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Klimawandel - Erneuerbare Energien - unsere Zukunft!
Klimaerwärmung heißt, dass wir auf eine Zivilisationskrise unvorstellbaren Ausmaßes zusteuern. Und wir haben keinen Plan, wie wir das verhindern können. Oder doch? Dieses Buch beschreibt 100 existierende Ansätze der Verringerung von klimaschädlichen Gasen, die das Klimaproblem lösen können, wenn man sie vernetzt. Verblüffendes wird dabei deutlich und eine gut begründete Hoffnung entsteht: Es ist möglich, bis 2050 die Klimawende zu erreichen und die Erderwärmung zurückzudrehen. Ein Buch über ideenreiche Menschen, clevere Technologien und die Möglichkeit, die Dinge endlich anzupacken. Ein Zukunftsbuch!
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Seitenzahl: 749
PAUL HAWKEN (HG.)
DRAWDOWNDER PLAN
WIE WIR DIE ERDERWÄRMUNG UMKEHREN KÖNNEN
AUS DEM AMERIKANISCHEN ENGLISCHÜBERSETZT VON THOMAS GÖRDEN
MIT GELEITWORDTEN VON ANDREAS KUHLMANNUND ERNST ELRICH VON WEIZSÄCKER
(Chris Jordan)
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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Titel der Originalausgabe:
Drawdown. The most comprehensive plan ever proposed to reverse global warming, edited by Paul Hawken
© 2017 by Project Drawdown, originally published by Penguin Books
All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.
This edition published by arrangement with Penguin Books, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2019
by Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
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ISBN 978-3-641-24068-4 V003
www.gtvh.de
INHALT
GELEITWORT (ANDREAS KUHLMANN)
GELEITWORT (ERNST ULRICH VON WEIZSÄCKER)
VORWORT (TOM STEYER)
DIE ANFÄNGE
SPRACHE
ZAHLEN
ENERGIE
WINDKRAFT
MICROGRIDS
GEOTHERMIE
SOLARFARMEN
SOLARDÄCHER
WELLEN UND GEZEITEN
KONZENTRIERENDE SOLARTHERMIE
BIOMASSE
ATOMENERGIE
KRAFT-WÄRME-KOPPLUNG
KLEINWINDKRAFT
ALEXANDER VON HUMBOLDT
BIOGAS
FLUSSTURBINEN
MÜLLVERBRENNUNG
FLEXIBLE STROMNETZE
GROSSE STROMSPEICHER
DEZENTRALE STROMSPEICHER
SOLARE WARMWASSERBEREITUNG
ERNÄHRUNG
PFLANZENREICHE KOST
WIEDERHERSTELLUNG VON ACKER- UND WEIDELAND
LEBENSMITTELVERSCHWENDUNG REDUZIEREN
UMWELTFREUNDLICHE KOCHHERDE
AGROFORSTWIRTSCHAFT
VERBESSERTER REISANBAU
WALDWEIDE
WARUM ES UNS NICHT EGAL SEIN SOLLTE
REGENERATIVE LANDWIRTSCHAFT
NÄHRSTOFFMANAGEMENT
BAUM-MISCHKULTUR
KONSERVIERENDE LANDWIRTSCHAFT
KOMPOSTIEREN
PFLANZENKOHLE
TROPISCHE NAHRUNGSBÄUME
BEWÄSSERUNG
DIE VERBORGENE HÄLFTE DER NATUR
GANZHEITLICHES WEIDEMANAGEMENT
FRAUEN UND MÄDCHEN
FRAUEN ALS KLEINBÄUERINNEN
FAMILIENPLANUNG
BESSERE AUSBILDUNG FÜR MÄDCHEN
GEBÄUDE UND STÄDTE
NULLENERGIEHÄUSER
FUSSGÄNGERFREUNDLICHE STÄDTE
FAHRRAD-INFRASTRUKTUR
DACHBEGRÜNUNG
LED-BELEUCHTUNG
WÄRMEPUMPEN
INTELLIGENTES GLAS
INTELLIGENTE THERMOSTATE
FERNWÄRME
METHAN AUS MÜLLDEPONIEN
WÄRMEDÄMMUNG
RENOVIERUNG
TRINKWASSERVERSORGUNG
GEBÄUDEAUTOMATION
LANDNUTZUNG
WALDSCHUTZ
KÜSTENFEUCHTGEBIETE
TROPENWÄLDER
BAMBUS
DER MANN, DER DIE WÜSTE AUFHIELT
MEHRJÄHRIGE BIOMASSE
MOORLANDSCHAFTEN
LANDNUTZUNG DURCH INDIGENE VÖLKER
WÄLDER DER GEMÄSSIGTEN ZONE
DAS GEHEIME LEBEN DER BÄUME
AUFFORSTUNG
TRANSPORTWESEN
ÖFFENTLICHER NAHVERKEHR
HOCHGESCHWINDIGKEITSZÜGE
SCHIFFE
ELEKTROFAHRZEUGE
FAHRGEMEINSCHAFTEN
E-BIKES
AUTOS
FLUGZEUGE
LASTWAGEN
TELEARBEIT
EISENBAHNEN
MATERIALIEN
RECYCLING IM PRIVATHAUSHALT
INDUSTRIELLES RECYCLING
ALTERNATIVEN IN DER ZEMENTHERSTELLUNG
UMGANG MIT KÄLTEMITTELN
RECYCLINGPAPIER
BIOKUNSTSTOFFE
WASSEREINSPARUNG ZU HAUSE
ZUKUNFTSVISIONEN
WIEDERBELEBUNG DER MAMMUTSTEPPE
PASTURE CROPPING
BESCHLEUNIGTE VERWITTERUNG
PERMAKULTUR IM MEER
INTENSIVE WALDWEIDE
KÜNSTLICHE PHOTOSYNTHESE
AUTONOMES FAHREN
WELLENENERGIE
LEBENDIGE GEBÄUDE
ÜBER DIE SORGE FÜR DAS GEMEINSAME HAUS
DIRECT AIR CAPTURE
WASSERSTOFF-BOR-FUSION
INTELLIGENTE STRASSEN
HYPERLOOP
MIKROBENASSOZIIERTE LANDWIRTSCHAFT
NUTZHANF
MEHRJÄHRIGE NUTZPFLANZEN
EINE KUH SPAZIERT ÜBER DEN STRAND
MEERESFARMEN
INTELLIGENTE STROMNETZE
BAUEN MIT HOLZ
REZIPROZITÄT
EIN AUSBLICK
UNSERE VORGEHENSWEISE
WAS VERRATEN UNS DIE ZAHLEN?
WER WIR SIND
MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER
DANKSAGUNG
PERSONENREGISTER
HINWEIS DER REDAKTION
Die in diesem Buch vorgestellten Analysen und Berechnungen basieren auf dem Zahlenmaterial, so wie es zur Veröffentlichung der US-amerikanischen Ausgabe im Jahr 2017 vorlag. Bis zum Erscheinen dieser deutschen Übersetzung haben sich die Werte in vielen Fällen verändert (z.B. sind Solarmodule in den letzten Jahren deutlich billiger geworden), was aber die im Buch vorgeschlagenen Lösungen in ihrer Bedeutung nicht schmälert, sondern eher bestätigt.
(Craig Lovell/Eagle Visions Photography – Alamy Stock Photo)
GELEITWORT
WIEWIRDIE KLIMAWENDESCHAFFEN – AUCHIN DEUTSCHLAND
Als junger Physikstudent an der Universität Heidelberg hatte ich die Gelegenheit, Luftproben einer Reinluftstation aus dem Norden Kanadas auf deren CO2-Konzentration zu analysieren. Damals – Anfang der 90er Jahre – lagen die Werte bei rund 350 ppm (parts per million). Noch heute hängt diese Messkurve in meinem Büro und ich aktualisiere sie immer wieder: Im Jahr 2018 ist der CO2-Gehalt an diesem Ort der Welt auf über 400 ppm gestiegen. Wir sehen heute die höchsten jemals in der Atmosphäre gemessenen CO2-Werte in der Menschheitsgeschichte.
Es gibt keinen vernünftigen Zweifel mehr daran, dass darin große Gefahren für die Stabilität des Weltklimas liegen. Klimaschutz ist das erste Gebot dieses noch jungen Jahrhunderts. Die öffentliche Debatte dreht sich dabei zuerst und vor allem um die Frage nach der Verminderung des Ausstoßes klimawirksamer Gase, vor allem von CO2. Das Stichwort der Stunde in diesem Zusammenhang heißt »Energiewende«. Aber Klimaschutz ist mehr als Energiewende und die Energiewende ist mehr als der Ersatz von Kernenergie und Kohleverstromung durch erneuerbare Energien. Wollen wir wirklich erfolgreich Klimaschutz durch CO2-Reduktion betreiben, werden wir nicht nur die Stromversorgung auf erneuerbare Energien umstellen müssen. Auch im Verkehrssektor stehen spektakuläre Veränderungen an. Ebenso müssen Gebäude effizienter werden, damit wir dort weniger Energie vor allem für die Erzeugung von Wärme verbrauchen. Es geht zudem um die Entwicklung ganz neuer Produktionsprozesse für die Industrie, die auch in einer klimafreundlichen Zukunft eine wesentliche Grundlage für Wohlstand und Beschäftigung in Deutschland sein soll. Es geht um Arbeitsplätze, um Verteilungsfragen und um Strukturwandel.
Klimaschutz ist darum ein kompliziertes Unterfangen, das erlebe ich in meiner Arbeit bei der Deutschen Energie-Agentur (dena) jeden Tag. Aber ich erlebe auch, dass Energiewende und Klimaschutz faszinierende Fortschrittsprojekte sind, die neue Ideen freisetzen und verblüffende Innovationen entstehen lassen. Viele neue Unternehmen werden gegründet, jeden Tag kann man von innovativen Projekten und Technologien lesen. Große Firmen aus den unterschiedlichsten Branchen haben sich auf den Weg gemacht, viele Städte auch. Es entstehen neue Jobs, die Art, wie wir leben und konsumieren, wandelt sich und unsere Lebensqualität insgesamt verbessert sich deutlich.
Dieser Dynamik des Wandels fügt das Buch, das hier vor Ihnen liegt, einen wichtigen ergänzenden Aspekt hinzu. Es fragt nach den Möglichkeiten, die wir haben, um nicht nur weniger CO2 freizusetzen, sondern um das bereits in der Atmosphäre vorhandene Gas zu binden. Das Erstaunliche und Ermutigende ist: Es gibt tatsächlich jede Menge Lösungen, Kohlenstoff zu binden, also Senken für Treibhausgase zu schaffen. Durch die Art, wie wir Forstwirtschaft betreiben zum Beispiel, wie wir unser Vieh halten oder wie Mädchen und Frauen gesellschaftliche Partizipation ermöglicht wird. »Drawdown« zeigt Lösungen, die heute schon funktionieren und dabei auch wirtschaftlich rentabel sind. In diesem Buch sind sie erstmals kompakt versammelt und im Hinblick auf ihren Beitrag zum Klimaschutz bewertet.
»Drawdown« zeigt all die unterschiedlichen Aspekte des Klimaschutzes und, dass es besser geht, als wir es heute machen. Dabei wirft es einen frischen Blick auf Projekte in den unterschiedlichsten Ländern der Welt. Drawdown stellt Lösungen und neue Ideen vor. Ein Konzept, das viele Nachahmer und Ideengeber braucht und dem wir uns auch mit unserer Arbeit bei der Deutschen Energie-Agentur verpflichtet fühlen. Ich freue mich sehr, dass das dazugehörige Buch nun auch in deutscher Sprache vorliegt.
Deutschland kann auf dem Feld der Ideen, die dieses Buch vorstellt, eine (ge)wichtige Rolle spielen. Rund 14 Prozent beträgt unser Anteil am globalen GreenTech-Markt schon heute. Viele andere Nationen schauen darauf, wie wir als wohlhabendes Land mit diesem Potenzial umgehen. Auch die gesellschaftlichen Voraussetzungen sind in Deutschland besonders gut. Maßnahmen für Energiewende und Klimaschutz haben einen starken Rückhalt in unserer Gesellschaft. Eine Menge haben wir in Deutschland bereits erreicht, vieles muss aber noch unternommen werden. Für die nächsten Schritte brauchen wir noch mehr Mut und Entschlossenheit, mehr Kenntnis der Möglichkeiten und daraus erwachsende Urteilskraft, vor allem auch in der Politik. Und wir brauchen das Engagement vieler, gerade auch junger Menschen, um deren Zukunft es in den hier behandelten Fragen ja besonders geht. Gerade ihnen kann dieses Buch Mut machen und zeigen: Wir haben Möglichkeiten, das Klima zu schützen, es lohnt sich, diese Möglichkeiten zu entwickeln, und es kann gelingen.
Andreas Kuhlmann
Deutsche Energie-Agentur (dena),
Vorsitzender der Geschäftsführung
GELEITWORT
Paul Hawken ist ein erfolgreicher amerikanischer Unternehmer, der sich auch als Umweltaktivist und Sachbuchautor zu Umweltthemen einen Namen gemacht hat. Für sein Projekt »Drawdown« hat er ein Team von rund 100 Leuten gebildet, um »den umfassendsten Plan zur Umkehr der globalen Erwärmung, der jemals geschrieben wurde«, zu formulieren, wie der Untertitel des amerikanischen Originals festhält. Das ist natürlich eine recht vollmundige Behauptung. Können der Herausgeber und sein Buch halten, was sie versprechen?
Es ist, das auf jeden Fall, ein großartiges und wirklich umfassendes Werk. Hawken und seine Mannschaft stellen eine Vielzahl von Konzepten und Praxisideen vor, die geeignet sind, den CO2-Ausstoß in die Atmosphäre nicht nur zu reduzieren, sondern das klimaschädliche Gas sogar zurückzuholen und wieder zu binden. 19 Kapitel sind den klimafreundlichen Energien gewidmet. Viele weitere beschäftigen sich mit innovativen Konzepten für Landwirtschaft, Gebäudemanagement, Stadtplanung, Verkehr und Material-Handling. Es findet sich ein erhellendes historisches Kapitel über Alexander von Humboldt, der vor bald 200 Jahren schon auf eine vom Menschen ausgehende Verschlechterung der Atmosphäre hinwies. Betont werden die Möglichkeiten regenerativen Wirtschaftens: Wer kranke Böden gesund pflegt, bindet große Mengen von Treibhausgasen. Das ist einmal etwas anderes und Originelleres, als nur von Biogasanlagen und Windfarmen zu sprechen.
Originell für ein Klimabuch und von sehr hohem Wert ist auch das Kapitel über die Frage, wie die gesellschaftliche Gleichstellung von Mädchen und Frauen sich positiv auf das Klima auswirkt, weil so – unter anderem – das unaufhaltsame Wachstum der Erdbevölkerung gestoppt werden kann.
Dass dabei gelegentlich eine vielleicht typisch amerikanische Technikgläubigkeit mit den Autoren durchzugehen scheint, ist verzeihlich. Es wird sich zeigen müssen, ob ein Miniatur-Fusionsreaktor, basierend auf der Kernfusion von Wasserstoff und Bor, tatsächlich keine radioaktiven Abfälle erzeugt.
Alles in allem: Ein für Europäer erfrischend optimistisches Panoptikum der Möglichkeiten.
Nur eines hat mich irritiert: Hawken und sein Team erwarten alle Veränderung und Verbesserung vom Einzelnen, vom Investor, vom Markt. Das ist für einen Unternehmer mit amerikanischem kulturellem Hintergrund sicher nicht ungewöhnlich, erscheint mir aber auf dem Hintergrund meiner Erfahrungen fast schon naiv.
Denn seitdem 1972 der Club of Rome den Band »Die Grenzen des Wachstums« veröffentlichte, haben die jährlichen CO2-Emissionen permanent konstant zugenommen, trotz vieler technischer Fortschritte zur relativen CO2-Einsparung. Hintergrund dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass das Konsumwachstum sich viel schneller entwickelte, als die Fortschritte beim Klimaschutz vorankamen. Denn der Markt will diesen Schutz nicht, er will in allererster Linie mehr Konsum!
Ich hoffe darum, dass dieses Buch viele Entscheidungsträger in der Politik inspiriert, die politischen, wirtschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen zu konzipieren, die notwendig sind, um dem hier Vorgestellten eine Chance zu geben, Wirklichkeit zu werden. Und ich wünsche ihm viele Leserinnen und Leser, die als Wählerinnen und Wähler dazu beitragen, dass diese Rahmenbedingungen durchgesetzt werden können.
Ernst Ulrich von Weizsäcker
Ehrenpräsident des Club of Rome
VORWORT
Manchmal, wenn Konzepte oder Institutionen an ihr natürliches Ende gelangen, schaut sich die Welt die Resultate an und ruft: »Nie wieder!« Bei wirklich schlechten Ideen – vom Totalitarismus bis zur Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen – genügt es nicht, »nie wieder« zu sagen. Die Menschheit braucht andere, bessere Ideen. An diesem Punkt stehen wir heute. Wir wissen, dass wir die katastrophalen Auswirkungen der globalen Erwärmung nicht vermeiden können, indem wir uns ausschließlich darauf konzentrieren, die Kohlendioxidemissionen (CO2-Emissionen) auf Null zu reduzieren. Wir müssen Kohlenstoff vielmehr sehr schnell wieder aus der Atmosphäre entfernen. Drawdown (englisch »Absenkung, Reduktion«) stellt dynamische, innovative Lösungsansätze vor, mit denen sich dieses drängende Ziel erreichen lässt.
Nie waren die Risiken für unseren Planeten größer. Die Welt erwärmt sich, der Meeresspiegel steigt, die Folgen des Klimawandels treten schneller ein und sind tiefgreifender, als ursprünglich vorhergesagt. Es handelt sich um eine globale Krise, die keinen Raum lässt für parteipolitische Rhetorik. Es sind Lösungen in jeder Größe und quer durch alle Bereiche notwendig.
Um Treibhausgase zu reduzieren, benötigen wir einen strikten Plan. Das Team des Projektes Drawdown besteht aus 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weltweit (und die Zahl wächst stetig) und präsentiert 100 von ihm untersuchte und ausgewertete kreative Ideen. Mein Heimatstaat Kalifornien zeigt beispielhaft, wie Wirtschaft und Familien gleichermaßen von einem Zusammenspiel aus zahlreichen Lösungen profitieren können. Im Jahr 2006 wurde hier ein bahnbrechendes Klimagesetz verabschiedet, durch das die Kohlendioxidemissionen bis zum Jahr 2020 auf den Stand von 1990 gesenkt werden sollen – ein Ziel, das wir voraussichtlich erreichen werden. Im Jahr 2016 ging unser Parlament sogar noch weiter und entschied, bis 2030 die Schadstoffemissionen um weitere 40 Prozent (bezogen auf das für 2020 angestrebte Ziel) zu reduzieren.
Das Resultat ist offensichtlich. In halsbrecherischem Tempo werden in Kalifornien Windkraft- und Solaranlagen gebaut. In den Städten, aber auch in ländlichen Regionen sind Projekte des öffentlichen Nahverkehrs im Bau. Dazu zählen Schnellbuslinien, U-Bahnen und eine verbesserte Infrastruktur für Radfahrer und Fußgänger. Kommunen begrünen ihre Straßen und planen Stadtwälder und Parkanlagen. Das landesweit effektivste Null-Emissions-Fahrzeug-Programm ist führend in der Elektromobilitäts-Revolution – und viele dieser Elektroautos werden hier in Kalifornien produziert werden. Organische Abfälle werden in Biogas und Kompost umgewandelt. Versorgungsunternehmen schaffen die dafür notwendigen Speicherkapazitäten. Wälder aus Redwood und Douglasie entziehen der Atmosphäre Kohlendioxid.
Indem wir Kalifornier unsere gemeinsame Verantwortung für den Klimaschutz akzeptieren, erzeugen wir ökonomischen und gesundheitlichen Nutzen und mehr Lebensqualität für alle: eine Reduzierung der Kohlendioxidemissionen in den Dimensionen der sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt! Kalifornien ist gewiss ein überzeugendes Praxisbeispiel, aber auch auf globaler Ebene existieren bereits Lösungskonzepte. Diese stellen wir auf den folgenden Seiten vor.
Viele aktuelle Lösungen sind technologischer Art. Von Methanfermentern über alternative Zementsorten, klimatisierende Dächer, Windturbinen und Smart Grids bis hin zu Biokunststoffen existieren marktreife Technologien, die den Beitrag von Energie, Gebäuden, Industrie und Verkehr zur globalen Erwärmung reduzieren können. Aber Drawdown berücksichtigt auch, dass wir im Einklang mit natürlichen Systemen und Gegebenheiten vorgehen müssen. Dies bedeutet, dass die technischen Lösungen von heute zugleich auch ökologisch sein müssen. Biologische Kohlenstoffspeicher werden helfen, der Luft Kohlendioxid zu entziehen und seine Konzentration in der Atmosphäre zu verringern. In der Landwirtschaft kann nachhaltige Beweidung dazu beitragen, Kohlenstoff in den Boden einzubringen. Agroforstwirtschaft kann Früchte, Nüsse, Öle und Holz erzeugen – während gleichzeitig große Mengen Kohlendioxid gebunden werden. Besonders wichtig ist dabei, dass die heutigen Lösungen positive soziale Auswirkungen haben. Bildung für Mädchen und Wissen über Familienplanung erhöht nicht nur die Fähigkeit, besser mit den Auswirkungen von Klimaveränderungen umzugehen, sondern vergrößert gleichzeitig die Chancen der einen Hälfte der Weltbevölkerung auf gesellschaftliche Teilhabe. Wenn wir die Verschwendung von Lebensmitteln reduzieren, versetzt uns dies in die Lage, mehr Menschen zu ernähren, gleichzeitig nimmt dadurch auch die Energie- und Wasserverschwendung ab. Recycling senkt unseren Bedarf an neuen Rohstoffen und an der Energie, die notwendig ist, um diese Rohstoffe aus der Erde zu holen. Und, ja, auch die Verwendung sparsamer LEDs statt herkömmlicher Glühbirnen spart eine Menge Energie.
Wir können langfristig nicht überleben, wenn wir die Natur ausplündern. Wir nehmen uns mehr, als die Erde verkraften kann. Jetzt müssen wir uns fragen, wie wir Bündnisse zum Schutz der Erde organisieren und unsere selbstsüchtigen Instinkte im Zaum halten. Wir brauchen dringend neue, bessere Ideen, und Drawdown präsentiert Lösungsvorschläge des 21. Jahrhunderts für Probleme des 21. Jahrhunderts – indem es systemorientiertes Denken und ausführliche Analysen kombiniert, um die größte Umweltherausforderung unserer Zeit aktiv anzugehen.
Ich blicke optimistisch in die Zukunft. Paul Hawken und das Team vom Projekt Drawdown geben uns einen Wegweiser und einen moralischen Kompass an die Hand: die auf intensiver Forschung basierende Vorstellung einer Zukunft, die wir gemeinsam bauen können. Das Buch soll zu einem lebendigen, aktiven Fahrplan werden, der von einer wachsenden Online-Community kontinuierlich auf den neuesten Stand gebracht wird und es soll in uns die Erinnerung an das Miteinander von Mensch und Natur zurückrufen. So bauen wir eine sauberere, bessere Welt und appellieren an das Beste in uns allen. Es liegt an uns, ob wir zuhören.
Tom Steyer
Gründer und Vorsitzender von NextGen Climate
DIE ANFÄNGE
Das Projekt Drawdown wurde nicht aus Angst geboren, sondern aus Neugierde. Im Jahr 2001 begann ich damit, Klima- und Umweltexperten eine Frage zu stellen: Wissen wir, was wir tun müssen, um die globale Erwärmung zu stoppen und rückgängig zu machen? Ich dachte, die Experten hätten dafür sofort eine To-do-Liste parat. Daher wollte ich wissen, welche besonders effektiven Lösungen bereits verfügbar wären und wie sie sich auswirken würden. Auch wollte ich wissen, was diese Maßnahmen kosten würden. Die Leute, die ich fragte, sagten mir, dass eine solche Liste nicht existiere, waren sich aber einig, dass eine Bestandsaufnahme hilfreich wäre. Ihr individuelles Fachwissen reiche aber nicht aus, um sie zu erstellen. Nach ein paar Jahren fragte ich gar nicht mehr nach, weil diese Aufgabe auch mein Fachwissen überstieg.
Dann kam das Jahr 2013. In mehreren Artikeln wurden so alarmierende Fakten veröffentlicht, dass man bereits erste Stimmen hörte, die das Undenkbare aussprachen: Was, wenn das Rennen längst verloren wäre? Stimmte das oder war der Wettlauf gegen die Zeit noch in vollem Gange? Wo standen wir wirklich? Damals beschloss ich, das Projekt Drawdown zu starten. »Drawdown« bezeichnet jenen Zeitpunkt, an dem die Konzentration der Treibhausgase ihren Höhepunkt erreicht hat und von da an jährlich abnimmt. Ich entschied, dass das Ziel des Projekts darin bestehen sollte, 100 effektive Lösungen zu finden, zu bewerten und zu entwickeln, um herauszufinden, was wir innerhalb von drei Jahrzehnten leisten können, um dieses Ziel zu erreichen.
Der Untertitel des Buches – Wie wir die Erderwärmung umkehren können – mag etwas anmaßend klingen. Wir haben diese Formulierung gewählt, weil bislang noch kein detaillierter Plan, wie die globale Erwärmung rückgängig gemacht werden kann, veröffentlicht wurde. Es gibt Vereinbarungen, wonach der Anstieg der Emissionen verlangsamt oder gestoppt werden soll. Und es gibt internationale Verpflichtungserklärungen, den globalen Temperaturanstieg auf zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. 195 Nationen sind zusammengekommen, haben anerkannt, dass uns weltweit eine schwere Zivilisationskrise droht, und nationale Aktionspläne beschlossen. Das IPCC, der sogenannte Weltklimarat der Vereinten Nationen, hat die bedeutendste wissenschaftliche Studie in der Geschichte der Menschheit abgeschlossen und wird auch weiterhin die wissenschaftliche Methodik der Klimaforschung verfeinern und ausweiten, um so unser Wissen bezüglich eines der komplexesten Systeme überhaupt zu erweitern. Dennoch gibt es bis jetzt keinen konkreten Plan, der über die Verlangsamung oder den Stopp des Anstiegs der Emissionen hinausgeht.
Um nicht missverstanden zu werden: Unsere Organisation hat keinen fertigen Plan ausgearbeitet. Wir verfügen nicht über die erforderlichen Fähigkeiten, um eine solche Aufgabe zu übernehmen. Im Rahmen unserer Forschungen haben wir aber ein Konzept, eine Blaupause, entdeckt, die bereits existiert – und zwar in Gestalt der kollektiven Weisheit der Menschheit. Diese manifestiert sich in bereits verfügbaren, praxisorientierten Methoden und Technologien, die anwendbar, wirtschaftlich rentabel und wissenschaftlich fundiert sind. Einzelne Landwirtschaftsbetriebe, kleinere Kommunen sowie Großstädte, Firmen und Regierungen haben gezeigt, dass sie sich um den Planeten und seine Bewohner sorgen. Engagierte Bürgerinnen und Bürger vollbringen weltweit Außerordentliches. Dies ist ihre Geschichte.
Für die Glaubwürdigkeit des Projektes Drawdown war es notwendig, ein solides wissenschaftliches Fundament zu erarbeiten. Wir hatten zwar riesige Ambitionen, verfügten aber nur über ein winziges Budget. Also luden wir Studierende und Forschende aus der ganzen Welt dazu ein, an unserem Projekt mitzuarbeiten. Wir wurden mit Antworten geradezu überschüttet, und einige der herausragendsten Frauen und Männer aus Wissenschaft und Politik boten ihre Hilfe an. Heute hat das Projekt Drawdown 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 22 Ländern. 40 Prozent sind Frauen, fast die Hälfte promoviert, und viele andere verfügen über mindestens einen akademischen Abschluss. Sie bringen enorme akademische und professionelle Erfahrung ein und sind an weltweit angesehenen Institutionen tätig.
Gemeinsam haben wir umfassende Lösungsvorschläge für die Klimaproblematik gesammelt und dabei jene identifiziert, bei denen das Potenzial, vorhandene Emissionen zu reduzieren oder der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen, besonders groß ist. Dann haben wir zu jeder dieser Lösungen vorhandene Informationen und Literatur zusammengetragen und entwarfen detaillierte Klima- und Finanzierungsmodelle. Die Analysen, die in diesem Buch präsentiert werden, durchliefen einen dreistufigen Prozess, zu dem Beurteilungen durch externe Fachleute gehörten, die Informationen, Quellen und Berechnungen auswerteten. Wir riefen einen aus 120 Experten bestehenden Beirat ins Leben, eine prominente und vielfältige Gruppe aus Geologen, Ingenieuren, Agrarwissenschaftlern, Politikern, Journalisten, Klimaforschern, Biologen, Botanikern, Ökonomen, Finanzanalysten, Architekten und Aktivisten, die den Text gegenlasen und kommentierten.
Fast alle hier vorgestellten und analysierten Lösungsansätze führen zu nachhaltigen ökonomischen Ergebnissen, die Sicherheit und Arbeitsplätze schaffen, die Gesundheit verbessern, Geld sparen, Mobilität ermöglichen, Hunger beseitigen, Umweltverschmutzung vermeiden, die Qualität der Böden verbessern, die Flüsse sauberer werden lassen und vieles mehr. Dass es sich um substanzielle Lösungen handelt, bedeutet nicht, dass sie alle nur gute Seiten haben. Es gibt in diesem Buch eine kleine Handvoll Vorschläge, deren Nebenwirkungen eindeutig schädlich für die menschliche und planetare Gesundheit sind, worauf wir in unserer Beschreibung klar hinweisen. Die überwiegende Mehrheit der Lösungsvorschläge ist aber frei von negativen Nebenwirkungen. Es handelt sich um Initiativen, die auch unabhängig von ihrer Auswirkung auf Emissionen und Klima unbedingt erstrebenswert sind, weil Gesellschaft und Umwelt von ihnen auf vielfältige Weise profitieren werden.
Im letzten Abschnitt des Hauptteils von Drawdown werden unter der Überschrift »Ausblicke« 20 Lösungen beschrieben, die noch im Entstehen begriffen sind oder sich am Horizont abzeichnen. Einige davon mögen Erfolg haben, andere nicht. In jedem Fall demonstrieren sie, mit welcher Genialität und Tatkraft engagierte Menschen sich dem Problem des Klimawandels widmen. Zusätzlich finden Sie Essays von prominenten Journalisten, Autoren und Wissenschaftlern – Erfahrungsberichte, historische Darstellungen und Vignetten –, wodurch die vielen Informationen dieses Buches in einen reichen und vielfältigen Kontext eingebettet werden.
Wir bleiben eine lernende Gesellschaft. Unsere Rolle besteht darin, Informationen zu sammeln, diese auf hilfreiche Weise zu organisieren und frei zugänglich zu machen. Jeder soll die Möglichkeit haben, die Informationen, die Sie hier in diesem Buch und auf der Webseite drawdown.org finden, zu ergänzen, zu korrigieren und zu erweitern. Auf der Webseite finden Sie außerdem technische Darstellungen und umfangreicheres Material zu den einzelnen Modellrechnungen. Jedes Modell, mit dem Prognosen für die nächsten 30 Jahre erstellt werden, ist zwangsläufig sehr spekulativ. Wir glauben aber, dass unsere Zahlen annähernd richtig sind, und freuen uns auf Ihre Kommentare und Ihren Input.
Fraglos mehren sich in Natur und Gesellschaft die Stresssignale, von Trockenperioden und dem Anstieg des Meeresspiegels, über unerbittliche Temperaturerhöhungen und einer Ausweitung der Flüchtlingskrise bis hin zu Konflikten und dem Wegfall bisheriger Siedlungsgebiete. Doch das ist nicht die ganze Geschichte. Wir zeigen in Drawdown, dass viele Menschen sich hartnäckig und unermüdlich für die Sache engagieren. Die Kohlendioxidmissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger und die Landnutzung haben gegenüber den hier präsentierten neuen Lösungen 200 Jahre Vorsprung, aber davon lassen wir uns nicht entmutigen, sondern begreifen das Ganze als faszinierende Herausforderung. Die Produktion der Treibhausgase, die uns heute Probleme bereiten, geschah zu einer Zeit, als die Menschen sich dieser Probleme noch nicht bewusst waren. Unsere Vorfahren wussten nicht, welchen Schaden sie anrichteten. Das kann uns zu dem Glauben verleiten, die globale Erwärmung wäre etwas, das uns zustößt, und dass wir Opfer eines Schicksals sind, das uns von früheren Generationen aufgebürdet wurde. Wenn wir aber unsere Perspektive verändern und in Erwägung ziehen, dass die Klimaerwärmung, die ja eine Veränderung der Atmosphäre ist, uns die Chance gibt, alles, was wir tun und erschaffen zu überdenken und zu verändern –, dann fangen wir an, alles mit ganz anderen Augen zu sehen. Wir übernehmen zu 100 Prozent selbst die Verantwortung und geben nicht länger anderen die Schuld. Wir betrachten die globale Erwärmung nicht als unentrinnbares Schicksal, sondern als Einladung, innovativ Veränderungen herbeizuführen und wir sehen sie als Weg, der unsere Kreativität, unser Mitgefühl und unsere Geisteskraft weckt. Das ist weder eine linke noch eine konservative Agenda. Es ist die menschliche Agenda. – Paul Hawken.
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Drei Wochen alte Küken des Fleckenkauzes auf einem bemoosten Hemlock-Ast im nördlichen Oregon.
(© Gary Braasch)
SPRACHE
Konfuzius schrieb, dass es der Beginn der Weisheit ist, die Dinge auf richtige Weise zu benennen. In der Welt des Klimawandels können Namen manchmal der Beginn der Verwirrung sein. Die Klimawissenschaft besitzt ihren eigenen Jargon, ihre Fachbegriffe und Abkürzungen. Es handelt sich um eine von Wissenschaftlern und Politikern entwickelte Fachsprache, die klar, spezifisch und nützlich ist. Doch in der Kommunikation mit der breiteren Öffentlichkeit kann sie Trennung und Distanz erzeugen.
Ich erinnere mich, dass mein Ökonomieprofessor mich aufforderte, das Gresham’sche Gesetz zu definieren. Mechanisch ratterte ich die Antwort herunter. Er schaute mich an – sichtlich unzufrieden, obwohl meine Antwort korrekt gewesen war. »Und jetzt erklären Sie es Ihrer Großmutter«, sagte er. Das war wesentlich schwieriger. Die Antwort, die ich meinem Professor gegeben hatte, wäre für meine Großmutter völlig unverständlich gewesen. Es war Fachchinesisch. So verhält es sich auch mit dem Klima und der globalen Erwärmung. Nur sehr wenige Menschen verstehen wirklich etwas von Klimawissenschaft, doch der grundlegende Mechanismus der globalen Erwärmung ist ziemlich unkompliziert.
Wir haben uns Mühe gegeben, Drawdown für Menschen jeglichen Backgrounds leicht verständlich zu machen. Indem wir die geeigneten Worte wählen, bestimmte Analogien und Fachausdrücke vermeiden und anschauliche Metaphern verwenden, möchten wir die Kommunikationslücke bezüglich des Klimawandels überbrücken. So weit wie möglich verzichten wir auf Abkürzungen und weniger bekannte klimawissenschaftliche Fachbegriffe. Kohlendioxid (CO2) schreiben wir überwiegend aus, statt es abzukürzen. Wir schreiben Methan, nicht CH4.
Schauen wir uns ein Beispiel an: Im November 2016 gab das Weiße Haus seine Strategie bekannt, bis zur Jahrhundertmitte eine tiefgreifende Dekarbonisierung erreichen zu wollen. Aus unserer Perspektive ist Dekarbonisierung ein Wort, mit dem das Problem beschrieben wird, nicht die Lösung: Wir haben die Erde dekarbonisiert, indem wir Kohlenstoff gewannen und als Kohle, Gas und Öl verbrannten, aber auch durch die Abholzung von Wäldern und schlechte Landwirtschaftsmethoden. Dadurch haben wir den Kohlenstoff in die Atmosphäre freigesetzt. Wird das Wort Dekarbonisierung so gebraucht, wie es das Weiße Haus tut, ist damit gemeint, Energie aus fossilen Brennstoffen durch saubere, erneuerbare Energien zu ersetzen. Doch wird der Begriff häufig verwendet, um damit das allübergreifende Ziel der Klimapolitik zu benennen und das, obwohl er wenig anregend wirkt und eher Verwirrung stiftet.
Ein anderer unter Wissenschaftlern gebräuchlicher Ausdruck ist »negative Emissionen«. Dieser Begriff ergibt in keiner Sprache einen Sinn. Versuchen Sie, sich ein negatives Haus vorzustellen oder einen negativen Baum. Die Abwesenheit von etwas ist nichts. Gemeint ist damit, dass man der Atmosphäre Kohlenstoff entzieht, was im Hinblick auf die globale Erwärmung positiv ist, nicht negativ. Es handelt sich also um ein weiteres Beispiel für einen Jargon der Klimaexperten, der sich vom allgemeinen Sprachgebrauch und vom allgemeinen Sprachverständnis entfernt hat. Unser Ziel ist es jedoch, die Klimawissenschaft und die Problemlösungen in einer Sprache zu präsentieren, die für ein möglichst großes Publikum zugänglich und überzeugend ist, also sowohl von Neuntklässlern und Handwerkern als auch von Akademikern und Landwirten verstanden wird.
Außerdem vermeiden wir eine militärische Sprache. In Reden und Artikeln zum Thema Klimawandel werden oft aggressive Metaphern benutzt: Da ist vom Krieg gegen das Kohlendioxid die Rede, vom Kampf gegen die globale Erwärmung und an vorderster Front werden Schlachten gegen die fossilen Brennstoffe geschlagen. Journalisten schreiben, wir müssten Emissionen bekämpfen, so als wäre der Klimawandel ein Dschungel, durch den wir mit der Machete eine Schneise schlagen müssten. Wir verstehen, dass solche Formulierungen verwendet werden, weil sie den Ernst der Lage und das immer kleiner werdende Zeitfenster verdeutlichen sollen. Dennoch unterstellen Worte wie »Krieg«, »Kampf« und »Kreuzzug«, dass der Klimawandel ein Feind ist, den es zu schlagen gilt. Das Klima ist eine Funktion der biologischen Vorgänge auf der Erde sowie der Physik und Chemie am Himmel. Es sind die über längere Zeit vorherrschenden Wetterbedingungen. Das Klima wandelt sich, weil es das schon immer getan hat und tun wird, und Klimaveränderungen bringen alles hervor, von den Jahreszeiten bis zur Evolution. Das Ziel besteht darin, die Auswirkungen unseres Handelns auf das Klima anzuerkennen, Rezepte gegen die menschengemachten Ursachen für die globale Erwärmung zu finden und den Kohlenstoff zurück nach Hause zu holen.
Auch der Begriff »Drawdown« ist erklärungsbedürftig. Er bedeutet »Abbau, Reduktion« und wird ursprünglich benutzt, wenn es um den Abbau militärischer Truppen, Kapitalreduzierung oder die Absenkung des Grundwasserspiegels geht. Wir verwenden ihn in unserem Zusammenhang, um die Reduzierung des Kohlendioxids in der Atmosphäre zu bezeichnen. Doch es gibt einen noch wichtigeren Grund, dieses Wort zu gebrauchen: »Drawdown« benennt ein Ziel, das derzeit noch kaum eine Rolle spielt, wenn vom Klimawandel die Rede ist. Den Ausstoß von Emissionen zu verlangsamen oder zu stoppen, reicht nicht aus. Wenn Sie auf der falschen Straße fahren, befinden Sie sich auch dann immer noch auf der falschen Straße, wenn Sie die Geschwindigkeit reduzieren. Das einzige für die Menschheit sinnvolle Ziel besteht darin, den Prozess der globalen Erwärmung rückgängig zu machen, und wenn Eltern, Wissenschaftler, junge Menschen, Politikerinnen, wir Bürgerinnen und Bürger insgesamt dieses Ziel nicht benennen, besteht nur wenig Aussicht, dass wir es erreichen.
Zuletzt ist da noch der Begriff »globale Erwärmung«. Der Ursprung dieses Konzepts reicht ins 19. Jahrhundert zurück, als Eunice Foote (1856) und John Tyndall (1859) unabhängig voneinander beschrieben, wie Gase Wärme in der Atmosphäre binden und wie Veränderungen in der Konzentration dieser Gase das Klima beeinflussen. Der Ausdruck »globale Erwärmung« wurde erstmals 1975 vom Geochemiker Wallace Broecker in einem Artikel der Zeitschrift Science mit der Überschrift »Klimaveränderung: Steht uns eine deutliche globale Erwärmung bevor?« benutzt. Vor diesem Artikel war die Bezeichnung »unbeabsichtigte Klimaänderung« gebräuchlich. Die globale Erwärmung bezieht sich auf die Oberflächentemperatur der Erde. Klimawandel (engl. Climate Change) bezieht sich auf die vielen Veränderungen, die auftreten werden, wenn die Temperatur und die Treibhausgase weiter ansteigen. Damit befasst sich der Weltklimarat der Vereinten Nationen, weswegen er »Intergovernmental Panel on Climate Change« heißt. In Drawdown beurteilen und entwickeln wir Konzepte, wie sich Treibhausgase reduzieren lassen, um die globale Erwärmung rückgängig zu machen. – Paul Hawken
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Rosetta Stone
(Juan Naharro Gimenez – Getty Images)
ZAHLEN
WAS SIEINDIESEM BUCHERWARTET
Hinter jeder der in Drawdown vorgestellten Lösungen stehen Hunderte Seiten mit Forschungsergebnissen und soliden mathematischen Modellen, die von einigen sehr klugen Köpfen entwickelt wurden. Jedes Lösungskonzept beinhaltet eine Einleitung mit der Entstehungsgeschichte des Vorschlages, dem wissenschaftlichen Hintergrund, Beispielen und den aktuellsten Informationen. Als weiterführende Information gibt es zu jedem Lösungsvorschlag auf unserer Webseite eine detaillierte technische Analyse. Zu jeder der vorgestellten Lösungen finden Sie außerdem eine Zusammenfassung des errechneten Outputs, einschließlich eines Rankings des Potenzials, Emissionen zu reduzieren. Wir geben an, wie viele Gigatonnen Treibhausgase vermieden oder der Atmosphäre entzogen werden, wir nennen ebenfalls die Gesamtkosten für die Einführung der Lösung bzw. der dafür nötigen Technologie sowie die Nettokosten oder – in den meisten Fällen – Einsparungen. Bei den Modellrechnungen stützen wir uns auf von Gutachtern geprüfte wissenschaftliche Studien (»peer-reviewed«). Auf manchen Gebieten, zum Beispiel bei der Landnutzung und Landwirtschaft, gibt es eine Vielzahl von in Einzelberichten zugänglichen Fakten und Zahlen, die wir berücksichtigen, aber nicht für unsere Berechnungen verwenden.
Am Ende des Buches finden Sie eine Übersichtstabelle, in der wir Ihnen geordnet nach den Sektoren (also z. B. Energie), die Gesamtauswirkungen der Lösungen zeigen.
RANKINGDER LÖSUNGEN
Es gibt mehrere Möglichkeiten für ein Ranking der Lösungen: Wie kosteneffizient sind sie; Wie schnell lassen sie sich verwirklichen; Wie groß ist ihr gesellschaftlicher Nutzen. Das sind alles interessante und nützliche Methoden zur Bewertung der erzielbaren Resultate. Für unsere Zwecke bewerten wir die einzelnen Lösungsvorschläge nach der Gesamtmenge der Treibhausgase, die durch sie eingespart oder aus der Atmosphäre entfernt werden kann. Hierbei wird stets die globale Wirkung bewertet. Die relative Bedeutung eines Lösungskonzeptes kann unterschiedlich ausfallen – abhängig von der Geografie, den lokalen ökonomischen Bedingungen oder dem Sektor.
REDUZIERUNGVON KOHLENDIOXIDIN GIGATONNEN
Kohlendioxid erhält in den Medien die größte Aufmerksamkeit, aber es ist nicht das einzige Treibhausgas. Zu den Gasen, die Wärme in der Atmosphäre festhalten, gehören außerdem Methan, Lachgas, fluorierte Treibhausgase und Wasserdampf. Jedes von ihnen hat langfristige Auswirkungen auf die globalen Temperaturen, abhängig von seiner Konzentration und Verweildauer in der Atmosphäre und von der Wärme, die es während seiner Lebenszeit absorbiert und zurückstrahlt. Auf Grundlage dieser Faktoren können Wissenschaftler berechnen, wie hoch das globale Erwärmungspotenzial eines solchen Gases ist. Einen Vergleichswert, einen gemeinsamen Nenner, erhält man, indem man für jedes Gas das Äquivalent an Kohlendioxid errechnet.
Jede Lösung in Drawdown reduziert Treibhausgase, indem Emissionen vermieden werden und/oder Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernt wird. Das Ausmaß, in dem eine der im Buch präsentierten Lösungen Treibhausgas reduziert oder entfernt, wird in Gigatonnen Kohlendioxid umgerechnet, die zwischen 2020 und 2050 aus der Atmosphäre entfernt werden können. Zusammengenommen repräsentieren sie die mögliche Gesamtreduktion von Treibhausgasen bis zum Jahr 2050, verglichen mit einem festgelegten Referenzwert, nämlich einer Welt, in der sich sehr wenig verändert.
Aber was ist eine Gigatonne? Um sich ein Bild von der Menge zu machen, stellen Sie sich 400.000 olympische Schwimmbecken vor. Das sind etwa eine Milliarde Tonnen Wasser oder eine Gigatonne. Multiplizieren Sie dies mit 36, was 14.400.000 Schwimmbeckenfüllungen entspricht. Im Jahr 2016 wurden weltweit 36 Gigatonnen Kohlendioxid emittiert.
GESAMTNETTOKOSTENUNDERZIELBARE EINSPARUNGEN
Die Gesamtkosten für jede Lösung in diesem Buch setzen sich zusammen aus der Anschaffung, der Installation und einer Betriebsdauer von 30 Jahren. Indem wir diese Zahl mit dem verglichen, was wir typischerweise für Nahrung, Benzin, Heizen und Kühlen unserer Häuser oder Wohnungen ausgeben, bestimmten wir die Nettokosten oder Einsparungen, die sich mit der Investition in die jeweilige Lösung erzielen lassen.
Unsere Berechnungen sind dabei vorsichtig kalkuliert, was bedeutet, dass wir die vermutlichen Kosten eher hoch ansetzten und sie von 2020 bis 2050 relativ konstant hielten. Weil sich aber Technologien rasch weiterentwickeln, gehen wir davon aus, dass die tatsächlichen Kosten geringer und die Einsparungen höher ausfallen werden. Doch selbst bei einem konservativen Ansatz sind die erzielbaren Nettoeinsparungen bei den meisten Lösungen eindrucksvoll. Allerdings gibt es auch Lösungen, bei denen sich Kosten und Einsparungen nicht berechnen lassen, zum Beispiel wenn es um die Rettung eines bestimmten Regenwaldes oder um die Verbesserung der Bildungschancen für Mädchen geht.
Wie viel Geld sind wir bereit auszugeben, wenn es gilt, Resultate zu erzielen, von denen die gesamte Menschheit profitiert? Am Ende des Buches stellen wir die Nettokosten und Einsparungen für jede Lösung in einer Übersicht dar. Die Nettoeinsparungen basieren auf den Betriebskosten nach Einführung zwischen 2020 und 2050. Diese Berechnung zeigt, wie kosteneffektiv die einzelnen Lösungen sind. Berücksichtigt man die vielfältigen positiven Effekte, die potenziellen Profite und Einsparungen sowie die Investitionen, die erforderlich wären, wenn alles so bliebe wie bisher, werden die Kosten vernachlässigbar. Die Amortisationsdauer ist bei den meisten Lösungen relativ kurz.
WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN
Die Präsentation der Lösungen in Drawdown ist lediglich eine Zusammenfassung der von uns durchgeführten Recherchen und Forschungen, auf die sich die im Buch vorgestellten Ergebnisse stützen. Im Abschnitt »Methodik« finden Sie nähere Angaben zu unserer Herangehensweise und den Annahmen, auf denen unsere Berechnungen beruhen. Auf der Webseite drawdown.org wird ausführlich beschrieben, wie die Daten gesammelt wurden, welche Quellen wir benutzten und von welchen Annahmen wir ausgingen.
Bei der Lektüre des Buches werden Sie sehen, wie sinnvoll und wie hilfreich die vorgestellten Lösungen für unsere Zivilisation sind. Statt ausführlichen technischen Beschreibungen, die nur für Experten mit langjähriger Erfahrung verständlich wären, bietet Drawdown leicht zugängliche Informationen für alle, die wissen möchten, was wir als Gesellschaft tun können und welche Rolle jede und jeder Einzelne von uns dabei spielen kann. – Chad Frischmann
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Das nebenstehende Chart vermittelt einen Eindruck davon, auf welche Weise Daten aufgenommen und ausgewertet wurden.
ENERGIE
In diesem Abschnitt präsentieren wir die Technologien und Strategien, durch die sich in der Energieversorgung fossile Brennstoffe ersetzen lassen. Windkraft und Solarenergie, die einst in der Energiewirtschaft als nicht ernstzunehmende Nischentechnologien galten, sind heute gegenüber Kohle, Gas und Öl konkurrenzfähig. Die Kosten für die erneuerbaren Energien sinken von Jahr zu Jahr, während sich Öl, Gas und Kohle aus neuen Quellen wesentlich schwieriger gewinnen lassen, was zu Kostensteigerungen bei diesen kohlenstoffbasierten Brennstoffen führt. Kanada, Finnland und vier andere Länder haben die Nutzung der Kohle bereits komplett eingestellt, und weitere Staaten planen dies ebenfalls. Wenn die Politik die richtige Richtung einschlägt, ist das eine gute Sache, aber wenn nicht, wird dadurch der Umstieg auf die erneuerbaren Energien dennoch nicht verlangsamt. Im Jahr 2001 zogen sich die USA aus dem Kyoto-Protokoll zurück, doch das hatte keinerlei Auswirkung auf das Wachstum dieses neuen Industriezweigs. Wenn Sie, wie wir, ein ganzes Jahr damit verbringen, die ökonomischen Daten zur Energieversorgung zu analysieren, lassen die Zahlen nur einen möglichen Schluss zu: Wir befinden uns, um es mit den Worten des Autors Jeremy Leggett auszudrücken, mitten im größten Wandel der Energieversorgung, der jemals stattgefunden hat. Die Ära der fossilen Brennstoffe ist vorüber und die einzig offene Frage lautet: Wie lange dauert es noch, bis diese Form der Energienutzung komplett vom Markt verschwunden sein wird? Der vollständige Umstieg auf saubere Energie ist ökonomisch unvermeidlich: Sie ist kostengünstiger.
(Pakhnyushchy – Shutterstock)
ENERGIE
WINDKRAFT
RANKING UND RESULTATE BIS 2050 (AN LAND)
#2
84,6 GIGATONNEN CO2-REDUKTION
$1,23 BILLIONEN NETTOKOSTEN
$7,4 BILLIONEN NETTOEINSPARUNGEN
RANKING UND RESULTATE BIS 2050 (OFFSHORE)
#22
14,1 GIGATONNEN CO2-REDUKTION
$572,4 MILLIARDEN NETTOKOSTEN
$274,6 MILLIARDEN NETTOEINSPARUNGEN
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Ein Schwimmer mit dem Windpark Sheringham Shoal im Hintergrund. Diese Anlage besteht aus 88 Siemens-Windkraftanlagen mit je 3,6 Megawatt Leistung, die in einem 35 Quadratkilometer großen Gebiet 17 Kilometer vor der Küste der englischen Grafschaft Norfolk installiert wurden.
(Mike Harrington – Getty Images)
Der Wind bläst nicht. Er entsteht durch die Erdrotation und die ungleichmäßige Erwärmung der Erdoberfläche, durch die Luft aus Gebieten mit hohem Druck in solche mit niedrigerem Druck gezogen wird. So bewegt sich der Wind wellenförmig wie eine Art Luftbrandung über die Landschaft. Der Wandel kommt mit diesen Wellen: Die Windenergie wird in den kommenden drei Jahrzehnten eine zentrale Rolle bei der Reduzierung von Treibhausgasen spielen. Nur eine Veränderung des Umgangs mit Kältemitteln ist als Einzelmaßnahme noch wirksamer als der Ausbau der Windkraft.
Betrachten wir als Beispiel die 32 Offshore-Windkraftanlagen – jede von ihnen doppelt so hoch wie die Freiheitsstatue –, die im Windpark Burbo Bank vor der englischen Küste bei Liverpool errichtet wurden. Die Anlage gehört einem in der Energiewirtschaft ungewöhnlichen Betreiber – der Spielzeugfirma Lego. Burbo ist ein internationales Projekt: Die Rotorblätter werden auf der Isle of Wright von einem japanischen Unternehmen für Vestas, ein dänischer Hersteller, gefertigt. Jede dieser Windturbinen kann acht Megawatt Strom erzeugen. Der Rotordurchmesser beträgt 164 Meter, und jedes Rotorblatt wiegt 33 Tonnen. Eine einzige Umdrehung des Rotors erzeugt den Stromtagesbedarf eines Haushalts. Insgesamt kann der Windpark alle 466.000 Einwohner Liverpools mit Strom versorgen.
Heute (2017, Anm. d. Red.) erzeugen weltweit 314.000 Windkraftanlagen fast vier Prozent der globalen Elektrizität. Und schon bald wird es noch viel mehr sein. Allein in Spanien versorgen Windkraftanlagen zehn Millionen Haushalte mit Strom. Im Jahr 2016 wurden 29,9 Milliarden Dollar in Offshore-Windparks investiert, 40 Prozent mehr als im Vorjahr.
Der Mensch nutzt die Windkraft schon seit Jahrtausenden. Segelboote und -schiffe transportierten Lasten auf Flüssen und Meeren. Mithilfe des Windes wurde Wasser in die Höhe gepumpt und Korn gemahlen. Die ältesten bekannten Windmühlen wurden zwischen den Jahren 500 und 900 in Persien gebaut. Von dort gelangte diese Technik im Mittelalter nach Europa und über Jahrhunderte waren die Holländer führend in der Weiterentwicklung der Windmühle. Im ausgehenden 19. Jahrhundert wandelten zahlreiche Erfinder erfolgreich die kinetische Energie des Windes in Elektrizität um. In Glasgow, Ohio und Dänemark entstanden Prototypen. Auf der World’s Columbian Exposition, einer Weltausstellung in Chicago im Jahr 1893, präsentierten zahlreiche Hersteller ihre Konstruktionen. In den 1920er- und 1930er-Jahren standen auf zahlreichen Farmen im Mittleren Westen der USA Windräder als hauptsächliche Energielieferanten. 1931 nahm Russland die erste große Windkraftanlage zur Stromerzeugung in Betrieb. Und die erste Turbine mit einer Leistung von einem Megawatt ging 1941 in Vermont ans Netz.
Mitte des 20. Jahrhunderts drängten die fossilen Brennstoffe die Windkraft zunehmend in den Hintergrund. Doch die Ölkrise in den 1970er-Jahren weckte neue Erfindungs- und Investitionsbereitschaft. Diese Renaissance der Windkraft bereitete den Weg für die heutige Windenergieindustrie und weil immer mehr Windkraftanlagen betrieben werden, sinken die Kosten und steigt die Leistung. Im Jahr 2015 wurde weltweit die Rekordzahl von 63 Gigawatt Windenergie neu installiert, und das trotz eines dramatischen Verfalls der Preise für fossile Brennstoffe. Allein China stellte Anlagen mit einer Gesamtleistung von fast 31 Gigawatt neu in Dienst. Dänemark deckte 2017 über 40 Prozent seines Energiebedarfs mit Windkraft und in Uruguay waren es 15 Prozent. In vielen Regionen kann die Windenergie mit Kohle konkurrieren oder ist sogar kostengünstiger.
In den USA könnte das Windenergiepotenzial von nur drei Bundesstaaten – Kansas, North Dakota und Texas – den gesamten Strombedarf des Landes decken. Windparks haben einen geringen Flächenbedarf. Sie benötigen typischerweise nur ein Prozent des Landes, auf dem sie errichtet werden, sodass dort gleichzeitig mit der Stromgewinnung Landwirtschaft und Freizeitaktivitäten stattfinden und Naturschutzzonen eingerichtet werden können. Windrotoren können Strom ernten, während Landwirte Alfalfa und Mais ernten. Hinzu kommt, dass der Bau eines Windparks nur ein Jahr oder weniger dauert, sodass schnell Energie produziert wird und sich die Investitionen entsprechend zügig amortisieren.
Die Windenergie bringt Herausforderungen mit sich. Das Wetter ist nicht überall gleich. Die wechselhafte Natur des Windes bedingt, dass sich Windräder manchmal nicht drehen. Wo aber die unregelmäßige Produktion von Windenergie (und Solarenergie) in größeren geografischen Räumen erfolgt, ist es einfacher, Versorgungs- und Nachfrageschwankungen auszugleichen. Eine bessere Vernetzung der Stromversorgung ermöglicht es, den Strom dorthin zu leiten, wo er gerade benötigt wird. Kritiker argumentieren, dass die Windräder Lärm verursachen, nicht ästhetisch sind und manchmal den Tod von Fledermäusen und Zugvögeln verursachen. Diesen Bedenken begegnet man heute durch langsamer drehende Rotorblätter und dadurch, dass bei der Standortwahl die Routen der Zugvögel berücksichtigt werden. Doch bleibt es ein Hindernis, dass viele Menschen – vom ländlichen England bis nach Massachusetts – keine Windparks vor der eigenen Haustür wollen.
Ein weiteres Hemmnis für die Windenergie ist die mangelnde staatliche Förderung. Der International Monetary Fund schätzt, dass die Öl-, Gas- und Kohleindustrie im Jahr 2015 mehr als 5,3 Billionen Dollar direkte und indirekte Subventionen erhielt. Das sind zehn Millionen Dollar pro Minute, oder ungefähr 6,5 Prozent des Bruttoweltprodukts. Zu den indirekten von der Gemeinschaft aufzubringenden Kosten für die fossilen Brennstoffe gehören Gesundheitskosten infolge der Luftverschmutzung, Umweltschäden, Verkehrsbelastung und globale Erwärmung – sämtlich Faktoren, die bei der Windenergie nicht auftreten. Zum Vergleich: Die Windkraftindustrie in den USA hat seit dem Jahr 2000 12,3 Milliarden Dollar direkte Subventionen erhalten. Wenn man die indirekten Kosten unberücksichtigt lässt, scheinen die fossilen Brennstoffe preisgünstiger zu sein. Damit wird aber die Konkurrenzfähigkeit der Windkraft verschleiert und den fossilen Brennstoffen als etablierter Energieträger ein Vorteil verschafft, was sie für Investoren attraktiver macht.
Doch wird die fortschreitende Reduzierung der Kosten die Windenergie vermutlich innerhalb der nächsten zehn Jahre zur preiswertesten Stromquelle machen. Gegenwärtig liegen in den USA die Kosten bei 2,9 US-Cent für die Kilowattstunde Windstrom, 3,8 US-Cent pro Kilowattstunde bei Gas-und-Dampf-Kombikraftwerken und 5,7 US-Cent für Solarkraftwerke. In einer im Juni 2016 veröffentlichten Goldman-Sachs-Analyse heißt es dazu: »Die Windenergie hat die niedrigsten Installationskosten.« Die Kosten für Wind- und Solarenergie enthalten Production Tax Credits (Steuergutschriften, mit denen die erneuerbaren Energien in den USA subventioniert werden). Doch bei Goldman Sachs ist man der Ansicht, dass die sinkenden Baukosten von Windkraftanlagen das Auslaufen der Tax Credits bis 2023 kompensieren wird. Im Jahr 2016 installierte Windparks kommen auf 2,3 US-Cent pro Kilowattstunde. Eine Morgan-Stanley-Analyse zeigt, dass diese Kosten für neue Windparks im Mittleren Westen nur ein Drittel so hoch sind wie die Kosten für Gas-und-Dampf-Kombikraftwerke. Und Bloomberg New Energy Finance hat berechnet, dass »die über die gesamte Nutzungsdauer anfallenden Kosten von Wind- und Solaranlagen günstiger sind als bei neuen Kraftwerken, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden«. Bloomberg prognostiziert, dass die Windkraft im Jahr 2030 weltweit die günstigste Energietechnik sein wird. (Und bei dieser Rechnung wurden die Kosten der fossilen Brennstoffe bezüglich Luftqualität, Gesundheit, Umweltschäden und globaler Erwärmung nicht berücksichtigt.)
Die Kosten sinken, weil Windturbinen inzwischen immer höher sind – was bedeutet, dass längere Rotorblätter auf bessere Windbedingungen treffen. Mit dieser Kombination lässt sich die Stromerzeugungskapazität heutiger Turbinen mehr als verdoppeln. Windrotoren an Land können in größeren Dimensionen gebaut werden als auf dem Wasser, weil es leichter ist, sie aufzubauen. Auf den Zeichenbrettern werden bereits Windkraftanlagen entworfen, die 20 Megawatt erzeugen können und höher als das Empire State Building sind.
Könnten die USA ihren Strombedarf ausschließlich mit Windkraft decken? Das National Renewable Energy Laboratory hat berechnet, dass sich 2.007.241 Quadratkilometer der Landfläche der Vereinigten Staaten für einen Kapazitätsfaktor von 40 bis 50 Prozent eignen, womit sich der Kapazitätsfaktor innerhalb eines Jahrzehnts mehr als verdoppelt hat. (Was bedeutet Kapazitätsfaktor? Die Leistung einer Windkraftanlage wird danach berechnet, wie viel Strom sie bei einer bestimmten konstanten Windgeschwindigkeit produzieren kann. Die unterschiedlichen Windgeschwindigkeiten am jeweiligen Standort fließen in den Kapazitätsfaktor ein.) Es sind also Wege und Mittel vorhanden, um die USA unabhängig von Energieimporten zu machen. Allerdings mangelt es oft an politischer Willenskraft.
Kritiker im Kongress kritisieren die Subventionen für die Windenergie. Sie tun so, als würde die Regierung Geld zum Fenster hinauswerfen. Was die gesellschaftlichen Kosten für die ökologischen Folgen angeht, ist jedoch die Kohle ein Schmarotzer. Neben den Unterschieden bei den Emissionskosten – nicht vorhanden beim Wind, sehr hoch bei den fossilen Brennstoffen – wird bei dem Subventionsargument außerdem der enorme Wasserverbrauch herkömmlicher Energietechniken verschwiegen. Für Windenergie wird 98 bis 99 Prozent weniger Wasser verbraucht als für mit fossilen Brennstoffen erzeugten Strom. Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke benötigen enorme Mengen Kühlwasser. Ihr Wasserverbrauch ist höher als der für die Landwirtschaft – jährlich 234 Billionen gegenüber 83 Billionen Liter. Das Wasser für viele Kohle- und Atomkraftwerke ist »kostenlos«, da es von der Regierung oder den Bundestaaten zur Verfügung gestellt wird. Auch hierbei handelt es sich um eine verdeckte Subvention. Wer außer der Kohle- und Atomindustrie könnte in den Vereinigten Staaten Billionen Liter Wasser verbrauchen, ohne etwas dafür zu bezahlen?
Dass China bei der Windenergie inzwischen die Führungsrolle übernommen hat, zeigt, wie eine konstante staatliche Unterstützung des Windkraftausbaus ein Sinken der Kosten zusätzlich beschleunigen kann, insbesondere wenn diese staatliche Unterstützung keinen politischen Schwankungen unterliegt. Für die Entwicklung der Windkraftindustrie sind vorhersagbare Investitionsbedingungen der Schlüssel. Die Politik hat die Möglichkeit, über Vorgaben wie den Portfolio-Standard festzulegen, welcher Anteil an erneuerbaren Energien produziert werden muss. Investitionszuschüsse, zinsgünstige Kredite und Steueranreize können den Bau zusätzlicher Windkraftanlagen und die technologische Weiterentwicklung fördern, was Technologien wie die Vertikalachser und die Offshore-Turbinen betrifft. Dort, wo Regierungen die Windenergie fördern – wie etwa in der Europäischen Union – hat die Politik Mühe, mit dem rasanten Wachstum der Windenergienutzung Schritt zu halten. Engpässe im Stromnetz bewirkten, dass im Jahr 2015 4.100 Gigawattstunden Windstrom verschwendet wurden – genug, um 1,2 Millionen Haushalte zu versorgen. Bedenken, ob die Windenergie Europa mit genügend Strom versorgen könnte, sind der Sorge gewichen, dass Netzintegration und Netzausbau wie auch der Ausbau von Speichern nicht schnell genug hinterherkommen.
Die Windenergie ist, wie die anderen Energiequellen, Teil eines Systems. Für ihr Wachstum sind die Energiespeicherung, die Stromnetz-Infrastruktur und die dezentrale Stromerzeugung von entscheidender Bedeutung. Die Technologien und die Infrastruktur zur Speicherung von überschüssigem Strom entwickeln sich inzwischen rasant. Überlandleitungen, durch die der Strom entlegener Windparks in die Gebiete mit hohem Bedarf geliefert werden kann, sind in Bau. Die Entscheidung, die die Menschheit treffen muss, ist einfach: Soll in die Zukunft oder die Vergangenheit investiert werden?
AUSWIRKUNG: Wenn sich der Anteil an Land stehender Windkraftanlagen an der weltweiten Stromproduktion von derzeit 2,9 Prozent bis zum Jahr 2050 auf 21,6 Prozent erhöht, ließe sich damit der Kohlendioxidausstoß um 84,6 Gigatonnen verringern. Würde der Anteil von Offshore-Windparks an der Stromproduktion von einem auf vier Prozent wachsen, könnten weitere 14,1 Gigatonnen Kohlendioxid reduziert werden. Bei einer Betriebsdauer von 30 Jahren können Windkraftanlagen bei Kosten von 1,8 Billionen US-Dollar Nettoeinsparungen von 7,7 Billionen US-Dollar ermöglichen. Hierbei handelt es sich um konservative Schätzungen. Die Kosten für die Windenergie sinken jährlich und es werden gegenwärtig bereits Anlagen mit innovativer Technik installiert, mit denen mehr Strom zu gleichen oder sogar geringeren Kosten produziert werden kann.
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Rotorblätter für einen Windpark warten in Stylida in Griechenland auf ihre Montage
(Stuart Franklin / Magnum Images)
ENERGIE
MICROGRIDS
RANKING UND RESULTATE BIS 2050
#78
EINE HILFSTECHNOLOGIE – KOSTEN UND EINSPARUNGEN SIND IN DIE
GESAMTBILANZ DER ERNEUERBAREN ENERGIEN EINGERECHNET
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Die Solarsiedlung in Freiburg im Breisgau. Sie besteht aus 59 Wohneinheiten und ist weltweit die erste Siedlung mit positiver Energiebilanz. Jeder Haushalt dort generiert jährlich circa 4.800 Euro Profit aus Solarenergie. Eine solche positive Energiebilanz wird durch den Bau besonders energieeffizienter Häuser erreicht. Rolf Disch, der Architekt der Siedlung, nennt das PlusEnergie.
(Andrewglaser at English Wikipedia)
Das Grid, zu Deutsch: Stromnetz, ist, in seiner »Makroform«, ein riesiges Netzwerk, das Energieerzeuger, Energieverbraucher, Speicher und große Leitzentralen, die Angebot und Nachfrage rund um die Uhr kontrollieren, miteinander verbindet. Jedes an dieses Netz angeschlossene elektrische Gerät wird von großen, zentralen Kraftwerken versorgt – wobei es sich in der Regel um Kohlekraftwerke oder mit anderen fossilen Brennstoffen betriebene Anlagen handelt, die rund um die Uhr in Betrieb sind. Diese Struktur war sinnvoll, solange man auf diese großen, zentralen Kraftwerke angewiesen war. Heute hemmt es den Übergang von schmutziger, an wenigen Orten produzierter Energie zu sauberer, an sehr vielen Orten produzierter Energie.
Hier kommen die Microgrids, die kleinen, dezentralen Stromnetze, ins Spiel. Ein Microgrid ist eine lokale Gruppe von Stromerzeugungsanlagen, zum Beispiel basierend auf Solarzellen, Wind- und Wasserkraft oder Biomasse, verbunden mit Energiespeichern und Backup-Generatoren, um Schwankungen auszugleichen, sowie Steuergeräten. Ein solches Microgrid kann als eine selbstständige Einheit arbeiten oder seine Nutzer schließen es je nach Bedarf an ein größeres Netz an. Es ist wie ein effizienter, schnell reagierender Mikrokosmos des großen klassischen Stromnetzes und passt sehr gut zu kleineren, dezentralen Stromquellen. Indem solche Microgrids erneuerbare Energien und Speichertechniken verbinden, ermöglichen sie eine zuverlässige Stromversorgung, die das alte, zentralisierte Energiesystem ergänzen oder in Notfällen auch unabhängig davon sind.
Microgrids werden beim Aufbau einer flexiblen und effizienten Stromversorgung eine entscheidende Rolle spielen. Wenn man den Strombedarf vor Ort mithilfe lokaler, dezentraler Stromquellen deckt, werden die sonst beim Stromtransport über weite Strecken anfallenden Verluste reduziert, sodass ein solches Netzwerk effizienter ist als die traditionelle Versorgung aus wenigen Großkraftwerken. Wenn man Kohle verbrennt, um Wasser zu erhitzen, das dann eine Turbine als Generator antreibt, werden zwei Drittel der Energie als Prozesswärme und durch Verluste bei der Stromübertragung vergeudet.
Werden in Regionen, die an das Stromnetz angeschlossen sind, zusätzliche Microgrids installiert, hat das mehrere entscheidende Vorteile. Die moderne Zivilisation ist von Elektrizität abhängig, sodass Stromausfälle fatale Auswirkungen haben. In hochentwickelten Ländern können die ökonomischen Verluste durch solche Ereignisse viele Milliarden Euro betragen. Hinzu kommen weitere gesellschaftliche Kosten durch erhöhte Kriminalität, Ausfall des öffentlichen Nahverkehrs und verdorbene Lebensmittel sowie eine erhöhte Umweltbelastung durch dieselbetriebene Notstromaggregate. Studien zeigen, dass der vermehrte Einsatz von Klimaanlagen und Elektroautos einen Anstieg des Stromverbrauchs nach sich ziehen wird, wodurch die existierenden Stromnetze störanfälliger werden und es häufiger zu Stromausfällen kommen könnte. Da in einem Microgrid Strom dezentral in kleineren Anlagen erzeugt wird, ist es weniger anfällig und kann besser auf den lokalen Strombedarf reagieren. Im Fall eines Stromausfalls im großen Netz kann sich ein Microgrid auf Verbraucher konzentrieren, die auf eine ununterbrochene Versorgung angewiesen sind, zum Beispiel Krankenhäuser. Andere Verbraucher, bei denen ein kurzzeitiger Stromausfall weniger kritische Folgen hat, können vorübergehend abgeschaltet werden, bis die volle Versorgungsleistung wiederhergestellt ist.
In Ländern mit schwacher Infrastruktur sind die Vorteile noch größer. Weltweit haben 1,1 Milliarden Menschen keinen Zugang zur Stromversorgung. Über 95 Prozent von ihnen leben im subsaharischen Afrika und in Asien, dort überwiegend in ländlichen Regionen, wo noch immer sehr umweltschädliche Kerosinlampen die wichtigste Lichtquelle sind und man die Mahlzeiten auf primitiven Feuerstellen zubereitet. Obwohl der Zusammenhang zwischen Elektrifizierung und einer Verbesserung der Lebensverhältnisse bekannt ist, gibt es in diesen Regionen wegen der hohen Kosten herkömmlicher Kraftwerke und Stromnetze nur wenig Fortschritt. In den ländlichen Regionen Asiens und Afrikas lässt sich die Bevölkerung am besten mithilfe von Microgrids mit Strom versorgen (und an besonders abgelegenen Orten ausschließlich mit Solarenergie).
Microgrids lassen sich in ländlichen Regionen mit niedrigem Einkommen leichter etablieren als in energiereichen Gebieten, wo Menschen mit hohem Einkommen leben. Dort ist das Geschäftsmodell der großen Stromversorger häufig nicht mit einer dezentralen Energieversorgung kompatibel. Diese großen Stromunternehmen haben viel Geld in Kraftwerke und Stromnetze investiert, die eigentlich nicht mehr zeitgemäß sind. Wo das der Fall ist, sind solche Strommonopolisten das Haupthindernis für die Einführung von Microgrids, nicht die Technologie an sich. Dabei könnten beide Konzepte sich gegenseitig befruchten und ergänzen: Die großen Stromnetze müssen flexibler werden und sich an die veränderten Bedingungen anpassen und die Betreiber der Microgrids müssen die geltenden technischen Standards erfüllen, wenn sie langfristig am Markt erfolgreich sein wollen. In einem Zeitalter rasanter technischer Veränderungen sind solche Technologiepartnerschaften überaus sinnvoll.
AUSWIRKUNG: Wir modellieren die Entwicklung von Microgrids in Regionen, die gegenwärtig noch gar nicht an das Stromnetz angeschlossen sind. Hierbei werden erneuerbare Energien genutzt, etwa Flusswasserkraft, Kleinwindkraft, Solardächer und Biomasse, kombiniert mit dezentralen Systemen zur Energiespeicherung. Wir gehen davon aus, dass diese dezentralen Stromversorgungssysteme anstelle von nicht vernetzten Generatoren, die auf Basis von Öl oder Diesel arbeiten, installiert werden. Die Auswirkungen auf die Emissionen werden bei der jeweiligen Technologie eingerechnet, um eine doppelte Zählung zu vermeiden. In den wohlhabenden Industriestaaten fallen die Vorteile der Microgrids unter die Rubrik »Netzflexibilität«.
ENERGIE
GEOTHERMIE
RANKING UND RESULTATE BIS 2050
#18
16,6 GIGATONNEN
CO2-REDUKTION
-$155,5 MILLIARDEN
NETTOKOSTEN
$1,02 MILLIARDEN
NETTOEINSPARUNGEN
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Das isländische Geothermiekraftwerk Svartsengi (»schwarze Wiese«) steht auf der Halbinsel Reykjanes. Es war das erste Erdwärmekraftwerk, das gleichzeitig Strom erzeugt und heißes Wasser in ein Nahwärme-System einspeist. Die sechs Kraftwerkseinheiten erzeugen 75 Megawatt Strom. Damit können 25.000 Haushalte versorgt werden. Das überschüssige Heißwasser wird durch Rohre zum Thermalbad Blaue Lagune geleitet, zur Freude der jährlich 400.000 Badegäste.
(Cyril Ruoso/Minden Pictures – National Geographic Creative)
Wir leben auf einem aktiven Planeten. Ständig steigt ein Hitzestrom unter der Erdkruste auf, erzeugt tektonische Plattenbewegungen, Erdbeben und Vulkanausbrüche und lässt Gebirge entstehen. Etwa ein Fünftel der inneren Hitze der Erde stammt aus der Ursprungszeit der Planetenbildung vor 4,6 Milliarden Jahren. Das Kräftegleichgewicht wird durch den radioaktiven Zerfall von Kalium-, Thorium- und Uranisotopen in Erdkruste und Erdmantel erzeugt. Die dabei entstehende Wärmeenergie ist etwa 100 Milliarden Mal stärker als der gegenwärtige Weltenergieverbrauch. Die geothermische Energie – wörtlich »Erdwärme« – erzeugt unterirdische Reservoirs kochendheißen Wassers. Die Geysire im Yellowstone Park führen uns sichtbar vor Augen, welche geothermischen Kochtöpfe unter unseren Füßen brodeln. Die heißen Quellen auf ganz Island sind ein weiteres Beispiel.
Heißwasser und Dampf aus hydrothermischen Reservoiren kann durch Rohre an die Erdoberfläche geleitet werden und dort Turbinen zur Stromerzeugung antreiben. Dies gelang zum ersten Mal am 15. Juli 1904 in Larderello in Italien, wo durch einen mechanischen Apparat, der mithilfe geothermischen Dampfes Strom erzeugte, fünf Glühbirnen zum Leuchten gebracht wurden. Erfinder des Gerätes war Prinz Piero Ginori Conti. Über ein Jahrhundert später funktioniert das Kraftwerk in Larderello immer noch. Die meisten Geothermiekraftwerke – sie erzeugen weltweit derzeit 13 Gigawatt Strom – stehen entlang der Ränder der tektonischen Platten, wo heißes Wasser sichtbar an die Oberfläche dringt. Weitere bislang 22 Gigawatt Leistung werden durch direkte Nutzung für Beheizung, Thermalbäder, Gewächshäuser, Industrieanlagen und andere Zwecke bereitgestellt.
Geothermische Energie ist Erdenergie in Zonen, wo aus einem unterirdischen Wasserreservoir Wasser oder Dampf die Wärme hinauf zur Oberfläche transportiert. Zwar finden sich optimale Bedingungen für Geothermienutzung nur auf zehn Prozent der Erdoberfläche, aber neue Technologien ermöglichen es, diese Energie in großem Maße auch in Regionen zu nutzen, wo das bislang als unmöglich galt. Bisher bestand der erste Schritt darin, hydrothermische Wasservorkommen aufzuspüren, was sich aber oft als schwierig erwies und die Nutzungsmöglichkeiten für Erdwärme stark einschränkte. Es ist nicht einfach, diese unterirdischen Reservoirs zu lokalisieren, und Probebohrungen sind sehr teuer. Doch neue Technologien erleichtern diese Aufgabe.
Eines dieser neuen Verfahren ist das »verbesserte geothermische System«, englisch: Enhanced Geothermal System (EGS). Dabei wird Flüssigkeit in heiße, aber trockene unterirdische Hohlräume geleitet. Man kann also die Erdwärme dort nutzbar machen, wo es im Untergrund viel Hitze, jedoch wenig oder kein Wasser gibt. Beim EGS-Verfahren wird Wasser mit hohem Druck in die Erde gepumpt, was das heiße Gestein aufbricht und flüssigkeitsdurchlässiger macht. Ist das Gestein dadurch porös geworden, pumpt man durch ein Bohrloch Wasser in dieses Gestein, das dann dort erhitzt und durch ein anderes Rohr wieder an die Oberfläche geleitet wird. Nachdem es zur Stromerzeugung genutzt wurde, wird das Wasser wieder hinab in das Reservoir geleitet, wo es sich in einem ständigen Kreislauf erneut aufheizt. Oder man kann, wie im Fall des Thermalbades Blaue Lagune auf Island, das Abwasser des Kraftwerks als Badewasser für Anwohner und Touristen nutzen.
Diese Innovationen könnten die geografische Ausbreitung der Geothermie enorm vergrößern, und in bestimmten Gebieten das leisten, was für den Erfolg der erneuerbaren Energien von entscheidender Bedeutung ist: die Grundlastversorgung. Windkraft liefert weniger Strom, wenn der Wind nachlässt. Solarenergie pausiert in der Nacht. Erdwärme ist dagegen rund um die Uhr gleichmäßig verfügbar, bei jedem Wetter. Geothermie ist verlässlich, effizient und die Wärmequelle selbst ist kostenlos.
Um das Potenzial der Erdwärme in vollem Umfang nutzen zu können, muss auf richtige Weise mit den Nachteilen dieser Energieform umgegangen werden. Wasser und Dampf, egal ob sie in der Tiefe natürlich vorkommen oder beim EGS hinabgepumpt werden, können mit Gasen, einschließlich Kohlendioxid, und Giftstoffen wie Quecksilber, Arsen und Borsäure belastet sein. Obwohl die Emissionen je Megawattstunde nur fünf bis zehn Prozent eines Kohlekraftwerks betragen, trägt auch die Geothermie zum Treibhauseffekt bei. Zudem kann die Erschließung hydrothermischer Reservoirs in der Tiefe zu Bodenabsenkungen führen, und die unterirdische Gesteinbearbeitung kann sogar Mikroerdbeben auslösen. Hinzu kommt die Landnutzung für Bau und Betrieb geothermischer Anlagen, die oft mit Lärm und unangenehmen Gerüchen einhergeht und im Widerspruch zum Landschaftsschutz stehen kann.
In 24 Ländern lohnt es sich, trotz der Nachteile in Geothermie zu investieren, weil sich mit dieser Energie zuverlässig, reichlich und kostengünstig Elektrizität produzieren lässt. Die Kosten über die gesamte Betriebsdauer sind niedrig. El Salvador und die Philippinen erzeugen mit Geothermie ein Viertel ihrer nationalen Elektrizität. Im vulkanischen Island ist es sogar ein Drittel. In Kenia wird, dank der Aktivität des Great Rift Valley, die Hälfte des Stroms geothermisch erzeugt – mit steigender Tendenz. Obwohl die amerikanischen Geothermiekraftwerke weniger als 0,5 Prozent zur nationalen Stromproduktion beitragen, stehen die USA doch mit 3,7 Gigawatt Leistung weltweit an der Spitze, was die installierte Kraftwerksleistung aus Erdwärme angeht.
Geothermie kann deutlich ausgebaut und an mehr Orten genutzt werden. Laut der Geothermal Energy Association könnten 39 Länder ihren Strombedarf zu 100 Prozent aus Erdwärme decken, doch bislang werden lediglich sechs bis sieben Prozent des weltweiten Geothermiepotenzials genutzt. Theoretische Schätzungen, die auf geologischen Untersuchungen in Island und den USA basieren, zeigen, dass bislang ungenutzte geothermische Ressourcen ein bis zwei Terawatt Elektrizität liefern und damit sieben bis 13 Prozent des aktuellen weltweiten Strombedarfs abdecken können. Jedoch sinkt dieser Wert deutlich, wenn man den dafür nötigen Kapitalbedarf und andere Kosten und Einschränkungen berücksichtigt.
Die geothermischen Vorreiter weisen den Weg, zeigen aber auch, wie wichtig staatliche Förderung ist, um die geothermische Stromerzeugung voranzubringen. Selbst wenn die örtlichen Bedingungen dafür günstig sind, müssen für Geothermiekraftwerke zunächst hohe Installationskosten aufgebracht werden. Besonders hoch sind die anfänglichen Bohrkosten, vor allem unter schwierigen Umweltbedingungen. Daher sind öffentliche Investitionen, nationale Produktionsziele und Abnahmegarantien für den produzierten Strom nötig, um diese Technologie auszubauen und die Risiken für Investoren gering zu halten. Während vielversprechende neue Technologien wie das Enhanced Geothermal System entwickelt werden, bleibt auch der Ausbau und die Weiterentwicklung der traditionellen Geothermiestromerzeugung unverzichtbar, vor allem in Indonesien, Mittelamerika und Ostafrika – Regionen, in denen der Planet besonders aktiv und Erdwärme reichlich verfügbar ist.
AUSWIRKUNG: In unseren Berechnungen gehen wir von einem Anstieg der weltweiten Stromproduktion durch Geothermie von derzeit 0,66 Prozent auf 4,9 Prozent bis zum Jahr 2050 aus. Damit lassen sich die Emissionen um 16,6 Gigatonnen Kohlendioxid reduzieren und über 30 Jahre eine Billion US-Dollar Energiekosten einsparen. Für die gesamte Lebensdauer der Infrastruktur gerechnet, betragen die Einsparungen 2,1 Billionen US-Dollar. Da die Geothermie in der Lage ist, Grundlaststrom zu liefern, kann sie den Ausbau der erneuerbaren Energie mit schwankender Produktion (Wind, Sonne) unterstützen.
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Ein Techniker in Schutzkleidung repariert eine Rohrverbindung, aus der 105 Grad heißer Wasserdampf austritt.
(Robert B. Goodman – National Geographic Creative)
ENERGIE
SOLARFARMEN
RANKING UND RESULTATE BIS 2050
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36,9 GIGATONNEN
CO2-REDUKTION
-$80,6 MILLIARDEN
NETTOKOSTEN
$5,02 BILLIONEN
NETTOEINSPARUNGEN
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Eine Solarfarm des Sacramento Municipal Utility District in Kalifornien, dem ersten Gemeindebezirk, der die Standards des Bundesstaates Kalifornien für erneuerbare Energien erfüllte. Dieser kommunale Stromversorger verkauft SolarShares (Solaranteile) an seine Kunden, sodass diese Gelegenheit erhalten, von der Energierevolution in Kalifornien finanziell zu profitieren.
(Steve Proehl – Getty Images)
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