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Wird sie endlich ihre wahren Wurzeln finden? Der mitreißende Young-Romance-Roman »Dreams like the Ocean« von Julie Leuze als eBook bei dotbooks. Die Nachricht fegt wie ein Sturm durch Kims Leben und lässt alles in Trümmern zurück: Sie wurde nach der Geburt im Krankenhaus vertauscht – ihre wahren Eltern leben in der Bretagne. Doch ist die Frau, die Kim aufgezogen hat, deshalb weniger ihre Mutter als noch vor einer Woche? Auf der Suche nach Antworten reist Kim an die bretonische Küste, um dort den Sommer zu verbringen: Bei Marianne und Alex, die bisher nicht mal wussten, dass sie eine lebende Tochter haben. Während Kim nach und nach ein zartes Band zu ihnen knüpft, lernt Kim außerdem Padrig kennen: den nachdenklichen Jungen, der immer wieder oben an den Klippen sitzt und den ein schmerzvolles Geheimnis zu umgeben scheint. Kim weiß, sie sollte sich fernhalten – doch in seiner Nähe hat sie endlich wieder das Gefühl, sie selbst zu sein … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Young-Adult-Roman »Dreams like the Ocean« von Julie Leuze ist bereits unter dem Titel »Herzmuschelsommer« erschienen und wird Fans von Sarah Stankewitz und Ayla Dade begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 333
Über dieses Buch:
Die Nachricht fegt wie ein Sturm durch Kims Leben und lässt alles in Trümmern zurück: Sie wurde nach der Geburt im Krankenhaus vertauscht – ihre wahren Eltern leben in der Bretagne. Doch ist die Frau, die Kim aufgezogen hat, deshalb weniger ihre Mutter als noch vor einer Woche? Auf der Suche nach Antworten reist Kim an die bretonische Küste, um dort den Sommer zu verbringen: Bei Marianne und Alex, die bisher nicht mal wussten, dass sie eine lebende Tochter haben. Während Kim nach und nach ein zartes Band zu ihnen knüpft, lernt Kim außerdem Padrig kennen: den nachdenklichen Jungen, der immer wieder oben an den Klippen sitzt und den ein schmerzvolles Geheimnis zu umgeben scheint. Kim weiß, sie sollte sich fernhalten – doch in seiner Nähe hat sie endlich wieder das Gefühl, sie selbst zu sein …
Über die Autorin:
Julie Leuze, geboren 1974, studierte Politikwissenschaften und Neuere Geschichte in Konstanz und Tübingen, bevor sie sich dem Journalismus zuwandte. Mittlerweile widmet sie sich ganz dem Schreiben von Romanen für Erwachsene, Young Adults und Kinder. Ihr Roman »Der Geschmack von Sommerregen« wurde 2014 als bester deutschsprachiger Liebesroman durch den Delia-Preis ausgezeichnet. Julie Leuze lebt mit ihrer Familie in Stuttgart.
Mehr zur Autorin: www.julie-leuze.com
Bei dotbooks veröffentlichte Julie Leuze auch ihren historischen Liebesroman »Regency Dance – Einladung zum Ball« sowie ihre Young-Romance-Romane »Only the Stars between Us – Das Glück an meinen Fingerspitzen«, »Like Storms We Collide – Der Geschmack von Sommerregen« und »Like Waves We Dance – Sternschnuppenträume«.
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eBook-Neuausgabe März 2024
Dieses Buch erschien bereits 2021 unter dem Titel »Herzmuschelsommer« bei 26|books.
Copyright © der Originalausgabe 2021 26|books
Bert-Brecht-Weg 13, 71549 Auenwald
Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Covergestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)
ISBN 978-3-98690-965-9
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Julie Leuze
Dreams like the Ocean – Herzmuschelsommer
Roman
dotbooks.
Die Bretagne, hatte mir Mia vor meiner Abreise aus der Stadt erklärt, sei ein grünes, mythisches Land am Meer, sonnendurchwirkt, windumtost und bevölkert von Druiden, Feen und süßen Jungs mit schwarzem Haar und blauen Augen.
Ich stehe vor dem winzigen Flughafen in Lannion, schlinge mir fröstelnd die Arme um den Oberkörper und denke, dass die bretonische Wirklichkeit nicht viel mit Mias romantischen Vorstellungen zu tun hat. Langsam drehe ich mich einmal um die eigene Achse: tief hängende graue Wolken, eine geschlossene Bar, ein paar Raben, ein verwaister Parkplatz. Weit und breit keine langbärtigen Druiden oder schwarzhaarigen Jungs – oder überhaupt irgendwelche Menschen. Und leider auch keine Frau um die vierzig, die der Fremden auf dem Foto ähnelt, das in meiner Jackentasche steckt; der Fremden, die meine dunkelblonden Locken und leicht schrägen, braunen Augen hat, und die damit glatt als meine Mutter durchgehen könnte.
Kunststück, denke ich und seufze. Sie ist meine Mutter.
Im April habe ich es erfahren, und der Gedanke fühlt sich noch genauso seltsam an wie damals.
Tja, seltsam oder nicht, heute ist es so weit: Ich werde sie kennenlernen, damit wir nachholen können, was wir sechzehn Jahre lang versäumt haben, sie, ich und der Mann, der auf dem Foto den Arm um sie gelegt hat. Denn im Gegensatz zu den Menschen, die ich bis April für meine Eltern gehalten habe, ist das Paar auf dem Foto nicht geschieden. Wir drei werden also eine richtige kleine Familie sein, sechs volle Sommerferienwochen lang.
Mindestens.
Ein verrückter Gedanke.
Vor Nervosität wird mir übel. Ich setze mich auf meinen Koffer und lenke mich von meinem flauen Magen ab, indem ich Skizzenbuch und Bleistift aus dem Rucksack krame. Nichts bringt mich so zuverlässig zur Ruhe wie das Zeichnen von Menschen oder Tieren, und so konzentriere ich mich auf das einzig Lebendige, das es hier gibt: die Raben. Den Viechern scheint es allerdings nicht zu passen, dass ich sie so genau beobachte, denn nach kaum dreißig Sekunden erheben sie sich krächzend in die Luft und machen sich mit langen Flügelschlägen davon. Enttäuscht blicke ich ihnen nach, dann verstaue ich das Skizzenbuch wieder im Rucksack.
Meine Nervosität schwillt an.
Irgendetwas muss ich tun.
Ich wippe mit dem Fuß, greife nach meinem Handy und checke WhatsApp und meine SMS. Drei neue Nachrichten: eine von Mia, zwei von Sabine – und keine von Titus.
Keine von Titus?
Ich beiße mir auf die Unterlippe. Warum hat mein Freund sich noch nicht gemeldet? Immerhin bin ich nun über tausend Kilometer Luftlinie von ihm entfernt, da könnte er ruhig ... Ach, Blödsinn !, unterbreche ich mich in Gedanken barsch. Dass Titus sich sehnsüchtig nach mir verzehrt, ist angesichts der vielen Male, die ich ihn in der letzten Zeit zurückgewiesen habe, definitiv zu viel verlangt.
Doch meiner besten Freundin Mia fehle ich schrecklich, wie sie mir in ihrer Nachricht wortreich versichert, und das entlockt mir ein Lächeln. Ich schreibe ihr kurz zurück, dass ich nicht abgestürzt bin und gerade am Arsch der Welt auf meine Mutter warte, dann lese ich mit klopfendem Herzen die beiden Nachrichten von Sabine.
In der ersten schreibt sie, dass sie mich heute Abend anrufen wird, und in der zweiten, dass sie mich lieb hat.
Ja, klar.
Ich schlucke hart, stecke das Handy zum Skizzenbuch in den Rucksack und wünsche mir inbrünstig, dass sie endlich auftaucht, die blondgelockte Fremde, die mein neues, heiles Familienleben einläuten wird. Wie soll ich sie eigentlich nennen?, schießt es mir durch den Kopf. Frau Bleicher? Marianne? Mutter?! Über so vieles habe ich mir auf der langen Reise hierher Gedanken gemacht, aber darüber nicht.
In diesem Moment biegt ein Renault mit quietschenden Reifen auf den Parkplatz ein. Eine Frau steigt aus und hastet auf mich zu.
Sie ist da.
Langsam erhebe ich mich von meinem Koffer. Und schon steht sie vor mir, atemlos und strahlend. Sie ist fünfundzwanzig Jahre älter als ich, doch im dämmerigen Abendlicht sieht sie mir so ähnlich, dass es fast unheimlich ist.
»Salut, tut mir leid, dass ich zu spät bin. Ich bin Marianne«, sagt sie und fügt überflüssigerweise hinzu: »Deine Mama.«
Ich zucke zusammen. »Mutter« hätte genügt.
»Hallo, Marianne.« Obwohl das gar nicht meine Absicht war, klingt meine Stimme eine Spur abweisend. Marianne umarmt mich trotzdem.
Ich reiße mich zusammen, erwidere die Umarmung und lege meine Wange vorsichtig an ihr Haar. Ich meine, ich bin schließlich freiwillig hier! Niemand hat mich gezwungen, die Stadt und Sabine zu verlassen und in die Bretagne zu fliegen. Es war ganz allein meine Entscheidung, die gesamten Sommerferien hier zu verbringen, meine Entscheidung, bei fremden Menschen zu wohnen, in einem Kaff an der Côte de Goëlo, dessen Namen – Kerentiezh – ich noch nicht einmal aussprechen kann.
Und verdammt, auch wenn ich meinen Jähzorn seit dem Streit am Sonntag schon ungefähr hundertfünfzigmal bereut habe: Jetzt bin ich hier.
Und ich werde das Beste daraus machen.
Von Lannion bis zu dem Dörfchen, wo Marianne und Alex leben, dauert es eine Dreiviertelstunde. Eigentlich ein Katzensprung, doch da ich seit zehn Stunden unterwegs bin, kommt mir die Fahrt in Mariannes altem Auto wie eine Weltreise vor.
Ich lehne meinen Kopf gegen die Scheibe, lasse die dunkle Landschaft an mir vorbeiziehen und döse gerade weg, als Marianne sagt: »Es ist der Motor, weißt du? Jedes Mal, wenn ich etwas wirklich Wichtiges vorhabe, lässt er mich im Stich und springt nicht an.«
Fragend blicke ich zu ihr hinüber.
»Der Grund, warum ich zu spät gekommen bin«, erklärt sie und wirft mir ein entschuldigendes Lächeln zu. »Es liegt nur an dem blöden Auto. Sonst wäre ich natürlich rechtzeitig da gewesen, wo ich dich doch nun endlich wiederhabe, nach all den Jahren …«
Wiederhat? Nach allem, was ich inzwischen weiß, habe ich Marianne nie gehört, jedenfalls nicht länger als einen Tag lang. Und was ist schon ein Tag im Leben eines Menschen?
»Kein Problem.« Ich lächele gezwungen zurück. »Mama, ähm, Sabine kommt auch ständig zu spät. Ich bin’s also gewohnt.«
Marianne blickt konzentriert auf die Straße. Mittlerweile hat es angefangen zu regnen. Mit einem Ruck schaltet sie die Scheibenwischer ein. »Dann kannst du dich gleich umgewöhnen, Kim, ich bin nämlich ein sehr zuverlässiger Mensch. Und ich werde dich nie wieder warten lassen. Versprochen.«
Ich runzele die Stirn. Sooo schlimm waren die fünf Minuten Warterei vor dem Flughafen nun auch wieder nicht. Mir liegt Sabines Lieblingsspruch auf den Lippen: »Nun mach aus einer Mücke mal keinen Elefanten!« Aber dafür kenne ich die Frau, die meine Mutter ist, noch nicht gut genug.
Außerdem habe ich das Gefühl, dass es hier gar nicht um die fünf Minuten geht.
Also schweige ich und schaue wieder aus dem Fenster. Ich bin hundemüde. Marianne scheint das zu spüren, denn sie sagt sanft: »Schlaf ruhig ein bisschen, Kim.« Und obwohl ich murmele, dass sich das so kurz vor dem Ziel doch gar nicht mehr lohnt, dass ich viel zu aufgedreht bin, dass ich auf Kommando sowieso nicht einschlafen kann, fallen mir prompt die Augen zu.
Vom Motorengeräusch untermalte Bilder durchziehen meinen Geist, wirr und rätselhaft: sprechende Raben mit klugen schwarzen Augen. Goldgelockte Feen, die Babys in ihren Armen wiegen. Ein schöner Jüngling, der seine ferne, traurige Liebste kein bisschen vermisst.
Eigentlich gar nicht so weit weg von der Realität.
*
Titus war mir schon vor unserer ersten Begegnung aufgefallen. Aber dass er, dieser extrem gutaussehende, smarte Zwölftklässler, jemals mit mir, der kleinen Zehntklässlerin, würde zusammen sein wollen, hätte ich mir bis letzten Januar nicht träumen lassen.
Mia und ich waren in der Eislaufhalle. Stundenlang hatten wir unsere Runden auf dem Kunsteis gedreht und nun war ich ziemlich müde. Meine Freundin nicht: Unverdrossen lief sie weiter Schlittschuh, während ich mich schlapp auf eine Bank sinken ließ.
Automatisch zog ich einen Bleistift und einen kleinen Block aus der Jackentasche, denn zeichnen geht immer, egal, wie erschöpft ich bin. Ich liebe es, meine Beobachtungen und Eindrücke in Bilder zu übersetzen, und obwohl ich in den meisten Schulfächern nicht gerade zu den Besten gehöre – im Zeichnen bin ich richtig gut.
Hatte ich jedenfalls immer gedacht. Doch plötzlich hörte ich jemanden sagen: »Das ist aber echt eine nette Zeichnung.«
Nett. Nett?! Nett sind Gardinen! Empört hob ich den Blick.
Neben mir saß Titus, und er lächelte.
Meine Empörung machte heller Aufregung Platz.
»Wir gehen auf dieselbe Schule, oder?«, sagte Titus und strich sich eine hellblonde Strähne zurück. »Irgendwoher kenne ich dich jedenfalls.«
»Kann sein«, erwiderte ich betont gleichgültig, während mein Herz klopfte wie verrückt. Titus – der Titus! – sprach mit mir! Wieso? Und warum zum Teufel hatte ich nicht bemerkt, dass er sich neben mich gesetzt hatte?
»Elfte?«, fragte Titus.
»Zehnte«, gestand ich und war sicher, dass er spätestens jetzt das Interesse an mir verlieren würde: Ich zeichnete nett und ich war zu jung für ihn.
Aber Titus’ Lächeln vertiefte sich. Sein Blick wanderte zu meinem Mund, dann schaute er mir wieder in die Augen und fragte: »Hättest du Lust auf einen Glühwein?«
»Klar«, hauchte ich. »Sehr gerne!« Und so fing es an.
*
Als wir über eine unebene Dorfstraße rumpeln, die offensichtlich seit König Artus’ Zeiten nicht mehr restauriert wurde, wache ich auf.
»Voilà! Da sind wir«, sagt Marianne, bleibt mit laufendem Motor vor einem Holzgatter stehen und hupt. Keine Minute später kommt ein Mann durch den Garten gelaufen und schiebt das Gatter zur Seite, sodass Marianne auf einen gekiesten Stellplatz einbiegen kann, der zwischen Beeten voller Stockrosen und Hortensien liegt. Ich muss grinsen. In der Stadt käme bestimmt niemand auf die Idee, seine Karre direkt im Garten zu parken!
Der Mann, der mein Vater sein muss, öffnet die Beifahrertür für mich und breitet die Arme aus. »Willkommen, Kim!«, ruft er fröhlich.
Zum zweiten Mal an diesem Abend finde ich mich in einer liebevollen Umarmung wieder. Unwillkürlich blicke ich über Alex’ Schulter hinweg zu Marianne, die ebenfalls ausgestiegen ist. Mit einem gerührten Lächeln beobachtet sie uns.
Meine Güte, ist das bizarr!
Vielleicht liegt es ja nur daran, dass ich gerade erst aufgewacht bin, aber mit einem Mal fühle ich mich, als laufe hier ein Film mit einem ziemlich eigenwilligen Drehbuch ab. Ich meine, ich kenne dieses Ehepaar doch gar nicht! Trotzdem begrüßen sie mich, als sei ich ihre lang verlorene Tochter.
Bin ich ja auch, rufe ich mir in Erinnerung. Ich fühle mich nur noch nicht so.
Alex lässt mich los und grinst. »Rein mit dir, Kim!«, sagt er und macht eine Kopfbewegung in Richtung des Häuschens, das mit hell erleuchteten Fenstern auf uns wartet. »Das Essen ist längst fertig. Du hast bestimmt Hunger nach der langen Reise.«
»Du kannst kochen?«, frage ich erstaunt, denn Papa – oder genauer gesagt: Bernd, Sabines Exmann – bringt nicht mal ein Rührei zustande.
»Warum sollte ich nicht kochen können ?« Alex lacht.
Er hat ein schönes Lachen, und mir fällt auf, dass er in der Realität noch attraktiver ist als auf dem Foto: Anfang vierzig, mit dunkelbraunem Haar, einem verwegenen Dreitagebart und geraden weißen Zähnen. Rasch blicke ich zu Boden. Der Kerl ist mein Vater, da sollte mir nicht auffallen, dass er attraktiv ist, oder?!
Marianne nimmt mich bei der Hand und läuft mit mir durch den Regen aufs Haus zu. Während Alex mein Gepäck aus dem Kofferraum hievt, schließt sie die Tür auf und schiebt mich in den Flur. Wärme und Licht wallen mir entgegen, dazu ein Duft nach Fleisch und Kräutern, bei dem mir das Wasser im Munde zusammenläuft. Marianne nimmt mir meine Jacke ab, und als Alex mit dem Gepäck zu uns ins Haus tritt, den Arm um seine Frau legt und beide mich einträchtig anlächeln – mit tropfendem Haar und strahlenden Augen, ein schönes, glückliches Paar –, lässt meine Anspannung ein wenig nach.
Wir mögen uns noch fremd sein, aber meine Eltern scheinen fest entschlossen, mich zu lieben.
Was mehr ist, als man von Sabine und Bernd behaupten kann.
*
»Sieben Stunden Aufenthalt in Paris!« Alex schüttelt den Kopf und greift nach seinem Rotwein. »Gibt es immer noch keine bessere Verbindung hierher?«
»Nö. Es ist eine Tagesreise, ob man nun den Zug nimmt oder fliegt«, nuschele ich.
Genüsslich schlucke ich das letzte Stück meines Nachtischs hinunter: gâteau breton, ein Kuchen mit so viel Butter, dass er wahrscheinlich schon vom Hinschauen dick macht. Davor gab es Meeresfrüchte in Knoblauchsoße mit knusprigem Baguette, und als Hauptspeise gebratenes Lamm von den Salzwiesen beim Mont St-Michel.
Ich seufze zufrieden und lehne mich zurück. »Hm, war das lecker! Ich wusste gar nicht, dass man in der Bretagne so gut isst.«
»Wart’s ab«, sagt Alex grinsend. »Heute Abend habe ich mich auf die zivilisierteren Spezialitäten beschränkt. Ab morgen gibt es nur noch Kutteln und fettige Würste! Wenn schon bretonisch, dann richtig, was, Kim?«
Marianne droht Alex mit dem Zeigefinger. »Wenn unsere arme Tochter das probieren muss, dann erwarte ich im Gegenzug, dass du dich ihr zu Ehren landestypisch ausstaffierst: Streifenpulli, Baskenmütze und ein Seemannslied auf den Lippen.«
»Im Ernst? Du weißt doch, wie ich singe.« Alex macht ein entsetztes Gesicht. »Okay, wir lassen das mit den Kutteln.«
Marianne lacht und sieht ihn zärtlich an. Im Schein der Kerzen, die Alex zur Feier meiner Ankunft überall im Esszimmer verteilt hat, glänzt ihr Haar wie gesponnenes Gold. Alex lächelt zurück, hebt die Hand und zwirbelt versonnen eine von Mariannes Locken. Dann erst scheint ihm einzufallen, dass er nun nicht mehr allein ist mit seiner Frau. Rasch lässt er die Hand sinken und wirft mir einen verlegenen Blick zu.
Meine neuen Eltern gezwungenermaßen beim Flirten beobachtet zu haben ist mir verdammt peinlich. Gott sei Dank klingelt in genau diesem Moment mein Handy. Erleichtert springe ich auf.
»Das ist sicher meine … äh, Sabine«, sage ich. »Stört es euch, wenn ich kurz rausgehe?«
»Geh nur und lass dir ruhig Zeit«, sagt Alex. »Deine Mutter wird sehr neugierig sein, wie es hier für dich ist. Marianne und ich decken inzwischen ab, und danach zeigen wir dir dein Zimmer.«
Ich nicke ihm dankbar zu, während ich mit dem klingelnden Handy aus dem Zimmer eile. Ich schließe sorgfältig die Tür hinter mir und gehe noch ein paar Schritte weiter in den dunklen Flur hinein. Dann erst hebe ich ab.
»Kim! Na endlich. Bist du gut angekommen?«
Vor meinem inneren Auge sehe ich ihr Gesicht, müde, abgearbeitet, vertraut. »Hallo, Mama«, sage ich leise zu Sabine.
Und plötzlich fehlt sie mir so sehr, dass ich heulen könnte.
Am nächsten Morgen kitzeln mich warme Sonnenstrahlen wach.
Ein Blick auf den altmodischen Wecker auf meinem Nachttisch verrät mir, dass ich volle elf Stunden im Bett verbracht habe. Unglaublich! Wann habe ich zu Hause das letzte Mal so lang geschlafen? Das muss die Seeluft sein, bestimmt hat die mich so müde gemacht. Na ja, oder die Aufregung plus das üppige Menü am Abend. Oder doch eher das herrliche, extrabreite Bett, aus dem man gar nicht mehr aufstehen möchte?
Behaglich breite ich die Arme aus, streiche mit den Fingerspitzen über weiße und cremefarbene Kissen. Meine Decke ist mit Rosen bedruckt, und auch der Rest des Zimmers atmet Romantik. Da gibt es eine hellgraue, auf antik getrimmte Kommode. Einen zierlichen, cremeweißen Schminktisch mit verschnörkeltem Spiegel. Getrocknete Rosen und Lavendelrispen in einem Weidenkorb. Ein Herz aus silberfarbenen Blättern an der blassblau gestrichenen Wand über meinem Bett. Die gesamte Einrichtung ist verspielt und gleichzeitig stilsicher, alles in diesem Zimmer ist perfekt – ein wahr gewordener Nostalgie-Traum.
Fast schon beklemmend.
Ich meine, passe ich überhaupt hier rein?
Ich wische den Gedanken fort, stehe nun doch auf und tapse in Top und Schlafshorts zum Fenster. Ich öffne es, neugierig, wie es draußen aussieht, wenn es nicht nass und dunkel ist.
Mein Zimmer liegt im ersten Stock, sodass ich einen guten Blick über den Garten und die Dorfstraße habe. Ich lehne mich mit den Unterarmen aufs Fensterbrett. Wow! Zwar bin ich ein Stadtkind durch und durch, aber selbst ich muss zugeben: In Kerentiezh ist es wunderschön!
Die holperige Straße ist von einer niedrigen Mauer aus grauen, lose aufgeschichteten Steinen gesäumt, nur unterbrochen von hölzernen Gartentoren. Hinter der Mauer liegen Gärten, in denen kleine Wege zu Granithäusern mit leuchtend blauen Fensterläden führen. Überall wuchern violette, rosafarbene und blassblaue Hortensien, dazwischen sattgrüner Farn und Efeu. Auf einem Schornstein ruht sich eine Schwalbe aus … bevor der Wind auffrischt und sie weiterträgt, hoch hinauf in den blauen Himmel.
Am liebsten würde ich den Flug der Schwalbe mit ein paar schnellen Strichen festhalten. Doch mein Skizzenbuch steckt noch im Rucksack, und bis ich es geholt hätte, wäre die Schwalbe längst fort. Mein Handy allerdings liegt auf dem Schreibtisch neben dem Fenster, und so schieße ich zumindest ein Foto.
Und gerade als ich das Handy sinken lasse, tief die frische, salzige Luft einatme und zu dem Schluss komme, dass meine Reise hierher doch gar keine so schlechte Idee war, sehe ich ihn.
Der Junge ist ungefähr in meinem Alter und fährt auf einem klapperigen Fahrrad die Dorfstraße entlang. Ich denke an Mias Worte über Druiden, Feen und bretonische Jungs und muss grinsen. Ob der Typ blaue Augen hat, kann ich von hier oben zwar nicht erkennen. Aber er ist schwarzhaarig, und mit diesem nachdenklichen Gesichtsausdruck ist er definitiv süß! Eigentlich sollte ich ihn für Mia fotografieren, wenn ich schon nicht mit Druiden und Feen dienen kann.
Doch schon ist er an unserem Garten vorbei. Von meinem Spähposten am Fenster aus sehe ich ihn in Höhe des Ortsschildes in einen kleinen Feldweg einbiegen, dann hat ihn das dunkelgrüne Dickicht, das den Weg auf beiden Seiten begrenzt, verschluckt. Er ist fort, genau wie die Schwalbe, und die Straße liegt so verlassen in der Sonne, als sei der schwarzhaarige Junge auf seinem Fahrrad nie da gewesen. Mit einem Mal ist alles still und regungslos. Sogar der Wind hat sich gelegt.
Ein bisschen gespenstisch ist diese dörfliche Einsamkeit ja schon, schießt es mir durch den Kopf.
Da piepst mein Handy und bringt mir ein Stück Zuhause zurück, in Form einer WhatsApp-Nachricht von Titus. Schnell gehe ich zum Bett, lasse mich bäuchlings darauf fallen und lese erwartungsvoll, was er geschrieben hat.
»Hallo, meine Schöne. Gut angekommen? Titus.«
Enttäuscht starre ich auf die knappe Nachricht. Gut angekommen – und das ist alles?! Will er denn gar nicht wissen, ob meine leiblichen Eltern nett sind? Ob ich hin- und hergerissen bin, ob ich Heimweh habe oder ob es hier am Ende der Welt so gut läuft, dass ich neuen Mut gefasst habe und nun bereit bin für …?
Offensichtlich nicht.
Ich drücke Titus’ Nachricht weg, werfe das Handy mit Schwung aufs Kissen, ziehe mir den Morgenmantel über, den Marianne für mich bereitgelegt hat, und verlasse das Zimmer. Mit zusammengebissenen Zähnen stapfe ich die knarzende Holztreppe hinunter. Statt mich zu ärgern, werde ich lieber mit Marianne und Alex frühstücken. Ich werde Café au lait trinken und ein Croissant essen, vielleicht auch zwei. Und Titus’ Desinteresse wird mir nicht den Morgen verderben!
*
Es ist Donnerstag, ein normaler Arbeitstag, aber meine Eltern haben sich für mich freigenommen. »Wofür ist man schließlich sein eigener Chef?«, lacht Marianne und zwinkert mir zu.
Seit einer Stunde sitzen wir drei beim Frühstück und fragen uns, mehr oder weniger unauffällig, gegenseitig aus. Bei meiner ersten Tasse Milchkaffee musste ich von mir erzählen. Welche Hobbies ich habe (Antwort: durch die Stadt streunen und zeichnen), wie meine beste Freundin so ist (Antwort: wunderbar und ein bisschen durchgeknallt), ob mir die Schule leichtfällt (Antwort: Zeichnen geht von selbst und in Französisch war ich von Anfang an ein Crack, aber der Rest, öhm…) und ob ich einen festen Freund habe (Antwort: ja, seit dem Winter. Körperliche Reaktion: leichtes Bauchgrimmen).
Bei meiner zweiten Tasse Kaffee habe ich den Spieß dann umgedreht und meinerseits Fragen gestellt. Dabei habe ich erfahren, dass Marianne gerne auf Flohmärkten stöbert und alte Möbel restauriert, wohingegen Alex ein passionierter Segler ist. Außerdem arbeiten sie beide als Innenarchitekten; bald nachdem sie in die Bretagne gezogen waren, haben sie sich gemeinsam selbständig gemacht, und nun richtet ihre kleine Firma betuchten Parisern die bretonischen Ferienvillen ein – und weniger betuchten Einheimischen, die sich auch mal etwas gönnen wollen, die gute Stube.
Darum also ist dieses Haus so auffallend geschmackvoll möbliert, denke ich jetzt, und mein Blick gleitet durch das Esszimmer, das nahtlos in den Salon übergeht. Wie in meinem Schlafzimmer ist auch hier alles in pastelligen Tönen gehalten, von den weichen Sofas über die Teppiche bis hin zu den Bücherregalen mit dem kunstvoll absplitternden Holz. Wohldosierter Krimskrams rundet das Bild ab: ein Schiffsmodell über dem offenen Kamin, ein Globus auf einem antiken weißen Beistelltisch, eine Truhe aus Rattan, auf der sich mintgrüne Hutschachteln türmen, die längst ihren ursprünglichen Zweck verloren haben.
Alex ist meinem Blick gefolgt. »Marianne steht auf Shabby-Chic«, erklärt er. »Ich selbst mag’s eigentlich ganz gern puristisch, aber diese Neigung tobe ich nur bei meinen Kunden aus.« Er grinst.
Marianne legt ihre Hand auf seine. »Ach, gib’s doch zu, du würdest erfrieren, wenn du hier zwischen schwarzen Lacktischen und Edelstahl wohnen müsstest! Im Grunde deines Herzens bist du genauso ein Romantiker wie ich.«
Zärtlich lächelt er sie an. »Wahrscheinlich hast du recht.« Alex, das sieht ein Blinder, vergöttert seine Frau.
Ob Bernd Sabine jemals so angeblickt hat, damals, als sie sich ineinander verliebt haben? Ich kann es mir nicht vorstellen, und das versetzt meinem Herzen einen Stich. Mit einem Mal frage ich mich, ob sie sich überhaupt je geliebt haben, die Menschen, die ich all die Jahre über für meine Eltern gehalten habe. Denn wenn sie sich geliebt hätten, zumindest damals, vor meiner Geburt … dann hätte Bernd nach der Scheidung keinen Grund gehabt, an seiner Vaterschaft zu zweifeln.
Und dann würde ich jetzt nicht in diesem Innenarchitekten-Traum sitzen, sondern in unserer engen Wohnung in der Stadt. Einer Wohnung, in der man nichts auf alt trimmen muss, weil alles alt und abgewetzt ist, und in der ich bis vor wenigen Monaten glücklich war.
»Ich dachte, heute gehen wir drei mal ein bisschen bummeln, Kim«, dringt Mariannes Stimme in meine trüben Gedanken. »Wir zeigen dir Paimpol, das ist der nächste größere Ort. Nichts gegen eine Großstadt natürlich, aber es hat süße Geschäfte und einen hübschen Hafen. Alex’ Segelboot liegt dort.«
»Außerdem haben etliche Maler und Fotografen ihre Galerien in Paimpol«, wirft Alex ein. »Da du so gerne zeichnest, dürfte dich das doch interessieren, oder?«
»Und einkaufen«, fährt Marianne fort, »gehen wir natürlich auch. Wir müssen doch deinen Geschmack kennenlernen, wir wissen ja noch gar nicht, was du gerne isst und was nicht.«
Ich blicke in ihre erwartungsvollen Gesichter. Meinen Eltern scheint wirklich viel daran zu liegen, dass es mir bei ihnen gefällt. Das finde ich lieb von ihnen, und außerdem tut es meinem lädierten Selbstbewusstsein richtig gut. Sabine und Bernd wollen ihr Kuckuckskind nicht mehr? Ha! Hier sind Marianne und Alex. Meine wahren Eltern, die sich nichts sehnlicher wünschen, als mich in ihr Herz schließen zu dürfen.
»Paimpol und einkaufen, das klingt gut«, sage ich und lächele. »Danke.«
»Du brauchst dich nicht zu bedanken, Kim! Wir sind doch so froh, dass du endlich bei uns bist.« Marianne streicht sich eine goldblonde Locke hinters Ohr und ihre braunen Augen leuchten. Sie sieht hübsch und jung aus in ihrem aufgeregten Glück; trotzdem wird mir schon wieder unbehaglich.
Ich würde es gerne ein bisschen langsamer angehen lassen, würde mir die großen Gefühle lieber für später aufheben. Aber dafür scheint Marianne nicht der Typ zu sein: Sie hat ihre Tochter wieder und sie fließt über vor Liebe. Was ja prinzipiell sehr schön ist. Solange sie nicht erwartet, dass es mir ebenso geht.
Erwartet sie das???
»Alex wird ab morgen wieder arbeiten«, sagt Marianne, »aber ich habe mir bis Ende nächster Woche für dich freigenommen. Danach werde ich leider ebenfalls in die Firma müssen, aber du sollst ja sowieso unseren Alltag kennenlernen, nicht wahr?« Sie sucht meinen Blick. »Damit du siehst, wie es sein wird, falls du dich dafür entscheidest, bei uns zu bleiben.«
»Immer mit der Ruhe, mein Schatz«, sagt Alex leise zu Marianne. »Lass Kim erst einmal ankommen und sich ein bisschen einleben, hm?«
»Natürlich.« Marianne beißt sich auf die Unterlippe. »Tut mir leid, Kim. Manchmal gehen einfach meine Gefühle mit mir durch. Es ist aber auch eine … ungewöhnliche Situation.«
Ich lächele schwach. Ungewöhnlich. Das kann man wirklich laut sagen.
Wenig später schlendern wir zu dritt – ganz so, als wären wir eine stinknormale kleine Familie – durch Paimpol.
Man merkt dem Hafenstädtchen kaum an, dass Juli und somit Hochsaison ist. Zwar drängeln sich vor den zahlreichen Andenkenläden und Crêperien die Touristen. Doch in den Boutiquen, Galerien, Töpfereien und Buchläden, in die ich mit Marianne und Alex hineinschaue, ist nicht viel los. Und in den engen Gassen zwischen den graugelben Steinhäuschen sind weniger Urlauber mit Kameras unterwegs als Hausfrauen mit Einkaufstüten.
Als Alex mir erzählt, dass Paimpol in früheren Zeiten vor allem vom Kabeljaufang gelebt hat, schleppt Marianne uns kurzentschlossen ins Musée de la Mer. Dort besichtigen wir nicht nur Seesäcke und Fischerstiefel von anno dazumal, Seemannsknoten in allen Variationen und Gemälde und Modelle von historischen Segelschiffen. Sondern ich erfahre auch, dass bei den monatelangen Fahrten vor die Küsten Islands und Neufundlands jedes Jahr etliche Fischer ums Leben kamen.
»Das Leben war hart hier, viele Jahrhunderte lang«, sagt Alex, als ich meine Augen betroffen über die lange Liste der Schiffbrüche und der auf dem Meer Vermissten gleiten lasse.
»Aber heute wollen wir uns nicht mit dem Tod beschäftigen«, sagt Marianne und legt mir den Arm um die Schultern. »Gehen wir lieber etwas essen! Magst du Hummer, Kim? Oder Austern? Beides gilt in Paimpol als Spezialität.«
Unwillkürlich verziehe ich das Gesicht, denn Austernschlürfen finde ich widerlich und mit den armen Hummern, die lebend in kochendes Wasser geworfen werden, habe ich zu viel Mitleid, als dass ich sie essen wollte.
Alex schmunzelt. »Sieht nicht so aus, als könnten wir Kim damit locken. Aber suchen wir uns doch einfach ein nettes Restaurant am Hafen, da wird’s dann schon etwas geben, was unserer Tochter schmeckt.«
Als er »unserer Tochter« sagt, zucke ich kurz zusammen. Verdammt, diese Reaktion muss ich mir schleunigst abgewöhnen, ich will nämlich auf keinen Fall, dass meine Eltern sich von mir zurückgewiesen fühlen! »Eigentlich bin ich nicht anspruchsvoll beim Essen«, versichere ich ihnen eilig, denn für schwierig sollen Marianne und Alex mich auch nicht halten. Puh. Gar nicht so leicht, sich ununterbrochen im besten Licht zu zeigen! Beinahe vermisse ich die Reibereien mit Sabine – die Momente, in denen sie mich angeblafft hat, weil sie unter Stress stand, oder ich zickig zu ihr war, weil ich mit Titus gestritten hatte und meine Wut auf ihn an Mama ausließ. Das war zwar ungerecht, aber irgendwie nicht schlimm; wir wussten ja beide, dass wir uns trotzdem lieb hatten. Zumindest damals. Als ich noch ihre Tochter war.
»Na, dann auf zum Hafen«, sagt Marianne munter.
Ich reiße mich zusammen, nehme mir vor, den Tag in diesem hübschen bretonischen Städtchen einfach zu genießen. Sabine ist in Deutschland, ich bin hier. Und obwohl sich mein Herz anfühlt wie ein Klumpen Blei, schaffe ich es, meinen neuen Eltern zuzulächeln.
*
Die Touristenfallen, die mit Leuchttürmen und überbordendem Blumenschmuck um Gäste buhlen, lassen wir links liegen. Stattdessen führen Alex und Marianne mich am Hafen in ein unscheinbares Haus, in dessen Obergeschoss ein kleines, aber feines Restaurant untergebracht ist. Wir bekommen einen schönen Tisch am Fenster, von dem aus ich den ganzen Hafen überblicken kann. Meine Stimmung hebt sich. Etwas anderes ist auch kaum möglich bei so viel maritimer Schönheit: Weiße, grüne und rote Boote schaukeln auf dem Wasser, bunte Wimpel flattern im Wind, am blauen Himmel kreisen hungrige Möwen.
Hungrig bin mittlerweile auch ich, und ich lasse mir meinen mit Kräutern und Knoblauch gegrillten Fisch schmecken, während Alex und Marianne tatsächlich Austern schlürfen (mich aber dankenswerterweise nicht fragen, ob ich mal probieren möchte). Alex zeigt mir vom Fenster aus sein Segelboot, fragt, ob er mich mal auf eine Tour mitnehmen soll, und ich nicke begeistert. Segeln war ich noch nie; das Geld zuhause hat selten für einen Urlaub am Meer gereicht.
Als Alex meine Freude sieht, wirft er seiner Frau einen erleichterten Blick zu, und mein Vorsatz, diesen beiden Menschen eine gute Tochter zu sein, verfestigt sich. Meine Wurzeln wurden zwar gekappt.
Aber vielleicht kann ich es ja schaffen, neue zu schlagen.
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Erst am Abend kehren wir nach Hause zurück.
Wie von Marianne angekündigt, waren wir nach unserem Ausflug noch im Hypermarché, einem riesigen Laden, in dem es von Gartenmöbeln über DVDs bis hin zu frischem Baguette, sündhaft teurem Schinken und Artischocken so ziemlich alles gab. Am liebsten hätte ich von tausend Köstlichkeiten probiert, hätte duftende Melonen, Hirschsalami und süße Éclairs zuhauf in den Einkaufswagen gepackt, doch ich habe mich beherrscht, um nicht allzu gierig zu erscheinen. Spaß gemacht hat es trotzdem, und vor allem hat es die Stimmung zwischen uns dreien entspannt: Wir haben etwas ganz Alltägliches zusammen unternommen, ohne uns vorsichtig zu umkreisen, ohne uns auszufragen. Als wir nun die Einkaufstüten aus dem Auto hieven, bin ich zwar müde, aber lange nicht mehr so durcheinander wie vorhin im Musée de la Mer.
Das hier, denke ich, während ich zwei prallgefüllte Tüten zum Haus schleppe, könnte mein Zuhause sein. Würde es mir gefallen, hier zu wohnen?
Ich betrachte das Haus, das so hübsch und romantisch aussieht mit seinem Schieferdach, den blauen Fensterläden und dem Efeu, der sich an den Wänden hochrankt. Ich kann gut verstehen, dass Marianne und Alex es geschafft haben, an diesem Ort zur Ruhe zu kommen, damals, als sie das Baby verloren hatten.
Mariannes Baby.
Sabines Kind.
Komisch eigentlich, dass es im ganzen Haus kein Foto von ihm gibt, schießt es mir durch den Kopf. Von ihm? Von ihr! Denn natürlich war das Kind ein Mädchen – wie ich.
»Kommst du?« Marianne hält mir die Tür auf, während Alex schon im Haus verschwunden ist, und mir wird bewusst, dass ich mitten auf dem Rasen stehengeblieben bin, die schweren Tüten in den Händen, und blind und gedankenverloren vor mich hin starre.
»Ähm, klar. Sofort.« Verlegen setze ich mich in Gang. Offensichtlich habe ich mich geirrt: Ich bin doch noch durcheinander, und zwar mehr, als mir lieb ist.
Vielleicht sollte ich nach dem Abendessen mal bei Mia durchklingeln. Wenn sie Zeit für mich hat, könnten wir ein bisschen skypen. Nein, nicht ein bisschen. Sondern ausgiebig und stundenlang!
Ich brauche meine beste Freundin.
»Sie sind total nett«, sage ich zu Mia. »Echt!«
Ich habe meinen Laptop auf dem Schminktisch mit dem verschnörkelten Spiegel aufgebaut. Das billige Gerät wirkt darauf irgendwie fehl am Platz.
Meine Freundin legt den Kopf schief. »Und warum schaust du dann so schrecklich ernst?«
»Tue ich das?«
»Jep.«
Ach, Mia kennt mich einfach viel zu gut! Ich blicke sie an, wie sie da auf ihrem Schreibtischstuhl hängt, und bin wieder einmal froh, dass ich sie habe. Seit der ersten Klasse ist sie meine Freundin und ich mag alles an Mia, ihre Ehrlichkeit, ihre Warmherzigkeit, ihren Wagemut und sogar die komische farbige Strähne in ihrem Haar. Die heute übrigens violett ist.
Seufzend sage ich: »Wahrscheinlich schaue ich so ernst, weil du mir fehlst. Und Titus fehlt mir auch.«
Mia verzieht das Gesicht. »Der Blödmann fehlt dir? Wieso?«
Okay. Manchmal ist Mia vielleicht ein bisschen zu ehrlich.
»Titus ist mein Freund«, sage ich streng. »Könntest du nicht versuchen, ihn ein klein wenig zu mögen?«
»Nein. Blödmann bleibt Blödmann!«
Ich muss mir auf die Lippe beißen, um nicht zu lachen. Triumphierend deutet Mia mit dem Zeigefinger auf mich. »Ha! Du weißt, dass ich recht habe, Kim. Du willst nicht lachen, aber deine Schultern zucken! Gib’s doch zu, du bist heilfroh, dass du mal ein paar Wochen Ruhe vor Titus hast.«
Ja, das bin ich, aber zugeben würde ich das nie. Also frage ich kopfschüttelnd: »Was hast du bloß immer gegen den armen Kerl?«
»Er setzt dich unter Druck und das finde ich unfair. Und außerdem hat er eine doofe Schwester.«
»Also für seine Schwester kann Titus nun wirklich nichts!«
»Stimmt«, gibt Mia unbekümmert zu. »Aber für den Rest.«
Ich runzele die Stirn. »Hey, ich will nicht über ihn lästern! Erzähl mir lieber was von dir. Wie läuft’s beim Zirkus?«
Mia arbeitet nämlich während der gesamten Sommerferien bei einem pädagogischen Zirkusprojekt für Kinder mit. Sie meldete sich spontan als ehrenamtliche Helferin, nachdem ich beschlossen hatte, in die Bretagne abzuhauen. Bei dem Zirkusprojekt, erklärte sie mir, verdiene sie zwar nichts, aber bestimmt werde sie jede Menge Spaß haben. Und ganz sicher wimmele es dort nur so von süßen Jungs!
»Super läuft’s«, sagt Mia jetzt und ihre Miene hellt sich schlagartig auf. »Die Trainer sind klasse, und die anderen Ehrenamtlichen auch. Heute bin ich in die Geheimnisse der Tontechnik eingeweiht worden, und morgen bringe ich den Kids das Laufen auf riesigen Bällen bei.«
»Seit wann kannst du das denn?!«
»Na ja, ich muss bloß Anweisungen geben, und die stehen schön übersichtlich auf einem Zettel.«
Wir lachen beide.
Doch dann sagt Mia unvermittelt: »Weißt du was, Kim? Ich würde dich furchtbar vermissen, wenn du auf Dauer in der Bretagne bleiben würdest.«
Und das Lachen bleibt mir im Halse stecken.
Als wir uns voneinander verabschiedet haben und der Laptop ausgeschaltet ist, trete ich in der Abenddämmerung ans Fenster, um für die Nacht die blauen Läden zu schließen. Da sehe ich ihn ein zweites Mal.
Den Jungen auf dem klapperigen Fahrrad.
Genau wie heute früh ist sein Gesichtsausdruck sehr nachdenklich. Vielleicht kann ich ja deshalb meine Augen nicht von ihm abwenden – weil er ebenso in seinen Gedanken gefangen ist wie ich selbst?
Ich lehne meine Unterarme auf die Fensterbank und betrachte ihn. Von hier oben kann ich das gefahrlos tun, schließlich sieht er mich nicht. Schlank ist der Typ, fast schlaksig; nicht so muskulös wie Titus, der seinem guten Aussehen regelmäßig im Fitnessstudio nachhilft. Attraktiv finde ich den Schlaksigen trotzdem, das muss ich zugeben. Sein schwarzes Haar ist lockig, seine Haut sanft gebräunt – kein Wunder, wenn er ständig mit dem Rad unterwegs ist! Ich frage mich, wo er den Tag über gewesen sein mag, und wohin er jetzt fährt. »Wohin wohl? Nach Hause, du Blödi!«, sage ich spöttisch zu mir selbst.
Offensichtlich eine Spur zu laut, denn der Typ hebt den Kopf, entdeckt mich am Fenster und blickt mir direkt in die Augen.
Seine sind blau.
So blau, dass ich das sogar im Dämmerlicht und aus der Entfernung erkennen kann.
Drei, vier Herzschläge lang starren wir uns einfach bloß an. Dann hebt er fragend die dunklen Brauen, als wundere er sich darüber, dass da oben, im schwindenden Licht des Tages, ein Mädchen am Fenster hängt und ihn angafft.
Ich spüre, wie mir das Blut in die Wangen schießt. So arrogant wie möglich werfe ich mein Haar zurück, greife nach den Fensterläden und ziehe sie schwungvoll zu. Bleibe in der plötzlichen Dunkelheit des Zimmers reglos stehen, grübele, was der Typ nun von mir denken muss, und ärgere mich, weil ich mir über etwas so Unwichtiges überhaupt Gedanken mache.
Ich meine, ich habe echt größere Sorgen, oder nicht?!
Was mich an Titus erinnert, der eine dieser Sorgen darstellt. Mist, ich habe ihm ja noch gar nicht geantwortet!
Ich taste mich zum Bett vor, schalte die Nachttischlampe ein und greife nach meinem Handy.
»Hi Titus«, tippe ich. »Bin gut angekommen und meine richtigen Eltern sind toll. Falls dich das interessiert!« Und weil das, als ich es noch einmal überfliege, doch sehr zickig klingt, füge ich pflichtschuldig einen küssenden Smiley hinzu. Dann sende ich die Nachricht ab … und mit einem Mal frage ich mich, wer eigentlich die Schuld daran trägt, dass wir in letzter Zeit über alles und nichts in Streit geraten.
Ist es vielleicht doch gemein von mir, Titus immer wieder hinzuhalten? Liegt es daran? Ist er schlicht und einfach verletzt?
Ich meine, irgendwie verstehe ich ja, dass Titus endlich mehr will als nur zu knutschen. Er ist schließlich achtzehn! Und er wartet schon seit Monaten. Außerdem hat er sein erstes (und zweites und drittes und viertes) Mal schon hinter sich; er weiß also, was er verpasst, wenn ich mich Woche um Woche ziere.
Was, denke ich unbehaglich, wenn er beschließt, mich zu verlassen? Wenn er sich eine andere, willigere Freundin sucht als mich, eine, die nicht so ein Theater macht? An unserer Schule gab es immer genügend Mädchen, die Titus angehimmelt haben. An der Uni wird das nicht anders sein, darüber mache ich mir keinerlei Illusionen: Wenn Titus im Herbst sein Studium beginnt, werden Hunderte, Tausende Studentinnen um ihn herum sein, und alle werden sie älter, erfahrener und sexuell aufgeschlossener sein als ich.
Vielleicht sollte ich meine Ansprüche ja doch herunterschrauben. Nicht mehr darauf warten, dass der Himmel voller Geigen hängt, wenn wir es tun. Sondern mir sagen: Augen zu und durch!
Ich beiße die Zähne zusammen.
Augen zu und durch klingt verdammt traurig.
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