Julie Jewels - Silberglanz und Liebesbann - Marion Meister - E-Book

Julie Jewels - Silberglanz und Liebesbann E-Book

Marion Meister

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Beschreibung

Julie zaubert Träume wahr: mit magischem Schmuck! Durch einen magischen Liebesring hat Julie ihre wahre Liebe gefunden. Noah und sie sind unzertrennlich. Sie haben sogar ihren eigenen Strandkorb für romantische Sommernachmittage am Meer. Julie schwebt seit Wochen auf Wolke sieben und bekommt das Honigkuchenpferd–Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht. Doch als Noah nach und nach sein eigenes Leben völlig aufgibt und nur noch für sie da sein will, kommen Julie Zweifel. So hatte sie sich die wahre Liebe nicht vorgestellt. Hat Noahs Veränderung etwas mit ihrer Magie zu tun? Sie wollte ihre Liebe durch Magie verstärken, aber jetzt scheint sie genau dadurch alles zu zerstören – denn ein Zauber darf nie egoistisch sein. Aber was wird passieren, wenn Julie, den Ring ablegt? Julie Jewels – Silberglanz und Liebesbann ist der zweite Teil der zauberhaften Trilogie, die sich rund um Magie, Liebe und Freundschaft dreht und um die alte Weisheit: Sei vorsichtig, was du dir wünschst – es könnte wahr werden! Auch der zweite Band dieser magischen Trilogie ist optisch wieder ein richtiges Schmuckstück: Mit hochwertig veredelter Sonderausstattung mit Metallic-Lack und verdecktem Buchschnitt funkelt und glitzert er wie ein echtes Schmuckkästchen! Alle Bände der Trilogie: Band 1: Julie Jewels – Perlenschein und Wahrheitszauber Band 2: Julie Jewels – Silberglanz und Liebesbann Band 3: Julie Jewels – Mondsteinlicht und Glücksmagie (erscheint im Frühjahr 2019)

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Seitenzahl: 325

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Marion Meister

Julie Jewels

Silberglanz und Liebesbann

FISCHER E-Books

Band 2

Inhalt

1234567891011121314151617181920212223242526272829DanksagungLeseprobeDie Sonne ließ die [...]

1

Wie viel Glück kann ein Mensch aushalten? Diese Art von Glück, die wie ein Rausch durch die Adern strömt, einem den Atem nimmt. Einen schwindeln lässt. Und schweben.

Ich schwebte seit Wochen. Egal, wo ich war, ob in der Schule oder am Strand oder allein in meinem Zimmer: Ich schwebte.

Jede Faser meines Körpers war von Glück durchtränkt.

Meine beste Freundin Merle verdrehte neuerdings immer die Augen, wenn sie mich kommen sah. »Julie, lass dieses Honigkuchenpferdgegrinse«, sagte sie dann jedes Mal.

Doch ich konnte es nicht abstellen.

Ich war einfach zu glücklich.

Selbst jetzt, obwohl ich mich auf dem Fahrrad abstrampelte, die Schultasche mir unendlich schwer vorkam und das Sommerwetter viel zu heiß war, um einen neuen Streckenrekord aufzustellen.

Aber ich musste an den Strand. So schnell es ging!

Ich musste meinen Glücksakku wiederaufladen.

Ich musste Noah sehen!

In Windeseile schmiss ich mich zu Hause in Strandklamotten. Ich entschied mich für Ohrringe in erfrischendem Türkis und mein Armband aus Glasperlen und Muschelstückchen für diesen perfekten Sommertag.

Der Strand und Noah warteten schon.

Ich war gerade halb die Treppe runter, als mich blöderweise doch das schlechte Schulgewissen einholte.

Fräulein Julie, sagte es vorwurfsvoll, haben Sie nicht etwas vergessen?

Fluchend verharrte ich auf der Mitte der Treppe und versuchte den bohrenden Blick von Herrn Wolters, unserem Geschichtslehrer, aus meinem Kopf zu verbannen. Doch es half nichts.

»Eignet euch neues Wissen an, meine Damen und Herren! Lernt aus den Fehlern anderer«, predigte er immer.

Den Fehler, ohne Vorbereitung in seinem Unterricht zu erscheinen, hatte ich schon mal begangen. Das wollte ich nie wieder durchmachen.

Seufzend drehte ich um und ging zurück in mein Zimmer. Die Schultasche hatte ich unter meinen Schreibtisch gepfeffert.

Auf dem Tisch lag mahnend das Fußkettchen, das ich für Merle machen wollte. Ich hatte Schnur und Werkzeug schon bereitgelegt, mich dann aber nicht entscheiden können, welche Perlen ich nehmen sollte. Mein schlaues Zauberbuch hatte mir kein Rezept für Sportlichkeit verraten. Und als Noah mich angerufen und gefragt hatte, ob ich zum Strand käme … (Ja. Ist klar. Ich war ’ne miese Freundin.)

Ich nahm mir ganz, ganz fest vor, das Kettchen heute Abend fertigzustellen, und krabbelte unter den Tisch zu meinen Schulsachen.

Bei meinem Schultaschenwurf waren sämtliche Bücher und Hefte herausgeschlittert. Widerwillig kramte ich mein Geschichtsbuch aus dem Haufen und stopfte es zu den Strandsachen.

Der gute Wille zählt, sagte ich mir und rannte die Treppe wieder hinunter.

»Julie!«

Auch das noch. Hatten sich heute alle gegen mich verschworen?

Artig blieb ich an der Haustür stehen und zeigte mein Liebe-Tochter-Lächeln, während mein Vater mich prüfend musterte. »Schon da?« Sein Blick glitt zu der Strandtasche über meiner Schulter. »Schon Ferien?«, fügte er mit vorwurfsvollem Unterton hinzu.

Ich verdrehte die Augen und dankte meinem Gewissen. Mit einem Switch zum Musterschülerinnen-Lächeln ließ ich ihn einen Blick auf den Beweis meiner Lernwilligkeit werfen. »Ich nehm Napoleon mit. Ein bisschen Ablenkung wird ihm guttun«, sagte ich. »Ich hab den Eindruck, er wird verlieren.« Ich steckte das Geschichtsbuch zurück in die Tasche, zwinkerte Paps naseweis zu und gab ihm einen Schmatz auf die Wange – eine K.-o.-Methode, die bei ihm immer jeglichen Widerstand brach. Ich meinte, noch seinen hilflosen Seufzer zu vernehmen, doch da war ich schon fast aus der Auffahrt raus.

Das Rad kannte den Weg inzwischen auswendig, und ich breitete die Arme aus und genoss das Gefühl dahinzufliegen. Der Wind kühlte meinen Körper auf angenehme Weise, und das Honigkuchenpferdgrinsen kehrte zurück.

An der Promenade schloss ich mein Fahrrad beim Strandcafé Lorenzo an und stapfte durch den heißen Sand zu den Strandkörben.

Um genau zu sein, zu unserem Strandkorb. Wie auch immer Noah es geschafft hatte, aber wir hatten unseren privaten Strandkorb. Unseren Treffpunkt. Unser Liebesnest.

Mein Ort des Glücks.

Mühsam und unter viel Gelächter hatten wir ihn letzte Woche aus dem Pulk all der anderen weiß-blauen Schattenoasen herausgezogen. Nun stand er nah am Dünengürtel, jedoch mit unverbauter Aussicht auf das Meer.

Es war so romantisch!

Noah wartete schon auf mich.

Mein Honigkuchenpferdgrinsen strahlte bestimmt bis zur Sonne, als ich auf ihn zuging. Er war in Badeshorts, trug aber noch eins von seinen coolen T-Shirts, die er selbst gestaltete. Auf den verwaschenen hellblauen Stoff (der so verboten gut zu seinen Augen passte) hatte er mit flottem Strich einen surfenden Pinguin gezeichnet. Ich liebte seine Zeichnungen, sie wirkten wie eine schnelle Notiz, waren aber immer treffend und witzig.

»Julie!« Er kam mir entgegen und gab mir einen Kuss. Ein Kribbeln durchlief mich bis in die Zehenspitzen, und ich sank in seine Umarmung. Als wir uns nach einer gefühlten Ewigkeit voneinander lösten, grinste ich sofort wieder.

Lachend stupste er mich auf die Nasenspitze. »Du bist so eine Grinsekatze. Bist du zwischendurch auch mal nicht glücklich?«

»Nur, wenn du nicht bei mir bist.«

Er tat so, als hätte ich ihn mit diesen Worten mitten ins Herz getroffen, und taumelte ein paar Schritte rückwärts. Dabei ergriff er meine Hand und zog mich mit. Lachend fielen wir in den Sand.

»Das mit uns ist magisch.«

Vermutlich gab es da eine Millisekunde, in der mein Glücksgrinsen einfror, doch Noah bemerkte es nicht. Mein Blick allerdings glitt sofort zu dem Ring an meinem Finger. Zu der Perle, die ich mit meinem Blut gefärbt hatte. Sie funkelte in einem verwunschenen Rot und schickte Wärme durch meinen Körper. Wenn Noah in der Nähe war, loderte diese Wärme bisweilen zu einer sinnverwirrenden Hitze auf. Es war in der Tat magisch.

Denn der Ring war magisch.

Ich war magisch.

Doch Noah wusste nichts davon. Bis zu meinem sechzehnten Geburtstag hatte ich ja selbst nichts von meinem Talent gewusst: Ich konnte Schmuckmagie wirken – Wünsche erfüllen, Ängste nehmen –, wenn ich den richtigen Zauber in ein Schmuckstück einarbeitete.

Und in den Ring an meinem Finger hatte ich unsere Liebe gebunden. Denn Noah hatte sich auf dem Weg zu mir etwas … sagen wir mal, ablenken lassen. Und so hatte ich ihn mit einem kleinen Zauber auf Kurs gebracht. Allerdings war ich mir nicht sicher, wie er es aufnehmen würde, wenn er erfuhr, dass ich zaubern konnte. Und mit Magie unserer Liebe ein Fastforward verpasst hatte. Verständlich, dass ich nichts riskieren wollte, oder?

Deshalb achtete ich darauf, dass er nichts von meiner Begabung erfuhr.

Ich rappelte mich auf, stellte meine Tasche neben den Strandkorb und sah prüfend aufs Meer. Wir waren früh dran, der Strand war noch leer.

»Kommst du mit ins Wasser?«, fragte ich.

»Wer Erster ist!« Lachend schlüpfte er aus seinem T-Shirt, während ich noch Shorts und Top ausziehen musste.

In einem Wettlauf spurteten wir in die Wellen. Ich verlor. Nicht nur, weil Sport nicht meine Lieblingsbeschäftigung ist, sondern weil Glückseligkeitsgrinsen und Rennen keine gute Kombi sind.

Denn den Blick auf Noah gerichtet, drei Fuß über dem Boden schwebend vor Glück – entging mir die Sandburg. (Aber mal ehrlich, welche Kids bauen solche monströsen Burganlagen? Haben die nichts anderes zu tun?)

Jedenfalls landeten mein Grinsen und ich im Sand.

Kaum war ich neben Noah im Meer, begann er eine Wasserschlacht mit mir. Es war kalt. Mit Merle wäre ich schon längst kreischend an den Strand zurückgerannt, doch mit Noah machte mir die Kälte nichts aus. Wir tunkten uns johlend und prustend in die Wellen, bis er mich hochhob und prüfend musterte.

»Du hast blaue Lippen«, stellte er fest. »Wir sollten raus.«

»Nein, geht schon«, widersprach ich und versuchte, ihn in eine Welle zu ditschen. Aber Noah war stärker. Er warf mich einfach über die Schulter und trug mich an Land.

»Lass mich runter!« Lachend zappelte ich auf seinem Arm, doch er stellte mich erst am Strandkorb wieder auf den Boden. Aus meiner Strandtasche zog er ein Handtuch, schlang es mir um und rubbelte mich ab, dass mir erst recht die Zähne klapperten.

»Ist gut. Ich mach schon.« Bibbernd mummelte ich mich tiefer ins Handtuch.

»Setz dich in die Sonne!«

»Ja, Mama.« Gehorsam setzte ich mich vor den Strandkorb in den Sand, auf den die Sonne brannte. Ich beobachtete, wie Noah sich die Haare trockenrieb, und verfluchte mich dafür, dass ich mein Grinsen nicht abstellen konnte. Mit viel Willenskraft schaffte ich es schließlich, meinen Blick abzuwenden und mich auf ein paar Kinder zu konzentrieren, die mit einem bunten Drachen den Strand entlangrannten. Er wollte jedoch nicht fliegen und schrappte hüpfend durch den Sand.

Noah ließ sich neben mich fallen. »Geht’s wieder? Wird dir warm?« Er setzte sich so nah zu mir, dass sich unsere Schultern berührten.

»Na klar.« Ich lächelte ihn an und versank in seinen grauen Augen. Fast schämte ich mich für meine kitschigen Gedanken, doch als mir bewusst wurde, dass er meine Lippen musterte, kämpfte ich schon wieder gegen aufkommende Schnappatmung an.

Der Ring war keine große Hilfe dabei, einen klaren Kopf zu behalten, denn er sandte eine Hitzewelle nach der anderen durch meinen Körper.

»Ich weiß nicht«, meinte Noah mit einem kritischen Blick auf meinen Mund. »Wir sollten das überprüfen.« Er beugte sich zu mir und küsste mich.

»Klappt doch prima. Mir ist schon wärmer«, stellte ich fest. »Aber besser gleich noch mal.«

»Dein Wunsch ist mir Befehl.«

Auch wenn diese Bemerkung sofort mein schlechtes Gewissen aktivierte und eine nervige innere Stimme mich überreden wollte, Noah von der Magie zu erzählen, ließ ich mich hingebungsvoll in den Zauber des Kusses fallen. Wer hätte gedacht, dass Küsse wahrer Liebe so himmlisch sein können!

»Keine Ahnung, wie ich ohne dich leben konnte.« Er zog mich an sich, und eine neue Welle pures Glück rollte heran.

»Hast du eigentlich keine Angst, dass du ihn verlierst?«, fragte Noah unvermittelt, und ich verstand nicht gleich, wovon er sprach. Er nahm meine Hand und betrachtete den Ring.

Seit jenem Abend der Strandparty, bei meinem Leuchtturm in den Dünen, hatte ich ihn nicht mehr abgenommen. Okay, in Sport, weil Frau Mimers sonst Terz machte. Doch ich steckte ihn dann in die Hosentasche, und wann immer ich im Abseits stand – also die Hälfte der Stunde –, ließ ich ihn auf meinen Finger gleiten. Eine Tatsache, die Merle natürlich nicht entgangen war und sie dazu verführt hatte, mich gelegentlich Gollum zu nennen.

Merle wusste von meiner magischen Begabung. Und sie liebte sie. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte die Schmuckmagie uns schon längst zu den Königinnen der Schule gemacht. Doch bei meinen ersten Versuchen war etliches schiefgegangen, und ich war inzwischen vorsichtig mit dem Einsatz der Zauberei. Zwar hatte ich ein Buch mit Anleitungen für Schmuckzauber, aber ich verstand nur die Hälfte der Anweisungen. Mir fehlte jemand, der mich lehrte, wie ich die Magie formen konnte.

Ich drehte den Ring im Sonnenlicht, und das blutrote Feuer in ihm funkelte leidenschaftlich.

Diesen Liebesring für Noah und mich zu schmieden war eigentlich nicht nötig gewesen. Schließlich waren wir beide für einander bestimmt, richtig?

»Du hast wirklich Talent. Aber du solltest ihn abnehmen, wenn du schwimmen gehst. Weißt du, wie viele Ringe schon im Meer liegen, weil das kalte Wasser sie vom Finger gleiten lässt?«

Ich schluckte. »Daran habe ich gar nicht gedacht.« Aber unter keinen Umständen konnte ich ihn in Noahs Gegenwart abnehmen. Wer weiß, was dann passieren würde?

Nichts natürlich, versicherte ich mir sogleich. Denn wir liebten uns – mit oder ohne Zauber.

Dennoch hatte der Ring ihn an jenem Abend direkt zu mir geführt. Noah hatte die nervige Chrissy mit ihren dämlichen Anmachversuchen einfach mitten im Gespräch stehen lassen und war zu mir gekommen.

Und seitdem verbrachten wir jede freie Minute zusammen.

Sein Handy klingelte mich aus meinen Tagträumereien. »Och nö«, murrte ich. »Geh nicht ran.«

Doch er hatte sich schon aus der Umarmung gelöst und das Handy aus seinem Rucksack gefischt.

»Das ist kein Anruf. Es ist ein Alarm.«

»Ein Alarm?« Verwundert sah ich ihn an. Seit wann stellte er einen Wecker, wenn wir zusammen waren?

»Tut mir leid. Ich muss los.« Mit einem Seufzer stand er auf und schlug sich den Sand aus der Hose.

»Wohin denn? Probt ihr?« Ich rappelte mich auf. Es war mehr als blöd, dass ich diesen herrlichen Tag ohne ihn verbringen sollte.

Er zögerte, als er meinen unglücklichen Blick bemerkte, und ich meinte, ein leicht schlechtes Gewissen in seinem zu erkennen.

»Ja … Also … Richtig! Wir proben.« Irgendwie klang es nach einer Ausrede.

»Cool. Kann ich mit?« Ich stopfte das Handtuch in meine Tasche und stieg in die Shorts, doch Noah hielt mich zurück.

»Nein! Also – ach, weißt du, die Jungs haben eine Bandprobe ohne Freundinnen angesetzt. Ihr lenkt uns immer so ab.« Er lächelte und wollte mich küssen, aber ich wich aus.

»Ich bin auch ganz leise.«

»Das ist es nicht – du … wenn du da bist, dann vergess ich alles andere. Auch die Noten. Und den Text.«

(OMG! Das war so süß!) »Na gut. Ausnahmsweise. Dann sehen wir uns morgen in der Schule.«

»Aber sicher.« Er schulterte seinen Rucksack, rührte sich jedoch nicht vom Fleck.

»Was ist nun?«

»Ich will nicht. Den ganzen Tag über freue ich mich auf die Zeit mit dir. Du bist alles für mich.«

Nun schwebte ich nicht nur, sondern schmolz bei seinen Worten auch noch dahin. Natürlich endeten wir wieder einmal in einem leidenschaftlichen Kuss.

Schließlich schaffte ich es, ihn von mir zu schieben. »Du solltest los. Grüß mir die Jungs von der Band, okay?«

Seufzend nickte er, warf mir noch eine Kusshand zu und stapfte Richtung Lorenzo davon.

Wehmütig sah ich ihm nach, wie er zwischen den Strandkörben verschwand.

Und was machte ich nun mit diesem herrlichen Nachmittag?

Aus meiner Tasche starrte mich Napoleon an, doch ich kramte zielsicher an ihm vorbei mein Handy heraus und textete Merle an:

Lust am Strand abzuhängen?

Bin im Lorenzo

kam prompt die Antwort, und ich zog für eine Sekunde eine Schnute. Meine beste Freundin war in unserem Stammlokal? Ohne mich? Sie hatte mich nicht mal gefragt.

Grummelig stapfte ich nun ebenfalls zur Promenade, an der das Lorenzo lag. Bei Schietwetter war es mit seinem grünen Wintergartenfeeling und dem Blick auf das gischtende Meer der beste Platz, um es sich gemütlich zu machen, während es seinen Gästen bei diesem großartigen Sommerwetter eine Sonnenterrasse und Service am Strand bot, an dem Liegestühle bereitgestellt waren.

Ich ging die Liegestuhlreihen entlang und hielt Ausschau nach Merle. Ein paar Gäste hatten sich in den Schatten unter die Stelzen zurückgezogen, auf denen das Lorenzo stand. Aber ich war mir sicher, dass Merle sich ein Plätzchen in der Sonne gesucht hatte. Tatsächlich entdeckte ich sie in der ersten Reihe, mit grell gemustertem Bandeau-Top und der Nase im Geschichtsbuch. (Och nö. Bitte jetzt keine Lernsession!)

»Du warst aber schnell«, stellte sie überrascht fest und schob sich ihre überdimensionierte Sonnenbrille ins Haar.

Gerade wollte ich etwas erwidern, da winkte sie schon ab und beantwortete sich die Frage selbst. »Ach ja. Ihr habt ja euren Strandkorb. Wo ist denn Noah?«

»Musste weg«, antwortete ich knapp.

»Wie schön. Und jetzt hast du mal wieder Zeit für deine Freundin?«

(Autsch.) Ich ließ mich in den Stuhl neben sie plumpsen. »Ach komm. So schlimm ist es nun auch wieder nicht.«

Merle wiegte den Kopf. »Stimmt. Wir sehen uns ja im Unterricht. Falls du mal von der Herzchen-Kritzelei aufsiehst.«

»Was?« Sie tat ja gerade so, als würde ich mich wie ein blöder Teenager benehmen. (Na gut, ich war sechzehn und bis über beide Ohren verliebt. Aber trotzdem …) Mein Blick fiel auf das Geschichtsbuch, das Aufmerksamkeit heischend aus meiner Tasche ragte. Ein Herz mit rosa Glitzer-Edding war darauf gezeichnet. »Ich … also … ich kann eben nicht anders.«

Merle lachte. »Kein Wunder. Der Ring hat euch gebunden.«

»Jetzt komm mir nicht wieder mit deinen Anspielungen. Der Ring versklavt niemanden. Er unterstreicht nur das, was sowieso schon da ist. Punkt.«

»Ist ja gut. Aus mir spricht nur der Neid. Und die Eifersucht, weil Noah dich mir ausgespannt hat.«

»Tja, Merle«, seufzte ich übertrieben. »Du hast dich eben nicht genug ins Zeug gelegt.«

Sie kicherte. (Hurra! Sturmfront davongelacht!) »Ach, du meinst, wenn ich dir auch rote Rosen schenke, seh ich dich wieder öfter?«

Vor meinem inneren Auge ploppte die Ansicht meines Zimmers auf. Momentan war es von Rosen geflutet. Zwei Vasen drängten sich auf dem Schreibtisch und drei hatte ich ins Bücherregal gequetscht. Noah hatte sich angewöhnt, mir jeden Tag eine Rose zu schenken. Ich fand das unglaublich süß. Auch wenn ich inzwischen nicht mehr so recht wusste, wohin damit. Die neidischen Blicke mancher Mädels waren mir natürlich bewusst. Einen so aufmerksamen und romantischen Freund gab es eben nur einmal auf der Welt.

»Du grinst schon wieder so dämlich«, sagte Merle und riss mich aus meinen Gedanken.

»Ja, ist ja gut. Ich hab mir nur vorgestellt, wie wunderbar es wäre, rote Rosen von dir zu bekommen.«

Merle spitzte die Lippen und sah mich nachdenklich an. »Also wenn du dann auch die ganze Zeit so dümmlich grinst, kriegst du von mir keine.« Und damit hob sie das Geschichtsbuch vor ihr Gesicht.

»Du brichst mir das Herz.« Ich gab ein paar theatralische Seufzer von mir, doch das Geschichtsbuch rührte sich nicht.

Das glückliche Grinsen schlich sich zurück auf meine Lippen. Ich schlüpfte aus meinen Schuhen, grub die Zehen in den warmen Sand, lehnte mich zurück und genoss die Sonne auf meiner Haut.

»Ist er schon über die Alpen?«, fragte ich Merle nach einer Weile.

Wie in Zeitlupe senkte sich das Buch, und sie warf mir einen entsetzten Blick zu. »Du redest doch hoffentlich nicht über Napoleon.«

»Na klar. Ist das nicht der Typ mit den Elefanten?«

»Julie! Du hast ja noch nicht mal versucht, das Buch aufzuschlagen!«

»Nein, der Glitzer-Edding war noch nicht trocken«, gab ich zurück und schenke ihr mein bestes Grinsen.

Lachend warf Merle mir ihr Handtuch ins Gesicht. »Das mit den Rosen kannst du vergessen.«

»Also gut. Pass auf, wie wäre es damit: Ich geb dir eine Schokolade aus, und du erklärst mir, was Napoleon verbockt hat. Deal?«

»Eine Eis-Schokolade.«

»Natürlich.«

»XXL.«

»Dein Ernst?«

»Klar! Mit bunten Streuseln. Und Glitzerfähnchen!«

»Natürlich.«

»Ach, ich nehm gleich zwei.«

»Glitzerfähnchen?«

»Eis-Schokoladen.«

»Eine Eis-Schokolade XXL, bunt und glitzernd. Aber dann will ich auch alles über Napoleon und seine Affäre mit dieser Kleopa–« Weiter kam ich nicht, denn Merle schlug lachend mit dem Handtuch nach mir. »War ’n Witz«, verteidigte ich mich grinsend, stemmte mich aus dem Liegestuhl und machte mich auf zum Lorenzo. Merle würde mir mit Sicherheit die Sache mit Napoleon viel besser erklären, als das schnöde Buch es konnte.

Leider hatte inzwischen der Nachmittagsbetrieb im Café voll eingesetzt, und ich musste an der Bar anstehen. Die Liegestühle waren jetzt alle belegt. Am Strand waren Strandmuscheln wie Pilze aus dem Boden geschossen. Dazwischen rannten Kleinkinder mit Eimern, Schaufeln und Keschern herum. Auch erste Surfer paddelten im Wasser, auf der Suche nach einer guten Welle.

Als ich endlich mit zwei Bechern zu Merle zurückkam, steckte ein Surfboard im Sand neben meinem Liegestuhl, und Ben lümmelte darauf. »Hey, Jewels. Schön dich zu sehen«, begrüßte er mich.

»Ben!« Ich freute mich riesig. Auch wenn ich damit zugab, dass Merle recht hatte. In den letzten Wochen hatte ich meine Freunde wirklich ziemlich vernachlässigt. Alle meine Gedanken waren nur um Noah gekreist. Wann war ich das letzte Mal mit Ben und Merle ins Kino oder einfach nur auf einen Strandbummel gegangen? Vermutlich, bevor Noah mich das erste Mal geküsst hatte.

»Ist das Board neu?«, wollte ich wissen und reichte Merle ihren Becher. »Du hattest doch immer so eins mit orangefarbenen Streifen.«

Für einen Moment sah er mich verschmitzt an. »Das orangefarbene ist mein Longboard. Das hier ist ein Malibu.« Er musterte die Wellen. »Ist heute ganz schön voll. Dabei ist noch nicht mal Wochenende.«

»Aber perfekte Wellen?«, fragte ich und setzte mich vor die beiden in den Sand.

»Perfekte Wellen kommen und gehen. Wo ist Noah?«

»Kann ich denn nicht mal ohne ihn sein?« Es klang patziger als beabsichtigt. (Ein verdammt schlechtes Gewissen ließ Bens Frage in meinen Ohren wie einen Vorwurf klingen. Den Vorwurf, eine miese Freundin zu sein.)

»Ich weiß nicht«, antwortete Ben. »Kannst du?« Er sah mich sehr ernst an.

Kurz schnappte ich nach Luft, doch dann verkniff ich mir eine Antwort. Immer mussten alle an meiner Beziehung zu Noah rummeckern! Es reichte mir.

»Geh surfen«, motzte ich ihn an.

»Hat Zeit.« Er lehnte sich in meinem Liegestuhl zurück und musterte die Wellen. »Momentan sind mir zu viele Gaffer hier.«

»Ich gaffe nicht!«, brauste Merle sofort auf.

Verwundert sah ich zu ihr hinüber. Wieso bezog sie diese Aussage denn gleich auf sich? Schwärmte sie etwa noch immer für Ben? (Wie armselig war das denn, ich wusste nichts über den aktuellen Love-Interest meiner besten Freundin! Schäm dich, Julie!)

Mein Blick glitt forschend zu Ben, doch der schien ihren Ausbruch nicht für verdächtig zu halten. (Männer!) Er sah haarscharf an mir vorbei zu seinen Surfkumpels. Dass Merle sich in ihn verguckt hatte, konnte ich noch immer nicht fassen. Obwohl ich zugeben musste, dass mein Sandkastenkumpel Ben gar nicht mehr wie der Rotzlöffel von damals aussah. War das ein Sixpack unter dem Neoprenanzug? Aber Himmel! Das war Ben! Mit ihm hatte ich ein Planschbecken geteilt!

Nach der Grundschule hatten wir uns – obwohl wir gegenüber wohnten – aus den Augen verloren, waren aber inzwischen wieder beste Freunde. Keine Ahnung, wie das gekommen war, aber er, Merle und ich waren unzertrennlich.

Nun ja. Jedenfalls, bevor Noah mich zum Leuchtturm mitgenommen hatte. Und bevor ich den Ring angesteckt hatte. Ebendiesen Ring, den Ben jetzt wieder nachdenklich musterte.

»Lass gut sein«, meinte ich deshalb zu ihm und nahm die Hand von meinem Knie, damit er den Ring nicht mehr sah.

»Wird irgendwann der Tag kommen, an dem du das Ding ablegst?«, fragte er herausfordernd.

Auf keinen Fall würde ich mich auf sein Wer-hat-recht-Spielchen einlassen. »Ohne ihn würde ich mich verloren fühlen.« (Julie! Verloren? Hast du gerade allen Ernstes verloren gesagt? Kannst du Ben nicht noch mehr Steilvorlagen liefern?) Am liebsten hätte ich mich für diese Worte geohrfeigt.

Er zog die Augenbrauen hoch. »Verloren? Du solltest das Ding in den Ozean schleudern.«

(Siehste, Julie!) »Mir ist klar, dass du für Magie nicht viel übrig hast. Aber sie kann sehr nützlich sein.«

»Und wie!« Merle hielt zu mir. »Ich versuche, Julie von einem Band der Sportlichkeit zu überzeugen.«

Ben warf ihr einen amüsierten Blick zu.

»Was denn?«, gab sie zurück. »Dafür ist die Magie doch da. Um Menschen glücklich zu machen.«

Natürlich hätte ich Merle sagen können, dass das Band fast fertig war. Also – in meinem Kopf. Dass ich aber wegen Noah nicht dazu kam, es tatsächlich zu knüpfen. Vermutlich hätte diese Information jedoch beide nur wieder gegen Noah aufgebracht.

Also nippte ich schweigend an meiner inzwischen geschmolzenen Eis-Schokolade und beobachtete die Surfer. Auf jeden Fall war Magie dafür geschaffen, die Menschen glücklich zu machen! Ich brauchte nur noch mehr Übung.

Die beiden waren die Einzigen, die von meinem zauberhaften Geheimnis wussten. (Wenn man gewisse Familienmitglieder jetzt mal außen vor lässt.)

Ich hatte Ben in mein Geheimnis einweihen müssen. Allerdings misstraute er der Schmuckmagie – und ganz besonders meinem Liebeszauber. Dass es wahre Magie in unserer Welt gab und man sie nutzen konnte, hatte er inzwischen akzeptieren müssen, fand es aber falsch, sie tatsächlich anzuwenden. Ganz im Gegensatz zu Merle.

Doch ich vermutete, dass es im Fall des Rings noch einen anderen Grund gab, warum er mich immer so sauer ansah. Denn tief in seinem Herzen war Ben ein Romantiker. Er glaubte fest an wahre Liebe. (Genau wie ich.)

»Und?«, fragte Ben schließlich leise und beugte sich zu mir herunter. »Bist du durch den Ring glücklicher als vorher?«

In seinem Blick lag etwas Herausforderndes, und für einen Augenblick war mir, als würden wir einen Kampf ausfechten. Es machte mich wütend, dass er meine Liebe zu Noah immer noch ablehnte. »Noah und ich sind jetzt zusammen. Natürlich bin ich glücklich.«

Bens forschender Blick versuchte, bis tief in mein Herz zu sehen, als ob er dort eine andere Antwort vermutete. Als ob dort geschrieben stand, dass es alles nur Fake war. Magie-Fake.

»Wenn es wahre Liebe ist, dann brauchst du diesen Budenzauber doch gar nicht. Nimm ihn ab«, forderte er, und nun wurde ich wirklich wütend.

»Wenn die Magie Fake ist, dann musst du dich doch gar nicht über den Ring aufregen. Ich finde ihn einfach schön.«

Ein Lächeln huschte über seine Augen. »Du glaubst aber dran. Was also ist deine Liebe zu Noah? Wunschdenken oder echtes Gefühl?«

Ich hasste es, dass es ihm immer wieder gelang, mich in die Ecke zu drängen. Nur, um es ihm zu beweisen, wäre ich am liebsten aufgesprungen und hätte den Ring tatsächlich ins Meer geschleudert. Aber ich konnte nicht. Allein der Gedanke, ihn zu verlieren, ängstigte mich. Natürlich lag Ben falsch. Magie war real. Und meine Liebe zu Noah ebenso. Der Ring war inzwischen ein Teil von mir. Mein erstes magisches Schmuckstück! (Das auch wirklich funktionierte.) Ach, verdammt! Ich war Ben definitiv keinen Beweis schuldig!

Wut brandete in mir hoch, und gerade wollte ich ihn mit einer Wortkaskade zum Schweigen bringen, da mischte Merle sich ein.

»Klar kann sie ihn abnehmen. Es geht gar nicht um die Bindung zwischen den beiden, Ben. Der Ring bewirkt, dass sich niemand anders dazwischendrängen kann.«

Für eine Sekunde starrte Ben Merle überrascht an. Und ich ebenso. Merle war eine Meisterin der schnellen Notlüge. Obwohl – eigentlich hatte sie sogar recht. Ich hatte den Ring geschmiedet, um Chrissy von Noah zu trennen.

»Verstehe«, murmelte Ben. Beim Aufstehen zog er sein Board aus dem Sand und klemmte es sich unter den Arm. »Na dann.«

Auch ich sprang auf. »Ja, genau. Der Ring hat Chrissys schleimige Annäherungsversuche beendet. Die hat Noah ja so verzweifelt angebaggert, obwohl sie wusste, dass wir zusammengehören.«

Ben hielt inne und sah mich mit gerunzelter Stirn an. Er zweifelte. Und ich hätte ihn am liebsten geschüttelt. Wenn ich doch die Zeit zurückdrehen könnte, dachte ich. Dann wäre der Abend, an dem er meine Magie entdeckte, ganz anders verlaufen. (Moment. Vielleicht konnte ich mit dem richtigen Schmuck die Zeit verändern. Das musste ich dringend im Buch nachschlagen!)

»Ich geh surfen.« Ben tippte sich zum Abschied an die Stirn. »Bis morgen.«

»Bis morgen.« Merle sah ihm mit verklärtem Blick nach, wie er durch die Strandmuscheln hinunter zum Wasser ging und schließlich der Wasserkante folgte, bis er weitab vom Trubel endlich mit seinem Board in die Wellen tauchte.

»Es muss total cool sein«, meinte Merle sehnsüchtig.

»Surfen?« Ich ließ mich in den Liegestuhl fallen.

Sie nickte, ohne den Blick von dem Punkt zu wenden, der Ben war.

»Probier es doch mal aus.«

Als hätte ich etwas total Absurdes von ihr verlangt, fuhr sie zu mir herum. »Bist du noch bei Trost? Ich und surfen? Ich bin doch kein Surfer-Girl!«

»Warum nicht?« Der Versuch, den Bodensatz der Eis-Schokolade mit dem Strohhalm aufzusaugen, machte ein ekliges Geräusch, und ich ließ es bleiben.

Merle zögerte, als ob sie eigentlich wüsste, dass ihre Antwort blöd war. »Nein, also … Das ist nicht gut. Es ist besser, wenn ich nicht im selben Club bin. Du bist auch nicht in Noahs Band.«

Was war denn das für ein Vergleich? »Ich kann nicht singen. Und auch kein Instrument spielen. Ich bin unmusikalisch. Ich hab keine Ahnung von Musik.«

»Und ich hab keine Ahnung vom Surfen.«

Touché. Ich sah zu ihr hinüber, wie sie sich reckte, um noch einen Blick auf Ben zu erhaschen.

»O Mann. So kann man ihn gar nicht sehen«, maulte sie prompt.

»Vermutlich war das seine Absicht. Er gehört nicht zu den Angebern, die sich gerne zur Schau stellen.« Unzufrieden kratze ich das letzte bisschen Eiscreme mit dem Strohhalm heraus und leckte ihn ab.

Merle lächelte. »Ja, ich weiß. Ben ist wirklich cool.«

Statt zu antworten, grunzte ich nur und schloss die Augen. Was für ein herrlicher Sommertag … Wie lange war es noch bis zu den Sommerferien?

»Also«, begann Merle, »wo steht Napoleon?«

Mein Sommerferientraum rauschte mit Vollgas gegen einen kleinen Typen in Uniform.

»Keine Ahnung«, murmelte ich und ließ mir weiter die Sonne ins Gesicht scheinen. »Auf verlorenem Posten?«

Merle kicherte. »Vermutlich. So wie du morgen in Geschichte.«

»Ach was. Ich hab Glück. Der nimmt mich nicht dran. Gehen wir schwimmen?«

Merle ließ das Buch in den Sand fallen. »Gute Idee.«

Heldenhaft rannten wir in die Wellen, doch kaum schwappte uns das eisige Wasser bis zu den Knien, kreischten wir auf und flüchteten lachend zurück zu den Liegestühlen.

Es war herrlich, mit der besten Freundin am Strand abzuhängen.

2

»Welche Entscheidung, meinst du, Julie, führte zu dem Desaster, das Napoleon in dieser Schlacht erlebte?«

Wie ein Fisch auf dem Trockenen schnappte ich nach Luft, wand mich auf meinem Stuhl und starrte Herrn Wolters mit Glupschaugen an.

»Nun ja«, stammelte ich und sah hilfesuchend zu Merle. Unter dem Tisch gab sie mir irgendwelche Zeichen mit den Fingern. Stellte sie hoppelnde Kaninchen dar? War Napoleon auf Kaninchenjagd gegangen, statt sich seinem Krieg zu stellen? Kaum merklich schüttelte ich den Kopf. Ich fragte mich, womit ich Herrn Wolters verraten hatte, dass ich keinen blassen Schimmer von Napoleon und seinen Desastern hatte. (Allerdings hatte ich eine ziemlich klare Vorstellung von dem Desaster, in das ich gerade hineinsteuerte.)

Herrn Wolters entging mein Blick zu Merle natürlich nicht, und er lachte kurz auf. »Meinst du, deine Freundin kann dir besser zur Seite stehen als Grouchy Napoleon?«

»Ähm … na ja, ich, also …« Julie! Denk nach! »Es war wohl nicht nur eine Entscheidung, die zur Niederlage führte. Es kam eher so eins zum anderen …« Absoluter Schuss ins Blaue. Aber mal ehrlich, ist es so nicht immer? Ich hatte mich entschieden, mit Noah zu schwimmen, statt zu lernen. Dann hatte ich lieber Zeit mit Merle am Strand verbracht und danach das Schmökern im Schmuckbuch vorgezogen, um die richtigen Perlen für Merle zu finden, und deshalb Napoleon erneut einen Korb gegeben. (Einen Zeit-zurückdreh-Zauber hatte ich nicht finden können. Auch keinen, der einen sportlicher machte. Beides sehr, sehr blöd.) Jedenfalls hätte ich mit einer dieser Entscheidungen allein nicht Kopf und Kragen und eine schlechte Note riskiert. In der Summe jedoch schon.

Zu meiner Überraschung grummelte Herr Wolters ein »Gut erkannt« und suchte sich ein neues Opfer.

Vor Erleichterung hätte ich beinahe laut aufgeseufzt.

Von Merle kassierte ich einen bewundernden Blick.

»Wann hast du denn gestern noch gelernt?«, flüsterte sie mir zu, dann riss sie die Augen auf und lehnte sich zu mir rüber. »Oder hast du etwa …?« Ihr Blick suchte meine Hände, Ohren und meinen Hals ab. »Ist es eine Kette? Brosche?«

»Nein«, zischte ich. »Nichts davon. Ich hatte einfach Glück.«

Sie kniff die Augen zusammen und musterte mich argwöhnisch. »Vergiss nicht, ich bin deine beste Freundin! Du musst mir die Wahrheit sagen.«

»Natürlich, was denkst du denn!«

Ein Papierkügelchen traf mich an der Stirn. Ärgerlich sah ich mich um und bemerkte Ben, der schräg vor mir saß und mir ein Zeichen gab, zur Tafel zu sehen.

Wolters hatte sich mit verschränkten Armen aufgebaut und starrte mich säuerlich an. Artig setzte ich mich gerade hin und versuchte ihn unschuldig, lieb und absolut interessiert anzusehen. (Ein Blick, der jahrelange Übung erforderte und den ich inzwischen sehr gut beherrschte.)

Den Rest der Stunde heuchelte ich Interesse und durfte in Frieden leben.

Auf Geschichte folgte Chemie. Herr Kampe, unser Chemielehrer, erinnerte uns freundlich daran, dass nächste Woche die Klassenarbeit dran war. Sie war entscheidend für die Note im Zeugnis und würde uns alles über Katalyse, Aktivierungsenergie und Reaktionsgeschwindigkeiten abverlangen. Ich wusste jetzt schon, dass meine Aktivierungsenergie für Chemie gegen null tendierte. Vermutlich sollte ich das Wochenende damit verbringen, den Stoff zu pauken. Vermutlich.

Mein Blick huschte zu Merle, die sehr entspannt aussah. Wir teilten zwar unsere Mathe-Allergie, doch in Chemie war sie seltsamerweise ein ziemlicher Crack.

Ben hingegen ließ die Hiobsbotschaft, dass die Chemiearbeit anstand, reichlich blass um die Nase werden. Er rutschte tief in seinen Stuhl und schien weder Katalyse noch irgendeine Art von Aktivierungsenergie für Chemie übrigzuhaben.

In der Pause zog ich ihn mit zu unserem Stammplatz.

»Was ist los?«, wollte ich von ihm wissen, als ich mich neben ihn setzte. Noch immer sah er ziemlich krank aus.

»Ach«, winkte er ärgerlich ab. »Ich und Chemie! Du kannst uns schütteln, wie du willst, am Ende trennen wir uns doch wieder. Wie Wasser und Öl – rückstandslose Trennung. Immer wieder.«

»Dann hast du noch nicht die richtigen Tenside gefunden, damit –« Merle biss sich verlegen auf die Lippe, als wir ihr einen vernichtenden Blick zuwarfen. »Tenside … Ich mein ja nur, wegen rückstandslose Trennung, versteht ihr? Tenside zerstören die Grenzflächenspannung, damit eine Dispersion –« Sie verstummte erneut und rückte ihre Brille zurecht, dann fügte sie lächelnd hinzu: »Aber in Mathe bist du doch total gut. Und wir nicht!«

»Mathe hat nichts mit Chemie zu tun.« Da gab es nichts zu diskutieren, das machte Bens Tonfall unmissverständlich klar. Vielleicht hatte er recht. Mich interessierte beides nicht. Und bei Merle und Ben verteilten sich die Talente genau gegensätzlich.

Von unserer Bank unterm Baum hatten wir einen guten Überblick. Natürlich scannte ich wie beiläufig den Hof nach Noah ab. Aber er war nicht da.

»Es ist ja noch ’ne Woche bis zum Test. Wenn du willst, helfe ich dir beim Lernen.« Lächelnd reichte Merle Ben ihre Dose mit Schokorosinen. »Lass mich dein Tensid sein.«

Ich prustete los. Bens entsetzter Blick war einfach zu herrlich.

»Das geht nie und nimmer alles in meinen Schädel«, grummelte er. »Ich hab ja noch nicht mal das Grundwissen.« Unglücklich nahm er sich eine Handvoll Rosinen und kippte sie sich in den Mund.

»Meine Güte, dann kriegst du eben eine schlechte Note. Na und?«, versuchte ich ihn aufzumuntern, doch er schüttelte den Kopf.

»Wenn das ’ne Sechs wird, dann war’s das.«

Überrascht blinzelte ich ihn an. Eine Sechs? Ich dachte, er würde sich über eine miese Vier aufregen. »So schlimm?«, fragte ich erschrocken.

»Ja. So schlimm. Wenn ich die Arbeit verhaue, dann bin ich raus. Dann dürft ihr ohne mich das Abi angehen.«

Diese Nachricht traf mich mehr, als ich gedacht hätte. Ben und ich hatten bisher alles zusammen durchgestanden: Kindergartengruppe, Grundschule und nun das Gymnasium. Außerdem: Wenn schon einer von uns sitzenblieb, müsste es doch die voll verpeilte Julie sein!

»So ein Quatsch!« Merle griff nach seiner Hand. »Niemals. Wir sind ein Team. Wir helfen dir! Du wirst uns nicht allein lassen, verstanden? Ich will mit dir in den Fotokurs.«

Grummelnd zog Ben seine Hand zurück, hob ein Steinchen auf und beschoss damit eine gelbe Blüte, die sich mühsam durch die Pflastersteine gezwängt hatte.

Merle drängte sich zwischen Ben und mich. »Ich weiß, wie man den perfekten Spicker baut«, flüsterte sie verschwörerisch.

»Ja klar, Merle.« Schelmisch grinste ich sie an, woraufhin sie mir demonstrativ den Rücken zuwandte.

»Nur so, für den Notfall. Zuerst versuchen wir’s natürlich mit Lernen.«

Ben sah sie zweifelnd an.

»Ich komme heute Nachmittag zu dir, okay?«, sagte sie zu ihm. »Vielleicht sogar direkt nach der Schule? Dann können wir gleich mit dem Lernen anfangen.«

Sein Blick hätte nicht skeptischer sein können, doch letztendlich stimmte er ihr zu. Ich hoffte sehr, dass Merle ihm helfen konnte, auf eine Vier zu kommen. Sein Vater würde eine Sechs oder gar das Wiederholen der Klasse nicht so einfach akzeptieren.

3

Nach der Schule begleitete Merle Ben (und mich) nach Hause. Ich unterdrückte ein Grinsen, als ich mir vorstellte, wie seine Mom Merle für seine neue Freundin halten würde. Von der Nachhilfe in Chemie konnte er jedenfalls nichts erzählen, weil seine Eltern gar nichts von der Misere wussten.

Verstohlen warf ich ihm einen Blick zu. Er sah angespannt aus. Während Merle, die emsig versuchte, bei seinem Tempo mitzuhalten, ohne Punkt und Komma quatschte. Sie quasselte darüber, wie lange sie schon nicht mehr bei ihm im Zimmer war, wollte wissen, ob seine Eltern da waren, denn seine Mutter sei ja so lieb, überlegte, womit sie am besten beginnen sollten, und, und, und.

Seine Sorgenfalte und den unsicheren Blick, den er ihr zuwarf, bemerkte sie nicht.

Ob das mit den beiden klappen würde?

Jedenfalls glühte Merle regelrecht vor Aufregung über diese neue Aufgabe. Als wir an Bens Haus ankamen und sie vom Fahrrad stieg, hätte ich schwören können, dass sie ein oder zwei Zentimeter über dem Boden schwebte, so glücklich war sie, Zeit mit ihm zu verbringen. Inzwischen war es ziemlich offensichtlich, dass sie sich in ihn verknallt hatte. Allerdings war ich nicht sicher, ob Ben das genauso deutlich sehen konnte. Und mir war noch immer nicht klar, wieso sie ausgerechnet ihn so toll fand. Ben war nett und lieb und schon auch cool und ein großartiger Kumpel, und ich fand es irgendwie wunderbar, dass er wie ein Sommertag am Strand roch. Aber musste Merle sich ausgerechnet in meinen besten Freund verknallen?

Ich verabschiedete mich von den beiden und schob mein Rad über die Straße zum Haus. Ben wohnte genau gegenüber und konnte von seinem Fenster aus sehr gut in unseren Garten sehen, wie ich seit Kurzem wusste. (Eine Information, die mich seither von leichtbekleideten Sonnenbädern auf der Terrasse abhielt.)

Im Haus ließ ich meine Schultasche fallen und streifte die Schuhe ab. Anscheinend hatte Paps nur auf diese Geräusche gewartet, denn prompt stand er in der Wohnzimmertür und strahlte mich an.

»Hallo, Julie. Rate mal … Es war jemand für dich hier.« Sein Grinsen verriet mir, dass es nur Noah gewesen sein konnte. Außerdem hielt er etwas hinter dem Rücken versteckt. Natürlich. Wir hatten uns in der Schule nicht gesehen, also hatte Noah die heutige Rose hier abgeliefert. Ein leicht genervter Seufzer entkam mir, während ich die Hand ausstreckte.

»Na komm, Mädchen. Etwas mehr Begeisterung bitte. Weißt du eigentlich, dass du dir da einen sehr charmanten Kerl geangelt hast? Auch wenn ich persönlich denke, der junge Mann sollte mehr schlafen. Er sieht nicht gerade ausgeruht aus. Aber nun ja. Er ist wirklich ein Kavalier.« Paps überreichte mir die Rose. »Noah meinte, er hätte dich heute in der Schule nicht gesehen. Du warst aber schon dort, oder?«

Fassungslos sah ich ihn an. »Ja, Paps. Natürlich!«

»Na, dann ist ja gut.« Er wandte sich ab, drehte sich aber doch noch mal zu mir um. »Sag mal, haben Noahs Eltern einen Blumenladen?«

Ich runzelte die Stirn. »Nein, wieso?«

Doch er winkte ab. »Ach, war nur so ein Gedanke, wegen der ganzen Rosen. Du scheinst ihm jedenfalls eine Menge zu bedeuten.«

Ich lächelte wissend, schnappte mir meine Sachen und verzog mich auf mein Zimmer. Dort ließ ich mich aufs Bett fallen und schnupperte kurz an der Rose. Noah war wirklich ein Kavalier.

Allerdings konnte ich mich nicht recht mit ihm an den Strand träumen, denn Ben und sein Chemieproblem gingen mir nicht aus dem Kopf. Ob die beiden da drüben schon am Knutschen waren? Ich versuchte vergeblich, mir nicht vorzustellen, wie Merle sich Ben an den Hals schmiss.

Also rollte ich mich wieder aus dem Bett und stopfte ungeduldig die Rose in eine der Vasen. Natürlich stach ich mich dabei. Blut quoll aus der Wunde. Auch das noch.

Ich zückte mein Handy und tippte eine Nachricht an Merle.

Wie läuft es?