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„Am Fuß des Berges loderte eine breite Feuerwalze mannshoch auf. Jan riss sich den roten Damastmantel vom Leib. Es war seine letzte, noch von klarer Überlegung beherrschte Tat, bevor er sich mit einem rauen Lustschrei in die Flammen stürzte. Was machte es, wenn sein Hemd brannte oder die Haare, er lechzte nach dem heißen Kuss des Feuers.“ Das 18. Jahrhundert neigt sich dem Ende zu. Noch immer trauert Jan Stolnik um seine große Liebe La Fiametta. Aber ist die Dame Phönix wirklich in den Flammen gestorben? Als Jan in einer alten Handschrift den Hinweis auf die sagenumwobene Türme des Schweigens findet, macht er sich sofort auf den Weg zu jenem Ort, an dem seine Geliebte aus ihrer Asche auferstehen kann. Doch die Reise durch das Osmanische Reich bis nach Persien ist lang und gefährlich. In Baku am Kaspischen Meer begegnet Jan schließlich der Königin des Sudans. Sie ist hierhergekommen, um sich mit einem Sohn des Schahs zu vermählen – aber sie und die Frauen ihres Hofstaats hüten auch ein Geheimnis … Der zweite Band der historischen Fantasysaga, die Jahrhunderte überspannt und von der unsterblichen Liebe des Drachensohnes Jan Stolnik erzählt: spannend, berührend, faszinierend. Jetzt als eBook: „DRACHE UND PHÖNIX: Goldene Kuppeln“ von Angelika Monkberg. dotbooks – der eBook-Verlag. JETZT BILLIGER KAUFEN – überall, wo es gute eBooks gibt!
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Seitenzahl: 224
Über dieses Buch:
Das 18. Jahrhundert neigt sich dem Ende zu. Noch immer trauert Jan Stolnik um seine große Liebe La Fiametta. Aber ist die Dame Phönix wirklich in den Flammen gestorben? Als Jan in einer alten Handschrift den Hinweis auf die sagenumwobene Türme des Schweigens findet, macht er sich sofort auf den Weg zu jenem Ort, an dem seine Geliebte aus ihrer Asche auferstehen kann. Doch die Reise durch das Osmanische Reich bis nach Persien ist lang und gefährlich. In Baku am Kaspischen Meer begegnet Jan schließlich der Königin des Sudans. Sie ist hierhergekommen, um sich mit einem Sohn des Schahs zu vermählen – aber sie und die Frauen ihres Hofstaats hüten auch ein Geheimnis …
Der zweite Band der historischen Fantasy-Saga, die Jahrhunderte überspannt und von der unsterblichen Liebe des Drachensohnes Jan Stolnik erzählt: spannend, berührend, faszinierend.
Über die Autorin:
Angelika Monkberg, geboren 1955, lebt in Franken. Sie arbeitet im öffentlichen Dienst. Daneben schreibt sie Kurzgeschichten und Romane – wenn sie nicht zeichnet oder malt. In beiden Bereichen gilt ihr Interesse vor allem dem Phantastischen.
Angelika Monkberg im Internet: www.facebook.com/1AngelikaMonkberg
Die historische Fantasy-Saga DRACHE UND PHÖNIX umfasst folgende Bände:
Erster Roman: Goldene Federn
Zweiter Roman: Goldene Kuppeln
Dritter Roman: Goldene Spuren
Vierter Roman: Goldene Asche
Fünfter Roman: Goldene Jagd
Sechster Roman: Goldene Lichter
Siebter Roman: Goldene Ewigkeit
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Originalausgabe Dezember 2013
Copyright © 2013 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Ralf Reiter
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von © zebra0209 /shutterstock.com.
ISBN 978-3-95520-457-0
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Angelika Monkberg
DRACHE UND PHÖNIX:
Goldene Kuppeln
Roman
dotbooks.
Schloss Burgk bei Freital in Sachsen; Mittwoch, 24. Juni 1781; am Tag von Sankt Johannes dem Täufer, Theodulf von Lobbes und Wilhelm von Vercelli; Regen
Das Gesinde hatte wie üblich im Hof einen Reisighaufen für ein Johannisfeuer aufgeschichtet, aber Jan glaubte nicht, dass es sich später überhaupt entzünden ließ. Dafür war alles viel zu nass. Er steckte den Schlüssel in die Spieluhr und zog das Werk auf. Eine leise Melodie erklang, der feuervergoldete Vogel auf dem Deckel begann mit den juwelenbesetzten Flügeln zu schlagen, doch die leise zirpende Melodie ertrank fast im Trommeln des Regens, der auf das Oberlicht der Werkstatt klatschte. Draußen ging ein Wolkenbruch nieder.
Es war heute schon der vierte oder fünfte, aber wenigstens gab es Unterbrechungen zwischen ihnen. Auch dieser Sommer verdiente seinen Namen wieder nicht. Selbst wenn der Himmel seine Schleusen ausnahmsweise geschlossen hielt, blieben die Tage trüb und kalt, die Felder waren aufgeweicht und alle Wege schlüpfrig.
Nicht einmal ein ausgebildeter Schnellläufer schaffte es zurzeit noch an einem Tag nach Dresden und zurück, und Jan hatte Nanni solche halsbrecherischen Fahrten verboten. Barberinas Ehemann soff, und er prügelte auch gerne einmal auf ein Gespann ein, wenn die Pferde, die in dieser Beziehung viel mehr Verstand zeigten, nicht wollten wie er. Bevor Nanni noch einmal ein Fuhrwerk umwarf, zahlte Jan lieber Futter, Stellplatz und Bett im Gasthof, obwohl er genau wusste, dass Bodenschatz seinen Diener mühelos für eine Nacht in der Residenz unterbringen konnte. Wo der Tropf sicher wieder eine junge Magd beschlief und das Geld für den Gasthof in die eigene Tasche steckte, zwei Fliegen mit einer Klappe.
Jan legte den Schlüssel der Spieluhr beiseite.
Barberinas launischer und unzuverlässiger Ehemann hatte bisher neben seinem ehelichen Sohn zwei Bankerte gezeugt und sich jedes Mal geweigert, für die Folgen aufzukommen, so dass schließlich er die Kinder bei guten Pflegeeltern untergebracht und Bodenschatz angewiesen hatte, die Mägde in der Residenz vor seinem Diener zu warnen. Trotzdem waren Weibergeschichten noch das kleinste Übel des ganzen Problems, das Nanni hieß. Jan bedauerte inzwischen heftig, dass sie ihn damals nicht einfach in Venedig zurückgelassen hatten.
Sein Blick schweifte zum Kachelofen. Der Anblick der Glut hinter den Ritzen der Ofenklappe erinnerte ihn an La Fiametta. Wenn es stimmte, was Pater Giuliano damals behauptet hatte, war er unsterblich. Er konnte es nicht ganz glauben, obwohl er bald sechzig wurde und noch immer jung aussah. Doch er hatte die Frau verloren, mit der er vielleicht wirklich für immer hätte leben können, und nun verstrich ein Jahr nach dem anderen ohne sie. Manchmal fühlte er sich wie ein alter Mann.
Er tippte die goldene Nachtigall der Spieluhr an, der künstliche Vogel wippte noch einmal, die Walze im Inneren spielte ein letztes Plim. Aber es half keine Kunst, die goldenen Federspiegel, die La Fiametta auf Schultern und Kreuzbein getragen hatte, waren dahin. Dahin wie ihre göttliche Stimme, ihre Gier nach Liebe und Geld. Sie war beim Brand des Teatro San Benedetto ums Leben gekommen, freiwillig ins Feuer gegangen, und er verstand noch immer nicht, warum.
Er lebte, musste weiterleben, obwohl ihm damals in der Brandnacht ein Priester den Schädel eingeschlagen hatte, um ihn daran zu hindern, zurück ins Teatro San Benedetto zu laufen, vielleicht auch, um ihm zu beweisen, dass selbst tödliche Verletzungen bei ihm heilten.
Barberina hatte ihn damals gepflegt. Sie wenigstens war ihm geblieben. Sie hielt den Vertrag treu ein, den Prinz Anton 1774 mit ihr abgeschlossen hatte. Ihr Dienst für ihn gegen ein Landgut auf der Terra ferma für ihre Familie. Doch er war allmählich versucht, Bodenschatz zuzustimmen, der immer wieder sagte, er halte es doch von Weisheit getragen, dass die meisten Gesindeordnungen Dienstboten das Heiraten rundheraus verboten. Barberina hätte ohne Nanni zweifellos besser gelebt. Und Jan mit ihr.
Natürlich hätten sie nach Meinung der heiligen Mutter Kirche in Sünde gelebt, doch Jan kannte genug Herren von Stand, sogar Geistliche, die ein ähnliches Arrangement mit ihrer Haushälterin getroffen hatten. Ein Mann brauchte nun einmal ab und zu eine Frau in seinem Bett. Lust war dem Menschen von Gott gegeben wie Hunger und Durst und das Bedürfnis nach Schlaf.
Gut, Letzteres fehlte ihm, genau wie die Fähigkeit zur Heuchelei. Barberina wusste, dass er mit ihr nur ein Zweckbündnis geschlossen hatte. Aber er hatte sie aufrichtig gern und hätte von ihr niemals verlangt, dass sie tagsüber vor ihm kuschte und nachts heimlich in sein Schlafzimmer schlich, wie das andere Herren hielten. Das Gesinde wusste sowieso Bescheid, Dienstboten sahen in einem Haushalt immer alles. Sie putzten und heizten sein Schlafzimmer, sie leerten ihm den Nachttopf, und sie hätten ihn auch gewaschen und angekleidet, wenn er es zugelassen hätte. Aber er wollte nicht, dass irgendjemand sah, was ihm wirklich im Rücken wuchs, auch nicht Barberina, obwohl er ihr absolut vertraute.
Und er sah nicht ein, warum er ihr, die fast die gesamte Last und Verantwortung seines Haushalts trug, das Leben durch Verstellung noch schwerer machen sollte. Und zum Teufel mit Nanni, der die Vorteile, die er von dem Handel hatte, auch nach Jahren noch nicht begriff. Er klingelte.
Die Spieluhr war fertig, sie konnte verpackt und Bodenschatz übergeben werden, den er morgen oder übermorgen mit Nanni aus Dresden zurückerwartete. Es war mit Prinz Anton verabredet, dass der Kammerdiener Jans kostbare Spielzeuge in seiner abgeschabten Tasche nach Dresden transportierte, um damit Räuber zu täuschen, die in diesen schlechten Zeiten sogar auf der belebten Landstraße zur Residenz manchmal den Reisenden auflauerten.
Nanni konnte man solche Aufträge nicht anvertrauen. Der brachte es fertig und vergaß Briefe oder gar eine Spieluhr unterwegs in irgendeinem Wirtshaus. Wenn er sie nicht sogar auspackte und herumzeigte und dann im Suff versetzte. Sie hatten schon einmal Bodenschatz ausschicken müssen, um in allen Schenken zwischen Freital und Dresden nach dem verlorenen Gegenstand zu fahnden – ein Dienst, den der Kammerdiener zu Recht für eine Zumutung gehalten hatte und freiwillig sicher nicht noch einmal versehen würde.
Es klopfte.
„Herein.”
Die Magd von heute war eine neue, erst seit Ostern im Haus. Sie knickste und grüßte und trug gleichzeitig schwer an einer vollen Kohlenschütte. Jan stand auf und half.
„Guten Tag, Euer Gnaden.” Sie knickste noch einmal. „Frau Barberina lässt ausrichten, das Bad sei in ungefähr einer halben Stunde bereit.”
„Danke, Kind.”
Die Neue war hübsch. Sie konnte gar nicht glauben, dass er das Feuer im Ofen seiner Werkstatt wirklich selbst schürte, obwohl sie ihm mit eigenen Augen dabei zusah. Wäre sie nicht schon davon so erschrocken, er hätte sie vielleicht zum Spaß noch geküsst. Er löste den Riegel der Ofentür und schüttete Kohlen ins Feuerloch, dass die Funken stoben.
„Danke, das war alles, Kind. Bitte geh. Ich möchte allein sein.”
Das wenigstens verstand sie. „Sehr wohl, Euer Gnaden.”
Sie knickste schon wieder und entfloh. In der Aufregung, gerade dem buckligen Grafen höchstpersönlich begegnet und nicht von ihm gefressen worden zu sein, warf sie heftig die Tür der Werkstatt hinter sich zu. Er schmunzelte.
Die Kohle roch nach Schwefel. Für ein Schmiedefeuer hätte er sie zuerst in der Esse neben der eigentlichen Glut anheizen und dabei immer wieder mit Wasser befeuchten müssen, bis sich der unerwünschte Bestandteil verflüchtigt hätte. Aber er brauchte sie heute wirklich nur als Nachschub für den Kachelofen. Eine Schande, dass man mitten im Sommer heizen musste, doch die klamme Feuchtigkeit setzte sich sonst in den Mauern fest.
Er schloss das Schürloch und fuhr leicht mit der Hand über das brennend heiße Metall. Mehr als das durfte er sich heute leider nicht gönnen. Er liebte es, sich die Finger zu verbrennen, doch er hatte es mit der Lust am Schmerz in letzter Zeit ein wenig übertrieben. Seine Fingerkuppen verloren die Feinfühligkeit und verhornten, wenn er zu ausgiebig mit dem Feuer spielte.
Arme Barberina. Aber es war ohnehin die Frage, ob sie noch Lust auf ein Bad mit ihm hatte. Sie stand kurz vor der Niederkunft, zum zweiten Mal von Nanni schwanger, der weiß Gott kein liebender Ehemann war oder wenigstens ein guter Vater. Aber er bestand wieder auf seinen Rechten, seit Barberina den kleinen Nanni nicht mehr stillte, der im Spätherbst 1774 auf die Welt gekommen war und seinem Erzeuger wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich sah. Aber der Junge war seit dem Winter im Seminar zu Dresden bei den Jesuiten. Der große Nanni hatte mit dem Kleinen Pläne, sein Sohn sollte mindestens Priester werden, wenn nicht Kardinal.
Leider erschöpfte sich die Liebe zu seinen Kindern darin. Bei Barberinas zweiten, dem Ungeborenen, glaubte Nanni nicht, dass er wieder der Vater war. Dabei hätte sie dafür die Hand ins Feuer legen können. Sie war eine weiße Hexe, sie wusste, von wem sie empfangen hatte und wann. Sie hätte Nanni die Stunde und die Minute angeben können. Abgesehen davon, hatte Jan noch nie einer Frau ein Kind gemacht. Er nahm an, er konnte es nicht, weil er als Sohn eines Drachen nur zur Hälfte menschlich war.
So oder so würde er aber dafür sorgen, dass Barberina die nächste Zeit von Nanni nicht mehr belästigt wurde. Mindestens, bis sie das Wochenbett verlassen hatte. Er wollte nicht, dass ihr Ehemann sie weiter plagte, denn sie trug schon schwer genug an dem Kind. Seine weiße Hexe. Wie gut, dass er sie hatte. Wenigstens sie.
Er starrte auf den bullernden Kachelofen. La Fiametta hatte ihm das Schicksal genommen, oder vielmehr, sie hatte sich ihm selbst genommen. Er verstand auch nach mehr als sieben Jahren immer noch nicht, warum die Dame Phönix den Tod in den Flammen gesucht hatte. Natürlich hatte sie ihm gesagt, dass sie jung und schön wiedergeboren werden wollte. Doch wie sollte das gehen? Und was hatte es mit den „Türmen des Schweigens“ auf sich, auf die Pater Giuliano ihn, oder vielmehr Prinz Anton, auf dem Totenbett hingewiesen hatte. Worin bestand der Zusammenhang? Er las sich seitdem durch alle alten Schriften, die er finden konnte, bisher ohne einen Hinweis, weder auf die wahre Natur eines Phönix noch darauf, ob La Fiametta wirklich ein Wesen der Anderswelt war. Selbst wenn, war seine Suche vielleicht sinnlos. Wer sagte ihm denn, dass sie überhaupt daran interessiert war, sich mit ihm zu verbinden? Was sie zuletzt zu ihm gesagt hatte, hatte eher auf das Gegenteil hingewiesen.
Eitle Träume! Er wandte sich vom Ofen ab.
Dieses ganze Jahr meinte es nicht gut mit ihm. Es gab kaum eine Nacht, in der es nicht regnete. Dennoch ertappte er sich immer noch dabei, wie er ab Mitternacht nach Nachtigallen lauschte, ob er nicht ihre Stimme im Gesang der Vögel hörte. Dabei war die Hoffnung vergebens, und vom Verstand her wusste er es ohnehin besser. Er würde sie wahrscheinlich erst am Jüngsten Tag wiedersehen.
Bis dahin konnte er nur mit dem Feuer spielen. Oder – wenn es ihm gelang, Nanni auf ein, zwei Tage loszuwerden – mit Barberinas weichem Körper. Er freute sich auf das Bad, auch wenn unvermeidlich das ganze Gesinde vermutete, dass er wieder nicht nur die Wanne bestieg, sondern auch Barberina.
Auch nach all diesen Jahren tat er es niemals ohne Hemd. Er liebte sie erst, wenn er sich abgetrocknet und ein frisches angezogen hatte. Meist gleich in der Dunkelheit der Waschküche, wo er ihren nach Lavendel duftenden Leib streichelte, an ihren Brüsten saugte und sie leckte, bis sie sich vor Verlangen unter ihm wand und die Beine für ihn breit machte. Das kam jetzt leider nicht mehr in Frage. Er konnte sie höchstens noch vorsichtig von hinten nehmen und seinen harten, pochenden Schwanz in ihre nasse, blutwarme Spalte treiben. Beiläufig rieb er sich selbst.
Aber er würde sie gleich selbst sehen, in Person, und auch wenn das Kind es unmöglich machte, sie zu besteigen, durfte er sich darauf verlassen, dass sie es ihm wenigstens mit der Hand besorgte. Das auf alle Fälle! Sie wusste genau, was er und wie er es mochte. Umgekehrt behielt sie aber leider auch seine Pflichten als Herr der Grafschaft Burgk und Freital im Auge. Er wusste, warum das Haushaltsbuch aufgeschlagen auf dem Tisch der Werkstatt lag: Es war ihre Art, ihn zu erinnern, dass er die Monatsabrechnung prüfen und gegenzeichnen musste. Er nahm sie mit einem Seufzen zur Hand.
Die Kosten für Holz und Kohlen stiegen immer noch, wenn auch nicht so wie die Brotpreise. Noch hungerte in Jans Herrschaft niemand, er beschäftigte aus gutem Grund mehr Männer in seinen Kohle- und Kupferminen rund um Freital, als er eigentlich brauchte. Und er hatte auch dieses Jahr wieder die Absicht, seinen Pächtern einen Teil der Zinsen zu erlassen. Eine Milde, die bei vielen seiner Standesgenossen am Sächsischen Hof Erstaunen, wenn nicht gar völliges Unverständnis hervorrief.
Diese Höflinge pressten lieber alles aus ihrem Land, trieben ihre Pächter ins Elend und machten noch selbst Schulden, als ihre Ausgaben den schwindenden Einnahmen anzupassen. Manche hofften sogar auf Beute in einem Krieg, den die Herren natürlich zu gewinnen gedachten.
Jan besaß diesbezüglich andere Erfahrungen. Schlachten wurden ebenso oft verloren wie gewonnen, und selbst die Siege waren begleitet vom Stöhnen der Verwundeten und Sterbenden, von Schmutz und Gestank. Durch Frieden, Handel und Gewerbe kam man bedeutend zuverlässiger an Geld.
Er betrieb in Freital eine Manufaktur. Uhrmacher stellten dort Spieluhren und andere Automaten her, wie zum Beispiel eine nickende Ente, die auf Rädern über den Tisch fuhr, wenn man sie aufzog. Die erste, aus purem Gold, hatte Jan natürlich durch Bodenschatz Prinz Anton überreichen lassen.
Sie sahen sich jetzt nur noch selten. Der Prinz lebte am Hof seines Bruders, des Kurfürsten, ziemlich zurückgezogen. Anton von Sachsen musste mit Rücksicht auf seine Heirat, die im Herbst endlich stattfinden sollte, jede Aufmerksamkeit für seine Freundschaft mit dem Sohn eines Drachen vermeiden. Das entsprach vielleicht nicht seinem oder Jans Wunsch, doch es zogen jetzt auch in Sachsen überall Bußprediger durchs Land. Er nahm das Flugblatt auf, das Barberina vor einigen Tagen auf der Freitreppe seines Schlosses gefunden hatte.
Wie der Gläubige den Verführer, in Sonderheit den Teufel, oder Hexerei und die Ränke der Drachen erkennen und deren Arglist und Bosheit abwehren kann.
Die Ratschläge eines ungenannten Priesters umfassten, wie zu erwarten, fleißiges Beten und ein gottgefälliges Leben.
Aber auch, dass jeder getaufte Christ seinem Beichtvater bei der Gelegenheit unverzüglich alles anzeigen solle, wenn irgendwo böser Zauber, ein Drache oder eine Hexe am Werk sei.
Nun, die, die er kannte und schätzte, Barberina, ging jeden Morgen zur Messe. Er führte dank ihrer Wirtschaft ein behagliches Leben, aber kein müßiges. Sein Amt als Graf verlangte, dass er mit seinen Pächtern Aussaat und Ernte besprach, mit Förstern und Holzknechten in den Wald ging und den Zwergen-Steigern in seinen Kohlengruben rings um Freital Balken zum Stützen neu abgeteufter Kohlen- oder Erzgänge beschaffte. Alles Dinge, die ihm während der ersten fünfzig Jahre seines Lebens, die er als Kammerherr im Dienst des Kurhauses Sachsen unterwegs gewesen war, Verwalter abgenommen hatten. Er war zwischen 1730 und 1770 nie länger als einige Tage auf Schloss Burgk gewesen.
Mit der Folge, dass sich heute keiner seiner Untertanen über sein jugendliches Aussehen wunderte. Alle fielen auf die Rochade herein, die er mit Bodenschatz’ Hilfe vorgenommen hatte. Er siegelte seit seiner Rückkunft nach Sachsen alle Urkunden als Jan Stolnik de Burgk der Zweite, im Ausland erzogener Sohn seines auf der Rückreise von Venedig verstorbenen Vaters. Für die Anfertigung der nötigen Dokumente hatte sich Prinz Antons Kammerdiener als erstaunlich findig und geschickt erwiesen. Im Gegenzug behielt Jan für sich, wo Bodenschatz diese Fertigkeit erworben hatte: Er war im Siebenjährigen Krieg nicht nur kurfürstlich sächsischer Feldscher gewesen, er hatte gleichzeitig dem König von Preußen als Spion gedient.
Draußen im Schlosshof ertönte Hufgetrappel. Jan horchte auf. Er wusste, dass Barberina niemanden zu einer Besorgung ausgeschickt hatte. Außerdem kehrte der Wagen mit den zwei vorgespannten Pferden von einer langen Fahrt zurück, die offenbar nicht allzu glatt verlaufen war. Das Deichselpferd stolperte vor Erschöpfung. Nanni.
Er ging voll böser Vorahnung zur Tür.
Barberina geht auch, die Ankömmlinge zu empfangen, die im Hof vor der Freitreppe aus der Kutsche steigen. Sie weiß genau, dass das nicht gut ausgehen wird. Sie kann ein wenig die Zukunft vorhersehen, und sie erkennt in diesem Augenblick ihr Schicksal. Die Gewissheit raubt ihr den Atem. Sie muss in der Eingangshalle stehen bleiben und sich festhalten. Aber sie kann nicht entrinnen.
Er wollte es nicht wahrhaben. Jan rannte die Kellertreppe hinauf und nahm mehrere Stufen auf einmal.
Nanni, noch misstrauischer als üblich, hat trotz der Einwände des Kammerdieners darauf bestanden, sofort wieder nach Schloss Burgk zurückzufahren.Beide Männer sind von der Fahrt in der offenen Kutsche völlig durchnässt, und sie haben unterwegs erbittert gestritten. Bodenschatz hat eine Höllenfahrt mit einem unverantwortlichen Kutscher hinter sich. Nanni ist wieder einmal sturzbetrunken.
Jan kürzte durch den Dienstbotengang hinter Speisezimmer und kleinem Salon zur Eingangshalle ab.
Draußen im Hof führt der Stallmeister die Pferde zum Abschwitzen weg, zwei Knechte bringen die Kutsche in die Remise. Alle drei sehen voll Schadenfreude, wie Nanni beim Anblick des rauchenden Schlots über dem Badehaus zornig wird. Aber man fährt nicht zwei gute Pferde fast zuschanden, nur weil der Herr seine Haushälterin liebt.
Jan lief schneller. Draußen brüllte Nanni los.
Du verfluchte Hure! Verdammte Hexe!
Er warf sich durch das Portal ins Freie, im gleichen Augenblick, da Nannis Faust Barberinas Jochbein traf. Es war leider nicht das erste Mal. Nanni hatte sie schon als Mädchen an den Zöpfen gezerrt und die Jungfrau geschlagen, wenn er geglaubt hatte, dass sie einen anderen anlächelte.
„Du treulose Metze!”
Jan nahm die ersten Stufen, war aber noch zu hoch auf der Treppe, um dazwischenzufahren. Nanni schlug und trat Barberina. Sie versuchte sich von ihm wegzudrehen und schützte mit beiden Armen den vorgewölbten Leib.
„Nicht, Nanni, das Kind!”
Es war der falsche Satz zur falschen Zeit. Der zornige Erzeuger des Ungeborenen prügelte nun erst recht auf seine Ehefrau ein.
„Sünderin! Ehrlose!”
Nanni hatte nur noch Rache im Sinn. Er riss Barberina von den Füßen, warf sie zu Boden und trat ihr mit voller Wucht in den Bauch. Bodenschatz stand erstarrt daneben. Der Kammerdiener rührte keinen Finger.
„Verfluchte Hexe! Stirb mit dem Drachenbalg!” Nannis Stimme überschlug sich.
Jan sprang. Es war nicht wahr, er hätte es gewusst, wenn sie sein Kind getragen hätte. Der Sprung in die Tiefe stauchte ihm die Beine, aber er schoss sofort wieder hoch und packte Nanni im Genick.
Nanni ist in Dresden bei den Dominikanern gewesen. Die Metze verdient ihre Strafe, und den Teufel, der sie beschlafen hat, holt morgen die Inquisition.
Barberina krümmte sich vor Schmerzen. Jan fauchte vor Wut. Er schüttelte Nanni und brach ihm mit kalter Absicht das Genick. Ein stinkender Harnfleck breitete sich auf dessen Hosen aus. Er schleuderte den Toten von sich und beugte sich über seine Geliebte, die wimmernd in einer Blutlache lag. Bodenschatz trat hinter ihn.
„Ich werde bezeugen, dass es ein Unfall war.”
„Mir wäre mehr geholfen, Er hielte mir die Tür auf.”
Jan trug seine gute, sterbende Hexe ins Haus.
Barberina gebar drei Stunden später ein totes Mädchen, doch danach erlosch langsam auch ihr Leben. Sie verblutete, ohne dass die Hebamme etwas dagegen tun konnte. Der eilig herbeigerufene Arzt schüttelte ebenfalls den Kopf.
„Es ist zu spät, Euer Gnaden. Holt einen Priester.”
Jan streichelte Barberinas kalte Hände. Er versprach ihr, dass er sich um den kleinen Nanni kümmern würde, und harrte bis zu ihrem letzten Atemzug bei ihr aus. Der Tod glättete ihr von Schlägen und Schmerzen gezeichnetes Gesicht, aber ihre Augen blieben tief in den Höhlen liegen und die Nase unnatürlich spitz. Jan band ihr das Kinn hoch und küsste sie ein letztes Mal auf den bleichen Mund. Danach gab er der Toten ihr Kindchen in die Arme und schloss Mutter und Tochter die Augen.
„Legt Nanni, Barberina und die Kleine in ein gemeinsames Grab. Der Priester soll dem Kind die Nottaufe spenden. Nennt es nach ihr, Barberina.”
Die Hebamme widersprach, weil das kleine Mädchen doch nie gelebt hätte, aber Jan hörte ihr nicht mehr zu. Er verließ die Kammer, in der es nach Blut und Eingeweiden roch, und ging hinaus auf den Gang, wo Bodenschatz stand. Prinz Antons Kammerdiener räusperte sich.
„Wenn Ihr einen Rat gestattet, Euer Gnaden, ich hielte es für das Beste, Ihr verlasst Sachsen für eine Weile.”
Jan betrachtete Bodenschatz und den Mantelsack, der fertig gepackt an der Wand neben ihm lehnte, bis der Kammerdiener die Augen niederschlug. Die Uhr im Gang tickte.
„Hat Er auch alles bedacht?”
„Ein Hemd zum Wechseln, zwei Paar Strümpfe, Euer Gnaden Uhrmacherwerkzeuge und ein prall mit Dukaten gefüllter Beutel.”
„Wie aufmerksam von Ihm! Doch so schnell schießen die Preußen nicht.” Jan ergriff den Mantelsack. „Gehe Er zuerst nach Dresden, sage meinem Prinzen von mir Lebewohl und hole Er den kleinen Nanni aus dem Seminar. Er verbürgt sich mir dafür, dass Er den Jungen sicher nach Venedig zu seinen Verwandten bringt!”
„Ich werde nicht fehlen, Euer Gnaden.” Bodenschatz verneigte sich nun doch.
Jan war sich sicher, dass es Prinz Antons Kammerdiener in diesem Punkt ehrlich meinte, allerdings nur in diesem. Spätestens in ein paar Tagen würde Bodenschatz zu seinem Beichtvater eilen, einem Dominikaner, und sein Gewissen erleichtern. Der Kammerdiener wusste seit Venedig über Jans Drachennatur Bescheid. Aber die Hunde Gottes würden zu spät kommen, und vor allem konnten sie Bodenschatz nicht vor sich selbst retten. Jan griff in seine Hosentasche, zog einen kleinen Schlüssel heraus und ließ ihn in Bodenschatz’ Hand fallen.
„Hier, damit Er sich nicht die Mühe machen muss, meinen Schreibtisch aufzubrechen. Er wird sich zweifellos die nötigen Dokumente selbst ausstellen.”
Die Vollmacht als Verwalter der Herrschaft Burgk zunächst, und später, sobald die Gier die Überhand über Vorsicht und Vernunft gewonnen hatte, eine Urkunde, die Bodenschatz als Jans Erbe einsetzte. Er lächelte. Es spielte keine Rolle, denn er wusste, dass er nie mehr nach Sachsen zurückkehren würde.
34 Wegstunden von Schloss Burgk: Neustadt an der Orla, Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach; Dienstagabend, 30. Juni 1781; am Tag von Sankt Otto von Bamberg und Erentrud von Salzburg; kurz nach dem Vesperläuten
Der Rote Adler war nicht das bestgeführte Haus, der Hausflur hätte dringend einer Magd und eines Putzeimers bedurft. Aber in der schlichten Stube trugen Granitsäulen ein Kreuzrippengewölbe, und das gab dem Raum eine angenehme Höhe, selbst für einen so langen Menschen wie Jan. Er bückte sich unter der Tür durch und wartete im Kreuzfeuer der Blicke der Gäste, die an den blank gescheuerten Tischen saßen, auf den Wirt. Ein Tisch in der Ecke war noch frei, doch viel besser als die Aussicht, niemandem im Rücken zu haben, war der Geruch nach Sauerkraut und Speck.
„Grüß Gott. Der Herr wünscht?” Der Wirt dienerte.
„Hat Er noch Platz für einen hungrigen Mann?”
Jan merkte sofort, dass die Anrede ein Fehler war. Der Wirt rechnete ihn prompt unter die Bessergestellten und verdreifachte im Geiste den Preis.
Obwohl der Schlamm auf den Stiefeln und dem Umhang des Langen nicht dafür spricht, dass er überhaupt zahlen kann. Vielleicht stammen die gute Hosen und das feine Hemd von einem Edelmann, der seine abgelegte Kleidung einem Diener überlassen hat. Doch wer nimmt schon so ein langes, noch dazu buckliges Elend in seinen Dienst? Womöglich hat er das Hemd vom Lumpensammler.
„Darf ich den Ecktisch vorschlagen, der Herr?” Der Wirt dienerte und überlegte fieberhaft.
Schockschwere Not, wenn der Bucklige gar ein Brigant ist? Es treibt sich in diesen Zeiten genug Gesindel auf der Landstraße herum. Herr Jesus! Im Schankraum steht die Kasse, und wenn der Lange das nun ausbaldowert und uns heute Nacht ausraubt?
„Hat Er noch ein Zimmer frei?”
„Nein, der Herr, ich bedaure. Leider sind alle belegt.”
Das war nicht einmal gelogen. Neustadt lag an der Handelsstraße nach Nürnberg, Jan hatte in den Mietställen am Stadtrand zahlreiche Fuhrwerke und Planwagen von Händlern gesehen. Er konnte natürlich den Grafen herauskehren, doch er reiste zu Fuß und trug noch dazu selbst sein Gepäck. Das untergrub seinen Kredit. Er zählte im Geist die Dukaten in seinem Beutel, davon abgesehen, kam Vornehmheit einfach zu teuer. Er war sich der Tatsache sehr bewusst, dass das Geld, das er bei sich trug, ohne den Rückhalt seiner Besitztümer nicht mehr wie von selbst Junge bekam.
Sobald er die Herzogtümer Sachsens hinter sich gebracht hatte, wollte und musste er sich einen Lebensunterhalt suchen. Zum Beispiel in Nürnberg: Die Freie Reichsstadt verkaufte Tand in alle Lande, und nicht nur Spielzeug für Kinder. Nürnberg war für seine Uhrmacher und Linsenschleifer weithin bekannt. Er glaubte, dass er von der Kunst des Spieluhrenbauens leben konnte, doch dazu brauchte er in der Freien Reichsstadt Aufenthaltsrecht.
Und eine eigene Wohnung. Nicht, weil Alleinsein das Geburtsrecht seines Standes war, sondern weil er wenigstens ein Zimmer benötigte, in dem er unbeobachtet blieb. Erstens konnte er nicht schlafen, nie. Auf Schloss Burgk hatte er sich dann in seine Werkstatt zurückgezogen oder in die Bibliothek, und wenn er es gar nicht mehr ausgehalten hatte, war er einfach die ganze Nacht über Land gewandert. Als Graf war er niemandem Rechenschaft schuldig gewesen, für den Bürger einer Stadt galt das nicht mehr. Er würde nur die Nachtwächter misstrauisch machen, vor allem bei schlechtem Wetter, wenn sich jedermann in die Häuser verkroch.