Drachenhof Feuerfels - Band 1 - Marion Meister - E-Book

Drachenhof Feuerfels - Band 1 E-Book

Marion Meister

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Beschreibung

Abenteuerreihe für alle, die Drachen lieben Yu, die Tochter des Schmieds aus dem sagenumwobenen Grinfjördtal, kann es kaum erwarten, ihre Ferien mit ihren neuen Freundinnen Lilja und Rosabella zu verbringen. Doch auf Hof Feuerfels bricht eine schreckliche Drachenkrankheit aus. Aber nicht nur der Drachendoktor kommt schnell auf den Hof, auch ein geheimnisvoller Fremder fällt im wahrsten Sinn vom Himmel und bietet seine Hilfe an. Ist diesem fremden Mann wirklich zu trauen? Oder steckt der seltsame Helfer gar selbst hinter der Krankheit? Verfolgt er etwa ein ganz anderes Ziel ... Dies ist der 1. Band der 6-bändigen Drachenhof-Feuerfels-Reihe. Drachenhof Feuerfels ist eine magische Abenteuerreihe für alle, die Cornelia Funkes "Drachenreiter" oder "Drachenzähmen leichtgemacht" lieben. Presse „... liest sich wie eine Detektivgeschichte und ist spannend bis zur letzten Seite.“ GEOlino „Yu, Lilja, Rosabella - Abenteuer und Spannung pur.“ Lesen macht Spaß, Nr. 55 „Das Buch ist so spannend, dass ein langer Abend reicht, um es drachenmäßig zu verschlingen...“ Treff - Wissensmagazin für Schüler „Pfiffig und humorvoll geschriebene Drachenbücher, die zum Schmökern verführen.“ HFK 28

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Drachenhof Feuerfels

Band 1

 

Der

geheimnisvolle

Drachenjäger

 

 

Roman von

Marion und Derek Meister

 

 

– Digitale Originalausgabe –

als überarbeitete Ausgabe

- 2020 -

 

 

Dieser Band erschien unter dem Titel

„Der magische Drachenstein“

im Loewe Verlag

 

 

Copyright © 2020 by Derek Meister und Marion Meister

Umschlaggestaltung und Innenillustrationen von Marion Meister

 

v2.04012022

 

 

 

Impressum

StoryTown – Derek Meister & Marion Meister GbR

Ackerrain 79

30938 Burgwedel

 

 

Besuchen Sie StoryTown unter

www.Storytown.info

 

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Marion Meister – www.marionmeister.info

Derek Meister – www.derekmeister.com

 

 

 

 

Über die Autoren

Derek und Marion Meister haben sich während ihres Studiums an der Filmhochschule Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg kennengelernt. Schnell haben sie ihre gemeinsame Liebe für Geschichten entdeckt und schreiben seit 2004 immer wieder gemeinsam Kinderbücher.

Inzwischen sind die beiden verheiratet, haben zwei Kinder und leben auf dem flachen Land in Niedersachsen, wo sie Hirsche, Hasen und Drachen zählen und spannende Geschichten schreiben.

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Inhaltsverzeichnis

1

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1

2

 

 

 

 

Für

Oli

 

 

1

Der kleine Vogel zitterte. Er hatte sich in eine Ecke des hölzernen Vogelkäfigs zurückgezogen und tschilpte verängstigt. Doch das Tier hatte keine Wahl. Sanft umschloss ihn die mit einem derben Handschuh bekleidete Hand, und er wurde von dem Mann aus seinem engen Gefängnis herausgehoben. Er strich dem Vogel beruhigend über den Kopf.

„Keine Angst“, flüsterte er.

Dann nahm der Mann vorsichtig eine dünne Nadel von einem Tischchen und stippte sie in eine Glasflasche. Langsam zog er die Nadel heraus und betrachtete den winzigen Tropfen an der Spitze.

Die Abendsonne ließ die zähe Flüssigkeit bernsteinfarben glitzern.

„Es wird nicht wehtun, mein Kleiner“, sprach er beruhigend, zögerte aber nicht, den kleinen Vogel hochzuheben und ihn mit der Spitze der Nadel unterm Federkleid zu ritzen. Er stach nicht tief, sondern schabte die Haut unter den Federn nur leicht an. Ganz zart, aber dennoch genug, damit der gelblich schimmernde Saft in die klitzekleine Wunde sickerte.

Zufrieden legte der Mann die Nadel zurück auf das Tischchen.

Er öffnete einen zweiten, größeren Käfig. Eine Voliere, in der der Vogel ausgelassen umherfliegen konnte. „Siehst du, schon vorbei“, meinte er und setzte den Vogel auf einen der Stäbe. Kaum hatte er den Griff gelockert, sprang das Tier auch laut protestierend herum und flog möglichst weit weg auf eine der höchsten Stangen. Aufgeregt hüpfte der Vogel auf und ab, beschwerte sich lauthals.

Staub wehte durch das offene Fenster. Wind war aufgekommen. Ein Unwetter kündigte sich an. Er spürte es in seinem Arm. Der Mann schloss das Fenster, doch der pochende Schmerz in seinem rechten Arm ließ ihn kurz innehalten. Wie so oft, wenn sich ein Gewitter ankündigte, begann seine Verletzung zu schmerzen.

Der Mann wandte sich wieder der Voliere zu. Es dauerte nicht lange, und das Tier beruhigte sich. Zufrieden bemerkte er, wie der kleine Vogel auf den Boden flog, um dort einige Samen aufzupicken. Leise tschilpend strich er sich sein zerzaustes Gefieder glatt.

Sorgsam rückte der Mann die Sanduhr zurecht, die mit Mirgan, Kaspian und Haspelot – drei der sieben Urdrachen – geschmückt war. Er sah dem Sand zu. Körnchen für Körnchen rieselte die Zeit. Bald würde es wirken. Bald.

Tatsächlich wurde der kleine Vogel immer ruhiger. Er tschilpte jetzt nur noch leise und hüpfte kraftlos über den sandigen Boden der Voliere. Nur mit Mühe gelang es ihm, auf eine der unteren Stangen zu fliegen, doch dann saß er da, als wisse er nicht mehr, wo er war.

„Ist dir schwindelig?“, fragte der Mann und beugte sich nah an die Käfigstäbe. „Keine Sorge, es ist gleich vorbei.“

Der Vogel schien den Mann ansehen zu wollen, aber kaum hatte er seinen winzigen Kopf gehoben, verließ ihn die Kraft. Er plumpste geradewegs von der Stange und in den Sand. Verzweifelt versuchte er aufzustehen, strauchelte jedoch und fiel immer wieder hin.

„Perfekt“, flüsterte der Mann und hielt noch einmal das Fläschchen mit der goldgelben Flüssigkeit gegen das Licht.

Das Gift funkelte.

 

Donnernd ergoss sich das Gewitter ins Grindfjördtal. Starke Böen und heftiger Regen peitschten die Kronen und Äste der Bäume, während Blitze den Drachenhof nahe der Roten Berge immer wieder in grelles Licht tauchten.

Bestand denn dieser Wald nur aus solch widerwärtigen Bäumen, deren Zweige über und über von winzigen Dornen gespickt waren? Der Mann fluchte und wischte sich den Regen aus dem klitschnassen Gesicht. Schon wieder hatte sich sein Mantel in einem der ausladenden Äste eines Rismoldbaums verfangen. Mit Gewalt versuchte er, sich aus den Stacheln des Baumes zu befreien, doch er verhakte sich nur umso fester.

Er verlor zu viel Zeit. Er hätte ein Licht mitnehmen sollen. Dann wäre er nicht ständig mitten in diese bösartigen Dornen hineingeraten.

Wütend zog er den nassen Mantel aus und ließ ihn zurück. Er musste sich beeilen.

Bald würde der Morgen die Gewitterwolken vertreiben und seine ersten Sonnenstrahlen über den Himmel schicken.

Endlich erreichte er die niedrige Ringmauer, die den Hof umfasste. Behände stieg er über die Bruchsteine hinweg und erfasste schnell die Lage der Gebäude. Das Wohnhaus und der angrenzende Turm von Hof Feuerfels waren dunkel. Auch im kleinen Fachwerkhaus der Stallburschen, das auf Stelzen stand, rührte sich niemand. Keiner schien sich nachts und bei Gewitter herausgetraut zu haben. Bestens.

Er blickte die Stallungen entlang, die direkt in den Fels geschlagen waren. Alle Boxentüren waren verschlossen, dennoch nahm er den Gestank der Drachen wahr. Er spuckte aus. Diese Viecher konnte er nicht leiden. Elende Tiere mit Krallen und Schuppen. Stinkende Bestien.

Doch die Ablehnung beruhte auf Gegenseitigkeit, das wusste er nur zu gut, denn auch die Drachen mochten ihn nicht. Sei’s drum.

Schnell schlich er über den Hof zu den Stallhöhlen und horchte. Die erste Box war leer, jedenfalls hörte er nichts, als er sein Ohr an die Tür legte. Box zwei und drei waren ebenfalls verwaist. Langsam wurde der Mann nervös. Das Gewitter hatte nicht nachgelassen, und ihm wurde kalt. Wo waren die Drachen nur alle? Ein Bauer in der Schenke Zum Grünen Reiher hatte erzählt, Hof Feuerfels wäre voll von diesen Biestern. Voll von Kindern und Drachen. Hatte der Bauer gelogen?

Bei der vierten Box war die obere Türhälfte nicht ordentlich geschlossen worden. Vorsichtig zog er sie einen winzigen Spalt auf und blickte hinein.

Das Mondlicht warf einen schmalen Streifen auf den Boden. Der Stall schien ebenfalls leer zu sein, aber dann hörte er ein leises Atmen. Er drückte die Tür noch ein wenig weiter auf und entdeckte im fahlen Licht einen zierlichen, grünen Drachen. Er lag zusammengerollt im Stroh und schnarchte. Das Biest war nicht größer als seine Voliere und hätte ihm im Stehen nur bis knapp über den Kopf gereicht.

„Das kann doch nicht wahr sein“, zischte der Mann. „Das ist doch kein Drache. So ein mickriges Vieh!“ Wütend schlug er die Tür zu und erschrak prompt über den Lärm. Dumpf hallte der Knall über den Hof. Er duckte sich sofort, hielt die Luft an und lauschte. Keine Reaktion. Langsam atmete er aus und schimpfte mit sich selbst. Er musste vorsichtig sein. Lautlos schlich er durch den Regen zur nächsten Tür. Ein sanftes Klingeln verriet ihm, dass diese Box bewohnt war. Behutsam schob er den Türriegel zurück. Sein Blick fiel auf ein fröhliches Namensschild, das an der Tür angebracht war. Brimm stand darauf, und jemand hatte Blümchen um den Schriftzug gemalt.

Geräuschlos betrat er die Box.

Der Yef-Drache hob den Kopf und sah den Mann neugierig an. Um seinen Hals war ein rotes Band gebunden, an dem ein Glöckchen hing. Es klingelte leise, wenn der Drache sich bewegte.

Der Mann war beim Anblick des Drachens zufrieden. Ein Blitz zerriss die Luft, und ein Donner erschütterte den Hof. Langsam schloss er die Boxentür hinter sich.

Lächelnd trat der Mann vorsichtig auf den Drachen zu. Die Handschuhe, die er trug, waren aus derben, abgewetzten Leder. „Ganz ruhig, Brimm … Ganz ruhig …“, sagte er.

Verschlafen näherte sich ihm Brimm und schnupperte an der ausgestreckten Hand des Mannes. Doch mit einem Mal riss der Drache abrupt seinen Kopf zurück und schnaubte.

„Ja, ja. Ich weiß“, zischte der Mann. „Du riechst ihn. Ihr alle riecht meinen Arm.“ Seine Stimme klang wütend. Er musste sich zur Ruhe mahnen. Ganz ruhig. „Komm schon her Brimm, komm her“, begann er erneut auf den Drachen einzureden.

Leise flüsternd zückte er ein längliches Stück Holz, das der Nadel ähnelte, mit der er den Vogel geritzt hatte. Es schimmerte schwarz, war glatt und makellos. An der gekrümmten Spitze klebte etwas von dem bernsteinfarbenen Gift.

2

Yu steckte ihre Nase tief in Fexx‘ frisch gestriegelte Mähne und sog den Duft ein. Frisch geschlagener Flintstein. Selig lächelte sie.

Allein dieser Geruch war es wert, die Zeit nach der Schule, wann immer es ging, auf Hof Feuerfels bei ihrem Drachen zu verbringen. Sie hatte den jungen Wilddrachen, der ganz versessen auf glitzernde Dinge war und sich wie eine Elster auf alles Blitzende stürzte, selbst gezähmt. Nun ja, sie hatte ihn zumindest einigermaßen gebändigt, denn noch immer setzte Fexx oft seinen Dickkopf durch.

„Was meinst du, ob die beiden bald kommen?“, fragte sie ihn. Fexx antwortete mit einem Schnauben. Yu lachte. „So, so. Du denkst also auch, dass Lilja und Rosabella trödeln, hm?“

In den letzten Ferien hatten die drei sich kennengelernt. Auch wenn sie zu Anfang nicht die besten Freundinnen waren, hatte sie ein Abenteuer rund um das Drachenrennen zusammengeschweißt. Jetzt konnte Yu es kaum erwarten, mit den beiden und den Drachen die nächsten Tage zu verbringen.

Yu und Fexx warteten auf der Koppel bei einer eingefallenen Mauer aus Findlingen. Immer wieder spähte Yu zum Hof hinüber. Angekommen waren Rosabella und Lilja doch bereits. Wofür brauchten sie nur so lange?

Das Gewitter hatte große Pfützen hinterlassen. Die ganze Nacht über hatte es entsetzlich geregnet, aber heute Morgen war der Himmel aufgeklart, und die Sonne schien. Sie stand bereits hoch über dem schiefen Turm von Hof Feuerfels. Es war Mittag, und auf dem Drachenhof herrschte reges Treiben. Einige Mädchen hatten sich bei Yu auf der Start- und Landewiese eingefunden, andere striegelten ihre Drachen vor den Boxen. Ungeduldig hielt Yu nach ihren Freundinnen Lilja und Rosabella Ausschau, entdeckte aber nur Megan. Ein spitznasiges Mädchen von vierzehn Jahren, die zur Weide herüberkam.

Seufzend säuberte Yu den Striegel, mit dem sie Fexx‘ flammend rote Mähne gekämmt hatte, zielte und warf ihn in die Pflegebox, die neben dem Weidezaun stand. Dann klopfte sie sich die schmutzigen Hände am Lederwams ab und musterte ihren Drachen. Fexx‘ Mähne fiel nun wieder seidig herab, und seine orangefarbenen Schuppen glänzten in der Sonne. Perfekt.

Der Drache war sauberer als Yu selbst, deren strubbelige Haare heute noch keine Bürste zu spüren bekommen hatten. Yus Wams war speckig, und ihre Handschuhe, die sie neben einem kleinen Messer stets am Gürtel trug, waren abgenutzt.

Fexx stupste sie mit der Schnauze und hielt ihr mit den Zähnen einen eisernen Reithelm hin. Yu musste lachen. Sie hatte den Helm zu Hause, in der Schmiede ihres Vaters, selbst gemacht. Besonders stolz war sie auf die kleinen Drachenflügel, die sie angeschweißt hatte.

„Ja doch, wir fliegen ja gleich“, beruhigte sie ihn. „Die beiden kommen bestimmt jeden Moment.“

Rosabella hatte gesagt, sie wolle sich nur kurz frisch machen, was bei ihr etwas länger dauern konnte. Und Lilja hatte noch schnell ihre Bücher auf das Turmzimmer bringen wollen, was bei den Mengen von Büchern, die sie stets mit sich herumschleppte, ebenfalls etwas länger dauern konnte.

Yu schmunzelte. Wie konnte man für vier kurze Tage so viel Zeug mitschleppen? Schließlich hatten sie nur ein langes Wochenende schulfrei, weil vor dreihundert Jahren der Händler Fnok mit dem Wüstenvolk der Dapera Frieden geschlossen hatte.

Yu setzte sich den eisernen Helm auf. „Verfaulter Drachenzahn, was für Bummelliesen“, knurrte sie und tätschelte Fexx. Sie überprüfte den Flugsattel. Er saß perfekt und schmiegte sich faltenlos in die Mulde zwischen schuppigem Hals und Flügelansatz. Yus Vater hatte ihn ihr geschenkt. Er war aus dunkelblauem Fischleder und die Nähte aus rotem Zwirn. Dadurch sah er edel aus, wie Yu fand. Sie zog prüfend an den Beingurten und strich langsam über den Sattel. Flugsättel waren leicht und aus sehr dünnem Leder gefertigt, damit sie den Drachen im Flug möglichst wenig behinderten. Mit Gurten wurden sie um Bauch und Brustbein der Tiere befestigt, der Reiter selbst fand Halt in den Beingurten.

Wenn die beiden in den nächsten fünf Minuten nicht kommen, flieg ich allein, beschloss Yu. Fexx schien ihre Gedanken lesen zu können, denn der orange Wilddrache stupste sie erneut mit der Schnauze.

Da stieg Megan über den Zaun, auch sie hatte Sattel und Zaumzeug dabei. Yu nickte ihr zur Begrüßung kurz zu. Letzte Ferien, als Yu das erste Mal auf Hof Feuerfels gewesen war, waren Megan und sie nicht die besten Freundinnen geworden. Megan war älter als Yu und kam schon seit einigen Jahren zum Reiten auf den Hof. Ihr Drache Brimm wohnte das ganze Jahr über bei Nanthian und Leopoldina, die den Hof leiteten. Megan hatte Yu zu verstehen gegeben, dass Yu viel zu kindisch sei, um sich mit ihr abzugeben.

Yu setzte sich auf den Weidezaun und beobachtete die Drachen.

Inzwischen kannte sie alle Bewohner des Hofs. Da sie Fexx hier unterstellen durfte, kam sie mindestens ein-, zweimal die Woche nach der Schule von der kleinen Stadt Grinfjörd herauf. Sie half Nanthian bei der Arbeit mit den Tieren und flog mit Fexx ein paar Runden.

Megan hatte ihren Sattel über den Zaun gelegt und schnalzte, um Brimm zu rufen. Der Yef-Drache weidete abseits, schien aber Megan nicht zu hören. Brimm war ein lieber, freundlicher Drache. Yu hatte ihn in den letzten Wochen alleine versorgen dürfen, und darauf war sie stolz. Es zeigte ihr, dass Nanthian ihr vertraute und sie gute Arbeit leistete.

Megan schnalzte erneut, doch Brimm reagierte noch immer nicht.

„Versuch es doch mal mit pfeifen. Fexx hört da immer“, schlug Yu vor.

Megan schenkte ihr nur einen überheblichen Seitenblick, der wohl sagen sollte: Was willst du mir erzählen?

„Yuuuuu!“ Endlich kamen Lilja und Rosabella den Sandweg vom Hof zu den Koppeln heruntergelaufen. Hinter ihnen trabten ihre Drachen Ping-Ping und Gefion.

Yu sprang vom Zaun und winkte. „Wurde aber auch Zeit.“

Außer Atmen kamen die beiden an.

Rosabella, die einen makellosen cremefarbenen Reitdress trug, verdrehte die Augen. „Wir können nichts dafür! Leopoldina hat uns in der Küche abgefangen.“

„Ja, sie hat geredet und geredet. Na, du kennst sie ja. Aber jetzt wissen wir jedenfalls, was du alles in den letzten Wochen angestellt hast“, sagte Lilja. Das Mädchen mit dem Schlabberpulli grinste und rückte ihre Brille zurecht. Ihr Jungdrache lugte über ihre Schulter und Yu musste grinsen, denn Gefions Knickohren standen ihm genauso vom Kopf, wie Liljas kurze, blonde Zöpfe.

„Und auch, was du nicht getan hast“, sagte Rosabella frotzelnd.

Nur zu gut erinnerte sich Yu an das erste Aufeinandertreffen mit Rosabella. Sie hatte Yu glatt für einen Stallburschen gehalten und sie mit ihrem überheblichen Verhalten unglaublich genervt. Und Yu konnte nicht begreifen, wie so eine rosa Prinzessin überhaupt fliegen durfte. Fliegen war schnell, rau und wild, fand Yu. Doch bei Rosabella und ihrer perlmuttschimmernden Drachin sah es immer mühelos, glänzend und elegant aus.

„Na gut. Ihr seid entschuldigt“, meinte Yu. „Gegen Leopoldinas Geplapper ist echt jeder machtlos.“

Noch immer saß Megan auf dem Zaun und schnalzte nach ihrem Drachen.

„Morgen auch, Megan“, rief Lilja ihr zu. Beide wohnten in Seestaad und kannten sich flüchtig.

Megan grüßte jedoch nicht, denn mittlerweile war sie wütend. Sie schmiss ihr Zaumzeug auf den Boden und schimpfte: „Was ist denn los mit Brimm? Steht da und rührt sich nicht! Hat der sich überfressen oder was?“

„Vielleicht doch mal pfeifen?“, schlug Yu noch einmal vor.

„Ach, Miss Neunmalklug weiß wieder alles besser!“, fuhr Megan sie an. „Na ganz toll!“

Rosabella verdrehte die Augen. „Na, hier hat sich die letzten Wochen ja auch nichts geändert.“ Sie strich Ping-Ping über die Schnauze und warf Yu einen genervten Blick zu.

„Bevor ihr euch die Augen auskratzt, schlag ich vor, wir fliegen einfach los?“ Lilja griff einen der losen Holzstämme, die den Weidezaun verschlossen, und zog ihn zur Seite.

Rosabella und Yu tauschten einen erstaunten Blick aus. Letztes Mal auf Hof Feuerfels hatte sich Lilja noch ganz anders angehört. Da hatte sie der bloße Gedanke ans Drachenfliegen in Angst und Schrecken versetzt. Rosabella half Lilja und schob den zweiten Balken des Gatters weg. Zusammen führten sie Gefion und Ping-Ping auf die Wiese. Fexx begrüßte seine beiden Freunde überschwänglich. Nur Megan konnte ihren Drachen noch immer nicht zu einer Reaktion bewegen.

„Brimm! Jetzt komm endlich!“, schrie sie wütend. Da hob Brimm den Kopf und sah zu ihr herüber. Immerhin das tat er. Sein Glöckchen klingelte leise. Brimm schien jedoch weiterhin nicht daran zu denken, zu seiner Besitzerin zu traben. Ärgerlich stampfte Megan mit dem Fuß auf. Während Rosabella und Lilja auf ihre Drachen stiegen und sich nicht um Megan kümmerten, hielt es Yu nicht mehr aus. Sie steckte Daumen und Zeigefinger zwischen die Lippen und pfiff. Sofort setzte sich Brimm in Bewegung. Fassungslos starrte Megan Yu an.

Yu lächelte verlegen. „Na ja, so hab ich ihn immer gerufen, wenn’s Futter gab.“

„Du hast meinen Brimm gefüttert?!“

„Jetzt kommt er jedenfalls“, sagte Yu achselzuckend und wollte sich in den Sattel schwingen.

Da griff Megan sie und zog sie runter. „Du hast ihn aufs Pfeifen trainiert. Absichtlich!“, fuhr sie Yu an. „Weil du genau weißt, dass ich nicht pfeifen kann!“

„So ein Quatsch. Nanthian hat einfach nur gesagt, ich soll Brimm füttern. Mehr hab ich nicht gemacht.“

Bevor Megan etwas erwidern konnte, kam Brimm angetrabt. Jedoch stupste er Yu erwartungsvoll an, anstatt Megan zu begrüßen.

Megans Gesicht wurde kirschrot vor Wut. „Ist dir ein Drache nicht genug?“, zischte sie. „Macht’s dir Spaß, mir meinen Brimm wegzunehmen, ja?“

„Ich will dir Brimm nicht wegnehmen.“ Yu versuchte, den Yef-Drachen abzuwehren, der sie immer wieder fordernd anstupste. „Ich hab ihn einfach nur die letzte Zeit gefüttert. Wie oft soll ich das noch sagen!“

„Du denkst wohl, du kannst dir alles erlauben, hier auf den Hof kommen und dir Drachen aussuchen, wie es dir gefällt. Bloß weil Nanthian dich hier arbeiten lässt.“

„Er riecht doch nur die Leckerli.“ Yu hatte sie eigentlich für Fexx eingesteckt, aber Brimm ließ Yu nicht in Frieden. Seufzend kramte Yu in ihrer Hosentasche und zog eine zerkrümelte Haffa-Rolle heraus.

„Hier.“ Sie streckte Megan das zermatschte Leckerli hin. „Gib du es ihm, der lässt mich sonst nicht in Ruhe.“

Zornig schlug Megan ihr die getrocknete Futterpflanze aus der Hand. „Er ist mein Drache! Und ich brauche deine blöden, angekauten Leckerlis wirklich nicht.“

Yu seufzte. „Dann eben nicht“. Sie zuckte mit den Schultern und schwang sich auf Fexx‘ Rücken. Sollte Megan doch an jemand anderem ihre Launen auslassen. Brimm schnüffelte dem Haffa hinterher und schleckte die Krümel vom Boden auf.

Yu wendete Fexx und ließ ihn antraben. „Megan, ich kann nix dafür“, sagte sie. „Er ist einfach nur verfressen.“

„Was soll denn das heißen?“, brüllte Megan. „Frechheit!“

3

Lilja und Rosabella waren schon vorausgeritten. Doch als Rosabella bemerkte, dass Yu endlich nachkam, gab sie Ping-Ping mit einem leichten Druck ihrer Beine den Befehl zum Aufsteigen.

Kurz hintereinander starteten die drei Mädchen in den Sommerhimmel. Yu jubelte! Die Geschwindigkeit und würdevolle Macht der Drachen – was gab es Besseres?

Fexx schoss übermütig hoch in den Himmel, direkt durch die kleinen Sommerwolken. Es war wundervoll. Mitten im unendlichen Blau ließ er sich plötzlich herabfallen, fing sich jedoch in einer engen Kurve und flog auf Ping-Ping und Gefion zu. Seine rote Mähne flatterte im Wind. Yu unterdrückte einen weiteren Freudenschrei. Es war fantastisch, den Wind zu spüren. Sie konnte nicht genug davon bekommen, mit dem jungen Wilddrachen durch den Himmel zu sausen. Besonders wenn Fexx übermütige Kurven und Loopings drehte, zog es in ihrem Magen, und sie klammerte sich noch fester an seinen schuppigen Hals und roch den Flintstein.

Lachend schossen die drei Mädchen nebeneinander auf den Köhler Wald zu. Yu war glücklich, dass ihre besten Freundinnen Rosabella und Lilja mit ihren Drachen hergekommen waren. Es war schön, die beiden wiederzusehen. Lilja wohnte in Seestaad, einem kleinen Dorf auf Stelzen, das im Spiegelsee stand. Es war von Grinfjörd zu weit weg, um sich nach der Schule zu treffen, aber Yu und Lilja hatten sich die letzten Wochen Briefe geschrieben. Und auch mit Rosabella hatte Yu Kontakt gehalten. Das schlanke Mädchen mit den edlen Kleidern, hatte die vergangenen Monate bei ihrem Vater in Irdefia verbracht, einer großen Stadt an der Küste, in der ihr Vater eine Fabrik besaß. Lanze, Schild & Co. Die Marke, wenn es um Drachenreiterbedarf ging. Vor zwei Wochen war Rosabella jedoch nach Grinfjörd gezogen und lebte nun bei ihrer Mutter im westlichen Villenviertel, in das Yu nur selten kam.

Es war erst drei Wochen her, erinnerte sich Yu, dass sie Lilja und Rosabella kennengelernt hatte. Zusammen hatten sie einen Dieb gefangen, der auf Feuerfels sein Unwesen getrieben hatte.

Vor ihr flog Rosabella mit Ping-Ping. Die Eleganz des schynisischen Flugdrachen ließ Yu immer wieder staunen. Geschmeidig, einer Schlange gleich, glitt der Drache durch die Luft. Es war, als sei er schwerelos.

Liljas junger Fjörd-Drache Gefion wirkte hingegen geradezu unbeholfen und tapsig. Allerdings musste Yu zugeben, dass er echt ziemlich ungeschickt war. Kein Wunder, denn er war erst rund vierzig Jahre alt und damit fast noch ein Baby. Aber Lilja hatte den Tollpatsch gut im Griff. Aus ihr war die letzten Wochen, wenn auch keine wirklich gute, so doch eine begeisterte Reiterin geworden, wie Yu feststellte.

Bestimmt hat sie in Seestaad Reitstunden genommen, überlegte Yu, denn bei ihrem ersten Treffen hatte Lilja noch richtig Angst vor den Drachen gehabt. Davon war nun nichts mehr zu spüren.

Gerade wollte Yu ihren Freundinnen vorschlagen der Jungsbande um Jaromir, der Roten Kralle in deren Baumhaus einen Besuch abzustatten, als Megan mit Brimm heranschoss.

Sie flog so rücksichtslos und eng an Yu vorbei, dass Fexx‘ und Brimms Flügel aneinanderstießen und beide ins Taumeln gerieten.

„Was soll der Quatsch, Megan?“, fuhr Yu sie an und rückte ihren Reithelm zurecht.

„Wie kannst du es wagen, Brimm fett zu nennen“, schrie Megan.

„Ich hab‘ was? Ich hab doch gar nicht …“

„Brimm ist zehnmal besser als dein blöder Fexx. Dein dummer Wilddrache hat ja noch nicht mal einen Stammbaum. Mein Brimm schlägt Fexx bei jedem Rennen!“

„Ich hab nicht gesagt, dass Brimm fett ist!“ Yu sah sich Hilfe suchend zu ihren Freundinnen um, doch Rosabella zuckte nur belustigt mit den Schultern.

Jetzt standen sich Brimm und Fexx in der Luft gegenüber. Fexx genügten wenige Flügelschläge, um die Höhe zu halten und auf der Stelle zu fliegen. Brimm hingegen musste sich mit seinen kurzen Flügeln sehr abmühen, um nicht an Höhe zu verlieren. Megan hatte ihn jedoch hart im Griff, wich keinen Meter und sah Yu herausfordernd an.

„Du willst ein Rennen?“, fragte Yu. Sie sah Brimm zweifelnd an. Der Drache keuchte und schien nicht in bester Form zu sein. Megan sollte ihn nicht so hart rannehmen, dachte Yu. Vielleicht sollte Brimm mal ordentlich schlafen. Sie wollte kein Rennen, denn davon würde Megans Wut auf sie nicht kleiner werden.

„Hier und jetzt will ich ein Rennen“, sagte Megan. „Traust dich nicht, was? Wirst ja auch auf deinem blöden Fexx verlieren.“

Das bezweifelte Yu, aber sie sagte nichts. Stattdessen wendete sie sich wieder Lilja und Rosabella zu und schlug vor, zur RotenKralle zu fliegen. Die drei wollten gerade los, als Megan schnippisch meinte: „Außerdem bist du die schlechtere Reiterin! Hau nur ab! Immerhin weißt du, wann du verloren hast!“

Yu fuhr herum. Was? Das war ja wohl die Höhe! Sie eine schlechte Reiterin? Stinkender Drachenmist war das. Yu biss sich auf die Unterlippe. Das konnte sie nicht auf sich sitzen lassen. Diese dumme Drachenkuh steckte sie doch locker in die Tasche. Wenn sie jetzt vor einem Rennen kniff, würde Megan ihr das ewig unter die Nase reiben. Megan würde jedem genussvoll erzählen, dass Yu Rothschild – die Tochter des besten Schmieds von Grinfjörd – zu feige gewesen war, gegen sie und Brimm anzutreten.

Bevor Yu etwas sagen konnte, kam Rosabella ihr zuvor. „Die Strecke geht von hier, einmal um den Hof. Fliegt über die Koppeln, am Übungsplatz vorbei. Hinter dem Turm dreht ihr und kommt zu uns zurück.“ Rosabella war mit Ping-Ping herangeflogen und sah Megan und Yu auffordernd an.

„Abgemacht“, entgegnete Megan sofort und wendete Brimm in der Luft.

Yu blinzelte in die Sonne. Sie konnte die Roten Berge sehen, an die sich Hof Feuerfels schmiegte. Etwas weiter das Tal hinunter, blitzten die ersten Dachschindeln der Häuser von Grinfjörd.

Geschickt lenkte Yu Fexx neben Brimm. Sie merkte, wie aufgeregt Fexx war, spürte, wie der Wilddrache seine Muskeln anspannte, bereit los zu jagen.

Es war nur ein knapper Kilometer bis zum schiefen Turm des Hofes, in dem die Zimmer der Mädchen lagen. Sie hoffte allerdings, dass Fexx nicht wieder auf halber Strecke von etwas Glitzerndem abgelenkt werden würde. So wie beim Drachenhof-Rennen letzte Ferien. Abschätzend warf Yu einen Blick zu Megan, die hatte sich vorgebeugt und eng an Brimms Hals geschmiegt. Konzentriert starrte sie zu den Koppeln, war bereit loszuschießen. Doch ihr Brimm schien sich schon jetzt nur mit letzter Kraft in der Luft zu halten. Nervös schüttelte er den Kopf und seine kurze, schwarze Mähne wippte. Taumelte er? Da gab Lilja das Startzeichen.

Sofort trieb Megan Brimm an, schoss mit einem, zwei, drei Flügelschlägen voraus. Fexx riss seinen Oberkörper hoch, sodass sich Yu an seine Mähne klammern musste, und raste hinterher. Yus Magen kribbelte, und sie jubelte vor Freude. Fexx schloss auf, blieb an Brimms Seite und legte sich mit ihm in die Kurve, als Megan Brimm nach links lenkte. Sie hielt auf die Übungsplätze zu. Yu wusste, sobald sie Fexx den Befehl gab, stürmte er an Brimm vorbei. Aber sie wollte nicht, weil sie fürchtete, Megan könnte Brimm dann noch mehr antreiben. Schon jetzt schien der Yef-Falbe am Ende seiner Kräfte. Immer wieder sackte er einen Meter ab, schlingerte leicht. Sicher war Fexx der bessere Sprinter, und es war auch etwas dran, dass Megans Brimm ein wenig, nun ja, fett war – aber dennoch war er nicht so schlecht trainiert. Vielleicht ist Brimm krank, schoss es Yu durch den Kopf.

Übermütig ließ sich Fexx etwas fallen und flog plötzlich eine Schraube. Er drehte sich um die eigene Achse, und Yu wurde schwindelig. Sie musste kichern, so klasse war das Kribbeln und Ziehen im Bauch. Froh, die Beingurte angelegt zu haben, sonst wäre sie sicher aus dem Sattel gefallen, lenkte sie Fexx unter Brimm und flüsterte: „Nicht so schnell, wir überholen Megan erst auf der Zielgeraden, kapiert?“

Fexx schnaubte und es schien ihr, als habe er wirklich verstanden.

Sie wollte ihn gerade aufmunternd gegen die Halsschuppen klopfen, als sie ein lautes Fluchen über sich hörte. Yu blickte hinauf.

Megan! Sie zerrte an den Zügeln, versuchte, Brimm zu halten, aber ihr Drache strauchelte.

Yu riss Fexx zurück, wollte ihn aus Brimms Schatten ziehen, doch es war zu spät.

Brimms linker Flügel klappte kraftlos weg, und sofort kam der schwere Drache ins Trudeln, taumelte vier, fünf Meter und stürzte auf Yu zu. Sie hatte keine Zeit auszuweichen. Schnaubend fiel Brimm wie ein Stein vom Himmel. Sein Schrei vermischte sich mit Megans Hilferuf. Brimm traf Fexx hart am Flügel. Fexx quiekte auf, versuchte wegzutauchen, aber er verlor die Kontrolle. Yu wurde herumgeschleudert, sah den Himmel, dann die Erde. Das Blau des Himmels und das Grün der Weide vor dem Hof verwirbelten sich zu einem einzigen Strudel. Sie schrie, kreiselte mit Fexx, überschlug sich mit ihm. Yu krallte sich in seine Mähne. Fexx strampelte und mühte sich, den Sturz irgendwie abzufangen. Doch es gelang ihm nicht. Brimms Flügel hatten sich mit seinen verhakt. Ineinander verschlungen stürzten die zwei Mädchen mit ihren beiden Drachen vom Himmel.

Der Fall schien kein Ende zu nehmen. Die Gurte! Sie musste von den Drachen wegkommen. Oder Fexx würde sie zerquetschen. Panisch versuchte Yu, die Beingurte zu lösen, aber es gelang ihr nicht. Die Verschlüsse saßen fest und ließen sich nicht öffnen.

Alles um Yu wurde zu einem Schrei. War es Megan? War es einer der Drachen? Oder war es etwa sie selbst, die so kreischte?

Spring!, befahl sie sich. Spring doch! … Aber die Beingurte gingen nicht auf, zu sehr wurde sie herumgerissen. Da raste der Boden auf sie zu und alles wurde schwarz um sie. Es war zu spät.

4

Der Aufschlag war hart, und Yu blieb die Luft weg.

Sie strampelte, wusste nicht, wo oben und unten war. Hatte Fexx sie erdrückt?

Sie konnte nichts sehen. Alles war warm und dunkel. War das alles Blut? Nein, das konnte nicht sein. Es … wo war sie? Endlich spürte sie sich wieder, fühlte auch Fexx und die Beingurte. Der Teich, schoss es ihr durch den Kopf. Wir müssen in den Löschteich gefallen sein. Es war Wasser um sie!

Tatsächlich. Sie hatte Glück im Unglück gehabt. Sie waren in den Teich des Feuerübungsplatzes gestürzt. Er lag hinter den Koppeln und schmiegte sich ans schroffe Felsenlabyrinth. Nanthian benutzte das Wasser des kleinen Sees, um die Brände zu löschen, die ab und an bei den Feuerspeiübungen ausbrachen.

Yu öffnete die Augen, sah aber nur Luftblasen und schlammiges Wasser.

Du musst aus den Gurten heraus! Panisch versuchte sie, die Schlaufen zu lösen. Endlich gelang es ihr. Sie kämpfte sich durch das Wasser nach oben, kam wild strampelnd an die Oberfläche und japste nach Luft.

Neben ihr hievte sich Fexx ans Ufer, rutsche jedoch mehrfach ab. Aber dem jungen Wilddrachen ging es gut. Auch Megan hatte sich schon aus dem Teich befreit und ans Ufer gezogen. Klitschnass saß sie da. Blut rann ihr die Stirn hinunter, und sie hielt sich ihren Knöchel.

„Yu! Megan!“ Rosabella landete mit Ping-Ping und sprang sofort ab. „Geht es euch gut?“, rief sie. „Yu? Ist alles in Ordnung? Kannst du ans Ufer schwimmen?“

Yu nickte. Benommen sah sie sich um. Hinter ihr im Wasser lag Brimm. Sein Bauch und ein Flügel ragten aus dem Teich. Sein Kopf schien jedoch noch unter Wasser zu sein. Er bewegte sich nicht.

„Brimm!“, rief Yu. „Was – was ist mit dir? Brimm!“

Sie sah, wie Megan aufsprang, jedoch schreiend einknickte, als sie mit dem verletzten Fuß auftrat. Aus den Augenwinkeln nahm Yu wahr, wie Rosabella das Ufer entlang zu Megan rannte. Was war mit Brimm? Angst schnürte Yu die Kehle zu, trotzdem schwamm sie zu dem Drachen.

Ohne zu zögern, tauchte sie erneut, schwamm unter Wasser Brimms massigen Körper ab.

Sie musste sich an seinen Schuppen entlang tasten, weil das Wasser viel zu trübe war, um etwas zu sehen.

Aufgewirbelter Schlamm und Algen raubten ihr die Sicht.

Als sie Brimms Hals erreicht hatte, presste sie die flache Hand auf die Schuppen. Und spürte seinen Puls. Gott sei Dank, er lebte! Sie rüttelte an seinem Hals, aber Brimm reagierte nicht. Er war bewusstlos, und sein Kopf war unter Wasser. Sie musste ihn irgendwie an die Oberfläche drehen, ihn hochziehen oder … Sie tauchte weiter vor zu seinem Kopf. Der Drache hatte die Augen geschlossen, ängstlich boxte Yu ihm auf die Schnauze, damit er aufwachte – doch er reagierte nicht. Sie zog am Halfter, aber auch das half nichts. Yu bekam Panik. Schnell stieß sie sich ab und tauchte auf.

„Was ist mit ihm?“, schrie ihr Megan zu.

Doch Yu hatte keine Zeit zu antworten. Sie holte tief Luft und tauchte erneut ab. So schnell es ging, musste sie den Drachen aufwecken. Er musste aufstehen, raus aus dem Wasser.

Kurz entschlossen fasste sie seine Schnauze, legte ihre Lippen an seine Nüstern und pustete so viel Luft, wie sie nur konnte hinein. Tatsächlich riss Brimm die Augen auf! Er glotzte für einen Moment fassungslos Yu an und dann …

Dann nieste er. Die Druckwelle schleuderte Yu durch das Wasser zurück ans Ufer.

Den Urdachen sei Dank! Brimm war wach, und er kämpfte. Wild schlug er um sich. Wasser spritzte und zischte, als er sich mit letzter Kraft versuchte, zu drehen. Es gelang ihm, irgendwie auf den Bauch zu kommen und aufzutauchen.

Yu kletterte ans Ufer und lief zu Megan und Rosabella. „Er war bewusstlos“, sagte sie außer Atem.

„Lilja holt Hilfe“, meinte Rosabella. „Sie ist zum Hof geflogen.“

Zusammen halfen die beiden, Megan aufzustehen. Yu und Rosabella stützten sie und eilten, so schnell es ging, auf Brimms Seite des Teichs.

Der Drache mühte sich noch immer, sich ans Ufer zu retten. Er schien aber nicht auf die Beine zu kommen. Brimm knurrte wild.

„Er steckt im Schlamm fest“, meinte Rosabella.

„Wir müssen ihn rausziehen!“ Megans Stimme überschlug sich. Yu sah, dass ihre Wangen tränenverschmiert waren, und ihr wurde klar, welche Angst Megan um Brimm haben musste. Sie sah sich nach Fexx um. Er saß unweit des Teichs und leckte sich die Tatzen. Wasser floss ihm aus der Mähne, und Algen hatten sich in seinen orangefarbenen Schuppen verfangen. Er war zwar reichlich zerzaust, aber soweit Yu es sehen konnte, unverletzt.

Brimm hingegen kämpfte noch immer, um aus dem Wasser zu kommen. Doch statt sich zum Ufer vorzuarbeiten, sackte er ständig zurück und sank tiefer und tiefer ein. Mittlerweile wurden seine Befreiungsversuche schwächer.

„Was hat er denn nur?“ Megan starrte auf ihren Drachen und weinte.

„Wir müssen was tun“, sagte Yu. „Und zwar schnell!“ Sie ließ Megan los und sprang zurück in den Teich. Kaum war sie untergetaucht, erschien Rosabella neben ihr im Wasser. Die beiden Mädchen beobachteten das Gleiche: Brimm steckte nicht im Schlamm fest, sondern seine Hinterläufe knickten weg. Der Drache konnte sie nicht bewegen.

Es sind nicht nur die Beine, stellte Yu fest. Seine Flügel sind ebenso schlaff. Brimm hatte mit solcher Wucht mit den Vorderläufen um sich getreten, dass ihnen nicht aufgefallen war, dass seine Flügel kraftlos herunterhingen.

Yu und Rosabella tauchten auf.

„Wir müssen ihn rausziehen“, sagte Rosabella zu Megan.

„Werft mir die Zügel zu“, rief Megan.

Rosabella fischte sie aus dem Wasser und warf sie ans Ufer. Sofort zog und lockte Megan ihren Brimm, doch der Yef-Drache schnaubte nur und warf den Kopf verängstigt hin und her.

Yu wollte gerade ans Ufer schwimmen und Fexx holen, um mit seiner Hilfe Brimm herauszuziehen, als eine Männerstimme rief.

„Hier Kinder! Fangt!“

Ein Seilende klatschte vor Yu ins Wasser. Erschrocken sah sie nach oben. Das Seil hing von einem geflickten Windschiff herunter, das durch sechs Windschrauben in der Luft gehalten wurde. Das Getöse der Schrauben wurde lauter und lauter, als das Schiff sich weiter zu ihnen herabsenkte. Der ausgebesserte Bauch des Schiffes war mit allem möglichen Ballast behangen. Ein bärtiger Mann winkte aufgeregt. Er hatte Handschuhe an und eine geschwärzte Fliegerbrille auf. Seine langen blonden Haare wehten unter einem abgewetzten Hut hervor.

Wo kam der denn so plötzlich her?

Der Mann steuerte sein unförmiges Schiff über ihre Köpfe. „Ich helfe euch“, rief er. „Wir ziehen ihn raus.“

„Wer sind Sie?“, rief Yu nach oben, aber der bärtige Mann antwortete nicht. Er fuchtelte mit den Händen durch die Luft.

„Das ist doch jetzt egal“, sagte Rosabella zu Yu und schnappte sich das Seil.

„Um die Brust“, schrie der Fremde und deutete auf das Seil.

Gemeinsam schwammen sie zu Brimm. Auch Megan ließ sich ins Wasser fallen und half Yu sowie Rosabella, das Seil um Brimms Brustkorb zu schlingen. Dann gab Rosabella dem Mann ein Daumenhoch. „Haben Sie noch eines?“, rief sie hinauf.

Der Mann nickte und warf ein zweites Seil in den Teich. Rosabella knotete es an dem ersten fest und pfiff nach Ping-Ping.

„Beruhigt Brimm“, befahl sie. Dann meinte sie leise zu Yu: „Und beruhig‘ irgendwie Megan. Wenn sie sieht, dass sich Brimm nicht bewegen kann, wird sie bestimmt …“ Rosabella sprach es lieber nicht aus.

Yu nickte.

Kurz darauf ließ Rosabella Ping-Ping steigen und feuerte die schlanke Drachin an. Ping-Ping schnaubte und stemmte sich mit aller Kraft in das Seil, während der Mann doppelten Dampf auf die Schrauben seines Windschiffs gab. Die Seile spannten sich. Doch Brimm scheute und bäumte sich ängstlich auf.

Yu und Megan versuchten vergeblich, ihn zu beruhigen. Während Yu vom Wasser aus auf ihn einsprach, wollte Megan ihren Drachen vom Ufer mit den Zügeln führen. Und tatsächlich schaffte es Brimm aus dem Wasser, indem er die Vorderläufe aufs Ufer setzte und die tauben Hinterbeine nachzog.

Entsetzt schrie Megan bei seinem Anblick auf.

Brimm war an Land. Nur auf seine Vorderläufe gestützt, lag er auf der Wiese. Seine Hinterbeine und die Flügel waren wie leblos. Yu gab ihm die Haffa-Rolle und streichelte ihn sanft.

Humpelnd kam Megan heran. Sie weinte laut. Tränenüberströmt stand sie da.

„Brimm! Was ist mit dir?“ Schluchzend fiel sie ihm um den Hals. „Was machst du nur? Was hast du nur gemacht?“, schluchzte sie und drückte ihren Kopf in Brimms Mähne.

Rosabella landete, und auch das Windschiff sank herunter. Mit einem harten Zischen entwich der Dampf aus dem Ballon.

Yu sah, dass der Herbergsvater Nanthian auf seinem alten Hofdrachen Knorre bereits im Anflug war. Ihm folgte Lilja auf Gefion.

„Ich kann nichts finden. Es ist kein Bruch oder so“, meinte Rosabella schließlich, nachdem sie Brimm abgetastet hatte. Sie setzte sich zu Yu und Megan. „Vielleicht ist es nur der Schock, Megan.“

„Du meinst, es geht vorbei?“, fragte Megan hoffnungsvoll, doch als sie zu Rosabella sah, wich diese ihrem Blick aus.

„Es ist bestimmt nix Schlimmes“, meinte Yu und versuchte, zuversichtlich zu klingen. „Morgen läuft er wieder, wirst sehen.“ Völlig abgekämpft lehnte sie sich an Rosabella und zog sich den Helm vom Kopf. Er war ganz verbeult, und einer der Flügel war leicht abgeknickt. Sie spürte jeden Knochen in ihrem Körper.

Da schleckte ihr Fexx freudig übers Gesicht. Es kitzelte, und Yu hätte beinahe gelacht. Der Wilddrache stupste sie mit der Schnauze an, und sie vergrub ihr Gesicht in seiner Mähne. Statt nach Flintstein stank er nach Algen.

„Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist“, flüsterte sie und begann vor Erschöpfung zu weinen.

5

Der Fremde stellte sich als Elvon Nötrem vor.

Er half dem kleinen, rundlichen Herbergsvater Nanthian, Brimm ein breites Ledergeschirr anzulegen. Vor Jahren hatte der schwerfällige und riesige Knorre damit noch den Pflug gezogen, und es war Brimm eigentlich zu groß. Doch es war die beste Möglichkeit, die sie hatten.

An dem Zuggeschirr befestigten die beiden Männer Seile, sodass sie Brimm mit Nötrems Windschiff anheben konnten. Brimm hing unter dem Windschiff, wie ein Baby in einem Strampelanzug. Er sah auch ungefähr so drein, als sie ihn mit dem Windschiff zurück zum Hof Feuerfels flogen.

Megans Drache hatte wirklich Glück gehabt, dass Nötrem zufällig mit seinem Windschiff vorbei gekommen war. Ohne sein beherztes Eingreifen hätten sie den schweren Brimm nicht rechtzeitig aus dem Teich ziehen können.

An den Zügeln führten Yu, Lilja und Rosabella ihre Drachen zurück zum Hof. Yu traute sich nicht, Fexx zu fliegen. Der Schreck saß ihr – und wohl auch Fexx – noch zu sehr in den Gliedern. Auch Lilja war leichenblass.

Ab und zu hörte Yu sie ein leises „Du lieber Himmel!“ oder „Bei allen heiligen Dracheneiern“ murmeln.

Den ganzen Weg über steckte Yu ein Kloß im Hals. Eine ungute Vorahnung hatte sich in ihrer Magengegend ausgebreitet, obwohl sie unendlich dankbar war, dass Fexx nichts zugestoßen war. Der Wilddrache hatte nur einen kleinen Riss in dem Flügel, auf den Brimm gefallen war. Es war nichts Ernstes und würde bald verheilen.

Zwischen den Geräteschuppen und den ersten Stallungen, direkt am Fuß der Felsen, hatten die Stallburschen Stroh zusammengetragen und Brimm ein notdürftiges Lager bereitet. Vorsichtig steuerte Nötrem sein Windschiff über den Heuberg und ließ Brimm sanft herunter. Yu kappte mit ihrem Messer die Seile und gab Nötrem ein Zeichen, dass er landen könne.

„Kinder! Was habt ihr nur gemacht? Wie konnte das denn passieren?“ Aufgeregt wie ein Huhn kam Leopoldina auf Yu, Lilja und Rosabella zugelaufen. Kopfschüttelnd umrundete sie die Mädchen und begutachtete Megan zeternd. „Nein, nein … Sag ich euch nicht immer, dass ihr vorsichtig sein sollt? Vorsichtig. Mit Drachen und dem Fliegen, also da ist nicht mit zu spaßen.“

Die Herbergsmutter hätte sich am liebsten ihre grau melierten Haare gerauft, aber die waren fest zu einem Dutt hochgesteckt. Mit einer Schürze voller Soßenflecken, die Kelle noch in der Hand, war die hochgewachsene, schlanke Frau aus dem Querhaus neben dem Turm geeilt.

„Oh Großer Mirgan steh uns bei“, rief sie einen der Urdrachen an und nahm die verletzte Megan an der Hand. Yu nickte kaum merklich – Leopoldina hatte Recht, ein bisschen Hilfe von den mächtigen Urdrachen konnte Brimm sicherlich brauchen. Seine Hinterläufe konnte er noch immer nicht bewegen.

Die drei Freundinnen folgten Leopoldina in die Küche. Sie führte Megan weiter in den Speisesaal und verschwand, um eine Kräutersalbe für Megans Knöchel zu holen.

Eine Vielzahl Töpfe blubberte auf den Öfen. Yu hatte die Küche noch nie ohne brennende Feuer und dampfende Kessel gesehen. Leopoldina schien ununterbrochen am Kochen, um die Gäste des Hofes zu bewirten.

Erschöpft ließen sich Yu, Lilja und Rosabella am Küchentisch nieder. Es roch nach Gemüse und Obst. Kräuter lagen halb geschnitten auf der Ablage. Yu haderte mit sich. Sollte sie den beiden erzählen, dass sie gesehen hatte, dass es Brimm nicht gut ging? Sie hatte ein schlechtes Gewissen mit Megan das Rennen geflogen zu sein, obwohl Brimm offensichtlich krank war.

Sie wollte es gerade erzählen, da bemerkte sie Nanthian, der im Flur stand und den Drachendoktor anrief. Der kleine Herbergsvater strich sich unablässig seinen Walrossbart glatt, während er in einen großen Trichter sprach. Der ragte aus einem Kurbelkasten mit verschiedenen Buchsen für Stecker, die mit dünnen Schläuchen verbunden waren. Dreizehn Zahnräder klackerten, griffen in einander, um die Schläuche mit verschiedenfarbigen Flüssigkeiten zu füllen.

Zum Glück hatte der Hof den Sprechkasten. Meist nutze ihn Leopoldina, um von Frau Kleemilch den neusten Tratsch zu erfragen. Nanthian hatte ihn letzten Winter nur angeschafft, weil er den Apparat auseinanderschrauben wollte, um zu sehen wie die neue Technik funktionierte. Zum Glück funktionierte die neue Technik auch mit ein paar Teilen weniger ganz gut. Denn nachdem er den Sprechkasten wieder zusammengeschraubt hatte, lagen noch zwei Zahnräder herum, die irgendwie übrig geblieben waren.

„Fantasiös!“, hörte Yu ihn gerade in den Trichter rufen. „Das wäre ganz wundervoll, wenn Sie so schnell kämen … Ja, selbstverständlich passen wir so lange gut auf den Drachen auf, nicht?“ Nanthian zwirbelte den Bart und verschloss den Trichter mit einem Samtkeil, der an einer Kette an dem Kasten hing. Seufzend kam er in die Küche. „Der Doktor kommt gleich, oder? Er wird bald da sein“, sagte er. „Was ist mit Fexx?“

„Er hat eine Schramme, aber sonst gehts ihm gut“, meinte Yu.

Nanthian seufzte. „Na, immerhin. Vielleicht haben wir ja noch mal Glück gehabt, oder? Doch. Nicht?“ Er wuschelte Yu aufmunternd die Haare. „Wird alles wieder.“

Da kam auch schon Leopoldina mit der Salbe zurück. „Sicher, sicher haben wir Glück gehabt, Kinder“, sagte sie. „Was hätte nicht alles passieren können! Gut, dass der Teich da ist, wo er ist!“ Sie ging an ihnen vorbei, schnappte sich ein Blech mit ihrem herrlichen Apfelkuchen und gab jedem ein Stück. Dann verschwand sie mit dem restlichen Kuchen im Speisesaal.

„Hier Megan. Auf den Schreck“, hörten sie sie sagen. „Nimm dir erst mal ein ordentliches Stück. Brimm wird schon wieder gesund. Vielleicht hat er sich nur was verstaucht. Ach, was für ein Sommer. Was für ein … Ach, wem sage ich das. Ich glaube, wir sollten mit dir ins Krankenhaus nach Grinfjörd. Sicher ist sicher.“

„Ich schau mal lieber nach Brimm“, meinte Nanthian. „Kümmerst du dich um Fexx, ja, bitte? Ich hol ein paar Kandiswurzeln, hm? Die wirken fantasiös. Wirst sehen.“

Yu nickte und stand auf. Zusammen mit Nanthian ging sie zu den Ställen.

Mit ein paar aufmunternden Worten führte Yu Fexx in seine Box. Sie entfernte mit der Wurzelbürste Schlamm und Algen, die sich zwischen seinen Schuppen verfangen hatten. Dabei ließ sie sich viel Zeit, denn ihre Knie fühlten sich noch immer wie Pudding an. Nachdem sie Fexx sorgfältig gestriegelt und seine Mähne mit einer angefeuchteten Bürste gekämmt hatte, kam Lilja herein. Sie kaute auf etwas herum und streckte Yu ein Bündel Blätter entgegen. Die waren fleischig und ledern und von tief dunkelgrüner Farbe.

„Olioblätter, die werden helfen“, sagte Lilja schmatzend.

„Wogegen helfen?“ Yu steckte sich wie Lilja die Blätter in den Mund. „Baaaah! Drachenmist!“ Fluchend spuckte sie sie in die Hand. „Willst du mich vergiften, Lilja?“

Schmunzelnd spuckte sich Lilja den grünlichen Brei, auf dem sie herumgekaut hatte, ebenfalls in die Hand.

„Was machst du denn?“, wollte Yu wissen.

„Du musst sie schon noch weicher kauen. Hier, so.“ Sie hielt Yu die Hand mit dem Brei hin.

Angewidert drehte Yu den Kopf weg. „Lilja! Diese Blätter schmecken nach fauligen, ekligen, stinkenden Eiern – und nach … nach … nach scheußlichem Bittermohn. Das ist echt ekelhaft.“

Lilja ging zu Fexx und streichelte seine Flanke. „Stimmt, aber dieses Opfer solltest du für Fexx schon bringen. Die Olioblätter werden die Wunde schnell heilen lassen.“

Überrascht beobachtete Yu, wie Lilja Fexx verwundeten Flügel griff, etwas spreizte, sodass die Wunde ganz zu sehen war, und den grünen Brei darauf schmierte. Fexx schnupperte nur kurz an der Masse und wandte sich dann wieder dem Futtertrog zu.

Seufzend roch Yu an ihrem Blätterbrei. Der Magen zog sich ihr zusammen. Wenn es Fexx half … Mit Schwung steckte sie sich die Blätter abermals in den Mund und kaute sie mit zusammengekniffenen Augen. Sie hielt sich lieber die Nase dabei zu. Dann ging sie zu Lilja und Fexx hinüber und spuckte die breiige Masse aus. Sie schloss damit den Rest des Risses in Fexx‘ Flügelhaut.

„Ich hoffe, der Drachendoktor hat für Brimm auch ein so einfaches und schnell wirkendes Rezept“, sagte Lilja leise.

Yu nickte. Mit einem Kuss auf die Stirn verabschiedete sie sich von Fexx, steckte ihm noch eine Kandiswurzel zu.

Sie lief zum Brunnen in der Mitte des gepflasterten Hofs und wusch sich die Hände. Mit einem Schluck kaltem Wasser versuchte sie, den bitteren Geschmack in ihrem Mund zu vertreiben.

„Das ist irgendwie kein schöner Ferienanfang“, meinte Lilja, die ihr gefolgt war.

Yu dachte an den Kuchen und den Beerensaft, den sie heute Vormittag aus Leopoldinas Küche gemopst und im Turmzimmer unter ihrem Bett versteckt hatte. Eigentlich hatte sie geplant, mit Rosabella und Lilja heute Nacht ausgiebig das Wiedersehen zu feiern.

Nach feiern war ihr nun jedoch nicht mehr zumute.

6

Inzwischen war es später Nachmittag. Die Felswand der Roten Berge, in die die Stallungen der Drachen hineingehauen worden waren, flammte vom Schein der untergehenden Sonne in dunklem Rot.

Yu ging zu Brimm. Das schlechte Gewissen, ein Rennen mit ihm geflogen zu sein, war noch immer nicht gewichen. Die letzte Stunde hatte sie mit Lilja und Rosabella, Nanthian geholfen Brimm zu versorgen. Der Drachenarzt ließ auf sich warten.

Sie schleppte einen Eimer Wasser zu Brimm, der flach ausgestreckt auf dem Heubett lag. Linus und Bertram, die beiden Stallburschen, hatten ein Sonnensegel über das Lager gespannt, damit Brimm vor Sonne und Regen geschützt war. Der Yef-Drache sah elend aus. Die leicht orange gefärbten Flügel hingen schlaff an seinem Bauch herunter. Sein Atem ging flach.

Zusammen mit Rosabella und Lilja tunkte sie Tücher ins Wasser und kühlte Brimms Schnauze.

„Wann, sagte der Arzt, dass er da sein wird?“, fragte Rosabella und strich sich mit dem Handrücken eine lange Haarsträhne aus der Stirn.

„Kann noch ‚n Weilchen dauern“, antwortete Yu.

„Wieso?“, wollte Lilja wissen.

„Der wohnt im hinteren Teil von Grinfjörd. Etwas außerhalb, am westlichen Eibenwald. Glaub ich.“

Rosabella nickte.

„Was meinst du, was Brimm fehlt?“, fragte Lilja und sah sich den Drachen an. Seine Pupillen waren geweitet, und er zitterte leicht.

Rosabella zuckte mit den Schultern. „Er hat einige Schürf- und Platzwunden. Aber ich konnte keinen Bruch ertasten. Ich glaube nicht, dass er sich die Beine gebrochen hat.“

Sanft kraulte Yu Brimm hinter den Ohren. „Ich hätte mich nicht auf dieses Wettfliegen einlassen sollen“, sagte sie leise. „Ich hab doch gesehen, dass du nicht fit bist.“

„Wie meinst du das?“ Interessiert kam Rosabella näher und kniete sich neben Yu.

Brimm schnaubte schwach. Ihm schien es zu gefallen, von den beiden gekrault zu werden.

„Habt ihr das denn nicht bemerkt?“, sagte Yu. „Er war doch völlig außer Atem.“

Lilja schüttelte den Kopf. „Ich hab nur gesehen, wie ihr zusammengestoßen seid.“

„Wir sind nicht zusammengestoßen. Brimm ist gestürzt. Er ist plötzlich abgesackt und hat uns mitgerissen.“

„Dann war er da längst krank?“, fragte Lilja. „Kann doch sein.“

Yu zuckte mit den Schultern. „Sein Flügel jedenfalls schien immer wieder einzuklappen. Vielleicht war er da schon lahm.“

„Du meinst, vor dem Rennen bereits?“ Rosabella sah ihre beiden Freundinnen an. „Hm, das kann nicht sein, oder? Megan wäre doch nicht mit ihm geflogen, wenn er deutliche Zeichen von Lahmheit gezeigt hätte.“

„He, Kinder! Wie geht es dem Drachen?“ Es war Nötrem. Der Fremde hatte sein Windschiff am Turm vertäut und kam mit Rucksack und einem alten, ausgebeulten Koffer in der Hand über den Hof.

„Keine Besserung“, entgegnete Yu. „Aber vielen Dank für Ihre Hilfe.“

„Nichts zu danken, Kinder. Ich bin nur froh, dass ich – nun ja – zufällig da war und euch helfen konnte.“ Er tippte an den Hut und lächelte sie breit an.

Seine Haut war wettergegerbt und wenn er lachte, bildeten sich kleine Fältchen um die Augen. Sein Vollbart war ebenso blond wie seine Haare, doch an manchen Stellen durchzogen ihn schon silberne Strähnen. Er hatte den Bart in der Mitte geteilt und die Enden zu zwei Zöpfen geflochten. Über die rechte Wange zog sich eine dunkle Narbe.

Yu kam es vor, als lebte diese Narbe, denn sie bewegte sich seltsam, während Nötrem seinen Kautabak kaute.

„Frau Leopoldina war so freundlich, mir ein Zimmer anzubieten. Wird sicher ganz guttun, mal wieder in einem ordentlichen Bett zu schlafen.“ Er spuckte den Tabak auf den Hof, und Yu bemerkte, wie Rosabella angewidert den Kopf abwandte.

„Wo schlafen Sie denn sonst?“, wollte Yu wissen. Die drei kamen zu Nötrem.

„Oh, in meinem Reisewindschiff. Hab da ‚ne Hängematte. Gemütlich. Aber auf die Dauer …“ Er reckte sich und sah sich im Hof um. „Wo ist denn das Zimmer? Diese Leopoldina hat was von einem Gästehaus am Querhaus gesagt.“

„Ja. Das Querhaus ist das da am Turm, das aus Feldsteinen mit den weißen Fugen. Das Gästehaus ist dahinter. Ich zeig es Ihnen“, sagte Lilja und strich die Ärmel ihres Schlabberpullis hoch. „Wenn Sie mir ihren Koffer geben, dann …“ Sie streckte die Hand aus, doch Nötrem zog den Koffer hastig an sich.

„Finger weg!“ Der Ton seiner Stimme war plötzlich scharf und herrisch. Erschrocken zuckte Lilja zurück. Auch Yu starrte den eben noch so freundlich lachenden Mann verdattert an.

„Ähm, den trag ich lieber alleine rein. Viel zu schwer für euch Mädchen. Danke“, setzte Nötrem schnell nach, und seine Haltung entspannte sich wieder. Er lächelte die Mädchen gespielt offen an und strich über den Koffer. „Sind meine einzigen Klamotten drin.“ Er zwinkerte. „Nichts für ungut – äh – wie war dein Name?“

„Lilja.“ Sie sah ihn misstrauisch an.

„Lilja! Wie hübsch. Und ihr?“

Rosabella machte einen kleinen Knicks und murmelte ihren Namen. Yu hingegen zögerte. Nachdem der Mann so komisch reagiert hatte, war die dunkle Vorahnung erneut gekommen. Sie mochte den Mann nicht. Irgendetwas war seltsam an ihm, auch wenn sie es noch nicht benennen konnte. Die langen Haare, die ungepflegten Wildlederklamotten. Abgetragene Handschuhe und diese alberne Fliegerbrille. Und jetzt das Getue mit seinem Koffer. Was da wohl wirklich drin war? Yu bemerkte, dass der Mann sie abschätzend ansah.

„Yu Rothschild“, sagte sie schließlich, ohne den Fremden aus den Augen zu lassen. Niemals wäre es ihr in den Sinn gekommen, ihren vollen Namen zu nennen: Yusmay-Henriette-Gerlinde. Wie ihr Vater nur auf die Idee gekommen war, sie so zu nennen?

„Yu?“ Nötrem lachte wieder. „Das ist aber nicht dein wirklicher Name, oder? Egal. Freut mich.“ Kumpelhaft gab er ihr die Hand. „Dann zeigt mir mal das Gästehaus, seid ihr drei so nett?“

 

Nachdem sie Nötrem zu dem Zimmer geleitet hatten, das sich im Anbau des Querhauses befand, waren sie in die Küche zu Leopoldina gegangen. Dort hatten sie Megan vor einer dampfenden Schüssel mit frischem Pudding gefunden. Doch das Mädchen starrte ins Leere und nahm die Schlemmerei vor sich gar nicht wahr.

Yu, Rosabella und Lilja setzten sich zu ihr.

„Wie geht es dir?“, fragte Lilja.

Megan schien von weit her aufzuwachen. „Mir geht es gut“, sagte sie tonlos. „Leopoldina bringt mich gleich ins Krankenhaus.“

„Brimm wird es auch bald besser gehen. Der Doktor muss jeden Augenblick kommen“, meinte Rosabella.

Megans Blick fiel auf Yu und plötzlich straffte sich ihre Haltung. „Das ist alles deine Schuld“, sagte sie.

Für eine Schrecksekunde verstand Yu nicht, dann wurde ihr klar, was Megan meinte. Doch sie zügelte sich, um nicht das ältere Mädchen anzublaffen, wie es sonst ihre Art gewesen wäre. Sie wollte nicht mit Megan streiten.

„Du bist schuld! Wegen dir ist er abgestürzt“, setzte Megan nach und wurde lauter.

Yu musste die Luft anhalten, um nichts zu erwidern. Immerhin hatte Megan sie zum Rennen gezwungen. Außerdem hatte sie zusammen mit ihren Freundinnen die letzte Stunde auf Brimm aufgepasst.

„Megan, wir wissen doch noch gar nicht, was Brimm fehlt“, versuchte Rosabella zu beschwichtigen.

Auch Lilja verteidigte Yu: „Richtig. Yu kann doch nichts dafür. Es war ein Unfall. Niemand hat Schuld.“

„Das werden wir ja sehen.“ Wütend sprang Megan auf und humpelte aus der Küche.

Laut stieß Yu die Luft aus, die sie angehalten hatte. „Was hat sie nur gegen mich.“ Brummelnd zog sie Megans Schüssel Pudding heran. „Wieso gibt Megan immer mir die Schuld an allem, was bei ihr schief geht.“

„Wahrscheinlich ist sie eifersüchtig“, meinte Lilja.

„Eiffafüfftif?“ Yu hatte sich einen Löffel mit Pudding in den Mund gesteckt. Er war heißer, als sie gedacht hatte. „Wie fo follte fie –“

Rosabella unterbrach sie. „Yu! Iss! Aber rede nicht dabei. Verstanden? Bitte! Das gehört sich nicht.“

Yu zuckte mit den Schultern und stopfte sich noch einen Löffel in den Mund. „Fuff miff leifft“, nuschelte sie und musste lachen, als Rosabella die Augen verdrehte. Da drangen Nanthians Rufe vom Hof zu ihnen: „Der Doktor kommt!“

7

Ein riesiger Planwagen aus Holz holperte auf den Hof. Er ächzte und klapperte und sah wie ein Windschiff auf Rädern aus. Eine Plane aus Leder war um ein halbrundes Gestänge gezogen, das auf einen hölzernen Unterbau montiert war. Der Wagen rollte auf acht mannshohen Scheibenrädern aus Eisen und wurde von einem kleinwüchsigen, stämmigen Drachen gezogen, dessen Hornplatten und Schuppen vernarbt waren.

Wie unsinnig, dachte Yu. Mit diesen Rädern kommt er nur langsam voran und unwegsames Gelände wird für den Wagen unpassierbar. Sie stellte sich zu den anderen Mädchen, die neugierig das Gefährt umringten. Neben einem der Tröge am Brunnen kam der Wagen zum Stehen. Schwungvoll sprang der Doktor vom Kutschbock, und Nanthian begrüßte ihn.

Der Arzt war noch recht jung, Mitte zwanzig. Er war schlank und sportlich. Ein langer, schwarzer Staubmantel umhüllte ihn. Überhaupt war alles an ihm schwarz. Seine Haare, sein Hemd, seine Hose, sogar die großen Handschuhe, die er trug, waren vor Ruß dunkel. Sie reichten ihm bis zum Ellbogen.

„Der sieht aber süß aus“, flüsterte Rosabella Yu ins Ohr.

Yu zog die Nase kraus. Wie bitte? Der Mann war jünger als die meisten anderen Drachendoktoren in der Gegend, zugegeben, aber süß?

Der Pudding war süß gewesen. Vielleicht war der Anführer der RotenKralle – Jaromir – ab und an süß, aber der Doktor da? Yu musterte den Mann und schüttelte schließlich den Kopf, woraufhin Rosabella verlegen kichern musste.

Lilja stand bereits staunend vor dem Planwagen. Allerlei kuriose Gerätschaften hingen an der Plane: Destillierkolben, Töpfe, Tiegel und Flaschen. Kräuterbeutel, Sicheln und Mörserschalen. Wie ein Kind am Tag des Lichterfests bewunderte Lilja die Sammlung alchemistischer Werkzeuge. Dagegen waren die wenigen Substanzen und Tiegel in ihrem Experimentier-Koffer geradezu lächerlich.

„Wo ist der Patient?“, rief der Drachendoktor geradeheraus und griff eine schlanke, lederne Arzttasche mit goldenem Griff vom Kutschbock. Eine Locke seines schwarzen Haares fiel ihm in die Augen. Beiläufig strich er sie weg, und Yu bemerkte, dass seine Augen von einem blassen himmelblau waren.

Jetzt musste auch Yu zugeben, dass Rosabella nicht ganz unrecht hatte. Dennoch grummelte sie verächtlich in sich hinein: „Süß! Pah!“ Seine Stimme klang jedenfalls fröhlich und sanft. Und er hatte ein tolles Lächeln. Ein so tolles Lächeln, dass es Megan anscheinend die Sprache verschlagen hatte und sie nur wortlos in Richtung von Brimms Lager deuten konnte.

„Da hinten? Ist es dein Drache? Alles klar.“ Der Mann schnappte sich einen Feuerschutzhelm gegen Drachenatem. Er hatte ein herunterklappbares Schutzvisier aus feuerfestem Glas. „Wie heißt er?“

„Brimm“, sagte Megan.

---ENDE DER LESEPROBE---