Drachenhof Feuerfels - Band 6 - Marion Meister - E-Book

Drachenhof Feuerfels - Band 6 E-Book

Marion Meister

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Beschreibung

Schon als sich Yu, Lilja und Rosabella kennenlernen, wartet ein großes Abenteuer auf sie! Wie alles begann: Nebel steigt aus dem Spiegelsee auf und mit ihm erwacht eine alte Legende zum Leben. Treibt ein unheimlicher Geisterpirat im Grinfjördtal sein Unwesen? Als der Geist ausgerechnet den Pokal für das berühmte Drachenrennen klaut, zögert Yu keine Sekunde! Gemeinsam mit Rosabella und der angehenden Alchemistin Lilja geht Yu auf die Jagd nach dem unheimlichen Schatten. Doch keine der drei Drachenreiterinnen hätte jemals für möglich gehalten, was sie erwartet ... Dies ist der 6. Band der 6-bändigen Drachenhof-Feuerfels-Reihe. Drachenhof Feuerfels ist eine magische Abenteuerreihe für alle, die Cornelia Funkes "Drachenreiter" oder "Drachenzähmen leichtgemacht" lieben. Presse "... liest sich wie eine Detektivgeschichte und ist spannend bis zur letzten Seite." GEOlino "Yu, Lilja, Rosabella - Abenteuer und Spannung pur." Lesen macht Spaß, Nr. 55 "Das Buch ist so spannend, dass ein langer Abend reicht, um es drachenmäßig zu verschlingen..." Treff - Wissensmagazin für Schüler "Pfiffig und humorvoll geschriebene Drachenbücher, die zum Schmökern verführen." HFK 28

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Drachenhof Feuerfels

Band 6

 

Wie alles

Begann

 

 

Roman von

Marion und Derek Meister

 

 

 

– Digitale Originalausgabe –

als überarbeitete Ausgabe

- 2023 -

 

 

 

 

 

Copyright © 2023 by Derek Meister und Marion Meister

Umschlaggestaltung und Innenillustrationen von Marion Meister

 

v1. 16022023

 

 

 

Impressum

StoryTown – Derek Meister & Marion Meister GbR

Ackerrain 79

30938 Burgwedel

 

 

Besuchen Sie StoryTown unter

www.Storytown.info

 

Wir freuen uns immer auf Feedback

[email protected]

 

Marion Meister – www.marionmeister.info

Derek Meister – www.derekmeister.com

 

 

 

 

Über die Autoren

Derek und Marion Meister haben sich während ihres Studiums an der Filmhochschule Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg kennengelernt. Schnell haben sie ihre gemeinsame Liebe für Geschichten entdeckt und schreiben seit 2004 immer wieder gemeinsam Kinderbücher.

Inzwischen sind die beiden verheiratet, haben zwei Kinder und leben auf dem flachen Land in Niedersachsen, wo sie Hirsche, Hasen und Drachen zählen und spannende Geschichten schreiben.

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Inhaltsverzeichnis

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1

2

 

 

 

 

 

Für meine Eltern

 

Vielen Dank

für die wunderbaren Reisen,

ohne die Yus Welt

wohl nicht dieselbe wäre.

 

Marion

 

1

Die vier Drachen schnaubten aufgeregt.

Sie witterten die Gefahr.

Der größte und älteste von ihnen, ein stattlicher Steinländer, wagte sich an das Tor des Stalls. Es war geschlossen, doch er schnupperte und blies nervös Rauchwölkchen aus seinen Nüstern, als wüsste er, was dort draußen, am Ufer des Spiegelsees, vor sich ging.

Über dem Wasser zog sich immer dichter der Nebel zusammen. Geräuschlos kroch er auf das Land zu, tastete sich mit seinen tausend Fingern ans Ufer.

Lautlos schwebte er landeinwärts auf den Bauernhof zu, der dicht an den Ufern des Spiegelsees erbaut worden war. Ein windschiefes Gehöft mit Schuppen und Stall und einem Wohnhaus mit breiter Veranda. Hof Hiller stand in bunten Farben auf dem hölzernen Namensschild, das an einer Kette vom Briefkasten baumelte.

Der Nebel umhüllte das Schild und verschluckte es mit seinem Dunst.

Ein Schatten huschte vorbei. Seine Umrisse waren nur schwer zu erahnen. War es ein Mann? Eine Gestalt mit langem Umhang und einem Säbel?

Der Steinländer knurrte und mahlte vor Angst mit den Zähnen. Er hatte die Flügel angelegt und ließ aufgeregt seinen Schwanz durch den Stall peitschen. Draußen kroch der Nebel auf das Wohnhaus der Hillers zu und erklomm die Veranda.

Er schlüpfte durchs Schlüsselloch der Haustür, zwängte sich durch jede Ritze der Tür und flutete langsam den Flur. Ungeduldig wogte er draußen die Veranda entlang und fand die breite Tür zum Wohnzimmer nur angelehnt. Spielend eroberte er das Zimmer, hüllte Schränke und Tische ein, schlich sich an die Vitrine heran.

Im Stall drängten sich die anderen Drachen dicht an den Steinländer. Alle hielten die Ohren gespitzt.

Er war da.

Sie konnten ihn riechen.

Doch sie wagten nicht, ihre Herren zu warnen, dass dort etwas war. In ihrem Hof. In ihrem Haus.

 

„Hast du das gehört?“ Frau Hiller, eine füllige Bäuerin mit Holzlockenwicklern im Haar, schreckte in ihrem Bett auf und lauschte. „Hendrik!“, wandte sie sich an ihren schnarchenden Mann.

Eigentlich war nichts zu hören. Nur Hendriks hartnäckiges Schnarchen.

Aber etwas hatte sie aufgeweckt.

Und es waren nicht ihre Drachen gewesen, die, sicher müde von der Feldarbeit, friedlich in ihrem Stall schliefen.

„Wach auf! Hendrik!“ Sie rüttelte ihren Mann am Bauch.

„Was …?“ Schmatzend und schlaftrunken wachte Herr Hiller auf und streifte sich die Schlafmaske von den Augen. „Was ist denn los, Waltraud? Bei Frigor! Es ist mitten in der Nacht.“

„Schhhhhhht! Ich hab’ etwas gehört“, zischte Waltraud.

„Was hast du denn gehört? Den Wind und den See?“

Er wollte sich auf die Seite drehen, doch seine Frau packte ihn. „Nein. Es war ein metallisches Geräusch!“

Die beiden horchten in die Stille.

Da! Im Wohnzimmer knarzten Dielenbretter.

Sofort war Herr Hiller hellwach, warf die Augenmaske beiseite und rückte seine Schlafmütze zurecht. Entschlossen stand er auf. „Ich seh nach“, knurrte er.

Er nahm den Kienspan, der neben dem Bett an der Wand in einer Halterung steckte und noch spärlich vor sich hinglomm. Mit seiner Glut entfachte er eine Tranlampe. Ihr Licht drang trübe und bernsteinfarben durch das rußige Glas.

Mutig hielt er sie vor sich, während er die Treppe hinabstieg. Waltraud wollte ihren Mann nicht alleine gehenlassen und eilte ihm unsicher nach.

Gemeinsam schlichen sie Stufe um Stufe die Treppe zum Wohnzimmer hinunter.

Waltraud warf ihrem Mann einen besorgten Blick zu, bevor der sich ein Herz nahm und durch die Wohnzimmertür trat.

Das Wohnzimmer war leer.

Noch vor wenigen Minuten hätte Nebel um ihre Knöchel geleckt, doch nun waberten nur noch wenige Schwaden in der Luft. Alles sah wie immer aus.

„Du hast die Tür zur Veranda nicht ordentlich geschlossen!“ Verärgert schritt Herr Hiller zu der Tür, die weit offen stand.

„Warte!“, sagte Waltraud, doch er wollte nicht hören und stapfte einfach weiter.

Da fiel Waltrauds Blick auf den Glasschrank. Seine Scheibe war eingeschlagen worden. „Hendrik! Großmutters Harnisch! Er ist fort!“

Mitten auf dem Weg zur Tür hielt Herr Hiller plötzlich inne und rief ebenfalls erschrocken aus: „Waltraud! Der Boden! Er glänzt!“ Verdattert schwenkte er die Tranlampe und musterte die Holzdielen …

Das Licht spiegelte sich auf ihnen.

Nein … Das waren nicht die Dielen, begriff Frau Hiller.

Das war … Wasser! Ihr Mann stand in einer Wasserpfütze!

Es war so viel Wasser, dass es bis unter den Tisch und den Ohrensessel gelaufen war.

Erschrocken unterdrückte Frau Hiller einen Schrei.

Sie wusste, wer bei ihnen eingebrochen hatte, und es ängstigte sie bis ins Mark.

2

Es war früh am Morgen, und die Sonne über der kleinen Stadt Grinfjörd war noch nicht aufgegangen. Nur aus wenigen Schornsteinen wehte Rauch. Die Fachwerkhäuser mit ihren roten Schindeln, die hohen Backsteintürme, der Marktplatz und die befestigte Stadtmauer lagen friedlich da.

Yu Rothschild stand schwungvoll auf und trat einen ihrer Spielzeug-Funkendrachen platt.

„Autsch! Verflixte Feuerkralle!“, motzte sie und hüpfte durch ihr Zimmer. Die Kammer unter dem Dach war ein einziges Chaos. Hier herrschten nur die Gesetze der Schwerkraft. Überall wo Yu ging, lag oder saß, ließ sie ihre Sachen auf den Boden plumpsen. Das Kleid, das sie von Oma zum Geburtstag per Windschiffpost bekommen hatte, ihre Lieblingsstiefel, die schon vollkommen ausgetreten waren, der Ledersäbel zum Üben, ein paar linke Socken – wo die rechten waren? … Sie hatte es vergessen.

Hektisch versuchte Yu, sich einen der Flügel vom nackten Fuß zu zupfen. Sie strauchelte, stolperte über die Bücher und Zeichnungen, die vor ihrem Bett lagen, erwischte mit dem Kopf einen Balken des Dachstuhls.

„Au! Verfluchte Drachenkralle!“ Drachenhefte segelten zu Boden. Die hübschen Kerzen, ihre Brummkiesel, die sie letzten Sommer im Tal nahe der Roten Berge gefunden hatte, Figürchen und Miniaturwappen verschiedener Ritterorden kullerten über die Bodendielen.

Sich den Kopf reibend musterte Yu das Durcheinander.

Ach was! Heute räum ich nicht auf! Ich habe echt keine Zeit für so was, sagte sie sich.

Schnell schlüpfte Yu in ihre liebsten Reitkleider, die im Gegensatz zum Durcheinander ordentlich gefaltet auf einem Stuhl lagen: die speckige Lederhose, das Wams und der schmale, geflochtene Gürtel. Ihren Rucksack hatte sie am Abend bereits fertig gepackt und neben die Tür gestellt. Flink zog sich Yu zwei linke und reichlich löchrige Socken über, legte sorgfältig das abgewetzte Lederwams an und befestigte am Gürtel ihr kleines Messer. Dann setzte sie sich auf die Bettkante und schlüpfte in ihre schweren Stiefel.

Zu guter Letzt legte sie sich ihr Amulett um, das ihre Mutter Ariadne ihr vermacht hatte.

Einen Moment sah sie sich den feinen, verzierten Kranz aus Silber an. Er umfasste einen wunderschönen, mandelförmigen Stein, der von rubinrot bis tiefblau schimmerte. Das Morgenlicht fing sich in ihm und wurde geheimnisvoll zurückgeworfen.

Zufrieden schob sie das Amulett unter ihr Wams. Nun fehlten nur noch die Reithandschuhe, die ihr Vater ihr vor drei Wochen vom Lederer Wenke mitgebracht hatte.

Verflixt! Die müssen doch hier irgendwo sein …?! Yu kramte in ihren Sachen, bis es ihr siedendheiß einfiel. Na klar! Unten in Vaters Werkstatt.

Polternd fegte sie die Stiege hinunter, die schweren Reitstiefel knallten laut auf den Holzstufen.

Yu stürmte an der Küche vorbei in die Schmiede, die den Hauptteil des Erdgeschosses einnahm. Die aufgehende Sonne ließ ihr erstes Licht durch die Fenster scheinen und gab der Werkstatt einen wohligen, goldenen Glanz. Speichenräder aus Eisen lehnten neben dem Eingang, der zur Kopfsteinstraße hinausführte. Zangen und Hämmer in jeglicher Form hingen aufgereiht an einem Balken. Auf der Werkbank stapelten sich Kisten mit Nägeln von unterschiedlicher Länge und Dicke, für Türen, Balken und Gondeln.

In der Esse schwelte noch Glut. Der Geruch von Asche, von Metall und Feuer umfing Yu. Sie liebte diesen strengen Duft. Oft saß sie stundenlang bei ihrem Vater in der Schmiede, sah ihm zu und half, wenn sie konnte. Die rhythmischen Schläge des Hammers auf das glühende Eisen und den Amboss waren für sie beruhigend. Hier in der Werkstatt fühlte sie sich zu Hause. Ihr Vater war der beste Schmied im Ort, wahrscheinlich sogar der beste im gesamten Grinfjördtal.

Gestern hatte sie mit seiner Hilfe ihrem neuen Reithelm den letzten Schliff gegeben und kleine Drachenflügel angelötet. Danach hatten sie gemeinsam ihr Fahrrad repariert und die Lenkstange geschweißt. Es war schlicht. Der Sattel aus Holz und der Rahmen, ja selbst die Räder aus grün lackiertem Metall.

Sie schob es beiseite und kramte einige Pergamentrollen mit Skizzen von der Werkbank, die sie für ihr Rad angefertigt hatte, aber auch hier fand sie keine Handschuhe.

Grübelnd rieb Yu sich das Kinn.

Beim Schweißen hatte sie sie noch getragen und … Natürlich!

Sie lagen auf dem Amboss. Das Leder der robusten Handschuhe, die bis zum Ellenbogen reichten, war an vielen Stellen vom Funkenregen verbrannt. Auch wenn Yu erst zwölf Jahre alt war, stand sie bereits selbst am Amboss und ließ den schweren Hammer auf glühendes Eisen niedersausen. Schon mit acht hatte sie ihr erstes Stück geschmiedet: Ein kleines, sehr scharfes Messer, das sie stets am Gürtel trug.

Flugs steckte sie die Lederhandschuhe ein.

Erneut rannte sie los und wollte die Stiege hinauf, um ihren Rucksack zu holen, als eine große Hand sie festhielt.

„Yusmay-Henriette-Gerlinde! Mit deinem Gepolter weckst du ja schlafende Drachen. Was zur vereisten Feuerkelle machst du schon so früh hier unten?“

„Oh … Äh … Morgen, Papa. Ich habe meine Handschuhe gesucht.“ Wenn Papa sie bei ihrem vollen Namen nannte, war er sauer. Da war Vorsicht geboten.

Grummelnd sah Yus Vater sie einen Moment lang an. Sören Rothschild war ein stämmiger Mann mit dicken, muskulösen Armen. Er konnte ganze Baumstämme werfen, so stark war er. Heute Morgen war er jedoch selbst zum Schimpfen zu müde.

„Na ja, jetzt hast du sie ja gefunden.“ Er gähnte laut. „Wenn wir schon wach sind, dann gibt’s auch Frühstück. Aber in Gottes Namen: Sei leise!“ Der Bommel seiner Zipfelmütze, die er immer zum Schlafen trug, kitzelte ihn an der Nase. Er schnippte ihn knurrig nach hinten und schlurfte müde den schmalen Flur zur Küche hinunter. Sein langes Nachthemd schleifte auf dem Dielenboden. Sören liebte seine Arbeit als Schmied, aber noch mehr liebte er es, am Wochenende auszuschlafen.

„Wann kann ich los?“ Yu lief hinter ihm her. „Die Sonne ist schon aufgegangen!“ Wieder polterten ihre schweren Stiefel auf dem Holzboden.

„Herr Gott, Yu. Geht das denn nicht leiser? Es ist Samstagmorgen. Samstag! Du hast mich doch schon aufgeweckt! Willst du mich auch noch verrückt machen?“ Sören drückte sich in die Küche. „Du kannst ja gleich los … Und geh leeeeeeiiiiiise.“

Grummelnd versuchte Yu, ihm nur auf Zehenspitzen zu folgen, aber so zu gehen war viel zu lahm. „Ach, Papa. Für solchen Blödsinn habe ich jetzt keine Zeit. Ich muss endlich los zum Hof Feuerfels!“

„Gar nichts musst du. Noch nicht mal die Sonne ist hellwach.“ Er schlug mit einem Flammenstein Funken und entfachte ein Feuer. „Frühstücken. Das musst du.“

„Keinen Hunger“, sagte Yu schnell. „Absolut gar keinen Hunger.“

Ihr Vater antwortete nicht, sondern nahm unbeirrt eine Pfanne vom Herd, zog Eier und Speck aus dem Vorratsregal und kniete sich vor den gusseisernen Ofen, um Holz nachzulegen. „Ich lasse mein Mädchen nicht mit leerem Magen zum Drachenhof los. Das wäre ja noch schöner.“ Sören wuschelte Yu durch die kurz geschnittenen, struppigen Haare.

Sören sorgte allein für seine Tochter, denn Yus Mutter Ariadne war gestorben, als sie vier Jahre alt gewesen war. Einmal im Monat ging Yu auf dem Tölmannfelsen zum Grab ihrer Mutter. Hier hatte ihr Vater einen kleinen Schrein geschmiedet, in den Yu eine Kerze stellen konnte. Wie Yus Mutter gestorben war, darüber schwieg Sören beharrlich, und mit den Jahren hatte Yu gelernt, das Schweigen über Ariadnes Tod zu akzeptieren. Sie selbst konnte sich nur schwer an ihre Mutter erinnern, weil sie so jung gewesen war, als sie starb.

„Du bist der beste Papa, den’s gibt!“, stellte Yu lächelnd fest.

Ihr Vater lachte. „Na sicher bin ich der Beste.“ Er schlug sechs Eier auf und ließ sie zum Speck in die Pfanne gleiten. „Vor allem, weil wir dieses Jahr endlich genügend Geld haben, dass du auf Hof Feuerfels kannst.“

„Also kann ich? Na, dann tschüss!“ Yu sprang auf. „Ich … Ich kann ja auf dem Drachenhof was essen!“ Und schon flitzte sie los, polternd und so laut, dass ihre Stiefel Sören die Ohren klingeln ließen.

„Yu! Verflixt!“, brüllte er ihr nach und zog sich brummelnd die Mütze über die Ohren. „Ruhe!“

 

Als Yu mit ihrem Fahrrad das Kopfsteinpflaster hinab sauste und auf den Marktplatz schoss, hatten die meisten Marktfrauen ihre Stände bereits aufgebaut. Eine Händlerin lud gerade von ihren Drachen Waren ab. Es roch nach frischem Brot, geräuchertem Schinken und Ziegenkäse. Zwei Marktschreier riefen gegeneinander um die Wette. Brüllend pries der eine seinen Fisch, der andere seine Wurst an. Der Platz in der Mitte Grinfjörds war Treffpunkt für Händler aus dem ganzen Tal. Mittags würde man kaum mehr einen Fuß auf den Boden des Marktplatzes setzen können. So wie jeden Samstag.

Doch so früh am Morgen kauften nur wenige Hausfrauen und Mägde mit ihren Lastdrachen ein. Yu bemerkte einen Steinländer und eine Yef-Drachin mit hellgemusterten Schuppen und verwachsenem Hals. Die beiden trugen auf ihren Rückenpanzern geflochtene Körbe für Obst und Gemüse.

Geschickt sauste Yu im Slalom zwischen den beiden Drachen, den Buden und den Händlern hindurch. Eine Hand zum Gepäckträger gestreckt, um ihren Rucksack festzuhalten, die andere fest am Lenker.

Sie radelte in halsbrecherischem Tempo an den Ständen entlang, am Brunnen und dem hohen Turm für die Windschiffe vorbei.

Gerade landete ein großes Schiff. Es schwebte über dem Marktplatz und ragte mit seinem mächtigen Rumpf aus hauchdünnem Fischleder weit über die Häuser rundherum und verdeckte die Morgensonne. Das Windschiff brachte sicher Händler von jenseits der Berge nach Grinfjörd und jede Menge Touristen. In den Ferien kamen besonders viele Urlauber, um einen Ausflug an den Spiegelsee zu machen und ein paar Tage in Grinfjörd an den Roten Bergen zu bleiben.

Yu bremste kurz ab und sah zu, wie die Schiffsjungen ein schweres Tau zu den beiden Schaffnern auf dem Turm hinabwarfen. Die Schaffner schlangen es um eine Winde und kurbelten, bis die Kabine des Windschiffs neben der Ausstiegsplattform schwebte.

Der Duft von frischen Pflaumenknödeln stieg Yu in die Nase. Ihr Lieblingsessen. Sie schloss die Augen und sog den Geruch ein und radelte genießerisch am Stand von Bäcker Trute vorbei.

„He, Yu! Pass doch auf!“

Yu riss den Lenker herum. Beinahe hätte sie Frau Kleemilch umgefahren, die vor einer der Buden stand. Die dicke Frau Kleemilch konnte sich gerade noch mit einem Sprung retten.

„Entschuldigung. Die Ferien haben angefangen“, rief Yu, als wäre ihre Antwort tatsächlich eine Entschuldigung. Frau Kleemilch stellte lachend einen Korb Eier zu den Rüben und Kandiswurzeln, die vor dem Verkaufsstand ausgestellt waren, und rief Yu nach: „Na, dann viel Spaß und pass auf, wo du hinfliegst.“

Yu winkte ihr zu und trat schneller in die Pedale. Natürlich würde sie aufpassen, wo sie hinflog.

Die Straße führte eine Senke hinab, und Yu gewann auf dem holprigen Kopfsteinpflaster an Fahrt. Beinahe wäre ihr Rucksack vom Gepäckträger geflogen. Sie raste am windschiefen Gemeindehaus und dem turmbewehrten Sitz des Ritterordens vorbei. Zu gerne hätte sie einen Blick in den Innenhof und auf die Stallungen des Ordens geworfen, aber wie immer waren die großen Holztore geschlossen. Hinter der Mauer erhob sich das mehrstöckige Fachwerkhaus des Ritterordens, und dahinter wölbte sich eine riesige Kuppel in den Himmel. Sie war gewaltig und überspannte den Übungsplatz der Ritter. Sehnlichst wünschte Yu sich, einmal die Ritter zu beobachten, aber die Kuppel ließ keine neugierigen Blicke zu.

Alberne Geheimnistuerei, dachte sie und schoss durch das Nordtor.

Im Norden wurde Grinfjörd vom Fluss Fjodar begrenzt, über den eine Holzbrücke führte. Wenige Meter hinter der Brücke gabelte sich der sandige Weg. Linksherum ging es zum Spiegelsee, und rechts schlängelte sich der Pfad das Tal hinauf zu den Roten Bergen. Ein kurzes Stück am Wald entlang und Yu gelangte direkt zu Hof Feuerfels, der am Fuße der Berge lag.

Der Gedanke an den Hof ließ sie noch wilder in die Pedale treten. In den vergangenen Jahren hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als ein paar Tage auf dem Hof verbringen zu dürfen. Doch ihr Vater hatte nie genug Geld gehabt. Deshalb hatte Yu dieses Jahr in der Schmiede mitgeholfen. Sie war ihrem Vater zur Hand gegangen, hatte für Frau Kleemilch mit deren Drachen Botenflüge erledigt und die letzten Wochen Bäcker Trute im Laden geholfen. Sie hatte sich die Ferien auf dem Drachenhof wirklich verdient. Und jetzt konnte sie nichts mehr aufhalten.

Summend radelte sie den Waldrand entlang. Ihr eiserner Reithelm, den sie an den Rucksack gebunden hatte, schepperte bei jedem Stein. Plötzlich streifte sie etwas am Arm. Misstrauisch sah sie sich um. Sie war alleine auf dem Weg. Vielleicht hatte sie es sich nur eingebildet. Doch kaum war sie ein Stück weiter gefahren, als sie erneut etwas an der Schulter berührte.

Sie hielt an und lauschte angespannt in den Wald.

Die Stämme knackten und knirschten. Da war ein Schatten im Unterholz und … War da jemand?

Nein, es war nur der Wind, der Äste bewegte. Ein Rauschen erfasste die Bäume, aber es war niemand hier.

Da traf sie etwas im Nacken.

Erschrocken fuhr sie herum. Doch der Weg hinter ihr war menschenleer.

Yu schluckte. Ab und zu trieben sich hier Räuber herum, und Frau Kleemilch wusste die schrecklichsten Dinge über den Wald zu erzählen.

Sollte sie schneller fahren? Yu band ihren Helm los und setzte ihn auf. Vorsichtig fuhr sie weiter. Nur das Knirschen des Sandes unter den Rädern und das Wispern der Bäume war zu hören. Yu war keines von diesen feigen Mädchen aus ihrer Klasse. Wegrennen kam für sie nicht infrage. Aber, wenn es Räuber waren? … Kling! Etwas war gegen ihren Helm geprallt. Sofort bremste Yu scharf. Sie sprang vom Rad, ließ es einfach fallen und griff nach ihrem kleinen Messer. Irgendjemand schoss auf sie!

„Kommt raus ihr …“, rief sie in den Wald. „He! Wo seid ihr? Los, kommt!“

Schadenfrohes Lachen war die Antwort. Es schien aus dem Nichts zu kommen. Die Büsche bewegten sich sanft, ein paar Äste knarrten, aber Yu konnte noch immer keine Menschenseele entdecken. Dafür erkannte sie das Lachen – und ärgerte sich. Da hätte sie auch gleich drauf kommen können. Seufzend steckte sie das Messer zurück und sah nach oben.

„He, ihr Feiglinge. Kommt runter oder ich komm‘ hoch!“

Kiran, Kalle, der Stotterer Ville und Jaromir – die vier Jungen aus Grinfjörd – schwebten in einer wackligen Tretwindbarke über ihr und beschossen sie aus Blasrohren mit getrockneten Erbsen. Sie lachten sich kringelig.

„Selber feiges Huhn“, rief Kiran zu ihr runter. Er und Kalle, die pausbackigen Zwillinge, saßen festgeschnallt in einer Art Boot, das unter einem eierförmigen Ballon befestigt war. Die beiden traten eifrig in die Pedalen, während neben ihnen der große Ville und Jaromir in einer Gondel aus Metall und Leinenstoff saßen. Einige Riemen trieben über Zahnräder vier hüfthohe Windschrauben an, die am Rahmen der Barke festgeschraubt waren. Doch so sehr die Zwillinge auch strampelten, sie konnten die Windbarke nur schwankend in der Luft halten, weil Jaromir und Ville sie durch ihr Lachen zum Schaukeln brachten.

„Was ist das denn für’n alberner Kochtopf auf deinem Kopf?“ Jaromir gab den Zwillingen ein Zeichen zu landen. „Hat den etwa dein oller Vater für dich gestrickt?“

„Ich werd’ dir gleich was …“ Yu ballte die Fäuste. Dieser Jaromir machte sie immer wütend. Sie hatten schon zusammen gespielt, da hatte Yu das Wort Drache noch nicht mal richtig aussprechen können. Und anfangs, in der Schule, da waren sie die besten Freunde gewesen – aber seitdem er mit den Zwillingen und dem anderen Trottel Ville umherzog, war Jaromir unausstehlich geworden. Rote Kralle nannten sie sich und behaupteten, eine Bande zu sein. Eine Jungsbande, wie Kiran immer ausdrücklich betonte. Lächerlich.

Die Windbarke sackte durch und fiel den letzten halben Meter hinab auf den Weg. Durch den Aufprall purzelten die Jungs übereinander. Yu grinste, doch Jaromir fing sich rasch und sprang aus der Gondel. Er baute sich vor Yu auf, musterte sie keck und stemmte die Arme in die Hüften. Mit seinen Sommersprossen, den Stulpenstiefeln und dem langen, zerzausten Haar wirkte er älter, als er eigentlich war. Wie Yu war er letzten Herbst zwölf geworden.

„Hier gibt’s nichts zu lachen“, wetterte er. „Wohin willst du denn mit deinem Blechrad und der albernen Kostümierung?“

„Das sag ich dir bestimmt nicht.“ Yu hob ihr Fahrrad auf und bemerkte, dass der schöne drachengrüne Lack einen Kratzer abbekommen hatte. Sauer sah sie Jaromir an.

Der Junge musterte sie grinsend, anscheinend war ihm etwas eingefallen. „Feuerfels? Wie? Du willst tatsächlich zu diesem Weiberkram?“

„Feuerfels ist kein Weiberkram.“

„Ach so? … Nicht? Was macht ihr denn da? Lernen wie man rosa Bändchen in die Mähnen bindet?“

„Und Häkeln und Kochen lernen und so“, frotzelte Kalle und klatschte sich mit Kiran ab, der lachte. Die beiden kletterten auch aus der Windbarke und bauten sich neben Jaromir auf.

Yu streckte ihnen die Zunge raus.

„Hmm … Nee, Jungs“, sagte Jaromir schließlich. „Ich glaube, Yu hat was anderes vor.“

„W-w-was d-denn?“, fragte Ville und kratzte sich seinen dicken Bauch. Er überragte seine Kumpels um gut einen Kopf.

„Das Rennen. Die will beim Drachenrennen mitmachen.“ Jaromir musterte Yu. Seine Augen blitzten unter den strubbeligen, schwarzen Haaren.

Yu versuchte, seinem Blick standzuhalten. „Und wenn schon“, sagt sie trotzig.

„Also habe ich recht, du machst beim Rennen mit …“ Jaromir spuckte aus. „Na, dann viel Glück.“

„S-S-stimmt! G-G-G-Glück kann sie b-b-b-brauchen. Sie h-hat ja n-n-n-n-n …“

„… Nicht mal einen Drachen“, beendete Jaromir lachend den Satz. „Genau, Ville!“

„Natürlich habe ich ’n Drachen“, log sie. „Der wartet schon auf mich. Auf Hof Feuerfels.“ Yu machte ein wichtiges Gesicht, stieg auf ihr Rad und schob den Helm zurecht. Die blöden Kerle würden noch staunen. „Also Platz da jetzt. Ihr könnt mir ja beim Wettrennen zusehen.“

„Dir zusehen? Ha! Du wirst uns zusehen“, meinte Kalle. „Und zwar, wie wir an dir vorbeifetzen auf unseren Drachen.“

Yu blieb überrascht stehen. Drachen? Hatten die Jungs tatsächlich Drachen für das Rennen?

„Du hast keine Chance gegen uns“, sagte Jaromir.

„Das werden wir ja sehen. PAH!“ Yu fuhr absichtlich langsam an. Gemächlich trat sie in die Pedale und radelte den Wald entlang. Sie wollte sich nicht anmerken lassen, dass sie wütend war. Hinter sich konnte sie die Jungs erneut lachen hören. Aus dem Augenwinkel konnte sie sehen, wie die vier ihre Windbarke wieder aufrichteten, was wohl nicht so einfach war. Schließlich packte der kräftige Ville zu und wuchtete sie auf die Stützen.

Haben sie tatsächlich Reitdrachen, grübelte Yu. Verflixt.

Jaromir war ein schwerer Gegner. Er arbeitete für seinen Onkel beim Ritterorden als Stallbursche, und viele seiner Freunde beneideten ihn um den Job. Denn Jaromir durfte oft mit den Kriegs- und Turnierdrachen ein paar Runden drehen.

Hoffentlich taugte der Reitdrache was, der ihr von Hof Feuerfels zur Verfügung gestellt wurde.

3

Hof Feuerfels lag am Ende der Dragaadschlucht. Mehr als fünfzig Meter ragten die Felswände rundherum in den blauen Sommerhimmel. Sie schimmerten rötlich im Sonnenlicht und wirkten sehr erhaben. Die Felsen ließen die Dächer des Reiterhofs durch ihr rotes Leuchten eigentümlich erstrahlen, als hätten sie ihre Hand behütend über dem Hof ausgebreitet. Tatsächlich lehnte sich der Reiterhof an die Ausläufer der Roten Berge und blickte vorne geradewegs auf das grüne Grinfjördtal. Als Yu sich näherte, sah sie mehrere gelb-grüne Wimpel fröhlich auf den Zinnen des Turms flattern, die das Rennen in einer Woche verkündeten. Der runde Turm aus Findlingen war auf einer Seite vom Wetter moosbewachsen. Allerdings war er zum Teil abgesackt und ragte nun leicht schief in die Höhe. Er war das Einzige, was von der Burg Dragaad noch stand. Rauch quoll aus einem der Schornsteine des einstöckigen Querhauses, das direkt an den Turm anschloss. Während die grauen Feldsteine des Hauses mit ihren weißen Fugen sauber und ordentlich wirkten, schien der lange hölzerne Schuppen gegenüber schon seit Jahren zu verfallen. Viele seiner Schindeln waren abgefallen oder gebrochen. Die große Delle – vermutlich hatte ein Drache versucht, darauf zu landen – machte sein Aussehen nicht besser.

Yus Herz klopfte schneller. Sie meinte, schon den Duft der Ställe zu riechen und das Schnauben der Tiere zu hören. Sie wusste von einem Flugblatt, dass die Gebäude um einen Hof standen und in den Bergflanken die Ställe lagen.

---ENDE DER LESEPROBE---