DRACHE UND PHÖNIX - Band 4: Goldene Asche - Angelika Monkberg - E-Book
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DRACHE UND PHÖNIX - Band 4: Goldene Asche E-Book

Angelika Monkberg

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Beschreibung

„War es nicht immer Euer Wunsch, dass die Urne, die die Kaiserin von Napoleon geschenkt bekam, an eine würdige Person weitergegeben wird?“ – Jan sagte nichts, denn der Schlag kam zu plötzlich. Er hörte der Duchesse einfach weiter zu. – „Ihre Majestät hat eine Nachfolgerin gefunden, die die goldene Asche hüten wird. Wollt Ihr wissen, wo sie sich befindet?“ Frankreich, Ende des 19. Jahrhunderts. Jan Stolnik, der Drache in Menschengestalt, führt das Leben eines Adligen – doch wann immer er die Gelegenheit dazu findet, mischt er sich unerkannt unter die einfachen Arbeiter. Die Hitze der Schmelzöfen lässt ihn für kurze Zeit die unstillbare Sehnsucht nach seiner großen Liebe vergessen, der Phönixdame La Fiametta, deren goldene Asche er immer noch nicht in seinen Besitz bringen konnte. Doch auch andere suchen nach der magischen Urne. Jan macht die Bekanntschaft eines Geheimordens, der Sonnenkreuzler, die von einer mysteriösen verschleierten Dame gelenkt werden. Handelt es sich bei ihr um eine britische Lady, Nachfahrin eines alten Feengeschlechts – oder etwas ganz anderes? Der vierte Band der historischen Fantasysaga, die Jahrhunderte überspannt und von der unsterblichen Liebe des Drachensohnes Jan Stolnik erzählt: spannend, abenteuerlich, faszinierend. Jetzt im eBook: „DRACHE UND PHÖNIX – Vierter Roman: Goldene Asche“ von Angelika Monkberg. JETZT BILLIGER KAUFEN – überall, wo es gute eBooks gibt!

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Über dieses Buch:

Frankreich, Ende des 19. Jahrhunderts. Jan Stolnik, der Drache in Menschengestalt, führt das Leben eines Adligen – doch wann immer er die Gelegenheit dazu findet, mischt er sich unerkannt unter die einfachen Arbeiter. Die Hitze der Schmelzöfen lässt ihn für kurze Zeit die unstillbare Sehnsucht nach seiner großen Liebe vergessen, der Phönixdame La Fiametta, deren goldene Asche er immer noch nicht in seinen Besitz bringen konnte. Doch auch andere suchen nach der magischen Urne. Jan macht die Bekanntschaft eines Geheimordens, der Sonnenkreuzler, die von einer mysteriösen verschleierten Dame gelenkt werden. Handelt es sich bei ihr um eine britische Lady, Nachfahrin eines alten Feengeschlechts – oder etwas ganz anderes?

Der vierte Band der historischen Fantasysaga, die Jahrhunderte überspannt und von der unsterblichen Liebe des Drachensohnes Jan Stolnik erzählt: spannend, abenteuerlich, faszinierend.

Über die Autorin:

Angelika Monkberg, geboren 1955, lebt in Franken. Sie arbeitet im öffentlichen Dienst. Daneben schreibt sie Kurzgeschichten und Romane – wenn sie nicht zeichnet oder malt. In beiden Bereichen gilt ihr Interesse vor allem dem Phantastischen.

Angelika Monkberg im Internet: www.facebook.com/1AngelikaMonkberg

Die historische Fantasy-Saga DRACHE UND PHÖNIX umfasst folgende Bände:

Erster Roman: Goldene Federn

Zweiter Roman: Goldene Kuppeln

Dritter Roman: Goldene Spuren

Vierter Roman: Goldene Asche

Fünfter Roman: Goldene Jagd

Sechster Roman: Goldene Lichter

Siebter Roman: Goldene Ewigkeit

***

Originalausgabe April 2014

Copyright © 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Ralf Reiter

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von © Igor Sokolov / shutterstock.com

ISBN 978-3-95520-427-3

***

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Angelika Monkberg

DRACHE UND PHÖNIX:

Goldene Asche

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

Paris, Rue de Faubourg Saint-Antoine; Montag, der 5. Juli 1847, Tag von Saint Antoine und Sainte Philomene; lauer Sommerabend, inmitten einer Menschenmenge.

Er hatte lange darüber nachgedacht, ob er der Einladung folgen sollte, die auf dem Schreibtisch seiner Stadtwohnung lag. Sie war eigenhändig vom Sekretär Seiner Königlichen Hoheit, Antoine d’Orléans, Duc de Montpensier, an ihn adressiert:

Monsieur le Comte Jean-Pascal de Burgk

72 Avenue des Veuves, 8e Arrondissement, Paris

Aber er stand jetzt doch lieber mit seinen Fabrikkameraden am Straßenrand und sah den Kutschen, Landauern und Kaleschen der Vornehmen zu, die eine nach der anderen die Straße hinunterrollten. Heute war jeder, der Rang und Namen hatte, nach Vincennes unterwegs, zum Sommerfest des fünften Sohnes Seiner Majestät, Louis-Philippe, König der Franzosen.

„Meinst du, du wärst auch gerne dort?“, fragte Vic und verlagerte das Gewicht auf den gesunden Fuß.

Ich kann es mir immer noch überlegen. Er zuckte mit den Schultern. Das Doppelleben, das er führte, wäre ohne den Lahmen und einige wenige andere Vertraute nicht durchzuhalten gewesen. Aber er war glücklich damit. Er stand jeden Tag noch vor Morgengrauen von seinem Schreibtisch auf und ging in sein Ankleidezimmer, wo er den Hausmantel und die Pantalons gegen Hosen aus grobem Drillich und einen Arbeiterrock wechselte. Holzschuhe vervollständigten die Verkleidung, die eigentlich keine war. Von Montag bis Samstag war er tagsüber Jan Stolnik, einfacher Stahlarbeiter, und schuftete mit Vic und seiner Brigade vierzehn Stunden in der Fabrik Monsieur Gouins in Les Batignolles, einem der vielen Dörfer im Norden von Paris, in denen heute kein einziges grünes Blatt mehr wuchs. Im Banlieu jenseits der Festungsmauern stießen überall hohe Schornsteine Ruß und Asche in die Luft, stampften Maschinen. Der Boden vibrierte von ihrem Lärm.

Die Nächte vergingen stiller. Aus der Brigade wusste nur Vic, wohin er nach der Arbeit zurückkehrte und dass er in der Allée des Veuves in einer großzügig geschnittenen Junggesellenwohnung lebte. Dort verwaltete er zwischen Mitternacht und Morgen sein Vermögen, die Immobilien und Beteiligungen an verschiedenen Eisenbahngesellschaften, die jedes Jahr mehr Dividenden auszahlten. Oder er las. Seit Champollion die Hieroglyphen Ägyptens entziffert hatte, verging kein halbes Jahr, ohne dass neue Texte gefunden und übersetzt wurden. Leider hatte er bisher in keinem einzigen einen Hinweis auf die Dame Phönix entdeckt. Dafür jede Menge Warnungen vor Dämonen.

Wenn er sich davon ablenken wollte, ging er in den Boulevards der Stadt auf die Jagd. Es gab viele junge Frauen, die Lust auf ein Abenteuer hatten. Er nahm sie aber grundsätzlich in einem Hotelzimmer. Das fehlte noch, dass ihm eine liebestolle Hexe in der Allée des Veuves auf den Leib rückte. Dort flatterten schon genug Schmetterlinge herum, von den grünen Witwen auf der Suche nach einem Galan hatte sie ja ihren Namen. Tagsüber. Nachts war die Allee sehr still. Er lebte in seiner Wohnung sehr für sich. Den Nachbarn galt er als Sonderling, la Croix und Lisette, die ihm den Haushalt führten, verbreiteten auf Fragen immer, dass er 1832 seine ganze Familie durch die Cholera verloren habe und vom englischen Kompagnon seines Vaters aufgenommen worden sei. Jener Gentleman sei vor etwas über einem Jahr gestorben und habe seinem einstigen Mündel Jean-Pascal de Burgk sein ganzes Vermögen hinterlassen.

Er trauerte wirklich um Richard, obwohl den Krankheit, Alter und zu viel Whisky zuletzt zänkisch und rechthaberisch gemacht hatten. Aber er hatte sich trotzdem fünfzehn lange Jahre nur nach ihm gerichtet, aus Freundschaft und weil er es ihm schuldig gewesen war. Der Tod auch noch seines Sohnes Pascal hatte Richard erschüttert, aber er war nach einigen Stunden Bedenkzeit doch damit einverstanden gewesen, dass Jan in der Präfektur nicht Pascal als Choleraopfer meldete, sondern seinen eigenen Namen angab. Nichts einfacher als dieser Betrug im Seuchenjahr, in dem die Amtsschreiber mit den Eintragungen der Sterbefälle kaum nachkamen. Allein Paris verlor durch die Cholera zwanzigtausend Einwohner.

Er hatte die Chance genutzt und war vor fünfzehn Jahren aus der Öffentlichkeit abgetaucht. Wobei der grimmige Witz darin bestand, dass er für jedermann sichtbar geblieben war. Von der Bildfläche verschwunden – das heißt, angeblich als Invalide mit seinem alten Hauslehrer aufs Land gezogen – war der junge Herr Graf, Jean-Pascal. Jan hatte Houbert sehr gut für ein Leben in der Provinz bezahlt, während er selbst in die Rolle von Richards Butler geschlüpft war und sich als solcher bei Besuchen einfach im Hintergrund gehalten hatte.

Jan war der selbst gewählten Rolle nur einmal untreu geworden, 1836, in dem Jahr, in dem der Tod auch seinen ältesten und besten Freund ereilt hatte, Anton, früher Kurprinz, zuletzt König von Sachsen. Sie hatten sich seit Neapel nicht wiedergesehen, und vermutlich hätte die Familie ihn, den Bastard, auch nicht an Antons Sterbebett gelassen, wäre er noch rechtzeitig eingetroffen. Sein letzter echter Verwandter lag nun in der Großen Gruft der Hofkirche zu Dresden bestattet, die er ohne die Erlaubnis des neuen Königs auch nicht hätte betreten dürfen; und die zu erbitten, dazu fehlte ihm die Begründung. Er war ziemlich niedergeschlagen von Sachsen nach Parma gereist, wo er endlich mit Ihrer Majestät Marie Louise, Principessa di Parma, Piacenza e Guastalda, gesprochen hatte. Sie war entzückt gewesen, ihren Cousin kennenzulernen, aber er hatte bei ihr nichts erreicht. Der Herzog von Reichstadt war inzwischen an der Schwindsucht gestorben, Franz Napoleon ruhte nun in der Kapuzinergruft in Wien, wo auch La Fiamettas Urne stand und auf Marie Louise wartete. Er hatte der Ex-Kaiserin gerade das Versprechen abringen können, dass sie die goldene Asche nicht mit ins Grab nehmen, sondern an eine geeignete Person weiterreichen würde.

Doch er fragte sich inzwischen, was das Wort einer Fürstin noch wert war. Die alte Welt zerfiel. Früher hätten die drei Reihen Zuschauer den Zug der Geladenen zum Schloss des Duc de Montpensier bejubelt. Heute standen selbst die Bürger stumm an seinem Rand, und die Arbeiter und Tagelöhner murrten offen.

Der lahme Vic stupste ihn am Ellenbogen. „He, wenn du nur düsteren Gedanken nachhängst, können wir ebenso gut nach Hause gehen!“ Und nach einer Pause: „Du hast ja recht! Diese Zurschaustellung von Reichtum ist ekelhaft.“

Die anderen nickten; der kleine und der große Jean, die beiden Jacques und La Ferme, den sie so nannten, weil er ihnen ständig vorrechnete, wie viel billiger er und seine Frau durch das Gemüse und die Kartoffeln kämen, die sie im Hinterhof anbauten und mit dem Mist der eigenen Hühner düngten, statt auf dem Markt einzukaufen.

„Genau! Gehen wir etwas trinken!“ Auch Matthieu machte ausnahmsweise den Mund auf.

„Na, du hast doch sowieso immer Durst.“

Die Zuschauer standen aber den ganzen Weg bis zu den Tuilerien und wahrscheinlich auch noch an den Quais dicht gedrängt, es war vorläufig kein Herauswinden, und Bierverkäufer oder wenigstens Wasserträger gab es leider auch nicht.

„Du wirst dich gedulden müssen, Matthieu!“

Die nächste Kalesche rollte vorbei, Räder und Wagenkasten waren vergoldet, und die Tiara der Dame, die in Pelze gehüllt im Fond saß, funkelte vor Diamanten. Sie blickte starr vor sich hin, während die Zuschauer zu beiden Seiten der Straße pfiffen und zischten. Eine Frau in einem geflickten, sehr verwaschenen Kleid spuckte vor der Kalesche aus.

„Meine schönen Töchter haben kein Hemd unter dem Rock, aber die Madame Hochwohlgeboren Fischgesicht wickelt ihren Arsch in Seide!“

„Es ist nicht gut, Jan“, sagte der lahme Vic. „Für solche Prachtentfaltung hätten wir uns die Revolution 1789 sparen können. Napoleon hätte das nicht geduldet!“

Wenn du wüsstest. Er erinnerte sich gut an die reich mit Gold bestickten Uniformen etwa eines Feldmarschalls Joachim Murat, Fürsten von Pontecorvo, für dessen federgeschmückten Dreispitz mancher Vogel Strauß gerupft worden war.

„Die Bourbonen kriegen noch die Quittung, aber dir brauche ich das nicht zu sagen!“

Vic hielt ihn für einen Wohltäter, weil er seinen Lohn jede Woche für den Witwen- und Waisenfonds Monsieur Gouins spendete, er tat es aber mehr aus Pflichtgefühl als aus einem Herzensbedürfnis heraus. Außerdem brauchte er das Geld wirklich nicht. Allein für sich lebte er sparsam. Sein einziger Luxus bestand in dem einen oder anderen Souper, dem regelmäßig die Ausgabe für ein von wenigen Kerzen erleuchtetes Hotelzimmer folgte, damit sich die Dame seiner Wahl nicht vor seinem Buckel erschreckte, wenn er sie liebte.

„Komm, ernsthaft, gehen wir! Jan, du voraus!“

Sie drängten sich durch die Menge, er als Stoßkeil. Er war nicht nur der Längste und besaß die härtesten Muskeln, die meisten Menschen ertrugen auch seine Nähe nicht. Jan wiederum mochte nicht einmal Vic direkt hinter sich wissen, konnte aber erst einmal nichts dagegen tun. Er fühlte sich sofort wohler, als sie die nächste Straßenkreuzung erreichten. Gleich nach dem Eckhaus gab es ein kleines Café, eigentlich nicht mehr als vier Tische und ein dicker Wirt, doch Matthieu bekam sein Bier, und die beiden Jacques bestellten Rotwein. La Ferme sagte, er müsse nach Hause.

„Ja, geh nur! Jeder Centime weniger, den du säufst, bringt dich dem Reichtum einen Schritt näher. Aber denk daran: In der Kiste sechs Fuß unterm Rasen nützt dir das ganze Geld später nichts.“

Matthieu prostete La Ferme säuerlich zu, Vic fing an, ihn zu verteidigen, und Jan nützte die Gelegenheit und verabschiedete sich ebenfalls. Er mochte die Männer, sie waren gute Kameraden, und jeder von ihnen hatte Gründe, ihn nicht zu verraten. Vic aus der Solidarität des Lahmen mit dem Buckligen und La Ferme, weil er mit einer Hexe verheiratet war, die ihn vor ihm gewarnt hatte. Matthieu sprach grundsätzlich nicht mit Fremden; das Geheimnis des großen Jean bestand darin, dass er den kleinen Jean liebte wie eine Frau, und die beiden Jacques lebten quasi im Untergrund. Sie hatten mit Louis-Auguste Blanqui beim Aufstand im Mai ’39 Straßenbarrikaden errichtet, aber im Gegensatz zu ihrem Anführer, der nun lebenslänglich auf Mont Saint-Michel eingekerkert saß, rechtzeitig die Beine in die Hand genommen. Diese Erfahrung hielt den älteren Jacques aber nicht davon ab, weiter Verbindungen zu Geheimbünden zu pflegen, offenbar querbeet: Jacques Vieux war Mitglied bei den Sozialisten, den Jansenisten und dem Orden vom Sonnenkreuz.

Vor fünfundzwanzig Jahren, als Jan von Houbert zum ersten Mal von diesem Geheimbund erfahren hatte, waren dessen Mitbrüder nur sehr lose miteinander verbunden gewesen, oder mindestens Houbert hatte nur wenige gekannt. Heute schien der Orden besser organisiert zu sein, denn es gab ein Zeichen, an dem sich Adepten erkennen konnten. Der ältere Jacques trug einen schlichten Fingerring, geschnitten aus Karneol. Ähnliche hatte Jan an den Händen von Sekretären und Buchhaltern, Inhabern kleiner Geschäfte, vereinzelt auch bei Besitzern von Manufakturen gesehen. Dass sie alle von einer Verbesserung der Verhältnisse träumten, von mehr Gerechtigkeit auf Erden, verstand er gut. Genauso ihre Frömmigkeit, wer, wenn nicht er, kannte die Macht der Kirche. Gebete hatten ihn einst fünf Jahre in Nürnberg festgebannt.

Doch kein einziger Adept des roten Zirkels besaß mehr Macht als über seine unmittelbaren Untergebenen oder gar politischen Einfluss, und weder der ältere Jacques noch seine Mitbrüder kannten Männer aus dem inneren, blauen Kreis oder gar einen der Großmeister ihres Ordens. Sie waren alle nur Befehlsempfänger, mittelmäßige Leute, schlimmer als der lauwarme Milchkaffee, nach dem es aus dem offenen Fenster des Concierge des Hauses Nummer 72, Allée des Veuves roch. Wenigstens war Monsieur Klebert aber kein Adept, nur von Beruf aufmerksam, wie es sich für jeden guten Concierge gehörte. Er sah Jan kommen, grüßte ihn und sperrte ihm eilig die Haustür auf.

„Guten Abend, Monsieur le Comte.“

Er dankte leicht irritiert, er war mit Nachdenken so beschäftigt gewesen, dass er in einem Zug von der Rue de Faubourg Saint-Antoine und quer durch die verwilderten Grünanlagen der Champs Élysées bis zur Allée des Veuves und seiner Wohnung durchgerannt war. Aber er war auch zu einem Entschluss gekommen.

„Bitte geben Sie in der Remise Bescheid, Klebert, ich fahre aus.“

Wenn das bürgerliche Lager keine Erkenntnisse lieferte, musste er eben in der Welt suchen, in die er vor fast hundertfünfundzwanzig Jahren hineingeboren worden war.

***

Eine Stunde später kutschierte er seinen Phaeton im scharfen Trab durch den Tour de Village der Schlossfestung von Vincennes, wo das Sommerfest des Duc de Montpensier, zu dem er eingeladen war, stattfand. Er zügelte sein Gespann im ersten Hof, warf einem Stallburschen die Zügel zu und zog sich einen Zipfel seines Tabarros über die Schulter, damit der ihm nicht zwischen die Füße geriet. Dann nahm er seinen Mut zusammen und sprang elegant vom Kutschbock ab. Das war nicht sehr tief, verglichen mit der Höhe des Donjon, die dunkle Masse ragte bestimmt fünfzig Meter über ihm auf. Jan ignorierte das flaue Gefühl im Magen und wartete, bis Stallburschen die Pferde ausgespannt hatten.

„Sie werden die Tiere bitte zum Abschwitzen im Kreis führen?“

„Gewiss, das versteht sich, Monsieur …“ Der Stallmeister schielte nach dem Phaeton, Jan hatte aber hinter dem schmalen Sitz kein Wappenbrett mit Grafenkrone anbringen lassen, und der Mann war unsicher, wie förmlich er ihn anzusprechen hatte. „Ein sehr sportliches Modell, äh, mit wem habe ich die Ehre, Monsieur …?“

„De Burgk.“

Der Phaeton war ein Rennwagen mit nur einer Achse und fast mannshohen Rädern, zwischen denen der Kutscher gefährlich frei thronte. Fast zu hoch für seinen Geschmack, aber er war vor kurzem zum ersten Mal in seinem Leben mit der Eisenbahn gefahren (die nicht zu benutzen ihn Richard zeit seines Lebens angefleht hatte: „Die aberwitzige Geschwindigkeit wird dich umbringen! Lass mich nicht auch noch allein!“) und hatte dabei festgestellt, dass er die Schnelligkeit und den Fahrtwind liebte.

„Nicht alles, was unsere Väter benutzten, muss man zum alten Eisen legen. Guten Abend, Stallmeister, und meinen Dank!“

Er gab dem Mann großzügig Trinkgeld und warf auch noch die zweite Mantelhälfte nach hinten, damit sich der Tabarro über seinen Schultern bauschte und halbwegs den Buckel verbarg. Danach schritt er mit der Einladung in der Hand in den Ehrenhof hinein, in dem sich die beiden Pavillons des Königs und der Königin gegenüberlagen. Zahlreiche Gäste standen in und um die von einem Wegekreuz durchschnittene Gartenfläche, das Schloss war alt, älter noch als der Louvre, und als Festung wahrscheinlich immer noch eine harte Nuss für einen Kanonier. Doch die Zeiten für Belagerungen waren vorbei. Dass die Bourbonen um Paris einen neuen Festungsgürtel hatten bauen lassen, entsprach nicht mehr den Erfordernissen. Zudem wäre es besser gewesen, der neue König hätte angefangen, über den Abbau der Zollschranken nachzudenken, denn sie behinderten mehr und mehr den Warenverkehr.

Ein Zeremonienmeister nahm Jans Einladung in Empfang, bereit, mit dem Stock auf die Steinplatten zu stoßen und ihn laut anzukündigen. Aber der Mann war vom vielen Rufen schon ganz heiser und die meisten Gäste ohnehin ins Gespräch vertieft.

„Lassen Sie, ich lege keinen Wert auf Aufmerksamkeit.“

Klavierklänge wehten durch die Abendluft. Liszt hatte Paris jedoch schon länger wieder verlassen, und nach Chopin hörte sich das Stück auch nicht an, weder von der Art der Melodieführung her noch vom Anschlag des Pianisten, der war für den Polen und dessen manchmal hauchzarte Innigkeit viel zu kräftig. Jan applaudierte trotzdem und lehnte freundlich das Angebot eines Lakaien ab, der seinen Mantel in die Garderobe tragen wollte.

„Danke, ich werde vermutlich nicht sehr lange bleiben.“

Nach fünfzehn Jahren kannte ihn sowieso niemand mehr. Er hielt es sogar für unwahrscheinlich, dass sich Baron Lafitte an ihn erinnerte, der garantiert irgendwo in der Menge stand. Nicht mit dem dunkel gefärbten Bart. Die Sitte, sich nicht zu rasieren, war allem Anschein nach mit dem Algerienfeldzug wieder in die Gesellschaft eingedrungen; der Gastgeber Antoine d’Orléans, Duc de Montpensier, trug einen Vollbart, und etliche seiner Satelliten mussten natürlich diese Mode nachmachen. Jan besaß wenigstens einen vernünftigen Grund. Ein Bart ließ ihn älter erscheinen und verbarg gleichzeitig sein Antlitz. Nur dumm, dass er leider vor ein paar Tagen wieder einmal der Versuchung nachgegeben und ihn sich abgebrannt hatte, so dass der Flaum auf seinen Wangen heute Abend sehr kurz war. Dafür gab es jetzt bessere Färbemittel, das natürliche Goldblond wirkte damit fast so dunkel wie sein Haupthaar.

Er umrundete den Gartenhof auf der linken Seite. Das war sie, die Umgebung, in der er aufgewachsen war, oder eine kaum gewandelte. Das ganze Schloss war für das Fest märchenhaft illuminiert. Überall in den Beeten steckten Fackeln, bunte Lampions hingen in allen Fenstern, und auf den Balustraden standen mit farbigem Wasser gefüllte Glaskugeln vor brennenden Kerzen, sie leuchteten wie magische Sphären.

„Später soll es bengalisches Licht geben und ein Feuerwerk“, sagte ein Gast zu einem anderen. Diener servierten Champagner und andere Getränke, Mandelmilch für die jüngsten Damen. Es waren einige Prinzessinnen-Enkeltöchter des Königs anwesend.

Er nahm ein Glas Champagner, trank einen Schluck und ging weiter, sich der Blicke sehr bewusst, die ihn streiften. Die Damen musterten ihn in der Regel wohlwollend bis begehrlich, auch einige Herren fühlten sich von ihm offensichtlich angezogen. Viele Freunde des Duc de Montpensier waren Militärs, die zur Uniform Degen trugen, nutzloses Spielzeug, aber Vorschrift zum Galaanzug, immer noch. Und nahezu alle Anwesenden, Damen wie Herren, schmückten Orden. Selbst als er noch den üblichen Satz eines Kursächsischen Kammerherrn besessen hatte, hatte er darauf lieber verzichtet. Damals waren aber bestickte Seidenröcke, bunte Westen und helle Kniehosen für die Herren in Mode gewesen. Er gab zu, dass der schwarze Frack, den er heute trug, fast übertrieben schlicht wirkte. Und mit dem Tabarro um die Schultern glich er erst recht einem seltsamen Vogel. Nun, und wenn schon!

„Monsieur?“ Ein kleiner Leutnant vertrat ihm den Weg.

Er war mit der Bewegung der Menge inzwischen bei den Kolonnaden angekommen, die Königs- und Königinnenpavillon verbanden. Dem Gedränge nach stand der Duc de Montpensier irgendwo vor ihm. Er besaß nicht den Ehrgeiz, sich Seiner Königlichen Hoheit vorstellen lassen zu wollen, gab aber trotzdem seine Einladung dem Leutnant, um dessen Argwohn zu zerstreuen. Der junge Mann trug einen Fingerring aus Lapislazuli, eine hübsche Arbeit, der Halbedelstein war mit einem komplizierten Flechtmuster graviert, das die winzigen Goldeinsprengsel in dem tiefen Blau hervorhob.

„Jean-Pascal, Comte de Burgk“, las der Leutnant. „Ihr seid Comte de Burgk? Der Sohn von Jan Stolnik de Burgk? Das ist doch nicht möglich!“

„Warum nicht?“ Er streckte die Hand nach der Einladung aus, um sie wieder an sich zu nehmen. Jan richtete seine hellen Augen auf sein Gegenüber und sah mit Genugtuung, wie der Leutnant erblasste.

Wir dachten, er sei an der Cholera gestorben. Das heißt, nein, berichtete Houbert nicht, er habe ihn nach … wie heißt der Ort? Irgendwo im Massiv Central, wenn ich mich recht … Kann es sein, dass uns Houbert in seinen Briefen getäuscht hat?

Sie waren beide alarmiert, aus unterschiedlichen Gründen. Doch wenigstens Jan besaß jetzt den Schlüssel zu einem Rätsel, das ihn seit fünfundzwanzig Jahren beschäftigte. Wie hatte er nur so blind sein können! Karneol für den Kreis der minderen Adepten des Ordens vom Sonnenkreuz, Lapislazuli für die, die mutmaßlich die Großmeister kannten. Er bewegte sich in seinen Nächten zu sehr am Rand der guten Gesellschaft, doch wie oft hatte er in jüngster Zeit, wenn er bei einem Opernbesuch oder einem Konzert nach einem Abenteuer suchte, bei verschiedenen Herren ähnliche Ringe gesehen. Wesentlich mehr Karneol- als Lapislazuliringe, doch der Orden vom Sonnenkreuz hatte den gesamten Hof Louis-Philippes, wenn nicht sogar den ganzen Adel Frankreichs unterwandert. Jan legte freundlich den Kopf schief und hielt den Blick des Leutnants mit seinem fest.

Er bemerkte ein Tasten von Magie. Der Leutnant war der Sohn einer Hexe und hatte von ihr gerade genug Talent geerbt, dass er im Geist nach seinen Brüdern rufen konnte. Die Adepten des blauen Zirkels waren alle Magier, wenigstens die, die heute Abend hier waren. Verschiedene Personen in der Menge hoben den Kopf. Jan merkte, ohne es wirklich zu sehen, dass ein Bischof auf ihn zuschritt. Ein Oberst bahnte sich von einer anderen Stelle aus einen Weg durch die Gäste, und zwei Zivilisten eilten auch noch herbei. Sie woben Magie, nahmen ihn ins Kreuzfeuer, versuchten, dem Leutnant mit ihren Kräften den Rücken zu stärken.

Es kümmerte ihn nicht, er schob ihre Macht mühelos beiseite, Hexenmagie wirkte nicht gegen Drachen. Aber allein schon der Versuch erboste ihn. Feuer grollte in ihm, erwachte tief in seinen Eingeweiden. Wie konnten sie es wagen! Und es war nicht das erste Mal. Er spürte unvermittelt ein Siegel auf sich, es war ihm in einem Moment der Schwäche aufgedrückt worden, vor vielen Jahren. Wut kochte in seinem Bauch und stieg ihm ins Herz. Der Schleier riss.

„Wagt es nicht, vor hundert Jahren zurückzukehren. Das Gedächtnis der Menschen ist lang.“ Pater Giuliano! Die Stimme eines Toten in seinem Kopf. Der Pater hat damals einen Teil seines Willens schlafen geschickt, ihm einen Teil seiner Macht genommen.

Die alte Wunde brach wieder auf, Venedig, 1774, und La Fiametta. Er erwachte wie aus einem langen Traum. Das Siegel hatte doch nicht so lange gehalten, wie Pater Giuliano gehofft haben mochte. Jan sah mit einem Mal auch die letzten Worte des alten Mönchs auf dem Totenbett in einem anderen Licht.

Sucht nach den Türmen des Schweigens.

Ein Ablenkungsmanöver – oder hatte Pater Giuliano seine Tat zuletzt bereut, das Siegel, das er ihm aufgedrückt hatte? Die Magie der Blauen piesackte ihn, stach in die Schilde seiner Abwehr. Schilde, von denen er erst jetzt wahrnahm, dass er sie besaß. Er konnte sie umlenken, in eine Waffe verwandeln, und der Drang, genau das zu tun, wuchs. Er fühlte eine schier mörderische Wut in sich, alles in ihm schrie nach Rache. Ja, er wollte sich rächen, und weil ihm Pater Giuliano entzogen war, büßten eben die blauen Adepten. Obwohl er genau wusste, wie unsinnig der Gedanke war.

Der Leutnant stand wie erstarrt vor ihm. Ein Glück für sie beide, dass sie niemand von der Festgesellschaft auch nur im Geringsten beachtete. Die Menschen im Schlosshof waren unschuldig mit ihren eigenen Vergnügungen beschäftigt. Sie ahnten nicht, dass vor ihren Augen ein Duell ausgefochten wurde, ahnten nicht, dass sie in Gefahr schwebten.

Das brachte ihn schlagartig zur Besinnung.

Der blaue Kreis des Ordens vom Sonnenkreuz betrachtete sich als Erben der Hunde Gottes, aber viel vom Wissen der Dominikaner war verlorengegangen. 1774 in Venedig hatten sie einen Minoritenpater vorgeschickt, Pater Giuliano, der ihm mit Geduld und Liebe sein Siegel aufgedrückt hatte, sanft und unmerklich. Das, was der Leutnant und seine Brüder des blauen Kreises nun versuchten, glich eher einem ungelenk geworfenen Schauer grober Steine. Ihre Magie störte ihn, aber sie verpuffte. Trotzdem konnte er sie nicht gewähren lassen.