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»Doch statt loderndes Feuer zu spüren, spürte ich nur... Wasser. Metergroße Wellen, die mich mitrissen. Und es war ein verdammt schönes Gefühl, in diesem Meer zu ertrinken.« Summer Joy Atkins, spielt die Rolle der »Tamara Jones« in Cyrus' Buchverfilmung. Schon bei ihrer ersten Begegnung beim Casting, spüren beide sofort eine Art Verbundenheit zueinander, da sie sowohl Verlust als auch Schuldgefühle miteinander teilen. Cyrus' Herz wird von einer großen Welle voller Gefühle mitgerissen und zu Summer getrieben. Diese jedoch versucht ihn auf Abstand zu halten, trotz des Wissens, dass er der Einzige ist, der sie aus ihrem Vogelkäfig befreien kann, den ihr narzisstischer Freund errichtet hat. Aber Cyrus gibt nicht auf. Er will herausfinden, wer sie wirklich ist und würde dafür bis zum Meeresgrund tauchen. Die Frage ist nur: Schafft er es wieder an die Oberfläche, wenn er die Wahrheit über sie erfährt oder wird er darin ertrinken und Summer somit niemals die Freiheit schenken?
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Seitenzahl: 435
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Liebe Leser:innen,
dieses Buch enthält triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr auf der letzten Seite eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch.
Für alle, die damit kämpfen sich selbst zu verzeihen. Ihr seid nicht eure Fehler.
Ocean – Elsa & Emilie
Wasser – Lina
Under The Water – AURORA
Ocean eyes – Billie Eilish
Sexy Bitch – David Guetta
Pony – Ginuwine
Sex you – Bando Jonez
Never Let Me Go – Florence + The Maschine
lovely – Billie Eilish, Khalid
Feelings are fatal – mxmtoon
I feel like I’m drowning – Two Feet
Helium – SIA
War of Hearts – Ruelle
Eyes blue like the Atlantic – Sista Prod feat. Subvrbs
Middle of the night – Elley Duhé
You’ve got the love – Florence + The Machine
Breathe – Mako
In The Sea – Ingrid Michaelson
Hollywood – LA Vision, Gigi D‘Agostino
Los Angeles – The Midnight
Summertime – My Chemical Romance
Prolog
1. Summer
2. Cyrus
3. Summer
4. Cyrus
5. Summer
6. Cyrus
7. Summer
8. Cyrus
9. Summer
10. Cyrus
11. Summer
12. Summer
13. Cyrus
14. Summer
15. Cyrus
16. Summer
17. Cyrus
18. Summer
19. Summer
20. Cyrus
21. Summer
22. Summer
23. Cyrus
24. Cyrus
25. Summer
26. Summer
27. Cyrus
28. Summer
29. Summer
30. Cyrus
31. Cyrus
32. Cyrus
33. Summer
34. Cyrus
35. Summer
36. Summer
37. Summer
38. Cyrus
39. Summer
40. Summer
41. Summer
42. Summer
43. Cyrus
44. Summer
45. Cyrus
46. Cyrus
47. Summer
48. Summer
49. Cyrus
50. Cyrus
51. Summer
52. Brian
53. Summer
54. Cyrus
55. Summer
56. Cyrus
57. Summer
58. Cyrus
59. Summer
60. Cyrus
61. Summer
62. Summer
63. Summer
Epilog
Danksagung
Über die Autorin
Triggerwarnung
Schon als Kind hatte ich das Meer geliebt. Das Wasser geliebt. Es war schön anzusehen, beruhigte meine Seele und es roch nach Freiheit. Eine Freiheit, die ich seit langem nicht mehr in meinem Leben hatte. Dennoch versuchte ich jedes Bisschen davon, das ich noch haben konnte, zu genießen. Ich nahm alles, was ich kriegen konnte, obwohl mir die Konsequenzen dafür bewusst waren.
Das einzige Stückchen Freiheit, das sich mir bot, ohne bestraft zu werden, war schwimmen.
Doch selbst das hatte er mir nun geraubt.
Ebenso wie meinen Atem.
Vor einem Moment war ich untergetaucht, um die Welt auszublenden. Alles, was ich unter Wasser hörte, war dessen Rauschen und mein pulsierendes Herz, das endlich wieder etwas fühlte, seit er in mein Leben getreten war. Doch ich hatte nicht erwartet, dass ich nicht wieder auftauchen würde.
Während ich unter Wasser die Ruhe genoss – die Pause vom vorbeiziehenden Leben – sprang jemand direkt neben mir ins Schwimmbecken. Kurz dachte ich, es wäre er. Mich verlangte es aufzutauchen und mich ihm um den Hals zu werfen. Doch er war es nicht. Und ich kam nicht dazu aufzutauchen.
Als sich die groben Hände um meinen Hals legten, wusste ich, wer es war. Er drückte zu und ich sah die Luftblasen vor meinen Augen hochsteigen. Ich versuchte, seine Arme von mir zu lösen. Krallte meine Fingernägel in sein Fleisch, doch ich wusste, dass ich keine Chance hatte. Ich hatte schon oft genug gegen ihn gekämpft, um zu wissen, dass ich zu schwach war. Ich öffnete meinen Mund und ließ das über alles geliebte Wasser in mich hineinfließen.
Dann verlor ich jegliche Kraft, meine Hände rutschten von seinen Unterarmen ab. Und während ich zuließ, dass das hier, das Ende war, dachte ich an all die Menschen in meinem Leben, die mich liebten und die ich liebte. Die Menschen, denen es das Herz brechen würde, wenn ich nicht mehr wäre. Hätte ich ihn nie kennengelernt, wäre ich in diesem Moment zum Teil sogar froh darüber, dass es nun mit mir zu Ende ging. Denn dann würde ich endlich meinen Frieden gefunden haben, während Brian für seine Taten bestraft werden würde. Für ihren Tod und meinen. Ebenso wie er mich gerade für meine Mitschuld bestrafte.
Aber ich hatte ihn kennengelernt. Er hatte die Freude wieder in mein Leben geholt. Ich hatte eine neue Chance bekommen und die durfte ich nicht so leicht aufgeben. Also versuchte ich erneut, seine Hände von meinem Hals zu bekommen. Ich schlug mit aller Kraft, die mir blieb, gegen seine Arme.
Aber es war zu spät.
Die Farbe des Wassers wechselte von Blau zu Schwarz.
Ich schloss meine Augen.
Doch das Wasser verschlang mich nicht, es fing mich auf und ließ mich treiben.
Es tut mir leid Mom, Dad, Syd, Trevor. Es tut mir leid, Rus.
Ich ertrinke.
Und das war der schönste Tod für jemanden, der das Wasser liebte.
Es war ein sonniger Tag und die Temperaturen waren angenehm. Heute besuchten Syd und ich eines unserer liebsten Cafés der Stadt.
Das Max‘ Coffee-Experiment.
Hier boten sich die unterschiedlichsten Varianten eines Kaffees. Kaffeerezepte, von denen ich bisher nie gehört oder die ich nie gesehen hatte, bis ich das erste Mal hier war. Ob mit Matcha, geschmolzener Schokolade oder auch Zimt, hier war man gut bedient.
Syd und ich machten es uns zur Aufgabe, bis Ende des Jahres jeden Kaffee auf der Liste getrunken zu haben.
Das kleine Café war rustikal eingerichtet, in Farben von Braun und Grün. Das Holz war für die braunen Nuancen zuständig und all die Pflanzen und Dekorationen auf den Tischen und an den Wänden brachten die Farbe der Natur ins Spiel. Man kam sich vor wie in einem Wald, an einem regnerischen Tag. Es war total gemütlich und lud dazu ein, sich einen warmen Kaffee zu schnappen und die Atmosphäre hier zu genießen.
Die Kellnerin brachte unsere Getränke zu Tisch. Ich hatte mir einen heißen Kaffee mit Karamellgeschmack bestellt. Sydney trank diesmal einen Kaffee Matcha. Wir bedankten uns bei der Bedienung, woraufhin sie uns ein freundliches Lächeln schenkte.
»Oh mein Gott, das ist der Wahnsinn! Ich glaube, das wird mein neues Ding, wonach ich verrückt sein werde! Ciao Frappuccino, hallo Matcha! «, trällerte Syd nach nur wenigen Schlucken ihres Getränks.
Ich lachte. Sie hatte immer wieder ein neues Ding, worauf sie für kurz oder lang total abfuhr. Immer Essen oder Drinks, versteht sich.
»Und wie läuft es so mit der Modelkarriere?«, fragte ich Sydney und schlürfte dann an meinem Getränk.
Ich hatte extra nach einem Strohhalm gefragt, denn seit ich anfing Wasser mit Strohhalmen zu trinken, hatte ich das Gefühl, endlich die zwei Liter am Tag zu schaffen. Ohne, funktionierte bei mir gar nichts mehr. Egal was oder wo ich trank, es musste ein Trinkhalm her.
Syd nahm erneut einen Schluck von ihrem Kaffee.
»Mmmh«, sie verdrehte ihre Augen vor Genuss. »Es läuft super! Dort bin ich eindeutig besser aufgehoben als in einem Film. Ich denke, das Schauspielern werde ich nur noch nebenbei machen, für kleine Rollen. Als Komparsin oder so.«
Sydney und ich hatten uns vor einigen Jahren auf der Schauspielschule kennen gelernt. Irgendwann hatte es ihr nicht mehr gefallen, auch das Merken von Texten war ihr schon bald zu blöd. Ihr war es lieber, keinen Text zu haben und einfach hübsch auszusehen. Sie war das perfekte Model, denn sie wusste genau, wie man sich in Szene setzte.
»Du solltest auch mal einen Modeljob annehmen, Joy.«
Joy.
Sie nannte mich öfter mal bei meinem Zweitnamen. Der passte schon seit Jahren nicht zu mir, aber ich ließ sie. Syd hatte keine Ahnung, wie es in meinem Leben aussah und das war auch gut so. Ich liebte Sydney, wir waren beste Freundinnen, weshalb ich es umso trauriger fand, dass ich mich ihr nicht anvertrauen konnte. Aber es war besser so. Ich wollte sie nicht verlieren. Sie war der einzige Halt in meinem Leben. Die Einzige, die mich ablenken konnte. Bis aufs Schwimmen natürlich.
Ich hätte ihr gerne gesagt, dass ich sie schon lange mal zu einem Shooting begleiten und das Modeln ausprobieren wollte. Aber das war nicht möglich. Ich mochte mir nicht vorstellen, was passieren würde, wenn ich es wagte, mich von einem fremden Mann fotografieren zu lassen. Und dann auch noch im Bikini oder andere leichte Bekleidung, die – in seinen Worten – zu viel von mir preisgeben würde.
»Ach nein, Syd. Das wäre nichts für mich«, log ich. »Aber es freut mich, dass es dir so gut gefällt. Scheint, als wärst du zum Modeln bestimmt.«
»Nicht wahr?«, sagte sie lächelnd voller Selbstbewusstsein.
Manchmal beneidete ich sie darum. Kein Ich-hasse-dich-für-dein-Selbstbewusstsein-Bitch-Neid, sondern ein Ich möchte gerne so selbstbewusst sein, wie du es bist, Girl, gib mir bitte was ab. Aber das war, wie üblich, nicht möglich. Es war meine eigene Baustelle. Doch als Schauspielerin wusste ich, wie ich diese Rolle zu spielen hatte. Und so wirkte auch ich selbstbewusst auf andere. Wenn nicht sogar arrogant auf Fremde. Aber das störte mich nicht. Ich hatte nicht vor, Kontakte zu knüpfen. Im Gegenteil, je weniger Menschen in meinem Leben waren, desto besser. Ich hatte ein Geheimnis und ich war froh, wenn keiner dahinter kam. Froh darüber, wenn keiner wusste, wer ich tatsächlich war.
Sydneys Augen wurden groß und sie wedelte mit der Hand in der Luft herum.
»Was? Was ist los?!«, mein Herz blieb kurz stehen, weil ich befürchtete, dass sie sich verschluckt hatte.
»Das wollte ich dir noch erzählen!«
Ich seufzte. »Verdammt Syd, mach mir doch nicht so eine Angst.«
Sie lachte. »Hast du schon mal von dem Buch Don’t Forget To Remember gehört?«
Ich überlegte. Der Titel kam mir bekannt vor, obwohl ich keine Bücher las, außer ich spielte in der Verfilmung mit.
»Ich weiß nicht. Warum? Was ist damit?«, fragte ich sie und schlürfte meinen Kaffee halbleer.
»Das Buch war wochenlang auf der Bestsellerliste und wird verfilmt! Ich dachte mir daher, dass es gut sein muss, und habe es gelesen. Oh mein Gott Summer, es ist der Wahnsinn! Es basiert auf realen Ereignissen aus dem Leben des Autors.« Sydney war total aus dem Häuschen.
»Worum gehts?«, sie hatte meine Neugier geweckt. Vielleicht würde ich damit meine erste Hauptrolle an Land ziehen und mir einen größeren Namen machen.
Ach, das wäre ein Traum.
»Dass du das Buch nicht kennst, hätte ich nicht gedacht. Du wirst sogar namentlich erwähnt!«
Was?!
»Namentlich erwähnt? Wie meinst du das?« Ich konnte spüren, wie mein Herz sich beschleunigte. Ich bekam feuchte Hände. Meine Angst schlich sich durch meinen ganzen Körper. Doch ich durfte mir nichts anmerken lassen.
Beruhig dich wieder.
»Es geht um eine junge Frau namens Tamara Jones. Im Buch steht, dass ihr Freunde wart, als ihr noch Kinder gewesen seid. In der Geschichte gehts darum, dass sie ...«
Ich zuckte bei dem Namen meiner Kindheitsfreundin zusammen und hoffte, dass Sydney es nicht wahrnahm. Ich konnte ihr nicht mehr zuhören, denn die Bilder von dem Morgen spielten sich sofort in meinem Kopf ab und das bekam gerade meine vollste Aufmerksamkeit.
Tami ... Shit.
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter. Ich könnte den Typen anzeigen lassen, dafür, dass er ohne meine Erlaubnis einfach meinen echten Namen verwendete. Wobei er ja nur im Buch erwähnte, dass ich ihre Kindheitsfreundin war. Zumindest dachte ich, dass das alles war. Aber wenn da noch mehr über mich stehen würde, hätte Syd es mir ebenfalls erzählt.
»... doch am Ende stellt sich heraus, dass die Geschichte nur von Cyrus erfunden wurde, da sie tatsächlich bei dem Autounfall gestorben ist und er damit nur seinen Verlust verarbeiten wollte.«
Ihr Freund hatte ernsthaft ein Buch über deren Beziehung verfasst. Mit dem beschissensten Ende, das man für ein Buch wählen konnte. Aber so war das Leben. Es gab nun mal nicht immer und vor allem nicht für jeden ein Happy End.
Und er hatte mich erwähnt. Das hieß, dass Tami ihm von mir erzählt hatte. Wir hatten den Kontakt zueinander verloren, einige Jahre bevor sie ...
Bevor ich ...
Wir schrieben uns Nachrichten. Immer wieder ein »Wie gehts dir?«, oder »Wie läuft es so bei dir? Wir müssen uns unbedingt wieder treffen!« Nie hatte ich mir die Zeit genommen, um wieder etwas mit ihr zu unternehmen. Sie neu kennenzulernen. Ich hatte mich gänzlich auf Brian und meinen Schauspielunterricht konzentriert, war auf angesagten Partys und sorgte dafür, dass mein Beliebtheitsstatus nicht sank. Sie war sicher genauso wundervoll geblieben, wie in unseren Kindheitstagen und in unserer Teenagerzeit.
Der arme Benjamin ... Er hatte erst seine Frau und dann auch noch seine Tochter verloren und bis heute konnte ich meinen Mut nicht zusammentun, um ihn zu besuchen und ihm mein Mitleid auszusprechen. Ich war nicht mal auf ihrer Beerdigung. Das hätte ich nicht ertragen. Selbst meine Eltern waren dort. Ich war echt ein schrecklicher Mensch.
»Summer? Hast du mir zugehört?« Sydney riss mich aus meinen Gedanken. Sie schlug sich eine Hand vor den Mund und wirkte entsetzt.
»Oh Gott, entschuldige. Das war total unsensibel von mir. Gehts dir gut, Süße?«, sie legte ihre Hand auf meine und spendete mir Trost.
Wenn sie nur wüsste ... Ich war die Letzte, mit der man Mitleid haben sollte.
»Danke, Syd. Es geht schon.« Das war wieder gelogen, ich kämpfte mit den Tränen.
»Ich hätte nicht gedacht, dass Tami jemanden von mir erzählen würde. Wir hatten in den letzten Jahren nicht viel Kontakt zueinander. Leider.«
»Du solltest zum Casting gehen und für Tamaras Rolle vorsprechen.«
Ich verschluckte mich an meinem Drink und hustete vor mich hin, bevor ich sagte, »Ich? Nein, das kann ich nicht.«
Das wäre doch wirklich zu verrückt. Ich als Tamara. Wie tief sollte ich denn bitte noch sinken?
»Aber warum?«
Ich blieb still und schaute sie nur an.
»Dir fällt ja nicht mal eine Gegenargumentation ein! Summer du kennst Tamara, du weißt, wie sie war, du würdest sie sicher perfekt verkörpern!«
Das kam nicht in Frage.
»Tami hatte Locken und ihre Haut war hellbraun. Ich bin weiß. Weiß wie ein Vampir«, argumentierte ich dagegen.
»Na und? Arielle ist angeblich auch weiß und wer verkörpert sie in der Realverfilmung? – Halle Bailey.« Sie setzte ihr siegreiches Gesicht auf, dass mir entgegenrief, »Tja, Bitch!«.
Verdammt.
Meine zusammengepressten Lippen gaben ihr zu verstehen, dass ich es dennoch nicht tun würde.
»Du solltest wirklich zu diesem Casting gehen. Das könnte dein großer Durchbruch werden.«
Ich lachte auf. »Du bist ja optimistisch.«
Aber sie meinte es total ernst, sie verzog keine Miene.
»Na logisch bin ich das. Cyrus Scott wird mitentscheiden, wer die Rolle bekommt und wenn er weiß, wer du bist, wird er dir sofort eine Chance geben, weil euch beide etwas verbindet.«
Vielleicht hatte sie recht. Das wäre wahrlich eine große Chance für mich. Aber war ich ernsthaft so unverschämt, sie in einem Film zu spielen? Schließlich war sie wegen mir nicht mehr am Leben.
Ich war nun seit einem Monat wieder in Los Angeles.
Als ich im Flugzeug saß und die vielen Lichter in der Nacht unter mir sah, fühlte ich mich dabei ganz anders, als ich vor Jahren das erste Mal hier her flog. Ich war glücklich, hier zu sein und realisierte zum ersten Mal, wie wahrhaft schön L.A. war.
Das war mein neues Zuhause und das war sowas von surreal. Ich kam mir vor wie in einem Hollywoodfilm. Aber das war tatsächlich mein Leben. Total verrückt.
Damals hatte ich vor lauter Kummer die Welt ebenso gesehen, wie ich mein Inneres empfunden hatte. Während die Menschen ihr Leben genossen, feierten, surften oder ihren Abend an der Strandbar mit Cocktails verbrachten, sah ich überall das Glück, von dem ich dachte, es nie wieder zu empfinden.
Doch heute war ich glücklich.
Natürlich fehlte Tamara mir mit jeder Sekunde mehr. Sie würde mir immer fehlen. Aber ich hatte gelernt, mit dem Schmerz zu leben. Ich war endlich an dem Punkt angekommen, an dem ich es schaffte, ohne sie weiterzuleben. Und damit meinte ich nicht nur vor mich hinzuleben, sondern wirklich zu leben.
Als ich hier ankam, überredete David mich, ihn zur Party seiner Kollegen zu begleiten. Ich hatte es gewagt, Alkohol zu trinken, und in den darauffolgenden Tagen kein Verlangen danach verspürt. Somit war mein Alkoholmissbrauch ein abgehaktes Thema. Ich hatte wie der größte Depp getanzt und bin durch die Gegend gesprungen wie –wie Tami sagen würde – ein durchgedrehter Flummi. Ich hatte Spaß gehabt, David und ich feierten meinen Erfolg und stießen darauf an, dass der Film ebenso viel Erfolg einbringen würde, wie das Buch. Auch die Frauen zeigten viel Interesse an mir. Das war die einzige Baustelle in meinem Leben. Ich hatte auf der Party mit einigen Frauen getanzt, und so manche von ihnen hatten sich vermutlich eine Nummer mit mir erhofft. Doch schon das Tanzen mit ihnen gab mir ein ungutes Gefühl. Es war, als würde ich Tamara betrügen, obwohl das nicht möglich war. Ich war ohnehin nicht daran interessiert, mit einer x-beliebigen Frau ins Bett zu steigen, deren Namen ich am nächsten Morgen schon wieder vergessen würde. Dieser gefühllose Sex würde mir für den Moment wie etwas Gutes vorkommen, nur damit ich im Nachhinein, wie einen Faustschlag im Gesicht, spürte, dass ich immer noch alleine war und keine Liebe bekam oder empfand.
Ob ich mich jemals wieder verlieben würde?
Tamara war ein Jackpot und es war, als würde ich nie wieder einen Jackpot gewinnen.
Ich meine ... wie hoch war bitte diese Wahrscheinlichkeit? So jemanden wie sie wird es nicht mehr geben und ich wüsste nicht, welche Art Frau es schaffen sollte mir erneut das Herz zu stehlen, so wie sie es getan hatte.
Heute war das Casting für die Hauptrolle – Tamara Jones. Ich war gespannt, wen und was wir so zu sehen bekamen.
Ob es jemanden gab, der ihr ähnlich sah? Oder jemanden, der es schaffte, mich zu überzeugen, dass sie wahrlich Tamara sein könnte? Ich war ein wenig nervös aber auch voller Neugier. Die Rolle, die mich spielen würde, hatten wir bereits besetzt. Der junge Mann hieß Darren und war überaus begabt. Ich war mir sicher, dass er noch groß rauskommen würde, vorausgesetzt, er spielte in weiteren Liebesdramen mit. Niemand bis auf ihn hatte so viel Emotionen beim Casting gezeigt und wir hatten ihm alles abgekauft. Dennoch probte ich mit den Kandidatinnen beim Casting, ehe sie Darren kennenlernten. Wenn sie mit mir eine Szene meines Lebens so nachspielen konnten, dass ich mich so fühlte, als wäre ich in die Vergangenheit gereist, dann sollte es kein Problem für sie sein, die Rolle auf mit Darren zu spielen.
David hatte die Liste mit den Namen der Bewerberinnen, die im Wartezimmer saßen. Er sagte seiner Assistentin, wen sie als Nächstes reinrufen sollte. Und so arbeiteten wir die Liste Name für Name ab. Lisa Donell. Mary Ridder. Elizabeth Mayfield.
Bei Jessica Green sah ich David förmlich sabbern. Es war ihm nicht möglich, die Augen von ihr zu lassen, er versprach ihr sogar sie anzurufen. Jedoch nicht wegen der Rolle, sondern, um mit David ein wenig Spaß zu haben. Ob der jungen Frau das klar war, wusste ich nicht genau. Ich bemerkte, wie seine Assistentin ihn böse anfunkelte. Scheinbar war Jessica nicht die Einzige, an der David Interesse gefunden hatte. Das war schon seine fünfte Assistentin. Ich war mir sicher, ab morgen hatte er keine andere Wahl als nach Nummer sechs zu suchen. Würde dieser Mann jemals eine ernste Beziehung in Betracht ziehen?
Das Casting war mühsam. Denn keine der Bewerberinnen schaffte es, mich zu überzeugen.
David seufzte laut, »Rus, du bist zu streng. Niemand von den Frauen wird Tamara so gut spielen können, dass du denkst, die echte stände leibhaftig vor dir, nur mit einem anderen Gesicht. Du musst etwas nachsichtiger sein.«
Vielleicht hatte er recht. Aber sie war die wichtigste Rolle. Die Schauspielerin musste einfach perfekt sein.
»Ich fand Jessica wirklich gut«, sagte David.
Ich lachte.
»Was ist so witzig? Das ist mein Ernst«, seine Augenbrauen bildeten eine Furche, bevor sein Schmunzeln ihn dann doch entlarvte. »Ja okay, sie war schrecklich. Aber sie ist heiß«, er grinste spitzbübisch.
»Nur heiß zu sein reicht aber für einen guten Film nicht aus.«
Es gab einige gute Bewerberinnen, aber mich ließ das Gefühl nicht los, dass es jemand gab, der noch besser geeignet war.
»Unsere Letzte für heute. Schick bitte Summer Joy Atkins rein.«
Summer Joy Atkins.
War das nicht ... Doch!
Ich wusste noch genau, wie Tamara mir von ihr erzählt hatte. Ich hatte Summer und ihre Eltern, ja selbst ihren Hund namentlich im Buch erwähnt. Sie alle hatte ich um Erlaubnis gebeten.
Bis auf Summer.
Sie ging nie ran, nachdem ich ihre Nummer von ihren Eltern bekam und sie zig mal anrief. Irgendwann wurde meine Nummer blockiert. Ich ging das Risiko ein und verwendete ihren Namen, da ihre Eltern behaupteten, sie würde schon nichts dagegen haben.
Und jetzt war sie hier bei dem Casting für die Hauptrolle, um Tamara zu spielen. Sie betrat den Raum und das Erste, was mir auffiel, waren ihre Schuhe.
Westernstiefel.
Diente das zur Überzeugung oder trug sie die auch privat?
Als ich meinen Blick aufrichtete, sah ich ihr Gesicht und ihre Haare. Sie waren lang und blond. Gemachte Locken schmeichelten ihrer Erscheinung, so dass sie aussah wie eine nachgemachte Tami.
Sie kam an unseren Tisch und schüttelte jedem Einzelnen die Hand. Dann kam sie bei mir an. Ich sah ihre Hand an, bevor mein Blick ihre Augen erreichten. Ein dunkles Blau, das mich an einen stürmischen Tag am Meer erinnerte. Dunkles Wasser, dass dich ertrinken ließe, wenn du diesem zu nahe kämst.
Unsere Hände berührten sich und mich durchströmte ein Gefühl der Verbundenheit.
Lag es daran, dass wir beide eine Beziehung zu Tamara hatten?
Das musste es sein. Anders ließe es sich nicht erklären.
Auch sie sah mir in die Augen. Doch es war, als würde sie mir in meine Seele schauen. Ich wusste nicht warum, aber in ihrem Blick konnte ich einen tiefen Schmerz erkennen, der meinem eigenen sehr ähnlich war. Während sie jeden mit einem Lächeln begrüßte, wirkte sie mir gegenüber schon fast schüchtern und als hätte sie Mitleid mit mir. Sie war die erste Bewerberin, die den Anschein machte, dass ihr das ganze Leid tat. Der Erfolg beruhte auf der Geschichte meiner toten Freundin. Das nahm keiner mehr wahr, alle sahen nur die Chance mit der Hauptrolle in diesem Film groß raus zu kommen.
Ihre Hand glitt langsam aus meinem Griff und von der einen auf die nächste Sekunde wurde ihr Blick eiskalt. Erst da merkte ich, dass mir der Augenkontakt mit ihr wie eine halbe Ewigkeit vorkam. Alles lief in Zeitlupe ab, doch sobald ihre Hand meine verließ, drehte sich die Welt weiter im Sekundentakt.
»Ich bin Summer Atkins. Ich kannte Tamara persönlich und deswegen wäre ich perfekt für die Rolle.«
Sie war eindeutig selbstbewusst.
Meine Stimme verlor sich, denn ich verarbeitete noch, dass Tamis Kindheitsfreundin gerade vor mir stand und für ihre Rolle vorsprach.
Der Castingdirektor – Joe – übernahm das Reden. »Das ist gut Summer, aber allein Tamara Jones zu kennen, reicht nicht aus. Auch, wenn wir eine gute Vorbereitung schätzen, sowie dein Outfit und dein Styling. Am Ende zählt jedoch nur dein Talent für das Schauspiel. Also, bitte.«
Sie nickte verständlich und erklärte sich bereit.
Ich musste meinen Text nicht mehr vorlesen, ich konnte ihn bereits auswendig. So wie Summer, denn sie ist ohne das Skript hereingekommen und hält auch sonst nichts in ihren Händen. Während ich bei den anderen Kandidatinnen weiter auf meinem Platz sitzen blieb, stand ich für sie auf, um die Rolle genau mit ihr nachzuspielen. David sah mich irritiert an. Vermutlich, weil er nicht verstand, was in mich gefahren ist. Genauso erging es mir auch. Aber ich hatte es im Gefühl. Sie würde es perfekt spielen, wenn sie die Eine für diese Rolle war. Und jemand wie ich, würde es nicht schaffen, sie aus dem Konzept zu bringen. Vielleicht redete ich mir das auch ein wenig ein. Aber meine Intuition zwang mich zu meinem Handeln.
Ich nickte Joe zu, damit er wusste, dass ich bereit war.
»Rus und Tami sind im See und bespritzen sich belustigt mit Wasser. Als Rus sie nass macht, tut Tami so, als hätte sie Schmerzen, um ihn reinzulegen«, leitete Joe die Szene ein.
Summer begann mit einem hellen Lachen, bis sie plötzlich, »Aua aua aua!«, rief. Ihr Gesicht wurde ernst, so als hätte sie tatsächlich Schmerzen.
»Rus nimmt die Situation ernst und schwimmt schnell zu ihr rüber«, las Joe weiter vor.
Ohne meinen Blick von ihr zu lösen, sprach ich meinen Text, »Ist alles in Ordnung? Hab ich dir weh getan?«
Sie hob ihren traurigen Blick und sah mich an. »Rus«, flüsterte sie.
Eine Gänsehaut überkam mich. Als hätte sie mich mit einem Zauber verführt, kam ich ihr näher – dabei war es die Szene, die das von mir verlangte.
»Ja?« Mein Atem beschleunigte sich.
Ihre Lippen waren direkt an meinem Ohr und Summer wisperte, »Reingefallen.« Dann entfernte sie sich mit einem Lachen von mir und tat so als würde sie mich nass spritzen.
So wie im Buch beschrieben, packte ich sie am Handgelenk, um ihre Bewegung zu stoppen. Ich sah, wie sie kurz zusammenzuckte und ihre Zähne zusammenbiss. Dabei hatte ich sie gar nicht fest angepackt ... Weswegen hatte sie Schmerzen?
Ich musterte sie fragend, aber sie fand sich sofort in der Rolle wieder. Sie hoffte, dass es keiner mit bekam. Vor allem nicht ich. Aber ich hatte gesehen, dass ihr diese plötzliche Berührung weh getan hatte.
»Mach nie wieder solche Scherze«, meine Stimme wurde tief und ernst. Ich zog sie behutsam an ihrem Handgelenk zu mir und legte ihre Hand an meinem Nacken ab. Unser Augenkontakt wurde intensiver. Ich vergaß, dass drei weitere Personen mit uns im Raum waren und das Ganze beobachteten.
Wir schauspielern nur, dachte ich.
Meine linke Hand legte sich an ihren Nacken. Meine Nase streifte ihren Hals, so vorsichtig, als würde sie sonst zerbrechen. Ich hörte, wie sie scharf die Luft einzog. Dann hauchte ich ihr das Wort, »Reingefallen« ins Ohr, so, wie ich es beschrieben hatte – nicht mit Schadenfreude, sondern mit einer Sehnsucht nach mehr in der Stimme. Sie verfestigte ihren Griff an meinem Nacken. Wir sahen uns wieder in die Augen. Ich senkte meinen Kopf weiter zu ihr runter. Sah auf ihre rosa Lippen, die so weich aussahen, wie Zuckerwatte und vermutlich auch so schmeckten.
Als ich ihr wieder zurück in die Augen sah, tat sich etwas in ihrem Blick. Ab da ließ sie mich los und entfernte sich von mir.
Ich wachte aus meiner Trance auf und hörte, wie Joe, David und seine Assistentin Susi in die Hände klatschten.
»Wow! Das war überwältigend, Summer. All deine Gefühle sind auch bei uns angekommen. Wir danken dir sehr für dein Kommen und melden uns demnächst bei dir«, lobte Joe sie.
Sie nickte und schenkte uns ein leichtes Grinsen. »Vielen Dank. Danke für Ihre Zeit. Auf Wiedersehen.«
Dann verließ sie den Raum, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
Scheiße, was war das gerade?
Susi kochte allen einen Kaffee, Joe ging auf die Toilette und das war, wie erwartet, die beste Gelegenheit für David, um mich zu fragen, »Scheiße, was war das denn?«
Ich stand immer noch wie versteinert vor dem Pult.
»Ich dachte einen Moment lang, ihr hättet vergessen, dass wir auch noch da sind. Ihr wart ja kurz davor miteinander zu poppen«, David übertrieb mal wieder seine Lage.
»So ein Quatsch. Und sag nicht poppen, das klingt total behämmert.«
Er rollte mit den Augen. »Rus, jetzt mal im Ernst. Was war das eben? Hattest du mal was mit ihr? Gibt es etwas, was du mir nicht erzählt hast?«
»Was? Nein! Natürlich hatte ich nichts mit ihr. Tamara war meine einzige Freundin. Ich kenne Summer kaum, nur von den Erzählungen von Tami.«
»Warum bist du ihr gegenüber dann so offen geworden? Das sieht dir gar nicht ähnlich. Du hast sie einfach an dich ran gelassen«, stocherte er weiter in dem Thema herum.
»Ich hab doch auch auf der Party Frauen an mich rangelassen!«, ich verstand nicht, was er von mir wollte.
»Du hast mit ihnen getanzt, als seien sie deine kleine Schwester. Das hier war ganz anders. Ich habe gesehen, dass du sie küssen woll-«
»Nein!« Ich unterbrach ihn und war dabei etwas zu laut.
»Da hab ich wohl einen Nerv getroffen.«
Sein Geschwätz machte mich nur noch wütender. Ich empfand gar nichts für sie. Außer Verbundenheit aufgrund unseres gemeinsamen Verlusts.
»Ich versteh gar nicht, warum du dich so aufregst. Ich würde mich für dich freuen, wenn du endlich wieder eine Frau in dein Leben lässt.«
Er machte eine Pause. Dann sagte er, »Und ich denke, Tami würde sich auf für dich freuen. Vor allem, wenn es Summer ist.«
Er verließ den Raum und ließ mich mit meinen rasenden Gedanken allein.
Ich dachte an den Augenblick mit Summer. Ich dachte daran, wie gut sie schauspielern konnte. Daran, wie sie vor Schmerz kurz zusammenzuckte. Ich dachte an Tamara und Davids Worte. Ich dachte an den tiefen Ozean in ihren Augen. Während meine Augen wahrlich das Tor zur Seele waren, konnte man in ihren nur abtauchen, bis das Meer sich schwarz färbte. Man konnte sie nicht durchschauen. Sie war ein Geheimnis, genau wie der weite Ozean. Und in mir spürte ich das leise Verlangen, bis zum Grund ihres Meeres zu tauchen, um herauszufinden, was sie versuchte zu verbergen und wer sie in Wahrheit war.
Nur einige Tage nach dem Treffen mit Syd rief meine A Agentin Maxine mich an, um mir mitzuteilen, dass ich ein Vorsprechen für die Verfilmung von Don’t Forget To Remember hatte. Da erinnerte ich mich wieder, weshalb mir der Titel so bekannt vorkam. Maxine hatte mir vor Monaten davon erzählt und war dabei mir ein Castingtermin dafür zu organisieren.
Da war ich nun gewesen und ... Shit.
Ich wusste nicht, ob es das Schauspiel war oder ob diese Anziehungskraft wahrlich existierte. Diese verdammten Ozeanaugen. Sie hätten mich fast zum Weinen gebracht. All der Kummer und Schmerz spiegelte sich darin wider. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was er alles durchgemacht hatte.
Und warum zur Hölle war er so unverschämt gutaussehend?
Seine Finger auf meiner Haut zu spüren, das fühlte sich an, wie am Anfang meiner Beziehung mit Brian. Als ich mich in ihn verliebte und noch nicht wusste, was für ein Arschloch er in Wirklichkeit war. Wie Cyrus mich berührte hingegen, war nicht mit Brians Berührungen vergleichbar. Vor allem jetzt nicht mehr. Aber bevor er so grob zu mir war, selbst da hatte er mich nicht so sanft angefasst wie Cyrus. Er hatte verstanden, dass sein Griff an meinem Handgelenk mir wehtat. Er war zwar nicht fest, aber dass musste er auch nicht sein, damit die blauen Flecken mir einen schmerzlichen Stich versetzten. Cyrus hatte meine Hand daraufhin vorsichtig um seinen Nacken gelegt und ich riss mich angestrengt zusammen, um nicht aus der Rolle zu fallen. Ich hoffte nur inständig, dass er sich nicht fragte, was es mit meinem Handgelenk auf sich hatte.
Gott, das Leben war so unfair. Tami hatte einen wundervollen Kerl an ihrer Seite gehabt, sie war immer optimistisch, offen und glücklich, und dennoch ...
Es machte mich so wütend. So extrem wütend. Und wie üblich verwandelte sich meine Wut in Tränen. Tami tat mir leid. Cyrus tat mir leid. Mir tat alles leid. Das hatten sie nicht verdient.
Ich saß auf dem Rücksitz, während Trevor – mein Bodyguard, den meine Eltern bezahlten – mich nach Hause fuhr.
Aber ich wollte jetzt nicht zu ihm.
»Trevor, fahr mich bitte zum Schwimmbad.«
»Natürlich, wird gemacht.«
Sie hatten vor einer viertel Stunde geschlossen. Da ich schon seit Jahren dort schwimmen ging und den Kontakt zu den Besitzern pflegte, vertrauten sie mir einen Schlüssel an, sodass ich immer schwimmen gehen konnte, wenn keiner mehr da war. Außerdem kannten sie meine Eltern schon eine lange Zeit.
Im Sommer benutzte ich das große Schwimmbecken im Außenbereich. Aber jetzt am Abend war es mir ein wenig zu frisch dafür.
Ich hatte immer zwei Paar Bikinis und Badeanzüge in meinem persönlichen Spind, sodass ich direkt loslegen konnte, statt meine Sachen holen zu müssen.
Ich liebte es auch, am Strand zu sein. Aber dort war ich nur noch, um die Wellen zu beobachten. Es würde mir nur Ärger mit Brian einbringen, wenn ich mich im knappen Bikini sehen ließ. Ich war lange nicht mehr zum Sonnen oder Schwimmen da gewesen. Auch wenn ich surfte, trug ich ein Bikinioberteil, das keinen Ausschnitt zeigte, und eine Badeshorts, aber auch das war eine Ewigkeit her.
Syd versuchte immer wieder, mich zu überreden mit ihr an den Strand zu gehen, um Sonnen zu baden. Ich behauptete, dass meine Haut sehr empfindlich der Sonne gegenüber war und es besser für mich sei, nicht mehr so oft den Strand aufzusuchen.
Ich hasste es, sie anzulügen und ihr gegenüber eine so schlechte Freundin zu sein. Ich hasste mein Leben.
Selbst als ich aus dem Fenster sah, spürte ich Trevors Blick. Er machte sich Sorgen um mich und wusste, dass etwas nicht stimmte. Wenn er wüsste, wie Brian zu mir war, wäre dieser längst unter der Erde. Aber griffe er ein, würde alles noch schlimmer werden, als es bereits war. Dass das überhaupt möglich war, war gar nicht zu glauben.
Als das Schwimmbad in Sicht kam, schnallte ich mich sofort ab und sprang aus dem Wagen, der noch in Schritttempo auf dem Parkplatz umher fuhr.
»Ich werde einen Parkplatz in der Nähe des Eingangs suchen und dort auf dich warten«, rief Trevor mir durchs Fenster hinterher.
Mit einem knappen Okay ging ich des Weges. Ich konnte es kaum erwarten, wieder im Wasser zu sein.
Ich lief über den großen Parkplatz auf das graue Gebäude zu. Dann steckte ich den Schlüssel in die Tür, die ich hinter mir wieder abschloss. Vor Freude beeilte ich mich zu meinem Spind und holte meine Badesachen raus. Ich zog meinen dunkelblauen Bikini an, der perfekt zu meinen Augen passte, dann die Badekappe. Als Nächstes schnappte ich mir ein Handtuch und mein Handy, das ich wie immer neben meinen Startblock ablegte. Falls etwas sein sollte, hatte ich somit die Möglichkeit, sofort Trevor zu kontaktieren.
Nun stieg ich auf den ersten Startblock und sah geradewegs in die untergehende Sonne. Mit einem tiefen Atemzug sprang ich mit einem Köpper ins Becken. Beim Auftauchen legte ich mit dem Kraulschwimmen los. Bei der vierten Bahn hörte ich das Klingeln meines Handys, weswegen ich zum Ende der Bahn schwamm. Das erleuchtete Display zeigte mir einen Namen an, den ich besser nicht lesen wollte.
Brian.
Ich seufzte. Na toll.
Mit mulmigem Gefühl nahm ich den Anruf an und bereute es sofort. Ich hatte nicht mal die Möglichkeit, ihn zu begrüßen, da er bereits in sein Smartphone brüllte, »Wo zum Teufel steckst du?! Das Casting ist schon längst vorbei. Oder bist du, wie die Schlampe, die du bist, mit dem Regisseur einen Trinken gegangen?«
Das ist einmal vorgekommen, das stimmte. Dass dieser Regisseur verheiratet war, hatte Brian aber nicht interessiert.
Verheiratet. Mit einem Mann.
»Ich schwimme. Ich bin in einer Stunde wieder da.«
»Schick mir deinen Standort.«
Ich tat, was er verlangte. Kurz darauf erklang ein erleichtertes Seufzen.
»Fuck. Es tut mir leid, Baby. Ich mache mir nur Sorgen um dich, das weißt du doch oder? Ich will dich nicht verlieren.«
Das Augenrollen lief schon wie von allein ab, wenn er mir mit seiner üblichen Masche kam.
»Ja, schon okay. Wir sehen uns dann in einer Stunde.«
»Okay Baby, bis später. Viel Spaß.«
Ich bedankte mich, sagte ciao und legte, so schnell ich konnte auf. Immer wieder das Gleiche.
Ich schwamm weiterhin meine Bahnen, so, als wäre nichts gewesen. So, als hätte mein Freund mich nicht eben Schlampe genannt, nur damit er sich dadurch besser fühlte. Ich hatte mich dran gewöhnt. All seine Beleidigungen prallten an mir ab wie bei Wackelpudding. Ich schenkte seinen Worten nie meinen Glauben, aber ich glaubte, dass ich ein schlechter Mensch war und es vielleicht verdient hatte, dass er so mit mir umging.
Ich hatte sowieso keine Wahl. Ich musste bei ihm bleiben.
Oder ich wanderte ins Gefängnis.
Nachdem David und ich eine kurze Auseinandersetzung hatten, setzten wir uns wieder in eine Runde – zusammen mit Joe – und diskutierten darüber, wer Tamara in der Verfilmung spielen würde. Summer hatte als letzte Bewerberin die beste Performance abgeliefert, eigentlich sollte die Frage damit beantwortet sein. Doch David war anderer Meinung.
»Wie wär’s mit Jessica?«, fragte er ernsthaft.
Joe und ich sahen David mit demselben Blick an und er hatte verstanden, dass sie nicht in Frage kam.
»Na schön. Aber wie wäre Veronica? Sie war doch wirklich gut!«
»Warum sträubst du dich so dagegen, Summer die Rolle zu geben? Sie war perfekt. Das hat jeder von uns gesehen.«
Joe nickte zustimmend.
Langsam aber sicher war ich gereizt, was sich durch das Pochen in meinen Schläfen bemerkbar machte. Vorhin hatte er mich noch verhört und fand es klasse, wie nah ich Summer gekommen war, und jetzt wollte er sie aus unerklärlichen Gründen nicht im Film haben.
»Ich glaube einfach, dass Veronica besser für die Rolle geeignet ist. Du willst Summer doch nur haben, weil es zwischen euch gefunkt hat.«
Okay. Das reichte. »Summer bekommt die Rolle. Ich will sie oder niemanden«, sagte ich bestimmt. Mein Entschluss stand fest.
Ein diabolisches Grinsen machte sich auf Davids Gesicht breit. Zuerst ratterte es in meinem Kopf, doch dann verstand ich. Genau das wollte er von mir hören. Wie perfekt ich sie für die Rolle fand. So perfekt, dass ich mir nur noch sie dafür vorstellen konnte.
»Du bist ein Arschloch.«
»Ich weiß. Und doch kriegen die Frauen nie genug von mir«, er lehnte sich im Stuhl zurück, legte seine Beine auf den Schreibtisch und verschränkte die Hände hinterm Kopf.
»Oh man«, ächzte ich.
Joe meldete sich zu Wort, »Dann wäre das ja geklärt. Ich werde ihre Agentin in den nächsten Tagen kontaktieren. Jetzt will ich zu meiner Frau und ihrem leckeren Hackbraten.« Er stand auf und verabschiedete sich von uns.
Auch David und ich schalteten alle Lichter aus und schlossen alle Türen zu, bevor wir uns auf den Nachhauseweg begaben. Ich schaffte es wieder in einem Auto sitzen, ohne dabei keine Atemprobleme mehr zu bekommen, und nahm Fahrstunden, die mir halfen meine Phobie – diesmal in der realen Welt und nicht in einer Geschichte – zu bekämpfen.
Momentan wohnte ich noch bei David, so wie ich es damals tat, als ich ein hoffnungsloses Wrack war. Aber in zwei Wochen war es so weit: Meine erste eigene Wohnung. Es war bereits alles gepackt, bis auf die notwendigsten Sachen, die ich im Alltag brauchte. Ich besaß nicht viele Besitztümer, wodurch noch einige freie Gästezimmer bei David verfügbar waren. Eines davon benutzte er als seinen Hobbyraum. Man könnte denken, dort befand sich seine Playstation 5, ein Tisch mit einem Gaming PC und mehreren Monitoren und dass das ganze Zimmer mit LED’s zugeklebt war.
Das stimmte. Nur war das in einem anderen Raum.
Sein geheimes Hobby, das er hier im Zimmer betrieb, erforderte die Holzstaffelei, die in der Ecke neben dem Fenster stand. Er hatte schon öfters mit seinen Bildern Geld verdient. Er malte und bot sie online zum Verkauf an. Künstler wollte er aber nie werden. Wenn er das Wort Künstler hörte, dachte er an reiche alte Snobs, die sich selbst für Sex zu fein waren und wie die ganze Welt wusste, war das nicht Davids Art. Aber das war auch ein ziemliches Klischee, das er da von sich gab. Mir war klar, dass er es nicht so meinte. Dennoch liebte er das Malen nur als ein Hobby. Sein Traum war es Filmregisseur zu sein. Da er es geschafft hatte, dieses Ziel zu erreichen, konnte ich mich glücklich schätzen, ihn als Freund zu haben.
Ich legte mich auf das Schlafsofa in – noch – meinem Zimmer und dachte über den heutigen Tag nach. Darüber wie viele Frauen ich heute sah, die genug Talent hatten und doch nicht das gewisse Etwas mitbrachten, das ich mir für Tamaras Rolle erhoffte.
Doch dann kam Summer.
Ich hätte nie im Leben damit gerechnet, dass ich auf diese Art und Weise auf sie treffen würde. Ich dachte, sie lebte noch in Sunmond. Selbst da bin ich ihr nie über den Weg gelaufen. Auf Tamis Beerdigung war sie auch nicht gewesen. Darüber war ich anfangs echt enttäuscht, da die beiden in ihren Kindheitstagen gut befreundet waren. Tami hatte sich diese Nähe zu ihr immer wieder zurückgewünscht, aber es kam nicht dazu. Summer hatte nie Zeit. Oder aber sie wollte sich nicht die Zeit nehmen. Jedoch war auch ich kurz davor nicht zur Beerdigung zu gehen. Der Schmerz und meine Schuldgefühle saßen zu tief. Vielleicht erging es ihr ebenso. Ich sollte sie besser nicht verurteilen, ohne sie zu kennen. Schließlich wusste ich nicht, wie sie mit dem Tod von Tamara umging. Aber dass sie sich für ihre Rolle bewarb, hatte doch etwas zu bedeuten oder?
Tami hatte mir damals schon erzählt, dass Summer bereits als Kind davon träumte eines Tages als große Schauspielerin den roten Teppich entlang zu gehen. Als Kind liebte sie es, sich zu verkleiden und in eine andere Rolle zu schlüpfen. Sie zwang Tamara immer dazu, mitzuspielen, die eigentlich lieber reiten wollte. Aber sie konnten sich einig werden. An einem Tag durfte Summer entscheiden, am nächsten Tamara.
Ich stellte mir nur zu gerne vor, wie die beiden kleinen Mädchen unzertrennlich waren und jeden Tag miteinander auf der Farm spielten. Oder am See, da Summer das Wasser liebte.
Ach, Tamara hatte mir so vieles über sie erzählt. Schade, dass die beiden sich auseinandergelebt hatten, jetzt wo sie...
Aber wer hätte das schon ahnen können?
Mit geschlossenen Augen erinnerte ich mich wieder an den Moment zurück, indem Summer und ich uns anblickten. Das erste Bild, das in meinem Kopf entsteht, sind ihre Augen. Der Gedanke, der daraufhin folgte, war so laut, dass ich mein Handy aus meiner Hosentasche hervorholte und ihn abspeicherte.
Be my crystal clear water of love in which I want to drown.
Vielleicht sollte ich eines Tages doch ein Lyrikband veröffentlichen.
Das Smartphone wieder beiseitegelegt, liefen die Erinnerungen weiter, wie ein Video, das ich mit meinen Augen gefilmt und im Kopf verwahrt habe.
Ich hätte sie fast geküsst.
Ich wollte sie küssen.
Das gefiel mir nicht. Ich war noch nicht so weit. Mein Herz würde immer Tamara gehören. Wie sollte ich es schaffen, eine andere Frau zu lieben? So zu lieben, wie ich sie geliebt hatte?
Das war unmöglich.
Und doch hatte Summer mein Herz wieder rasen lassen. Mich fühlen lassen, mit ihrer Schauspielkunst. Sie ließ mich glauben, dass diese Gefühle zwischen uns echt waren, nicht gespielt. Aber vermutlich bildete ich mir zu viel darauf ein.
So oder so, sie hatte es geschafft.
Wozu war sie wohl noch fähig?
Ich wurde um zehn Uhr am Morgen von meinem Klingelton geweckt, der 7 Rings von Ariana Grande spielte.
»Sum, stell das ab«, brummte Brian neben mir. Er vermutete, es sei mein Wecker, aber Arianas Gesang sagte mir, dass ich angerufen wurde.
Es war Maxine. Prompt war ich hellwach und mein Herzklopfen wurde deutlich spürbar, nun wo ich wusste, worum es bei dem Telefonat gehen würde. Die Antwort auf die Frage, ob ich Tamis Rolle bekam. Ich stolperte sofort aus dem Bett und fing vor Nervosität an, an meinem Fingernagel zu knabbern.
»Hey Maxine, was gibts?«
»Hallo Summer! Es tut mir leid, aber ...«
Nein. Das konnte nicht sein. Cyrus wusste, dass ich die Beste für diese Rolle war. Ebenso wie Sydney, die es mir so penetrant eintrichterte, bis ich ihr zustimmte.
»... es wird wieder anstrengend, Süße. Denn du wirst die Hauptrolle in der Verfilmung von Don’t Forget To Remember spielen! Herzlichen Glückwunsch!«
Ich schrie kurz auf, woraufhin Brian sich erschrak und so tat, als würde er sich ernsthafte Sorgen darüber machen, dass mir was passiert sei. Ich bedankte mich mindestens zehn Mal bei meiner Agentin, bevor ich auflegte. Ohne darüber nachzudenken, drehte ich mich in Richtung Bett und quiekte, »Ich hab die Rolle in der neuen Buchverfilmung!«
Brian war nun voll da. »Was? Das ist ja der Wahnsinn, Baby! Glückwunsch!«
Er kam zu mir, nahm mich hoch und drehte sich mit mir im Kreis. Als er mich wieder runterließ, küsste er mich leidenschaftlich auf den Mund.
»Für diesen Anlass werde ich heute das Frühstück machen. Pfannkuchen mit Ahornsirup und Blaubeeren und dazu ein selbstgepresster Orangensaft, richtig?«
Ich nickte stumm.
»Kommt sofort«, sagte er und beeilte sich in die Küche.
Gerade hatte ich den Moment in vollen Zügen genossen, nur, um mich im nächsten daran zu erinnern, dass diese Seite an Brian nicht von Dauer war. Ich sah einen kleinen Funken aufkommen, als er sich für mich freute, nur, um diesen sofort wieder auszulöschen.
Ich durfte nicht dumm sein. Es lief immer gleich ab. Jedes Mal freute er sich, wenn er hörte, dass ich eine Rolle bekam. Und dann ging es mit der Eifersucht los. Jeder Mann, der im Film mitspielte oder an dem Film arbeitete, konnte mein Lover sein. Mit jedem von ihnen sollte ich mal etwas gehabt haben. Jeder war eine Gefahr.
Aber wenn ich im Film mehr Haut zeigte, war es okay. Denn das brachte Geld ein. Aber im wahren Leben war das wiederum verboten.
Ich erinnerte mich so gerne daran, dass er am Anfang der Beziehung nur diese eine liebevolle Seite von sich gezeigt hatte. Es war unmöglich, mich nicht in ihn zu verlieben. Und wenn es nicht schon so verdammt lange her wäre, seit er seine dunkle Seite offenbarte, würde ich vermutlich jetzt in Tränen ausbrechen. Doch leider spielte ich diese Rolle schon so lange, dass ich daran gewöhnt und selber total abgestumpft war. Sein Umgang mit mir ließ mich kalt und bei jeder kleinen Nettigkeit von ihm, war mir klar, dass er nur seinen Vorteil darin sah und nichts davon von Dauer war.
Wie lange es wohl diesmal anhalten würde?
Nach dem Frühstück bereitete Brian sich für die Arbeit vor. Er hatte heute die Mittelschicht und konnte deswegen länger schlafen. Währenddessen räumte ich die Küche auf. Nach zwanzig Minuten stolzierte er mit seiner Uniform in die Küche, während er das Holster an seiner Hüfte anbrachte. Mit einer Waffe darin.
Die Waffe.
Immer wieder fürchtete ich mich bei einem Streit davor, dass er sie aus seinem Nachttisch holte und etwas tat, was er bereuen würde. Immer wenn ich sie sah, erinnerte ich mich an die schlimmste Autofahrt meines Lebens und ihre Folgen. Zwar war Brian schon in Sunmond als Polizist zuständig, doch seit diesem Tag hasste ich es, ihn in dieser Uniform zu sehen. Es war wie eine Verkleidung. Eine Täuschung für die ganze Welt. Denn er war wirklich der letzte Mensch, der für diesen Beruf geeignet war.
Brian küsste mich auf die Wange. »Bis heute Abend. Tu nichts, was mich auf die Palme bringt.« Beim zweiten Satz lachte er.
Aber wir wussten beide, dass das kein Witz war, er meinte es todernst. Dann fiel die Tür ins Schloss und ich atmete hörbar aus. Mir war nicht mal bewusst gewesen, dass ich die Luft anhielt. Ich würde heute sicher nicht hier rumhocken und nichts tun, nur damit Brian seinen Willen bekam.
Unser Badezimmer befand sich genau gegenüber unseres Schlafzimmers und hinter dem Wohnzimmer. Man könnte meinen, unser Wohnzimmer war der zweitgrößere Flur, der zu den anderen Räumen führte.
Ich drehte die Temperatur auf vierzig Grad und sah den Wasserdampf aufsteigen. Dann stellte ich mich genau unter den Duschkopf und genoss die heiße Regendusche. Danach legte ich Make-up auf und glättete mir die Haare. Sie waren von Natur aus leicht gewellt, was ich meistens total scheußlich fand, also weg damit.
Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer, wo sich unsere offene Küche befand, tippte ich eine schnelle Nachricht an Syd.
Ich muss dir etwas erzählen. Wichtig!
Treffen in 15 min im Café on the Beach
»Guten Morgen, Summer«, eine tiefe Stimme erschreckte mich.
Es war Trevor.
Mist, das hatte ich total vergessen. Er würde mich sicher begleiten, aber darauf konnte ich heute gut verzichten.
»Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.«
Obwohl seine Muskeln noch größer waren als die von Brian, war er der Letzte, vor dem ich Angst haben musste.
»Schon in Ordnung. Du bist wie immer sehr pünktlich.«
Trevor war immer ab sechs Uhr morgens zur Stelle, deshalb brauchte er auch reichlich Energie. Ich betätigte unsere Kaffeemaschine und befiehl ihr, einen doppelten Espresso zu kochen, so wie immer, wenn ich Trevor das erste Mal am Tag zu Gesicht bekam.
Ich reichte ihm die kleine Tasse. In seiner Hand sah sie aus wie eine Spielzeugtasse für die Puppen seiner dreijährigen Tochter.
»Danke.«
»Gerne. Sag mal Trevor, wie wär‘s, wenn du dir heute mal frei nimmst?«
Er sah mich ernst an. Mein Bodyguard hatte strikte Anweisungen von meinen Eltern bekommen.
»Du weißt, dass ich dir den Gefallen schon ziemlich häufig tue. Wenn deine Eltern das rauskriegen-«
Ich unterbrach ihn. »Wenn meine Eltern das rauskriegen, nehme ich die Schuld auf mich und du wirst nicht gefeuert, weil du der beste Bodyguard bist.«
Das war er wirklich. Seit drei Jahren war er nun für meine Sicherheit zuständig und wir waren sowas wie beste Freunde geworden. Dafür, dass er mich anfangs gesiezt und Miss Atkins genannt hatte, sind wir heute um einiges lockerer im Umgang miteinander.
Er lächelte geschmeichelt. »Ich hab dich echt gern Sum-sum. Ich will nicht, dass dir was passiert.«
Trevor hatte mir erzählt, dass er als Kind seine kleine Schwester bei einem Unfall verlor. Was genau an diesem Tag geschah, sagte er mir nicht und ich fragte nicht nach, wenn er es mir nicht von sich aus anvertrauen wollte. Ich wusste nur, dass das ein ausschlaggebender Punkt dafür war, dass er nun als Bodyguard agierte. Wenn er damals kein Beschützer sein konnte, dann heute. Und allmählich dachte ich, dass er in mir seine kleine Schwester sah, was eigentlich ziemlich süß war. Denn dann beschützte er mich nicht nur, weil er Geld dafür bekam, sondern, weil ich ihm am Herzen lag. Aber auch ich sah in ihm sowas wie einen großen Bruder.
»Ist mir bisher je was zugestoßen?«
»Das heißt nichts. Es kann immer etwas passieren.«
Nach einer kurzen Stille atmete er tief aus. »Na gut. Aber du wirst mich sofort anrufen, wenn du mich brauchst.« »Natürlich. Wie versprochen.«
Ich hielt ihm meinen kleinen Finger hin und er hakte seinen darin einen. Das Pinky-Versprechen blieb unsere Tradition. Ich drückte ihn und bat darum, seiner Familie einen lieben Gruß auszustellen. Er und seine Frau waren seit der Highschool zusammen. Sie waren das Ehepaar mit der typischen Liebesgeschichte: Er war der Footballstar der Schule und sie das beliebte Mädchen. Die beiden waren wirklich ein süßes Paar. Aber ihre Tochter war süßer.
Trevor fuhr nach Hause und da begab auch ich mich auf den Weg.
Die Tür fiel ins Schloss und draußen begrüßte mich die Sonne. In Wedges stolzierte ich zu meinem Audi R8, den meine Eltern mir vor einem Jahr zum Geburtstag schenkten und stieg in den Wagen. Es war mein absolutes Traumauto und seit meine Eltern sich ein Vermögen aufgebaut hatten, machten sie mir öfters solch teuren Geschenke. Ich war froh, dass meine Eltern nicht immer so reich gewesen sind, sonst hätten sie mich zu sehr verwöhnt und ich würde keine Ahnung davon haben, dass man nur durch harte Arbeit an sein Ziel kam. Ich nahm nichts als Selbstverständlichkeit an. Auch wenn die meisten Leute das von mir dachten, weil ich nach außen wie eine – Achtung Klischee – verwöhnte blonde Tussi aussah. Und der Wagen bestätigte ihnen ihr ausgedachtes Erscheinungsbild von mir. Aber es war mir egal.
Nachdem ich einparkte, zog ich die Keilsandalen an, die ich ausgezogen hatte, um vernünftig Autofahren zu können. Dann lief ich den am Strand liegenden Holzpfad entlang. Das Café on the Beach war ... nun ja, wie der Name schon sagte. Man hatte von dort einen wunderschönen Ausblick auf das weite Meer, in das ich am liebsten hineinspringen und fortschwimmen wollte.
Bis zum Horizont, am Rande der Welt.