Dreams of Sapphire Seas - Anabelle Stehl - E-Book

Dreams of Sapphire Seas E-Book

Anabelle Stehl

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Beschreibung

Sein Geheimnis kann ihre Liebe zerstören ...

Für Serena geht ein Traum in Erfüllung, als sie dank eines Stipendiums ihr Kunststudium im irischen Cork fortsetzen kann. In der Obdachlosenhilfe vor Ort findet sie zudem ein neues Herzensprojekt, dem sie sich mit Feuereifer verschreibt. Nur die Wohnungssuche erweist sich als schwierig. Mit viel Glück ergattert sie ein Zimmer in einer turbulenten Männer-WG. Es gibt nur eine Regel: Sie darf mit keinem der Jungs etwas anfangen. So weit, so gut, wäre da nicht ihr neuer Mitbewohner Aedan, der ihr Herz mit seinen zahlreichen Tattoos und dem warmen Lächeln gewaltig zum Rasen bringt. Was sie nicht ahnt: Die WG-Regel bleibt nicht das Einzige, was zwischen ihnen steht ...

Eine Liebe so tief und stürmisch wie die Irische See

Abschlussband der neuen Dilogie von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Anabelle Stehl

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Seitenzahl: 541

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Playlist

Leser:innenhinweis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Anabelle Stehl bei LYX

Impressum

ANABELLE STEHL

Dreams of Sapphire Seas

Roman

ZU DIESEM BUCH

Für Serena geht ein Traum in Erfüllung, als sie nach ihrem Erasmus-Semester ein Stipendium erhält und ihr Kunststudium in Irland fortsetzen kann. Allerdings bekommt ihre Freude einen Dämpfer, denn alle Wohnheimplätze sind bereits vergeben, und die Suche nach einer Bleibe gestaltet sich schwieriger als gedacht. In Cork gibt es viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum, und die Verzweiflung der Menschen ist riesengroß. Mit viel Mühe kommt Serena in einer WG unter, aber ihre fast erfolglose Suche hat ihr die Wohnungsnot der Stadt vor Augen geführt, die viele Menschen in die Obdachlosigkeit treibt. Entschlossen engagiert sie sich in einer Organisation, die dafür sorgt, dass die Betroffenen warme Mahlzeiten und einen Platz zum Schlafen finden. Unterstützung erhält sie von einem ihrer Mitbewohner: Aedan, der nicht nur durch seine Hilfsbereitschaft, sondern auch mit seinen zahlreichen Tattoos und dem charmanten Lächeln ihr Herz zum Rasen bringt. Er ist aufmerksam, humorvoll und Serena fühlt sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen. Aber nicht nur hat die WG die eiserne Regel, dass es keine Beziehung unter den Mitbewohnern geben darf, nein, Aedan hält auch etwas vor ihr geheim: Er ist der Sohn des Bürgermeisters, dem Serena einen großen Teil der Schuld an den Problemen in der Stadt gibt …

Für Alexandra

Danke für alles.

PLAYLIST

King Street – Stu Larsen

De Selby (Part 1) – Hozier

High Hopes – Kodaline

Chainsmoking – Jacob Banks

Pursuit of Happiness (Nightmare) – Kid Cudi, MGMT, Ratatat

Downtown – Lilla Vargen

In My Arms – Billy Raffoul

One Life – Dermot Kennedy

Look What You Made Me Do – Taylor Swift

brutal – Olivia Rodrigo

Don’t Play With Fire – Jake Warren

I Go Crazy – Orla Gartland

Castles Crumbling (Taylor’s Version) – Taylor Swift feat. Hayley Williams

long story short – Taylor Swift

Meltdown – Niall Horan

Home – Edward Sharpe & The Magnetic Zeros

Still Into You – Paramore

Liebe Leser:innen,

bitte beachtet, dass Dreams of Sapphire Seas Elemente enthält, die triggern können. Dies betrifft: Tod.

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Eure Anabelle und euer LYX-Verlag

1. KAPITEL

Serena

Der Geruch von Zukunft liegt in der Luft, und er riecht nach Meer, Abgasen und Hundefutter. Letzteres, weil mein Bed and Breakfast nur eine Straße von der Tierfutterfabrik entfernt liegt. Generell ist die Gegend, in der ich die letzten Monate verbracht habe, nicht gerade die schönste in Cork. Mein B&B befindet sich direkt neben dem Wohnheim, in dem ich mein Erasmus-Semester über gelebt habe. Der Weg zur Uni ist ewig lang, und Grünflächen sind weit und breit nicht in Sicht. Dennoch zaubern mir die vorbeifahrenden Autos, die kreischenden Möwen und dieser unverkennbare Geruch nach Cork, der geheimen Hauptstadt Irlands, ein Lächeln ins Gesicht. Ich bin zu Hause. Endlich bin ich nicht länger Touristin oder Gaststudentin in diesem Land, sondern wohne wirklich hier. Zum ersten Mal seit Jahren fühle ich mich angekommen.

Die Sonne blendet mich, als ich mich blinzelnd umsehe, schafft es jedoch nicht, die kalten Temperaturen zu vertreiben. Obwohl die Winter in Irland sehr viel milder sind als die in Deutschland, ist heute einer dieser Tage, an denen die Temperatur auf unter null gesunken ist. Etwas links von mir, vor meinem ehemaligen Wohnheim, steht eine Gruppe Studierender und unterhält sich aufgeregt. Sicher warten sie darauf, ihre Schlüssel zu erhalten. Vor einem halben Jahr war ich eine von ihnen, ebenfalls nervös von links nach rechts tippelnd, völlig ahnungslos, dass ich mich kurz darauf mit Haut und Haaren in diese Insel verlieben würde.

Meine Freude erhält einen Dämpfer, als ich den Blick abwende und das Gartentor zum B&B schließe. In diesem wohne ich seit einer Woche, und nicht etwa, weil mir das karge Frühstück aus Toast, Bohnen und Marmelade so gut schmeckt, sondern weil ich im Gegensatz zu den Studenten und Studentinnen keinen Schlüssel zu meinen eigenen vier Wänden habe. Dabei habe ich wirklich alles versucht, um diesen Umstand zu ändern. Seit ich erfahren habe, dass ich das Stipendium bekomme, habe ich Wohnheime angefleht, andere Studierende und das International Office gefragt, sogar John, den Barista in meinem Stammcafé, doch nichts davon hat Früchte getragen. Die Wohnungslage in Cork ist eine einzige Katastrophe, und in der Zeit, die ich hier verbracht habe, hat sich das eher verschlechtert statt verbessert. Doch ich werde das schaffen, daran glaube ich fest. Immerhin habe ich das Stipendium für mein Kunststudium bekommen, da werde ich wohl kaum an einer Wohnung scheitern.

Ich setze ein zuversichtliches Lächeln auf und laufe in Richtung Innenstadt. Mittlerweile macht mir der vierzigminütige Weg zum University College Cork nichts mehr aus. Zu Beginn hatte ich ständig Muskelkater, weil ich es nicht gewohnt war, täglich mehr als fünfzehntausend Schritte zurückzulegen. Kein Wunder, in Hamburg habe ich stets die U-Bahn zur Uni genommen, und Sport war nichts, was ich freiwillig getan habe. Irland sei Dank habe ich mittlerweile so etwas wie Muskeln an den Beinen, und auch wenn ich mit Sport weiterhin auf Kriegsfuß stehe, habe ich Wanderungen und das Bogenschießen im letzten Semester lieben gelernt.

Kaum dass ich den Fluss erreiche, fühle ich mich noch ein Stück mehr wie zu Hause, da mich ein bekanntes, freundliches Gesicht erwartet. Charlie sitzt mit einer Tasse dampfendem Kaffee auf dem Boden vor seinem Zelt. Mich fröstelt es beim bloßen Anblick, denn trotz der eisigen Temperaturen hat er sich lediglich eine gefaltete Decke untergelegt. Als ich näher komme, steht er auf und hebt die Hand zum Gruß. Genau wie der Fluss und die Möwen gehören auch diese Zelte zum Stadtbild Corks. Sie und die meterhohen Deckenburgen in den Eingängen der Geschäfte auf der Saint Patrick’s Street. Als Hamburgerin sind mir obdachlose und bettelnde Menschen nicht fremd, doch während ich in der Hansestadt selbst oft genug weggeschaut habe, ist mir das in Cork nicht möglich. Vielleicht, weil die Stadt kleiner ist, alles intimer wirkt. Vielleicht auch, weil ich während meiner letzten Monate in Irland gelernt habe, mehr im Moment zu leben, nach links und rechts zu blicken, während ich in Hamburg stets von einem Ort zum nächsten gehetzt bin – Uni, Nebenjob, zur Zahnarztpraxis meines Bruders Vincent, um ihn zu Gesicht zu bekommen, zu meinen Großeltern. Ich war immer auf Achse, immer in Eile. Irland hat mich entschleunigt, nicht zuletzt, weil es viel weniger Transportmittel gibt und man es hier mit der Pünktlichkeit nicht allzu genau nimmt.

»Morgen!«, sage ich, als ich Charlie erreicht habe. Er hat die Unterarme auf den kleinen Zaun gestützt, der den Fußgängerweg vom Fluss trennt. Seine braunen Haare versteckt er unter einer blauen Mütze, und er trägt eine dicke Steppjacke, die neu sein muss.

»Gestern von Hope Harbour bekommen«, sagt er, als er meinen Blick bemerkt. »Viel besser als das alte Ding, das ich davor hatte. Aber bald wird’s ja hoffentlich wärmer. Im Radio sagten sie, zwei, drei Tage soll es noch so kalt bleiben, danach geht’s aufwärts. Was steht bei dir an? Geht die Uni wieder los?«

»In einer Woche erst. Muss heute noch ein bisschen Papierkram ausfüllen.«

»Ah, für das Stipendium?«

Ich nicke. Charlie und ich sind erst vor etwa zwei Monaten ins Gespräch gekommen. Vorher habe ich ab und an einen Euro in die Mütze geworfen, die mal vor ihm, mal vor seinem Zelt lag. Er war es, der mich angesprochen hat, als ich einen ganzen Stapel Leinwände zurück ins Wohnheim geschleppt habe. Ich habe ihm von meinem Kunststudium erzählt und er mir von seinem Job als Grafiker in Limerick – bevor alles den Bach hinunterging, auch wenn er bis heute nicht gesagt hat, was genau alles bedeutet. Ich habe nie nachgefragt, denn sein Blick hat deutlich gemacht, dass ihn die Erinnerung schmerzt. Und mit schmerzhaften Erinnerungen kenne ich mich aus, sehr gut sogar.

»Weiter so! In ein, zwei Jahren will ich deine Kunst in der Crawford Gallery sehen.«

»Ich arbeite dran«, erwidere ich lachend und schiebe dann, wie jeden Morgen, meine Hand in die Tasche, in der bereits etwas Kleingeld bereitliegt. Ebenfalls wie jeden Morgen schnalzt Charlie erst mit der Zunge, hält mir dann nach einigem Hin und Her jedoch seine Mütze entgegen. Wir treiben dieses Spiel seit einer ganzen Weile, und es gehört für mich genauso zum Alltag wie die plötzlichen Regenschauer und die Scones in der Mensa.

»Danke«, meint Charlie und zwinkert mir zu. »Bist du aufgeregt vorm Master?«

»Ein bisschen«, gebe ich zu. »Nicht mal wegen des Studiums selbst, aber alle, mit denen ich das letzte Semester gemacht habe, sind wieder nach Hause gereist. Nur eine meiner Freundinnen aus den USA, Evelynn, ist auch geblieben. Ich hoffe einfach, ich finde Anschluss.« Und eine Wohnung, aber das behalte ich wohlwissend für mich. Immerhin habe ich ein Dach über dem Kopf, selbst wenn es nur das des B&B ist.

»Ach, das wirst du! Niemand ist je wirklich allein, wenn er mit offenen Augen durch die Gegend läuft. Nicht hier in Cork.«

»Ich hoffe, du hast recht.« Denn genau wie die schmerzhaften Erinnerungen kenne ich auch das Alleinsein. Erst, weil meine Eltern mich und meinen Bruder freiwillig verließen, dann, weil sie aus unserem Leben gerissen wurden. Ich schiebe die Gedanken beiseite und straffe die Schultern. Heute ist der erste Tag meiner neuen Zukunft. Ich habe weder Zeit noch Lust, zurückzublicken. »Na dann! Bis später oder morgen!«

»Mach’s gut, Serena! Lern fleißig.«

»Mach ich«, erwidere ich schmunzelnd. Mein Erasmus-Semester, für das ich das letzte halbe Jahr hier verbracht habe, bestand mehr aus Feiern denn aus Lernen, so wie es bei Auslandssemestern wohl üblich ist, doch jetzt im Master werde ich mich zusammenreißen müssen. Ich winke Charlie noch einmal zum Abschied, dann gehe ich den mir vertrauten Weg in Richtung College. Obwohl ich die Pflastersteine mittlerweile in- und auswendig kennen müsste, fühlt sich doch etwas anders an. So als wäre heute wirklich der Start vom Rest meines Lebens.

»Ms Serena Herzog?«

Ich springe so eilig vom Stuhl auf, dass mein Handy, auf dem ich gerade mit Evelynn gechattet habe, beinahe auf dem Boden landet. »Ja!«, rufe ich und eile der brünetten Frau entgegen, die mir ihre Bürotür aufhält. Mrs Beckett, wenn ich dem Schild an ihrer Tür Glauben schenken kann.

»Keine Eile, heute ist ja nicht so viel los«, meint sie lächelnd und deutet auf den schwarzen Stuhl gegenüber ihrem Schreibtisch. Ich lasse mich darauf nieder und krame den Ordner mit den Papieren aus meinem Rucksack.

»Herzlichen Glückwunsch erst mal zum Stipendium, schön, dass Sie bleiben können.«

»Vielen Dank«, erwidere ich strahlend, und mein Herz schlägt eine Spur schneller, weil jetzt wirklich alles real wird.

»Ihr Transcript of Records der Universität in Hamburg haben Sie?«

»Ja, hier!«

Mrs Beckett geht die Papiere durch und zeichnet die Dokumente des Stipendiums gegen. Ich beiße mir derweil auf die Innenseite meiner Wange, damit ich nicht dämlich grinsend vor ihr sitze, denn meine Freude steigt mit jeder verstreichenden Sekunde. Ich werde weiter aufs College gehen. Weitere zwei Semester bis zum Masterabschluss. In der Boole Library sitzen und lernen, Zeichnen bei Mr O’Neill belegen und mein Abschlussprojekt bei Mrs MacDermott machen. Sonnenuntergänge am River Lee beobachten und Murphy’s im Sin É trinken. Trips ans Meer, Kuchen im Café Myo mit Evelynn, Bücherstöbern bei Vibes & Scribes – mit jedem Bild, das ich gedanklich male, pocht mein Herz heftiger, und es zerreißt mich beinahe vor Vorfreude. Bis die Falten auf Mrs Becketts Stirn mir den imaginären Pinsel aus der Hand schlagen und mich zurück ins Hier und Jetzt holen.

»Ist alles in Ordnung?«, frage ich, und als sie den Kopf schief legt, schlägt mein Herz zwar auch schneller, jedoch nicht vor Freude, sondern vor Sorge.

»Wir brauchen noch Ihren Mietvertrag und die aktuelle Anschrift.«

Shit. Bei der Bewerbung habe ich meine alte Anschrift genutzt. Die Uni weiß natürlich, dass ich dort nicht länger lebe, das habe ich völlig verdrängt.

»Ich nehme an, Arcadia Hall, Ihr Wohnheim, ist nicht mehr aktuell?«, fragt nun auch Mrs Beckett. »Sie sind ja keine Erasmus-Studentin mehr.«

»Nein, ich bin gerade im B&B untergebracht.«

Mrs Beckett hebt die Augenbrauen, und ich weiß, dass ich falsch geantwortet habe.

»Aber nicht mehr lang, ich unterschreibe nächste Woche den Mietvertrag«, füge ich eilig hinzu. Es ist keine Lüge, wenn ich es noch wahrmache, richtig?

»Hm«, macht sie gedehnt, nickt dann aber. »Das müsste klargehen. Wir reichen die Sachen ein, dann wird sich nächste Woche jemand melden, um Ihren Wohnort nachträglich zu erfassen. Bis dahin brauche ich die Papiere. Können Sie mir den unterschriebenen Vertrag bis Mittwoch zusenden? Digital, oder aber Sie kommen direkt vorbei und zeichnen die restlichen Papiere gegen, dann geht alles etwas schneller.«

»Klar, kein Thema«, erwidere ich eine Spur zu fröhlich, denn natürlich ist es ein Thema. In Cork gibt es keine Wohnungen, und selbst bei den Wohnungen außerhalb sind die Mietpreise in schwindelerregende Höhen geschossen. Ich könnte mir einen Nebenjob im Café suchen, so wie ich es in Hamburg getan habe, doch selbst mit dem Gehalt, dem Stipendium und der Finanzspritze meines Bruders wird es schwer, etwas zu finden. Neue Wohnungen werden nicht gebaut, und die wenigen, die es gibt, werden teuer an die Angestellten der Großkonzerne vermietet, die sich hier niedergelassen haben. Ich habe nicht lange hier leben müssen, um alles über diese Probleme zu lernen, denn vom Busfahrer bis zur Barista unseres Stamm-Cafés redet wirklich jeder darüber.

»Super«, meint Mrs Beckett mit einem Lächeln. »Dann wäre alles geklärt! Je schneller Sie mir den Mietvertrag schicken, desto besser, da Sie Ihren Studienausweis vorher nicht aktualisieren können. Bis Freitag sind reguläre Termine dafür im Hauptgebäude des Campus, daher wäre es ideal, wenn nächste Woche alles abgewickelt ist.« Mrs Beckett erhebt sich, und ich tue es ihr gleich, auch wenn meine Beine sich etwas wacklig anfühlen.

Ich nicke nur, denn Worte kriege ich keine mehr raus. Wie soll ich innerhalb weniger Tage eine Wohnung finden? Ich versuche es doch bereits seit zwei Monaten. Vielleicht riecht meine Zukunft doch nicht nach Meer, sondern nach Verzweiflung. Denn nichts als das fühle ich gerade.

2. KAPITEL

Serena

Es ist Montag. Semesterstart. Und obwohl ich heute völlig aus dem Häuschen sein sollte, wache ich mit einem Knoten aus Angst im Bauch auf und fühle mich wie gerädert. Drei Tage bleiben mir noch, um eine Wohnung zu finden. Die Besichtigungen letzte Woche waren alle niederschmetternd. Nur ein Zimmer in einer WG war vielversprechend – bis sich herausgestellt hat, dass ich illegal zur Untermiete bleiben sollte und somit auch keinen Mietvertrag erhalten hätte. Also stehe ich nach wie vor mit leeren Händen da.

Ich mache das Bett mit den orangefarbenen Bezügen, um wenigstens etwas Kontrolle und Ordnung in mein Leben zu bringen, dann ziehe ich frische Unterwäsche sowie die Kombi aus beiger Hose und rotem Pulli aus dem Koffer. Die Kommode in meinem Zimmer verhöhnt mich mit gähnender Leere. Naiv, wie ich bin, dachte ich, ich müsste nur zwei, drei Tage aus dem Koffer leben, bis ich etwas gefunden hätte, nun ist es bereits eine Woche, auf die womöglich weitere folgen. Außer mir ist kaum jemand hier, sodass ich das kleine Gemeinschaftsbad des B&B betrete, ohne anstehen zu müssen. Im Januar kommen nur wenige Touristen nach Cork, und die meisten regulären Studierenden haben mit Sicherheit einen Wohnheimplatz erhalten. Die Glücklichen.

Mit einem Seufzen spritze ich mir kaltes Wasser ins Gesicht und kämme mir die schwarzen Haare, die fast meine Schultern erreichen. Ich atme tief ein und wieder aus und betrachte mein Spiegelbild, das mir missmutig entgegenstarrt. Mit den Zeigefingern hebe ich meine Mundwinkel an und zwinge mich so zu einem Lächeln, das jedoch eher einer Grimasse gleichkommt. Heute sollte mein Tag sein. Ich sollte mich erwachsen fühlen, immerhin startet mein Master. Für den Abend bin ich mit Evelynn im Pub verabredet, und wir wollen darauf anstoßen – darauf, die Dinge in die Hand genommen zu haben, hierzubleiben und durchzustarten. Doch jetzt fühlt es sich an, als wären mir jegliche Fäden entglitten und hätten sich zu einem unüberschaubaren Knäuel verheddert, über den ich keine Macht mehr habe. Erwachsensein fühlt sich gerade ganz schön weit weg an.

»Genug«, sage ich meinem Spiegelbild und schlage mir leicht gegen die Wangen, als könne ich die schlechte Laune so vertreiben. »Reiß dich zusammen!« Ich habe schon ganz andere Dinge bewältigt, ich werde auch das schaffen. Vor allem aber werde ich mir davon nicht meinen ersten Tag im Master versauen lassen.

Nach einigem Wühlen in meinem Kulturbeutel finde ich Concealer und tupfe etwas davon auf die Haut unter meinen Augen, um die Schatten zu kaschieren. Es täuscht nicht komplett darüber hinweg, wie unruhig ich geschlafen habe, aber es ist ein Anfang. Obwohl ich mich sonst selten schminke, trage ich Mascara und Rouge auf und fühle mich gleich ein wenig selbstbewusster. Wohnungsmarkt in Cork? Ich komme!

Keine fünfzehn Minuten später verlasse ich das B&B. Trotz der strahlenden Morgensonne ist es eiskalt, und die vereinzelten Grashalme, die sich ihren Weg durch den Asphalt gegraben haben, sind von weißem Frost bedeckt. Die Luft ist klar und frisch, und ausnahmsweise riecht sie nicht nach Stadt, sondern einfach nur nach Wintermorgen. Ich gehe meine übliche Strecke und runzle die Stirn, als ich auf den St Patrick’s Quay in Richtung Fluss abbiege. Normalerweise erspähe ich Charlie schon aus der Ferne, doch ich sehe lediglich sein knallgrünes Zelt. Gestern hat sich mir derselbe Anblick geboten, aber da bin ich später als sonst in Richtung Stadt gelaufen, weil ich mich vormittags mit Evelynn getroffen habe. Heute hingegen bin ich zu meiner üblichen Zeit unterwegs, und Charlie sollte da sein. Er ist immer da.

Ich werde langsamer, als ich zu dem Zelt komme. Selbst seine blaue Mütze liegt nicht vor dem Eingang, dabei lässt er diese stets zurück, wenn er doch einmal unterwegs ist. Ein ungutes Gefühl breitet sich in meinem Magen aus. Es ist eine Vorahnung, ein Kribbeln, das von meinem Nacken ausgeht und sich über meine Arme bis in meinen Bauch fortsetzt.

»Charlie?«, rufe ich, und einer der Busfahrer, die an der Brücke Pause machen und plaudern, dreht sich kurz zu mir um. Vor dem Zelt steht ein leerer Costa-Becher, und ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich um denselben handelt, den ich gestern im Vorbeigehen bereits gesehen habe.

Ich handle mehr aus einem Instinkt heraus als überlegt. Ohne groß darüber nachzudenken, klettere ich über die kleine Absperrung, die das Zelt und den Fluss vom Gehweg trennt. Mein Herz hämmert mittlerweile in meiner Brust, so sehr, dass es wehtut. Dennoch nähere ich mich mit vorsichtigen Schritten der grünen Plane des Zelts.

»Hey, Charlie?« Ich klopfe sacht an den Eingang, doch innen regt sich nichts. Vielleicht ist er kurz weg? Macht einen Abstecher ins Hope Harbour, dem wortwörtlich übersetzten Hoffnungshafen, einer Organisation, die Obdachlosen regelmäßig Essen und Decken austeilt? Doch von ihm weiß ich, dass sie das nachmittags tun, nicht so früh am Morgen. Und er ist immer hier. Immer. Seit ich ihn letztes Semester kennengelernt habe, ist er eine Konstante meines Lebens in Cork. Ich stoße zitternd die Luft aus, dann strecke ich meine Finger in Richtung des Reißverschlusses. Sie sind klamm vor Kälte, und dass es so eisig ist, macht mir am meisten Angst.

Die Luft in meiner Lunge fühlt sich an wie tausend Nadelstiche, als ich den Reißverschluss langsam nach unten ziehe. Das ratschende Geräusch legt sich über das der Motoren, das Platschen der Wellen zu meiner Linken, das Schreien der Möwen. Ich höre nur den Reißverschluss und das Rauschen des Bluts in meinen Ohren, das mein viel zu schnell schlagendes Herz dorthin transportiert.

Ich sehe ihn, noch bevor ich richtig in die Hocke gegangen bin, um den Reißverschluss vollständig zu öffnen. Mein Herz stolpert, genauso, wie ich es tue. Die Luft verfängt sich in meiner Lunge. Das Blut in meinen Adern gefriert zu Eis, Eis, Eis, wie das an seinen dunklen Haaren. Die Zeit steht still. Ich weiß nicht, ob ich falle oder mich hinsetze, aber meine Hände berühren plötzlich den kalten, sandigen Boden, und schluchzende Laute dringen aus meiner Kehle. Ich zittere am ganzen Körper, während meine Augen sehen, was mein Kopf nicht versteht.

Niemand ist je wirklich allein, wenn er mit offenen Augen durch die Gegend läuft. Nicht hier in Cork.

Aber Charlie ist es. Er ist allein. Er war allein. Tagtäglich war er allein in diesem Zelt, sind Leute an ihm vorbeigelaufen, bin ich an ihm vorbeigelaufen. Tränen rinnen über meine Wangen, und ihre Hitze macht mich wütend. Ich schmecke das Salz auf meiner Zunge und nehme es doch nicht wahr.

Eine Hand berührt meine Schulter, und ich zucke so heftig zusammen, dass mein Kopf gegen etwas Hartes stößt. Ein Knie. Das Knie des Busfahrers, der ebenfalls über die Absperrung geklettert sein muss.

»Miss? Alles in Ordnu… Oh, in Gottes Namen.«

Seine Hand streicht beruhigend über meinen Rücken, während er vor mir in die Hocke geht, mir die Sicht auf das nimmt, was ich doch nie werde vergessen können, weil es sich in meine Netzhaut, in meinen Kopf und mein Herz eingebrannt hat. Mit der freien Hand zückt er ein Handy und spricht in heftigem Dialekt eilig Worte hinein, die ich nur am Rande wahrnehme.

»Polizei … St Patrick’s Quay … gegenüber dem Metropole Hotel … Leiche … Mädchen unter Schock …«

Stehe ich unter Schock? Vielleicht, denn ich nehme nichts mehr wahr. Merke nur an dem Druck unter meinen Armen, dass der Fahrer mich in den Stand hievt, mir weiter über den Rücken reibt. Mich über die Absperrung hebt, wo mich die Arme eines anderen Mannes stabilisieren. Mehrere Gesichter, sie alle blicken von mir zum Zelt. Schaulustige. Interessant, dass sie jetzt hinsehen. Jetzt, da es zu spät ist. Da ihnen keine Augen mehr entgegenblicken. Ein Lachen dringt aus meinem Mund, dabei will ich gar nicht lachen, ich will schreien. Über sie, über mich selbst, weil ich doch zu ihnen gehöre, weil ich auch nichts weiter getan habe, als Charlie ein paar lächerliche Euros zu geben, als könnten diese ihn warm halten. Das Lachen wird wieder zu einem Schluchzen, und der Busfahrer nimmt mich in den Arm. Ich lasse es geschehen, lasse alles geschehen. Meine kleinen Problemchen, die Wohnungssuche, das alles rückt in den Hintergrund. In mir ist nichts mehr als Schuld.

»Möchtest du noch einen Tee?« Die Stimme der Polizistin ist warm wie eine Decke und schafft es doch nicht, die innere Kälte zu vertreiben. Ich sitze in keinem tristen Verhörraum, wie man sie aus dem Fernsehen kennt, sondern an ihrem Schreibtisch auf einem gemütlichen Bürostuhl, während sie sich einen Hocker danebengezogen hat. Ihr Tisch ist aufgeräumt, und darauf steht das gerahmte Foto eines Golden Retrievers, ansonsten finden sich neben den Monitoren nur einige Post-its.

»Nein danke.« Immerhin meine Stimme habe ich wiedergefunden. Die Polizei hat mich mit aufs Revier genommen, damit ich ein paar Fragen beantworte. Nicht zu mir, sondern zu Charlie. Er hatte keinerlei Dokumente bei sich, sodass sie auf meine Hilfe angewiesen waren, doch viel habe ich ihnen auch nicht sagen können, nur, dass er Charlie Higgins hieß und ursprünglich Grafiker in Limerick war. Ich wünschte, ich hätte ihn mehr gefragt. Hätte doch nachgebohrt, durch den Schmerz in seinen Augen hindurch.

»Kann dich jemand hier abholen? Du solltest heute nicht allein sein.«

Ich schüttle den Kopf. »Schon okay. Meine beste Freundin hat heute auch ihren ersten Unitag, da möchte ich sie ungern rausreißen.« Außerdem will ich gerade nichts lieber als nach Hause. Auch wenn das Zimmer meines B&B diesen Namen nicht verdient hat. An Uni und Wohnungsbesichtigungen ist gerade nicht zu denken.

»Gehst du aufs UCC?«

Ich nicke. Zwei Tage noch, wenn ich keine Wohnung finde.

»Du kannst ihr Counselling kostenlos in Anspruch nehmen. Eine Art Therapie. Ich würde dir das wirklich ans Herz legen, es ist wichtig, dass du verarbeitest, was heute geschehen ist.«

»Ich hör mich mal um«, sage ich, mehr um die Polizistin zufrieden zu stellen, als dass ich es wirklich meine. Ihr scheint das nicht zu entgehen, denn sie lehnt sich an mir vorbei, um ihre Tastatur zu erreichen, und gibt einige Begriffe bei Google ein, woraufhin sie auf einer Seite des University College landet.

»Ich schreib dir die Kontaktdaten raus. Versprich mir, dass du dich dort meldest, ja?«

Ich nehme den Zettel entgegen. »Ich komm klar. Es ist nicht das erste Mal, dass ich mit Trauer umgehen muss.« Ich weiß nicht, was mich dazu bewegt, das zu sagen. Eigentlich rede ich nicht über den Tod meiner Eltern. Außer mit Vincent, doch selbst mit ihm habe ich bestimmt zwei Jahre lang nicht mehr darüber gesprochen.

»Das tut mir leid. Es ist trotzdem wichtig, dass du die Gefühle nicht verdrängst.« Sie legt mir eine Hand auf die Schulter und drückt kurz zu. Sie will noch etwas sagen, doch wir werden vom Klingeln meines Handys unterbrochen. Mein Bruder, als hätte er meine Gedanken erahnt.

»Hey, Vince.«

»Serena, ist alles okay? Die Polizei hat bei mir angerufen. Aus Irland. Ich war gerade in einer Zahnwurzelbehandlung, sonst hätte ich mich sofort gemeldet.«

»Es ist alles gut. Sie haben nur angerufen, weil du mein Notfallkontakt bist und ich vorhin nicht ganz ansprechbar war.«

»Was ist denn los?«

Ich gebe ihm eine knappe Zusammenfassung der Ereignisse, die so monoton und abgebrüht klingt, dass ich mich selbst anwidere. Doch meine Gefühle sind irgendwo tief in mir begraben. Dicht verschlossen, damit ich weiter funktionieren kann. So wie zuletzt mit sechzehn, als ich vom Tod meiner Eltern erfahren habe. Aus den Nachrichten. Noch bevor ihre Namen öffentlich gemacht wurden, habe ich es gewusst. Als meine Großeltern Vincent und mich dann beiseitegenommen haben, hatte ich Gewissheit. So wie heute am Zelt. Man ahnt es, weiß es eigentlich bereits, doch der finale Schlag ist es, der einen völlig zu Boden wirft.

Mein Bruder seufzt am anderen Ende der Leitung. »Das tut mir so leid, aber ich bin unendlich erleichtert, dass dir nichts passiert ist.«

»Ja. Mach dir keine Sorgen, ich komm klar.«

»Soll ich nach Cork kommen? Ich könnte gleich heute Abend einen Flieger nehmen.«

»So ein Quatsch, du hast die Praxis.«

»Dann bleibt sie eben zu.«

»Es ist wirklich alles okay«, sage ich, und trotz der Kälte in mir brennen plötzlich heiße Tränen in meinen Augen. Weil ich doch nicht allein bin. Mein Bruder ist immer für mich da, das war er schon seit meiner Geburt. Er hat mich mehr großgezogen, als meine Eltern es je getan haben. Bei meiner ersten Periode war er es, dem ich davon erzählt habe und der mit mir Binden kaufen war. Meine ersten Dates mussten seinem Kreuzverhör standhalten, nicht dem meines Vaters. Er war es auch, der mich ermutigt hat, mich auf das Stipendium zu bewerben – und das, obwohl wir einander fest versprochen haben, uns niemals allein zu lassen. Nicht so, wie unsere Eltern es getan haben.

»Nimm dir heute frei, okay? Soll ich dir noch etwas Geld schicken? Magst du dir was zu essen bestellen oder so?«

»Nein, nicht nötig. Ich geh gleich heim. Viel verpasse ich heute an der Uni eh noch nicht, denk ich.«

»Tut mir leid, dass dein Semester so startet. Ruf jederzeit an, wenn etwas ist, okay? Ich pack mein Handy in den Kittel.«

»Danke dir«, sage ich. »Ich leg mal auf, ja? Ich meld mich später bei dir. Erzähl Oma und Opa bitte nichts davon.«

»Ist gut. Hey, hast du eigentlich eine Wohnung gefunden?«

»So gut wie«, lüge ich, da ich gerade wirklich keine Nerven habe, mir auch darum Gedanken zu machen. »Bis später. Hab dich lieb.«

»Ich dich auch. Pass auf dich auf!«

Ich verabschiede mich von meinem Bruder, und als ich auflege, sieht die Polizistin schon etwas weniger besorgt aus. Sie wird kein Wort verstanden haben, doch offensichtlich ist sie erleichtert, dass da draußen jemand ist, der sich um mich kümmert.

»Ich muss jetzt leider los«, meint sie mit einem schiefen Lächeln. »Möchtest du noch eine Weile hierbleiben und runterkommen?«

»Nein, ich sollte mich auch auf den Weg machen.«

»Okay. Denk dran, dich bei dem Counselling zu melden.«

Ich nicke, dabei weiß ich schon jetzt, dass ich es nicht tun werde. Es gibt eine Sache, die mir immer mehr geholfen hat als reden. Also stecke ich den Zettel der Polizistin in meine Jackentasche, verabschiede mich und laufe zurück in Richtung Innenstadt. Ich nehme die Strecke kaum wahr, doch meine Füße tragen mich wie von selbst zu Homesense. Ich betrete den Laden, ignoriere all die schicken Dekoartikel für Wohn- und Schlafzimmer, die ich nicht habe, und greife dann die nächstbesten Leinwände. Ohne auf den Small Talk der Kassiererin einzugehen, bezahle ich und gehe einen Umweg zurück zum B&B, um nicht am St Patrick’s Quay entlanglaufen zu müssen. Ich weiß nicht, ob ich den Weg am Fluss jemals wieder nehmen kann. Ob ich die Leere ertrage, die Abwesenheit des Menschen, der für so viele eine Randfigur war. Der morgen sicher eine Schlagzeile im Echo, der Tageszeitung Corks, sein wird, nur um dann vergessen zu werden. So wie all die anderen, die ein ähnliches Schicksal ereilt, denn Charlie ist – war – bei Weitem nicht der Einzige ohne Obdach in Cork.

Ich betrete das Bed and Breakfast, steige die Stufen nach oben zu meinem Zimmer und schließe dann die Tür hinter mir ab. Wenige Sekunden später gibt es nur noch mich und die Farben. Die Pinsel und die Töpfe voll Acryl sind die einzigen Dinge, die bereits ihren festen Platz in dem Zimmer haben. Beim Malen muss ich nicht denken. Dabei war ich früher nie ein sonderlich kreativer Mensch. Den Weg zur Leinwand habe ich erst mit sechzehn gefunden. Damals in der Therapie, als ich, genau wie heute, kaum in Worte fassen konnte, was ich fühlte. Als Frau Jankovic mir Stift und Papier reichte, habe ich erst verweigert. Ich kam mir blöd vor, nicht ernst genommen, wie ein Kind. Doch als sie mich nur schweigend und abwartend angesehen hat, habe ich doch begonnen zu malen. Mehr aus Trotz als aus Überzeugung, dass es etwas bringt. Und doch hat es geholfen. Meine ersten Gemälde waren nicht schön, aber sie haben das Chaos in mir sortiert, Frau Jankovic eine Seite gezeigt, die ich ihr sonst nie präsentiert hätte. Sie haben mich mir selbst nähergebracht.

Seit dieser einen Therapiesitzung male und zeichne ich jeden Tag. Ich habe YouTube-Tutorials befolgt, Zeichenunterricht genommen, mich weitergebildet. Und obwohl ich damals, in der zehnten Klasse, noch keinen blassen Schimmer hatte, was ich einmal anfangen will mit meinem Leben, festigte sich der Wunsch, dass es mit Kunst zu tun haben muss. Ich wollte Kunst schaffen. Weil Kunst die eine Sache ist, die immer für mich da war. Die tiefer gegraben hat als alles andere, die mich aufgerissen, zerfetzt hat, nur um die einzelnen Teile dann wieder zusammenzusetzen. Wenn alles geht, bleibt Kunst. Und so ist es auch heute. Ich verliere mich in meinen Gefühlen, die mir nicht länger verschlossen sind, lasse Trauer, Wut, Scham und Selbsthass hinaus. Ich filtere mich nicht, sondern verliere mich in Gefühlen und Farben, bis es dunkel wird, bis meine Finger schmerzen, weil sich das Holz des Pinsels so fest in sie gräbt. Bis ein kleiner Funken Hoffnung die dunklen Gefühle in mir ersetzt, ein Funken, mit dem ich arbeiten kann. Ein Funken, der mich weitermachen lässt.

3. KAPITEL

Aedan

»Hast du’s bald?«, rufe ich in Richtung Küche, in der Nolan immer noch zugange ist.

»Hätte ich längst, wenn Declan sein Geschirr in die Spülmaschine räumen würde. Wisst ihr? Da, wo es hingehört?«

»Hätte ich noch gemacht!«, protestiert Declan, der bereits Jacke und Schuhe trägt.

»Hättest du nicht«, erwidere ich mit einem Grinsen, woraufhin Declans Mundwinkel zucken und sich ein amüsiertes Funkeln in seine braunen Augen legt.

»Na ja, schon. Irgendwann.«

»Ich glaub dir kein Wort«, ruft jetzt auch Nolan. Kurz darauf tritt er endlich zu uns in den Flur, wo wir bereits seit einigen Minuten auf ihn warten. Sein Kater Klaus folgt ihm mit protestierendem Miauen, weil Aufbruchsstimmung ihn immer nervös macht. Mich ausnahmsweise auch, denn heute ist unser erster Tag im Master. Nolans und meiner zumindest, Declan hat letztes Semester einen neuen Bachelor angefangen, da sein alter ihm nicht zugesagt hat, und studiert jetzt Architektur, genau wie ich. Zwar haben wir keine Kurse zusammen, aber es tut gut, sich mit jemandem austauschen zu können. Es war einer der Gründe, warum wir Declan letztes Jahr in unsere WG aufgenommen haben. Ob Nolan immer noch Ja sagen würde, jetzt, da er weiß, wie sehr er mit seinem Sauberkeitstick unter Declans Unordentlichkeit leidet?

»Sei froh, dass du die Nintendo Switch mit in die WG gebracht hast, sonst würden wir dich rauswerfen«, brummelt Nolan, als hätte er meine Gedanken gelesen.

»Würdest du nicht, sonst könntest du nie wieder verreisen, weil Aedan hier deine Pflanzen im Nullkommanix töten würde.«

»Hey, das war ein Mal!«, werfe ich ein.

»Ein Mal zu oft. Ich trauere immer noch«, meint Nolan, während er in seine Sneaker schlüpft. Klaus nutzt die Chance, um sich an seinem Knie zu reiben, und läuft geräuschlos zwischen unseren Beinen hin und her. Nolan krault ihn kurz hinter den Ohren und kontrolliert dann sein Äußeres in dem bodentiefen Spiegel neben unserer Garderobe. Wir beide werden ständig für Geschwister gehalten, da wir uns mit den dunkelbraunen Haaren, dem kantigen Gesicht und den grünbraunen Augen ziemlich ähnlich sehen. Allerdings trägt er die Haare mittlerweile fast bis zu den Schultern, während meine mir mit den wenigen Zentimetern schon wieder zu lang sind, und auch charakterlich könnten wir uns kaum mehr unterscheiden. Trotzdem sind wir seit Schultagen beste Freunde.

»So, bereit?« Nolan dreht sich um und schaut uns fragend an, als hätten wir nicht gerade auf ihn gewartet.

Mit einem Seufzen öffnet Declan die Tür und tritt nach draußen. Es ist sonnig, aber eiskalt. Der Weg zur Uni dauert zum Glück nur wenige Minuten, doch ich kann es trotzdem kaum erwarten, dass es endlich wärmer wird.

»Hey, heute Abend Gym?«, fragt Declan, während wir die Magazine Road entlangschlendern, auf der zu Semesterbeginn wieder reges Treiben herrscht. Trotz der Kälte sitzen einige tapfere Leute draußen vor dem sizilianischen Café, und selbst von hier aus sehe ich, wie Gruppen sich vor dem Daybreak sammeln, um sich mit Sandwiches und Kaffee für die Vorlesungen auszustatten.

»Bin raus, heute Abend sind die Besichtigungen für Kasias Zimmer.«

»Voll verpeilt. Brauchst du Hilfe?«

»Ach was, geh ruhig zum Sport. Wenn Nolan da ist, reicht das, der hat eh mehr zu kritisieren.«

»Stimmt. Nolan, hast du deinen Fragenkatalog schon vorbereitet? Ist er unter zehn Seiten geblieben?«

»Ihr seid doof, und ich hasse euch«, erwidert Nolan mit einem Seufzen. Declan legt ihm einen Arm um die Schulter.

»Wetten, dein Hass verflüchtigt sich, wenn ich dir einen Kaffee spendiere?«

»Aber keinen vom Automaten bei Daybreak. Einen richtigen vom Campus-Starbucks.«

»Du machst mich arm.«

»Das ist ja wohl das Mindeste dafür, dass ich dir ständig hinterherputze!«

»Ständig ist ein hartes Wort.«

Mit einem Schmunzeln verfolge ich das Geplänkel der beiden und ziehe im Gehen mein Handy aus der Jeanstasche, um zu checken, in welchem Saal meine erste Vorlesung ist. Zuerst gibt es eine allgemeine Begrüßung meines Masterstudiengangs im Kane Building, im Anschluss habe ich einen Kurs in Design Research, der gute zwanzig Minuten vom Hauptcampus entfernt stattfindet. Das Hin und Her vom Hauptcampus zum Architekturgebäude war schon im Bachelor eine Qual und scheint auch im Master nicht weniger zu werden.

Ich texte meinem Dad, ob wir uns in der Nähe des Kurses zum Mittagessen treffen wollen. Jedes Semester gehen wir zu Beginn und zum Ende der Veranstaltungen essen, das ist mittlerweile ein festes Ritual geworden. Eines, das ich nicht missen möchte, denn Zeit ist bei meinem Dad seit jeher ein seltenes Gut. Vor Jahren schon, als er in der Politik begonnen hat, seit er Bürgermeister ist, noch viel mehr. Dennoch nimmt er sie sich für mich immer, bedingungslos. Seine Antwort folgt, noch bevor wir den Campus betreten.

Dad, 10.02 am:

Ich reservier uns was bei Nano Nagle. Freu mich – und hab eine Überraschung!

Ich hebe die Brauen, verkneife mir jedoch, nachzufragen, da ich genau weiß, dass mein Dad sowieso nicht mit der Sprache rausrücken würde. Also antworte ich nur mit einem Daumen-hoch-Emoji und lasse das Smartphone wieder in meine Tasche gleiten.

»Hey, O’Brien!« Ich hebe den Kopf und sehe, wie Nolan mir zuwinkt. Durchs Texten bin ich zurückgefallen, und Nolan macht Anstalten, zum Hauptgebäude abzubiegen. »Bis später.«

»Bis dann!«

»Sehen wir uns in der Mensa?«, fragt Declan, doch Nolan schüttelt den Kopf.

»Nope, hab heute Genetik am North Mall Campus. Ab morgen wieder.« Er winkt noch einmal zum Abschied und ist dann verschwunden.

Declan seufzt, während wir gemeinsam an der wunderschönen Bibliothek vorbei in Richtung des eher unschönen Kane Building laufen, dessen gräulich beige Fassade schon bessere Tage gesehen hat. »Ich hoffe echt, der Master frisst nicht eure gesamte Zeit. Ich würd die Partys mit euch vermissen.«

»Mach dir keine Sorgen. Ich geb Nolan zwei Wochen, bis er wieder über die Theorie jammert und mehr als bereit ist, sich ablenken zu lassen.«

»Wehe nicht. Sonst such ich mir einen partywilligen neuen Mitbewohner.«

»Das letzte Mal, als ich nachgesehen hab, war es mein Haus«, erwidere ich, auch wenn das nicht ganz korrekt ist, denn eigentlich gehört es meinem Dad.

Wir laufen im Slalom um nervöse Erstsemester herum, und ich beobachte mit einem Schmunzeln, wie alle Selfies vor dem Quadrangle, den viereckigen Rasenflächen vorm Hauptgebäude, machen. Obwohl ich seit meiner Geburt in Cork lebe und meinen Bachelor hier am College gemacht habe, kann ich nie vorbeigehen, ohne meinen Blick über das imposante graue Hauptgebäude schweifen zu lassen, das mich an ein Schloss erinnert. Es wurde im neunzehnten Jahrhundert von Queen Victoria gegründet und sieht bis heute königlich aus, besonders jetzt, wenn die Sonne an den Scheiben reflektiert wird und das Gras von leichtem Frost überzogen ist. Obwohl das Gebäude, in dem ich heute unterrichtet werde, daneben abstinkt, trage ich ein Lächeln im Gesicht, als wir das Treppenhaus betreten. Ich hab es vermisst, hier zu sein. Denn so gern wir Nolan immer ärgern: Ich liebe mein Studium genauso sehr wie er.

»Auf ein weiteres Semester voll durchzechter Nächte und verzweifelter Lerngruppen«, sagt Declan. »Ich muss hier lang.«

»Ich hoch.« Ich klopfe Declan einmal auf die Schulter. »Tóg o bog é«, sage ich mit einem Zwinkern, und er rollt die Augen, wie immer, wenn wir ihn mit Irisch aufziehen. Nolans und mein Schulirisch reicht gerade mal für Small Talk, Declan hingegen ist in einem Dorf in der Gaeltacht aufgewachsen – einer Region, in der Irisch bis heute die Erstsprache ist.

»Du mich auch. Bis heute Abend. Schreib, wenn du Hilfe mit den Besichtigungen brauchst.«

»Mach ich«, erwidere ich und nehme die Stufen nach oben. Ich kann es kaum erwarten: dieses Semester, die Veranstaltungen, die von Declan angesprochenen Partys und die Zeit danach, wenn ich endlich ins Berufsleben einsteigen darf. Ich habe große Fußstapfen zu füllen, da nicht nur mein Dad, sondern auch einige wichtige Leute in Cork jeden meiner Schritte verfolgen. Doch bis jetzt führten diese mich genau dahin, wo ich hinwollte.

»Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit«, beendet Mrs Bonfield ihre Präsentation. »Bevor Sie sich alle in die wohlverdiente Mittagspause verabschieden, möchte ich die eben angesprochenen Präsentationen noch verteilen. Ihren Partner oder Ihre Partnerin teile ich Ihnen zu; was die Themen angeht, tragen Sie sich im Anschluss daran bitte vorn bei mir in die Tabelle ein. Sollten Sie Ihr Thema im Laufe des Seminars noch wechseln wollen, klären Sie das bitte untereinander. Die Termine per se sind fix, da sie sich nach dem Inhalt des Kurses richten.« Mrs Bonfield lässt den Blick durch die Runde gleiten, und als keine Einwände laut werden, nickt sie zufrieden. »Ms Ryan und Ms Fitzpatrick?« Zwei Hände in unserem Sechsundzwanzig-Personen-Kurs schnellen in die Höhe. »Sehr schön, Sie arbeiten zusammen. Mr Hayes und Ms Graham?« Erneut schießen zwei Hände in die Luft, und Anna Graham, die ich bereits aus dem Bachelor kenne, setzt sich zwei Reihen nach vorn, um erste Dinge mit ihrem Präsentationspartner zu besprechen. »Mr O’Brien und Ms …« Es entsteht eine kleine Pause. »Herzog? Spreche ich das richtig aus?« Ich melde mich und sehe mich suchend im Raum um, doch außer mir hat niemand die Hand erhoben. »Ms Serena Herzog?« Nichts. Mrs Bonfield sieht über den Rand ihrer dunkel gerahmten Brille durch den Raum. »Nun, vielleicht ist Ms Herzog heute verhindert. Der Name klingt nach Deutschland oder Schweiz oder etwas Ähnlichem. Womöglich hat sich die Anreise verzögert. Mr O’Brien, Sie können sich dann gern schon einmal für ein Thema eintragen.«

Ich nicke und stehe, als alle in Gruppen eingeteilt sind, auf, um die Liste mit den Referatsthemen einzusehen. Vor dem Zettel hat sich bereits ein Pulk gebildet, und es werden eilig Namen unter die besten Themen gekritzelt. Als ich an der Reihe bin, ist kaum noch etwas frei. Bewahrung des handwerklichen Erbes durch die Herstellung von Verbindungen zwischen Stadt und Land. Ich rümpfe die Nase, da das so langweilig klingt, dass ich schon beim Lesen des Titels einschlafen könnte. Der Vortrag zu kulturellen und ästhetischen Unterschieden bei Gotteshäusern weckt auch nicht gerade meine Begeisterung, also trage ich Serena Herzog und mich eilig bei den Gemeinschaftsräumen in dicht besiedelten städtischen Umfeldern ein. Das ist immerhin ein Thema, bei dem ich einen Bezug zu Cork herstellen kann, denn dicht besiedelt und städtisch ist es hier auf jeden Fall.

Ich hoffe, dass das Thema für meine Kommilitonin ebenfalls in Ordnung ist, andererseits hätte sie selbst bei Anwesenheit schwer ein besseres ergattern können, so schnell, wie alle waren.

Als ich das Gebäude verlasse, scheint die Sonne immer noch auf Cork herab, und es ist nicht mehr ganz so eiskalt wie heute Morgen. Ich nehme die Stufen nach unten auf die Abbey Street und laufe zu dem alten Gebäude aus grauen und rötlichen Steinen, das praktischerweise direkt neben dem Architekturcampus liegt und den Nano Nagle Place beinhaltet: ein Museum mit daran anschließenden Gärten, in denen sich das Restaurant befindet, wo mein Dad für uns einen Tisch reserviert hat. Ich war früher häufig mit meiner Mam hier, da sie alles liebt, was mit Kunst und Literatur zu tun hat. Sie ist bis heute Förderin des Museums sowie der Stadtbibliothek, in der ich mir jedes Wochenende neue Bücher ausleihe.

Ich durchquere den Eingangsbereich, winke der Rezeptionistin, die bereits seit gut einem Jahrzehnt hier arbeitet, und laufe direkt in Richtung des Restaurants durch den hübschen Garten. Ich sehe meinen Dad, noch bevor ich eintrete, durch die Glaswand. Er ist in ein Gespräch mit dem Kellner verwickelt. So wie immer. Mein Dad liebt Menschen. Oder vielleicht liebt er sie nicht, aber er liebt seinen Job, und dieser bringt es nun einmal mit sich, gut mit Menschen klarzukommen.

»Aedan!« Mein Dad springt auf und umarmt mich freudig. »Schön, dich zu sehen! Entschuldigen Sie«, sagt er dann an den Kellner gewandt. »Ich wollte unser Gespräch nicht so unhöflich unterbrechen, aber dafür, dass mein Sohn in derselben Stadt wohnt wie wir, bekommen meine Frau und ich ihn viel zu selten zu Gesicht.«

»Hi, Dad!«, sage ich und erwidere die Umarmung. Mein Dad bestellt eine Flasche Wasser beim Kellner und lässt sich dann zurück auf seinen Stuhl sinken.

»Erzähl, wie war dein erster Tag?«

»Recht ereignislos, wie immer eben am Anfang eines Semesters. Erzähl du lieber mal, wie es läuft. Bald geht der Wahlkampf los, oder? Hab mich schon gewundert, dein Gesicht noch nicht auf jedem zweiten Plakat zu sehen.«

»Es ist immer Wahlkampf«, erwidert mein Dad, und ich schmunzle, weil ich seine Antwort schon vorhergesehen habe. Mein Dad brennt für die Politik. Genau wie ich ist er in Cork aufgewachsen und hat hart dafür gearbeitet, zu sein, wo er jetzt ist. Einige Jahre war er Mitglied des Cork City Councils, bis er von diesem zum Bürgermeister der Stadt gewählt wurde. Das schon dreimal in Folge, dieses Jahr wäre sein viertes Mal. Sofern er wieder in den Stadtrat gewählt wird, denn auch diese Wahl steht kurz bevor. Obwohl der Titel Lord Mayor of Cork eher schmückt, als wirklich Tragweite zu haben, arbeitet mein Dad hart daran, die Dinge in Cork zu verändern und die Schere zwischen Arm und Reich zu verringern. Gerade letzte Woche hat er vor dem Stadtrat eine Rede darüber gehalten, dass es bis zu achtzigtausend neuer Wohnungen in Cork und dem Umland bedürfe, um die Mietpreise zu regulieren. Leider braucht es dafür aktive Hilfe aus der Politik, da sich wohl irgendwas an den Steuern ändern muss, um die Bauten für Investoren lukrativer zu machen – so oder so ähnlich erklärt es mein Dad zumindest regelmäßig beim Essen. Sosehr ich mich für Gebäude interessiere, so wenig tue ich es leider für die Politik drum herum. Ich weiß nur das, was ich durch mein Studium wissen muss oder zwangsläufig durch meinen Dad mitbekomme, so wie jetzt. »Ich glaube, die Chancen zur Wiederwahl stehen gut. Dann wäre ich der am längsten regierende Bürgermeister hier, das ist doch mal was für die Geschichtsbücher.«

»Und dann auf nach Dublin?«

»Ich bin dran. Aber vielleicht erst mal County Cork, ein Schritt nach dem anderen«, erwidert mein Dad lachend, und obwohl er mir dabei zuzwinkert, weiß ich, dass das eigentlich sein Wunsch ist. Mehr Einfluss haben. Nicht nur lokal in der Stadt, sondern in der gesamten Region Cork und irgendwann vielleicht sogar in der gesamten Republik. Solang ich denken kann, sind meine Eltern meine Helden. Nicht nur mein Dad mit seinen politischen Ambitionen, sondern auch meine Mam, die sich für die Kultur und Parks in der Stadt einsetzt und Frauen in jeglichen Bereichen fördert. Ich habe einmal gelesen, dass man erwachsen wird, wenn man versteht, dass Eltern auch nur Menschen sind. Wenn es danach geht, werde ich wohl nie vollständig erwachsen, denn selbst jetzt mit meinen dreiundzwanzig Jahren kann ich mir keine besseren Vorbilder als meine Eltern vorstellen.

»Wie läuft das Rudern? Kannst du schon wieder gehen? Oder haben sie noch zu?«

»Sie haben eigentlich noch geschlossen, aber Archie meinte, sie öffnen an den warmen Tagen trotzdem, und da es bald endlich milder werden soll …«

»Ihr Wasser«, unterbricht der Kellner meine Gedanken und schenkt erst mir, dann meinem Dad ein Glas ein. »Darf es noch etwas zu trinken sein? Und möchten Sie schon Essen bestellen?«

»Wir nehmen jeweils einen Prosecco!«

Ich hebe die Brauen. »Es ist Mittag, musst du nicht noch ins Büro?«

»Na, den Weg werde ich nach einem Glas wohl noch finden. Außerdem haben wir etwas zu feiern!« Das hat dann wohl mit der angesprochenen Überraschung zu tun.

»Na gut, dann nehm ich einen«, erwidere ich. »Und den Halloumi-Burger.«

Mein Dad bestellt ebenfalls und stützt dann die Unterarme auf den Tisch, wobei er an seinen Fingern nestelt. Es ist offensichtlich, dass er es kaum erwarten kann, mir die Neuigkeiten mitzuteilen. Ob es mit einer Förderung von Mam zu tun hat? Nachdem sie jahrelang Intendantin am Theater war, unterstützt sie nun unterschiedliche kulturelle Angebote im gesamten County. Vielleicht geht es aber auch um einen neuen Beschluss, den Dad für die Stadt getroffen hat?

Ich beuge mich ebenfalls nach vorn und sehe ihn abwartend an. Sein Blick wandert zu meinem Arm. »Du hast schon wieder ein neues Tattoo?«

Ich folge seinem Blick zu meinem linken Unterarm, der mittlerweile, genau wie mein Oberarm, fast vollständig mit schwarzen Bildern und Schriften bedeckt ist. Während mein Dad mein erstes Tattoo damals mit achtzehn noch skeptisch begutachtet hat, war er bei meinem dritten dann sogar zur Unterstützung dabei.

»Aus einem Videospiel?«

»Nein, das ist der Millennium Falke aus Star Wars.«

»Schick. Hat was von den Legobauplänen von früher, so wie es gezeichnet ist.«

»Stimmt, aber jetzt lenk nicht ab. Was sind die Neuigkeiten?«

»Ah, wie gerufen!«, meint mein Dad, als der Kellner die beiden Gläser Prosecco bringt, und hebt seines bereits zum Toast. »Auf meinen Sohn, der nicht nur seinen Master beginnt, sondern auch sein erstes eigenes Bauprojekt.«

Für einen Moment bin ich so verdutzt, dass ich, das Glas auf halber Höhe, in der Bewegung innehalte. »Was?«

»Jap. Ein Hotel in der Meade Street, Nähe Sullivan’s Quay? Du bist bestimmt schon daran vorbeigelaufen, ist eine recht unscheinbare Straße. Dort soll ein neues Hotel errichtet werden. Spitzenlage, in den oberen Etagen sogar mit Blick aufs Wasser. Nun, sie benötigen einen Architekten.«

»Und … warte, ich soll dieser Architekt sein?«

»Nicht allein, zugegeben. Aber ich habe mit Michael White gesprochen. Er ist der Architekt, der mit dem Auftrag betraut wurde, und er hat angeboten, dass du mit ihm gemeinsam an dem Gebäude arbeiten könntest. Es wäre ein Nebenjob, aber auch direkt dein Abschlussprojekt für den Master und mit Sicherheit um einiges interessanter als die Projekte, die euch Studierenden sonst so offen stehen. Was sagst du?«

»Das ist … wow.« Ich senke das Glas, ohne daraus zu trinken, und sehe ihn sprachlos an. Die Suche nach einem Abschlussprojekt steht seit einigen Tagen auf meiner Agenda, doch bisher hat mich kein Betrieb hier oder in der Umgebung so richtig gepackt. Michael White jedoch … »Danke, Dad.«

»Dank nicht mir, dank dir. Ich habe Michael deine Arbeiten gezeigt, und er ist begeistert. Ich glaube, von ihm kannst du einiges lernen. Er war am Bau des Elysians beteiligt und hat Projekte in London und New York umgesetzt.«

»Ich weiß.« Natürlich ist Michael White mir ein Begriff. Das Elysian war bis vor einer Weile Irlands höchstes Gebäude. Gemeinsam mit Dad war ich bei der Eröffnung. Ich kann mich kaum noch daran erinnern, weiß aber noch, dass Dad bei der Erwähnung der Mietpreise der Apartments die Luft eingesogen hat. Ich will mir gar nicht vorstellen, was eine Wohnung dort heute kostet. Gemeinsam mit einem Visionär wie Michael White arbeiten zu können ist nicht nur eine enorme Ehre, sondern auch eine Art goldenes Ticket für den Eintritt ins Berufsleben.

»Mit einem Namen wie Michael White an deiner Seite und einem solchen Bau als deinem ersten Projekt stehen dir alle Türen offen«, meint nun auch Dad. »Also? Was sagst du?«

»Was ich sage? Ja, natürlich!«

»Na dann.« Dad hebt erneut sein Glas. »Auf meinen Sohn, den Architekten!«

»Sláinte!«, erwidere ich und hebe mein Glas ebenfalls. Der Prosecco kitzelt an meiner Zunge, und ich schüttle den Kopf, weil ich es noch immer nicht fassen kann. »Das ist so cool!«

»Dachte ich mir, dass dich das freut! Ich schreibe Michael gleich nach dem Essen eine Mail, dann könnt ihr euch die Woche vielleicht schon einmal treffen oder zumindest telefonieren.« Als hätte sein Telefon das Gespräch belauscht, klingelt es bei diesem Wort plötzlich. Mein Dad seufzt. »Entschuldige, ich habe im Büro eigentlich gesagt, dass wir verabredet sind und sie nichts durchstellen soll.«

»Kein Ding! Geh ruhig ran.«

»Danke«, murmelt Dad. »Hallo?«

Obwohl ich die Stimme am anderen Ende nicht verstehen kann, weiß ich, dass etwas nicht stimmt, denn Dads Stirn legt sich in Falten, und er trommelt mit den Fingern seiner freien Hand auf den Tisch.

»Hm. Wann? Okay. Hat die Presse schon etwas davon mitbekommen und berichtet?«

Ich stelle das Glas zur Seite und versuche, die Worte seiner Assistentin zu vernehmen, doch sie sind ein unverständliches Rauschen inmitten all der Gespräche im Restaurant.

»Sehr gut. Dann schreibe ich am besten schnell eine Meldung, bevor die Presse sich darauf stürzt.« Er hebt die Hand vom Tisch zu seiner Stirn und massiert diese, doch als er fertig ist, haben sich die Falten nur noch tiefer in sein Gesicht gegraben. Auf einmal sieht er unfassbar müde aus. »Natürlich. Ja, danke. Ich beeile mich. Sagst du meinen Vier-Uhr-Termin bitte ab? Das erscheint mir in Anbetracht der Lage pietätlos. Ja. Bis gleich.«

»Was ist passiert?«, frage ich, kaum dass er aufgelegt hat.

»Ein Halloumi-Burger und der Lachs für Sie.« Der Kellner taucht an unserer Seite auf, und mein Dad wirft einen nervösen Blick auf die Uhr.

»Es ist okay, wenn du losmusst!«, beeile ich mich, zu sagen.

»Sicher?«

»Klar.«

Mein Dad dreht sich zum Kellner. »Es ist mir unangenehm, zu fragen, aber könnten Sie mir den Lachs bitte einpacken? Scheint, als dürfte ich den im Büro zu mir nehmen.«

»Aber natürlich. Ihren Burger auch?«, fragt er mit Blick zu mir, doch ich schüttle den Kopf.

»Ich esse hier fertig. Ich muss gleich eh zurück zur Uni«, fahre ich an meinen Dad gewandt fort. Er nickt mit einem Lächeln im Gesicht, das seine Augen jedoch nicht erreicht.

»Was ist denn los?«, frage ich erneut, als der Kellner mit dem Lachs wieder in Richtung Küche verschwunden ist.

»Sie haben eine Leiche am River Lee gefunden.«

»Im Fluss? Scheiße, ein Mord?«

»Nein, am Fluss, nicht im. Offensichtlich ein Obdachloser, der erfroren ist.« Erneut reibt mein Dad sich über die Stirn. »Das ist eine Katastrophe.«

»Ja. Das tut mir leid.«

»Mir auch.« Seine Miene wird noch ein bisschen grimmiger. »Insbesondere so kurz vorm Wahlkampf. Eine Leiche ist PR-technisch ein Desaster.«

Ich stutze. »Dad, ein Mensch ist erfroren.«

»Ja, natürlich. So war das nicht gemeint! Es ist furchtbar, aber es bringt uns auch in eine missliche Lage, da die Stimmung wegen des Wohnungsmangels ohnehin schon aufgeheizt ist. Immer mehr Menschen haben Probleme, sich Wohnraum zu leisten. Es gab letztens bereits eine Abstimmung darüber, die Zelte am Fluss zu räumen. Ich war dagegen, denn was soll das bringen? Wo sollen die Leute denn hin? Natürlich wollen alle eine Lösung auf dem Silbertablett, aber wie soll die bitte aussehen?« Mein Dad schüttelt den Kopf und leert das Prosecco-Glas in einem Zug. »Entschuldige, das sind alles meine Probleme, nicht deine.«

»Ihr Lachs, Mr O’Brien.« Der Kellner hält meinem Vater ein kleines Essenspaket aus Pappe entgegen, auf das das grüne Logo des Lokals gedruckt ist.

»Vielen Dank!« Mein Vater zahlt und sieht mich anschließend mit einem Seufzen an. »Entschuldige, dass unser Lunch so kurz ausgefallen ist. Wir holen das nach, ja? Dann kann deine Mutter sicher auch dabei sein.«

»Na klar, mach dir keine Sorgen.« Ich deute auf den Burger. »Ich bin an eine kostenlose Mahlzeit gekommen, und du hast Wichtigeres zu tun.«

»Nichts ist wichtiger als mein Sohn«, sagt mein Dad, erhebt sich und legt mir die Hand zum Abschied auf die Schulter.

»Sag Bescheid, wenn ich etwas tun kann«, erwidere ich, doch mein Dad winkt ab.

»Quatsch. Das kriegen wir auch noch geschaukelt. Konzentriere du dich auf dein Studium, ich schicke dir später Michaels Kontaktdaten. Stoß heut Abend mit deinen Jungs darauf an. Bis dann!«

»Bis dann!«, verabschiede ich mich, doch mein Dad hält sich bereits das Handy ans Ohr, vermutlich, um ein Taxi zu rufen, und eilt nach draußen. Ich sehe ihm nach, bis er in dem Garten des Nano Nagle Place verschwindet. Dann erst beiße ich in meinen Burger, der Appetit ist mir allerdings vergangen. Nano Nagle, so weiß ich dank meiner Mam, setzte sich nicht bloß für Bildung für Frauen ein, sondern auch für die Armen der Gesellschaft. Jetzt, drei Jahrhunderte später, an dem nach ihr benannten Platz zu sitzen und überteuerte Gerichte innerhalb fein dekorierter Glasmauern zu essen hat eine eigenartige Ironie, die ich nach dem Gespräch gerade nicht abschütteln kann.

4. KAPITEL

Serena

Die Wohnung ist perfekt. Nein, sie ist nicht perfekt. Eigentlich ist sie weit davon entfernt, perfekt zu sein. Die Heizung lässt sich nur zentral bedienen, die Dusche hat definitiv schon bessere Tage gesehen, und das Zimmer ist winzig. Aber mit nur sechshundertfünfzig Euro Kaltmiete im Monat ist es eben auch gerade so bezahlbar, und mittlerweile bin ich verzweifelt genug, dass ich für den Preis sogar in der Badewanne schlafen würde. Hauptsache, ich habe endlich einen Mietvertrag und eine gültige Anschrift, die ich auf das blöde Formular schreiben kann, das ich eigentlich schon gestern hätte abgeben müssen.

Heute ist Donnerstag, und somit bin ich bereits einen Tag in Verzug. Meine Hoffnung, dass das nicht weiter auffällt, ist verpufft, da Mrs Beckett es sich nicht hat nehmen lassen, mich direkt heute Morgen per Mail daran zu erinnern, dass ich dringend meinen Mietvertrag nachreichen muss. Ich hingegen habe es mir nicht nehmen lassen, ihre Mail zu ignorieren. Zumindest bis heute, denn heute, so habe ich beim Aufstehen beschlossen, werde ich unterschreiben. Heute musste ich einfach eine Wohnung finden. Irgendwo. Notfalls würde ich mir eben einen Job suchen oder einen Kredit aufnehmen müssen. Doch auf keinen Fall würde ich wegen so etwas Stupidem wie einem fehlenden Mietvertrag zurück nach Deutschland gehen. Nicht, nachdem ich ein Stipendium erhalten und Hamburg den Rücken gekehrt habe.

»Und hier kommen wir zur Küche und somit zum Ende unserer kleinen Tour. Dir würde ein Fach im Kühlschrank und eines in der Tiefkühltruhe gehören. Dadurch dass Sofia arbeitet, kocht sie meistens abends, aber wir anderen treffen uns manchmal mittags hier zum Essen, da bist du natürlich herzlich eingeladen.« Monique lächelt mich freudig an. »Also, was sagst du?«

»Es ist perfekt!«, wiederhole ich meine Gedanken. »Und ich könnte direkt einziehen?«

Sie nickt, und mein Herz sackt vor Erleichterung fast bis in meine High-Waist-Jeans. Ich bin gerettet.

»Ja, also die Vermieterin braucht natürlich noch die Kaution, das sind zwei Monatsmieten im Voraus, also zweitausendsechshundert Euro. Du kannst ihr einen Screenshot schicken, dann stellt sie dir den Mietvertrag sicher schneller aus, du meintest ja, es ist recht eilig?«

»Ja, ich …« Ich halte inne. Zweitausendsechshundert Euro? Für zwei Kaltmieten? »Warte, zweitausendsechshundert Euro? Müssten es nicht eintausenddreihundert sein?«

»Nein, wir brauchen zwei Monatsmieten, nicht eine.«

»Aber es sind doch sechshundertfünfzig Euro im Monat?« Mein Herz rutscht noch ein Stück tiefer, allerdings nicht mehr vor Erleichterung. Bitte, bitte, bitte, lass es sich um ein Missverständnis handeln!

»Nein, eintausenddreihundert pro Monat.«

»Aber in der Anzeige …« Ich hole mein Handy hervor, wie zum Beweis, als ob das noch etwas nützen würde.

»Da steht bi-weekly, schau.« Sie tippt auf die Stelle auf meinem Bildschirm, die ich offensichtlich überlesen habe. Meine Bitte wurde erhört, es handelt sich um ein Missverständnis. Allerdings um eines auf meiner Seite. Ich kann das Stöhnen, das tief aus meinem Inneren kommt, nicht unterdrücken. Traurig hallt es in der Küche wider. Zwar bin ich mittlerweile bereit, noch einen Nebenjob anzunehmen, aber tausenddreihundert Euro übersteigt meine finanziellen Möglichkeiten bei Weitem.

»Tut mir leid, das hab ich wohl überlesen.«

»Also willst du die Wohnung doch nicht?« Monique sieht mit einem ungeduldigen Blick auf ihre Uhr, als wäre ich plötzlich ihre Zeit nicht mehr wert, jetzt, da klar ist, dass ich das Zimmer nicht bezahlen kann.

»Kann ich es mir noch einmal überlegen? Ich würde dir bis morgen Bescheid geben, wenn das in Ordnung geht?«

»Na klar. Schreib mir einfach, meine Nummer hast du ja.«

»Mach ich, danke dir für die Führung.«

»Keine Ursache«, erwidert Monique, schafft es jedoch nicht komplett, den genervten Unterton aus ihrer Stimme herauszuhalten. Kein Wunder, vermutlich hat sie Hunderte Interessenten, die selbst zu diesem Preis sofort einziehen würden.

»Dann … bis morgen«, verabschiede ich mich und verlasse beinahe fluchtartig die Wohnung. Denn natürlich weiß ich bereits, dass ich das Zimmer morgen genauso wenig nehmen kann wie heute. Nicht, wenn ich nicht überraschend im Lotto gewinne. Und da ich nicht spiele, liegen die Chancen bei null.

Missmutig entsperre ich mein Handy, um nach weiteren Wohnungsanzeigen Ausschau zu halten. Die Nachrichten-App zeigt sieben neue Mitteilungen an, alle aus dem Familienchat mit meinen Großeltern und meinem Bruder.

Oma, 3.12 pm:

Wie geht es euch beiden?

Oma, 3.12 pm:

Serena, ich habe heute in den Nachrichten gelesen, dass ein Mann in Cork erfroren ist. Viel habe ich nicht verstanden, alles war auf Englisch. Aber melde dich, wenn du etwas brauchst, ja? Und zieh dich dick an!

Ich schlucke bei der Erinnerung an Charlie und schließe kurz die Augen, doch natürlich kommen die Bilder so erst recht zurück. Mein Herz wird schwer. Immerhin hat Vincent Wort gehalten und unseren Großeltern nichts erzählt. Sie würden sich nur noch mehr sorgen als ohnehin schon. Beim Blick auf die Emojis meiner Oma muss ich trotz allem lächeln. Seit meinem Wegzug nach Irland letztes Jahr hat sie ein Smartphone, und während sie anfangs noch Ewigkeiten für eine Nachricht gebraucht hat, ist sie mittlerweile topfit darin. Das Einzige, was sie noch mehr liebt als Emojis, ist Candy Crush. Mein Opa flucht regelmäßig, weil sie abends kaum noch ansprechbar ist und vor Kurzem selbst beim Tatort