DSA: Schattenlichter - Geschichten aus Gareth - Judith C. Vogt - E-Book

DSA: Schattenlichter - Geschichten aus Gareth E-Book

Judith C. Vogt

0,0

Beschreibung

Entdecken Sie die größte Stadt des Kontinents! Elf Autorinnen und Autoren haben sich zusammengetan, um der größten Stadt Aventuriens Leben einzuhauchen. Erleben Sie die Metropole des Mittelreiches in vierzehn phantastischen Erzählungen, als stimmungsvolle Ergänzung zur Settingbox Gareth - Kaiserstadt des Mittelreiches oder als eigenständige Geschichtensammlung. Schauen Sie den Ermittlern der Criminal-Cammer bei der Mördersuche über die Schulter, oder lesen Sie von Gaunern, Geweihten, Halsabschneidern und Rechtschaffenen, die alle die Kaiserstadt Gareth ihre Heimat nennen. Lassen Sie sich in die geheimnisvollen Gassen der Garether Unterstadt oder in die schaurigen Ausläufer der verfluchten Dämonenbrache entführen, und lesen Sie, welche Abgründe sich zwischen den goldenen Kuppeln der Kaiserstadt verbergen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 205

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Titel

Schattenlichter – Geschichten aus Gareth

HerausgeberEevie Demirtel

AutorenEevie Demirtel, Mike Krzywik-Groß, Christian Lange, Marie Mönkemeyer, Henning Mützlitz, Sarah Schirmer, Stefan Schweikert, Christian Vogt, Judith C. Vogt und Lena Zeferino

mit Dank an Tobias Jansen, Jean G. Kehnert, Julian Klein, Christoph Leuchter, Melanie Maier, Daniel Simon Richter, Claudia Schumacher, William Shakespeare, Alex Spohr, Alex Wild, Marc Wolter, sowie alle Autoren und Illustratoren der Gareth-Box, die unsere Metropole mit Leben gefüllt haben und Nadine Schäkel, die unserer Phantasie unermüdlich Flügel wachsen lässt.

Besonderer Dank aber gilt Michael Masberg, der erstmals für seine Anthologie Das Echo der Tiefe eine solche Autorenmannschaft zusammenstellte, um sie, Bahamuths Ruf folgend, in die Blutige See zu entsenden.

Impressum

Ulisses SpieleBand 11090EPUB

VerlagsleitungMario Truant

RedaktionEevie Demirtel, Marie Mönkemeyer, Daniel Simon Richter, Alex Spohr

AutorenEevie Demirtel, Mike Krzywik-Groß, Christian Lange, Marie Mönkemeyer, Henning Mützlitz, Sarah Schirmer, Stefan Schweikert, Christian Vogt, Judith C. Vogt und Helena Zeferino

Cover-IllustrationJanina Robben

SchmuckbalkenTristan Denecke

LektoratKristina Pflugmacher

SatzMichael Mingers

Copyright © 2013 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems.DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN, DERE, MYRANOR, RIESLAND, THARUN und UTHURIA sind eingetragene Marken der Significant GbR.

Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems, gestattet.

E-Book-ISBN 978-3-86889-682-4

Vorwort

Braucht denn eine so umfangreiche Publikation wie die rund zwei Kilogramm schwere Gareth-Box überhaupt noch ergänzendes Material? Notwendig ist es ganz sicher nicht, denn die Box, die unter der Redaktion von Anton Weste entstanden ist, bietet bereits einen rundum gelungenen Blick auf die Metropole zwischen Licht und Schatten. Mehr als einen Ausschnitt aus der aventurischen Wirklichkeit aber kann keine Beschreibung bieten, und sei sie auch noch so detailliert. Bitte verstehen Sie daher Schattenlichter als Angebot, die Stadt einmal abseits des Spiels zu besuchen, und folgen Sie den Geschichten der Autorinnen und Autoren, die ihre Phantasie haben schweifen lassen, um der Kaiserstadt Gareth noch mehr Leben einzuhauchen. Wer die Box bisher nicht kennt, bekommt so vielleicht Lust auf das Spiel in der Metropole, aber auch, wenn Sie den Inhalt im Wortlaut bereits auswendig kennen (was ich, ganz aufrichtig, nicht hoffen möchte) werden Sie in den Erzählungen dieses Bandes ganz sicher noch das ein oder andere Kleinod entdecken.

Die Trilogie Glück im Spiel, Glück in der Liebe, Plan B und Schau nach vorn, nie zurück entführt die Leser in die geheimnisvollen Gänge Unter-Gareths, während Vae Victis die Ränke einer ambitionierten Schwertgesellin schildert. Endspiel zeigt, welch überraschende Auswirkungen das Immanspiel auf den Alltag haben kann. Drei mal Drei inszeniert eine gewagte Boltanpartie und spielt, wie auch Noionas Gnade, mit den Abgründen der menschlichen Seele. In Ein Messer im Rücken sowie in Schittenhelm & Tausendpfund ziehen die Ermittler der Criminal-Cammer aus, um in den Gassen der Stadt für Ordnung zu sorgen, während die Protagonisten der gleichnamigen Erzählung lieber Angst und Schrecken in Alt-Gareth verbreiten. In Was vom Himmel fällt gibt es ein Wiedersehen mit Romanheldin Zita, die gerade an Meister Thorn Eisingers Esse ein besonders heißes Eisen schmiedet. Das Medaillon gestattet einen Blick in die luxuriöse Welt der käuflichen Liebe, Ein Geschäft der besonderen Art spielt in den idyllischen Gassen des ländlichen Rosskuppel, und Gutsituierter Akademiker sucht ... führt schließlich vor die Tore der Stadt in die götterverlassene Dämonenbrache.

Nun aber genug der Vorrede: Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, von Herzen recht viel Spaß beim Entdecken der Kaiserstadt.

Eevie Demirtel

Frankfurt am Main im Frühjahr 2013

Glück im Spiel, Glück in der Liebe

von Christian Lange

Hal konnte sein Glück kaum fassen. Endlich waren Phex und Rahja ihm einmal hold. Von wegen Glück im Spiel, Pech in der Liebe. Er hatte einen Auftrag ergattert, der ihm etliche Münzen in die Geldkatze spülen würde, sogar ein beachtlicher Vorschuss war drin gewesen. Und er hatte eine Liebste. Hal lächelte. Alrika war das schönste Mädchen, das er seit langem gesehen hatte. Und ihm waren viele schöne Mädchen in den Gassen der Stadt begegnet, seit er vor einem Götternamen in Gareth angekommen war.

Anfangs waren seine Tage vom Staunen über die schiere Größe der Stadt bestimmt gewesen, doch da seine mageren Mittel zunehmend schwanden, galt es, klingende Münze zu verdienen, um etwas zwischen die Zähne zu kriegen.

Aber Phex war schließlich mit dem Tüchtigen, sagte man. Nach langer Suche hatte er nun endlich Arbeit gefunden. Gut, der Auftrag klang nicht berauschend, eher im Gegenteil. Aber was tat man nicht alles, wenn man Geld brauchte.

Hal schaute sich vorsichtig um. Als er sicher war, dass ihn niemand beobachtete, griff er an seinen Hals und zog die goldene Kette hervor. Vorsichtig öffnete er den filigranen Verschluss und betrachtete den kleinen Anhänger. Eine zierliche Weinrebe, wie man mit etwas Phantasie erkennen konnte. Hal stammte aus dem Norden Almadas, und dort war Wein weit mehr als ein erquickender Trunk, er galt auch als Inbegriff der Almadanischen Seele. ›Genieße das Leben als ob es kein Morgen gäbe‹, hatte Vater immer gesagt. Hal lächelte und betrachtete die Rückseite des Anhängers. Hal & Alrika stand dort in verschnörkelten aber krummen Buchstaben graviert. Er seufzte. Gute Goldschmiede waren nicht billig. Egal. Alrika würde sich sicher darüber freuen.

»Steh nicht rum und halt Maulaffen feil!«, blaffte eine Stimme ihn heiser an. Eilig verbarg Hal die Kette in seiner Hand. Vor ihm stand ein Mann in ausgesprochen seltsamer Tracht. Flecken von allerlei Farbe und Form zierten den langen Mantel aus dünnem Leder. Das Kleidungsstück sandte einen erbärmlichen Gestank aus, der Hal die Nase rümpfen ließ.

Auf dem Kopf trug der Mann einen ledernen Hut, mit einer seltsamen Krempe, die nach hinten länger wurde und wie langes Haar über seinen Schultern lag. Abgesehen von dem üblen Geruch, den der Mann verbreitete, sah er immerhin gepflegt aus. Das Hemd, das am Kragen hervorlugte, war jedenfalls blütenweiß.

Am Kinn trug er ein sorgfältig gestutztes Ziegenbärtchen, seine Augen huschten ruhelos hin und her.

»Du bist Hal?«, stellte der Mann mehr fest, als dass er fragte.

Hal nickte eifrig, »Ja, Hal, wie der Kaiser.« Er grinste.»Und Ihr seid?«

Der Mann musterte ihn misstrauisch. »Das tut nichts zur Sache. Nenn mich Herr!«

Hal zuckte mit den Schultern. Er hatte nichts anderes erwartet. Ein Auftrag, bei dem man so viele Münzen bekam, konnte keine saubere Sache sein. Verflucht! Warum hatte er nicht früher daran gedacht. Er hätte auch einen anderen Namen annehmen sollen. So eine Art Künstlername. Vielleicht Alrik, wie so viele hier in Gareth. Alrik & Alrika. Er kicherte.

»Grins nicht so dumm, schnapp dir die Sachen und komm mit.«

Der Mann deutete auf einen Rucksack der neben ihm stand und ging ohne auf ihn zu warten los. Hal schnappte sich die Tasche und folgte. Der Mann führte ihn durch die verwinkelten Gassen der Altstadt, und Hal verlor schnell die Orientierung. Diese Stadt war einfach verflucht groß und unübersichtlich. Endlich kamen sie an einem alten verfallenen Lager an. Der Mann schloss die Tür auf und trat dann ein. Hal folgte ihm, da schlug auch schon die schwere Tür hinter ihm zu. Erschrocken blieb er im Dunkel stehen und lauschte seinem Atem und dem entfernten Lärm der Stadt, die niemals zu schlafen schien.

Dann flammte ein Licht vor ihm auf. Erschrocken taumelte Hal rückwärts. Der Mann im Mantel hatte eine Öllampe entzündet und hielt sie ihm vors Gesicht.

»Nimm!«

Hal nahm das flackernde Licht aus seinen langen, dürren Fingern.

»Knüppel und Dolch hast du griffbereit?«

Hal nickte.

»Gut, dann folge mir. Leuchte mir und achte darauf, dass mir nichts passiert. Ansonsten sei ruhig und störe mich nicht. Verstanden?«

Die Stimme des Mannes klang befehlsgewohnt. Hal nickte. Autoritäten hatte er schon immer wenig entgegenzusetzen gehabt. So war der Lauf der Welt eben. Manche hatten das Sagen, und die Anderen gehorchten.

Der Mann zog aus seinem Mantel einen flachen, ledernen Beutel hervor, aus dem er ein zerfleddertes Heft und einen Kohlestift holte. Als er darin zu blättern begann, sah Hal, dass es Skizzen enthielt, vielleicht sogar Lagepläne. Zielsicher trat sein Gegenüber an eine Klappe im Boden der Lagerhalle heran.

Nachdem er sich dünne lederne Handschuhe übergezogen hatte, öffnete er die Klappe. Gestank schlug ihnen entgegen und Hal musste die Zähne zusammenbeißen. Eine Expedition in die Unterwelt Gareths. Dafür war er angeheuert worden. Und für den zu erwartenden Gestank hatte er ja den Zuschlag bekommen, von dem er sich die Kette erst hatte leisten können.

Der Mann zeigte nach unten, Hal nickte, zog sich das Halstuch, das er sich für diesen Ausflug besorgt hatte, vor die Nase und kletterte hinab.

Der Gestank war ekelerregend, ungefähr so als wenn man sich zwischen dem frisch aufgehäuften Misthaufen eines almadanischen Bauernhofes und der Güllegrube seines gut genutzten Abtritts begeben hätte. Es roch nach Exkrementen, Abfall, Verwesung.

Hal hustete, doch das zwang ihn danach nur noch tiefer einzuatmen. Sein Auftraggeber war inzwischen ebenfalls heruntergeklettert.

»Willkommen in der Unterwelt Gareths!«, sagte er.

Hörte er da Freude in der Stimme des Mannes? Hal schüttelte den Kopf. Diese verschrobenen Bürgersleute. Alle Welt kümmerte sich darum zu überleben, genug Nahrung und Geld beizubringen, für den nächsten Winter, Krieg oder was sonst die Götter sich für die Menschen an Gemeinheiten ausdachten. Nur die freien Bürger der Stadt hatten so viel, dass sie seltsamen Freizeitbeschäftigungen nachgingen, die in Hals Augen sämtlich zweckfrei und völlig überflüssig waren. Doch die Hauptsache war, dass er bezahlt wurde.

Hal folgte dem Mann durch die Kanalisation. Der Gang, in den sie eingestiegen waren, war kaum mannshoch. Aus Ziegeln gemauert, hatte er seine besten Götterläufe hinter sich. Überall bröckelte das Mauerwerk. Erde und Wurzeln stießen dahinter hervor, und über kurz oder lang würde der Gang wohl einstürzen. Hal fühlte eine vage Beklemmung. Hoffentlich wusste der Kerl, wo er langging, wo es sicher war und wo nicht.

Sein Auftraggeber schien nicht zum ersten Mal hier unten zu sein. Während Hal schnell aufgegeben hatte, sich den Weg zu merken, schritt der Mann mit weiten Schritten voran. Auch an Kreuzungen hielt er nur selten an, um sich zu orientieren.

Plötzlich hielt sein Auftraggeber inne. Vor ihnen war das Flackern eines Lichts zu sehen. Der Mann drückte sich an die Wand, bedeutete Hal die Öllampe abzuschirmen. Für einen Moment wurde es dunkel um sie. Nur das entfernte Licht war noch zu sehen. Leise Stimmen hallten durch die Gänge, doch die Worte blieben unverständlich.

Als Hal sah, dass sein Auftraggeber einen schlanken Dolch gezogen hatte und abwartend in der Rechten hielt, griff er unwillkürlich nach seiner Waffe.

Doch das flackernde Licht entfernte sich wieder, die Stimmen wurden leiser und verstummten schließlich.

»Was war das?«, fragte Hal leise.

Der Mann steckte seinen Dolch weg.

»Dreh die Lampe wieder auf!«, entgegnete er knapp, dann ging er voran.

Hal verzog das Gesicht. Was für ein unfreundlicher Kerl.

Nach einer Weile gelangten sie in einen Bereich, der anders aussah. Die Gänge wurden höher und breiter. Die Ziegel hier hatten eine andere Farbe und sahen auch besser erhalten aus.

Plötzlich schrie Hal auf. Am Rande des Lichtscheins seiner Öllampe ragte ein seltsamer Kopf aus der Wand und spuckte nach ihm. Eine Ohrfeige riss ihn zurück.

»Wenn Du Angst vor alten Steinen hast, bist Du kein passender Begleiter für mich«, herrschte sein Auftraggeber ihn leise an.

Hal blinzelte. Der Steinkopf war ein Wasserspeier, der neben ihm aus der Wand ragte. Allerdings spuckte er kein Wasser, sondern eine braune übelriechende Brühe.

»Verzeiht, Herr«, stammelte Hal. Er musste sich zusammenreißen, sonst kürzte ihm der Mann vielleicht noch die Bezahlung.

Sein Auftraggeber ging ab jetzt vorsichtiger weiter. Es schien als kenne er zwar den Weg, erwarte aber Schwierigkeiten irgendeiner Art.

Die Nervosität übertrug sich auf Hal. Als der Mann vor ihm kurz um eine Ecke lugte und dann den Kopf heftig zurückriss, schreckte auch Hal zurück. Die abrupte Bewegung kostete ihn sein Gleichgewicht. Mit dem linken Arm rudernd, versuchte er das Gleichgewicht zu halten, während er den rechten Arm mit der Öllampe weit von sich gestreckt hielt. Doch es half nichts. Die Steine unter seinen Füßen waren glitschig und voller Moos.

Mit einem unterdrückten Aufschrei glitt Hal aus, landete auf seinem Hinterteil und rutschte den leicht abschüssigen Kanal hinab. Hinter sich hörte er eilige Schritte. Er drehte den Kopf ein wenig, bereute es aber sofort. Zwar sah er, wie ihm sein Auftraggeber mit großen, wackeligen Schritten folgte, gleichzeitig aber bekam er nun auch Spritzer der Brühe ins Gesicht, die bereits seine Beinkleider tränkte.

Endlich hatte seine Rutschpartie ein Ende. Zitternd lag er auf dem Rücken, den rechten Arm noch immer mit der Lampe in die Höhe gestreckt, und wagte nicht, sich zu rühren. Es geschah nichts. Als Kälte und Nässe langsam durch seine Kleider bis auf die Haut seines Rückens drangen, beschloss er aufzustehen. Von hinten eilte ohnehin gerade sein Auftraggeber heran, dessen Umrisse durch den langen, wehenden Mantel aussahen wie eine riesige Fledermaus.

Hal erhob sich vorsichtig, und drehte sich wieder nach vorn. Ihm wurde schwindlig. Vor ihm, nein, eigentlich unter ihm, breitete sich eine riesige Kaverne aus. Die genauen Ausmaße konnte er nur erahnen, da seine Lampe den Raum nicht gänzlich zu erhellen vermochte. Die Decke war gewölbt und thronte wohl gut zehn Schritt über ihm. Der Boden schien eben und leer, etliche Gänge endeten in verschiedenen Höhen im Rund des Raumes. Im Dunkel konnte er die schmalen Stege erahnen, welche die Gänge auf verschiedenen Ebenen miteinander verbanden. Hal starrte in die Tiefe und ihm schauderte. Er stand keinen Fußbreit von der Kante entfernt. Als jemand nach der Öllampe in seiner Rechten griff, wirbelte er herum. Er blickte in das Gesicht seines Auftraggebers, das ihn mit einer Mischung aus Ärger und Schadenfreude ansah.

Hal blieb keine Zeit, auch nur einen Gedanken an die Ursache der Häme zu verschwenden. Hal schrie auf, als er das Gleichgewicht verlor und ins Dunkel stürzte.

Der Aufschlag war hart, doch nicht so hart und tödlich, wie er erwartet hatte. Beinahe sofort war er umhüllt von warmer, feuchter und vor allem niederhöllisch stinkender Masse. Fluchend versuchte er sich zu erheben, doch das stinkende Zeug schien ihn festzuhalten. Hal spürte Panik aufwallen. Verdammt, er wollte nicht in einem Haufen Scheiße ersaufen. Der Gestank ließ ihn husten und trieb ihm Tränen in die Augen. Mühsam wühlte er sich mit den bloßen Händen durch die stinkende Masse. Als er sich halbwegs aufgerichtet hatte, schaute er sich um. Sein Auftraggeber eilte gerade eine kleine Treppe hinab, die am Rande der Kaverne an der Mauer entlang lief.

Mühsam arbeitete Hal sich vor und erreichte völlig außer Atem seinen Auftraggeber. Dieser schaute tadelnd zu ihm hinunter, sprach aber kein Wort.

»Könnt ihr mir heraus helfen?«, Hal hob dem Mann eine Hand entgegen. Der zögerte, griff dann in seinen Mantel und zog ein Stück Seil hervor. Hal seufzte. Aber er konnte verstehen, dass der Mann sich seine Handschuhe nicht besudeln wollte.

Als Hal endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, schaute er prüfend an sich hinab. Sein ganzer Körper war mit dickem, braunem, übelriechendem Schleim bedeckt. Der Gestank ließ ihn würgen, doch es gelang ihm, den Inhalt seines Magens bei sich zu behalten.

»Es tut mir leid, Herr«, sagte er leise.

Sein Gegenüber reagierte nicht, sondern starrte nur in eine Richtung.

Hal folgte seinem Blick und entdeckte erst auf den zweiten Blick ein Mauerstück, das älter schien. Aus großen Steinen war es scheinbar ohne Mörtel errichtet worden, so dass die Steine nur lose aufeinanderlagen. Sie umrahmten ein kleines Portal, das zwar bereits halb im Dreck versunken war, jedoch noch passierbar schien.

Der Blick seines Auftraggebers kehrte zu Hal zurück und musterte ihn. Dann seufzte der Mann leicht und bedeutete ihm zu folgen. Hal trottete hinterher. Wie es schien, hatte er seinen Auftrag vermasselt. Verflucht! Seinen Bonus konnte er wohl vergessen.

Sie folgten einem Gang, der halbwegs trocken war und leicht aufwärts führte. Leise waren sie nun nicht mehr. Bei jedem Schritt machten Hals Stiefel laute, patschende Geräusche. Er wollte gar nicht wissen, was für eine stinkende Spur er hinterließ. Als sie einen Gang erreichten, in dem Abwasser vorbeifloss, überlegte Hal nicht lang.

»Wartet bitte einen Moment, Herr.«

Es kostete ihn nur wenig Überwindung, dann legte er sich in das fließende Gewässer und spülte sich mit dem Abwasser den Dreck von den Kleidern. Sein Magen revoltierte, vergeblich versuchte Hal die vorbeischwimmenden Rattenkadaver zu ignorieren. Als er sich wieder erhob, fühlte er sich noch immer nicht sauber. Im Gesicht seines Auftraggebers sah er einen Schimmer von Belustigung. Dann ging es weiter, wieder bergauf. Hal war sich sicher, dass sie vorhin hier nicht entlang gekommen waren. Hauptsache der Kerl wusste, wo es wieder raus ging.

Als er abrupt vor ihm zu Stehen kam, riskierte Hal einen Blick über seine Schulter. Nur wenige Schritte vor ihnen versperrte ein Gitter den Weg, dahinter konnte er die Dämmerung am Garether Himmel erkennen. Er atmete auf. Gleich war er hier raus. Und dann schnell in ein Badehaus, Dreck und Gestank loswerden. Schließlich wollte er später noch seine Alrika treffen.

Der Mann drehte sich zu ihm um und drückte ihm die Öllampe wieder in die Hand. Verdutzt griff Hal zu. Sein Gegenüber kramte erneut in seinem Mantel und drückte ihm einen kleinen, ledernen Beutel in die Hand. Hal konnte die Münzen fühlen. Sein Herz tat einen Sprung. Das war sein Bonus! Sein Auftraggeber war doch ein feiner Kerl.

»Die Tür müsste offen sein«, erklärte er Hal mit Gönnermiene.

Hal schaute misstrauisch zur Tür. Bis eben durfte er die Lampe nicht tragen und nun sollte er vorweg gehen? Zögerlich trat er einen Schritt vorwärts und wechselte die Lampe in die Linke. Mit der Rechten griff er nach seinem Dolch. Wer wusste schon, in welchem Viertel sie hier gelandet waren. Es gab schlimme Ecken in Gareth, wo man leicht mit zerschnittenem Schlund in der Gosse landen konnte.

Vorsichtig ging er weiter, doch außer dem üblichen Lärm, den Gareth zu jeder Tageszeit von sich gab, dieser Mischung aus Pferdehufen auf dem Pflaster, dem Greinen eines Säuglings und dem Gezeter einer alten Vettel, war nichts zu hören.

Das eiserne Gitter war unverschlossen. Hal schob es langsam auf. Es quietschte leise. Er trat hinaus und stand in einer kleinen Gasse. Die Häuser, nein, es waren eigentlich eher Hütten oder Katen, standen meist schief oder waren kurz davor einzustürzen. Er schaute sich um, doch niemand war zu sehen. Er wandte sich zum Tor, um seinen Auftraggeber herauszuwinken.

Etwas zischte, dann schlug etwas hart gegen seine Kehle. Den Schmerz spürte er erst einen Augenblick später, als ihm die Beine plötzlich nachgaben. Zitternd lag er auf dem Rücken und schaute hinauf zu den Sternen. Seine Linke tastete ziellos an der zerbrochenen Öllampe herum, die Rechte ließ den Dolch los und tastete vorsichtig nach seinem Hals.

Erschrocken befühlte er den Fremdkörper, der da in seiner Gurgel steckte. Feucht und warm waren seine Finger, als er sie zurück zog. Was das sein Blut? Das Atmen fiel ihm schwer, so schwer. Was war das für ein Keuchen und Pfeifen?

Seine Augen wanderten über den Sternenhimmel. Da! Dort stand Phex. Da, wo sich die Wolke langsam über die Sterne schob. Hal fröstelte. Warum wurde es plötzlich so kalt?

Seine Rechte rutschte tiefer, griff zitternd nach der Kette mit dem Anhänger. Alrika.

Vae Victis – Wehe den Besiegten

von Christian Vogt

Eine Wiese vor den Toren der Kaiserstadt Gareth, im Jahre 1037 nach Bosparans Fall

Der Regen hatte den Boden aufgeweicht, so dass er eher einer Schweinesuhle glich als einem Duellplatz. Zum Glück war nicht sie diejenige, die in wenigen Augenblicken in den Schlamm getreten würde.

Beständig prasselte der Regen gegen Helm und Harnisch, sickerte durch die Geschübe der Rüstung. Unterdessen war das gedämpfte Murmeln des Rondraakoluthen zu hören, der den Segen seiner Göttin auf die Duellanten herabrief.

Mit einigen noch dampfenden Spritzern Ziegenblut aus einem Sprängel auf die beiden Knieenden rundete er sein Tun ab, bevor sich die Kontrahenten unter Geklapper ihrer Plattenrüstungen erhoben. Sie hatten beide auf Sekundanten verzichtet. Sie, weil sie es gegen diesen Lumpenjunker nicht nötig hatte, er, weil sich wohl niemand gefunden hatte, der für ihn einstehen wollte. Efferike vom Berg brauchte kein Schulterklopfen, das sie anstachelte. Sie war eine Schwertgesellin, gesiegelt mit dem Ring von Meister Tannhaus, ausgebildet bis zur Perfektion im Handwerk des Adels, dem Schwertfechten. Wäre dieser Tölpel in seiner verbeulten Rüstung nicht selbst schuld an seiner Demütigung, könnte sie fast Mitleid mit ihm haben.

Die Sonne musste vor kurzer Zeit aufgegangen sein, war aber durch die dichte Wolkendecke nirgends am Horizont auszumachen, als die Kontrahenten das Gehilz ihrer Klingen zum Gesicht erhoben und in einer schnellen Bewegung wieder nach unten führten, um ihrem Gegenüber damit Respekt zu zollen.

Immerhin, sein Anderthalbhänder zeigte sich im Gegensatz zu seinem heruntergekommenen Harnisch und seiner unrasierten Erscheinung in tadellosem Zustand. Die Klinge war schlicht, aber offensichtlich gut ausbalanciert. Eine saubere Arbeit – genau wie die ihre, die aber das Wappen derer vom Berg am Knauf trug. Alter Adel versteckt sich nicht. Ein letztes Mal prüfte sie den Sitz ihrer Sturmhaube.

„Und dass mir keiner ehrlos streitet!“, gemahnte der Laienprediger an die Gebote seiner Göttin, bevor er seine Stange hob und damit den Kampf eröffnete.

Sofort nahmen beide Duellanten ihre Huten ein: er die Waffe über dem Kopf in der Wacht des Ucuri, sie schlagbereit auf der Schulter in der Leuinhut. Belauern, Umkreisen, Abschätzen, Warten, und dann im rechten Moment angreifen – dies waren die Augenblicke vor dem Aufeinandertreffen der Klingen, die meist den Kampf schon vor dem ersten Hieb entschieden.

Unkundige hätten das Wechseln der Huten mit schnellen Schwüngen in immer neue Schwerthaltungen für einen Tanz halten können. Zwei Menschen umkreisten einander im Takt einer unhörbaren Musik, darauf wartend, dass sich der Rhythmus schlagartig steigerte und das kontrollierte Vorspiel in wilde Raserei verwandelte.

Nur wenige Schaulustige hatten sich versammelt, um dem Spektakel beizuwohnen. Efferike hatte keine Bekannten in der Stadt, und Nardo offenbar doch zu wenige Feinde, die sich an seiner Niederlage ergötzen wollten. Allerdings war ihr Gegner bei aller Unverschämtheit weise genug, eine Heilkundige heranzuschaffen, um nicht auch noch nach seiner Niederlage im Schlamm zu verbluten.

Efferike senkte die Klinge in die Schelmenhut, die Spitze zum Boden, lud Nardo zum Oberhau ein, aber er zögerte, fiel nicht auf die Finte herein oder war einfach zu ängstlich, den ersten Schlag zu führen. Selbst als sie kurz ihren sicheren Stand im matschigen Untergrund verlor, hielt er sich zurück.

Wer vor dem Angriff zurückschreckt, hat bereits verloren, erinnerte sie sich an die Worte ihres Lehrmeisters.

Erbärmlich. Zeit, das hier zu beenden.

Sie verkürzte aus dem defensiven, mit ausgestreckten Armen gehaltenen Langort in den Pflug, bei dem sie den Griff der Waffe wie ein Neugeborenes im Arm hielt. Dabei blieb der Ort, die Spitze ihrer Klinge, genau dort, wo sie war. Dies erlaubte ihr, sich unbemerkt einen Schritt zu nähern und Nardo in Distanz ihrer Waffe zu bringen.

Endlich kam sie, die Blöße, auf die sie gewartet hatte.

Als er die Nandushut mit dem Gehilz in Kopfhöhe einnahm, wohl, um einen Stich vorzubereiten, schlug sie von unten zu. Er konnte nur mit Mühe versetzen, und seine Klinge stellte nun keine Bedrohung mehr da. Also ging sie zum Schwertgewitter über – einer zermürbenden Abfolge von Hieben und Stichen, die meist mit zahlreichen Wunden des Gegners endeten.

Aufs zweite Blut also. Im Harnisch würde dies ein wenig dauern. Umso besser, eine gute Übung für sie. Krachend fuhr ihre Klinge in seine Seite.

***

Taverne Zum lallenden Kranich, Stadtteil Meilersgrund, drei Tage zuvor

Ein ekelhafter Odem aus Bier und Schweiß drang ihr entgegen, als wolle er sie wieder zu der Türe herauswehen, durch die sie eben erst eingetreten war. Der Gestank war kaum auszuhalten, so dass sich Efferike ihr mit Vinsalter Wasser beträufeltes Taschentuch vor das Gesicht halten musste, um nicht zu würgen.

Widerlicher, stinkender Pöbel. Selbst zum Waschen ist das gemeine Volk oft genug zu faul.

In ihrer standesgemäßen Gewandung fiel sie hier völlig aus dem Rahmen. Sie musste sich für die ärmliche Erscheinung der anderen Gäste geradezu schämen.

Stell dich nicht so an! Und wenn der Schlüssel zur Vollendung meines Handwerks in der Dämonenbrache liegt, ich würde sogar diesen Gestank aushalten.

Zum Glück war die Taverne nicht gerade gut besucht an diesem Abend. Schon vor der Tür hatte ein beleibter Zecher mit fettigem Haar in seinem Erbrochenen gelegen und etwas von Fledermäusen gefaselt. Fremdartige Gerüche von exotischen Rauschkräutern hatten ihn umgeben und Efferike bewiesen, dass sie sich hier an einem ganz erlesen Drecksloch befand.

Von einem Tisch im Innern nahe der Tür grinste sie eine Tagelöhnerin an. Grobe Tunika, aber ein hübsches Gesicht und lockige blonde Haare. In ihrem Grinsen lag keine Freundlichkeit, eher grausame Vorfreude – wie bei einem Waidmann, der seine Armbrust auf einen Sechzehnender anlegt.