DSA 150: Im Feuer der Esse - Judith C. Vogt - E-Book

DSA 150: Im Feuer der Esse E-Book

Judith C. Vogt

0,0

Beschreibung

Noch immer ist kein Frieden eingekehrt in der Wildermark, wo das Volk der Willkürherrschaft grausamer Kriegsfürsten ausgeliefert ist. Um seinen Untertanen ein besseres Leben bieten zu können, stürzt sich Ulfberth von Moorauen in den Kampf, sein verlorenes Lehen zurück zu erobern. Doch er wird verraten und findet sich sich unversehens im Herzen der Schwarzen Lande wieder, wo er ums nackte Überleben kämpfen muss. Als sie von Ulfberths Schicksal erfährt, weilt Zita in der Kaiserstadt Gareth, um einem Meisterschmied alte Geheimnisse von Feuer und Stahl abzutrotzen. Entschlossen bricht sie auf, ihren Geliebten zu retten. Im Vorposten der Niederhöllen, der verfluchten Stadt Yol-Ghurmak, müssen beide dem schwärzesten Teil ihrer Seele entgegentreten, wollen sie nicht in den unheiligen Schmiedefeuern der dämonischen Esse vergehen. Nach "Im Schatten der Esse" schmiedet Judith C. Vogt das Schicksal von Zita und Ulfberth nun "Im Feuer der Esse" weiter.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 515

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Biografie

Judith Vogtwurde 1981 in der Nordeifel geboren. Das 100-Seelen-Dorf ihrer Jugend ließ ihr keine andere Wahl, als sich bereits in jungen Jahren dem Rollenspiel sowie dem Lesen und Schreiben von Fantasy zu widmen. Nach einer Ausbildung zur Buchhändlerin, einem Umzug in die Weltmetropole Aachen und ein paar Jahren literarischer Fingerübung veröffentlichte sie 2011 ihren ersten RomanIm Schatten der Esse.

Danach begab sie sich mit dem ZweiteilerHerr der Legionen – Herrin des Schwarmsin die aventurische Antike und tauchte wieder daraus hervor, um die Fährnisse von Zita und Ulfberth ausIm Schatten der Essefortzuführen. Die Beschäftigung mit dem täglich Brot eines Schwertgesellen hatte zur Folge, dass zu ihren seltsamen Hobbies neben dem Schmieden nun auch das historische Fechten mit dem Anderthalbhänder zählt. Ansonsten widmet sie sich natürlich dem Rollenspiel, dem Schreiben von Abenteuern und Quellenbänden fürDas Schwarze Augesowie ihrem Zweitjob in den Aachener Wäldern, wo sie als Wald-Pädagogin dem Schreibtisch entflieht.

www.jcvogt.de

Titel

Judith C.Vogt

Im Feuer der Esse

Ein Roman in der Welt vonDas Schwarze Auge©

Originalausgabe

Impressum

Ulisses Spiele Band 11086PDF

Titelbild:Arndt DrechslerAventurienkarte: Ralph HlawatschLektorat: Catherine Beck Buchgestaltung: Ralf Berszuck E-Book-Gestaltung: Michael Mingers

Copyright ©2012 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems. DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN und DEREsind eingetragene Marken. Alle Rechte von Ulisses Spiele GmbH vorbehalten.

Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt.Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems, gestattet.

Dank gebührt

… Michael Masberg und Björn Berghausen für »Kooperation« in der Wildermark.

… Niko Hoch für sein fachmännisches Urteil bei den Fechtszenen mit dem Anderthalbhänder sowie Klaus Erkens und unserer aus aktuellem Anlass aus der Taufe gehobenen historischen Fechtgruppe »Stahlbande«.

… Daniel Richter, Alex Spohr, Ralf Renz und Martin Schmidt.

… Mario Truant und Werner Fuchs, dafür, dass sie mich immer noch mehr schreiben lassen.

… Catherine Beck, meiner wunderbaren Lektorin.

… Alex, Alex, Jan, Marc und Lydia für treues und unerbittliches Testlesen.

… Eevie und Marie for being the first Ulfberth-Fangirls.

… meinem lieben Kollegen Mike für den Tausch von Ancalita gegen Frimbolsch.

… meinem ebenso lieben Kollegen Christian Nr. 2, der neben dem Schreibhandwerk auch das Fotografieren beherrscht.

… Christian Nr. 1. Für die Idee mit der Glocke. Für den Streit über Fachwörter im Schwertkampf. Für all die verrückten Hobbies.

Möge nie der Tag erscheinen, Wo des rauhen Krieges Horden Dieses stille Tal durchtoben. Nichts Heiliges ist mehr, es lösen Sich alle Bande frommer Scheu; Der Gute räumt den Platz dem Bösen, Und alle Laster walten frei. Gefährlich ist‘s, den Leu zu wecken, Verderblich ist des Tigers Zahn, Jedoch der schrecklichste der Schrecken, Das ist der Mensch in seinem Wahn. aus: Friedrich Schiller –

Einstand

[Zita, in Eisingers Schmiede]

Das Bier troff ihr aus den Haaren, und ich senkte den Krug und beäugte bedauernd den Bodensatz. Nicht das verschüttete Bier bedauerte ich, diesen Verlust würde ich verschmerzen können – ich bedauerte, bereits absehen zu können, dass ich den Kampf verlieren würde. Wenig später traf mich eine Faust am Kinn. Dumpfer Schmerz explodierte gleichzeitig mit dem Johlen und Kreischen der anderen Gesellen, mein Kopf flog zurück und ließ die Holzvertäfelung hinter mir knacken. Stöhnend nahm ich den Schlag hin – ich hatte ihn mir verdient.

Frunlinde war aufgesprungen, packte mich an beiden Schultern, als ich mich des restlichen Biers in ihr Gesicht entledigen wollte, und drängte mich an die Wand. Ich sah die Biertropfen in ihrem wenig fraulichen Oberlippenbart beben, als sie sprach.

»Das war das letzte Mal, Zita!«, zischte sie, und hinter ihr grölten die anderen Gesellen vor Lachen. »Wenn ich dir sage, du sollst mir ein Bier holen, was machst du dann?«

»Aber ich habe dir ein Bier geholt!«

Eine Hand entwand mir den Krug und bot ihn Frunlinde hilfreich dar. Ich schloss die Augen und nahm es hin, dass der Rest lauwarm durch meine kurzen Strähnen und in den Kragen meiner Tunika rann.

»Du hast mir kein Bier geholt. Du hast mir Bier über den Kopf geschüttet«, klang es gefährlich leise in das Tropfen hinein.

»Du hast mich einen darpatischen Ochsen genannt!«, rechtfertigte ich mich, mehr vor den anderen als vor ihr.

»Ich nenne dich, wie ich will. Ich bin Thorns Altgesellin. Ich bin seit sieben Jahren hier – so lange wirst du es nicht schaffen.«

Was soll’s.Ich war schließlich schon nass und blau geschlagen, also sagte ich gleichmütig: »Natürlich nicht. Weil er mich vorher zur Meisterin macht.«

Der nächste Schlag traf meinen Magen. Wieder stöhnte ich vor Schmerz, Tränen schossen mir in die Augen, und ich beugte mich keuchend vornüber. Sie ließ mich los – ließ mich zu einem Häufchen Stolz und Dummheit zusammensinken.

»Wenn du wieder stehen kannst, hol mir ein Bier, Answinistin.«

»Answina. Answinlieb«, murmelte es um mich herum, aber ich sah nicht auf. Ich wartete darauf, dass sich der Schmerz in meinen Eingeweiden und meinem Gesicht legte und fixierte die schmutz- und rußgefüllten Fugen zwischen den Dielen der Gesellenstube. Irgendwann stand ich auf und füllte Frunlindes Bierkrug. Zähneknirschend, doch bemüht gleichmütig stellte ich ihn vor ihr ab, kehrte meinen lachenden Mitgesellen den Rücken und verließ die Stube.

Kurz stand ich draußen vor der Tür des Gesellenhauses, lauschte dem angetrunkenen Lärm der anderen und haderte mit mir und meiner mangelnden Fähigkeit, mir Freunde zu machen. Vorsichtig massierte ich mir den Kiefer und betastete hoffnungsvoll meine Zähne. Sie saßen noch fest – kaum auszudenken, wenn ich einem meiner Mitgesellen die Freude verschaffen würde, sich als Zahnreißer zu versuchen!

Ich schüttelte den Kopf, wobei Schmerz in meinem Genick aufflammte, und statt in die Schlafkammer zu gehen, beschloss ich, mich noch ein wenig in den Schmieden herumzutreiben.

Thorn Eisingers Schmieden.Der Stolz, der mich so oft in Schwierigkeiten brachte, flammte wieder auf. Für meinen Geschmack war diese Stadt viel zu groß, das Handwerk wurde von den Zünften streng reglementiert, die Zahl der Gesellen und Lehrlinge, ja, sogar der beschäftigten Meister schier unüberschaubar – von manchem Handwerk, das in Gareth ausgeübt wurde, hatte ich noch niemals zuvor gehört –, aber dennoch war ich hier am vorläufigen Ziel meines Ehrgeizes angelangt.

Thorn Eisingers Schmieden.

In der Werkhalle glomm noch Licht, also näherte ich mich dem Tor. Vor der Glut einer Esse zeichnete sich Thorns verschattete Gestalt ab – er war unschwer zu erkennen, denn seine Silhouette verwechselt man nicht mit der eines anderen Mannes. Höchstens mit der eines Ogers.

Er war ins Gespräch vertieft, mit einem weitaus kleineren und schmaleren Mann, wenngleich man auch dessen Statur die körperliche Betätigung ansehen konnte, und hielt die breiten Hände über die Kohlen, als wollte er sie wärmen. Das Gerücht, dass er seit seiner Berufung zum Ratsherrn nur selten zur Arbeit am Amboss kam, hatte ich in den vergangenen Wochen rasch bestätigt gefunden. Dennoch nutzte er die Gegenwart des vertrauten Handwerkszeugs, um nachzudenken und wichtige Gespräche unter vier Augen zu führen.

Von denen ich gerade eines belausche, kam es mir in den Sinn, doch das Geräusch eines Gesellen oder Lehrlings, der den Abtritt aufsuchte, ließ mich unwillkürlich noch tiefer in die Werkstatt hineinschlüpfen. Ich kauerte mich in die Gerümpelecke, wo alles landete, was nicht mehr zu gebrauchen war, und hockte mich neben einen alten Amboss, dessen Kanten so rund waren, dass er nicht einmal einem Lehrling zu etwas getaugt hätte.

»… verdächtigen die unzünftigen Handwerker. Aber ich sage dir, Thorn, alle, auf die ich ein Auge habe, gehen im Moment unbesorgt ihrem Tagwerk nach, und das würden sie nicht tun, wenn sie gestern eine Reliquie gestohlen hätten.«

»Muss es denn ein Handwerker gewesen sein?«, fragte Thorn mit einem Seufzen, und ich spitzte die Ohren.

»Nun, die Vermutung liegt nahe. Die Reliquie war in einem Teil des Tempels, der gerade restauriert wird. Sie hat mitsamt ihres Behältnisses die abstürzenden Splitter unbeschadet überstanden, daher hat man sie an Ort und Stelle belassen, obgleich ein Dachbogen in der Apsis eingestürzt ist.«

»Welche ist es denn?«

»Die Hand des heiligen Rhÿs. Sie sagen, es gingen alle möglichen angestellten Handwerker ein und aus. Es könnte sich auch jemand dort eingeschlichen haben. Aber weißt du, was ich glaube, Thorn?«

Thorn antwortete nicht, sondern wartete einfach ab – in der Gewissheit, der andere würde ihn nicht allzu lang auf die Folter spannen.

»Ich glaube, sie könnte schon länger fort sein – der Meister der Esse würde das nur niemals zugeben wollen. Denn hör, ich weiß aus sicheren Quellen, dass die goldene Hand, in der sich die Reliquie befand, noch eingeschlossen in der Truhe lag.«

»Jemand stiehlt die Knochen eines Toten und lässt das Gold dort liegen. Das lässt nichts Gutes vermuten«, knurrte Thorn und drehte seine Hände nahe der Glut herum, vermutlich, um nun die Handrücken zu braten. Die Jahre schienen es mit sich gebracht zu haben, dass er beinahe vollständig unempfindlich gegenüber Hitze geworden war.

»Aber ich würde vermuten, das ist Sache des großen Tempels. Zu unterstellen, dass die SchäfchenmeinesTempels die Reliquie geraubt haben, ist infam!«

Thorn atmete langsam und hörbar aus. »Ich werde mit dem Meister der Esse sprechen. Es wird sicher Nachforschungen geben, und je mehr du dich einverstanden zeigst, desto eher wird man dir und deinenSchäfchenGlauben schenken.«

»Ja. Ja, das ist wohl so. Danke, Thorn. Einen schönen Abend noch.«

Ich zog in der Dunkelheit den Kopf ein und hielt mit dem Geruch alten Eisens in der Nase den Atem an, als der Vorsteher des Handwerkstempels in Eschenrod an mir vorüberging. Es kam mir vor, als stünde Thorn noch Stunden an der Esse und grübelte, doch als die Glut allmählich verlosch, wollte ich es wagen, mich wieder aus der Halle zu schleichen – wäre da nicht eine Stimme hinter mir ertönt, die mich erneut zusammenzucken ließ. Mein Magen schmerzte wieder, erinnerte mich an Frunlindes Schlag, als ich die Stimme einer Frau zuordnete – doch es war nicht die Altgesellin, sondern Rhyssana Eisinger, Thorns Tochter und Erbin seiner Kunst.

»Ich wollte abschließen, Vater. Gönne Boron die Stunden der Nacht!«

Der schwarzbärtige Mann, der sich an der Esse umwandte, lächelte kurz und nickte dann. Schicksalsergeben blieb ich zusammengekauert, während Rhyssana das Tor hinter ihrem Vater verschloss.

[Ulfberth von Moorauen, HES 1035 BF]

Der kleine runde Mann sieht mich mit einem hundeartigen Blick an. »Ich würde mich … sehr freuen, wenn wir miteinander ins Geschäft kommen würden.«

Ich überlege einen Moment, ob es angebracht ist, ihn zu fragen, welches Vergehens er sich schuldig gemacht hat – am Ende halte ich meinen Hals für etwas hin, das Rondra mit dem sicheren Tod bestrafen wird;meinemsicheren Tod. Schwertmeister Adersin, in dessen klammen, feuchten Mauern wir uns befinden, sieht mich prüfend an. Die Schwertschule im garethischen Stadtteil Bardewick wird gemeinhin »der Karzer« genannt, und das nicht zu unrecht, denn die Luft riecht immer noch, als hätten einst hier schmorende Gefangene sie ausgeatmet.

Ich besehe mir den Kontrakt.

»Herr … Hultinger«, beginne ich vorsichtig, »Ihr habt Euch in dieser Angelegenheit aber nicht an … Rondra oder Travia versündigt, oder?«

Es wäre schlecht, wenn mich der Vertrag in Travias Gunst noch weiter absteigen lässt. Meister Erlan Adersin nickt ganz leicht, kaum wahrnehmbar, und die Augen zwischen seinen Altersfalten glitzern belustigt.

»Nein, nein, keineswegs!«, schnauft Hultinger. »In dieser Angelegenheit verdächtigt mich Eure Kontrahentin … sie verdächtigt Phex, seine Hand im Spiel gehabt zu haben. Ich habe Zeugen, doch gegen adligen Leumund vor Gericht zu bestehen, ist nicht leicht. Deshalb ersuchen wir Praios selbst um Gerechtigkeit.«

»Wen, wenn nicht ihn? Und die Herrin Rondra wird vermutlich ebenfalls beteiligt sein. Sagt, Eure Klägerin – stellt sie ebenfalls einen Kämpfer?«

»Nein, die Klägerin wird selbst kämpfen. Und ich bezweifle, dass sie einen besseren Kämpfer als sich selbst auftreiben könnte.«

Ich werfe Adersin erneut einen Blick zu, er schenkt mir ein scharfes Lächeln unter seinem gepflegten Schnurrbart – nein, ich werde nicht fragen, gegen wen ich kämpfen muss, am Ende überlege ich es mir noch anders, und das können weder ich noch meine Schulden gut gebrauchen.

»Meister Adersin hat Euch empfohlen. Kommen wir ins Geschäft?« Die Äuglein des fetten Händlers flehen mich an, seine stumpfe kleine Nase und die Hängebacken lassen mich an die speckigen Schoßhündchen denken, die hier in Gareth häufig herumgetragen werden.

Ich nicke langsam, nehme die Feder und lasse sie einen Augenblick in der Tinte ruhen.

»Wie Ihr seht, habe ich eine lange Reise gehabt und mein Gepäck … ist noch nicht eingetroffen«, biege ich die Wahrheit ein wenig. »Wäre es Euch möglich, mir ein Goldstück im Voraus zu zahlen?«

Der Händler nickt und reibt sich die schweißnassen Pfötchen. Ich ziehe die Feder aus der Tinte – in einem Anflug befremdlichen Humors hat Adersin für diese Kontrakte rotgefärbte Tinte erstanden, und es überlauft mich kurz, als ich meinen Namen unter das Schreiben setze. Junker Ulfberth Ohneland von Moorauen verdingt sich für zehn Dukaten in einem Gerichtskampf, ohne zu wissen, wer sein Gegner ist. Etwas in mir lacht herzlich auf.

Thorn Eisingers Schmiede liegt außerhalb der Altstadt im Südquartier, das so voller Schmutz, Bettler und menschlichem Unrat ist, dass ich mir Sorgen um Diebe machen würde, trüge ich mehr als meine Kleider und einen besonders schönen Anderthalbhänder am Körper.

Mein Hab und Gut.Ich kann mich eines Grinsens nicht erwehren. Der Schwertmeister und der dicke, scheinbar traviagefällige Vermieter in Rommilys waren es, die sich eines Großteils davon bemächtigt haben, zudem wiegt die Unterschrift auf dem Schuldschein nicht leichter, bloß, weil ich mich weiter von ihr entferne.

Na ja, es kann nur besser werden, habe ich mir bei der Ankunft in Gareth gesagt, und der Kontrakt mit Hultinger ist immerhin schon etwas.Junker Ohneland, so pflegte mich Schwertmeister Tannhaus zu nennen. Ich habe ihm den Spaß gegönnt, verzichtete er doch für drei Monde aufs Lehrgeld; Zita schmiedete ihm bei einem Rommilyser Meister ein Schwert, und ich investierte meine letzten goldenen Münzen in den Stahl desselben.

Als ich Anfang Hesinde in Gareth ankam, war ich ein wenig enttäuscht – die Kaiserin weilt angeblich in den Nordmarken. Doch was habe ich erwartet – dass ob der grässlichen Gerüchten aus der Wildermark Banner auf Banner Soldaten bereitstehen, um den Krieg endlich zu beenden? Dass es ein Kinderspiel wird, mein Lehen zurückzuerhalten, wenn ich mich ein wenig im Schwerthandwerk bewähre?

Von Bardewick aus betrete ich Alt-Gareth durchs Rommilyser Tor, in dessen wuchtigem Schatten man mich auf die gegürtete Waffe anspricht. Ich zeige den Siegelring der Schwertgesellen vor und ein Schreiben meines Meisters – hätte ich das Pferd noch und feine Kleidung, wäre diese Beweisführung sicher nicht notwendig gewesen. Die Knäuel aus Kindern und Straßenhunden, Schmutz und schmutzigen Kittelchen, die Bettlerin mit dem nach Fußknöcheln schnappenden Stock und ein lärmender Fischverkäufer bleiben vor dem Tor zurück – Gareth zeigt bürgerliche Eitelkeit in seinen gepflegten Gebäuden, Götterfürchtigkeit in seinen zahlreichen Tempeln, Kapellen und Schreinen und nobles Geblüt in all seinen prächtigen gepflasterten Straßen.

Dennoch – Spuren der Kriege bleiben meinen leider kundigen Augen nicht verborgen, auch wenn ich der verheerten Stadt des Lichts bisher nicht einmal einen Besuch abgestattet habe. Zwischen Händlern, Stadtgardisten, Bürgern, Passanten und schwatzenden Adelsdamen und -herren blitzen immer wieder die oft auffällig gefärbten Wappenröcke der Söldner auf. Kriegsversehrte schleppen sich zum Betteln in die Nischen, Soldaten lassen sich auf der Suche nach Zerstreuung und Anstellung durch die Straßenzüge treiben.

Ich habe mich schon mehrmals gefragt, ob ich mich als Söldling verdingen sollte. In Darpatien kämpfen, nein, ich korrigiere mich in Gedanken;umDarpatien kämpfen. Um Moorauen.

Durch das wuchtige Doppeltor zur Straße nach Punin hin verlasse ich die Altstadt wieder. Die Sonne schiebt sich hinter das Gesellenhaus von Thorn Eisinger und lässt das Südquartier in Schatten sinken. Wolken ziehen heran, als sollte dieser eisige, trockene Winter nun endlich doch ein wenig Schnee bekommen.

Ich hoffe darauf, Zita für ein paar Stunden von ihren Pflichten entführen zu können. Thorn Eisinger und seine Familie halten ein strenges Auge auf ihre Lehrlinge und Gesellen.

Meine Güte, es ist beinahe, als wäre sie nun eine Travianovizin! Sie werden sie doch wohl nicht nur noch zum Tempeldienst aus dieser verflixten Schmiede rauslassen!

Die Erinnerung an die zerschlagene Gänsestatue in Steynhus durchfährt mich wie ein Blitz. Nein, Travia habe ich genug gefrevelt in meinem Leben, vielleicht sollte ich mir etwas mehr Mühe geben – wir Darpatier werden traviafürchtig erzogen, und doch habe ich die Göttin sicher das eine oder andere Mal erzürnt.

Ich höre das vertraute Geräusch der Schmiedehämmer – aus den Schornsteinen einer weitläufigen Werkstatt steigt dunkler Rauch auf, darum herum gruppieren sich einige Baracken und ein bürgerliches Fachwerkhaus, dessen einstmals weißer Putz rußgeschwärzt ist. Sie arbeiten also noch. Das Tor im Zaun steht offen, darüber baumelt ein Wappenschild, und dem darauf abgebildeten wachsamen Zyklopenauge zum Trotz wage ich mich in den Hof und spähe in die Schmiede. Sicherlich ein halbes Dutzend gemauerte Essen umgeben etwa die doppelte Anzahl an in unterschiedlicher Höhe aufgebockten Ambossen – nicht alle davon haben die gewohnte Form, genügend bestehen einfach nur aus einem Metallklotz, an dem sich Lehrlinge versuchen.

Es riecht nach Stahl und Kohle, und ich bemerke, wie sehr ich diesen Geruch liebgewonnen habe. Wie sehr ich ihn mit Zita verbinde. Ich entdecke ihren kupfernen Schopf, die meisten anderen Gesellen überragen sie um ein gutes Stück.

»… froh über deine Einsicht. Es taugt also nichts«, sagt ein Mann, der nur wenige Jahre älter sein kann als ich, mit struppigem blonden Haupthaar und Bart. Überall wuchern ihm Haare – sogar auf den kräftigen Fingern. Feron Eisinger, Thorns Sohn, der im Ruf steht, ein exzellenter Rüstungsschmied zu sein. Ich sehe von hinten, dass Zita nickt, aber an der Anspannung in ihren Schultern merke ich, dass diese Bewegung außerordentlich quälend für sie ist. »Weshalb taugt es nichts?«

»Die Maße sind falsch«, presst sie hervor, und ich kann mir ob ihres Stolzes ein Grinsen nicht verkneifen.

»Der Darpatier wieder«, spricht mich eine stämmige Rothaarige an einem Amboss an, die zwei, drei Lehrlinge um sich geschart hat. »Zita arbeitet.«

»Entschuldigung.« Mit einem Lächeln wische ich den Vorwurf aus Rhyssana Eisingers Gesicht.

»… hätten dochkommenkönnen und mir die Maße nennen können!«

»Du bist hier nicht mehr in einer Dorfschmiede im Nirgendwo! Sie haben einen Brief übersandt, in dem der Auftrag genau beschrieben war!«

Zita dreht sich um, und wirft der derben Altgesellin, die mit breitem, schadenfrohem Lächeln in ihrer Arbeit innegehalten hat, einen ihrer bitterbösesten Blicke zu. Dabei entdeckt sie mich, und in ihren Augen erwacht Scham darüber, dass ich diese Standpauke mit anhöre.

»Ich konnte den verdammten Brief nicht lesen!«, schreit sie Frunlinde an.

Feron Eisinger erwidert diesen Gefühlsausbruch mit einer geringschätzigen Miene.

»Frunlinde hat ihn mir vorgelesen.« Zita fährt erneut herum. »Du hast ihn mir falsch vorgelesen!«

»Du musst es dir falsch gemerkt haben, Gesellin Zita«, lächelt die andere, und ich ahne, dass ich den strategischen Rückzug antreten sollte, und begebe mich vor das große Tor der Werkstatt. In den umliegenden Baracken kann ich die Schwertfeger und Gehilzmacher bei den Vorbereitungen für den Feierabend beobachten – hier sind die Waffenschmiede nur ein Glied einer Kette, an deren Ende die fertige Waffe steht. Ich nehme auf dem Rand eines Brunnens Platz, neben dem einige schmutzige hölzerne Eimer warten, und tue es ihnen gleich.

[Zita, in Eisingers Schmiede]

Einige Momente ertrug ich die teils höhnischen, teils tadelnden Blicke noch, dann nahm ich die Klinge, an der ich in den letzten Tagen gearbeitet hatte, und warf sie in den Gerümpelhaufen, in dem ich die Nacht durchfroren hatte. Dem Scheppern nachhorchend, wandte ich mich zu Frunlinde um und zischte: »Das klären wir noch!«, dann trat ich nach draußen, wo Ulfberth in der launischen Winterluft wartete.

Seine besorgte Miene verflog, und er schenkte mir ein Zwinkern. »Na, Feierabend?«

Ich widerstand der Versuchung, einen der Eimer beiseite zu treten.Wenn er nicht so einen verdammt guten Ruf hätte, dieser Thorn …Ich verbot mir, den Gedanken zu Ende zu denken, lächelte munter und trat mit wenigen Schritten in Ulfberths Arme. Ich versuchte, die trübsinnigen Gedanken zu vertreiben, doch seinem Kuss gelang es besser als mir selbst.

»Ich weiß nicht, ob ich heute noch hinaus darf.«

»Warum nicht? An einem ganz gewöhnlichen Rohalstag bedarf man deiner doch sicher nicht mehr?«

Ich rang mir ein Lächeln ab. Eine Frunlinde, die nun schon seit ungezählten Jahren nicht übers Altgesellinnendasein hinauskam, würde mir nicht vergällen, dass ich nun hier war – beim Heldenschmied in Gareth. Und auch, wenn sich die anderen Gesellen und ihr Liebchen Ingrobold, dieser tumbe Klotz, auf ihre Seite schlagen würden.

»Ich werde in einem Gerichtskampf kämpfen«, bemerkte Ulfberth nebensächlich und wollte mich mit sich ziehen. »Von Osten kommen Schneewolken.«

Osten.Wir schwiegen beide und blickten in den stahlgrauen Himmel.

Ein Teil von mir wollte alles vergessen, was ich in den letzten Monaten über denOsten, über die Wildermark gehört hatte. Die Wildermark ging erneut in einem Meer aus Stahl und Blut unter. Man erzählte sich von einer Frau, die auf einem Drachen ritt. Manche behaupteten gar, Lutisana von Perricum mische sich auf ihre alten Tage noch einmal ein und verkaufe alles, was sie erobert, an den Meistbietenden. An Barone. An Kriegsfürsten. Vielleicht sogar an Helme Haffax, wer konnte das schon sagen?

»Ein Gerichtskampf – wie … bis zu welchem Blut?«, lenkte ich mich mit einem beinahe noch unschöneren Thema von meinen düsteren Gedanken ab.

Ulfberth druckste herum, grinste jedoch zuversichtlich.

Wieder schwiegen wir eine Weile. Meine Finger wurden kalt, ich ballte sie zu Fäusten.

»Gerichtskämpfe gehen nicht bis zu irgendeinem Blut. Sie haben ihre eigenen Mechanismen. Aber da ich nur der Stellvertreter des Beklagten bin, wird man sicherlich davon absehen, mich absichtlich zu töten.«

»Absichtlich! Töten!«, drohte ich ihm und machte mich von ihm los.

»Es hat auch etwas … von einem sportlichen Wettstreit.« Er sagte es leichthin, aber seine Augen sprachen von dem entbehrungsreichen Leben ohne Geld und Lehen, und ich wusste, dass er funkelnde Dukaten dafür sehen würde. Thorn bezahlte wenig, in Gareth war auch der Lohn für zünftige Handwerksgesellen gering – doch diesen hieß es ohne Murren anzunehmen, denn wandte man sich den unzünftigen Handwerkern zu, wurde das Leben noch unsicherer. Und niemand gab etwas auf die Fähigkeiten, die man dort erlernt hatte.

»Zita«, hörte ich die Stimme Ferons vom Tor der Schmiede. »Du wirst aufhören, mit deinem Liebchen zu plaudern und aufräumen. Sag ihm, er kann wiederkommen, um dich das Lesen zu lehren, falls er es selbst kann, alles andere …«

Ulfberth räusperte sich. »Verzeiht, Herr Eisinger, obgleich ich als Junker selbstverständlich schreiben kann, würde es mich mehr freuen, wenn ich Eurer Schmiedegesellin einen … Gelehrten zu diesem Zweck bestellen dürfte. Nach dem Aufräumen selbstverständlich. Ich habe da schon einen … Gedanken.«

Feron sah ihn verdattert an, und ich tat es ihm nach.

Ulfberth jedoch grinste nur entwaffnend. »Ich warte am Puniner Tor.« Er nickte Feron zu. »Ich gedenke, demnächst auf Eure Kunst zurückzukommen, Herr Eisinger.«

Versöhnlich neigte Feron den struppigen Kopf und ging dann murmelnd zurück in die Schmiede.

»Ach, wie ärgerlich. Ich muss mich geirrt haben. Das hier ist tatsächlichnichtder Hesindetempel.«

»Tatsächlich nicht. Es ist der Rahjatempel.«

»Die sanfte Göttin. Wie erfreulich.« Ulfberth beugte sich herab, um mich zu küssen.

Ich kicherte und wandte ihm mein Gesicht zu. Sein warmer Atem, die Lippen, der kratzige blonde Bart – und sicherlich nicht zuletzt Rahjas Segen, der auf diesem Haus lag – erinnerten mich daran, wie selten wir uns in letzter Zeit sahen. Seine dummen Sprüche, sein Zwinkern, seine unverfrorene Art fehlten mir. Zielsicher leitete er mich von den Wasserspielen in der Tempelhalle eine Treppe hinab, aus der Wasserdampf und der überzeugende Geruch von Badekräutern und –salz in Schwaden zogen.

»Wie passend uns die Göttin hierhergeführt hat, wo ich doch zur Zeit in einem so beengten Schlafsaal mit einer schwitzenden Zwergin und zwei Zimmermännern ganz und gar unter meinem Stand nächtige! Dann lass uns doch lieber eine Weile hierbleiben.«

»Und Lesen lernen.«

»Ganz richtig.«

Ein wunderschönes Mädchen, sicherlich jünger als ich selbst, wies uns lächelnd den Weg in einen kleinen, von Kerzen erhellten Raum, in dessen Mitte ein Wasserbecken eingelassen war. Beschämt knetete ich meine Hände – ich war noch niemals in einem solchen Tempel gewesen, und die Selbstverständlichkeit der Tempelnovizin und meines Gefährten trieb mir die Röte auf die Wangen.

»Fangen wir hiermit an.« Ulfberth trat an die Wand, die mit teils atemberaubenden, teils beinahe befremdlichen Liebesszenen zwischen Männern, Frauen, Fabelwesen und Göttern geschmückt war. Durch die verschlungenen Leiber hindurch entrollten sich hineingezeichnete Spruchbänder, die dem Unwissenden die mythologische und theologische Tiefe der Begegnungen verdeutlichen sollten.

»Hier zum Beispiel haben wir ein N und dahinter direkt einen recht seltenen Buchstaben, nämlich das Y.Eine Nymphe beglückt den schwangeren Khabla, welcher Rahjas Kind Levthan im Leibe trägt.Das stelle ich mir sehr interessant vor.«

»Es sieht auch sehr interessant aus«, sagte ich, die stolzen Wölbungen des jungen Mannes betrachtend. »N und Y also. Und was kommt als Nächstes?«

»Nach dem theoretischen Lernen kommt stets die Imitation. Wie wäre es mit einer Imitation von jenem hübschen Paar dort?«

»Was steht denn da? Und was hält sie in der Hand? Einen Krebs?«

»Völlig egal«, seufzte Ulfberth, küsste mich in den Nacken und schob seine hungrigen Finger unter meine Tunika.

Das dargestellte Paar, in Wollust versunken wie in den dunklen Farnblättern des Waldbodens, die gerade eben Schoß und Brüste verdeckten, hatte die Augen und lustvoll geöffneten, feucht schimmernden Lippen einander zugewandt. Obgleich das Bild die meisten Details versteckte, hatte der Maler alles eingefangen, was es beim Liebesspiel einzufangen galt. Während ich darin versank, versank Ulfberth in meiner Tunika, berührte mich darunter mit seinen Händen, als trüge ich nichts mehr am Leib.

Wir hatten es eilig, dem Hunger nachzugeben und uns aus unserer Kleidung zu schälen. Ich lachte, als wir uns neckend in das kleine Badebecken trieben, das uns Ulfberths nicht zu knappe Spende an die sanfte, zeitverschwendende, lustvolle Göttin verschafft hatte.Davon hätte man sicher auch ein Zimmer bezahlen können, dachte ich.Aber kein Bad.

Ich fühlte, wie das Wasser den Schmutz der Arbeit von meiner Haut nahm, ließ meine Blicke weiterhin von den in walddunklen Tönen gehaltenen Fresken des Raumes fesseln – nur die weißen Leiber der heimlichen Paare blitzten hervor.

»Wünscht ihr noch etwas?«, fragte die aufmerksame Tempeldienerin an der Tür.

»Tatsächlich nichts. Außer vielleicht einen Schluck Wein?«, antwortete Ulfberth, nackt und wenig schamhaft, während er ins Wasser stieg, von dem ich hoffte, dass Ruß und Schweiß von meiner Haut es nicht schon dunkler gefärbt hatten.

»Gern. Möge Rahja Euch schöne Stunden schenken.«

»Möge sie das Wasser nicht zu schnell kalt werden lassen«, zwinkerte Ulfberth und zog mich zu sich heran, während das Wasser bedrohlich auf den Fußboden schwappte. Wir waren hungrig und durstig aufeinander, und Rahja ist bekannt dafür, Bedürfnisse aller Art zu stillen. Während wir uns im Wasser kichernd liebkosten, vergaß ich bereits all die im Tempel anwesenden Augen und Ohren, und vielleicht war es wirklich Rahja, die dafür sorgte, dass wir trotz unseres Hungers nicht zu gierig darauf waren, satt zu werden.

[Ulfberth von Moorauen, HES 1035 BF]

»Gesellin zu sein, bedeutet auch, Junggesellin zu sein, mein Lieber«, erinnert sie mich, während sich ihr schlanker nackter heller Körper wie ein Geist im Wasser räkelt.

»Und das bedeutet wiederum, dass du Tag und Nacht wie eine Leibeigene auf Thorns Grund und Boden bleiben musst?«, frage ich spöttisch und leere den Weinbecher. Das Wasser ist tatsächlich noch warm, der Wein jedoch ist kühl in meiner Kehle.

»Nein, das bedeutet es nicht. Aber es bedeutet, dass er dich nicht gern dort sehen wird. Wir sollten uns an einem anderen Ort treffen.«

»Im Traviatempel. Da können die Geweihten dann auch ein Auge auf uns haben«, scherze ich, doch der Gedanke an die Göttin des Herdfeuers macht mich erneut nervös. Ich sollte ihrer nicht spotten. Schon gar nicht in einem Tempel ihrer freizügigen Schwester.

Sie windet sich unter meinem Blick. Sie hat ja recht – Gesellenzeit ist Junggesellenzeit. Es gibt Gesellen, die heiraten, gerade, wenn eine Schwangerschaft in den Weg gerät, doch meist ziehen sie dann mittellos von Anstellung zu Anstellung, mit ihrer Familie im Schlepptau. Nein, ich sollte mich gedulden.

Heißt das auch, dasssich Rahja gedulden soll?Rahja, Tsa und Travia, alle miteinander enthaltsam für die nächsten Jahre.Und ich mit ihnen.

Ich seufze und lache gleichzeitig, weil ich weiß, dass ich niemals so geduldig sein werde – nicht, solange ich mich an Stunden wie diese erinnern kann. »Und um einen Moorauenerben können wir uns kümmern, wenn wir uns um Moorauen gekümmert haben.«

Sie schnauft und wendet den düsteren Blick ab. »Ich glaube nicht, dass es mit mir Kinder gibt, und schon gar keinen Moorauenerben! Ich habe Besseres vor in meinem Leben, als am Ende noch im Kindbett zu sterben!«

Sie verschränkt die Arme – auch mir kommt das Wasser nun merklich kälter vor.Vorbei die schönen Stunden,seufze ich innerlichund möchte das Thema ungern weiter verfolgen, ahne ich doch, dass wir uns uneins sind. »Ich glaube nicht, dass sich Tsa da von deinem Sturkopf beeinflussen lässt«, lächle ich, doch sie lässt sich nicht beirren: »Berill hat einen Traviafluch über mich ausgesprochen. Für eine so ehrenvolle Aufgabe wie das … Austragen eines Moorauenerbens bin ich schlecht geeignet.«

Sagt sie so, als wäre ich besser beraten, sie einfach hier im Bad sitzen zu lassen und mir jemand anders zu suchen.

»Und der Gedanke an so einen Traviafluch, der macht dir keine Angst, nein, der kommt dir entgegen, ja? Wie ungemein nutzbringend!« Beleidigt stehe ich auf und entsteige platschend dem Bad.

Ja, es stimmt, dass Berill einen Fluch über Zita aussprach, weil sie sich, ihr ungeborenes Kind und ihren toten Mann von Zita verraten fühlte.Stets Travia, erinnere ich mich ungern, aber nur zu deutlich. Zita sieht weg und bleibt sitzen, der Weinkrug ist umgefallen. Schließlich, als ich mich bereits abtrockne, murmelt sie, beinahe unhörbar: »Gut. Es tut mir leid.«

Ich verzeihe leicht, vor allen Dingen nackten Frauen, also beuge ich mich versöhnlich zu ihr hinab und küsse sie auf die Stirn. »Dann ist doch alles wunderbar: Kein Moorauen und keinen Erben, Junggesellin bis zu deinem Meistertitel, und Tsa sieht weg und erspart dir Scherereien. Wenn du eine Schmiedemeisterin bist, dann werden wir weitersehen.«

Die Frage, was in der Zwischenzeit mit Moorauen geschieht, wird sich mir vorerst nicht beantworten. Nicht, solange ich im Rahjatempel bin und eine Junggesellin vernasche.

Eine darpatische Abreibung

[Zita, in Eisingers Schmiede]

Um die Klinge in den gewünschten Maßen zu fertigen – sie war wesentlich kleiner, als ich angenommen hatte, offenbar sollte sie als Geschenk für einen Pagen oder dergleichen herhalten – musste ich am nächsten Tag bis in die Nacht hinein arbeiten. Die Klinge sollte eilig den Schwertfegern übergeben werden, denn sonst würde sie nicht rechtzeitig fertig werden. Ich wiederholte die Prozedur, die ich am Vortag bereits mit den falschen Maßen durchgeführt hatte, achtete nicht der Sticheleien, mit denen Frunlinde mich bedachte, und beließ den kleinen schlanken Degen, nun noch in einer Dicke, die der Schwertfeger erst einmal herunterschleifen würde, auf der Werkbank. Am anderen Tag würde ich noch Feinarbeit durchführen und dann den Härtungsprozess nach dem Schleifen überwachen – denn das war der kritischste Punkt, und ich wusste, dass Rhyssana, die sich besser auf Klingen verstand als ihr Bruder Feron, mich gut im Auge behalten würde.

Nun, da die Konzentration nachließ, fühlte ich den Staub in meinen Nasenlöchern, den Muskelschmerz in Handgelenk und Arm – und auch die wieder aufwallende Wut auf Frunlinde. Ich betrachtete den Degen – welcher junge Edelmann würde ihn führen? Und wie alt mochte er sein, dass man eine Waffe für ihn fertigen ließ, kaum länger als mein Unterarm?

»Na, bringst du uns heute wieder Bier, Answinia?«, stichelte Ingrobold, als ich den Hof überquerte.

»Ich glaube, ich bin heute zu müde, um euch Gesellschaft zu leisten. Eure öden Witze würden mich einschläfern.« Ingrobold war Gehilfe des Schwertfegers – Gehilfe, wohlgemerkt, nicht Geselle, und er verdankte selbst diese Position nur Frunlinde, deren Wort etwas galt in Thorns Werkstatt.

Ich überlegte, Frunlinde einige Nägel auf ihr Lager zu streuen – die Kammer der Altgesellin war nicht verschlossen, dennoch wollte ich mich nicht solcher Heimtücke bedienen. Nein, eigentlich wollte ich ihr ganz darpatisch auf die Nase hauen – ohne die Unterstützung ihrer Freunde würde ich mich sicherlich als kampferprobter erweisen als sie. Ich würde ihr schon zeigen, warum man sich nicht mit den Wildermärkern anlegte.

Frunlinde heulte schrill unter meinem Schlag. Meine Fingerknochen knackten, doch ihr Nasenbein knackte endgültiger. Das Bier hatte sie zum Abtritt getrieben, und ich hatte meinen Vorsatz wahrgemacht, während sich die ersten dicken Schneeflocken über Gareth senkten. Heimtückisch, aber nicht gänzlich unrondrianisch hatte ich sie in einem Zweikampf im Dunkeln besiegt.

Sofort knallten Türen, knarzten Stiegen, und Rufe wurden im Hof laut. Der Erste, der bei uns war, war Ingrobold, der die Nacht wie stets in Frunlindes Kammer verbracht hatte. Er zerrte mich an den Haaren von der heulenden und sich die blutende Nase haltenden Frau herunter und schleuderte mich zu Boden. »Ich schlag dich tot, du kleine Hündin!«, brüllte er und trat mir in die Seite, als ich mich mühte, wieder auf die Beine zu kommen. Erst jetzt schlug der Triumph in Angst um. Er kniete sich hin, packte mich mit wutverzerrter Fratze am Kragen und schlug seine Stirn gegen meine. Ich teilte einen unbeholfenen Hieb gegen seinen massigen Brustkorb aus.

»Nicht – Ingerbald!«, rief Frunlinde dumpf. »Weg von ihr! Der Meister kommt!« Sie wankte zu uns herüber und zerrte an Ingrobolds Schulter. Eine seltsame Sorge stand in ihrer Stimme, die ich selbst durch den Schmerz in meinem Schädel wahrnehmen konnte.

Als Thorn im Nachtgewand bei mir ankam, verzog sich Ingrobold bereits die Stiege hinauf, die Altgesellin jedoch zögerte nicht, mich mit Beschuldigungen zu überhäufen.

»Kindisches Geschwätz!«, dröhnte Thorn durch die Nacht, ich senkte den Kopf, in einer Mischung aus Demut und dem Versuch, mein grimmes Lächeln zu verbergen. »Langsam glaube ich, Zita, du bist nicht aus Rommilys hergekommen, sondern … aus dem Orkland oder von einem plündernden Thorwalerschiff! Jetzt sieh mich an!«

Aber der Sieg über Frunlinde hatte mich hochmütig werden lassen, und ihre Stimme, die Gift und Galle spie, trieb mich weiter an.

»Ich habe beim Meisterschmied in Zweimühlen und einem Zwerg gelernt. Ich habe Sternenmetall geschmiedet. Ich habe der Kirche des Ingerimm einen großen Dienst erwiesen. Ich werde mich nicht von einer Altgesellin, die es nie zum Meister gebracht hat, an der Nase herumführen lassen, und je früher sie es weiß, desto besser!«

Er schlug mich ins Gesicht. Auch diesen verdienten Schlag nahm ich hin und blinzelte mir nur eine winzige, stolze Träne weg. Seine Augen funkelten dunkel, als er sagte: »Die nächsten drei Tage wirst du wieder wie ein Lehrling arbeiten, um über deinen Hochmut nachzudenken. Du kannst jetzt schon anfangen.«

[Ulfberth von Moorauen, HES 1035 BF]

Hultinger ist Zeit eingeräumt worden, um sich am Schwert zu schulen – er hätte sich sicherlich gern der Unterstützung Adersins versichert, doch dieser behält es sich vor, nur Adlige zu unterrichten. Ganz davon abgesehen, dass man Hultinger mit kundigem Blick sofort als jemanden einstufen kann, der sich in seinem Leben niemals durch körperliche Betätigung hervorgetan hat, weigert sich jedoch auch seine Klägerin, mit einem einfachen Bürger die Klingen zu kreuzen und fordert einen in Praios‘ Auge gleichwertigen Stellvertreter. Es ist statthaft, einen solchen zu benennen – die Adersinbrüder selbst sind in ihren Jugendjahren dadurch zu Ruhm gelangt.

Davon profitiere nun ich – es sei denn, der Kampf wird tatsächlich bis zu meinem Tod ausgefochten. Gerichtskämpfe enden, wenn einer der Gegner tot, kampfunfähig oder außer Rand und Band ist, also aus dem Kampfring ausgebrochen oder darüber hinwegbefördert.

Adersin lässt mich immerhin als Generalprobe gegen einen seiner Lehrlinge antreten, der unmittelbar vor der Gesellenprüfung steht, um sich mit meinem Kampfstil vertraut zu machen. Der Schwertmeister wird mein Sekundant sein und mir von außerhalb der Schranken beistehen. Heute jedoch hält er sich zurück und sieht lediglich aufmerksam zu – ich bemerke sofort, dass die bis in die Instinkte eingebläuten Regeln, nach denen die Kämpfe seiner Schwertgesellen funktionieren, sich von den meinen geringfügig unterscheiden. Es braucht seine Zeit, bis wir abseits der einfachen Huten und Versatzungen, der Finten und des Erprobens einen gemeinsamen Stil finden – wie zwei Tänzer, die unterschiedliche Tänze tanzen, begegnen sich zwar unsere Klingen, doch es vergehen einige schweigende Momente, in denen wir den anderen auf die Probe stellen, um uns aneinander üben zu können. Mein Gegner beantwortet meinen Mittelhau unverhofft mit einem Avesjünger, indem er nach hinten ausweicht und das Band vermeidet, um nach meiner Blöße zu schlagen. Ich bringe meine Klinge zurück und zwinge ihn ins Band, aus dem er jedoch geschickt die Spitze herauswindet, um damit nur knapp meinen Hals zu verfehlen. Ich schätze mich glücklich, dass die Waffen heute nur aus Holz sind – bei Gerichtskämpfen ist das nicht der Fall, und ich habe bereits in Erfahrung gebracht, dass wir uns ungerüstet in einfacher Leinenkleidung duellieren werden. Jedoch sprach der Beklagte, der mich zu bezahlen gedenkt, davon, dass ein heilkundiger Diener der Peraine anwesend sei, um das Ärgste zu verhindern. Ich wäre jedoch weder der Erste noch der Letzte, der bei einem solchen Ersuch um das Urteil der Götter sein Leben lassen würde. Mit einem seitlichen Schritt und einem Druck gegen die Stärke des Schwerts verschaffe ich mir wieder Luft, lasse die hölzerne Klinge über die seine gleiten, fange sie mit meiner Parierstange und steche ihm dabei beinahe mühelos gegen die Brust. Er weicht mit einem erschreckten Laut zurück und presst die Lippen zusammen, lächelt mir dann jedoch zu – der Kampf geht weiter. Unsere Klingen treffen sich im Oberhau, er legt Kraft hinein, um meine hölzerne Klinge beiseite zu schieben, und ich gebe ihm einfach nach, durchwechsle seitwärts mit einer klassischen Windmühle und treffe ihn an der Schulter. Adersin nickt uns zu und beendet das kurze Gefecht. Die Konzentration klopft in meinem Kopf nach – der Schlagabtausch war kurz, verlangt jedoch stets einen Geist, der gespannt ist wie eine Bogensehne.

»Ist es wichtig zu wissen, gegen wen ich kämpfe?«, frage ich Meister Adersin, doch dieser schüttelt den Kopf. »Das ist nie wichtig. Du kannst mich natürlich fragen, dann werde ich dir seinen Namen nennen, und du wirst in Erfahrung bringen, ob er groß ist oder klein, bei wem er gelernt hat und wie lange. Du wirst dir Strategien gegen ihn überlegen, der Kampf wird sehr kopflastig sein, und vermutlich wird er dich mit einem intuitiven Treffer nach wenigen Minuten überwältigen und dabei hoffentlich dein Leben verschonen.«

»Nun gut« Ich grinse. Adersin hat eine Art an sich, die mir gefällt. Einen düsteren, beinahe schon etwas boshaften Humor, der mit dem modrigen Gefängnisturm harmoniert, in dem er seine Schüler unterrichtet.

»Du kämpfst ohnehin schon zu verkopft.« Er winkt eine junge Frau heran, durch Kleidung und Haltung als Kind reicher Eltern zu erkennen, die sich mit leichtem Tritt in die Mensur begibt. »Das muss nicht schlecht sein. Aber gegen manche Gegner wird es nicht helfen. Tsanja hier wird dich besiegen.«

Sie verbeugt sich mit einem überlegenen Lächeln und nimmt mit dem Holzschwert die Schelmenhut ein.

»Fein. Warum kämpft sie dann nicht für Hultinger?«

Sie schnalzt mit der Zunge. »Weil ich mich nicht für Gerichtskämpfe verdinge. Schon gar nicht auf der falschen Seite.« Mit diesen Worten hebt sie das Schwert so rasch in die Nandushut neben ihrem Kopf, dass die Klinge durch die Luft pfeift.

[Zita, bei der Lehrlingsarbeit]

Ich musste bis in die Abendstunden hinein die Schmiede fegen. Die Altgesellin hatte meinen Degen fertiggestellt und ihr Zeichen in meine Klinge gesetzt. Danach hatte sie einen freien Tag erhalten, vermutlich, damit wir einander nicht erneut an die Gurgel gingen. Mein Groll, ihr Zeichen auf meiner Arbeit zu sehen, kam jedoch nicht gegen die Befriedigung an, Frunlinde ehrlich bezwungen zu haben. Rhyssana hatte mir hingegen unmissverständlich mitgeteilt, was geschehen würde, wenn ich mir jemals wieder so etwas gegenüber einem anderen Handwerker herausnehmen würde. »Achte auf deinen Ohrring, Gesellin!«, hatte sie gesagt und mich damit an die Gesetze der tippelnden Handwerker gemahnt, während ich den ganzen Tag mit einem Lehrling Barren zurechtgeschlagen hatte. »Hochmut kommt vor dem Fall.«

Als die Werkstatt verlassen war und nur ich mich noch scheute, in die Gesellenkammer hinaufzusteigen, betrat ein alter Bekannter die Schmiede.

»Ingerimm zum Gruße!«

»Gernot! Wie schön, dich zu sehen«, begrüßte ich den jungen Ingerimmgeweihten ehrlich, der mir bereits in einem Orklager in der Wildermark beigestanden hatte und einige Monde vor mir in Gareth eingetroffen war. Er bot eine willkommene Abwechslung von der Lehrlingsarbeit – und jemand, dem die Eisingers keine missbilligenden Blicke zuwerfen würden.

Er seufzte. »Das kann ich nur erwidern. Leider gibt es Streit zwischen den beiden Ingerimmtempeln.«

»Ich weiß. Willst du zu Thorn? Ich glaube, er kümmert sich bereits darum.«

»Ich wollte mit Thorn beim Essen darüber reden. Sein Einfluss unter den Handwerkern ist groß. Wer auch immer die Hand gestohlen hat, der Tempel des Handwerks ist sicher nicht zur Rechenschaft zu ziehen. Der Meister der Esse verdächtigt jedoch nicht ganz zu unrecht. Es wurden tatsächlich einige unzünftige Handwerker für den Bau eingestellt – für den Bau des Tempels – unglaublich!«

Ich nickte geistesabwesend. In Gareth wurde sich meines Erachtens nach viel zu sehr um Streitigkeiten und Nichtigkeiten und Zünfte und viel zu wenig ums Handwerk selbst gekümmert. Wie Thorn, der doch bekannt war als der vollkommenste Schmied der Menschen, zudem begabt mit Zauberkraft, die er in seine Klingen hineinschmieden konnte – und was tat er? Stand dem Rat der Helden vor und führte an der Esse höchstens noch geistreiche Gespräche über das Wohl und Wehe der Stadt.

»Es waren Wanderarbeiter dort, aber keiner weiß mehr, wohin sie danach gegangen sind«, fuhr Gernot in meine Gedanken hinein fort. »Obwohl die eingestürzte Apsis unter Bewachung stand, ist es nicht undenkbar, dass sich einer im Getümmel der Hand bemächtigt hat.«

»Wenn der Dieb die Hand irgendwo hinbringt, dann sicher nicht in denanderenIngerimmtempel der Stadt. Das wäre …«

»Dummdreist. Also werden die Diebe wohl damit verschwunden sein.«

»Und für wen könnte eine solche Reliquie von Wert sein?«, fragte ich, während ich fortfuhr, das Leder eines Blasebalgs zu flicken. Ich hatte bereits den großen Schröter im Keller füttern müssen, der Thorns wertvollste Materialien bewachte.

»Entweder, jemand erpresst damit Geld, das erfahren wir dann früher oder später, oder ein weiter entfernter Tempel begehrt die Hand und war nachlässig und schändlich genug, um Schurken danach zu entsenden. Manche wagen es bereits, mit dem Finger auf Punin zu zeigen.«

»Sie sollten ihre Finger lieber zu handwerklichem Können bemühen, als einen Schuldigen nach dem anderen zu benennen«, murrte ich und sah, dass Gernot mich mit verdrießlicher Miene ansah.

»Dann sag mir, was die darüber denkt, die gerade einen Blasebalg flickt mit ihren handwerklich geschickten Fingern?«, spottete er mit einer tiefen Falte zwischen den Augenbrauen.

»Ich denke daran, wie und wo wir beide uns das erste Mal gesehen haben, und dass mir da noch andere einfallen, die es auf eine heilige Hand abgesehen haben könnten, und auch Gründe, weswegen«, schnappte ich und betätigte den Blasebalg vorsichtig, um zu erproben, ob ich erfolgreich gewesen war.

»Wir sind in Gareth und nicht mehr in der Wildermark.«

»Und da ist das Dämonische so weit weg«, erwiderte ich mit unverhohlenem Sticheln, »dass man grade mal hoch zur Rosskuppel laufen muss, um hineinzugucken.«

»Gut«, seufzte Gernot. »Das ist nicht einmal unwahrscheinlich, aber bislang fürchtet jeder, glaube ich, diesen Gedanken. Auch ich.« Er wandte sich bereits wieder zum Gehen, fragte dann jedoch: »Warum eigentlich erledigst du Lehrlingsarbeit?«

Ich kniff die Lippen zusammen und brachte den Blasebalg wieder in seine ursprüngliche Position unterhalb der Esse. »Wir feiern das Fest des Heilig-Aufdringlichen Gernotius‘. Da tauschen alle für einen Tag die Rollen.«

»Zita. Es war wunderbar, mit dir zu plaudern«, knurrte er und ging.

Klingentanz

[Ulfberth von Moorauen, HES 1035 BF]

Ich genieße eine abendliche Hähnchenkeule in Vorfreude auf die entweder in Kürze errungenen weiteren neun Dukaten oder den baldigen Tod, dabei schmerzen jedoch die Blessuren, die Tsanja mir beigebracht hat. Nach dem stundenlangen Training fühle ich mich nach einer guten Mütze voll Schlaf, doch ein Gedanke treibt mich noch hinauf zur Rosskuppel.

Wenig bleibt den Augen Gareths verborgen, so scheint es. Knaben und Mädchen haben den Tag über die neuesten Meldungen herausgeschrien, andere verkauften Gazetten, Pamphlete und den Aventurischen Boten. Nicht selten ging es dabei um die Taten von Ucurian von Rabenmund, Lutisana von Perricum oder anderen Bastarden, die die Wildermark in einer Zeit auf den Kopf stellen, in welcher wir den Frieden schon nah wähnten. Ich habe noch im Karzer in eine der Zeitungen hineingelesen – neben allerlei Hochzeiten der Adelshäuser wurden dort die Vorzüge der ansässigen Händler gepriesen, und Inserenten suchten nach Söldlingen, Kurieren und Bedeckung für ihre Handelszüge. Dort stieß ich auf eine befremdliche Anzeige: »Blutrot – für Varena den Tod!« forderte sie unverhohlen. »Darpatische Fürstin sucht Gefolge, um ihre Baronie zurückzuerobern. Ihr kämpft gut für den guten Sold? Meldet Euch bei den Blutroten Araniern!«

Ich habe eine Ahnung, von wem diese Worte stammen, und will dem heute noch nachgehen.Die Blutroten Aranier. Darpatische Fürstin.

Ich hoffe, dass man mir die Beulen und Blessuren der stundenlangen Übungen nicht ansieht, während ich in der hereinbrechenden Dunkelheit den Viehmarkt auf der Rosskuppel betrete. Hier wird heute nicht nur Vieh verkauft, es scheinen Musterungen im Gange zu sein, und ich möchte mich mit eigenen Augen von meiner Ahnung überzeugen.

Als ich sie erblicke, kann ich nicht anders, als mich zu ihr durchzudrängeln. So sehr habe ich mir vorgenommen, mich im Hintergrund zu halten, zu beobachten und mir einen Reim darauf zu machen, doch nun geht die Neugier mit mir durch.

»Alifa«, bringe ich hervor, als ich vor ihr stehe. Sie mustert mich auf ihre unvergleichlich herablassende Art, lächelt dann mit der heilen Seite ihres Gesichts und reicht mir die Hand.

»Ulfberth Ohneland.«

Eine frischrosige Narbe entstellt ihr hübsches Antlitz, und ich stelle mit einem plötzlichen Schreck fest, dass sie sich nicht die Mühe macht, das Holzbein an ihrem Beinstumpf zu verbergen.

»Hast dich wohl aus allem rausgehalten, dass du noch so gut aussiehst, was?«, lacht sie.

Ja, in der Tat, das habe ich.Ein Gefühl beschleicht mich, das mich ungut an Schuld erinnert.

»Was ist geschehen?«, bringe ich hervor.

»Diese Varena von Mersingen. Hat mir Sonnfeld unterm Arsch angezündet, es hat eine Schlacht gegeben, wie man sie in Liedern besingen sollte, beim schwarzen Kor!« Sie lacht heiser, doch es klingt mehr wie ein Schluchzen. »Aber ich hab hier Leute gesammelt, Ulfberth. Und noch mehr: Ich habe Fürsprecher, und in Kors Namen, ich habe auch gutes Geld, um guten Sold zu zahlen! Ich nehme mir Sonnfeld zurück, und wenn es mein anderes Bein kostet!«

»Weißt du etwas über Moorauen?«

»Ach, was weiß ich, was mit deiner lumpigen Burg ist?«, lacht sie laut und engt mein Herz damit auf die Größe eines Holzapfels ein. »Im günstigsten Fall interessiert sich diese Hure nicht für halbeingestürzte Burgen im Sumpf.«

»Moor«, sage ich lasch.

»Guter Sold, Ohneland«, fährt Alifa fort, sodass alle sie hören. »Suchst du eine Anstellung bei Alifas Araniern?«

»Weder gestern noch heute ersuche ich irgendetwas von dir, meine Teure«, gebe ich zurück, ob ihres Anblicks kämpfen jedoch alte Erinnerungen mit Erschrecken und Mitleid.

»Du lernst auch niemals aus deinen Fehlern, Ulfberth. Leid hätte uns beiden erspart bleiben können.«

Ich suche nach meiner Haltung und finde sie schließlich. »Solcherlei Grübeleien stehen dir nicht, Alifa«, lächle ich. »Du bist doch jemand, der aus allem das Beste macht.«

Sie lacht lange, bevor sie erneut die Hand ausstreckt. »Guter Sold, Ohneland. Du siehst aus, als könntest du ihn brauchen.«

»Tatsächlich? Nein, ich glaube nicht, dass du dir einen Schwertgesellen aus der Schule von Meister Tannhaus zu Rommilys leisten kannst.«

Sie winkt ab. »Auch so einer macht sich gut unter meinen Söldlingen. Ich habe gehört, auch Rommilys hat sich verändert nach dem Krieg – was war dein Eindruck? Wenig hehre Tugenden. Die Kriegerakademie dort ist nur noch eine Schmiede, der zahlreiche Klingen für die Mark entspringen sollen, nicht wahr?«

Tatsächlich beklagte mein Lehrmeister Eboreus Tannhaus den Verfall der alten Sitten. Seiner Schule fehlt es an Schülern aus dem Adelsstand, während die Kriegerschule in Rommilys Gemeine an den Waffen schult und ihnen die Grundzüge kriegerischer Taktik beibringt, wo früher das Augenmerk auf dem ritterlichen Zweikampf lag. Immerhin hat sich im ewigen Konkurrenzgerangel zwischen Tannhaus‘ Schwertgesellen und den Zöglingen derFeuerlilieauch ein Junker Ohneland keine Schande gemacht.

»Ich bin keine dieser zahlreichen Klingen und teurer, als du es dir leisten kannst«, beharre ich.Egal, welchen Preis sie zahlt, ich werde nicht in ihrem Gefolge streiten.

»Ich ziehe mit Danos von Luring, dem Ritterkönig«, sagt Alifa lockend. »Er rüstet einen Tross, solange die Kaiserin in den Nordmarken gebunden ist. Er zieht hierher, und es wird eine Heerschau geben.«

»Dann werde ich ebenfalls bei ihm vorstellig werden.«

»Und deinen eigenen kleinen Kriegszug ausrüsten? Aus wem soll der bestehen? Einer Schmiedin und einem … Pferd?«

Ich schüttle den Kopf und verschweige, dass ich die zwei Pferde schon vor langer Zeit zu Geld gemacht habe.Also nur eine Schmiedin …

»Wann zieht er los, dieser Ritterkönig?«

»Er wartet sicher nur noch drauf, dass sich ihm ein eitler Schwertgeselle anschließt«, höhnt Alifa, und einige, die uns auf dem Marktplatz umstehen, auf dem Alifa ihre Werbetrommel rührt, lachen, denn unser Disput ging nicht gerade leise vonstatten.

Ich deute eine kleine Verbeugung an. »Na dann. Ich wünsche dir viel Glück mit deinen Araniern, Alifa. Vielleicht sehen wir uns im Tross.«

»Ich freue mich auf deine Schmiedin und dein Pferd.«

Erneutes Lachen.

Ich ziehe mich strategisch zurück.

[Zita, auf dem Duellplatz in Bardewick]

Ich fürchtete mich vor dem bevorstehenden Kampf. Natürlich fürchtete ich mich – würde ich doch nichts tun können, als daneben zu stehen. Nein, eine kleine Stimme sagte, dass gefahrloses Danebenstehen eine eindeutige Verbesserung für Ulfberths Konzentration darstellen mochte – ich konnte in etwa so gut kämpfen, wie es sich für eine wildermärkische Schmiedegesellin ziemte, also gerade einmal leidlich, und das sorgte meist dafür, dass ich – meinem Stolz zum Trotz – im Kampf errettet werden musste.

Nun, heute musste er nicht mich erretten, sondern allenfalls sich selbst. Doch bevor ich noch zu ihm vortreten konnte – er war in eine farblose Leinenhose gekleidet, darüber ein enges Leinenwams, die Haare zu einem kurzen Zopf gebunden, aus dem sich keine Strähne herauswagte – sah ich, dass mir jemand zuvorgekommen war, der Ulfberths Aufmerksamkeit beanspruchte. Eine hagere Gestalt stand bereits bei ihm, die ihn schlaksig um einige Fingerbreit überragte.

Ich trat langsam näher und sah mich währenddessen auf dem Sandplatz vor dem Rommilyser Tor um. Da auch Ulfberths hochgewachsene Gegnerin solcherlei Kleidung trug – die Füße darunter nackt – ging ich davon aus, dass es sich um die übliche Duellantenkleidung handelte.

Ich hatte Abende damit verbracht, Ulfberth davon zu überzeugen, dass er nicht seinen Hals für die Ehre eines Pfeffersacks hinhalten müsste. Er täte es nicht für dessen Ehre, hatte Ulfberth geantwortet. Er täte es für dessen Geld – und dabei hatten seine Blicke Bände gesprochen.

»… erhaltet ihr Dreiviertel des Lohns«, hörte ich Ulfberths leise Stimme, als ich näher trat. Seine Augen flehten mich an, dem Gespräch nicht zu lauschen.

»Du hättest eine Anstellung bei der Aranierin haben können, mein Sohn«, sagte die hagere Frau mit dem Habitus einer Landstreicherin. Auf ihrer Stirn verharrten hartnäckig alte Pockennarben. »Wenn du hier stirbst, muss ich dem Haus Kalmbach beibringen, dass sie niemals ausbezahlt werden.«

»Das ist das Risiko, wenn man einem Schwertgesellen Geld leiht.«

»Dass er sich durch den Tod dem Zahlen seiner Schulden entzieht? Wie unfein.«

»Unfein ist es, dass Ihr mir nachspioniert, werte Dame. Geduldet Euch eine Stunde, dann werden wir weiterreden.«

»Oder auch nicht, es kommt ganz auf deinen Zustand an, Söhnchen!«

Ulfberth drehte sich mit zittrigem Lächeln zu mir um und ließ die Frau stehen.

»Wer war das?«, fragte ich, obgleich ich mir die Antwort unschwer erschließen konnte.

»Niemand. Ein wahrhaftiger Niemand.«

»Weißt du nun endlich, gegen wen du antreten wirst?«

Ich hatte mir die großgewachsene Edelfrau besehen und war zu dem Schluss gekommen, dass auch hinter dieser ein Leben voller Kampf und Kräftemessen lag – obgleich auch sie in einfaches Leinen gekleidet war, bewegte sie sich auf eine bestimmte Art, und die Blicke, die sie den umstehenden Gaffern zuwarf, waren vom Selbstbewusstsein ihres hohen Stands erfüllt.

»Niemand Geringeres als die Stadtmeisterin von Meilersgrund, Herodane von Leuenwald«, murmelte Ulfberth nicht gerade hohen Mutes. »Eine Junkerin, wenigstens das sollte also passen.«

Die Frau war gute zwanzig Jahre älter als Ulfberth, doch obgleich er sie an Jugend übertraf, würde sie ihn sicherlich an Erfahrung schlagen.

»Du schaffst das schon. Und du bist nur Hultingers Stellvertreter – sogar wenn sie besser ist, wird sie dein Leben schonen. Das hast du selbst gesagt!«

»Das klingt nach sehr viel Vertrauen zu meiner Sache«, lachte er und zwinkerte mir immerhin zu. »Aber hier entscheidet nicht nur unser Können. Praios und Rondra haben ein Auge auf diese Urteile, und es kommt mir ganz so vor, als sei der Beklagte vielleicht nicht zu Unrecht beklagt, auch wenn er mir keine Details zum Vorfall genannt hat. Er ist einfach der Typ dafür, andere übers Ohr zu hauen.«

Unauffällig deutete Ulfberth zu einem nervösen dicklichen Mann hinüber, der im Kampf sicherlich nicht einen Wimpernschlag lang gegen die Junkerin bestanden hätte.

»Gütige Travia, ich habe Hunger«, seufzte Ulfberth, der Nacht und Morgen bis zur Praiosstunde nüchtern verbracht hatte. Auf dem Sandplatz waren bereits die Schranken aufgebaut, darum herum waren hölzerne Bänke aufgestellt worden und ein erhöhter Platz für den Gerichtsherrn.

Eine Trommel und ein kurzes Hornsignal ertönten – ich sah Ulfberth flehentlich an, doch er lächelte und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht.

»Bis gleich«, sagte er, und nun war recht überzeugend alle Unsicherheit aus seiner Stimme gewichen. Er küsste mich, aber nicht, als wäre es der letzte Kuss unseres Lebens, vielmehr glich es einem kurzen Abschiedskuss. »Bis gleich«, antwortete ich, hoffentlich ebenso zuversichtlich.

Volk aus der Vorstadt sammelte sich bereits schaulustig, während Ulfberth, Herodane und Hultinger zum Gerichtsherrn und einer Laienschwester der Rondra schritten. Sie schworen ihre Eide auf ein Schwert aus dem Tempel der Leuin, zunächst den Eid zu Schuldlosigkeit und Gerechtigkeit, den nur Klägerin und Beklagter leisten mussten, dann den Eid, keinerlei Zauber, unerlaubte Waffen oder Hilfsmittel zu benutzen. Der Kampf würde beendet sein, wenn einer der Gegnerstarb, aufgab, ausbrach oder nicht mehr konnte, wie die genauen Worte lauteten – oder wenn der Sonnenuntergang Hultinger den Sieg verschaffte. Denn wenn sich Praios‘ Auge abwandte, so hatte Ulfberth mir den Brauch erklärt, gab der Götterfürst dem Beklagten Recht und nicht dem Kläger. Es war jedoch selten der Fall, dass ein Kampf über so lange Zeit hinweg unentschieden blieb.

Ich wünschte mir, Ulfberth würde entweder rasch gewinnen oder beizeiten die Waffe strecken, doch ich wusste, dass keines von beidem eintreten würde. Die wurmbunte Hohlkehle von Natternbiss glänzte frisch poliert in der Mittagssonne – doch auch das Schwert von Herodane war von kunstfertiger Machart, das sah ich sofort, ganz davon abgesehen, dass beide Waffen grausig scharf waren, wie bei Götterurteilen üblich.

Die beiden Kontrahenten gaben sich die Hände und setzten bald darauf zu meiner großen Erleichterung leichte Helme auf, dann hoben sie zum Gruß das Gehilz zum Kopf. Ich nahm in der Nähe eines schwarz gekleideten Mannes Platz, den ich unschwer als Meister Adersin selbst und somit Ulfberths Sekundanten erkennen konnte. Als der Kampfrichter mit dem Heben seiner langen Stange den Streit beginnen ließ, erhob sich Adersin ruhig und musterte die beiden Kämpfer, die einander zunächst belauerten. Ulfberth hatte das Schwert zur Schulter erhoben, seine Gegnerin hielt es wie eine Schranke vor sich, beide wechselten Beinstellungen, wagten sich vor und wichen zurück, und ein beinahe vollkommenes Schweigen trat ein, das auf den ersten klirrenden Hieb wartete.

[Ulfberth von Moorauen, HES 1035 BF]

Meister Adersin hat völlig recht gehabt – die Attacken der Junkerin kommen wie die Tsanjas aus unerwarteten, beinahe intuitiv scheinenden Richtungen, und manches Mal gelingt es mir nur im letzten Moment, das Band schnell genug zu wechseln, um ihren hinterlistigen Drehungen und Stößen zu entgehen.

Rondra steh mir bei!Aber das wird sie vermutlich nicht, oder? Es sei denn, Hultinger war in dem Ehrenhändel der beiden tatsächlich im Recht – andernfalls gesellt sich also nun Rondra zu Travia in den Reihen derer, die mir nicht wohlgesonnen sind. Ich denke zu viel.

Die Junkerin geht ins Halbschwert, packt die Klinge mit dem Handschuh, mit einem Schritt hat sie die Mensur zwischen uns so sehr verringert, dass wir nun ineinander verkeilt dastehen und ich nur versuchen kann, meine Beine und Arme freizuhalten. Dennoch gelingt ihr eine Drehung, die mein eigenes Schwert gefangen hält, und sie setzt auch die rechte Hand an die Klinge, so dass sie mir einen Mordhau mit der Parierstange gegen den Helm schlägt – ich kann von Glück sagen, dass sie auf unsere geringe Distanz nicht viel Wucht anbringen konnte. Ich taumle zurück, der metallene Rand des Kopf und Wangen umschließenden Helms fügt mir, obgleich er mich schützt, eine nicht zu verachtende Prellung zu, und mein Kopf beginnt zu wummern wie die Trommeln für denjenigen, der zum Galgen gebracht wird.

Ich erinnere mich daran, was Adersin mir eingebläut hat – ich würde zu viel denken. Nun, das tue ich nun dennoch und nehme zur Kenntnis, dass meine Gegnerin gern aus dem Halbschwert ihre Parierstange für allerlei Manöver zu Hilfe nimmt. Wir belauern uns erneut, mit einem Krumphau will ich gleichzeitig ihre Klinge binden und die Spitze zu ihrem Hals treiben, sie entgegnet den Hieb und bringt sich mit raschem Schritt zur Seite in Sicherheit, wo sie erneut versucht, durch eine Drehung ins Halbschwert meine Waffe aus meinem Griff zu entwinden. Wenig davon überrascht, mache ich ihre Seitwärtsbewegung mit, winde meine Klinge heraus und versetze ihr einen raschen Stich mit Natternbiss. Der Ort durchdringt das Wams an ihrer Seite und beißt sich zwischen ihre Rippen. Sie kann einen Schmerzensschrei nicht unterdrücken und schnaubt wütend. Als ich jedoch nachsetzen will, zieht sie sich zurück und holt sich an der Stränge von ihrem Sekundanten und Sohn einen Ratschlag ab – oder, was ich für viel wahrscheinlicher halte – eine Atempause. Auch ich sehe dankbar zu Adersin hinüber, der langsam nickt. Hultinger hingegen ist aufgesprungen und klatscht eifrig, ein seltsamer Laut in der angespannten Stille. Ich verschiebe den Helm etwas, sodass das Pochen im Kopf aufhört, dafür jedoch auch meine Stirn etwas mehr entblößt wird. Den Gedanken, dass ich bei diesem Kampf sterben kann, lasse ich möglichst nicht an mich heran – auch wenn er aus Zitas Augen zu mir herüberzuschallen scheint.

»Nutz dieses Mordgehaue von ihr und das Halbschwert. Sie ist das Harnischfechten gewohnt. Hebel sie aus«, sagt Adersin leise. »Oder setz einen Wurf an!«

Ich nicke. Die Junkerin wendet sich mir wieder zu, sie hat etwas getrunken und das aufgeschnittene, blutfleckige Wams mit einem Stoffknäuel gestopft.

Die Praiosscheibe steht reichlich hoch am Himmel – ich werde meine Gegnerin wohl tatsächlich aushebeln müssen.

[Zita, auf dem Duellplatz in Bardewick]

Der Kampf lief erstaunlich gesittet ab – die Zuschauer schwiegen gebannt, bekamen sie doch nun schon ein Gefecht geliefert, das wesentlich länger dauerte als gewöhnliche Gerichtskämpfe. Das Hebeln und Finten, das Umeinanderdrehen und –wenden der beiden Kontrahenten machte mich schier schwindlig, und mehr als einmal musste ich mich besinnen, um zu erkennen, welcher der beiden identisch gekleideten Schwertkämpfer nun der meine war. Typisch für den Adersinschen Schwertstil, soviel wusste ich mittlerweile, war, dass die Gegner nicht schreiend ihre Waffen gegeneinander krachen ließen – nein, mit dem Schnarren der Schneiden beantworteten sie im Band die Bewegungen des anderen, stießen zu, lösten sich, um sich dann wieder mit einem metallenen Hieb zu begegnen.

Die innere Anspannung war nun so groß, dass ich glaubte, den Schweiß riechen zu können, der den Kämpfenden unter den Helmen auf der Stirn stand. Die Junkerin war eine verbissene Frau, eine alte Kämpin, die jede Bewegung jahrzehntelang geübt hatte. Dennoch hatte sie Vorlieben, das hörte ich aus Adersins Kommentaren, und diese Tatsache musste Ulfberth einfach zu nutzen wissen.

Was, wenn es wirklich nichts mit Können zu tun hat? Wenn Rondra richten wird?

Ich schüttelte den Kopf – gab nicht Phex den Menschen das Glück in die eigene Hand? Hatte Rondra denn Zeit, auf solche Trivialitäten hinabzublicken?

Jedoch –Götter sind unberechenbar.

Irgendwer schrie auf, und als ich wieder richtig hinsah, lag einer der beiden am Boden. Da Adersin mit dem Fuß aufstampfte, konnte es nur eine Möglichkeit geben, also schrie ich kurzerhand ebenfalls auf und presste eine Hand gegen den Mund wie eines dieser Edeldämlein, die Rittern ihre Tücher an die Lanze binden.