Drachenhof Feuerfels - Band 4 - Marion Meister - E-Book

Drachenhof Feuerfels - Band 4 E-Book

Marion Meister

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Beschreibung

Als Yus Mutter vor sieben Jahren in die Roten Berge aufbrach, um nach den sagenhaften Urdrachen zu suchen, konnte Yu nicht ahnen, dass sie Ariadne nie wieder sehen würde. Inzwischen hat sie sich mit dem Tod ihrer Mutter abgefunden. Doch eines Tages erhält sie einen geheimnisvollen Brief. Er ist von ihrer Mutter. Lebt Adriane, die Drachenarchäologin, etwa noch? Sofort fliegt Yu tief in die Roten Berge - zum uralten Kloster Aurum, aus dem der Brief stammt. Aber die Klostermönche verbergen ein mächtiges Geheimnis. Yu, Lilja und Rosabella tappen in eine unvorstellbare Falle ... Dies ist der 4. Band der 6-bändigen Drachenhof-Feuerfels-Reihe. Drachenhof Feuerfels ist eine magische Abenteuerreihe für alle, die Cornelia Funkes "Drachenreiter" oder "Drachenzähmen leichtgemacht" lieben. Presse "... liest sich wie eine Detektivgeschichte und ist spannend bis zur letzten Seite." GEOlino "Yu, Lilja, Rosabella - Abenteuer und Spannung pur." Lesen macht Spaß, Nr. 55 "Das Buch ist so spannend, dass ein langer Abend reicht, um es drachenmäßig zu verschlingen..." Treff - Wissensmagazin für Schüler "Pfiffig und humorvoll geschriebene Drachenbücher, die zum Schmökern verführen." HFK 28

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Drachenhof Feuerfels

Band 4

 

Das

Geheimnis

der Drachenmönche

 

 

Roman von

Marion und Derek Meister

 

 

 

– Digitale Originalausgabe –

als überarbeitete Ausgabe

- 2021 -

 

 

 

 

 

Copyright © 2021 by Derek Meister und Marion Meister

Umschlaggestaltung und Innenillustrationen von Marion Meister

 

v1. 16092021 (korr)

 

 

 

Impressum

StoryTown – Derek Meister & Marion Meister GbR

Ackerrain 79

30938 Burgwedel

 

 

Besuchen Sie StoryTown unter

www.Storytown.info

 

Wir freuen uns immer auf Feedback

[email protected]

 

Marion Meister – www.marionmeister.info

Derek Meister – www.derekmeister.com

 

 

 

 

Über die Autoren

Derek und Marion Meister haben sich während ihres Studiums an der Filmhochschule Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg kennengelernt. Schnell haben sie ihre gemeinsame Liebe für Geschichten entdeckt und schreiben seit 2004 immer wieder gemeinsam Kinderbücher.

Inzwischen sind die beiden verheiratet, haben zwei Kinder und leben auf dem flachen Land in Niedersachsen, wo sie Hirsche, Hasen und Drachen zählen und spannende Geschichten schreiben.

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Inhaltsverzeichnis

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Für alle furchtlosen

Abenteurer

 

1

Seine Stiefel knallten laut auf den Steinfliesen. Er hatte vergessen, sie mit Segeltuch zu umwickeln, wie er es bei seinen letzten Besuchen im Kloster getan hatte. Sei’s drum, die Mönche würden ihn schon nicht hören. Unwirsch zupfte er die dunkle Kutte zurecht. Der Stoff war rau und kratzte. Aber es war gut, dass er diese Mönchskutte gestohlen hatte. Sollte er doch einem Mönch begegnen, verbarg die Kapuze sein Gesicht perfekt. Unter keinen Umständen durften sie ihn erkennen.

Leise betrat er die Zelle. So nannten die Mönche ihre Schlafräume, und tatsächlich erinnerte ihn die winzige, viereckige Kammer an eine Gefängniszelle. Es passten gerade mal ein einfaches Bett, ein Stuhl und ein kleiner Tisch, auf dem kaum Platz für ein Buch war, hinein. Die Wände waren aus Feldsteinen gemauert und unverputzt. Das Fenster war schmal wie eine Schießscharte. Es stand offen, kalter Wind wehte herein.

Er schloss die Tür hinter sich und begann, sich umzusehen. Viele Verstecke gab es hier nicht, sicher würde er schnell finden, was er suchte. Eilig spähte der Mann unters Bett. Nichts. Er zog die Strohkissen beiseite, klappte den ebenfalls mit Stroh gefüllten Sack hoch, der als Matratze diente. Aber auch hier war nichts versteckt. Schließlich drehte er noch Stuhl und Tisch um. Kein doppelter Boden, kein Geheimfach. Grübelnd stand er da und strich sich eine Locke seines schwarzen Haares aus der Stirn.

Wo hatte der Mönch sie nur …?

Sein Blick glitt über die Wände. Da kam ihm eine Idee. Die Steine! Sofort machte er sich daran, sie abzuklopfen. Als er gegenüber dem Bett angelangt war, hörte er das Trappeln von Sandalen auf dem Hof. Mönche! Sie kehrten vom Essen zurück.

Hektisch schlug er gegen die nächsten Steine, und endlich bemerkte er, dass einer von ihnen locker saß. Er ließ sich aus der Wand ziehen.

Staubige Luft wehte ihm entgegen. Sie roch nach Tinte, Papier und altem Holz. In der Öffnung hinter dem losen Stein lag ein Bündel Papiere. Er griff danach um es herauszuziehen, aber es passte nicht durch die schmale Öffnung. Das Bündel war zu dick.

Draußen wurden die Schritte lauter. Sicher waren die Mönche bereits im Flur vor den Schlafzellen. Fluchend griff er sich nur ein paar Seiten und stopfte sie in den weiten Ärmel seiner Kutte. Praktisch war diese Verkleidung in der Tat.

Stimmen ertönten. Jeden Moment würde der Mönch hereinkommen. Er musste weg. Schnell. Hastig steckte der Mann den Stein wieder ins Loch, zog die Kapuze tief ins Gesicht und eilte auf den Gang hinaus. Er hatte die Zellentür gerade hinter sich zugezogen, als drei Mönche um die Flurecke bogen. Unauffällig sah er zur Seite und nahm all seinen Mut zusammen. Sein Herz raste. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, huschte er an den Mönchen vorbei, nickte sogar freundlich.

Sie erkannten ihn nicht. Sie hielten ihn für einen der ihren.

Vereister Drachenatem! Das war knapp gewesen! Doch es blieb keine Zeit zu verschnaufen, er raffte seine Kutte hoch und eilte geduckt ins Freie und den Kreuzgang hinunter. Das Papierbündel hielt er fest vor die Brust gedrückt.

Sein Herzschlag beruhigte sich erst wieder, nachdem er zu den Felsen gelaufen und die Stufen erklommen hatte, die sich die Steilwand hinaufzogen. Hinter einem Bergkamm wartete sein Windschiff.

Geschafft! Jetzt war es nur noch ein Kinderspiel, und er würde bald den Schlüssel in Händen halten. Ein Kinderspiel. Er kicherte in sich hinein. Kinderspiel.

2

Mit einem lauten Poltern fegte Yu die Holzstufen hinunter, sodass ihr selbst geschmiedeter Reithelm, den sie an den Rucksack gebunden hatte, bei jedem Schritt hüpfte, als freue er sich schon, wieder auf den Drachenhof zu fahren. Endlich Wochenende!

Yu sprang die letzten Stufen in den Flur hinunter. Hart und dröhnend krachten ihre Reitstiefel auf den Dielenboden. Knarzende Drachenschuppe, dachte sie. Das ist laut gewesen. Hoffentlich hat Sören mich nicht gehört und ist aufgewacht.

Sie lauschte mit angehaltenem Atem, hörte dann jedoch die Schläge eines Hammers auf dem Amboss. Ihr Vater war bereits auf den Beinen und in der Schmiede – und das, obwohl es Samstag war. Stimmt, dachte Yu, Sören hatte ja vom Drachenritter-Orden einen Eilauftrag für ein paar Paradelanzen erhalten. Durch den Flur drang das Keuchen des großen Blasebalgs, mit dem ihr Vater die Esse anfeuerte.

Das Wohnhaus war direkt an die Schmiede gebaut worden. So heizte die große Esse die Wohnräume gleich mit, und der Geruch nach Eisen und Funken vermischte sich in der Küche mit dem Aroma von Gebratenem. Yu liebte diesen Duft. Sie richtete sich auf und grinste schelmisch. Sören hatte sie nicht gehört, also würde er auch nicht schimpfen, dass sie wieder einmal von der Treppe gesprungen war. Sollte sie zu ihm? Och nö, dachte sie. Dann belehrt er mich nur, was ich auf Drachenhof Feuerfels zu tun und zu lassen habe. Ich sollte lieber schnell los. Lilja und Rosabella warten bestimmt schon am Brunnen auf dem Marktplatz auf mich.

„Bin weg“, rief sie fröhlich durch die halbgeöffnete Tür in die Schmiede.

Yus Vater, ein stämmiger Mann mit Lachfalten um die Augen, sah kurz auf. Sein Gesicht war rußgeschwärzt, ebenso wie die schwere Lederschürze, die er zum Schutz vor Funken beim Schmieden trug. Seine schulterlangen, rotblonden Haare umrahmten sein Gesicht wie ein Flammenkranz.

„Viel Spaß. Grüß mir Lilja und Rosabella. Und Fexx.“ Er winkte ihr kurz und drückte dann mit all seinem Gewicht den großen Blasebalg nieder. Die Flammen in der Esse loderten durch den Luftstoß hell auf.

„Mach ich“, rief Yu im Laufen. Sie zog die Haustür auf und blieb kurz stehen, um die kalte, klare Herbstluft zu atmen. Die noch tief stehende Sonne leckte zarten Raureif vom Kopfsteinpflaster der Gasse, ein paar Wolken kündigten den ersten Schnee des Jahres an. Gut, dass sie ihre wattierte Reitjacke eingepackt hatte.

„Und komm Sonntag nicht wieder so spät!“, hörte Yu ihren Vater von drinnen rufen. Nö, dachte Yu, bin schon weg. Das habe ich blöderweise nicht mehr gehört. Pünktlich nach Hause kommen – ihr Vater hatte gut reden. Es fiel ihr immer so schwer, sich von Fexx zu verabschieden. Und außerdem waren die Wochenenden einfach viel zu kurz.

Als sie am Briefkasten vorbeiging, flatterte ein schwarzer Vogel auf. Yu erschrak, als der Vogel davon stob. Er war so klein und flink, dass sie kaum mehr als einen schwarzen Punkt im weißlichen Himmel erkennen konnte. Sie schirmte ihre Augen vor der Sonne ab und versuchte, seine Flugbahn zu verfolgen. War es überhaupt ein Vogel gewesen? Sie konnte es nicht sagen.

Ihr Blick fiel auf den Briefkasten. Hatte der kleine Kerl dort ein Nest zum Überwintern gebaut? Sie spähte in den schmalen Eisenkasten, den Sören vor vielen Jahren selbst gelötet hatte. Er war schief und irgendwie verdreht. Das Muster, das Sören hineingeritzt hatte, war bereits rostig.

Zu Yus Überraschung steckte ein Brief in der Eisenröhre. So früh? Der Kurier kam samstags doch immer erst gegen Mittag, weil er auf dem Markt mit Frau Kleemilch stundenlang den Tratsch der ganzen Woche austauschte. Yu holte den Brief heraus und las die Adresse: Fräulein Yu Rothschild. Sonst nichts. Keine Straße, kein Ort. Der Brief trug nicht einmal ein Stempel … Seltsam …

Sie wendete den Brief, um den Absender zu lesen – und ihr Herzschlag setzte aus.

Die Zeit blieb stehen. Die Welt verstummte.

Der Rucksack rutschte ihr von der Schulter, und der Helm schepperte laut, als er auf dem Kopfsteinpflaster der Gasse aufschlug.

Zitternd griff Yu nach dem Amulett, das sie stets um den Hals trug, und starrte auf die fein geschwungene Handschrift des Briefs.

Ariadne.

Hatte Yus Herz vor Schreck und Überraschung stillgestanden, begann es nun umso aufgeregter zu hämmern.

Ariadne. Nur dieser eine Name stand dort geschrieben.

Der Name ihrer Mutter.

Ohne an Fexx oder die Verabredung mit Rosabella und Lilja am Brunnen zu denken, schnappte sie sich den Rucksack und rannte zurück ins Haus. Ariadne, ihre Mutter, war vor vielen Jahren gestorben … Wie konnte sie ihr dann einen Brief …?

Aufregung und Angst schnürten Yu die Kehle zu. Dennoch raste sie die Treppe hinauf in ihr Zimmer und plumpste vor ihrem Bett auf die Knie.

„Yu?“, rief ihr Vater von unten. „Ist was passiert?“

„Nein!“, schrie Yu zurück. Ihre Stimme überschlug sich fast, so zitterte sie. „Nur was vergessen“, log sie. Der Länge nach warf sie sich auf den Boden und schob sich halb unters Bett. Sie zog einen alten Socken hervor, in dem ein Loch am großen Zeh klaffte. Achtlos schmiss sie ihn hinter sich und tastete zwischen den Wollmäusen und ihrem Spielzeug herum. Hier war irgendwo … Ein alter Gummidrache mit gebrochenem Flügel. Zwei Brummkiesel … Endlich bekamen ihre Finger die Schatulle zu fassen. Hastig zog sie sie hervor und wischte den Staub vom Deckel.

Ariadne. Die schöne Handschrift leuchtete ihr vom Briefumschlag regelrecht entgegen. Tiefschwarz stand die Tintenschrift auf dem leicht vergilbten Papier. Bestimmt war es nur ein Scherz. Wahrscheinlich wollte Jaromir sie ärgern. Der Anführer der Roten Kralle, die im Köhler Wald ein Baumhaus hatte, war berüchtigt für seine Streiche. Mit seinen Kumpeln wischte Jaromir Yu und ihren Freundinnen gern mal eins aus. Natürlich, dachte Yu. Sicher ist es Jaromir. Er klaut sich eine dicke Feder und schreibt den Namen meiner Mutter auf den Umschlag. Sicherlich stand nur ein dummer Spruch in dem Brief.

Yu holte Luft und klappte die Schatulle auf. In ihr lagen mehrere dünne Notizbücher, die in rotes Fischleder gebunden waren. Vorsichtig schlug sie eines von ihnen auf. Eine geschwungene Handschrift zierte die Seiten, fein und zierlich, dennoch kraftvoll. Es waren alte Aufzeichnungen ihrer Mutter, die sie vor Jahren auf dem Dachboden gefunden hatte. Sie hatte sich vorgenommen sie einmal ganz zu lesen, aber es war mühsam, Ariadnes Schrift zu entziffern, und das meiste waren archäologische Abhandlungen. Yu hatte es immer aufgeschoben, sie gründlich durchzugehen. Vielleicht auch, weil das Lesen in Ariadnes alten Aufzeichnungen sie jedes Mal traurig machte. Nun legte sie den Brief neben das Notizbuch und verglich die Schrift.

Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Das war kein Scherz von Jaromir!

Die Schrift war dieselbe. Kein Zweifel.

„Yu?“ Sören war bereits auf der Treppe. Seine schweren Schritte kamen näher. „Kann ich dir helfen?“

Benommen starrte Yu auf den Brief, nicht wissend, was sie denken und unsicher, ob sie ihn wirklich öffnen sollte. Plötzlich löste Yu sich aus ihrer Starre, hechtete zu ihrem Rucksack und stopfte die Schatulle und den Brief hinein. Sie schulterte ihn gerade, als Sören ihr Dachzimmer betrat.

„Yu? Was ist denn los? … Du siehst ja aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.“ Er lachte. „Wolltest du nicht längst los?“

Yu sah ihn fassungslos an. „Ich –“, setzte sie an, wusste aber nicht, was sie sagen sollte.

„Geht es dir nicht gut?“ Besorgt kam Sören auf sie zu. „Bist du krank?“ Er wollte ihre Stirn fühlen, doch Yu tauchte unter seiner Hand weg.

„Alles in Ordnung. Hatte nur die Jacke vergessen. Wird kalt.“ Sie schnappte sich ihre Lederjacke und gab Sören einen flüchtigen Kuss auf die Wange. „Ich bin schon weg! Mach dir keine Sorgen.“

Ohne sich umzudrehen, rannte Yu die Treppe herunter und hinaus auf die Gasse. Sörens nachdenklichen Blick, den er ihr nachwarf, konnte sie geradezu spüren.

3

Endlich erreichten die drei Mädchen die Startwiese, die vor Drachenhof Feuerfels lag, und folgten dem schmalen Sandweg, der zum Eingangstor führte.

Der Hof lag am Ende der Dragaard Schlucht und war direkt an die Felsen der Roten Berge gebaut. Einstmals hatte dort eine mächtige Burg gestanden, doch sie war längst zerfallen und vergessen worden. Nanthian und Leopoldina hatten die Ruine für einen Spottpreis gekauft und vor einigen Jahren den Drachenhof Feuerfels eröffnet.

Kinder aus dem ganzen Tal kamen für die Ferien zum Drachenreiten auf den Hof, oder hatten wie die drei Freundinnen Yu, Lilja und Rosabella ihre Reitdrachen hier in einer der Höhlen untergestellt. Die drei verbrachten jede freie Minute bei ihren Drachen Fexx, Gefion und Ping-Ping. Und meist liefen sie fröhlich lachend und schwatzend den kurzen Weg von Grinfjörd hinauf zum Hof.

Doch heute war alles anders.

Yu war still und antwortete nicht auf die besorgten Fragen, was mit ihr los sei. Obwohl Lilja und Rosabella sie den ganzen Weg von Grinfjörd herauf löcherten. Was hätte Yu ihren Freundinnen auch sagen sollen, sie wusste doch selbst nicht, was der Brief bedeutete.

Sie hatte ihn mittlerweile in die Tasche ihres Wamses gesteckt. Hier konnte sie ihn besser spüren und wusste, dass er da war.

Die drei traten durch das Eingangstor. Geruch von frischgebackenen Snöbs wehte ihnen durch die kalte Herbstluft entgegen. Alle Schornsteine rauchten, satte weiße Wolken schwebten in den Himmel. Wie eine kuschelige Decke, in die man sich gern einmummelt, so lag der Drachenhof unter dem stahlblauen, kalten Herbsthimmel. Einladend und gemütlich.

„Hmmmm.“ Lilja schnupperte. „Das sind Blaubeer-snöbs.“

„Wie wär’s, wollen wir zuerst zu Leopoldina? Sie gibt uns bestimmt ein paar der Küchlein, und dann gehen wir zu den Drachen.“Aufmunternd stupste Rosabella Yu an. Sie wusste, dass Yu zu Leopoldinas Snöbs nicht Nein sagen konnte.

Aber Yu hatte gar nicht zugehört. „Was? Äh, nein. Ich geh jetzt gleich zu Fexx. Ich komm’ später nach.“

Sprachlos sahen Rosabella und Lilja Yu an.

„Du bist krank, Yu. Oder?“, fragte Rosabella.

Sie wollte Yus Stirn fühlen, woraufhin Yu ihre Freundin unerwartet schroff anfuhr: „Warum denkt heute jeder, dass mit mir was nicht stimmt?“

„Bei allen Urdrachen, was ist dir denn über die Leber gelaufen?“ Rosabella wandte sich kopfschüttelnd zur Küche. „Brauchst mich ja nicht gleich anblaffen … Komm Lilja, wir gehen. Soll Yu an jemand anderem ihre schlechte Laune auslassen.“ Rosabella schlug ihren rosa Schal nach hinten und wollte noch etwas sagen, aber Yu war schon losgerannt.

Schnurstracks lief sie zur Felshöhle, in der Fexx untergebracht war. Der orangefarbene Wilddrache begrüßte seine Herrin mit einem innigen Drachenkuss. Er schleckte Yu quer über die Wange. Das brachte Yu immerhin ein wenig zum Lächeln.

„Nicht jetzt, Fexx. Ich muss dir was zeigen.“ Sie schob seine Schnauze weg und ließ sich neben ihn ins Stroh fallen.

Verwundert sah Fexx sie mit schief gelegtem Kopf an. Sonst griff Yu immer nach dem Zaumzeug und konnte es ebenso wie Fexx kaum erwarten loszufliegen.

„Komm.“ Yu klopfte auf den Boden und sah Fexx auffordernd an. Im Stehen überragte er Yu um gut drei Köpfe.

Enttäuscht schnaubend ließ sich der Wilddrache ins Stroh sinken. Er ringelte sich regelrecht um Yu herum, die sich dankbar an seinen mächtigen Körper lehnte und ihm liebevoll über die Nüstern strich. Seine schweren Schuppen in ihrem Rücken zu spüren gab ihr das Gefühl, geschützt und geborgen zu sein.

Die riesigen Flügel schützend um Yu gelegt, schmiegte er sein Kinn auf die Vordertatzen und wartete gespannt, was Yu vorhatte.

„Der war heute im Briefkasten“, erklärte Yu und hielt ihm den vergilbten Briefumschlag vor die Schnauze. Neugierig schnüffelte Fexx daran und schnaubte.

„Der ist von Ariadne, meiner Mutter.“ Unschlüssig drehte Yu den Brief zwischen den Fingern. „Ob ich ihn öffnen soll?“

Erneut schnaubte Fexx und nickte mit dem Kopf. Yu musste lächeln.

„Ja, du hast recht. Ich werde erst wissen, was der Brief soll, wenn ich ihn lese.“ Vorsichtig begann sie, den zugeklebten Umschlag zu öffnen, doch sie musste mehrmals ansetzen, denn ihre Finger zitterten zu stark. Was hatte Ariadne ihr nur zu sagen. Jetzt, sieben Jahre nach ihrem Tod …

Langsam zog Yu das gefaltete Papier aus dem Umschlag. Es sah noch recht neu aus, war wohl durch den Umschlag die Jahre über gut geschützt gewesen.

„Bereit?“, fragte Yu Fexx und drückte sich fester an seine warmen Schuppen.

Unter dem beruhigenden Atem ihres Drachens und geborgen in seinen kräftigen Flügeln fand sie den Mut, den Brief zu entfalten. Was immer ihre Mutter ihr hinterlassen, weswegen auch immer der Brief keinen Stempel und weshalb er über sieben Jahre gebraucht hatte, um sie zu erreichen – bei Fexx konnte ihr nichts passieren.

Langsam zog sie die Seite auseinander. Es war kein Spruch von Jaromir darauf, ganz im Gegenteil. Eine feine und ebenmäßige Schrift füllte das Blatt beinahe restlos aus.

Meine liebe kleine Yu, stand in der ersten Zeile. Klein? Yu spähte auf das Datum. Tatsächlich. Der Brief war vor sieben Jahren geschrieben worden! Da war sie vier gewesen. Das Jahr, in dem ihre Mutter verschwand.

Ein Stich in ihrer Brust sagte ihr, dass sie gehofft hatte, der Brief wäre noch nicht so alt. Ja, insgeheim hatte sie gehofft, Ariadne habe ihn erst letzte Woche geschrieben und eigenhändig in den Briefkasten geworfen. Denn es gab keinen Stempel, und die Anschrift war unvollständig. Die Hoffnung war in ihr aufgekeimt, dass sich ihr Vater irrte, dass Ariadne gar nicht tot war. Seit sieben Jahren galt Ariadne als verschollen, und verschollen hieß ja nicht, dass man gleich tot ist. Die kleine Hoffnung, sie könne noch leben, hatte Yu die ganzen Jahre über gehabt. Immer wieder hatte sie wach gelegen und sich vorgestellt, Ariadne sei an einem wunderbaren Ort jenseits Irdefias oder in den weiten Tiefen des Spiegelsees und lebe dort. Irgendwo.

Doch dieser Brief war alt. Vermutlich hatte ihn Ariadne in dem Monat geschrieben, in dem sie verunglückte und für immer verschwand. Vielleicht war der Brief ebenso verschollen gewesen, wie seine Schreiberin.

Fexx stupste Yu an.

„Jaja, ich les’ ja schon“, meinte Yu und räusperte sich. Dann begann sie mit belegter Stimme Fexx vorzulesen.

 

Meine liebe kleine Yu,

nun bin ich schon einige Wochen bei den Mönchen, und die Lösung des Rätsels liegt greifbar vor mir. Ich spüre es. Es wird nicht mehr lange dauern, und ich werde die Spur des Goldenen Drachens gefunden haben. Ich freue mich schon, dich wiederzusehen, mein Schatz. Sicher werde ich in einigen Tagen Aurum verlassen und zu dir zurück nach Grinfjörd kommen. Pass bis dahin gut auf Sören auf, den alten Brummbären.

Alles Liebe, deine dich vermissende Mutter. Gib Sören einen Kuss von mir.

 

Yus Stimme versagte. Dicke Tränen standen ihr in den Augen. Fexx schien mit ihr zu fühlen, denn er rückte noch näher, breitete den Flügel etwas über sie, als wolle er sie zudecken und schleckte ihr die Wange.

„Warum ist sie nicht zurückgekommen, wie sie hier schreibt?“, schluchzte Yu und wischte sich die Nase mit dem Ärmel ihres Wamses ab. „Ich verstehe das nicht, Fexx.“ Ungehindert rollten Tränen über ihre Wangen. „Woher kommt der Brief? Warum jetzt? Wo ist meine Mutter?“ Sie vergrub ihr Gesicht in seiner Mähne. Es roch nach frisch geschlagenem Flintstein, und der Geruch beruhigte Yu etwas. Erneut nahm sie den Brief hoch. Unten, an den Rand des Blattes, hatte Ariadne noch etwas hingekritzelt. Anscheinend in Eile, denn die Schrift war ein wenig krakeliger.

PS: Komm mich doch mal besuchen, und bring den Schlüssel mit.

Verwundert las Yu die Zeile wieder und wieder. Besuchen? Was für ein Schlüssel? Sie drehte und wendete den Brief, sah noch mal in den Umschlag. Aber da war nichts. Keine weitere Erklärung.

„Das ist aber sehr seltsam. Bring den Schlüssel mit? Was für einen Schlüssel denn?“ Sie sah Fexx fragend an, und diesmal legte der junge Wilddrache den Kopf schief, als habe er sie genau verstanden.

 

„Da bist du ja endlich.“ Lilja öffnete eine Dose Sattelfett, um damit Gefions Reitsattel einzureiben. „Komm, lass uns eine Runde fliegen, ja?“

Zusammen mit Rosabella hatte sie sich im Hof vor die Stallungen gesetzt und säuberte ihr Zaumzeug.

Als sie zu Yu sah, erschrak Lilja. „Yu! Du hast ja geweint.“

„Ach was, is‘ nix.“ Trotzig zog Yu die Nase hoch und wischte sich die Augen. Es war ihr peinlich, dass Lilja und Rosabella sie so sahen. Rosabella, die mit einem weichen Lappen die Glitzersteine auf Ping-Pings rosa Zaumzeug polierte, sah Yu besorgt an. Yu setzte sich auf den Rand des Wassertrogs und versuchte, nicht mehr zu weinen.

„Hättest du wohl endlich die Güte, uns zu erklären, was los ist? Mensch Yu, ich mach mir wirklich Sorgen. Du bist schon den ganzen Morgen so seltsam.“ Rosabella setzte sich zu ihr und musterte sie.

Ein dicker Kloß steckte Yu im Hals. Zögernd zog sie den Brief aus der Tasche in ihrem Wams und hielt ihn Rosabella hin.

„Ein Brief?“ Rosabella klang überrascht. „Oh nein! Direktor Korbinian hat dich von der Schule geschmissen! Aber …“ Sie reichte Yu eines ihrer rosa Rüschentaschentücher. „Aber da würdest du wohl kaum weinen, richtig?“

„Es ist nicht das, was drin steht. Na ja, auch“, sagte Yu mit leiser Stimme. „Es ist viel mehr, wer ihn geschrieben hat.“

Lilja hatte Gefions Sattel zur Seite gelegt und war zu den Freundinnen getreten. „Darf ich mal sehen?“

Nachdem Lilja den Brief geöffnet und überflogen hatte, biss sie sich auf die Lippen. „Ach du heiliges Drachenei, Yu“, stammelte sie.

„Ich hatte gedacht, also, als ich heute Morgen den Brief gefunden hab …“ Sie sah ihre Freundinnen an. „Für ein paar Augenblicke hab ich gedacht, es war alles ein Irrtum. Und meine Mutter würde noch leben, wisst ihr …“

„Wahrscheinlich wollte jemand nur nett sein. Er hat den Brief gefunden und bei dir eingeworfen“, meinte Rosabella, die von Lilja den Brief gereicht bekam.

„Hab ich auch schon gedacht. Aber wo kann er ihn denn nur gefunden haben?“ Etwas hilflos knüllte Yu das Taschentuch in ihrer Hand.

Grübelnd starrten die Mädchen auf das vergilbte Papier. Schließlich brach Lilja das Schweigen. „Wusstest du denn überhaupt, dass deine Mutter mal in einem Kloster war?“

Yu schüttelte den Kopf. „Nein. Ich hab keine Ahnung, was sie dort gemacht haben soll. Und ich weiß auch nich‘, was sie mit Schlüssel meint.“

Lilja und Rosabella tauschten einen Blick. „Was meinst du, Yu“, fragte Lilja schließlich und rückte ihre Brille zurecht. „Wollen wir rausfinden, wo dieses Kloster Aurum liegt?“

„Was? …“ Yus Augen begannen zu leuchten. „Ja! Und wenn es in der Nähe ist, dann … Vielleicht … Vielleicht können wir dann hinfliegen!“

„Wir finden bestimmt etwas in der Bibliothek der Alchemisten Akademie in Grinfjörd“, meinte Lilja. „Kommt!“ Entschlossen griff sie sich ihren Flugsattel und marschierte zu Gefions Box.

4

Tief atmete Yu den Geruch des Drachen ein und hielt die Nase in den kalten Wind. Ihren selbst geschmiedeten Helm mit den kleinen Drachenflügeln hatte sie sich weit in die Stirn gezogen und den Kragen der Jacke hochgeklappt. Der Flugwind trocknete die Letzte ihrer Tränen. Es tat gut mit Fexx durch die Lüfte zu fliegen.

Durch die Unterstützung von Lilja und Rosabella war die lähmende Hilflosigkeit von Yu abgefallen, und sie hoffte, in der Bibliothek der Akademie Antworten zu finden. Seufzend sah sie zu Rosabella und Lilja hinüber, die auf Ping-Ping und Gefion neben ihr herflogen. Yu war glücklich, dass die beiden ihre besten Freundinnen waren. Ohne sie hätte sie sich jetzt wohl sehr verloren gefühlt. Doch statt der Tränen freute Yu sich nun sogar darauf, mit ihren zwei Freundinnen das Rätsels des eigenartigen Briefs zu lösen. Und sobald ich etwas herausgefunden hab, dann rede ich auch mit Papa, dachte sie und klammerte sich fester an Fexx‘ Mähne.

---ENDE DER LESEPROBE---