Julie Jewels - Mondsteinlicht und Glücksmagie - Marion Meister - E-Book

Julie Jewels - Mondsteinlicht und Glücksmagie E-Book

Marion Meister

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Beschreibung

Julie zaubert Träume wahr: mit magischem Schmuck! Julie kann magischen Schmuck herstellen und hat ihrer besten Freundin Merle einen Liebesring versprochen. Doch ein Zauber darf niemals gegen den Willen eines Menschen eingesetzt werden – und Merles Schwarm Ben steht ... ausgerechnet auf Julie! Als Merle sich den verbotenen Ring aus anderer Quelle besorgt und Ben damit in größte Gefahr bringt, ist das Chaos komplett. Julie muss all ihr magisches Geschick einsetzen, um den richtigen magischen Schmuck zu schmieden – und ein Happy End zu zaubern, das alle glücklich macht. Julie jewels – Mondsteinlicht und Glücksmagie ist der dritte und letzte Band der zauberhaften Trilogie und dreht sich um die großen Fragen: Was ist Freundschaft, was ist Liebe? Wie weit darf ein Zauber gehen? Und was tut man, wenn Herz und Verstand diese Fragen ganz unterschiedlich beantworten? Alle Bände der »Julie Jewels«-Trilogie: Band 1: Perlenschein und Wahrheitszauber Band 2: Silberglanz und Liebesbann Band 3: Mondsteinlicht und Glücksmagie

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Seitenzahl: 311

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Marion Meister

Julie Jewels

Mondsteinlicht und Glücksmagie Band 3 / Roman

FISCHER E-Books

Inhalt

Widmung123456789101112131415161718192021222324252627282930313233Danksagung

Für Duckie.

Und endlich das richtige Happy End!

1

Obwohl der Wecker mich schon dreimal ermahnt hatte aufzustehen, rührte ich mich nicht. Sonnenlicht flirrte durchs Fenster, und die Vögel sangen von einem wundervollen Tag.

Mir egal.

Ich lag im Bett und starrte mit versteinerter Miene auf meinen unberingten Finger. Da war kein Abdruck, nicht einmal ein Streifen blasser Haut – rein gar nichts wies darauf hin, dass dort wochenlang ein Ring gesteckt hatte. Tag und Nacht hatte ich ihn getragen. Und nun war er fort. Es gab keine Spuren an mir – und irgendwie auch nicht in mir. Ich fühlte mich nur schrecklich leer. Wie gelähmt.

(Schmuckmagieentzugserscheinung?)

Es war unmöglich, aufzustehen.

Absolut undenkbar, in die Schule zu gehen!

Die Blicke der anderen … Sie hatten bestimmt Noahs Ausraster mitbekommen. Sicher waren wir Gesprächsthema Nummer eins. Und allein die Vorstellung, Noah gegenüberzutreten, ließ mich erstarren.

Ein viertes Mal dudelte der Wecker los. Kaum hatte ich ihn zum Schweigen gebracht, rief Mom: »Julie? Wo bleibst du? Beeil dich!«

»Ja!«, brüllte ich zurück und zog mir die Bettdecke über den Kopf. Wenn ich mich nicht bewegte, würde dieser Tag mich vergessen. Mit etwas Glück würde sogar mein Leben mich vergessen.

Ob Noah mich über Nacht vergessen hatte?

»Julie?« Mom riss die Tür auf. »Du hast keine Zeit mehr fürs Frühstück. Ich hab dir was eingepackt.«

Danke, Mom.

Wie oft war sie um diese Zeit schon in ihre Arbeit vergraben? Oder los zu einem Kundengespräch – aber heute natürlich nicht. Ausgerechnet heute gab es kein Entrinnen vor ihrer mütterlichen Kontrolle.

»Los jetzt«, sagte sie gehetzt. »Raus aus den Federn. Ab in die Schule.« Schwungvoll wollte sie mir die Decke wegziehen, doch ich war vorbereitet und krallte mich eisern daran fest. Mom hatte keine Chance.

»Julie!«, zischte sie sauer. »Sei nicht albern.«

»Ich bin krank!« Mit Armen und Beinen umschlang ich die schützende Decke.

»Krank sieht anders aus.« Sie überraschte mich mit einem flinken, aber dennoch kräftigen Ausfallschritt, und ich saß – wenn auch in meine Decke gekuschelt – auf dem Boden. »Siehst du. Geht doch. Jetzt, wo du es aus dem Bett geschafft hast, kannst du auch zur Schule.« Sie schenkte mir ein pseudo-liebes Lächeln und huschte wieder nach unten, während ich mich frustriert aus der Decke kämpfte. Sie hatte gewonnen.

Als ich auf den Schulhof bog, trieb eine angenehme Brise Dünensand zu den Fahrradständern. Es hatte sich bereits eine kleine Sandwehe an der Schuppenwand gesammelt. (Der Schulhausmeister freute sich sicherlich schon auf diese Sisyphusarbeit.) Für die nächsten Tage war bestes Sommerwetter angekündigt, und die Schüler um mich herum strotzten alle vor guter Laune. Mir jedoch erschien das Schulgebäude trotz Sonnenschein heute besonders abweisend und düster. So wie eigentlich der ganze Tag.

Hastig schloss ich mein Rad an und versuchte, mich ungesehen ins Gebäude zu schleichen. Bloß keinen Kontakt zu diesen fröhlichen Menschen mit ihren fröhlichen Leben.

»Juuuliiieee!«, brüllte es hinter mir. (Ungesehen hatte sich damit schon mal erledigt.) Merle kam wild winkend zu mir gerannt.

»Wie geht es dir?«, fragte sie und musterte mich skeptisch von Kopf bis Fuß. »Meine Güte! Ist es so schlimm? Tut es weh? Du siehst irgendwie krank aus!«

»Sag das Mom. Sie findet mich fit genug für die Schule.«

»Hat sie dich angeguckt? Du bist doch dreimal durch den Wolf gedreht und ausgespuckt worden.«

»Vielen Dank auch.« Genau diese Worte hatten noch gefehlt, um mich für den Schultag zu motivieren. Unsicher sah ich mich um und fing den einen oder anderen fragenden Blick auf. »Ist der Gossip-Alarm schon losgegangen? Noah und ich? Haben wir es auf Platz eins geschafft?«

Merle wiegte den Kopf. »Abwarten. Noch ist nichts entschieden. Es gibt auch Gerüchte, dass Martin den Schulserver gehackt hat.«

»Wer ist Martin?«, fragte ich zweifelnd.

»Ist doch egal.« Merle zuckte die Schultern und hakte sich bei mir ein. »Die Story ist echt heiß. Sei nicht enttäuscht, wenn keiner über euch redet.« Sie grinste.

»Guter Schachzug«, murmelte ich anerkennend. »Du hast Martin erfunden. Haben wir überhaupt einen Martin an der Schule?«

»Falls ja, ist er jetzt berühmt.«

»Danke.«

»Kein Thema.«

Sie sah unglaublich selbstbewusst aus. Ich hingegen hatte mein Selbstwertgefühl mit meinem Liebesring ins Meer geschleudert. Keine Ahnung, welche Konsequenz das Erlöschen des Liebesbanns nun für Noah und mich hatte. Gab es überhaupt noch ein Noah und ich?

Wollte ich ein Noah und ich?

Bei unserem letzten Treffen hatte er mir vorgeworfen, ich würde ihn nicht lieben.

»Hey, Jewels! Hey, Merle!«, schallte schon wieder ein Ruf hinter mir.

Mit langen Schritten holte Ben zu uns auf und brachte seinen typischen Duft nach Meer und Strand mit.

Unsere Blicke trafen sich. Zum Glück war mir wegen Noah so kodderig zumute, dass mein Blut anderswo gebraucht wurde und ich nicht komplett rot anlief, als Ben mir dieses Lächeln zuwarf.

Er schlüpfte zwischen Merle und mich. »Ich hab was für euch.«

»Eis?«, fragte ich tonlos. Am liebsten hätte ich mich in mein Bett gehext, mit einem gigantischen Schoko-Karamell-Eis und drei Staffeln Gossip Girl. Aber so funktionierte meine Magie nun mal nicht. Schmuckmagie brauchte einen Wunsch, der in ein Schmuckstück gebunden wurde und sich beim Tragen des Stücks erfüllte.

»Nee, viel besser.« Ben griff in seine Hosentasche und warf etwas in die Luft. Papierschnipsel regneten auf uns herab.

Ich zupfte mir eines aus den Haaren und versuchte zu entziffern, was draufgestanden hatte.

»O Mann!« Merle war mal wieder schneller. »Ist das etwa deine Anmeldung für das Internat?«

Nervös beobachtete ich, wie sie Ben ziemlich ungeschickt um den Hals fallen wollte. Er wich ihr allerdings gekonnt aus, und sie zog eine beleidigte Schnute.

»Mein Vater hat die dämliche Anmeldung endlich zerrissen.« Wieder warf er Schnipsel in die Luft. »Und ich hab Konfetti draus gemacht.«

Erleichtert lächelte ich ihn an. »Glückwunsch. Jetzt darfst du den Sommer mit uns zweien verbringen und nächstes Jahr unser Gejammer über all die Kurse, den Druck und die Studienwahl aushalten.«

»Du weißt doch, Jewels. Ich liebe euer Gejammer.« Galant hielt er uns die Tür zum Schulgebäude auf, und wir schritten wie Prinzessinnen hindurch. Uns gegenseitig foppend gingen wir den Flur hinunter. Für einen Moment fühlte sich alles ganz normal an – bis mir wieder bewusst wurde, dass Noah jederzeit auftauchen könnte, und ich mich eilig hinter Merle duckte.

»Meinst du, er ist immer noch sauer? Du musst unbedingt mit ihm reden.« Merle hielt nach Noah Ausschau.

»Als ob er nicht wüsste, dass er dich bei Merle suchen muss«, murmelte Ben und warf mir einen genervten Blick zu.

»Ist ja gut«, pampte ich ihn an. »Ich bin aber noch nicht so weit.«

»Na ja. Immerhin warst du weit genug, um den Ring abzulegen.« Es klang, als sei er ziemlich glücklich darüber.

»Ablegen?«, mischte sich Merle ein. »Sie hat ihn in den Wellen versenkt. Einen Liebesring. Wie idiotisch!«

»Ja«, meinte ich. »Einen Liebesring. Und es war höchste Zeit, ihn für immer loszuwerden.«

Merle verdrehte die Augen. »Sie ist auf Liebesentzug. Sie gehört in Noahs Arme«, belehrte sie Ben. »Julie wird schon wieder zur Vernunft kommen.«

»Vernunft?« Verständnislos sah Ben sie an. »Sie ist doch jetzt endlich wieder vernünftig. Ohne Noah.«

»Nein«, beharrte Merle. »Was soll daran vernünftig sein, die Liebe ihres Lebens zu verlassen?«

»Vielleicht war er nicht die Liebe ihres Lebens, so wie er sich aufgeführt hat.« Trotzig verschränkte Ben die Arme und sah mich auffordernd an.

Merle kniff die Augen zusammen, und ihr Blick schnellte ebenfalls zu mir.

»Macht ruhig weiter. Ich bin gar nicht da.« Ich suchte Deckung hinter einer der Säulen und sah mich nach Noah um.

»Nein, sag Ben, dass er keine Ahnung hat«, forderte Merle mich auf. »Noah ist die Liebe deines Lebens. Er oder keiner.«

Mit versteinerter Miene wartete Ben auf meine Antwort.

»Ich … also … na ja …«

Merles Augenbrauen wanderten nach oben.

»Ach, Merle! Kann ich in die Zukunft sehen? Woher soll ich denn das wissen? Ich war verknallt, ja, aber … keine Ahnung. Jetzt stör mich nicht weiter beim Verstecken!«

»Geistig verwirrt«, sagte Merle triumphierend.

»Bis auf das Verstecken erscheint sie mir sehr klar.«

Genervt verließ ich meine Deckung. »Streitet ruhig weiter über Gefühle, die gar nicht eure sind. Ich geh schon mal.«

Schüler strömten zu ihren Klassenzimmern. Noah entdeckte ich nicht, also eilte ich geduckt vorwärts und verschwand möglichst schnell in unseren Klassenraum.

Merle und Ben übertrieben, aber ich hatte mir die ganze Nacht die gleiche Frage gestellt: War es dumm von mir, Noah einfach gehen zu lassen? Oder war es das einzig Vernünftige, weil die Liebe zwischen Noah und mir erloschen war? Eine Liebe, die vielleicht nur wegen des Liebesrings existiert hatte.

Hinter mir hörte ich Ben und Merle immer noch über meine Gefühle streiten.

»Du kannst dich nicht drücken, Jewels«, wandte Ben sich wieder an mich. »Das zählt nicht. Du musst dich entscheiden.«

Seufzend duckte ich mich hinter mein Heft.

Und blieb dort.

Mein Bedarf an Ratschlägen jeglicher Art war gedeckt.

Gefühlt eine Minute später klingelte es zur Pause. (Warum hatte ich die Zeit nicht genutzt, um einen perfekten Wie-verhalte-ich-mich-gegenüber-Noah-Plan zu schmieden?)

Meine Gedanken waren stattdessen ständig zu unserem Strandkorb abgedriftet, zu Noahs Lachen, das er nach und nach durch den Liebesbann verloren hatte. Ich hatte mich an unsere Samstagabende erinnert, an all die Rosen. Und an Noahs Selbstaufgabe, wie besessen er von mir gewesen war.

Ich wusste, dass er nun, da der Ring nicht mehr auf ihn wirkte, wieder zu dem Noah werden würde, in den ich mich verliebt hatte.

Aber war dieser Noah auch in mich verliebt?

»Julie! Schläfst du?« Merle wartete mit Ben an der Tür, doch ich konnte nicht rausgehen. Außerhalb des Klassenraums war die Gefahr, Noah über den Weg zu laufen, viel zu groß.

Ich zog meine Schultasche auf den Schoß und tat so, als würde ich mein Pausenbrot suchen.

»Das ist albern«, meinte Merle, die mich natürlich durchschaute.

»Wenn du Noah triffst, sagst du ihm ganz schlicht, dass es aus ist. Und fertig«, meinte Ben.

»Nichts da. Julie muss ihn bitten, ihrer Liebe eine zweite Chance zu geben.« Merle nickte mir aufmunternd zu.

»Was? Quatsch!«, brauste Ben auf. »Schlussmachen!«

»Eine zweite Chance!«

»Schluss!«

»Chance!«

»Schluss!!!«, fuhr ich dazwischen. »Streitet euch gefälligst woanders über den Zustand meines Herzens. Ich hab zu tun.« Meine Schultasche musste dringend gereinigt werden. Wirklich! Es ist unglaublich, wie viel Dreck sich da am Boden sammelt. Anspitzerkrümel, Papierfetzen, drei versteinerte Gummibärchen, Kaugummipapiere, Büroklammern …

In den nächsten Tagen perfektionierte ich meine Hideouts und sah Noah tatsächlich kein einziges Mal. Doch am Freitag reichte es Merle, und sie zerrte mich zusammen mit Ben unsanft zu unserem Stammplatz auf dem Pausenhof. (Ich fragte mich nicht das erste Mal, ob es ein Fehler gewesen war, ihr das Sportlichkeitsbändchen zu schenken.) Nervös scannte ich die anderen Schüler und suchte nach Noah.

»Wir zwei«, erklärte Ben, »haben Noah bisher nicht gesichtet.«

»Wirklich?«, fragte ich hoffnungsvoll. Aber zugleich begann ich, mir Sorgen zu machen. Was, wenn es ihm ohne Ring doch nicht besser ging? Eben noch hatte er nur für mich gelebt, und plötzlich – quasi über Nacht – war dieses Gefühl weg gewesen. Einfach so. Bestimmt fragte er sich, warum er überhaupt mit mir zusammen gewesen war.

»Das ist nicht gut«, murmelte ich mehr zu mir selbst als an Ben und Merle gerichtet. »Wieso kommt er nicht? Ist er krank? Hat der Ring ihm doch Schaden zugefügt?«

»Oder er ist auf den Geschmack gekommen und findet Schwänzen irgendwie cool.« Ben streckte sich und schien es ganz okay zu finden, dass Noah verschwunden war.

»Vielleicht solltest du ihn suchen?«, schlug Merle vor. »Das bist du ihm schuldig. Fahr doch zu ihm nach Hause.«

Schon bei der Vorstellung fühlte sich mein Magen an, als würde unsere Sportlehrerin Frau Mimers ein Brennball-Turnier darin veranstalten. Ich musste tief durchatmen. Noah zu Hause besuchen? Und wenn er mich hasste?

»Keine gute Idee«, mischte Ben sich ein. »Trefft euch auf neutralem Boden.«

»Guter Vorschlag«, stimmte ich sofort zu. Wenn es zu schrecklich werden würde, könnte ich einfach fliehen.

Ohne mich zu fragen, zog Merle mein Handy aus meiner Tasche und hielt es mir hin. »Schreib ihm am besten gleich. Sag, dass du ihn nach der Schule sehen willst.«

Zögernd griff ich nach dem Handy. Wollte ich ihn wirklich sehen? Ja, denn es machte mich verrückt nicht zu wissen, wie es ihm ging. Nein, weil ich nicht von ihm hören wollte, dass unsere Liebe nur ein großer Irrtum gewesen war.

Mein Zögern dauerte offenbar einen Wimpernschlag zu lang für Merle. »Ach, ich mach schon.« Ihre Finger tippten flink eine Nachricht.

»Was! Nein! Das ist –« Ein pfeifender Ton verkündete, dass die Nachricht bereits zu Noah flog. »Merle!« Sauer rupfte ich ihr das Handy aus der Hand. »Du bist mir echt ’ne Freundin! Was hast du geschrieben?«

Hey, Noah, muss dich unbedingt sehen. Treffen uns um zwei am Lorenzo.

Besser als ich befürchtet hatte. Immerhin hatte sie nichts von Vermissen und Liebe geschrieben. Dennoch hätte ich sie am liebsten auf den Mond geschossen.

2

In Zeitlupe fuhr ich durch die engen Gassen der Altstadt, während meine Gedanken in Lichtgeschwindigkeit in meinem Kopf herumrasten, so dass ich gar keinen richtig zu fassen bekam. Ich fuhr noch nicht einmal Schrittgeschwindigkeit und kippte deshalb mehrmals fast um. (Vermutlich wäre ich schneller da gewesen, wenn ich mein Rad geschoben hätte.) Mich hatte der Mut verlassen – falls er je da gewesen war. Einerseits wollte ich Noah wirklich sehen, wollte wissen, ob es ihm gutging. Und andererseits hatte ich Angst vor peinlicher Stille und verletzenden Worten.

Wie sollte ich mich verhalten, wenn wir uns gegenüberstanden? Was würde Noah tun? Was sollte er tun?

Obwohl ich mich dem Lorenzo so langsam wie nur möglich näherte, stand ich doch irgendwann vor dem Café an der Promenade. Hektisch suchte mein Blick nach Noah. Am Strand tummelten sich etliche Familien, ein paar Jogger liefen an den Wellen entlang, ein Kind heulte über ein verlorenes Eis – und dann entdeckte ich ihn.

Noah wartete am Durchgang zu den Liegestühlen auf mich.

Er sah gut aus. Ausgeglichen. Entspannt.

Keine Ahnung, ob ich (dank Merle ungeduscht und direkt aus der Schule) auf irgendeine Weise gut aussah. Auf jeden Fall war ich weder ausgeglichen noch entspannt.

»Hey, Julie«, begrüßte Noah mich. Er klang irgendwie zögernd.

»Hey, Noah.«

Wir blieben gute zwei Schritt voneinander entfernt stehen. Wie Fremde. Unsicher, ob eine Umarmung angebracht war.

»Wie geht es dir?«, murmelte ich schließlich. Wo war der Schmuckzauber, der mich augenblicklich verschwinden ließ? Ich fühlte mich so schrecklich falsch hier. Es war genau, wie ich es mir in meinen übelsten Albträumen vorgestellt hatte: Noah und ich hatten uns nichts mehr zu sagen. Zwischen uns war nur noch unangenehme, peinliche Stille.

Noah vergrub die Hände tief in seinen Jeanstaschen. »Ich wollte dich die ganze Zeit anrufen. Aber … also, ich war echt neben der Spur.«

»Und geht es dir jetzt wieder gut?« In meinem Magen rumpelte es, Frau Mimers schleuderte gleich zwei Bälle. Hatte mein Liebesbann ihn etwa für immer verändert?

Er nickte. »Ja, ich denke schon. Jedenfalls bin ich niemandem mehr an die Gurgel gegangen.« Er lächelte schief.

Ich versuchte zurückzulächeln, doch es misslang.

»Fühlt sich seltsam an.« Er deutete zwischen uns hin und her.

Erleichtert lachte ich auf. »Schräg, oder? Ich wäre gerade am liebsten im Erdboden versunken!«

»Das ist albern. Ich meine, wir zwei … Okay, pass auf, was hältst du davon, wenn ich uns erst mal eine Schokolade besorge?«

»Sehr gerne!« Ich wollte mich wieder leicht fühlen, so wie immer, wenn ich mit Noah zusammen war, aber irgendwie hörte das Ziehen in meinem Magen nicht auf. Eine Schokolade würde da sicher helfen.

Lächelnd verschwand er im Café.

Kaum war er außer Sicht, atmete ich tief durch und schüttelte meine Arme und Beine aus. Sie hatten sich völlig verkrampft.

Noah kam strahlend wie eh und je zurück, zwei Pappbecher mit Schokolade in den Händen. »Double-XXL-Schokolade, stimmt doch?«

Dankbar nickte ich und nahm ihm den Riesenbecher ab. Sofort trank ich einen Schluck, weil ich hoffte, die Schokolade würde das Brennballspiel in meinem Magen beenden – doch ich verbrannte mir nur heftig die Zunge.

»Ich glaub, sie ist noch heiß«, meinte er zu spät.

»Ein biwchen«, nuschelte ich und versuchte, meine Zungenspitze zu kühlen.

»Lass uns unten am Strand langgehen.«

»Klaw«, murmelte ich.

Wir schlängelten uns durch die Reihen von Liegestühlen, die zum Lorenzo gehörten, und ein Feld von Handtüchern und Sandburgen bis zum Meer. Ich zog meine Schuhe aus, und wir schlenderten die Wasserkante entlang.

»Super Wetter«, stellte Noah etwas hilflos fest.

»Ja. Hoffentlich ist es auch in den Ferien so.« Himmel. Wir redeten über das Wetter? Gab es nichts anderes, über das wir hätten sprechen müssen?

Wir erreichten den Abschnitt mit den Strandkörben. Nur wenige waren belegt.

Gleich vorne saß lesend eine junge Mutter, während ihre Tochter vor dem Strandkorb mit einem Wasserball spielte. Eine Windböe trieb den Ball direkt auf uns zu. Noah stoppte ihn, bevor er ins Wasser kullerte. Er gab ihn ihr zurück, und das Mädchen strahlte ihn an, als wäre er ein Held aus einem Märchen.

Noahs Haar glänzte in der Sonne, seine grauen Augen, in denen sich jetzt das leuchtende Meeresblau spiegelte, zwinkerten ihr verschmitzt zu.

Und ich hielt die Luft an. Fühlte in mich hinein. Lauschte auf meine Gefühle.

Schlief mein Herz? Warum begann es bei seinem Anblick nicht, wild herumzuspringen? Noch vor ein paar Wochen hätte jemand einen Notarzt rufen müssen, weil ich bei seinem süßen Lächeln einfach umgefallen wäre.

Das Mädchen hüpfte glücklich, den Ball fest mit beiden Armen umschlungen, zu seiner Mutter zurück.

Wir gingen weiter, und eine neuerliche Welle des peinlichen Schweigens überrollte uns. Sie erwischte mich volle Breitseite und ertränkte mich. Himmel, ich hatte keine Ahnung, wie ich mit ihm reden sollte. Ich konnte mich nicht entschuldigen, konnte ihm nicht verraten, was geschehen war. Hör mal, Noah! Das war so: Ich hab dich verzaubert, damit du dich unsterblich in mich verliebst. Tja, da ist wohl was schiefgelaufen. Ich mag dich. Echt. Immer noch. Glaube ich. Aber nicht mehr so wie am Anfang … Du verstehst?

Vielleicht sollte ich einfach sagen, wie schön das Wetter … Mist. Das Thema war ja schon durch.

Ihn weiterhin anzusehen brauchte all meine Entschlossenheit. Ich starrte regelrecht – um in ihn hineinzusehen. Nicht nur sein Äußeres (diese wunderbaren Augen, sein süßes Lächeln, seine lässige Haltung), sondern all die Dinge, die ihn ausmachten und dazu geführt hatten, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Vergeblich versuchte ich, meine Liebe zu ihm zu spüren. Aber ich fühlte nichts. (Außer Panik darüber, dass ich nichts fühlte.)

»Julie«, brach er schließlich das Schweigen. »Ich bin dir in der Schule aus dem Weg gegangen.«

Erstaunt hob ich die Augenbrauen. »Du warst in der Schule? Ich dachte, du bist krank, und hab mir Sorgen gemacht.«

»Wirklich? Ich hab mir auch Sorgen gemacht, weil du jede Pause auf der Mädchentoilette gehockt hast …« Er warf mir einen amüsierten Blick zu. »Ich hatte den Verdacht, du versteckst dich.«

»Ähm … verstecken ist vielleicht etwas übertrieben. Die … die Tür hat geklemmt.«

Er blieb stehen. »Ich hab dir Angst gemacht, und das tut mir unendlich leid. Ich weiß nicht, was an dem Tag mit mir los war. Ich bin nicht so, ich hoffe, das weißt du.«

»Natürlich!«

»Das kommt nie wieder vor. Versprochen.«

»Ja, versprochen«, antwortete ich prompt, weshalb er mich kurz verwirrt ansah. Ängstlich forschte ich in seinem verunsicherten Blick nach unserer Liebe.

Wo war sie? War sie nur eine Illusion gewesen, die der Zauber bewirkt hatte? Schmuckmagie verändert Wahrnehmung, Denken, Gefühle …

Nein!, schrie ich mich innerlich an.

Wir waren verliebt gewesen! Schon bevor ich den dummen Ring geschmiedet hatte. Doch der Zauber hatte die Liebe zerstört.

»Noah. Wollen wir diesen schrecklichen Tag nicht einfach vergessen?« Zögernd streckte ich meine Hand nach der seinen aus.

Gedankenverloren beobachtete er meine Finger, wie sie sich seiner Hand näherten, aber wenige Zentimeter vor der Berührung verharrten.

Jetzt hämmerte mein Herz doch. Aber nicht vor Freude und Erwartung – es warnte mich. Es wäre ein Fehler. Denn wir waren nicht mehr Noah & Julie.

Meine Hand zog sich wieder zurück.

»Können wir es denn vergessen?«, fragte Noah.

»Natürlich! Wir …« Lieben uns doch. Ich sprach es nicht aus. Meine Zunge schaffte es nicht. Hastig würgte ich die aufsteigenden Tränen herunter.

Betreten wandte er sich den Wellen zu. »Es fühlt sich alles so seltsam an«, meinte er leise. »Bis vor kurzem konnte ich mir nicht vorstellen, je ohne dich zu sein.«

Meine Finger tasteten nach dem Ring, der nicht mehr da war. Es gab keine Schmetterlinge. Keine schwitzigen Hände. Kein Honigkuchenpferdgrinsen. Ich fühlte mich leer.

Ein unbestimmtes Gefühl lag bleischwer in mir. Ich trank meine Schokolade aus. Nicht mal sie konnte mir helfen. Außerdem war sie inzwischen kalt, ein zäher Sirup, der nur in Zeitlupe aus dem Becher tropfte.

Nach ein paar weiteren schweigsamen Metern blieb Noah stehen. Vor uns, am Fuß der Dünen, stand unser Strandkorb. Nervös starrten wir ihn an. Vermutlich schossen ihm ähnliche Erinnerungen durch den Kopf wie mir.

»Ich muss los«, meinte er plötzlich hastig, den Blick noch immer auf den Strandkorb gerichtet.

»Ja, klar. Kein Thema.« Ich biss mir auf die Lippen. »Ich … ich hab auch noch was für die Schule zu erledigen.«

Er beugte sich zu mir und gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. So flüchtig, dass er mich nicht einmal streifte.

Erstarrt blieb ich zurück und sah ihm nach, wie er mit großen Schritten davoneilte, bis er nur noch ein flimmernder Schatten zwischen den Touristen war.

Das Ziehen im Magen war vorüber, jetzt war mir schlecht.

Mit Schwung krachte plötzlich eine Welle Schmerz auf mich nieder und riss mein Herz mit sich. Das war’s. Ich hatte meine große Liebe verspielt, weil ich zu ungeduldig gewesen war. Weil ich eine Macht, die ich nicht beherrschte, genutzt hatte, um mir meinen Traum zu erfüllen, ohne darauf zu achten, ob Noah sich das Gleiche wünschte. Es fühlte sich an, als zerfiele ein Stück meines Herzens zu Staub.

(Nicht blinzeln, Julie! Wenn du blinzelst, rollt dir diese verfluchte Träne über die Wange!)

Ich gab mir einen Ruck und rannte zu unserem Strandkorb hinüber. Natürlich war er verschlossen. Noah hatte den Schlüssel.

Schluchzend kauerte ich mich in den warmen Sand, lehnte mich an die Korbwand und weinte, weinte um die schöne Zeit mit Noah.

3

»Nun erzähl doch endlich mal! Er ist doch immer noch verliebt, stimmts?«

Merle hing mir fast auf dem Schoß und bedrängte mich mit Fragen. Sie hatte nach meinem Treffen mit Noah schon in unserem Garten auf mich gewartet.

»Wollen wir nicht einfach zusammen abhängen?« Ich versetzte der Hollywoodschaukel einen Stoß, legte den Kopf in den Nacken und beobachtete das Licht, das durch das Laub über mir flirrte. Es tat weh, an das Ende meiner Liebe zu denken, und ich wollte diesen Schmerz nicht unnötig aufwühlen. »Lass uns lieber überlegen, was wir in den Sommerferien anstellen.«

Schmollend schlürfte Merle ihre Limonade durch den Strohhalm. »Was sollen wir schon groß machen – du hängst mit Noah in eurem Strandkorb rum –«

»Merle!« Ich stoppte die Schaukel und sah sie wütend an. »Hör auf, über Noah zu reden. Es tut weh. Verstehst du?«

Für einen Moment sah sie betroffen aus, dann umarmte sie mich stürmisch. »Entschuldige. Lass uns über andere Sachen quatschen. Gibt ja noch ein Leben neben Noah.«

Ohne Noah, korrigierte ich sie in Gedanken. Sein Kuss auf die Wange hatte mich noch nicht mal gestreift.

Sie füllte sich Limonade nach, die Eiswürfel klirrten gegen das Glas. Ein typisches Sommergeräusch, und für einen Moment freute ich mich auf die Ferien, auf die Sonnentage, das Meer und Ben, Merle und … Lesen.

»Aber du weißt, dass du deinem Schicksal nicht davonlaufen kannst.«

»Ach, Merle!«, raunzte ich sie genervt an. »Ich werde mich so lange vor ihm verstecken, bis mein blödes Schicksal keine Lust mehr hat und mich in Ruhe lässt. Wäre schön, wenn du das jetzt auch mal versuchen könntest.«

Sie lehnte sich neben mir in der Schaukel zurück und gab erneut Anschwung. »Wenn du es so sehr bereust, dann hättest du wohl mal besser auf den Rat deiner treuen Freundin gehört.«

»Ich bereue es ja gar nicht. Aber es fühlt sich einfach scheiße an.«

»Weil du es bereust.«

»Nein. Weil … weil ich nicht weiß, was ich sagen soll, wenn wir uns wieder über den Weg laufen. Das vorhin war absolut grässlich. Er ist einfach abgehauen. Wir konnten null miteinander reden! Die meiste Zeit haben wir übers Wetter gesprochen. Das brauche ich nicht noch mal. Schon gar nicht in der Schule, vor aller Augen. Da hilft mir dann auch kein erfundener Martin mehr.«

Merle grumpfte irgendetwas in sich hinein. Endlich widersprach sie mal nicht. (Fast hätte ich mich bedankt.)

Eine sehr angenehme Weile lang klirrten nur die Eiswürfel in unseren Gläsern, und die Hollywoodschaukel knarzte rhythmisch.

»Nächste Woche soll es richtig heiß werden«, meinte Merle irgendwann. »Der beste Start in die Ferien.«

Dankbar nahm ich den Themenwechsel an. »Also: Welche Pläne haben wir denn jetzt für die Ferien?« In meinem Planer hatte ich schon vor Wochen eine Liste begonnen. In Rot und Pink geschrieben. Eine Sommerwunsch-Hitliste. Allerdings hatte ich mit vielen Herzchen so etwas notiert wie: Mit Noah zelten, mit Noah segeln, mit Noah ins Freiluftkino, mit Noah … mit Noah … Es gab noch andere Want-To-Dos, die aber auch nicht besser waren. Mit Daria üben, von Daria lernen … Ich musste diese Liste dringend überarbeiten.

»Natürlich haben wir Pläne«, antwortete Merle hoch wichtig und begann, an den Fingern abzuzählen. »Jeden Tag ein Eis.«

Ich nickte zustimmend.

»Keine Strandparty versäumen.«

Wieder nickte ich.

»Dich und Noah wieder zusammenbringen.«

Sauer verpasste ich ihr einen Knuff an die Schulter, doch sie war schon bei ihrem nächsten Punkt und strahlte mich derart glücklich an, dass ich nichts zu sagen wusste.

»Ben und meinen ersten Kuss feiern.« Ihre Augen funkelten schwärmerisch. »Heute Abend küsst er mich, Julie.«

»Heute sind noch keine Sommerferien«, antwortete ich etwas zu harsch. »Das ist kein Sommerferienplanungspunkt.« War ich sauer wegen ihrem blöden Genöle über Noah und mich? Oder zwickte es in meiner Brust, weil sie von Ben als ihrem Freund sprach?

Für eine Sekunde musterte sie mich mit schiefgelegtem Kopf. Ein Zeichen, dass sie nicht wusste, ob ich es scherzhaft meinte oder nicht.

»Heute Abend ist das Konzert der Seagulls«, erinnerte sie mich. »Während du wieder mit Noah zusammenkommst, werde ich mir Ben schnappen.«

In mir blitzte die Erinnerung von Ben und mir am Strand auf, wie er versucht hatte, mich zu küssen. Hastig vertrieb ich seinen Blick aus meinen Gedanken. »Weiß er schon davon?«

Der Gedanke, dass heute Abend die von der ganzen Schule herbeigesehnte Party am Bandhaus stattfand, auf der die Drunken Seagulls irgendwelche Neuigkeiten verkünden wollten, startete das nächste Brennball-Turnier in meinem Magen. Noah war zurück in der Band. Das freute mich zwar, aber ich würde ihn zwangsweise auf der Feier treffen – und dann würden wir uns, umringt von hundert Schülern, schweigend anstarren.

»Du könntest mich ein wenig mehr unterstützen«, blaffte Merle mich an.

»Was soll ich denn tun? Ben festhalten?«

Entgeistert starrte sie mich an.

»Tschuldigung«, nuschelte ich. »Ich will nicht zu diesem Konzert. Die ganze Schule ist da. Alle wissen, dass wir nicht mehr zusammen sind.«

Ruppig sprang Merle auf, und die Schaukel geriet ins Schlingern. »Festhalten! Weil er sich sonst nicht von mir küssen lässt? Du bist echt fies.« Sie schnappte sich ihre Tasche und wollte gehen.

»Komm schon, Merle!« Ich stand auf und hielt sie zurück. »Das meinte ich doch nicht so. Ich hab einfach nicht den Eindruck, dass …« Ich brach lieber ab.

»Dass was?« Sie funkelte mich an.

»Ich weiß nicht, ist nur …«

»Sag schon.«

Ich seufzte. »Na ja, ich bin mir nicht sicher, ob Ben auf einen Kuss von dir wartet.«

Sie schwieg einen Augenblick, und kurz dachte ich, sie würde gleich zugeben, dass Ben nicht in sie verknallt war. Doch weit gefehlt.

»Wir werden zusammenkommen! Und du wirst da heute Abend auftauchen und dich mit Noah vertragen«, befahl sie mir. »Meine Sommerpläne sind Doppeldates mit euch. Pärchenaktionen. Und natürlich werde ich ganz oft mit Ben alleine abhängen. Wir übernachten am Strand, machen einen Strandritt –«

»Du kannst nicht reiten, Merle.«

»Das macht nichts. Das wird so was von romantisch!« Sie warf mir einen drohenden Blick zu. »Heute Abend: Drunken Seagulls. Und du wirst da sein! Verstanden, Julie?«

Schweren Herzens hob ich die Hand, und sie klatschte mich ab. Dann nickte sie zufrieden und ging auf die Straße zu ihrem Fahrrad.

Merle und Ben.

Ich strengte mich wirklich an, ihr Glück zu wünschen. Aber gleichzeitig merkte ich, wie sich bei diesem Gedanken alles in mir sträubte. Konnte ich ihn mit Merle teilen?

Seufzend trug ich unsere Gläser in die Küche. Als ich zurück im Garten war, um meine Schulsachen reinzuholen, hörte ich, wie jemand einen Ball prellte.

Wenn man vom Teufel spricht … Ich schlenderte durch den Rosenbogen auf die Straße.

Ben spielte in seiner Auffahrt Basketball. Mit einem eleganten Wurf versenkte er den Ball im Korb über dem Garagentor.

»Hey, Jewels!« Er winkte mir fröhlich zu. »Sieht man dich auch mal wieder im Freien.«

»Es ist Wochenende.« Ich ging zu ihm hinüber.

Er lachte und dribbelte den Ball vor sich. »Schon klar, Miss Unsichtbar. Hast du dich mit Noah ausgesprochen?«

»Ich weiß nicht. Es fühlt sich nicht so an, als wäre es vorbei.«

»Ihr seid wieder zusammen?« Fast wirkte er geschockt.

»Nein. Aber … Ich weiß auch nicht. Es war einfach nur unangenehm. Er war so verwirrt. Wir haben nicht darüber gesprochen, was wir jetzt sind.«

»Tja. Da hilft wohl alles nichts, Julie. Du musst aus deinem Versteck raus und mit ihm Schluss machen«, meinte er entschieden.

»Fang du nicht auch noch damit an!«, maulte ich und versuchte, ihm den Ball wegzuschlagen.

Er wich mir gekonnt aus. »Womit anfangen?«

»Mir kluge Ratschläge zu geben. Merle nervt tierisch. Du musst wieder mit Noah zusammenkommen«, äffte ich sie nach.

Er fing den Ball und hielt inne. »Willst du das denn?«

Etwas in seinem Tonfall jagte mir ein Kribbeln über die Haut. Ich sah ihn an, und sein wacher, forschender Blick machte mich schwindelig. Eilig betrachtete ich meine Zehen – ob ich sie vielleicht mal in Meeresblau lackieren sollte? Oder besser in Pink? Wie beiläufig prüfte ich, ob Ben inzwischen dieses Anstarren beendet hatte. Bam! Natürlich nicht. Ben wartete geduldig auf eine Antwort, und sein Blick bohrte sich wieder in meine Seele.

»Nein«, murmelte ich schließlich. »Noah ist toll. Aber …«

»Aber?« Er kam näher und senkte den Kopf, um mir in die Augen zu schauen.

Ich zählte hastig meine Zehen durch und stellte sie mir mit orangefarbenem Glitzerlack vor.

Ben konnte ich alles erzählen. Es gab quasi keine Geheimnisse zwischen uns. Er wusste sogar von meiner Magie. Im Gegensatz zu Noah.

Er wusste von meiner Mutprobe, damals mit elf im Kiosk an der Promenade. Mit ihm war ich das erste Mal (Hand in Hand) vom Dreimeterbrett im Schwimmbad gesprungen.

Und jetzt konnte ich ihn nicht ansehen, wenn es um Noah ging?

(Sei nicht albern, Julie. Er hat dir immer geholfen, immer zu dir gestanden, während du diesen Zaubermist verbockt hast.)

Ich atmete durch und zwang mich, den Kopf zu heben, ihm endlich in die Augen zu sehen. »Lass uns nicht von Noah sprechen, okay?«

Er zögerte. »Okay. Aber sprechen wir nicht von ihm, weil du versuchst, ihn zu vergessen? Oder weil du –«

»Weißt du was, Ben«, stoppte ich ihn. Schmunzelnd rempelte ich ihn an und erwischte den Ball. »Ich glaube, es wird Zeit, dass du dir ’ne Freundin suchst. Dann musst du mich nicht immer über meine Beziehungen ausfragen.« Ich begann zu dribbeln und versuchte, zum Korb durchzubrechen.

Ben versperrte mir den Weg. »Ich hab verstanden!«, meinte er forsch. »Das heißt, du willst lieber über mich sprechen als über diesen ollen Noah!«

»Idiot!« Ich täuschte einen Ausfall nach rechts an, drehte nach links, sprang und versenkte den Ball im Netz. »Schönen Tag noch!« Ich zwinkerte ihm zu und marschierte über die Straße zurück nach Hause. Natürlich wusste ich, dass er mir grinsend nachsah. Und ich fühlte mich das erste Mal seit langem wieder richtig gut.

Ich fühlte mich auch noch ziemlich gut, als ich wenig später die Schultasche unter den Schreibtisch schleuderte und mich aufs Bett fallen ließ.

Doch schon ein paar Minuten danach sackte meine Laune ab. Ich hatte dämlicherweise einen Blick in meinen Planer geworfen. Und zwar auf die Pixel-Seite, in der ich jedem Tag des Jahres eine Farbe gab. Von Lila für sehr glücklich, über Gelb für ausgeglichen, bis zu Blau für traurig und unglücklich. Was soll ich sagen? Während die Kästchen Anfang des Jahres wie eine bunte Perlenkette aussahen, waren die Tage nach meinem Geburtstag allesamt strahlend lila. Bis sie dann auf Blau switchten. Und die blaue Strecke war lang. Ziemlich lang. Ziemlich sehr lang. Kein Lila zu sehen.

Und heute?

Mit Grauen dachte ich an die Party und zog mir die Bettdecke über den Kopf.

Ich geh nicht hin.

Du hast es Merle versprochen.

Egal. Ich geh nicht hin.

Sie wird Ben küssen.

Mit Schwung setzte ich mich auf. Verdammt.

4

Die Sonne ließ die Schatten der Kiefern bereits länger werden, als ich das Bandhaus in den Dünen erreichte. Der Gig, zu dem die Drunken Seagulls eingeladen hatten, würde erst in einer Stunde beginnen. Vor meinem Spiegel hatte ich unzählige Outfits durchprobiert, um den richtigen Look für diesen Abend zu finden. Trotzdem war ich viel zu früh dran.

Mein Rad lehnte ich an einen Baum und ging zögernd auf den ehemaligen Bootsschuppen zu, in dem unsere Schulband ihren Proberaum hatte. Ich hatte beschlossen, unseren Beziehungsstatus endgültig zu klären. Kein Davonlaufen mehr.

Ich wollte mich nicht den ganzen Sommer über fragen, ob ich Noah anrufen sollte oder besser nicht. Ich musste mit ihm sprechen. Deshalb war ich jetzt schon hergefahren. In der Hoffnung, dieses unangenehme Gespräch quasi unter vier Augen führen zu können. Auf keinen Fall sollte mir die gesamte Schule dabei zusehen.

Urplötzlich waren meine Sandalen aus Blei, und meine Hände zerflossen wie Wachs.

(Na wunderbar, Julie. Hattest du dir nicht vorgenommen, das hier total entspannt über die Bühne zu bringen?)

Immer schwerer wurden meine Schritte, während mein Herz davonzusprinten versuchte.

Innerlich hin und her gerissen blieb ich vor dem ehemaligen Bootshaus stehen. Das Tor stand nur einen Spaltbreit offen, von drinnen konnte ich Stimmen hören.

In diesem Augenblick wurden die Torflügel ganz aufgedrückt. Nick, der Drummer der Band, hakte sie an der Wand ein, damit der Seewind sie nicht wieder zuknallen konnte. Als er mich bemerkte, winkte er. »Hey, Julie! So früh schon da! Super, dass du auch kommst.«

»Ist doch klaro. Bin ja euer größter –« Das Wort Fan konnte ich nur noch kieksen, denn Noah trat aus dem Schatten.

»Julie!« Er klang überrascht, aber immerhin lag in seiner Stimme auch Freude. Lässig kam er zu mir herüber und nickte Nick kurz zu, als wolle er sagen: Keine Panik, ich regle das.

Was auch immer man genau regelte, wenn eine Beziehung, die nur auf Grund von Magie Bestand gehabt hatte, zerbrochen war.

»Schön, dass du da bist.«

Wir lächelten uns an, und diese schrecklich peinliche Stille senkte sich wieder über uns.

Verlegen wandte ich den Blick ab. »Ich hoffe, ich störe dich nicht beim Soundcheck oder so«, nuschelte ich in Richtung seiner Sneakers.

»Alles erledigt. Wir müssen nur noch die Bar aufbauen.«

Ich sah an ihm vorbei zu den Sesseln und Sofas, die schon vor dem Schuppen für Zuhörer aufgestellt waren, und weiter zum Tapeziertisch, auf dem Flo, der Bassist, nun Colaflaschen aufreihte. »Wenn ich was helfen kann …?«

»Du kannst nachher applaudieren.« Noah grinste, und ich grinste zurück.

»Es ist so …«, begann ich. (Komm schon, Julie. Du schaffst das. Sag ihm, dass es aus ist.)

»Ja?«

»Also …« Okay, ich hatte keine, aber auch gar keine Ahnung, wie ich aussprechen sollte, was ich für ihn empfand – oder eben nicht mehr. Verfluchtes Gefühlschaos. Zu Hause hatte ich dramatische Sätze mit noch dramatischeren Gesten einstudiert, doch jetzt konnte ich mich an nichts mehr erinnern.

»Es tut mir wirklich leid«, unterbrach er mich, bevor ich irgendwelche weiteren Worte rausstammeln konnte. »Ich bin vorhin so schnell weg, weil …«

»Ja?« Würde er etwa aussprechen, was ich mich nicht traute?

»Keine Ahnung. Ich bin mir nicht sicher, Julie. Wenn ich an dich – wenn ich an uns denke, dann gerate ich völlig durcheinander. Du bist so großartig. Und ich war so mies zu dir.«

»Noah, nein. Ich war mies zu dir.« Ich habe dich mit einem Liebesbann belegt. Es musste scheußlich sein, wochenlang mit einem Mädchen zu knutschen, für das man dann plötzlich gar nichts mehr fühlte.

»Du?« Verständnislos schüttelte Noah den Kopf. »Wie schrecklich, wenn ich dir dieses Gefühl gegeben hab.« Unvermittelt nahm er meine Hände, und ein Schauer durchzuckte mich. Anders als früher, als wir ein verliebtes Paar gewesen waren. Das Honigpferdgrinsen-Kribbeln war zu einem unguten Ziehen im Magen mutiert. Traurig sah ich ihn an.

»Es tut mir leid, Julie. Ich hab alles vermasselt.« Noch immer hielt er meine Hände.

»Nein. Es ist meine Schuld. Und wir … wir passen vielleicht doch nicht so gut zusammen, wie ich dachte.« (Wow! Hatte ich