Dreieinhalb Jahre - Uwe Jochum - E-Book

Dreieinhalb Jahre E-Book

Uwe Jochum

0,0
7,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In der Kleinstadt Frauenberg im Hessischen tritt die neue Leiterin des Stadtmarketing ihr Amt an. Bald stellt man in der Stadtverwaltung fest, daß ohne die neue Leiterin nichts mehr geht: Sie zieht die Strippen und ist die Spinne im Strippennetz. Und sie ist ehrgeizig. Das Großprojekt, mit dem sie den ultimativen Stich machen will, ist die Neuerfindung von Frauenberg als "Bad Frauenberg". Ob das etwas wird, erfährt nur der Leser dieses Romans. Menschliche Verwicklungen gibt es auch und eine unglückliche Liebe sowieso.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Uwe Jochum

Dreieinhalb Jahre

Ein Verwaltungsroman

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Kapitel I | Wie alles anfing

1 Der erste Tag im Amt

Sie kam an einem nebligen Tag im Spätherbst ganz früh ins Amt. Es war noch dämmrig, von den Bäumen tropfte es ins aufgeweichte Laub, die Straßenlaternen sahen verweint aus, und der Asphalt glänzte speckig. Wer um diese Zeit schon draußen umherlaufen mußte, beeilte sich, aus dem kalt nieselnden Nebel ins Warme und Trockene zu kommen.

Sie schritt vorsichtig über den Asphalt und hielt am Fuß der Steintreppe, die zum Eingang des »Amtes für Stadtmarketing« führte, kurz inne. Sie sah nach oben zu den erleuchteten Fenstern mit ihrem gelben Licht, das zu ihr herunter auf die vor ihr liegenden Stufen und den hinter ihr liegenden Asphalt fiel. Dann war sie auf der Treppe, kam auf dem obersten Absatz ein klein wenig ins Rutschen, fing den Körper mit einer raschen Bewegung des linken Fußes auf und machte den letzten Schritt zur Tür, riß sie auf und trat ein, schritt lautlos über den grauen Teppichboden der Eingangshalle zur nächsten Tür, hinter der sich ein Großraumbüro verbarg. Ein Schritt, noch einer, noch einer; die Klinke wurde gedrückt, die Tür geöffnet — und da stand sie, nur kurz, um einen Brillenblick und ein »Guten Morgen« in den Raum zu werfen, in dem drei Schreibtische hintereinander standen. Von den drei Schreibtischen riefen drei Frauen mit sich hebenden Köpfen ein »Guten Morgen« zurück. Sie schritt seitlich an den Schreibtischen und Frauen vorbei, die Damen erhoben sich, um der Vorbeischreitenden die Hand zu geben und nach der Handgabe brav stehen zu bleiben. Sie hatte die Tür erreicht, die auf der anderen Seite des Großraumbüros in ihr eigenes Büro führte, eine schwere braune Holztür, die sich, anders als die erste Großraumbürotür, nicht von alleine schloß, sondern auf menschliche Kraft angewiesen war. Neben der Tür war das neue Namensschild angebracht, das die Eintretende schon seit einer Woche zweizeilig angekündigt hatte: »Angela Wolff // Amtsleiterin«.

Da stand sie vor der anderen Tür, hinter der sie gleich verschwinden würde, um ihre Amtsgeschäfte aufzunehmen, die, wie die drei Damen längst wußten, vor allem darin bestehen sollten, »frischen Wind« wehen zu lassen, um die vom Amtsvorgänger — meine Wenigkeit — hinterlassenen Routinen zu beleben, zu verbessern, innovativ zu ergänzen oder schlicht abzuschaffen. Das alles, um das Ansehen unseres Städtchens in aller Welt zu mehren, also mit mehr Ansehen mehr Touristen in die Stadt zu locken, den Wirten und Hoteliers mehr Gäste zuzuspielen und dem Stadtsäckel mehr Einnahmen zu bescheren. Immer noch vor der Tür stehend sagte sie: »Ich freue mich, hier zu sein. Heute morgen möchte ich mich mit jeder von ihnen ersteinmal unterhalten, damit wir uns ein wenig kennenlernen. Heute nachmittag will ich dann die von ihnen aktuell bearbeiteten Vorgänge vorgelegt bekommen. Und dazwischen, zur Mittagszeit, gehen wir zusammen essen. Ich habe im ›Ristorante Napoli‹ einen Tisch reservieren lassen. Sie sind natürlich eingeladen. So. Nun geben sie mir noch ein paar Minuten Zeit, bis ich mich installiert habe, und dann fangen wir an.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und riß die Türe auf, hinter der sie verschwand, um sich zu installieren. Die drei Damen sahen sich kurz an, nahmen dann wieder an ihren Schreibtischen Platz und warteten, bis sie gerufen wurden.

2 Ich werde verabschiedet

Meine Verabschiedung, mit gleitendem Übergang zur Amtseinführung meiner Nachfolgerin, hatte im Festsaal des Rathauses stattgefunden. Ich stand zur Rechten des Bürgermeisters, der meinen amtlichen Lebenslauf rekapitulierte, die Bedeutung des Stadtmarketings für unsere modern-dynamische Stadt hervorhob und ein wenig vom Glanz seines Wohlwollens auf meine Tätigkeit fallen ließ, der »wir alle« viel zu verdanken hätten. Meine Beliebtheit bei meinen Mitarbeitern — Frau Wind, Frau Beauclerc und Frau Hagen zwinkerten einige Tränen aus ihren Augenwinkeln — wurde als Schlußpunkt gehörig vermerkt, und endlich übergab mir der Bürgermeister mit einem festen Händedruck und jovialem Lächeln meine Entlassungsurkunde. Ich dankte in kurzen Worten, es war mir eine Ehre und ein Vergnügen, das ohne die tatkräftige Mitarbeit der Damen Wind, Beauclerc und Hagen nicht möglich gewesen wäre — die Damen wischten lästige Staubkörner aus ihren Augenwinkeln —, ich schaute mit Zufriedenheit zurück und mit Freude nach vorn. Und dann trat ich in die Reihen der im Halbkreis im Festsaal Stehenden zurück, von jetzt an ein Zuschauer und Zuhörer ohne Amtspflichten.

Der Bürgermeister räusperte sich und sortierte kurz die Blätter, die er in seinen schon etwas zittrigen Händen hielt, dann sah er über den Rand seiner Brille in den Halbkreis und freute sich ganz offiziell darüber, daß er nunmehr Angela Wolff nach vorne bitten dürfe — sie trat an seine Linke —, die er als neue Leiterin des Stadtmarketings begrüßte. Eine Urkunde gab es dafür nicht, denn das Juristische hatte man vorab bereits geregelt, so daß der Bürgermeister seine Amtshandlung auf die Begrüßung beschränken konnte, die aus einer Kurzbiographie der neuen Amtsleiterin, zwei oder drei Scherzen und jeder Menge Vorschußlorbeeren bestand, die sich Angela Wolff lächelnd auf ihren Kopf setzte.

Da stand sie also, in dunkelblauem Hosenanzug mit weißer Bluse und dunkelblauen Halbschuhen. Ihre kräftigen blonden und langen Haare fielen von ihrem mondrunden Kopf am kurzen Hals entlang auf ihre Schultern. Auf der Nase saß eine Brille mit zebragemusterten Bügeln und kleinen, dicken Gläsern, die den Blick starr und stechend machten. Die Nase war gerade und etwas fleischig mit ausgeprägten Nüstern, der Mund schön gewölbt, aber etwas verkniffen, was daran liegen mochte, daß sie ihn nur ungern öffnete, damit man die kleinen Hasenzähne mit dem Überbiß nicht sah. Die Arme endeten in langgliedrigen und hartknochigen Händen, deren Fingernägel einen kräftigen roten Lack trugen, der am Morgen frisch aufgetragen worden war. Am Ringfinger der linken Hand leuchtete ein Brillantring. Was alles zusammen so normal wie unerheblich war, und man hätte bei einem musternden Blick von oben nach unten bis zur Höhe der Taille mit dem Nebenmann trefflich darüber diskutieren können, ob es sich um den Oberleib einer in ihrer Herbheit durchaus nicht unattraktiven Frau oder um den Beginn einer etwas zu männlich geraten Blondine handelte, die, je nachdem, vom Leben zu mehr Blondine oder mehr Mann abgeschliffen würde. Die Diskussion erübrigte sich indessen durch das, was in meiner frühen Jugend, als meine Generation sich ein detailliertes Bild von den Frauen zu machen begann, das »Fahrgestell« hieß. In Wolffs Fall bestand es aus einem doppelrunden großvolumigen Hintern, der südlich der Taille sich beidseits nach außen wölbte und den Anschein erweckte, er sei vom lieben Gott als organisches Pendant zu jenem längst aus der Mode gekommenen Drahtgestell geschaffen worden, mit dessen Hilfe sich die Damen eines fernvergangenen Jahrhunderts lateral und dorsal zu verdoppeln suchten. Der dunkle Hosenanzug sollte das alles ganz offenkundig kaschieren, konnte aber angesichts der Fleisches- oder vielmehr Fettmengen, die da wuchsen, nur wenig ausrichten, zumal sich nach unten hin zwei elephantös geformte Beine anschlossen, die in fetten und von den dunkelblauen Halbschuhen nur mühsam bewältigten Füßen ausliefen.

»Hör mal«, sagte Hagen, der Leiter des Verkehrsamtes — mit der Marketing-Hagen nicht verwandt und nicht verschwägert —, »hör mal«, sagte er mir während des Stehempfangs, der sich an die offiziellen Reden angeschlossen hatte, »du hast doch eine Ahnung von Kultur.« Ich wußte nicht, worauf er hinauswollte, und so wich ich mit einem »Hm« aus. »Also«, fuhr Hagen fort, »was haben wir da denn nun? Eine Chimäre, eine Meduse oder einen Kentaur?« Er blickte kurz und verschwörerisch zu Angela Wolff, die in einiger Entfernung mit dem Bürgermeister und dem Kämmerer im Gespräch stand. »Tja«, antwortete ich, »guter Freund, das mußt du nun selber herausfinden. Oder frag doch die Neumeister vom Kulturamt.« Hagen verzog das Gesicht zu einem säuerlichen Grinsen. »Lieber nicht«, sagte er.

Das unidentifizierte Fabelwesen hatte inzwischen — ich springe vom Stehempfang zum offiziellen Redeteil zurück — für die herzlichen Willkommensworte des Bürgermeisters gedankt, mir meinen Anteil am Erfolg unseres Städtchens zuerkannt, die beiden Hände mit den rotlackierten Fingernägeln fächerförmig ineinandergeschoben und einen kaum wahrnehmbaren Schritt nach hinten getan, der dem Bürgermeister Gelegenheit gab, vom Offiziellen zum weniger Offiziellen überzuleiten und das Büffet für eröffnet zu erklären.

3 Große Pläne kündigen sich an

Die Herbstnebel waren den Winterstürmen und diese reichlichem Schnee gewichen, der nur ungern vergehen wollte und sich in unserem Tal und auf den umliegenden Bergen ganz kommod eingerichtet hatte. Aber ein paar Tage mit warmem Westwind vertrieben ihn Anfang März dann doch und ließen kahlbraune Hügel mit hilflos die arme reckenden Bäumen zurück, und in der Stadt sah jedes Vorgärtchen und jeder Park derart schmutzig und unfruchtbar aus, als wollten sie sich dem kommenden Frühling ein für allemal verweigern und für immer im Zustand des Nicht-mehr und Noch-nicht verharren. Dann kamen ein paar Frühlingsnebel, die im Lahntal die Hänge nach oben krochen und ein gnädiges Milchgrau über die unfertige Natur warfen.

Und wieder fielen von den Bäumen die Tropfen ins Laub, wieder weinten die Straßenlaternen die ganze Nacht hindurch, ich aber saß zu Hause im Warmen, Trockenen und Hellen und las in Ruhe den »Frauenberger Anzeiger«, den ich mir morgens zur Seite legte, um am Abend eine kleine Zeitreise zu unternehmen und in der Zeitung zu lesen, was vor einem oder zwei oder mehr Tagen in der Welt und unserer Stadt vorgefallen war. Ich las also, was es so gab, immer wieder gegeben hatte und immer wieder geben würde: eine Schuldenkrise und noch eine, einen Bürgerkrieg hier, einen Abwehrkrieg da, einen neuen Präsidenten in den oder in Rußland oder in Moldavien, eine vergessene Katze, ein entlaufener Hund, die glamuröse Heirat zweier Filmstars namens Britta und Angus oder Sara und Bert, miserables Wetter in den kommenden Tagen, ein noch miserableres Fernsehprogramm auf allen Kanälen.

Das Telephon klingelte im Flur, meine Frau gebot ihm mit einem lauten »Ja?!« Schweigen und rief fünf Sekunden später: »Thomas, für dich!« Als ich vom Wohnzimmersofa zum Flur geschlichen war — wir hatten immer noch dieses schöne alte Kabeltelephon, das uns zwang, auf einem Telephonstuhl neben dem Telephonkommödchen im Flur zu telephonieren —, war meine Frau schon wieder in der Küche verschwunden, und der Hörer des Telephons lag wie ein verwundetes Insekt zur Seite gedreht neben dem Apparat.

»Ja«, sagte ich zögernd.

»Grüß dich, Thomas«, sagte die Stimme Hagens, des Immer-noch-Verkehrsamtsleiters. »Störe ich?« fragte er.

»Iwo«, antwortete ich.

»Bist du neugierig?« fragte er nach.

»Nicht mehr sehr«, sagte ich.

»Schade, ich hätte dir sonst ein wenig Tratsch erzählt.«

»Schieß los.«

»Du glaubst es nicht«, sagte Hagen, »der will ein Aquadrom bei uns bauen.«

»Wer der?«

»Der Bürgermeister. Soll Frauenberg aufwerten, touristisch. Einen Investor soll’s auch schon geben.«

»Gibt’s so was nicht schon in Lauterbach und drüben in Dingens?« fragte ich.

»Du meinst Siegen? Ja, gibt es. Aber bei uns soll das viel größer und schöner werden. Und für die Stadt dank des Investors natürlich auch viel billiger.«

»Natürlich«, lachte ich. »Und wer ist der Investor, wenn ich fragen darf?«

»Wird nicht verraten, die Verhandlungen laufen noch. Irgendjemand oder irgendeine Firma, die international aufgestellt ist. Die sind jetzt ja alle international aufgestellt.«

»Wohl wahr«, sagte ich, »wie schön für uns alle.«

»Ja. Alles ganz wunderbare Aussichten. Ich soll jetzt schonmal ’nen neuen Verkehrsplan inklusive Autobahnanbindung und Großparkplatz machen.«

»Na, dann viel Spaß.«

»Den werd’ ich haben«, sagte Hagen. »Mehr dazu wirst du dann ja in der Zeitung lesen können. Ich halt’ dich aber nebenher auf dem Laufenden, wenn du magst.«

»Ich mag. Und grüß mir Anne.«

»Mach ich. Grüß du Gerda.«

Wir legten gleichzeitig auf, und ich schlurfte zum Sofa zurück, um von dort aus die Abendnachrichten im Fernsehen zu schauen, während die Sonne wie angekündigt um sieben Uhr unterging — in einem lilanen und roten Glühen, das in Frauenberg unter dem Nebel niemand zu sehen bekam außer einer Krähe, die sich am Nachmittag auf den Weg zum fast fünfhundert Meter hohen Emmerich gemacht hatte, dessen Kuppe samt Kuppenkreuz über dem Nebel lag.

»Was wollte Hagen?« fragte Gerda, die den Kopf durch die Tür steckte.

»Nichts von Belang«, antwortete ich, als der Nachrichtenjingle losplärrte. »Große Pläne, viel Wind und warme Luft.«

Der Kopf meiner Frau verschwand hinter der Tür, der aschblonde Bubikopf der Nachrichtensprecherin erschien auf dem Bildschirm, und aus perlweißem Mund wurde ich über das Unglück der Welt informiert. Nach zwei Minuten war ich eingeschlafen.

4 Pressearbeit

Es ist schon lange her, ungezählt viele Jahre, da sagte mir Eva König, die damals schon verwitwete Besitzerin des »Druck- und Verlagshauses König«, in dem der »Frauenberger Anzeiger« erschien, es gebe nichts Schöneres als eine Lokalzeitung mit ihrer absoluten Kundenbindung; das sei gleichsam eine Lizenz zum Gelddrucken. Was die Königs mit dem gedruckten Geld gemacht hatten, war eindrücklich: Die Familie bewohnte seit zwei Generationen ein schloßartiges Anwesen, das in einem großen Park auf der halben Höhe des Kohlenbergs lag. Von dort aus übersah man das im Tal liegende Frauenberg und blickte hinüber zum Emmerich, an dem die Häuschen und Villen der strebsamen Ärzte, Anwälte und Beamten jedes Jahr ein wenig weiter emporkrochen. Allerdings wurde dieser Aufstieg schon im unteren Drittel des Emmerich von einem dichten Laubwald behindert, der bis zur Kuppe des Berges reichte. Vom Anwesen der König blickte man auf all das hinüber und herab und mußte nur dulden, daß die kreuztragende Kuppe des Emmerich höher lag als das Schloß, das keines war, aber bei allen so hieß.

Etwa einmal in der Woche ließ sich Eva König von ihrem Chauffeur in die Stadt hinunterfahren, um im Druck- und Verlagshaus, dessen Besitz von ihrem Mann auf sie übergegangen war, nach dem Rechten zu sehen. Bei dieser Gelegenheit ließ sie sich auch vom Chefredakteur ihres Lokalblatts vortragen, was es an journalistischen Neuigkeiten gab, und sie ihrerseits trug dem Chefredakteur vor, welche Färbung diese Neuigkeiten anzunehmen hatten, wenn sie ihr gefallen sollten. Diese Farbinformation fand zumeist bei einem gemeinsamen Mittagessen in der »Krone« statt, wo man für solche Gelegenheiten ein kleines Séparée bereithielt.

Das alles wäre natürlich nicht der Rede wert, hätte es nicht damit zu tun, daß Eva König seit einer Woche wütend war. Sie war wütend, weil ihr unser Bürgermeister vor sieben Tagen bei einem kleinen Empfang im Schloß nicht nur von dem geplanten Aquadrom erzählt hatte, sondern auch davon, daß dieses »Ding«, wie Eva König es empört nannte, ganz oben auf dem Kohlenberg gebaut werden sollte — wegen des wunderbaren Blicks auf die Stadt und die sie umgebenden waldigen Berge, der reizvollste Blick weit und breit, ein magnetischer Anziehungspunkt für einen endlosen Strom von Touristen, die ultimative Aufwertung Frauenbergs, wie der Bürgermeister schwärmte.

Es muß ungefähr an ihrem dritten Wuttag gewesen sein, daß Eva König bei mir zu Hause anrief. Sie hatte mich immer gerne angerufen, um außerhalb der offiziellen Mitteilungsströme zu erfahren, wie die Dinge in Wahrheit standen. Aber diesmal mußte ich Eva enttäuschen. Ich war nicht mehr im Dienst und wußte daher ungefähr nur soviel wie der zeitungslesende Teil der Bevölkerung Frauenbergs, einschließlich des Chefredakteurs des »Anzeigers«.

»Das ist ja ganz entsetzlich, daß du pensioniert bist«, rief Eva überrascht durchs Telephon.

»Ich finde das eigentlich ganz angenehm«, sagte ich.

»Aber seit wann denn?« fragte Eva.

»Tja«, antwortete ich, »seit etwa einem halben Jahr.«

Die Telephonleitung blieb viele Sekunden lang still, und als ich schon darüber nachdachte, ob die Leitung zusammengebrochen war, hörte ich einen tiefen Seufzer, dann ein lautes Schneuzen, und dann ein »Thomas, wir werden alt, die Zeit rennt uns davon«. Ich schwieg nun ebenfalls einige Zeit und brachte dann nur ein müdes »Ja, das tut sie« hervor.

»Thomas, was mache ich jetzt?« fragte Eva.

»Ruf Hagen an. Der ist mit der Verkehrsplanung für dieses Ding beschäftigt und weiß daher sicherlich das eine oder andere, was nicht in deiner Zeitung steht.«

Was Hagen ihr dann erzählt hat, ist mir unbekannt. Aber das weiß ich, daß sie ihrem Chefredakteur beim Mittagessen im Séparée der »Krone« erklärte, daß ein solches Ding wie das Aquadrom im Prinzip ja eine gute Sache sein mochte, über deren Gedeihen man gerne ausführlich berichten könne und auch darüber, wie sehr sich der Bürgermeister da engagiert habe; aber es könne doch auch nicht ganz schlecht sein, wenn man in Zeiten knapper öffentlicher Kassen ein Auge auf die Kosten und die sonstigen Belastungen dieses Dings werfen würde; sie denke zum Beispiel daran, daß es doch sehr fraglich sei, wie die Wirte in der Stadt oder der Einzelhandel von diesem Ding auf dem Kohlenberg profitieren sollten; da müsse man schon Stadt und Aquadrom verkehrstechnisch einander näher bringen, aber zu welchen Kosten bitteschön? Eine Lokalzeitung müsse in so einer gewichtigen Sache die verschiedenen Meinungen und Perspektiven darstellen, denn man sei ja eine Zeitung für alle Frauenberger, nicht wahr?

»Wie wahr, wie wahr«, sagte der Chefredakteur und gab in der nächsten Redaktionskonferenz die Parole aus, man müsse das Aquadrom-Dings von allen Seiten beleuchten; er erwarte dazu Vorschläge und Recherchen. Und so kam es, daß in den folgenden Wochen im »Anzeiger« nicht nur über die durch das Aquadrom zu erwartenden Arbeitsplätze berichtet wurde, sondern auch über die Landschaftsversiegelung durch die enorme Zahl benötigter Parkplätze, über die geplante Autobahnanbindung und die Frage einer alternativen Verbesserung der Zuganbindung, über die Lärmbelästigung durch den zusätzlichen Verkehr und die Seriosität des internationalen Investors, der -Gruppe (»Homes, Residences, Services«).

---ENDE DER LESEPROBE---