auf und verpasste ihm einen schnellen Schlag gegen die Schläfe – nicht genug, um seinen Schädel zu zertrümmern, aber genug, um ihn außer Gefecht zu setzen und ihn in die Lücke zwischen den Tischen zu befördern anstatt in jemandes Essen.

Um uns herum schnappten die Gäste nach Luft und schrien erschrocken auf, aber Norman erhob sich schnell und nutzte seine Körpergröße, um gebieterisch zu verkünden: »Es ist alles in Ordnung! Keine Sorge! Er suchte Streit und wurde eines Besseren belehrt, das ist alles.«

Dennoch gab es ein Problem: Die angeheuerten Schläger hatten inzwischen mitbekommen, dass das genau die Situation war, für die sie bezahlt wurden. Auch wenn der Chef bewusstlos war, mussten sie etwas unternehmen. Und jetzt wussten sie genau, was ich mit dem Stock anstellen konnte, also war der Überraschungseffekt weg. Sie drängten die Frauen zur Seite, um an mich ranzukommen, aber diese kurze Aktion gab mir gerade genug Zeit, meinen »offiziellen« Ausweis zu zücken und ihn ihnen unter die Nase zu halten. Die Siegel des Durchlässigen Verstandes, der Unumstrittenen Autorität und der Raschen Einwilligung unterbanden ihren Drang zur Gewalt und ersparten mir einen unschönen Kampf.

»Lasst es«, fauchte ich. »Geht mir aus dem Weg und kümmert euch um euren Chef.«

Handys wurden auf mich gerichtet und dann wütend angetippt, als die Kameras nicht funktionierten. Die Siegel an meiner Melone taten ihren Dienst. Norman warf ein paar Scheine auf den Tisch, ich schnappte mir die Akte mit dem Beweismaterial, und wir verließen den Laden.

Die Akte würde ich auf jeden Fall der Polizei übergeben. Der Seidenmann hatte vielleicht einen kleinen Vorgeschmack auf die verdiente Strafe bekommen, aber ich hatte ihm keinesfalls schon die ganze verderbte Seele aus dem Leib geprügelt.

»Die Sache hat uns um die zweite Runde gebracht«, sagte Norman, als wir in die Gordon Street einbogen. »Schade.«

Ich hätte meine Pizza gern im Doggybag mitgenommen, erklärte ich.

»O Mann. Das war mal wieder ein typischer Freitagabend in Glasgow.«

Wollte er dort etwa Geschäfte machen?

»Was, mit den Frauen? Nee. Zu früh. Wahrscheinlich hat er sie zum Essen eingeladen, um ihnen zu zeigen, was für ein netter und großzügiger Menschenhändler er ist. Eine kleine Teambesprechung, bevor die Schicht beginnt.«

Du hast mich doch nicht dorthin gelockt, weil du wusstest, dass er auftauchen würde, oder?

»Nee, nee, würde ich niemals tun. Reiner Zufall, ich schwöre. Ich hab sein Gesicht nur von den Fotos wiedererkannt; Visagen wie die tauchen nur allzu gerne in Albträumen auf.«

Womit er völlig recht hatte. Alles klar. Wir trennen uns jetzt besser. Danke für das Bier. Man sieht sich.

Wir verabschiedeten uns mit einem Winken und marschierten in entgegengesetzte Richtungen davon; der Aktenordner wog schwer in meiner Hand. Ein Teil von mir wollte ihn sofort der Polizei übergeben, aber es war klüger, bis Montag zu warten, denn so bestand ein ausreichendes Zeitfenster, in dem ich mir die Informationen selber hätte beschaffen können, falls jemand nachforschen würde – und ich war mir ziemlich sicher, dass jemand nachforschen würde. Der Polizei bei ihrer Arbeit zu helfen, schien oft eher Ermittlungen gegen die eigene Person als Dankbarkeit auszulösen, aber wenn man ihnen genügend Beweise lieferte, taten sie letztendlich auch das Richtige.

Es war gut, dass Norman wieder da war, und noch besser, dass er sein Geschäftsmodell geändert hatte, aber ich hoffte, dass wir seine Dienste nicht so bald brauchen würden.

Und weil ich so kühn war, das zu hoffen, bekam ich prompt eine SMS, die meine Hoffnungen zerplatzen ließ wie eine Seifenblase.

2

Die Wichtigkeit eines guten Alibis

Während ich mich mit Norman traf, fand zeitgleich eine Zusammenkunft zwischen Nadia (und vielleicht auch Buck) und Roxanne statt, der neuen Inkarnation der altirischen Schlachtengöttin MORRIGAN. Sie hatte beschlossen, dass sie das Land der Toten nicht mochte, aber statt sich weiter in ihrer früheren Gestalt zu manifestieren, war sie in den Körper einer gerade verstorbenen australischen Frau geschlüpft, um in einem neuen Fleischanzug inkognito durch die Welt zu wandern. Zu meinem Problem war das geworden, weil sie außerdem beschlossen hatte, uns nach Glasgow zu begleiten und Irland zu verlassen, wo sie weiter in die alte Rolle gezwängt gewesen wäre. Sie erwartete von uns, dass wir ihr ein für eine Göttin angemessenes Domizil besorgten – obwohl sie gar keine Göttin mehr sein wollte. Um das zu finanzieren, planten Nadia und Buck einen Raubüberfall, und da wir das eher überleben würden, als wenn wir der MORRIGAN eine Abfuhr erteilten, schob ich meine Bedenken beiseite. Aber die SMS, die ich bekam, sagte mir, dass es bereits morgen passieren würde, viel früher als erhofft.

Jetzt schon?, fragte ich über Signal. Nadia antwortete per Sprachnachricht über dieselbe App.

»Roxanne will nicht warten. Sie hat Angst, dass jemand anderes mit ein paar Millionen Pfund kommt und ihr das Schloss in Milngavie vor der Nase wegschnappt. Also werden wir ein paar Banken abklappern und den Hexenwagen mit den unrechtmäßig erworbenen Profiten von Kapitalisten füllen. Anschließend kann ich mich als Buchhalterin kreativ austoben, und wir werden ein Luxusanwesen für eine Todesgöttin kaufen, genau das, was ich schon immer tun wollte. Und, Chef? Lösch die Nachricht, ja? So was bringt die Strafverfolger schnell auf die Palme.«

Dann halte ich mich so lange in der Druckerei auf, in Sichtweite der Überwachungskameras. Ich muss ohnehin ein paar alte Akten durchsehen.

Nadias Antwort erfolgt prompt. »Ach, Scheiße, du wirst dich doch nicht ablenken lassen, wenn du zufällig eine Akte findest über die Geister der Brontë-Schwestern in den englischen Mooren, oder?«

Wahrscheinlich doch. Sorry. Aber es muss getan werden. Gladys, die schon viel Scheiße erlebt hat und OGMA kommen am Montag, und wir wissen beide, dass das unsere volle Aufmerksamkeit erfordern wird. Als Folge meines kürzlichen Australienaufenthaltes musste nicht nur ich mich mit einer Gottheit herumschlagen, sondern auch meine Rezeptionistin, die irgendwie den Respekt dieser Gottheit genoss und eigentlich gar keine Rezeptionistin war. Das ist meine einzige Chance, ungestört arbeiten zu können.

»In Ordnung. Viel Glück, Chef.«

Stirnrunzelnd sah ich auf mein Handy. Wenn Roxanne und Nadia zusammen im Hexenwagen saßen, während Buck Foi sich in die Bankgewölbe hinein- und von dort wieder herausteleportierte, unterhielten sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch über Lhurnog den Unheiligen. Aber ich konnte wenig dagegen tun.

Mir schauderte nur bei dem Gedanken an die Konsequenzen. Als Nadia und ihre Partnerin Dhanya noch die Einzigen waren, die an Lhurnog glaubten – sie hatten ihn praktisch aus dem Nichts erfunden –, gab es wenig Grund zur Sorge. Doch in letzter Zeit war Buck ein begeisterter Konvertit geworden, der gerne »Whisky und Käse für den Schlund von Lhurnog« opferte und mehr über seine Geheimnisse wissen wollte. Anfangs hatte Nadia geantwortet: »Keine Ahnung«, was ich sehr beruhigend fand, aber Buck drängte und ermutigte sie immer wieder, weitere geheime Schriften und formalisierte Rituale der Anbetung preiszugeben, die über das hinausgingen, was sie bereits geliefert hatte, und das war ein Weg, der für viele Menschen zu einem unangenehmen Ende führen konnte.

Es ist nicht genau bekannt, wie viele Anbeter es braucht, damit eine Gottheit sich manifestiert, aber mir (und vielen anderen Noch-nicht-Verspeisten) war es zweifellos lieber, wenn Lhurnog nie auch nur in die Nähe dieser Schwelle kam. Als ich zufällig hörte, wie Nadia Buck erzählte, dass Lhurnog besonders gerne gewalttätige Männer fraß – wobei er Kriegstreiber und Mörder bevorzugte, aber auch nicht nein zu einem leichten Snack von häuslichen Missbrauchstätern sagte –, trug das nur wenig zu meiner Entspannung bei. Ich war vielleicht nicht der Erste auf der Speisekarte, aber ein solcher Gott konnte durchaus sehr populär werden. Ein Gott, der Gewalttäter frisst und dadurch Frieden bringt? Millionen, wenn nicht Milliarden mochten ein solches Wesen anbeten, und genau das hatte Buck auch zu Nadia gesagt. Wenn ich ihnen verbot, darüber zu reden – weil es gefährlich war, mit der Macht des Glaubens zu spielen –, dann würden sie ihre Bemühungen fortsetzen oder sogar intensivieren, einfach um mich zu ärgern. Und falls Lhurnog wirklich auftauchte, würde ich ihn als Siegelagent Europas zur Rede stellen und ihn dazu bringen müssen, einen Vertrag zu unterschreiben, in dem er sich verpflichtete, dieses Gefilde nicht mehr zu besuchen. Ein Rendezvous, bei dem ich selbst leicht zum Imbiss werden konnte.

Also musste ich paradoxerweise so tun, als wäre ich nicht besorgt, sie beschäftigen und hoffen, dass andere Probleme sie von der ganzen Sache abbrachten.

Nadia hatte tatsächlich andere Probleme. Sie war eine Schlachtenseherin und hatte ständig damit zu kämpfen, dass sie eine Halbgöttin war, die aus der ehebrecherischen Affäre ihrer Mutter mit einem unbekannten Mitglied des hinduistischen Pantheons hervorgegangen war. Das beunruhigte sie, denn sie glaubte, dass ihre Kräfte noch wachsen würden. Und das beunruhigte auch mich, denn in dem Fall würde sie sich irgendwann fragen, warum sie für mich arbeitete. Außerdem verändert Macht den Menschen, und wir wussten beide aus Erfahrung, dass sie dadurch selten freundlicher und einfühlsamer wurden. Dolly Parton war da eine bemerkenswerte Ausnahme, aber uns beiden war klar, dass Nadia nicht Dolly war. Wir hatten also allen Grund, uns Gedanken zu machen.

»Also habe ich wahrscheinlich ein vorherbestimmtes Schicksal«, hatte mir Nadia einmal erklärt, »und das kann einem ganz schön zusetzen. Ich will eigentlich mein eigenes Ding machen. Götter, die den üblichen Götterscheiß durchziehen, nerven, während Buchhalterinnen, die Pitfights gewinnen, was Unerwartetes sind. Die können sich alles leisten, weil man es nicht kommen sieht. Und sie tragen keine Verantwortung, weil sie verdammte Göttinnen sind.«

Diese instinktive Ablehnung einer göttlichen Existenz war wahrscheinlich einer der Gründe, warum Nadia Roxannes neue beste Freundin wurde. Einerseits war ich dankbar dafür, denn ich vermied den Kontakt mit Roxanne nach Möglichkeit, und Roxannes Ansprüche hielten Nadia zu sehr auf Trab, als dass sie heilige Texte für ihre menschenfressende Gottheit hätte verfassen können. Andererseits verbrachte sie dadurch viel Zeit mit einer Göttin, die eine ziemlich gute Vorstellung davon hatte, wie viel Glaube nötig war, um eine Gottheit zu manifestieren. Und das wiederum würde möglicherweise zu einer Diskussion darüber führen, wie man Lhurnog den Unheiligen aus dem Reich der Fantasie in die Realität holen konnte.

Im Moment blieb mir nichts anderes übrig, als nach Hause zu gehen und etwas zu schlafen. Buck war nicht da – der Fernseher lief nicht, die Couch war leer und nicht mit Popcorn übersät –, und sofort machte ich mir Sorgen, in welche Schwierigkeiten er geraten könnte. Schwierigkeiten, die mir irgendwann um die Ohren fliegen würden. Ich überlegte kurz, ob ich nach ihm suchen sollte, entschied mich dann aber dagegen. Ich brauchte ihn im Moment nicht, und er plante wahrscheinlich einfach die Überfälle mit Nadia und Roxanne.

Am nächsten Morgen konnte ich ihn schnarchen hören, sogar durch die Tür seines Zimmers. Ich versuchte, leise zu sein und ihn nicht zu wecken. Wenn er zu spät zu seinem Überfall kam, umso besser. Aber ich wollte nicht zu spät zu meinen Recherchen und zum Verfertigen meines Alibis kommen.

Als ich bei MacBharrais Printing & Binding eintraf, begrüßte ich den Vorarbeiter und die Angestellten, winkte ihnen freundlich zu und fragte mittels meiner Sprech-App, ob ich ihnen Kaffee oder etwas anderes bringen könnte. Sie waren es gewohnt, mich einmal pro Woche in meinem Büro zu sehen, wo wir etwas tranken und uns unterhielten und ich mich erkundigte, ob ich ihnen irgendwie die Arbeit erleichtern könnte. Sie arbeiteten hart und sorgten dafür, dass mein seriöses Unternehmen profitabel war, also tat ich mein Bestes, damit sie sich wertgeschätzt fühlten. Zuvorkommend zu sein war nichts Ungewöhnliches bei mir, aber am Wochenende aufzutauchen schon, und ich wollte, dass sie es bemerkten und sich einprägten.

Bevor ich mit meiner Arbeit begann, vergewisserte ich mich, dass die Überwachungskameras in der Lobby alles aufzeichneten. Hinter dem Schreibtisch der Rezeptionistin und dem Tresen, an dem vier Personen auf Barhockern Platz fanden, erhob sich eine Wand aus neun grauen Aktenschränken. Sie waren verschlossen und mit einem Bann belegt, aber mit meinem Schlüssel konnte ich beides umgehen.

Das Ablagesystem für Verträge und Vereinbarungen mit Wesen aus anderen Gefilden oder mit übernatürlichen Fähigkeiten war alphabetisch nach Pantheon oder Art der Kreatur geordnet. Zum Beispiel hatte ich viele Dokumente unter Nordmänner abgelegt, aber auch die Verträge von Rom unter Vampire, da deren Führer dort ansässig waren und das Gebiet zu meinem Territorium gehörte. Die Ergänzungen oder Revisionen dieser Akten waren chronologisch sortiert, und das würde mir helfen herauszufinden, ob es vielleicht Zusätze von vor elf oder zwölf Jahren gab, die mir meine Flüche eingebracht hatten.

Natürlich hatte ich meine Aktivitäten aus dem fraglichen Jahr bereits überprüft und nichts gefunden. Jetzt hoffte ich eher, dass die unbearbeiteten Dateien eine Erinnerung wachrufen würden – an etwas, das ich damals für unwesentlich gehalten und nicht notiert hatte. Was sich im Nachhinein als entscheidender Fehler herausstellen mochte.

In solchen Momenten wünschte ich mir, ich hätte meine Arbeit längst digitalisiert und elektronisch durchsuchbar gemacht. In allen anderen Momenten hingegen war ich froh, dass ich mir keine Sorgen darüber machen musste, dass Hacker wie Norman Pøøts in diese Dateien eindrangen und daraufhin das gesamte Internet aufgrund der Verträge zu dem Schluss kam, dass die Menschheit am Rande der Vernichtung stand.

Natürlich stand sie da immer; es war nur besser, wenn die Leute nicht allzu viel darüber nachdachten.

Seufzend zog ich die linke oberste Schublade auf und musterte den ersten Ordner: Austria. Österreich. Ein paar Erwähnungen von Hobgoblins und eine einseitige Erklärung aus dem Jahr 1853, in der sich ein wahrscheinlich längst verstorbener Stollenwurm verpflichtete, nicht mehr in den Alpen herumzustreifen und an den Zitzen empörter Kühe zu saugen. Ein Blick in diese alten Akten wäre vielleicht angebracht gewesen.

Aber das hätte Zeit gekostet, die ich nicht hatte. Zuerst hätte ich überprüfen müssen, ob der Stollenwurm wirklich tot war, und das wäre zu diesem Zeitpunkt so etwas wie einem – unmöglichen – negativen Beweis gleichgekommen. Doch ich musste mich beeilen und nach einem plausiblen auslösenden Ereignis vor elf Jahren fahnden, das einige mächtige Magieanwender – vielleicht Götter – dazu veranlasst haben mochte, mich mit einem Zwillingsfluch zu belegen.

Ich brauchte bis zum Mittagessen, um zum Buchstaben G vorzudringen, denn beim Durchsehen der Akten stieß ich immer wieder auf Dinge, die ich definitiv später noch bearbeiten musste, wie zum Beispiel den Fall des Dschinns, der vor zwanzig Jahren verschwunden und bis jetzt nicht wieder aufgetaucht war. Einige Verträge mit verschiedenen Kreaturen und Pantheons waren Jahrzehnte (wenn nicht Jahrhunderte) alt und mussten aktualisiert werden. Da ich keine andere Wahl hatte, begann ich mit einer To-do-Liste. Ich benutzte einen Diplomat Aero-Füller mit einer Tinte, die ich nicht selbst hergestellt hatte: das Blaugrau von Shin-Kai aus der Iroshizuku-Kollektion von Pilot. Fantastische Schattierungen nach dem Trocknen.

Das Dossier der Griechen – das ich von den Römern getrennt aufbewahrte, obwohl sie im Grunde dasselbe Pantheon in unterschiedlichen Gewändern waren – enthielt jede Menge kleine Ergänzungen und Ermahnungen. So fiel mir auf, dass ZEUS immer wieder vom Olymp herunterkam; er war wirklich eine sehr zwielichtige Gestalt. Nur weil er ein so schlechtes Beispiel gab, ließen sich auch viele der anderen Götter mehr mit den Sterblichen ein, als sie sollten.

Meine Ermahnungen und Bitten, ihren Teil der Abmachung einzuhalten, wurden, soweit ich das beurteilen konnte, mit einem Augenzwinkern und einem »Wie auch immer, Sterblicher« erwidert, anstatt mit geschüttelten Fäusten und der Androhung, dass ich meine Anmaßung bereuen würde. APHRODITE etwa liebte es, in etwas Durchsichtigem auf der Mailänder Fashion Week aufzukreuzen, was die Leute in übermäßig erotische Stimmung versetzte und zu der Frage veranlasste, welche Marke sie da bloß trug. Keiner der Designer wusste, wer sie war oder was sie dort machte, und da ihre Outfits nicht Teil einer Kollektion waren, wurden ihre Fotos nie veröffentlicht. Die Modelagenturen brannten darauf, sie unter Vertrag zu nehmen, denn sie ahnten, dass sie international berühmt werden und außergewöhnliche Gagen verlangen konnte. APHRODITE lachte mich nur aus, als ich erklärte, ihre Besuche würden sich störend auswirken. Ihre Stimme war wie Honig und Erdbeeren mit Sahne.

»Es handelt sich nicht um einen dauerhaften Schaden, und das wissen Sie, Mr. MacBharrais. ZEUS ist ein Unruhestifter, der immer wieder Kinder zeugt. ARES ist eine Plage und zettelt heimlich Kriege an, wo immer er kann. POSEIDONS Erdbeben und die vulkanischen Wutausbrüche des HEPHAISTOS sind enervierend. Ein paar peinliche Erektionen in Mailand sind dagegen gar nichts.«

Sie hatte nicht ganz unrecht. Aber ich hatte bei entsprechender Gelegenheit schon mit den genannten anderen Göttern gesprochen. »Ich setze den Vertrag lediglich gleichberechtigt durch«, erklärte ich ihr, und sie nickte gutmütig und akzeptierte als Strafe die Schmerzen, die durch das Siegel der Bösen Folgen auf dem von ihr unterzeichneten Vertrag ausgelöst worden waren. Ich hatte das Gefühl, dass sie mit ihren Eskapaden herausfinden wollte, ob ich sie nachsichtiger behandeln würde als die anderen, die Schlimmeres angerichtet hatten.

Ich ging hinunter in den Pausenraum, um mich an Erdnussbutter und Marmelade zu bedienen. Ein schnelles Sandwich, dann kehrte ich zurück zu den Akten. Ich wollte so viel Zeit wie möglich vor der Kamera verbringen.

Es war ein frustrierender, aber keineswegs ergebnisloser Morgen. Am Ende hatte ich eine umfangreiche To-do-Liste – und immer noch keine Ahnung, wer mich verflucht hatte. Das Abarbeiten der Liste würde mich zwar von der Tatsache ablenken, dass ich wegen der Flüche seit Jahren weder mit meinem Sohn gesprochen noch meine Enkelkinder gesehen hatte. Doch im Moment hatte ich keine Perspektive mehr, starrte in ein Loch bodenloser Verzweiflung und fragte mich, ob ich mich nicht kopfüber hineinstürzen sollte. Ich fühlte mich wie in einer Höhle ohne Licht, ohne Orientierung und ohne Hoffnung.

Gut, immerhin hatte ich jetzt ein hervorragendes Alibi, und das brauchte ich auch dringend in Anbetracht der Nachricht, die ich am Nachmittag erhielt.

Mission erfüllt, Chef. Wir brauchen ein Versteck für sechs Millionen in Gold und Bargeld. Das Zeug kann nicht im Transporter bleiben, schrieb Nadia. Können wir es in deinem geheimen Tinten- und Siegelraum lagern?

Auf keinen Fall. Kommt nicht mal in die Nähe des Büros mit einem Lieferwagen voller gestohlenem Geld. Kontaktiert Norman.

Wen?

Saxon. Er heißt jetzt Norman. Ich sende dir seine neue Nummer. Und ich hoffe, du hast ein Alibi für das alles. Sie werden deinen Transporter auf den Überwachungsvideos finden.

Hältst du mich für bescheuert? Ich hab’s im Griff. Lösch die Nachrichten.

Buck kam kurz nach mir nach Hause, als ich gerade ein schnelles Abendessen zubereitete. Sein Schlüssel kratzte eine Weile am Schloss herum, bevor er endlich drin war, und als der Hobgoblin hereinkam, hatte er weiche Knie und zitterte. Er trug meine Melone mit dem Siegel des Verschluckten Lichts, obwohl ich mich gar nicht erinnern konnte, sie ihm geliehen zu haben.

»Ich bin so was von platt, MacBharrais. Ich fühl mich, als hätte ich mich freiwillig von einer ganzen Footballmannschaft durchnudeln lassen, die sich nich’ die Mühe gemacht hat, mir vorher die Hosen runterzuziehen.«

[Setz dich], sagte ich mit meiner Sprech-App. Ich holte ihm ein Sportgetränk mit Elektrolyten und stellte es auf die Kücheninsel. Anstatt wie üblich auf einen Hocker zu hüpfen, kletterte er umständlich und mit demonstrativem Grunzen hinauf.

»Hnngh. Urrgh. Aggh.«

[Ich verstehe, du bist müde.]

»Verdammt noch mal. Raubzüge sind anstrengend. Ich hätte vorher ein paar Kohlenhydrate zu mir nehmen sollen – fünf Bagels und einen Orangensaft oder so – und meiner Bauchspeicheldrüse sagen, dass sie mich mal kann.«

[Sonst gab’s keine Probleme?]

»Nein. Roxanne schien zufrieden. Ich mein, so zufrieden, wie sie nur sein kann, was ja nich’ viel ist. Aber ihre Augen haben nich’ ein einziges Mal rot aufgeblitzt, und ich glaube, ein Mundwinkel is’ nach oben gezuckt, nur für eine Nanosekunde, bevor sie’s gespannt und gleich wieder gelassen hat.«

[Willst du was essen?]

»Ja, kipp’s mir einfach in den Hals. Was machst du da?«

[Lachs-Tataki.]

»Was?«

[Iss einfach, was ich dir vorsetze. Und was ist Nadias Alibi?]

»Sie und Roxanne haben verschiedene Imbissbuden in Glasgow ausgetestet. Sie parkte vor einem Fisch-und-Chips-Wagen oder so, holte sich was zu essen und ließ sich das quittieren. Sie is’ auf allen Kameras drauf, die sie haben, und hat die Quittungen mit Zeitstempel. In der Zwischenzeit hab ich mich in den Tresorraum teleportiert, ein paar Sachen geklaut und bin wieder in den Transporter. Man sieht mich nich’ auf der Straße, auf keinem Video. Sogar als sie an unserer Wohnung vorbeifuhr, musste ich mich aus dem Van hier in den Flur teleportieren.«

[Wohin fährt sie mit dem Transporter?]

»Sie trifft Norman irgendwo außerhalb der Stadt. Sie bringen ihm den ganzen Scheiß, und sie kommt clean nach Hause.«

[Ein legendärer Coup, solange ihr nicht erwischt werdet.]

»Ja, das is’ immer der Trick.«

Er ging zufrieden ins Bett und schlief am Sonntag bis zum Mittag durch. Auch ich entspannte mich ausnahmsweise und las ein Buch, eines mit einem geriffelten Rand, der dem Ganzen ein haptisches Vergnügen verlieh. Ich dachte mir, das sollte ich mir nicht entgehen lassen, denn der nächste Tag würde mit Sicherheit nicht annähernd so entspannt werden.

3

Der Fall der verschwundenen Rezeptionistin

Für Montag war Folgendes geplant: Ich würde ein paar Minuten nach neun in meiner Druckerei eintreffen; Gladys, die schon viel Scheiße erlebt hat würde bereits da sein; ich würde mir im Pausenraum einen Kaffee und ein Plunderstück holen und mich dann mit allem bombardieren lassen, was Nadia oder Gladys von mir wollten. Der launische Gott, der mich und die anderen Siegelagenten nach Australien gelockt hatte, in der Hoffnung, so den Eisernen Druiden zu töten, musste sich Gladys zur Bestrafung stellen, und ich konnte endlich herausfinden, warum meine Rezeptionistin die Macht hatte, Götter zu verurteilen und zu bestrafen.

Bloß – so kam es nicht.

Gladys, die schon viel Scheiße erlebt hat war nicht da. Und wie ich kurz darauf feststellte, gab es im Pausenraum keine Plunderstücke. Als ich hereinkam, sah ich OGMA auf einem der unbequemen Vinylstühle sitzen, die wir als Strafe für überpünktliche Vertreter angeschafft hatten, und schlich mich die Treppe hinunter, wo ich eine übel gelaunte Nadia vorfand. Sie war wie eine Gothic-Hohepriesterin gekleidet und hatte einen wirklich finsteren Blick drauf, sodass mir ein kleiner Angstschauer über den Rücken lief, bevor ich mich daran erinnerte, dass sie mich ja zum Unterschreiben ihrer Gehaltsschecks brauchte.

»Wo zum Teufel ist Gladys, die schon viel Scheiße erlebt hat?«, zischte sie mich an.

Ich zuckte mit den Schultern.

»Das ist keine Antwort, Al. Da hockt ein mörderischer Gott in der Lobby, und es gibt keine Plunderstücke mehr.«

Ich zückte mein Handy und tippte: [Wir können doch sicher welche auftreiben, oder?]

»Wie wär’s, wenn wir stattdessen unsere Rezeptionistin auftreiben?«

[Dann ruf sie an.]

»Hab ich schon. Hab keine Antwort bekommen. Ruf du sie an.«

Ich nickte, suchte in meinen Kontakten und wählte ihre Nummer. Der Anruf ging direkt auf die Mailbox, und ihre Begrüßung begann vornehm und englisch, verfiel aber gegen Ende in kanadische Umgangssprache.

»Hallo, Darling. Tut mir leid, aber ich bin gerade mit etwas Fabelhaftem beschäftigt. Wir reden später, okay? Du Loser.«

Ich legte auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, und warf hilflos die Hände in die Luft.

»Was machen wir jetzt? Ich hab keine Lust, mit dem zu reden.«

[Solltest du auch nicht.]

»Also was – wir gehen einfach nach oben in unser Büro und ignorieren ihn?«

[Das ist mein Plan.]

»Solltest du nicht den Gastgeber spielen? Ist das nicht dein Job?«

[Er ist nicht meinetwegen hier, und ich will nicht, dass er sich hier wie zu Hause fühlt.]

»Echt? Weil er ein Arsch ist, oder?«

[Ist er. Kaffee?]

»Auf jeden!«

[Zu deinen Wochenendabenteuern: Hast du ein Alibi parat?]

»Ja. Hab ich dir doch erzählt. Und Norman kümmert sich um die Geldwäsche. Mach dir keine Sorgen, Chef. Außer vielleicht wegen Buck.«

[Warum sollte ich mir wegen Buck Sorgen machen?]

»Die Frage sollte eher lauten, warum solltest du dir keine Sorgen wegen ihm machen?«

[Gutes Argument. Ich halte ihn an der kurzen Leine. Und wenn Gladys nicht bald auftaucht, soll eine Zeitarbeitsfirma jemanden schicken.]

»Aye, gute Idee. Ich habe nämlich keine Lust, am Empfang zu sitzen und von diesem Mistkerl angestarrt zu werden.«

[Vielleicht sollte ich die Aushilfskraft auch bitten, ein paar Plunderteile mitzubringen.]

»Klingt gut! Wir werden sie fürstlich entlohnen.«

Nach dem Kaffee gingen wir die Treppe hoch in die Lobby, nickten OGMA kurz zu, was er geflissentlich ignorierte, schlenderten durch den Laden und dann hinauf in unser Büro, wo ich sofort die Zeitarbeitsfirma anrief. Es würde eine Weile dauern, bis jemand kam, und selbst wenn Gladys, die schon viel Scheiße erlebt hat in der Zwischenzeit auftauchte, war das in Ordnung. Und wenn nicht, würde das Eintreffen einer Aushilfskraft OGMA hoffentlich zum Gehen veranlassen.

Ein weiterer Anruf bei Gladys ging direkt auf die Mailbox, und ich starrte auf das Telefon und versuchte zu erraten, was das zu bedeuten hatte. Vielleicht hatte Gladys ihr Handy verloren oder es war ihr gestohlen worden. Vielleicht war es auch einfach nicht aufgeladen. Es gab viele vernünftige Erklärungen. Aber alles an ihr – auch die Art, wie Götter, Druiden und Hobgoblins in ihrer Gegenwart sofort demütig wurden – war außergewöhnlich. Sie war viel zu fähig, als dass ihr ein derartiges Missgeschick hätte passieren können. Das ließ mich befürchten, dass etwas Schlimmeres vorgefallen war.

Etwa eine Stunde später traf die Aushilfe mit einigen Plunderstücken ein, für die sich Nadia ausdrücklich bedankte und die wir beide sofort verspeisten. Sie waren zwar nicht so gut wie die von Gladys, die schon viel Scheiße erlebt hat, aber schmeckten immerhin nach Normalität, und die brauchten wir jetzt dringend.

Die Aushilfe hieß Lizzie MacLeish, eine Brünette Ende zwanzig mit krausem Haar, Sommersprossen und einer fast absurd großen Brille auf der kleinen Nase. Sie schien von Nadia überhaupt nicht eingeschüchtert zu sein, was mich beeindruckte.

Als klar war, dass Nadia Lizzie in unser Telefonsystem einführte, meldete sich OGMA zu Wort.

»Entschuldigung«, sagte er. »Kommt Gladys, die schon viel Scheiße erlebt hat heute nicht zur Arbeit?«

»Keine Ahnung«, erwiderte Nadia achselzuckend. »Wir können sie nicht erreichen, und sie hat auch nicht angerufen. Lassen Sie uns doch Ihre Nummer da, dann kann sie Sie bei ihrer Rückkehr anrufen.«

»Ich habe kein Telefon. Nein, wenn es sein muss, warte ich den ganzen Tag.«

»Sie können doch morgen wiederkommen.«

»Nein. Wenn ich bei ihrer Rückkehr nicht da bin, könnte sie das als Beleidung auffassen. Ich bleibe.«

»Wie Sie meinen«, erwiderte Nadia und drehte sich zu Lizzie um. »Der Kerl hockt jetzt vielleicht den ganzen Tag da, sorry.«

Ich hätte es mir anders gewünscht. Wenn jemand dir versichert, dass die Bombe auf deinem Grundstück nicht explodieren wird, glaubst du seinen Beteuerungen vielleicht; trotzdem ist es besser, keine Bombe unterm Hintern zu haben. So ging es mir mit OGMA in meiner Lobby.

Sobald Lizzie informiert war, dass sie mir eine SMS schicken und nicht anrufen sollte, wenn sie etwas brauchte, ging ich wieder hinauf in mein Büro. Ich überlegte, welche Tätigkeit an diesem Tag eine Unterbrechung erlaubte, denn ich rechnete fest mit einer. Am besten konzentrierte ich mich auf Alltagsgeschäfte, nicht auf meine Tätigkeit als Siegelagent. Und so ließ ich den geheimen Zugang zu meinem Siegelraum verschlossen, schrieb stattdessen E-Mails an Unternehmen, die ihre Jahresberichte bei uns hatten drucken lassen, und bot ihnen kleine Rabatte für Wiederholungsaufträge an.

Eine halbe Stunde später vibrierte mein Handy, eine Nachricht von Lizzie.

Die Polizei ist hier und möchte Sie sprechen. D. I. Munro.

Bitte schicken Sie sie hoch.

Hoffentlich kam sie nicht mit einem Durchsuchungsbeschluss oder – noch schlimmer – mit einem Haftbefehl. Ich hielt für den Fall der Fälle meinen »offiziellen« Ausweis bereit, nahm Norman Pøøts Akte über Glasgows Verbrecherwelt heraus und legte sie auf den Kaffeetisch.

Ich hatte den Ausweis schon zweimal bei D. I. Munro eingesetzt, und sie erinnerte sich immer noch an Bruchstücke dieser Begegnungen, was für ihre sehr beeindruckende Gedächtnisleistung sprach, denn die kombinierte Kraft der drei Siegel auf dem Ausweis löschte in den meisten Fällen jede Erinnerung aus. Daher hatte ich den größten Respekt vor ihr und wünschte mir, wir stünden nicht auf verschiedenen Seiten. Hätte uns das Schicksal nicht zu Rivalen gemacht, hätten wir wohl Freunde sein können.

Ich empfing sie und einen uniformierten Constable in meinem Büro und lud sie ein, in den bequemen Sesseln am Couchtisch Platz zu nehmen. D. I. Munro trug einen Businessanzug mit einem schwarzen Paisley-Schal, den sie kunstvoll um den Hals geschlungen hatte. Ihr graues, leicht gewelltes Haar fiel ihr bis auf die Schultern.

[Ich bin froh, dass Sie gekommen sind, Inspector], tippte ich. [Ich wollte Sie heute sowieso besuchen. Sie haben mir den Weg erspart.]

»Ach? Warum das denn?«

Ich überreichte ihr den Aktenordner. [Eine anonyme Quelle hat Informationen über Menschenhändler in Glasgow geliefert.]

Sie nahm den Ordner, sah aber nicht hinein. »Ist das dieselbe Quelle, die Ihnen schon früher Informationen geliefert hat?«

[Ich weiß es nicht. Die Unterlagen kamen anonym.]

»Verstehe. Ich werde sie an die zuständige Abteilung weiterleiten. Heute bin ich wegen was anderem hier. Wo waren Sie letzten Samstag, Mr. MacBharrais?«

[Ich war die meiste Zeit hier und habe Überstunden gemacht.]

»Können Sie das beweisen?«

[Natürlich kann ich die Überwachungsvideos vorlegen, außerdem haben mich mehrere Mitarbeiter gesehen.]

D. I. Munro tippte auf einem Tablet herum, bevor sie es mir hinhielt. Sie wischte durch eine Reihe von Standbildern von Buck Foi, der eine mir nur zu bekannte Melone trug.

»Am Samstag wurden mehrere Banktresore weitgehend ausgeräumt. In allen Tresoren gab es merkwürdige Kameraausfälle, sodass wir nicht genau wissen, wie es gemacht wurde. Aber jedes Mal, kurz vor dem Blackout, gibt es ein einzelnes Bild von diesem seltsamen kleinen Mann. Wir wissen nicht genau, wie er in den Tresorraum gelangt ist – es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Türen manipuliert oder gar aufgebrochen wurden. Aber Tatsache ist, dass ich diesem Mann schon einmal begegnet bin. Er hat mir am selben Tag auf die Nase geschlagen, an dem ich Ihnen zum ersten Mal begegnet bin. In der Wohnung Ihres siebten toten Lehrlings. Kennen Sie ihn?«

Ich zuckte ratlos mit den Schultern und schüttelte den Kopf, in der Hoffnung, dass diese Lüge nicht auf mich zurückfallen würde. Bucks Melone – oder vielmehr die Melone, die er mir gemopst hatte – trug das Siegel des Verschluckten Lichts, und das Letzte, was ich gebrauchen konnte, war eine Detective Munro, die herausfand, dass ich die Fähigkeit besaß, die Kameras in meiner Nähe auszuschalten. Buck war wirklich unvorsichtig gewesen.

»Das hatte ich mir schon gedacht. Versuchen wir es mal so: Haben Sie den Ihnen unbekannten Mann seit dem Tag in Gordies Wohnung noch einmal gesehen?«

Wieder schüttelte ich bedauernd den Kopf. Buck würde dem Büro wohl für eine Weile fernbleiben müssen.

»Haben Sie jemals diesen ungewöhnlich bemalten Lieferwagen bemerkt?«

Sie wischte weiter und präsentierte mir ein Foto von Nadias Hexenwagen, der vor einer Fisch-und-Chips-Bude geparkt war. Eine Bude, die ich normalerweise mied. Der Fisch war zu fettig und die Pommes waren matschig.

Viel entscheidender war jedoch: Ich durfte auf keinen Fall leugnen, dass ich den Transporter kannte. Das Nummernschild war deutlich zu erkennen, also wussten sie wahrscheinlich bereits, dass er Nadia gehörte und dass sie hier arbeitete. Wahrscheinlich wollten sie mich mit dieser Frage der Lüge überführen.

[Ja, das ist der Hexenwagen meiner Buchhalterin, Nadia Padmanabhan.]

D. I. Munro blinzelte, offensichtlich überrascht von so viel Kooperation. »Ihre Buchhalterin fährt so einen Transporter?«

[Nein, sie fährt genau diesen. Ich nehme an, es gibt keinen anderen dieser Art.]

»Wissen Sie, wo ich Ihre Buchhalterin jetzt finden kann?«

[Ja. Sie müsste in ihrem Büro sein. Es ist gleich nebenan, gehen Sie einfach rechts über den Balkon.]

»Sehr gut. Davor möchte ich aber noch die Sicherheitsvideos sehen, die Sie am Samstag bei der Arbeit zeigen. Danke für Ihre Kooperation.«

Die Forderungen von D. I. Munro waren lästig, aber immerhin lenkten sie uns erfolgreich von dem in unserer Lobby herumlungernden Gott ab. Erst nachdem Munro abgezogen war, beschäftigten uns wieder die Sorgen über OGMA und meine verschollene Rezeptionistin. Gladys, die schon viel Scheiße erlebt hat tauchte an diesem Tag nicht mehr auf, und OGMA verließ uns bei Geschäftsschluss mit dem Versprechen, morgen wiederzukommen.

Als wir ihn endlich los waren, fühlte ich mich erleichtert und meine Schultern sanken entspannt herab. Anspannung ist ein verdammter Killer.

4

Wilde Druidin

Wir baten Lizzie MacLeish, am nächsten Tag zehn Minuten vor Ladenöffnung wiederzukommen und Plundergebäck mitzubringen, aber Gladys, die schon viel Scheiße erlebt hat tauchte doch tatsächlich auf, und wir waren doppelt gesegnet. Vierfach gesegnet, um genau zu sein, denn meine Rezeptionistin brachte Gäste mit: eine rothaarige Frau, die einen kunstvoll geschnitzten Stab trug und von ihrem beeindruckenden irischen Wolfshund begleitet wurde.

»Hi, Chef«, sagte Gladys, konservativ gekleidet in ein königsblaues Wollkleid mit passender Baskenmütze und das schwarze, mit grauen Strähnen durchsetzte Haar hochgesteckt, als wollte sie an einem Treffen von besorgten Müttern teilnehmen – besorgt über was auch immer. Inzwischen wusste ich, dass es ein Tarnzauber war und sie jede Gestalt annehmen konnte. Bei unserer letzten Begegnung in Australien war sie zwanzig Jahre jünger gewesen und hatte in einem 20er-Jahre-Flapper-Kleid umwerfend ausgesehen. »Das ist Granuaile MacTiernan, die derzeitige Druidin für die östliche Hemisphäre. Sie ist der Grund für meine Verspätung. Nun, sie und die Siegelagenten in Taiwan. Das ist eine tolle Geschichte, versprochen. Und das ist ihr Wolfshund, Orlaith.«

Wie es sich gehört, begrüßte ich zuerst Orlaith und dann Granuaile, von der ich zwar gehört hatte, der ich aber noch nie begegnet war, mit einem in meiner Sprech-App gespeicherten: [Schön, euch kennenzulernen.] Sie verzog keine Miene, aber meine Augenbraue zuckte nach oben, als wir uns die Hand gaben und mir auffiel, dass sie keine druidischen Tätowierungen auf ihrem rechten Arm hatte. Sie bemerkte ihrerseits, dass ich sie vermisste, kicherte und sprach mit amerikanischem Akzent.

»Freut mich auch, Sie kennenzulernen, Mr. MacBharrais. Die Tattoos sind da, aber sie sind versteckt. Ich habe ständig Kommentare von Fremden deswegen bekommen und war es leid, ihre Bedeutung zu erklären, also hat mir ein polnischer Hexenzirkel geholfen.«

Ich ging mit Gladys und Granuaile in den Pausenraum im Keller, um mir eine Tasse Tee zu machen und ein Plunderstück zu essen, und ließ Lizzie oben zurück, damit sie den Laden öffnen konnte. Wie erwartet, kam OGMA pünktlich um neun Uhr durch die Tür spaziert und verhinderte so, dass ich weitere Einzelheiten über die Abenteuer der beiden erfuhr. Lizzie informierte uns über die Gegensprechanlage von seiner Ankunft, und ich führte unsere kleine Prozession nach oben.

Der Gott schien für einen Moment erleichtert, als er Gladys, die schon viel Scheiße erlebt hat aus dem Keller auftauchen sah, denn das bedeutete, dass er nicht erneut den ganzen Tag in meiner Lobby ausharren musste – was auch für mich eine Erleichterung war. Doch kaum hatte er Granuaile bemerkt, zog er überrascht die Augenbrauen hoch.

»Was läuft, Sackgesicht?«, fragte sie. OGMAs Augenbrauen sanken nach unten und verknoteten sich bei der beiläufigen Beleidigung. »Ich hab gehört, dass du letzte Woche versucht hast, meinen Exfreund umzubringen. Er kann auf sich selbst aufpassen und ich auch, und Gladys wird dir geben, was du verdienst, aber ich möchte dir persönlich sagen, dass du mich niemals um einen Gefallen oder Gastfreundschaft bitten solltest. Die Scheiße, die du abgezogen hast, ist unverzeihlich.«

Der Gott nickte einmal, um zu zeigen, dass er verstanden hatte. Offensichtlich bemühte er sich, die Dinge nicht noch schlimmer zu machen. Da Lizzie uns hören konnte und nicht wissen durfte, dass sie sich in der Gegenwart von unglaublich mächtigen Persönlichkeiten befand, lud ich die drei und Orlaith in mein Büro ein, um unser Gespräch dort fortzusetzen.

Wir ließen uns in der gemütlichen Sitzecke vor meinem Schreibtisch nieder, jeder in einem gepolsterten Sessel. Automatisch wollte ich Kaffee oder Tee anbieten, aber als ich auf meinem Handy zu tippen begann, kam mir Gladys, die schon viel Scheiße erlebt hat zuvor und hob die Hand.

»Danke, Chef, aber wir brauchen nichts. Es wird nicht lange dauern.« Orlaith schob ihren Kopf unter Gladys’ rechte Hand, und die Rezeptionistin streichelte sie, während sie sich zu OGMA umdrehte. »Dein Versuch, den Eisernen Druiden in Tasmanien zu töten und dich so deinen Verpflichtungen zu entziehen, war sehr zerstörerisch.«

»Er hat mich aus meiner Verpflichtung entlassen, und ich bin ihm nichts mehr schuldig«, erwiderte OGMA. »Er ist zufrieden damit, sein Leben ohne seinen rechten Arm zu leben und Gaia zu dienen.«

»Das kann man wohl sagen«, meldete sich Granuaile zu Wort. »Wir haben gestern miteinander telefoniert, und er klingt glücklich. Er hat eine neue Freundin namens Rose, er ist ganz bei sich und zufrieden mit seinem Leben. Ich freu mich wirklich für ihn.«

Gladys, die schon viel Scheiße erlebt hat nickte und sagte: »Er ist ein Prachtkerl, nicht wahr? Und weil er mit sich im Reinen ist, hat er auch schnell Frieden mit dir geschlossen, OGMA. Du hast also, wie so viele Mächtige auf dieser Welt, etwas Verwerfliches getan und nicht dafür gebüßt. Die Kräfte, die du entfesselt hast, haben Menschen getötet, und dafür stehst du in meiner Schuld. Dafür, dass du so zerstörerisch warst, schuldest du mir eine Zeitspanne von einem Jahr und einem Tag, die du auf ganz besonders kreative Weise verbringen wirst. Geh zu BRIGHID an den Feenhof, sag ihr, dass ich dich geschickt habe und warum – und sei dabei ganz ehrlich, denn ich werde es überprüfen. Und dann sag ihr, dass du ein Jahr und einen Tag lang ausschließlich an ihrem Infrastrukturprojekt mitwirken und Anweisungen von ihr entgegennehmen wirst, wo und wann du zu arbeiten hast.«

»Ist das alles?«

»Du musst für dein Verhalten einstehen und es durch deine Arbeit wiedergutmachen. Wenn du diese Aufgaben tadellos erfüllst, bist du frei. Wenn du dich drückst, wirst du zusätzlich bestraft.«

»Verstanden. Was ist das für ein Infrastrukturprojekt?«

»Das soll BRIGHID dir erklären. Du hast unsere Zeit hier schon genug in Anspruch genommen.« Sie schnippte mit den Fingern in Richtung Tür. »Und jetzt verschwinde!«

OGMA stand auf, verbeugte sich vor meiner Rezeptionistin und nickte Granuaile und mir zu. Orlaith ignorierte er völlig, obwohl sie ein beeindruckendes Tier war. Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum, und ich musste wieder einmal feststellen, dass mit ihm ein guter Teil meiner Sorgen verschwand. Es blieben aber noch genügend Fragen offen, denn wie konnte es sein, dass meine Rezeptionistin lässig Strafen an Götter verteilte, die sie ohne Widerspruch annahmen, und mich trotzdem »Chef« nannte?

[Wer bist du und warum bist du hier?], tippte ich, und Gladys, die schon viel Scheiße erlebt hat grinste mich an.

»Ich schätze, wir sind an dem Punkt angelangt, wo du merkst, dass da eine Katze im Sack ist und du sie herausholen möchtest, weil du wissen willst, was für eine Katze es ist.« Sie drehte sich zu der plötzlich alarmiert wirkenden Orlaith um und sagte: »Es ist eine metaphorische Katze, Süße, keine Sorge.«

[Ja, das würde ich gerne wissen.]

»Also – ich würde die Katze lieber im Sack lassen, Chef. Wenn ich sie rauslasse, kann ich den Schein nicht wahren, und die Dinge laufen vielleicht nicht so, wie ich es mir erhoffe.«

[Bist du hier, um mehr Scheiße zu erleben?]