Worlds Beyond - Anabelle Stehl - E-Book

Worlds Beyond E-Book

Anabelle Stehl

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Beschreibung

Er hebt ihre Welt aus den Angeln...

Neles großer Traum wird endlich wahr: Sie hat bei Heather & Clark, einer der erfolgreichsten Literaturagenturen Londons, ein Volontariat ergattert. Als sie dann auch noch dem attraktiven Matthew über den Weg läuft und die beiden ein unvergessliches erstes Date haben, scheint ihr neuer Lebensabschnitt perfekt. Bis Matt Nele an ihrem ersten Arbeitstag plötzlich in einem Meeting gegenübersitzt - als ihr Chef. Obwohl eine Beziehung zwischen ihnen verboten ist, knistert es gewaltig. Doch ihren Gefühlen nachzugeben, könnte Nele alles kosten, wofür sie so hart gearbeitet hat ...

"Ich habe WORLDS BEYOND in einem Rutsch gelesen und liebe es, London durch Neles Augen zu entdecken. Noch mehr liebe ich Matthew und würde alles für einen Book Shop Crawl mit ihm geben. Mein neustes Lieblingsbuch." JESS von @MISS.NERDSTAGRAM

Band 3 der WORLDS-Reihe rund um junge Influencer:innen in London von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Anabelle Stehl

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Seitenzahl: 606

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

Playlist

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Anabelle Stehl bei LYX

Impressum

Anabelle Stehl

Worlds Beyond

ROMAN

Zu diesem Buch

Nele Schuberts großer Traum wird endlich wahr: Sie darf bei Heather & Clark, einer der erfolgreichsten Literaturagenturen in England, ein Volontariat absolvieren. Von Köln zieht sie nach London, um für ein Jahr in ihrer Lieblingsstadt zu leben. Als wäre das nicht perfekt genug, trifft die 24-Jährige gleich an ihrem ersten Tag auch noch auf den charmanten Matthew Walsh, der ihr augenblicklich Herzflattern beschert. Er lädt sie auf ein unvergessliches Date ein, bei dem schnell klar wird, dass sie beide dieselbe Leidenschaft für Literatur teilen. Ihr erster Kuss ist unausweichlich und hebt ihre Welt aus den Angeln – aber er hätte nie passieren dürfen. Denn als Nele einige Tage später ihr Volontariat antritt, stellt sich heraus, dass ausgerechnet Matt ihr Boss ist – und ihre Beziehung verboten. Schon ein weiterer Kuss würde reichen, um den Ruf der beiden zu zerstören und könnte Nele den Traumjob kosten. Aber das Prickeln zwischen ihnen wächst mit jedem Tag, und es fällt ihnen immer schwerer, sich voneinander fernzuhalten …

Liebe Leser:innen,

bitte beachtet, dass Worlds Beyond Elemente enthält, die triggern können. Dies betrifft: Mobbing.

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Eure Anabelle und euer LYX-Verlag

Für London

Wäre meine Seele eine Stadt,

sie trüge deinen Namen.

Playlist

Café Deluxe – Osei The Seventh

Leaving London – fin

Beyond – Leon Bridges

Mess Your Hair Up – Stewart Taylor

the author – Luz

Open Heart – Adrian Chalifour

Meant To Be – Ber, Charlie Oriain

Dress – Charlotte Sands

a boy named pluto – Hailey Knox

Boy Violet – Deza

Fuck Up The Friendship – Leah Kate

oh GOD – Orla Gartland

Pomegranate Seeds – Julian Moon

Fictional Men – PEGGY

Distant Universe – OSKA

Kiwi – Harry Styles

Bookstore Girl – Charlie Burg

Happiness – Hobo Johnson

Prolog

Nele

Ich wusste, dass es um mich geschehen war, noch bevor er das erste Wort an mich richtete.

Ich hatte eigentlich nur Obdach gesucht, bis Lorie, meine zukünftige Mitbewohnerin, daheim war, um mir meinen Schlüssel zu überreichen und mich meine neuen vier Wände beziehen zu lassen. Das kleine Café lag auf dem Weg zu der Wohnung in Battersea, die ich ab heute mein Zuhause nennen würde. Ein kurzer Stopp, ein Kaffee, etwas Ruhe für meine Arme, die so untrainiert waren, dass das bloße Ziehen meines Gepäcks sie schon erschöpft hatte. Ein erster Eindruck des Viertels, in dem ich mindestens das nächste Jahr, hoffentlich aber eine längere Zeit, verbringen würde. Das hatte ich mir erhofft. Und dann war mein Blick auf diesen fremden Mann gefallen, und all die Gedanken waren wie weggeblasen.

Albern, nicht wahr? Kitschig wie aus einem schlechten Hollywood-Film. Und dennoch reichte sein Lächeln aus, um einen wohligen Schauer durch meinen gesamten Körper zu schicken. Das Funkeln, das dabei in seine eisblauen Augen trat, die einen so starken Kontrast zu seinen schwarzen Haaren bildeten, gehörte verboten, denn es brachte mein Herz zum Stolpern. Empfindungen, von denen ich so oft in Büchern gelesen und die ich doch immer für einen Mythos gehalten hatte. Eine Übertreibung, um mich als Leserin einem Ideal nachjagen zu lassen, das es gar nicht gibt. Doch jetzt stand ich hier, in diesem kleinen Café in London, und meine Zweifel verpufften mit einem einzigen schiefen Lächeln meines Gegenübers.

»Ich bin Matthew, hi.«

»Hi«, erwiderte ich, froh, dass meine Stimme einigermaßen normal klang.

»Ich nehme an, Kaycee hat dich hergeschickt?«, fragte er und deutete mit dem Kopf in Richtung der Ladenbesitzerin mit den pinken Haaren, bei der ich soeben meine Bestellung aufgegeben hatte.

»Ja, falls das okay ist? Ich wollte mich eigentlich nur kurz ausruhen, ich wusste nicht, dass ihr hier heute Eröffnung feiert.«

»Klar.« Matthew rutschte ein Stück zur Seite und deutete auf den nun freien Platz neben sich. Ich setzte mich und versuchte, meinen großen Koffer und den Rucksack so zu verstauen, dass sie nicht das halbe Café blockierten. Ich war dankbar für den Schleier an schulterlangen, dunkelbraunen Haaren, der mir dabei vors Gesicht fiel und mir erlaubte, mich kurz zu sammeln. Als ob ich nicht schon aufgeregt genug war, endlich in meiner Lieblingsstadt zu sein und in eineinhalb Wochen meinen Traumjob zu beginnen, warf mich jetzt auch noch ein Kerl aus der Bahn. Als ich mich einigermaßen gefangen hatte, strich ich mir die Haare hinter die Ohren und räusperte mich.

»Ich bin übrigens Nele.«

Er brachte mich so sehr aus der Ruhe, dass ich völlig vergessen hatte, mich ebenfalls vorzustellen.

»Nele.« Er ließ die zwei Silben über seine Zunge rollen, als versuchte er, ein Rätsel zu lösen. Die Art, wie er die Buchstaben aussprach, trieb mir die Hitze in die Wangen. Dabei sagte er nur meinen Namen. Meinen verdammten Namen, den ich schon Hunderte Male gehört hatte.

Reiß dich zusammen!

»Woher stammt der? Ich kann deinen Akzent nicht zuordnen.«

»Deutschland. Ich bin heute erst angekommen, deshalb das ganze Gepäck.«

»Oh, auf Deutschland hätte ich gar nicht getippt.«

Ich gab meinem ehemaligen Englischlehrer, der uns die typisch deutsche Aussprache des th-Lauts ausgetrieben hatte, ein gedankliches High Five. Matthew schien mein Schweigen zu missinterpretieren, denn er lehnte sich nach vorn und sah plötzlich beschämt aus.

»Sorry, das war nicht böse gemeint. Ich beherrsche gar keine Fremdsprache. Ich hab mich mal an Spanisch probiert, bin aber eine absolute Niete darin und kann dank der Sprachlern-App mittlerweile nichts mehr, außer zu sagen, dass mein Pferd diese Äpfel nicht mag.«

»Was?«, fragte ich mit einem Lachen.

»A mi caballo no le gustan estas manzanas.«

»Kamst du damit weit in Spanien?«

»Bleibt noch abzuwarten, aber in Geschäftsverhandlungen hat es mir bislang nicht viel gebracht.«

»Ich kann mir gar nicht vorstellen, wieso.«

Matthew lachte, und das Geräusch sorgte für ein Kribbeln in meinem Bauch. Das war nicht gut. Gar nicht gut. Das war sogar verdammt doof. Denn ich war nicht nach London gekommen, um einen Typen anzuschmachten, den ich noch gar nicht kannte. Ich war hier, um zu arbeiten. In meiner liebsten Stadt zu leben. Mir meinen Traum zu erfüllen. Und vielleicht, mit ganz viel Glück, wieder zum Schreiben zu finden. Etwas, das ich immer wieder versuchte – und woran ich immer wieder scheiterte. Doch immerhin würde ich endlich Fuß in der Buchbranche fassen können, denn nichts wollte ich lieber, seit ich mein Studium begonnen hatte.

Ich hatte Praktika in deutschen Verlagen absolviert, extra Kurse an der Uni belegt und so viele Überstunden in meiner Werkstudentenstelle geleistet, dass ich sogar einen Anruf meiner Krankenkasse erhalten hatte und beinahe aus der Familienversicherung geflogen wäre. Das alles, um hier zu sein. Denn in zwei Wochen würde mein Volontariat in einer der erfolgreichsten Literaturagenturen Londons starten. Nur einmal im Jahr gab es eine Stelle, auf die sich Hunderte Absolventinnen aus ganz Europa bewarben. Und ich, Nele Schubert, hatte es geschafft.

Es war ganz egal, wie oft ich mir diesen Satz vorsagte, es war immer noch absolut unwirklich, dass ausgerechnet ich das Glück gehabt hatte.

Nein, nicht Glück, wie meine große Schwester Undine mir etliche Male eingeschärft hatte. Ich hatte hart dafür gearbeitet, mit Glück hatte das nur bedingt zu tun.

»Und was treibt dich hierher? Machst du Urlaub?«

»Nein, ich wohne ab heute hier.«

Das Kribbeln, das nun durch meinen Körper schoss und für eine angenehme Wärme in meinem Magen sorgte, war noch heftiger als das von Matthew ausgelöste.

Ich wohne hier. In London.

»Oh, na dann: herzlich willkommen.«

»Danke.«

Matthew erwiderte mein breites Grinsen. »Und da kommt deine Bestellung, dann können wir darauf ja gleich anstoßen.«

Die Inhaberin des Cafés, Kaycee, stellte meinen Kaffee lächelnd vor mir ab und verschwand kurz darauf zum Abräumen an einen benachbarten Tisch.

»Scheint ja echt gut zu laufen der Laden.«

»Ja, sie hatte auch genug Publicity. Positive wie negative.«

»Oh?«, fragte ich.

»Ihre beste Freundin ist YouTuberin, deren Freund ebenso, ihr eigener Freund ist Schauspieler, und sie selbst hat vor Kurzem bei einer Reality-Backshow mitgemacht und dort für sehr gemischte Gefühle gesorgt.«

Anscheinend stammten nicht nur die Empfindungen, die Matthew in mir auslöste, aus einem überspitzten Film. Diese Story tat es definitiv auch. Sofern sie denn stimmte.

»Du verarschst mich?«

Grinsend schüttelte Matthew den Kopf. »Nope. Wie schon gesagt: Herzlich willkommen in London.«

1. KAPITEL

Nele

In dem Moment, in dem mein Vater meine Schwester und mich das erste Mal mit nach London genommen hatte, hatte ich gewusst, dass ich hier hingehörte. In diese vibrierende Stadt, die eine solche Magie auf mich ausübte, so voller Leben, Kunst und Musik war. Sie hatte wie ein Magnet auf mich gewirkt, und so war ich Jahr für Jahr zurückgekehrt – jedoch immer mit einem Return-Ticket nach Köln, wo ich bis letzte Woche gelebt hatte. Dass ich nun hierbleiben konnte, dass meine Zeit in dieser Stadt kein Ablaufdatum hatte – zumindest keines in Sichtweite –, war unbegreiflich.

Ich schlug die Bettdecke zur Seite und streckte mich ausgiebig, bevor ich aufstand und zu dem Schrank in dem mir noch fremden Zimmer lief. Ich hatte es möbliert übernommen, da Maria, die normalerweise hier lebte, gerade für ein Austauschjahr in Portugal war. Perfekt für mich, denn dank der Untermiete hatte ich eine bezahlbare Bleibe in Battersea, nur knapp zwanzig Minuten Busfahrt von meiner zukünftigen Arbeitsstätte in Vauxhall entfernt. Bei gutem Wetter würde ich sogar laufen können, direkt durch den Battersea-Park entlang der Themse. Absurd für Londoner Verhältnisse, denn ich hatte fest damit gerechnet, im Speckgürtel der Stadt wohnen zu müssen und mindestens zwei Stunden für die tägliche Pendelei einzuplanen.

Der Raum war nett eingerichtet, weiße Ikea-Möbel, wie ich sie aus meinem Studentenzimmer bereits kannte, einzelne Bretter mit Büchern – wobei Maria, im Gegensatz zu mir, ein Faible für Thriller zu haben schien – und eine große schwarz-weiße Uhr, die genauso an einem Bahnhof hätte hängen können und deren Ticken mir schon seltsam vertraut vorkam. Keine persönlichen Gegenstände oder Fotos. Die hatte meine Vorgängerin laut eigener Aussage abgenommen, damit ich mich frei entfalten konnte. Allerdings hatte ich lediglich ein einziges Foto dabei, das Undine, mich und meine Eltern am Rhein zeigte. Dieses stand auf meinem Nachttisch, auf dem gerade mein Handy aufleuchtete. Es war eine Nachricht in unserer Familiengruppe.

Mama, 7.40 am:

Hey Süße! Wir wünschen dir einen tollen Tag. Die Bilder aus London sehen großartig aus.

Ich schickte meiner Mutter ein Herz zurück, ging mit einem Lächeln zu der Kommode, auf der ich mittlerweile meine Bücher – Liebesromane, Jugendbücher und ein wenig Fantasy – ausgebreitet hatte, und griff mir eine Jeans und einen weit sitzenden hellblauen Pulli. Es war schon in Deutschland kalt gewesen, typisch Oktober eben, doch London toppte das Ganze um Längen, zumal ein Blick aus dem Fenster zeigte, dass es in Strömen regnete. Meinen Regenschirm hatte es mir schon vor wenigen Tagen zerrissen, da er dem Wind auf der Millennial Bridge nicht gewachsen gewesen war – Anfängerfehler meinerseits. Seitdem trug ich meine Regenjacke oder akzeptierte, dass ich die meiste Zeit aussah wie ein begossener Pudel. Heute jedoch durfte das nicht passieren, denn heute würde mich mein Weg das erste Mal zu Heather & Clark führen – der Literaturagentur, in der ich am Montag meinen Job antreten würde. Ich hatte noch einige Papiere abzugeben und konnte es außerdem kaum erwarten, einen ersten Blick zu erhaschen, da die Bewerbungsgespräche alle digital geführt worden waren. Außerdem bestand so weniger die Gefahr, dass ich mich auf dem Weg zur Arbeit verfuhr.

Mit einem Lächeln, das sich ganz von allein auf mein Gesicht stahl, schnappte ich mir frische Unterwäsche und Socken und schlüpfte möglichst leise ins gegenüberliegende Bad. Lorie, meine Mitbewohnerin, stand zwar ähnlich früh auf wie ich, nutzte den Morgen aber für Yoga und Meditation, was ich durch lautes Türenknallen nicht stören wollte.

Als ich frisch geduscht und fertig angezogen in die kleine Küche mit den alt anmutenden, blau-weiß karierten Fliesen trat, saß sie bereits an dem runden Tisch, vor ihr eine Kanne Tee und ein paar Toastscheiben mit Avocado.

»Morgen!«

»Guten Morgen«, grüßte Lorie zurück. In der Hand hielt sie eine Zeitschrift, die mir selbst jetzt, eine Woche nach Einzug, schon viel zu bekannt war. Sie winkte damit und deutete auf den freien Platz ihr gegenüber. »Nimm dir Toast und setz dich. Ich hab extra auf dich gewartet.«

Ich unterdrückte einen Seufzer, weil ich genau wusste, was mir gleich blühte, steckte zwei der hellen Brotscheiben in den Toaster und ließ mich dann auf den alten Holzstuhl fallen. Dieser gab ein protestierendes Knarzen von sich. Am liebsten hätte ich mitgemacht, da dieses kleine Ritual, vor dem Maria mich schon bei unserem Skype-Call gewarnt hatte, nicht gerade mein liebstes war – so dankbar ich Lorie auch war, dass sie mich gleich so herzlich aufgenommen hatte. Während ich morgens am liebsten in einem meiner Bücher las oder mich meinem Journal widmete, liebte Lorie Horoskope. Sie analysierte sie jeden Morgen, bevor sie sich auf den Weg zum Royal College of Art machte, an dem sie studierte. Als ich mich ihr vorgestellt hatte, war die Frage nach meinem Sternzeichen eine ihrer ersten gewesen. Und die nach meinem Aszendenten, wobei sie mir erst einmal hatte erklären müssen, was das war. Mittlerweile kannte ich nicht nur die Definition, sondern wusste auch, dass mein Aszendent Krebs war. Anscheinend hatte ich damit irgendeine Art Test bestanden, denn Lorie hatte zufrieden genickt und gemeint, dass wir bestens miteinander auskommen würden, da wir beide sehr sensibel und hilfsbereit wären.

»Und, steht dir ein guter Tag bevor?«, fragte ich.

Lorie wiegte den Kopf, wobei ihre langen, braunen Haare hin- und herwippten, und schenkte sich erst Tee nach, bevor sie antwortete. »Ich soll den Fuß ein wenig vom Gaspedal nehmen und keine vorschnellen Entscheidungen treffen. Bereit für deines?«

Ich hob die Schultern. Es war toll, dass Lorie die ganze Sache so viel gab, ich konnte damit ausgesprochen wenig anfangen. Lorie hingegen schien mein Schulterzucken nicht als die Gleichgültigkeit wahrzunehmen, die es ausdrückte.

»Mach dir keine Sorgen, es wird bestimmt nicht so schlimm«, sagte sie und fuhr dann mit dem Finger nach oben zur Seite, wo sich mein Horoskop befand. Oder besser gesagt das für mich und Hunderttausende weitere Fische.

»Du und deine Mitmenschen seid optimistisch gestimmt. Hindernisse wirken niedriger als sonst, und du kannst Grenzen überschreiten und Schwierigkeiten überwinden«, las Lorie vor. »Das ist doch schon mal nicht schlecht. Auf zur Liebe, mal sehen. Oh, schau an.« Grinsend wackelte sie mit den Augenbrauen. »Völlig unerwartet scheint es um dich geschehen, dabei sieht es dir gar nicht ähnlich, so leichtfertig dein Herz zu riskieren. Du erhältst eine überraschende Einladung, die zu ungeahnten Konsequenzen führt. Oha.«

Ich schüttelte lachend den Kopf, konnte jedoch nicht verhindern, dass meine Gedanken zu Matthew und seinem verdammten Lächeln schweiften. Es war nicht um mich geschehen, so ein Quatsch. Gut, zugegeben, anfangs war genau das meine Sorge gewesen, aber letzten Endes hatte es sich nur um einen Plausch in einem vollen Café gehandelt. Wir hatten uns nett unterhalten, mehr nicht. Ich hatte ihn seitdem ja nicht einmal wiedergesehen. Wie auch? Wir hatten leider keine Nummern getauscht.

»Na, wer weiß. Vielleicht ist heute der Tag, an dem dir jemand den Kopf verdreht.«

»Jap, und dieser jemand ist London. Und die überraschende Einladung geb ich mir selbst, da ich heute dringend ein bisschen Deko und Lichterketten für das Zimmer kaufen will.«

Glücklicherweise meldete sich in diesem Moment der Toaster, sodass ich weiteren Vorhersagen zu meinem Liebesleben entkam.

Möwen kreischten, als ich über den Riverside Walk entlang der Themse schlenderte. Ich passierte kleine und große Boote zu meiner Rechten und hohe Glasgebäude zu meiner Linken und war mir ziemlich sicher, dass das Lächeln auf meinem Gesicht mir bald Muskelkater bescheren würde. In der Hand hielt ich zwei prall gefüllte Stoffbeutel mit meinen Einkäufen aus der Oxford Street und eine kleine Waterstones-Tüte, weil ich es mal wieder nicht geschafft hatte, an der Buchhandlung vorbeizulaufen. Außerdem hatte ich mich mit Lichterketten, Kerzen und zu vielen britischen Süßigkeiten von Marks & Spencer ausgestattet. Ich konnte es kaum erwarten, mich heute Abend mit einem Buch in meinem Zimmer zu verkriechen und sie alle zu testen. Zuerst aber führte mich mein Weg durch Vauxhall in Richtung meines künftigen Büros.

Das Lächeln auf meinem Gesicht wurde breiter. Wie verrückt war es bitte, dass das hier mein zukünftiger Arbeitsweg war? Ich öffnete Instagram und schoss ein schnelles Foto für die Story. Ich hatte den Kanal überwiegend, um anderen Buchaccounts zu folgen, aber meiner Familie versprochen, sie darüber ein wenig auf dem Laufenden zu halten. In letzter Sekunde bog ich noch rechtzeitig nach links ab – weg vom Fluss und in Richtung der Straße, die mich zur Literaturagentur führte. Von der Haltestelle aus waren es nur etwa zehn Minuten Fußweg. Ich lief an etlichen futuristisch wirkenden Gebäuden und der Statue eines Marmorfußes vorbei, die mich stutzen ließ, bis mein Blick eine Wandmalerei streifte. Wie von selbst blieb ich stehen. Es war kein richtiges Graffiti, mehr eine Art Lineart. Eine Zeichnung, die aus einer einzigen Linie entstanden war, ohne dass die Sprühdose abgesetzt wurde. Doch nicht nur das beeindruckte mich. Die Zeichnung zeigte das Gesicht einer Person, der eine Träne die Wange hinabrann. Sie hielt eine Pille zwischen beiden Lippen gefangen, so als sei sie bereit, diese zu schlucken. Vom Kopf der Person gingen etliche kleine Bilder ab. Ich trat näher an die Zeichnung heran, um sie im Detail erkennen zu können. Ich sah eine Aktentasche, ein Handy, einen Bikini, einen Lippenstift, Pfundscheine, einen Schnuller. Stirnrunzelnd betrachtete ich das Einzige, das nicht in einem Schwung mit der Linie gezeichnet wurde: die Inschrift auf der Tablette. Happiness stand dort geschrieben.

»Schön, oder?«

Ich zuckte so heftig zusammen, dass ich die Einkaufstüten beinahe gegen die Hauswand pfefferte. Dann wäre ich am liebsten noch einmal zusammengezuckt, weil die Synapsen in meinem Gehirn es schafften, die Stimme einem Gesicht zuzuordnen. Mit heftig pochendem Herzen drehte ich mich um.

»Matthew, hi!«

»Hey«, sagte er, und das Lächeln brachte seine Augen zum Funkeln. »Was führt dich denn her?«

»Orga-Kram«, sagte ich ausweichend. »Und dich?«

»Essen. Also gewinne ich eindeutig.«

Ich lachte und verlagerte unsicher das Gewicht von einem Bein aufs andere. Gott sei Dank mussten wir nicht auf unangenehmen Small Talk ausweichen, denn Matthew nickte zur Wand hinter mir. »Das ist mir letztens schon aufgefallen. Es ist schön.«

»Es ist traurig.«

»Was meinst du? Wegen der Träne?«

»Auch, ja. Aber vielmehr wegen des Bilds an sich.«

Als ich nicht weitersprach, nickte Matthew mir fragend zu. Mein Herz begann in aufgeregtem, stolperndem Rhythmus noch schneller zu schlagen. Ich hätte nichts sagen sollen. Es war wie immer, wenn ich meine Gedanken nicht zurückhielt: Ich machte mich lächerlich. Und dann auch noch vor ihm. Doch leider ließ Matthew nicht locker und hakte nach.

»Was genau an dem Bild findest du traurig?«

Ich schluckte und kam mir plötzlich vor wie früher in der Schule oder an der Uni, wenn ich Angst hatte, etwas komplett Falsches zu sagen. Aber so wollte ich nicht mehr sein. Ich würde in drei Tagen meinen Job anfangen, ich musste endlich wieder offener werden, mich mehr trauen.

»Vielleicht interpretiere ich es über«, begann ich also, »aber das da oben sind alles Dinge, die die Gesellschaft von einem erwartet: gutes Aussehen, finanzielle Sicherheit, eine Karriere, Familie. Alles Dinge, nach denen wir streben sollten und die uns angeblich glücklich machen.« Ich sah zu Matthew. »Aber wieso muss sie dann diese Pille schlucken? Die wirkt beinahe wie ein Antidepressivum.«

Matthew musterte das Bild vor uns, die Stirn in Falten gelegt. So standen wir einige Sekunden schweigend nebeneinander, bis er sich mit einem beinahe verschmitzten Schmunzeln zu mir umdrehte.

»Was?«, fragte ich irritiert.

»Ich mag, wie du denkst.«

»Oh.«

Mehr brachte ich nicht heraus. Ich stand einfach da und betete, dass Matthew das heftige Klopfen meines Herzens nicht hörte, das er mit diesen Worten ausgelöst hatte.

Reiß dich zusammen. Das ist doch nicht das erste Kompliment, das du in deinem Leben erhältst.

Nein, war es nicht. Aber es war das erste von Matthew. Und noch dazu zielte es nicht auf mein Äußeres ab, sondern ging viel tiefer.

Vor allem ging es um ein Graffiti.

Ich schüttelte kurz den Kopf, um meinen inneren Monolog zu beenden.

»Alles okay?«

»Ja. Ich sollte nur langsam weiter.«

»Klar. Der Orga-Kram.«

»Genau.«

Einen Augenblick standen wir uns noch gegenüber, als warteten wir beide darauf, dass der jeweils andere etwas sagte. Mein Hirn lief auf Hochtouren, um das Gespräch in Gang zu halten, weil ich nicht schon wieder bereuen wollte, ihn nicht nach seiner Nummer gefragt zu haben. Wie groß wäre die Chance, dass wir uns ein weiteres Mal zufällig über den Weg liefen? Doch meine Sorge war unbegründet, denn Matthew ergriff das Wort.

»Bist du die Tage schon verplant?«

»Ich wollte London ein bisschen erkunden, also fernab der üblichen Hotspots.«

»Hast du Lust, das gemeinsam zu tun? Ich hatte eigentlich schon im Café vor dich zu fragen, aber wollte auch nicht aufdringlich sein. Es war ja gerade mal dein erster Tag in London.«

Oh mein Gott.

Sein hoffnungsvoller Blick sorgte für ein ebenso hoffnungsvolles Flattern in meiner Magengegend. Keine Ahnung, was mich ritt. Eigentlich wäre ich zu schüchtern gewesen, um die folgenden Worte zu äußern, aber das war die alte Nele. Die Version von mir, bevor ich nach London gezogen war. Die neue Nele war mutig, so wie die Protagonistinnen ihrer liebsten Romane.

»Fragst du mich gerade nach einem Date?«

Er hob die Mundwinkel noch ein Stück weiter. »Wenn du es so formulierst … Ja, dann habe ich dich wohl gerade um ein Date gebeten.«

Als sich die Türen des Aufzugs, der mich in den neunten Stock und somit zu meiner künftigen Arbeitsstätte führte, hinter mir schlossen, ging mein Atem immer noch zu schnell.

Ich hatte Matthew nicht nur wiedergesehen, ich hatte ein Date mit ihm. Gleich morgen. Ich musste mir nicht länger dafür in den Hintern beißen, nicht den Mut gehabt zu haben, ihn nach seiner Nummer zu fragen. Stattdessen biss ich mir auf die Unterlippe, um nicht laut loszulachen. Heute Morgen noch hatte ich damit gerechnet, ihn nie wiederzusehen, und dann lief er mir einfach so über den Weg – was für ein Zufall war das denn bitte? Was hatte Lorie noch gleich vorgelesen? Du erhältst eine überraschende Einladung. Wer hätte gedacht, dass sie doch recht behalten sollte. Seltsamerweise konnte ich es kaum erwarten, ihr davon zu berichten.

Die Gedanken an Lorie und Matthew verflogen jedoch im nächsten Augenblick, als ich aus dem Aufzug in ein schickes Foyer trat. Mir gegenüber standen dunkelblaue Sessel und kleine Wasserflaschen aus Glas. Der Farbe wurde das Kühle durch flauschige Sofakissen und stilvolle Bilder genommen. Mein Blick wanderte den Gang entlang nach rechts. An dessen Ende prangte das ebenfalls marineblaue Logo der Literaturagentur.

Ich wäre den Flur am liebsten aufgeregt entlanggesprungen, riss mich jedoch zum Glück zusammen, denn im nächsten Moment bog eine Frau mit brünettem Bob und schickem Hosenanzug um die Ecke. Emma. Mit ihr hatte ich das erste Bewerbungsgespräch geführt. Sie arbeitete in der Personalabteilung. Vermutlich hatte sie das Piepen des Aufzugs gehört, oder aber der Mann vom Empfang im Erdgeschoss hatte mich schon angemeldet.

»Nelly!« Lächelnd kam sie auf mich zu.

Im Bewerbungsgespräch war ich zu aufgeregt gewesen, sie auf die falsche Betonung meines Namens aufmerksam machen. Ich hatte es einmal versucht, sie dann aber nicht weiter korrigiert, weil ich nicht unhöflich sein wollte.

»Wie schön, dass du da bist. Wir freuen uns alle riesig, dich kennenzulernen und mit dir zusammenzuarbeiten!«

Sie legte ihre Hand auf meine Schulter und führte mich um die Ecke in den Büroraum. Ihr Lächeln und ihre positive Ausstrahlung waren ansteckend – nicht dass es mir vorher an guter Laune gemangelt hätte.

»Hat mit der Krankenkasse alles geklappt?«

Ich nickte. »War am Ende dann doch leichter als gedacht.«

»Ach, super! Und wie ich sehe, warst du schon shoppen.«

»Ja, ich wollte mein Zimmer noch etwas persönlicher gestalten.«

»Gute Idee. Dazu können wir auch ein wenig beisteuern. Denn bevor ich dir deine zukünftigen Kollegen und Kolleginnen vorstelle …« Sie kam zum Stehen, öffnete eine gläserne Tür und deutete mit der rechten Hand ins Innere des Raums. Als ich ihrer stummen Aufforderung Folge leistete und den großen Konferenzraum betrat, blickte ich auf Unmengen an Bücherregalen. Sie säumten die gesamten Wände und waren so hoch, dass an einem eine kleine Leiter lehnte.

»Wow«, entwich es mir.

»Ja, oder? Der Raum ist eigentlich für Meetings mit Lektoren und Lektorinnen, Konferenzen, all so was – aber wir nutzen ihn oft auch zum Mittagessen. Es wäre eine Verschwendung, hier nur für geschäftliche Termine zu sitzen. Jedenfalls kannst du dich schon mal in Ruhe umsehen. Nimm dir so viele Bücher, wie du möchtest – oder tragen kannst, sollte ich wohl eher sagen.«

»Wirklich?«

Als Emma nickte, breitete sich wie von selbst ein Strahlen auf meinem Gesicht aus. »Danke! Du kannst dir kaum vorstellen, wie sehr ich mich auf die Arbeit hier freue.« Erneut schweifte mein Blick zu den dunkelbraunen Regalen und den unzähligen Büchern. »Als ich das auf eurer Website gesehen habe, war ich mir sicher, dass es sich um Stockfotos handelt.«

Emma lachte. »Ne, das sind alles Bücher, die wir vermittelt haben. Was möchtest du trinken? Tee? Kaffee? Dann hole ich uns was.«

»Ein Kaffee wäre toll, danke!«

»Alles klar. Und danach gibt’s eine kleine Führung, damit du dich am Montag schon wie zu Hause fühlst. Dann schnappen wir uns Diego aus der IT, und ihr könnt in Ruhe deinen PC einrichten, damit an deinem ersten Tag alles rundläuft.«

»Das klingt perfekt.«

»Sehr gut. Dann hol ich unsere Getränke, und du kannst dich bei den Büchern austoben«, erwiderte Emma mit einem Lachen. »Bis gleich.«

Noch bevor die Tür hinter ihr beinahe geräuschlos ins Schloss fiel, hatte ich mich wieder zu den Büchern umgewandt. Einige davon kannte ich bereits. Manche, weil ich dank Instagram und TikTok darauf gestoßen war, andere, weil ich sie gekauft hatte, um mich auf das Bewerbungsgespräch und den Job vorzubereiten. Ich stieß ein Lachen aus und hielt mir direkt darauf die Hand vor den Mund, damit mich niemand hörte und für verrückt hielt. Aber dass ich jetzt mit dafür verantwortlich war, Geschichten zu entdecken, Autoren und Autorinnen an Verlage zu vermitteln, und vielleicht für einen neuen Trend in den sozialen Netzwerken sorgte, dass ich indirekt daran beteiligt war, Bücher in die Buchhandlungen zu bringen – das war unglaublich.

Ihre Zeit läuft,

läuft so schnell, dass sie rennt

wie eine Maschine, ihr Eifer das Benzin.

Kinder, Haushalt, Job, Bildung, Lächeln

all das auf Autopilot.

Make-up perfekt verteilt auf dem müden Gesicht

und doch ist es nicht genug, ist sie nicht genug.

Warum siehst du nicht, wie schön du bist?,

fragst du,

ohne zu wissen,

dass tausende Komplimente über meinen Körper strömen,

über mein Gesicht, sich mit den Tränen mischen,

die die eine messerscharfe Beleidigung hinterließ.

Diese eine, die immer bleibt.

Warum siehst du nicht, dass du genug bist?,

fragst du,

ohne zu wissen,

dass mein Handy mir unendliche Welten zeigt,

unendliche Leben,

die meine sein könnten

und doch nicht sind.

Also rennen wir weiter,

nur noch ein Stück, nur ein wenig schneller.

Hinter der Zeit her.

Doch sie ist uns immer einen Schritt voraus.

2. KAPITEL

Matthew

Meine größte Motivation waren stets die Leute gewesen, die nicht an mich geglaubt hatten. Egal ob es andere Kinder im Heim oder Lehrer gewesen waren oder die Gesellschaft, die für einen mittellosen Waisen wie mich schon einen Weg geplant zu haben schien – und der führte nicht an eine Universität und erst recht nicht in eine Führungsposition. Dennoch saß ich nun hier, am Ende dieses langen Tischs, und leitete unser wöchentliches Abschlussmeeting.

Leider war es nun zum ersten Mal der Fall, dass mich die Zweifel der anderen nicht motivierten, sondern das genaue Gegenteil bewirkten: Sie verunsicherten mich. Denn abgesehen von meinem Mitbewohner Yong-Jae, Cassedy und Victoria war ich mir bei keinem der Anwesenden sicher, ob sie glücklich darüber waren, dass seit wenigen Wochen ich auf dem Chefsessel saß. Manchmal wusste ich selbst noch nicht, ob ich damit im Reinen war. Doch als Albert Clark, Gründer der Agentur, mich gefragt hatte, ob ich sein Nachfolger werden wollte, hatte ich keine Sekunde gezögert. Weil es sich so richtig anfühlte. Weil Albert nicht nur der beste Chef und Mentor war, den ich mir hatte wünschen können, sondern beinahe so etwas wie eine Vaterfigur für mich – etwas, was er ganz sicher wusste. Und was mit Sicherheit auch dazu geführt hatte, dass er mich anstelle seines leiblichen Sohns Jake zum CEO ernannt hatte.

»Matthew?«

Sadie sah mich abwartend an. Vermutlich dachte sie, ich hätte ihr nicht zugehört. Dabei überlegte ich gerade, wie ich ihr diplomatisch erklären konnte, dass ich den Autor, den sie unter Vertrag nehmen wollte, nicht als Gewinn für unsere Agentur sah. Wie hatte Albert gesagt?

Schmücke geschäftliche Entscheidungen nicht mit unnötigen Nettigkeiten. Sei direkt, transparent und klar, damit tust du den Leuten viel eher einen Gefallen.

»Ich glaube nicht, dass Richard der Richtige für uns ist oder dass wir seine Texte gut vermarkten können. Das Thema ist zu sehr Nische. Nicht dass uns das abschrecken sollte, aber gepaart mit dem verschachtelten Schreibstil glaube ich leider nicht daran, dass wir seine Bücher bei einem Verlag unterkriegen können, tut mir leid.«

Sadie verzog den Mund zu einem unzufriedenen Strich. Das war zu erwarten gewesen, es war nicht das erste Mal, dass sie Richard Brown auf den Tisch brachte. Doch obwohl unsere Agentur mittlerweile aus dreißig Mitarbeitenden bestand, mussten wir die Plätze sorgsam vergeben. Qualität über Quantität und gesundes Wachstum waren für Heather & Clark das A und O. Das sollte sich auch unter mir nicht ändern. Wenn uns ein Manuskript vom Hocker riss, dann wollten wir den oder die Verfasserin natürlich kennenlernen – doch ich kannte die Auslastungstabelle und hatte daher, noch gemeinsam mit Albert, angekündigt, dass wir bis Ende des Jahres nur zwei weitere Autoren oder Autorinnen unter Vertrag nehmen würden. Ich sah, dass Sadie den Mund wieder öffnete, und hielt mich zurück, mit dem nächsten Programmpunkt fortzufahren, damit sie ihre Bedenken äußern konnte. Letzten Endes entschied sie sich jedoch dagegen und fuhr sich sichtlich frustriert durch die kurzen, blond gefärbten Haare, die einen starken Kontrast zu ihrer schwarzen Haut bildeten. Seufzend packte sie den Ordner mit Exposé und Vita des Autors zurück in ihre Tasche. Dafür gab Jake mir Kontra, wie sollte es auch anders sein.

»Wieso ist Sadies Thema zu nischig, wenn wir im Frühjahr ein Fantasybuch über Aborigine-Mythologie unter Vertrag genommen haben? Weil Yong-Jae und du befreundet seid?«

»Nein. Weil wir wussten, dass wir es bei Harold unterbringen können. Wir hatten im April auf der Londoner Buchmesse mit einer Lektorin des Verlags gesprochen, und sie hat genau das gesucht.«

»Ein Buch über die Regenbogenschlange in Australien?« Jake betrachtete mich mit gehobenen Brauen und fuhr sich mit skeptischem Blick durch den dunkelbraunen, kurzen Bart. Ich biss mir auf die Zunge, da es keinen Sinn hatte, mich schon wieder in einer endlosen Diskussion mit Jake zu verlieren. Zumal er nicht Sadies Kämpfe ausfechten brauchte – er wollte mir bloß auf die Nerven gehen, das war mir und vermutlich allen anderen im Raum klar.

»Ein Buch, das eine außergewöhnliche Prämisse hat, divers ist und noch dazu von einem Own-Voice-Autor geschrieben. Noch Nachfragen?«

Nun war ich es, der die Brauen hob. Glücklicherweise schüttelte Jake jedoch den Kopf, was wohl eher daran lag, dass Sadie ihm eine Hand auf den Arm legte, als daran, dass das Thema für ihn erledigt war.

Daran würde ich mich auch noch gewöhnen müssen. Nicht an das Drama mit Jake, das kannte ich bereits, sondern daran, andere zu enttäuschen. Klar, es war nicht meine erste Absage, aber für gewöhnlich erfolgten diese in Form einer E-Mail, ich musste niemandem in das enttäuschte Gesicht blicken. Ganz anders jetzt, denn nicht nur Sadie sah geschlagen aus, auch Diego – allerdings nicht wegen einer Absage, sondern weil ich mit der Typografie für den Relaunch unserer Website nicht glücklich war.

Nach zwanzig weiteren Minuten erklärte ich das Meeting für beendet, und alle strömten zurück zu ihrem Platz oder in die Kaffeeküche, um sich Koffeinnachschub zu holen. Im Hinausgehen klopfte Yong-Jae mir auf die Schulter.

»Gut gemacht.«

»Ich weiß nicht«, antwortete ich leise, auch wenn längst niemand mehr in unserer Nähe war. »So richtig glücklich wirkten sie nicht.«

»Hätten sie auch bei Albert nicht, das liegt nicht an dir.«

»Hm.« Das mochte zwar stimmen, dennoch war ich mir sicher, dass sie ihren Unmut bei Albert nicht so offen gezeigt hätten.

»Hey, sei nicht so streng mit dir selbst. Du bist neu in der Rolle, sie müssen sich eben noch daran gewöhnen.«

»Ich hoffe, sie tun es irgendwann«, gab ich mit einem Seufzen zurück.

»Werden sie, Kopf hoch. Vorhin hattest du noch richtig gute Laune wegen dieser Frau, die du getroffen hast.« Yong-Jae pikte mir mit dem Finger in den Oberarm. »Und diesmal entkommst du mir und meinen Fragen nicht. Kaffee, jetzt. Muss ja nicht lang sein.«

»Na gut«, gab ich mich geschlagen und folgte Yong-Jae in die Küche der Agentur. Nicht zum ersten Mal bedauerte ich, dass unsere Schreibtische nicht mehr beieinander lagen. Ein weiterer Nachteil der Beförderung: So flach die Hierarchien hier auch sein mochten, war ich nun doch der Vorgesetzte meines besten Freundes. Das hatte zwischen uns zwar glücklicherweise wenig verändert, jedoch mussten wir ständig auf die Außenwirkung achten, da ich nicht wollte, dass andere sich benachteiligt fühlten und dachten, ich handelte nach Sympathien. Ich hoffte wirklich, dass das ganze Drumherum bald leichter werden würde. Denn eigentlich war das hier mein Traumjob und mehr, als ich mir je zu erhoffen gewagt hätte.

Yong-Jae wartete, bis Darren von der Kaffeemaschine wich, und stellte dann seine Sims-Tasse darunter, bevor er auf den Knopf für Cappuccino drückte. Mit einem Seufzen drehte er sich zu mir um. »Es gibt wirklich nichts, was besser riecht, oder? Und jetzt: erzähl.«

Der bloße Gedanke an das Zusammentreffen mit Nele heute ließ die trüben Gedanken verfliegen. Yong-Jaes erwartungsvoller Gesichtsausdruck wich einem breiten Grinsen. »Okay, wenn du so schaust, dann hat sie dich ja wirklich umgehauen. Sieht sie so gut aus?«

Ich lachte. »Ja, aber das ist es gar nicht. Keine Ahnung … es ist eher ihre Ausstrahlung und wie sie denkt und all das.«

»All das? Du meintest vorhin, du hast auf dem Weg zum Mittagessen jemanden getroffen. Wie lang habt ihr denn bitte geredet?«

»Nicht so lang, aber ich kannte sie schon. Sie war auch bei der Eröffnung von Kaycees Café. Kaycee, die Freundin von Leo«, half ich Yong-Jae auf die Sprünge, da er Leo, einen Freund von mir, zwar schon getroffen, Kaycees Namen aber mit Sicherheit wieder vergessen hatte. »Ist ja auch egal. Auf jeden Fall hab ich sie getroffen und …« Ich tippte auf das Handy, das vorn in meiner Hosentasche steckte. »… wir sehen uns wieder.«

»Ihr habt Nummern getauscht?«

»Yep.«

Yong-Jae griff sich an die Brust, als könnte er es nicht fassen.

»Hör auf mit dem Mist und nimm lieber mal deine Tasse da weg. Andere Leute wollen auch noch ihr Koffein.«

»Pf, als ob du das gerade bräuchtest, um wach zu bleiben. Wetten, du bist voller Endorphine? Ich fass es nicht, du hast ein Date.«

»Autsch. So schwer zu glauben?«

Yong-Jae räumte tatsächlich den Platz an der Kaffeemaschine, trat zur Seite und beobachtete mich schulterzuckend.

»Zu glauben nicht, nein. Ich glaub ja auch an die Sonnenfinsternis. Passiert nur extrem selten. Nicht ganz so selten wie deine Dates, aber …«

Ich boxte ihn gegen den Oberarm.

»Weißt du, eben hab ich noch bedauert, dass wir uns kein Büro mehr teilen. Ich nehm’s zurück. Dein letztes Date ist fast genauso lang her, also halt die Klappe.«

»Ich weiß, du liebst mich. Und um beim Thema Liebe zu bleiben: Hast du schon einen Plan für euer Treffen?«

Langsam schüttelte ich den Kopf. Den hatte ich tatsächlich nicht. Wie auch? Ich kannte sie ja kaum. Nele war neu in London, ich wollte ihr etwas Besonderes zeigen, etwas, das sie in keinem Reiseratgeber oder Blog fand. »Sie meinte, sie will London erkunden. Aber wo fängt man da an?«

»London Eye, Tower of London, Buckingham Palace, Covent Garden …«, begann Yong-Jae ohne zu zögern aufzuzählen, stoppte jedoch, als ich erneut den Kopf schüttelte.

»Ne, fernab der Touri-Spots. Die wird sie früher oder später eh sehen, falls sie sie nicht sowieso schon kennt.«

»Mag sie Bücher?«

»Keine Ahnung.«

Yong-Jae hob eine Braue. »Das weißt du nicht? Spannend, dann hat sie es dir wohl echt angetan. Ist daran nicht mal eine deiner Beziehungen gescheitert?«

»Die ist daran gescheitert, dass meine Ex-Freundin eines meiner Bücher in der Themse versenkt hat, weil ich ihr nicht zugehört habe.«

»Klingt danach, als würde sie sie nicht besonders mögen.«

»Ne, ich bin angeblich nur zu abwesend, während ich lese.« Ich sah durch die verglaste Front hinaus in das trübe Londoner Wetter. »Aber vielleicht trotzdem keine doofe Idee«, murmelte ich mehr zu mir selbst als zu Yong-Jae.

»Was ist keine doofe Idee?«

Ich schnappte mir meine Kaffeetasse und klopfte meinem Freund grinsend auf die Schulter. »Danke, Mann.«

»Was ist keine doofe Idee? Matt!«

»Erzähl ich dir später, ich hab ein Date zu planen.«

»Während der Arbeitszeit? Aha! Das melde ich meinem Boss.«

»Bis später«, sagte ich und ignorierte Yong-Jaes spielerisches Kopfschütteln. Ich hatte noch einiges an Arbeit und Anrufen zu erledigen – doch ich wusste schon genau, was ich danach tun würde. Denn ich hatte den Plan für das perfekte erste Date. Und beim bloßen Gedanken daran spürte ich mein Herz bis zum Hals schlagen.

»Und ich glaube, dass es sinnvoller ist, unsere Kapazitäten hier auf Thriller und Young Adult Fiction zu verschieben.«

Albert besah sich die Zahlen auf dem Bildschirm meines Tablets, und ich musste mich zusammenreißen, nicht nervös mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte zu tippen. Er hatte mich im letzten Winter bei der Jahresauswertung bereits an die Hand genommen. Wie ich nun wusste, mit dem Plan, dass ich diese ein Jahr darauf eigenständig erstellen würde – als sein Nachfolger. Ich wusste, was ich konnte. Und ich liebte das, was ich tat. Dennoch war ich nervös, all diese Dinge jetzt auf mich allein gestellt erledigen zu müssen. Als er langsam nickte, fiel mir daher ein Stein vom Herzen.

»Das sieht alles sehr gut aus. Und die Verlagerung ergibt Sinn. Nur hier …« Er tippte auf den Non-Fiction-Bereich. »… hier können wir definitiv noch ausbauen. Memoiren und Historisches haben wir genug, aber bei den Gesprächen auf der letzten Messe haben wir mehrmals den Wunsch gehört, dass es mehr Gesellschaftskritisches braucht. Aber nicht als Sachbuch, sondern einfach aufbereitet, künstlerisch verpackt. Für eine junge Zielgruppe. Uns fehlt das, was Netflix-Serien brillant gelingt.«

»Ja, darüber habe ich mit Whitman’s letzte Woche sogar noch gesprochen. Sie wünschen sich generell mehr Neues im Non-Fiction-Bereich.«

»Cassedy hat Ahnung und Kontakte – und noch Kapazitäten, wie die Liste eben gezeigt hat. Setz dich vielleicht mal mit ihr zusammen.«

»Mach ich. Wir haben ab nächster Woche auch noch eine Volontärin, Nelly, meine ich, sie kann sie vielleicht dabei unterstützen. Recherche ist ja immer eine ganz gute Einstiegsarbeit.«

Albert nickte, sperrte das Tablet und sah mit zufriedenem Gesicht zu mir auf. »Sehr gute Arbeit, wirklich, Matthew.«

Sein Lob erfüllte mich mit Erleichterung und auch ein wenig Stolz. Alberts Meinung war mir schon damals, als ich noch Praktikant bei Heather & Clark war, wichtig gewesen. Auch heute bedeutete sie mir noch viel – beruflich wie menschlich.

»Danke«, sagte ich und konnte nicht verhindern, dass man die Erleichterung deutlich in meiner Stimme hörte. Albert schmunzelte.

»Entspann dich mal ein wenig. Niemand erwartet, dass alles fehlerfrei läuft. Insbesondere ich nicht. Ich hab dir doch oft genug von meinen Fehleinschätzungen berichtet. Du hast die offizielle Erlaubnis, auch einmal etwas in den Sand zu setzen.«

»Würde ich aber lieber nicht, wenn das gestattet ist.«

Albert lachte leise. »Irgendwann wird es passieren, wart ab. Und dann wirst du merken, dass das alles halb so schlimm ist, du ein Team aus fähigen Mitarbeitenden hast, die den Laden zusammenhalten, und du nach dieser Erfahrung gefestigter weitermachen kannst. Aber gut, lass dir damit meinetwegen noch ein wenig Zeit. Ich erinnere dich dann an die Worte, wenn es so weit ist.« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und musterte mich sorgsam. »Wie geht es dir sonst? Hast du genug Pausen?«

Der besorgte Ausdruck in seinen Augen brachte mich zum Lächeln. Albert war mein Chef und Mentor gewesen, doch wenn wir beide ehrlich zu uns waren, wussten wir, dass er mehr als das war. Ob freiwillig oder nicht, war er die Vaterfigur geworden, die ich nie in meinem Leben gehabt hatte. Mit gerade einmal fünfzehn Jahren hatte ich ein Probearbeiten in der Agentur absolviert. Ich war ein kleiner, schüchterner Büchernarr gewesen – ein Büchernarr war ich bis heute, allerdings war ich mit meinen 1,92 Meter alles andere als klein, und die Schüchternheit hatte ich im Laufe der Jahre auch abgelegt.

»Darauf achte ich schon, keine Sorge. Morgen nehme ich mir zum Beispiel frei und mache ausnahmsweise mal zwei Tage Wochenende.«

Albert hob die Augenbrauen.

»Na ja, zumindest halbtags frei.«

Sein Lachen brachte die Hände, die er mittlerweile auf dem Bauch abgelegt hatte, zum Wackeln. »Ich würde dich ja ermahnen, aber zum einen weiß ich, dass ich da gegen eine Wand anrede, zum anderen war ich selbst keinen Deut besser. Also gut.« Er stand auf, und auch ich erhob mich und schnappte mir mein Tablet. »Dann will ich mal nicht mehr deines Feierabends beanspruchen. Denk einfach daran, dass du den Posten aus einem Grund hast. Niemand anderes könnte Lizzys und mein Lebenswerk besser weiterführen als du.«

Ich schluckte, als könnte ich das aufkommende Gefühl an überwältigender Verantwortung so daran hindern, aus mir auszubrechen und mich zu verschlingen. Gleichzeitig war da auch ein warmes Gefühl in meiner Brust. Eines, das eine Leere füllte, die dort herrschte, seit ich denken konnte. So albern es sein mochte: Ich wollte Albert stolz machen, ihm zeigen, dass er sich in mir nicht getäuscht hatte. Dass er diese Worte nun äußerte, bedeutete mir die Welt, erinnerte mich aber auch daran, was für ein Erbe ich da antrat. Ich. Der zwar im Laufe der letzten zwölf Jahre so etwas wie ein zweiter Sohn für Albert gewesen sein mochte, es aber eben doch nicht war. Egal, wie sehr ich es mir früher gewünscht hatte, diese Rolle war mir nie zuteilgeworden. Bis zu meiner Ernennung zum CEO hatte ich nicht einmal sein Haus betreten, und unser Kontakt hatte sich auf die Agentur, Buchhandlungen oder Cafés beschränkt. Ganz am Anfang hatte er mich sogar einmal im Heim besucht – nach meinem Tagespraktikum bei ihnen. Naiv, wie ich war, hatte ich die Hoffnung gehabt, dass er deshalb kam. Dabei wusste ich genauso gut wie alle anderen in meinem Alter, dass niemand mehr für uns kam. Auch Albert nicht. Aber er hatte das Zweitbeste getan, was dem fünfzehnjährigen Matt hätte passieren können: Er hatte mir zwar kein neues Zuhause gegeben, aber eine Perspektive.

»Wie geht es Jake damit?«

»Das lass mal meine Sorge sein.«

Konnte ich aber nicht. Jake und ich hatten noch nie das beste Verhältnis zueinander gehabt. Kein Wunder, denn wenn ich mich stets mit ihm verglichen hatte, wie musste es ihm dann ergangen sein? Er führte das Leben, das ich mir immer gewünscht hatte, besaß, was ich stets gewollt hatte: einen liebenden Vater, ein intaktes Familienleben, Bildung – all das, was ich entweder nie gehabt oder aber mir hart hatte erarbeiten müssen. Obwohl oder gerade weil mir all das immer gefehlt hatte, konnte ich dafür die beruflichen Fortschritte vorweisen, die Jake sich stets gewünscht hatte. Mit jeder Beförderung meinerseits war er distanzierter und kühler geworden, unsere Gespräche hatten sich auf ein Minimum beschränkt oder waren schnippischen Bemerkungen gewichen. In den Meetings stellte er regelmäßig meine Entscheidungen infrage. Als Albert dann mich zu seinem Nachfolger ernannte anstatt seinen leiblichen Sohn, war die künstlich aufrecht erhaltene harmonische Stimmung endgültig gekippt.

»Also ist er immer noch sauer«, schlussfolgerte ich.

»Ist er, aber das legt sich wieder.«

Das sagte Albert bereits seit einigen Wochen.

»Ich verstehe seine Wut, aber ich ernenne ihn nicht nur zum Nachfolger, weil man das üblicherweise so macht. Für ein bloßes Prinzip riskiere ich nicht mein Lebenswerk. Seine Priorität war nie die Agentur. Das mache ich ihm nicht zum Vorwurf, aber als Geschäftsführer müsste er alles andere hintanstellen, das sehe ich nach wie vor nicht bei ihm.« Albert winkte ab und bewegte sich zum schwach beleuchteten Flur des geräumigen Hauses. »Aber damit brauchst du dich nun wirklich nicht herumplagen.«

Ich folgte meinem ehemaligen Chef und nahm meinen Mantel vom Haken, an den ich ihn vor einer knappen Stunde gehängt hatte.

»Danke, dass du dir die Zeit genommen hast«, sagte ich und wickelte mir den dunkelblauen Schal um den Hals. Dann drehte ich mich noch einmal zu Albert um, der an den Türrahmen zum Arbeitszimmer gelehnt dastand.

»Wenn wir uns von Fehlern zurückwerfen lassen, sind wir immer noch weiter, als wenn wir vor Angst aus Fehlern erst gar nicht loslaufen.«

»Du machst dieses Ding mit dem alten, weisen Mann wirklich gut, jetzt, da du im Ruhestand bist.«

»Mach dich nur lustig, du wirst sehen, dass ich recht habe.«

»Ich hoffe es.«

Für ihn galt dieser Spruch ganz sicher. Er war Albert Clark. Von seinen Fehlern wurde in Branchenmagazinen als inspirierend gesprochen. Ich jedoch war kein Clark. Ich war Matthew Walsh. An diesem Namen hing keine Geschichte, kein Vermächtnis. Ich trat ein Erbe an, auf das etliche Menschen angewiesen waren. Auf mein Tun und Handeln wurde mit Argusaugen geschaut, und meine Fehler würden als das gesehen werden, was sie waren: Fehler. Und genau deshalb setzte ich alles daran, erst gar keine zu begehen.

3. KAPITEL

Nele

»Ich hab es dir gesagt! Hab ich es dir nicht gesagt?«

»Jaha«, erwiderte ich gedehnt, da Lorie diese Worte so oder so ähnlich bereits zum vierten Mal an mich richtete. Als ich ihr von dem Zusammentreffen mit Matt berichtet hatte, am Abend beim Tee, heute Morgen beim Frühstück, als sie mir mal wieder mein Tageshoroskop vorlas, und nun beim Fertigmachen für …

»Die überraschende Einladung, die zu ungeahnten Konsequenzen führt«, sagte Lorie schon wieder mit einem Seufzen.

Jap, genau für die machte ich mich gerade fertig. Was wesentlich entspannter wäre, wenn meine neue Mitbewohnerin mir nicht dabei zusehen und Kommentare von sich geben würde.

»Ich bin wirklich gespannt, welche Konsequenzen gemeint sind.«

»Du weißt, dass du nicht alles für bare Münze nehmen musst?«, fragte ich – ebenfalls nicht zum ersten Mal.

»Dein Tag gestern war doch Beweis genug. Wenn du heute unerwartet zu Geld kommst, so wie dein Horoskop es dir sagt, glaubst du mir dann?«

»Nein. Nur weil ich einen Euro auf der Straße finde, heißt das noch lang nicht, dass eine höhere Macht mich dorthin geführt hat.«

»Pfund, nicht Euro, herzlich willkommen in England. Und wart nur ab.«

Ich glättete die letzten störrischen Strähnen, sodass mir die braunen Haare beinahe über die Schulter reichten. Dann betrachtete ich zum gefühlt hundertsten Mal kritisch mein Outfit im Spiegel. Leider hatte Matthew nicht durchblicken lassen, was uns heute erwartete. Sollten wir draußen unterwegs sein, würde ich ohnehin meine Jacke tragen. Ansonsten blieb mir wohl nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass ich mit dem Cord-Rock und dem weiten Pulli nicht zu leger gekleidet war.

»Oh mein Gott. Was wenn das auf eine Schwangerschaft anspielt?«

»Was?«, fragte ich mit einem Lachen und wirbelte zu Lorie herum, die in nachdenklicher Pose auf der Waschmaschine saß.

»Konsequenzen klingt ja schon drastischer.«

»Und selbst wenn alle Horoskope der Welt die Wahrheit sagen: Ich schlafe heute nicht mit dem Typen. Wir gehen auf ein Date, mehr nicht.«

»Hmhm«, machte Lorie und grinste wissend. »Ich bin echt gespannt, was er vorhat.«

»Ich auch«, stimmte ich ausnahmsweise mal zu. »Ist es verrückt, dass ich mit diesem fremden Typen auf ein Date gehe?«

»Nö, wieso? Menschen nutzen Dating-Apps, du hast ihn sogar schon zweimal gesehen. Sieh es mal so: Mit etwas Glück hast du nicht nur deinen Traumjob in deiner Traumstadt, sondern auch noch deinen Traummann.«

Etwas, wonach ich bislang nie wirklich gesucht hatte. Ich hatte erst eine Beziehung gehabt, und ich war fest davon ausgegangen, dass diese halten würde. Letzten Endes hatten wir uns jedoch völlig anders entwickelt. Ich wollte reisen, studieren und eine Karriere, er wollte in unserer Heimat bleiben, einen sicheren Job und jung eine Familie gründen. Ich trauerte der Beziehung zwar nicht länger hinterher, hatte mich seitdem jedoch auch nie auf die Suche nach jemand Neuem begeben. Viel eher hatte ich mich direkt nach der Trennung in die Arbeit gestürzt, um wenigstens all meine anderen Träume umsetzen zu können. Mit Erfolg. Ich wandte mich wieder zum Spiegel und nickte der Nele, die mir entgegenblickte, einmal zu.

»Gut siehst du aus. Ich freu mich auf morgen früh, wenn du berichtest. Oh, und frag ihn nach seinem Sternzeichen.«

»Das werde ich nicht tun.«

»Ich wette, er ist Löwe.«

»Bis später, Lorie«, sagte ich und trat kopfschüttelnd weg vom Spiegel in Richtung Flur.

»Oder morgen früh, solltest du doch über Nacht bleiben …«

Ich hörte noch, wie sie von der Waschmaschine sprang, während ich kopfschüttelnd, aber mit einem Lächeln auf dem Gesicht zur Garderobe lief, um meine Wintersachen zusammenzusuchen.

Die Charing Cross Road war erstaunlich leer, was entweder daran lag, dass alle das Wochenende zum Ausschlafen nutzten, oder aber an der Kälte. Diese sorgte gerade für Atemweiß vor meinem Gesicht, und ich war dankbar für den breiten, weichen Schal, den ich mir bis zu den Ohren hochgezogen hatte. Ich sah Matthew schon von Weitem. Er rieb die behandschuhten Hände aneinander, wie um zusätzliche Wärme zu erzeugen. Diese schoss bei seinem Anblick ganz automatisch durch meinen Körper, und seltsamerweise merkte ich, wie ich mich entspannte, als ich auf ihn zulief – als wäre meine Nervosität plötzlich verflogen, dabei sollte ich jetzt doch aufgeregter sein als eben in der WG.

»Nele.« Auf Matthews Gesicht erschien ein breites Lächeln, als er mich sah. Das, gemischt mit der weichen Aussprache meines Namens, ließ etwas in meinem Bauch flattern.

»Hi.« Mein Blick wanderte von ihm zu der Ladenfront mit all den Büchern – Foyles. Der riesigen Buchhandlung hatte ich natürlich direkt nach meiner Ankunft einen Besuch abgestattet, aber ich würde auch kein Veto einlegen, wenn Matthew unser Treffen hier geplant hatte.

»Gehen wir in die Buchhandlung?«

»Auch, ja.«

»Auch?«

»Na gut, dann kommen wir direkt zur Tagesplanung«, meinte er mit einem Grinsen, bevor er ernst wurde und sich räusperte. Jetzt erst fiel mir der helle Jutebeutel auf, der über seiner Schulter hing. Er holte etwas daraus hervor und reichte es mir. Es war eine Karte, die eindeutig London zeigte. Darauf markiert war eine Route, auf der mehrere Orte hervorgehoben waren.

»Du hast eine Büchertour geplant?«

»Einen Book Shop Crawl. Ich dachte, das ist die bessere Alternative zum Pub Crawl. Ich hoffe, du magst Bücher? Gestern hattest du eine Waterstones-Tüte dabei.«

»Und wie!«, sagte ich, und ein erleichterter Ausdruck trat auf Matthews Gesicht. Erneut betrachtete ich die Karte. Acht Stopps waren darauf markiert. Foyles bildete den Anfang und war neben einer weiteren Buchhandlung in Soho die einzige Anlaufstelle, die mir etwas sagte. Ich hob meinen Blick wieder und fand Matthews hellblaue Augen, die mich nach wie vor musterten. Meine Wangen waren so warm, dass ich die winterlichen Temperaturen gar nicht mehr spürte. Wir waren noch nicht einmal losgegangen, und ich konnte jetzt schon sagen, dass das hier das beste Date war, das ich je gehabt hatte. Nicht nur, dass wir in die Buchhandlung gingen, Matthew hatte sich sogar die Mühe gemacht, einen Plan zu erstellen.

»Alles in Ordnung?«

Jetzt erst fiel mir auf, dass ich ihn mehrere Sekunden lang angestarrt haben musste. »Ähm, ja«, sagte ich schnell und deutete auf die Karte in meiner Hand, um abzulenken. »Du hast sie sogar laminiert.«

»Ja, Sam, mein Mitbewohner, ist Lehrer. Ganz praktisch für alles von Laminiergeräten bis hin zu Buntstiften.«

»Und da steht was von Lunchboxen.«

Matthew klopfte auf seinen Beutel, der ein raschelndes Geräusch von sich gab. »Sind hier drin. Aber die müssen wir uns erst verdienen. Ich bin echt erleichtert, dass du Bücher magst, sonst wäre das ein richtiger Reinfall geworden.«

»Ist es nicht und wird es nicht«, entgegnete ich mit einem Lächeln.

»Na dann …« Matthew zog die Glastür des Ladens auf, ich trat in die angenehme Wärme und wurde von den Worten begrüßt, die ich schon letztes Jahr bei meinem Besuch in der Buchhandlung gesehen und geliebt hatte: Welcome book lover, you are among friends.

»Ich liebe es hier.«

»Dachte ich mir. Foyles überzeugt jeden. Hättest du Büchern jetzt nichts abgewinnen können, wären wir nach dem Stopp einfach woandershin. Deshalb Foyles als erste Station, die liegt zentral.«

»Was auch den Vorteil hat, dass du mit der Tube schnell woanders hättest hinfliehen können, wenn ich keine Bücher gemocht hätte.«

Matthew grinste. »Stimmt. Aber ist ja anscheinend nicht nötig.«

»Du liebst Bücher also auch so?«

»Absolut, seit meiner Kindheit. Die war nicht so leicht, Literatur hat mir aus einigen dunklen Momenten geholfen.«

Überrascht sah ich ihn an.

»Sorry. Too much? Ist vielleicht ein bisschen zu tiefgründig fürs erste Date.«

»Nein, ganz und gar nicht«, beeilte ich mich zu sagen. Ganz im Gegenteil. Nicht nur, dass er unglaublich gut aussah und wir offensichtlich dieselben Interessen hatten: Er war auch noch offen.

Zielsicher steuerte ich die Treppe nach unten an, die zur Young-Adult-Literatur führte. Kaum zu glauben, dass das jetzt mein Leben war: durch London schlendern, wann immer ich wollte, hier arbeiten und einen Alltag haben. Unten angekommen wandte ich mich zu Matthew um. Ebenfalls kaum zu glauben, dass mir an meinem ersten Tag in London auch noch dieser Mann begegnet war. Irgendeinen Haken musste die Sache doch haben.

Vier Stunden, etliche Buchhandlungen und eine verzehrte Lunchbox später hatte ich immer noch keinen Haken gefunden. Nach drei weiteren Buchhandlungen, unter anderem Hatchard’s – laut Matthew die älteste Londons – und einem Comic-Laden waren wir schließlich am Primrose Hill gelandet. Die Stadt erstreckte sich vor uns – allerdings in der Ferne, was das Gefühl, eine lange Wanderung hinter mir zu haben, verstärkte. Es war wunderschön und führte mir einmal mehr vor Augen, dass mein Umzug nach London kein Traum, sondern Realität war.

»Ich kann nicht glauben, dass ich noch nie hier gewesen bin.«

»Jetzt im Winter sieht es besonders schön aus. Man hat einen viel besseren Blick auf die Stadt.«

»Danke, dass du das alles organisiert hast.« Kopfschüttelnd betrachtete ich die Szenerie und wagte es kaum, zu Matthew zu schauen, da mein Bauch wieder Dinge empfinden würde, die ich nicht kontrollieren konnte.

»Sehr gern, wirklich.«

Als ich mich doch zu ihm wandte, setzte mein Herz einen kleinen Moment aus, nur um dann in viel zu schnellem Tempo weiterzuschlagen.

Bist du real?

Am liebsten hätte ich Matthew genau das gefragt, doch es klang schon in meinem Kopf wie ein Satz aus einem kitschigen Film, da brauchte ich die Worte nicht ausgesprochen zu hören. Dennoch war die Frage naheliegend, denn wie groß war die Chance, auf Anhieb so mit jemandem zu klicken? Wir hatten sogar einen ähnlichen Geschmack bei Büchern – wenngleich Matthew mehr Fantasy las als ich und ich ihn noch nicht hatte überzeugen können, dass sich Jugendbücher auch als erwachsene Person lohnten.

Als ich mir mit den behandschuhten Fingern über die Oberarme rieb, in der Hoffnung, etwas Wärme zu erzeugen, wandte Matthew den Kopf zu mir.

»Sollen wir weiter? Oder lieber noch ein wenig bleiben?«

»Weiter, glaube ich. Mir ist echt kalt.«

»Der nächste Stopp ist auch nur wenige Minuten entfernt.« Im nächsten Moment waren jegliche Gedanken an die Kälte vergessen, denn Matthew legte seine Hand sanft an meinen Rücken, während wir uns zum Gehen wandten. Es war nur eine kurze Geste, eine zarte Berührung, getrennt von etlichen Schichten Kleidung, mit der er mir die richtige Richtung hatte zeigen wollen. Dennoch sandte der leichte Druck warme Wellen durch meinen gesamten Körper.

Erst als wir den Hügel verließen und die Regent’s Park Road betraten, hatte ich mich wieder so weit unter Kontrolle, dass ich mich traute zu sprechen, ohne Angst haben zu müssen, dass meine Stimme zitterte. Was zur Hölle machte dieser Kerl nur mit mir?

»Woher kennst du eigentlich deine WG-Mitbewohner?«, fragte ich, in der Hoffnung, mich somit selbst auf andere Gedanken zu bringen.

»Sam ist mein ältester Freund, wir haben uns beim Sport kennengelernt. Yong-Jae kenne ich von der Arbeit, er ist ein Kollege von mir und mein zweiter bester Freund. Sam und ich wollten schon immer mal zusammenwohnen, Yong-Jae kam durch einen Zufall dazu, aber es passt zum Glück perfekt. Wie läuft es denn bei dir in der WG?«

»Lorie ist nett, aber … interessant. Sie ist ziemlich esoterisch, liest mir jeden Morgen mein Horoskop vor und hat mich schon vorgewarnt, dass sie ihre Kristalle in meinem Zimmer aufladen muss, sobald Vollmond ist, weil meines das beste Licht hat.«

Matthews Augenbrauen waren während meiner Erzählung immer weiter nach oben gewandert.

»Ich werde Sam ausrichten, dass ich seine Urzeitkrebszucht nicht mehr seltsam finde.«

»Will ich nachfragen?«, erkundigte ich mich mit einem Lachen.

»Definitiv nein. Vor allem weil er die Dinger umbringt und vor uns so tut, als würden sie wochenlang leben.«

»Woher weißt du dann, dass er sie umbringt?«

»Erstens leben sie nicht mehrere Wochen, ich hab die Anleitung gelesen, zweitens hab ich ihn einmal dabei erwischt, wie er ihre Leichen im Klo entsorgt hat.«

»Oh Gott, das klingt brutal.«

»Brutal ist, dass er das seit Monaten macht.«

»Aber warum?«, fragte ich immer noch lachend.

»Weil er in seinem Eifer das XL-Set gekauft hat und noch Eier von den Viechern über hatte. Frag mich nicht, meine Mitbewohner sind speziell.«

»Hast du irgendwelche seltsamen Angewohnheiten, von denen ich wissen sollte?«

»Oh, schade, wir sind da.« Matthew kam vor einer dunkelblauen Ladenfront zum Stehen. Außen stand bereits ein Tisch mit einigen Kisten voll reduzierter Bücher.

»Grandioses Timing.«

»Nicht wahr? Aber wenn du es genau wissen willst: Ich kann beim Zähneputzen nie stillstehen und laufe immer durch die ganze Wohnung. Manchmal hab ich meine Zahnbürste dadurch zehn Minuten im Mund, weil ich die Spülmaschine dabei einräume.« Er sah nach oben, als müsste er nachdenken. »Ich mag es nicht, wenn die Soundanzeige am Fernseher auf einer ungeraden Zahl ist. Sam macht sich immer lustig über mich, weil ich beim Wäscheaufhängen darauf achte, dass die Wäscheklammern, die ich für ein Kleidungsstück nehme, die gleiche Farbe haben. Oh, und ich beiß mir immer auf die Zunge, wenn ich mich konzentriere. Ist mir nicht mal bewusst gewesen, bis Yong-Jae mir eine Collage von mir selbst geschenkt hat.«

»Er hat Fotos gemacht?«

»Etliche. Vom Schreibtisch direkt gegenüber. Er meinte, ich sah aus wie ein sehr fokussierter Hund.«

»Okay«, entgegnete ich lachend, »aber immerhin kommt bei deinen Ticks niemand zu Schaden.«

Matthew hielt mir die Tür zur Buchhandlung auf, und ich schlüpfte hinein ins Warme.

»Gib übrigens jederzeit Bescheid, wenn du keine Bücher mehr sehen kannst, ja? Auf der Straße hier sind einige echt gute Cafés und Restaurants.«

»Machst du Witze? Wenn du es schaffst, dass ich keine Bücher mehr sehen kann, verleiht meine Familie dir eine Medaille.«

»Oh, das wäre es ja fast wert.«

»Wird nicht passieren.«

»Das ist also einer deiner Ticks? Bücher sammeln?«

»Vermutlich, ja. Deshalb muss ich im Job auch übernommen werden. Die alle nach Deutschland zu schicken, würde mich in den Bankrott treiben.«

»Dann werd übernommen und bleib einfach, Problem gelöst.«

»Nichts leichter als das …«

Ich hatte es mehr im Scherz gesagt, doch der Satz pflanzte Bilder in meinen Kopf, die sich in den Tiefen meiner Gedanken einnisteten und mich mit Sicherheit auch die nächsten Tage nicht in Ruhe lassen würden. Mein Vertrag war auf ein Jahr befristet. Doch was, wenn es tatsächlich klappte und ich bleiben konnte?