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In den Legenden der Alhanier steht kein Name so exemplarisch für Tapferkeit und Loyalität wie der des großen Fürsten Thayan, der die Königsklinge gegen das Bosparanische Reich führte. An der Seite seiner Königin Hashandru schenkte er seiner Heimat Jahrhunderte des Friedens. Legenden sind leicht erzählt, doch viel schwerer ist es, in ihnen zu leben. Dem jungen Prinzen, der einst zum legendären Träger der Klinge Anscharon werden soll, stehen viele bittere Prüfungen bevor. In seinem Kampf gegen einen übermächtigen Feind sind die letzten Tränen noch nicht vergossen. Ihm bleibt nur eins, das ihn vor dem Verderben bewahren kann: die Kraft der Gemeinschaft, denn jeder Alhanier weiß, dass ein Krieger nur so viel Wert ist wie diejenigen, die an seiner Seite kämpfen. Thayan muss treue Gefährten finden, denn nur gemeinsam können sie zu den Helden werden, die das Volk der Alhanier braucht.
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Seitenzahl: 527
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Impressum
Ulisses SpieleBand US25767EPUB
Titelbild: Christof Grobelski
Aventurien-Karte: Daniel Jödemann
Redaktion: Nikolai Hoch
Lektorat: Frauke Forster
Korrektorat: Claudia Waller
Umschlaggestaltung und Illustrationen: Nadine Schäkel, Patrick Soeder
Layout und Satz: Matthias Lück, Michael Mingers
Mitarbeiter Ulisses:
Zoe Adamietz, Jörn Aust, Philipp Baas, Mirko Bader, Steffen Brand, Bill Bridges, Simon Burandt, Alina Conard, J-M DeFoggi, Trisha DeFoggi, Carlos Diaz, Nico Dreßen, Christiane Ebrecht, Christian Elsässer, Cora Elsässer, Thomas Engelbert, Simon Flöther, Frauke Forster, Christof Grobelski, Kai Großkordt, Markus Heinen, Nils Herzmann, Nikolai Hoch, Nadine Hoffmann, David Hofmann, Curtis Howard, Jan Hulverscheidt, Nadine Indlekofer, Philipp Jerulank, Kirk Kading, Johannes Kaub, Nele Klumpe, Anke Kühn, Christian Lonsing, Matthias Lück, Julia Metzger, Thomas Michalski, Carolina Möbis, Carsten Moos, Johanna Moos, Phillip Nuss, Dominik Obermaier, Sven Paff, Stefanie Peuser, Felix Pietsch, Marlies Plötz, Markus Plötz, Stephan Pongratz, Elisabeth Raasch, Nadine Schäkel, Maik Schmidt, Ulrich-Alexander Schmidt, Thomas Schwertfeger, Alex Spohr, Anke Steinbacher, Stefan Tannert, Maximilian Thiele, Katharina Wagner, Jan Wagner, Michelle Weniger, W. Gwynn Wettach, Carina Wittrin, Kai Woitczyk
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Jeanette Marsteller
Die letzten Tränen
Der Aufstieg Alhaniens II
Ein Roman in der Welt von Das Schwarze Auge©
Originalausgabe
Akt I – Geduld
Ysil’elah, im Jahre 1 der Herrschaft der Königin Hashandru (868 v. BF.)
Im weichen Licht der Abendsonne leuchteten die Wolken über Ysil’elah wie blasses Gold. Sie erinnerten Amagomer an ein zerfetztes Stück Pergament, genauer gesagt an die traurigen Überreste eben jenes Schriftstücks, in dem er die Anweisung erhalten hatte, sich ab sofort der Ausbildung der jungen Nurbadi anzunehmen. Die Ausbildung sollte er überwachen! Stumpf dem Klang von Holz auf Holz zuhören und dabei zusehen, wie sich schlaksige Halbstarke gegenseitig durch den Matsch prügelten. Das sollte seine Aufgabe sein? Der Inhalt seines Lebens?
Amagomer zog die Augenbrauen zusammen und ließ schweren Herzens den Blick vom Himmel zurück auf die keuchenden Jünglinge vor sich schweifen. Welch einen bemitleidenswerten Anblick sie doch abgaben, wie sie da schlammverschmiert aufeinander einschlugen, so als versuchten sie, mit einem stumpfen Beil Holz zu hacken. Ohne Zweifel hatten sie jede Form der Ausbildung nötig, die man ihnen zuteilwerden lassen konnte. Krieg stand schließlich bevor – die Königin hatte es für alle laut hörbar verkündet. Von allen Nurbadi ihres Stammes hatte sie ihm, Amagomer, die oberste Leitung der Ausbildung dieser jungen Kerle übertragen. Es sei eine ehrenvolle Aufgabe, hatte sie gesagt.
»Ehrenvoll …, dass ich nicht lache«, schimpfte Amagomer leise in seinen kärglichen Bart.
Wahrhaft ehrenvoll konnte nur die kriegerische Führung aller Alhanier sein, wie sie nach althergebrachter Sitte dem Gemahl der Herrscherin zustand. So wollten es die Göttinnen: Die Königin führte das Volk in politischen und magischen Belangen, ihr Fürstgemahl in militärischen. So war es zu Zeiten des Sultanats gewesen, so hätte es auch nun sein müssen, wäre alles mit rechten Dingen zugegangen.
Kurz zuckte Amagomer zusammen, als ein knapp zwölfjähriger Junge vor ihm nach einem heftigen Kopftreffer zu Boden ging. Sein Kontrahent, offenbar selbst erschrocken über die Wucht des Angriffs, stolperte eilig heran und bemühte sich, dem Getroffenen auf die Beine zu helfen, doch Amagomer hielt seine Hand dazwischen.
»Lass ihn«, befahl er. »Es muss seine eigene Kraft sein, die ihn wieder auf die Füße stellt. Wir alle müssen lernen, uns selbst zu helfen.«
Weil es in dieser Welt ohnehin keine Gerechtigkeit gibt – außer wir schaffen sie selbst, fügte er in Gedanken hinzu und dachte dabei unweigerlich an ein Gesicht. Es gehörte seiner Königin, jener Frau, der er wie alle anderen Alhanier unbedingte Treue geschworen hatte, jener Frau, die plötzlich beinahe keine Feinde mehr in den eigenen Reihen zu haben schien, der auf Anhieb alles gelang, und die in ihrer mühelosen Perfektion derart ekelhaft liebenswert wirkte, dass ihr offenbar jedermann rettungslos verfallen war – jedermann außer Amagomer. Er brummte unbestimmte Laute, während er zusah, wie sich der junge Nurbadi aufrappelte. Sein Zorn auf die Königin hätte nicht weiter bemerkenswert sein sollen, wäre er einfach nur ein Nurbadi unter vielen gewesen. Leider hatte das Schicksal es anders vorgesehen. Jene Frau, die alle außer ihm zu lieben schienen, und die er doch mit umso größerer Inbrunst verachtete, war nicht nur seine Königin.
Sie war auch seine Ehefrau.
»Thayan, Herr?«
Ein gut gerüsteter Krieger trat an ihn heran und riss ihn aus seinen Gedanken. Der Klang seines Namens kam ihm plötzlich seltsam fremd vor. Thayan … mein Name ist nicht mehr Thayan, dachte er, als er seine Schultern gerade zog und sich dem Krieger zuwandte. Ich bin Amagomer, der rächende Sohn.
»Herr, bitte vergib mir die Unterbrechung.« Der Krieger verneigte sich höflich.
Amagomer winkte ab. »Sprich, Kerijan. Ich bin sicher, unsere Königin schickt dich.«
Natürlich schickt sie dich. Du bist doch ihr liebster Schoßhund, ergänzte er in Gedanken.
Der Krieger nickte dienstbeflissen. Er schien den leisen Spott in Amagomers Worten nicht wahrgenommen zu haben – oder er ließ ihn sich nicht anmerken. Stattdessen verschränkte er die Arme vor der Brust und deutete mit dem Kopf auf die Jungen, die über den Übungsplatz hetzten.
»Du lässt sie bis zum Abend üben?«
»Sollen sie auch noch japsen, wenn die Sonne längst nicht mehr am Himmel steht. So lange, wie es nötig ist, immerhin sind wir im Krieg«, erwiderte Amagomer ernst. »Was kümmert es dich? Du hast keinen Anlass und kein Recht, mein Handeln infrage zu stellen. Unsere Königin hat mir diese Aufgabe übertragen.«
Kerijan zuckte sehr langsam mit den Schultern. »Das hat sie wohl. Darum erwartet sie auch eine Rückmeldung dazu, wie die Jungen sich schlagen. Wie viele von ihnen werden unter Waffen stehen, wenn wir nach War’Hunk ziehen? Sind sie bereit und willens, ihr Leben für die Sache der Alhanier in die Waagschale zu werfen? Die Königin und ihr Rat müssen es wissen.«
Amagomer unterdrückte den Drang, mit den Augen zu rollen. Stattdessen verschränkte er nun selbst die Arme vor der Brust. »Sieh sie dir doch selbst an«, sagte er dann unwirsch.
Kerijan schüttelte den Kopf. »Nein, es ist deine Aufgabe.«
Oh, war da ein Hauch von Ironie? Amagomer schnaufte einmal leise, aber verächtlich. »Dann sag unserer hochgeschätzten Königin, dass ich ihr in Bälde vor dem Rat Bericht erstatten werde. Niemand soll sagen, ich würde meinen Dienst an unserem Volk nicht versehen.«
»Die Königin wünscht, dass du ihr persönlich Bericht erstattest, und zwar noch heute.«
Amagomer ballte eine Faust. »Ist sie im Rosenhof?«
»Sie wird dich in ihren Gemächern erwarten.«
»In ihren Gemächern …, natürlich … Gut, dann bestell ihr eben, dass ich sie dort aufsuchen werde, wenn es ihr ein derartiges Bedürfnis ist. Wer wäre ich denn, einen Befehl unserer Königin zu missachten?«
Kerijan nickte, und für einen Augenblick glaubte Amagomer, ihn erfolgreich abgewimmelt zu haben. Er konzentrierte sich auf das Geschrei und Gestöhne der prügelnden Jungen, in der Hoffnung, der Schoßhund der Königin würde sich zurückziehen. Als er jedoch einen Blick zur Seite wagte, stand Kerijan noch immer neben ihm.
»Eigentlich …«, begann dieser leise und räusperte sich dann. »Eigentlich bist du ihr Gemahl. Du solltest sie öfter ihn ihren Gemächern aufsuchen, so wie es sich gehört. So gebietet es der Anstand.«
Amagomer sprang innerhalb eines Herzschlags in seine Richtung und packte ihn kräftig am Oberarm. »Der Anstand?!«, schrie er zornerfüllt. »Anstand?! Du kleiner Hirtenbursche willst mir etwas über Anstand erzählen? Wage es ja nicht!«
Stille zog wie ein eisiger Hauch über das Übungsfeld. Alle Jungen unterbrachen augenblicklich ihre Übungen und starrten die beiden Krieger an. Amagomers Augen funkelten finster in die Richtung seines Gegenübers, der bedauerlicherweise recht ungerührt zurücksah.
»Du vergisst dich, Fürstgemahl«, ermahnte Kerijan ihn mit gedämpfter Stimme. »Was sollen deine Nachwuchs-Nurbadi von dir denken?«
Gerne, oh, wie gerne hätte Amagomer ihm darauf eine ehrliche Antwort gegeben! Dass sie sich alle in die Niederhöllen scheren konnten, wenn es nach ihm ginge – und die verfluchte Königin durften sie gleich mitnehmen! Allein die Erinnerung an die mahnende Stimme seiner Mutter half ihm dabei, sich zu mäßigen und seine Zunge im Zaum zu halten.
»Spar dir deinen Spott, Emporkömmling.« Er ließ Kerijan los, wich aber nicht zurück. »Lauf zurück zu deiner Königin und sag ihr, dass ich tue, was sie verlangt. Sag ihr auch, sie soll mir beim nächsten Mal einen richtigen Mann schicken und kein armseliges Hündchen, das sie nur auf ihren Schoß lässt, weil ihr seine Trauer so viel Mitleid bereitet.«
Kerijan wich zurück und biss sich auf die Lippen.
Ha! Offenbar hatte er die Anspielung auf seine verstorbene Geliebte, die Cousine der Königin, wohl verstanden, und sie hatte ebenso ihre Wirkung entfaltet. Ob er jetzt wohl mal sagt, was er wirklich denkt, der kleine Speichellecker?
»Ich erstatte der Königin Bericht. Dir einen guten Tag …, Herr«, presste Kerijan hervor.
Natürlich traut er sich nicht. Amagomer grinste, als er dabei zusah, wie sein Gegenüber mit eingekniffenem Schwanz zurück zu seiner Herrin hechelte. Es geschah ihm nur recht, ihm, diesem Hirten, der er sich erdreistet hatte, Amagomer Vorschriften machen zu wollen, ihm, Amagomer, dem Sohn einer großen Zauberin, einem Prinzen von edlem Blut! Er schüttelte den Kopf über den Hochmut des Mannes, dem man immer noch den Gestank von Schafsmist anmerkte, ganz gleich, welch schön polierte Rüstung die Königin ihm anzog.
Dann bemerkte er, dass alle seine Zöglinge ihn noch immer wortlos anstarrten.
»Wer hat gesagt, dass ihr aufhören sollt? Faule Hunde, wer gaffen kann, der kann auch arbeiten! Als Ausgleich für eure unverdiente Pause macht jeder von euch sechs mal sechs fauchende Schlangen – sofort. Los, ab in den Schlamm! Runter, hoch, und springen! Bewegung!«
Voller Schreck gehorchten die Jungen, und Amagomer sah mit Genugtuung zu, wie sie sich vor ihm in Dreck warfen und daraus immer wieder japsend emporsprangen. Sie hatten noch vieles zu lernen, um wahre Nurbadi zu werden, große Krieger ihres Volkes. Ein Nurbadi war gestählt an Körper und Seele, lebte gemäß der wahren Tugenden eines Kriegers.
Tapferkeit, Willenskraft, Entschlossenheit, Treue, Geduld.
Amagomer hatte diese Worte als Kind so oft wiederholt, bis er sie im Schlaf aufsagen konnte – damals, als er noch Thayan gewesen war, als die Bosparaner sein Volk noch nicht in Stücke gerissen hatten, als seine Mutter noch weise und gütig über seine Heimat geherrscht hatte, als ihre gewissenlose Mörderin sich noch nicht auf den Thron der Alhani hatte setzen können. Hashandru. Amagomer hatte das Unausweichliche akzeptiert, aber ganz sicher hatte er niemals aufgegeben. Alle sahen in ihm Thayan, den Sohn einer besiegten Beyrouna, den Fürstgemahl der Königin, doch er wusste, wer er wirklich war: Er war Amagomer, der rächende Sohn, und bei den Göttinnen, er würde Rache für den Tod seiner Mutter nehmen und für alle Schmach, die er erlitten hatte. Immerhin war er ein Nurbadi.
Geduld war eine seiner größten Tugenden.
Er wartete, auf einem Bein kniend, nur wenige Schritte von der Königin entfernt. Worauf genau er wartete, dessen war sich Amagomer nicht sicher. Wartete er wirklich auf ihre Erlaubnis, sich zu erheben? Wartete er aus Höflichkeit mit seinem Bericht, bis die Kammerdienerin damit fertig war, die Königin ihrer aufwändigen Frisur zu entledigen? Oder wartete er lediglich, weil er hoffte, damit den Beginn des Gesprächs bis in alle Ewigkeit hinauszuzögern?
Er wartete.
»Ich danke dir, Sireyka. Du kannst nun gehen. Bitte bestell deiner Familie Grüße von mir«, erklang schließlich Hashandrus Stimme.
Amagomer hob den Kopf, als die Dienerin nah an ihm vorbei ging. Er sah, wie sie seinem Blick mit einem nervösen Zucken auswich und ihre Schritte beschleunigte. Was soll das? Bin ich etwa aussätzig?
»Mein Gemahl«, zog Hashandru seine Aufmerksamkeit auf sich. »Es freut mich, dass du meiner Bitte so schnell nachkommen konntest. Wir haben gewiss einiges zu besprechen.«
Etwas an ihrer Stimme zwang ihn, seinen Blick von der Dienerin ab- und seiner Ehefrau zuzuwenden. Also sah er sie an, wie sie dort auf der Liege saß, das lange schwarze Haar nun offen über ihre Schultern fallend. Sie fing seinen Blick mit ihren dunklen Augen und erwiderte ihn lächelnd.
Amagomer bemühte sich, sofort alle dadurch aufkeimenden Gedanken mit hastigen Worten beiseite zu wischen. »Du willst einen Bericht.«
»Ich will vieles«, erwiderte sie, »aber ein Bericht über deine Bemühungen wäre in jedem Fall ein guter Anfang. Also, bitte, sprich.«
Der wohlerzogene Junge, der er einst gewesen war, wollte sofort pflichtschuldigst antworten. Er war schließlich ein Nurbadi und sie seine Herrin. Heshinja hatte die Welt so gefügt, dass er ihr zu dienen hatte. Nur war die Welt leider völlig aus den Fugen geraten, wie Amagomer gerade in jenem Moment wieder einmal feststellen musste, als er über die Schulter seiner Frau hinwegsah. Dort traf sein Blick den ihres obersten Leibwächters, der grimmig zurückblickte. Kargemil war, zu Amagomers ehrlichem Bedauern, größer, kräftiger und auch erfahrener als er selbst. Vor allem aber nahm der Mann eine Position ein, die nach allen Regeln des Anstands wohl dem Ehemann der Königin zugestanden hätte. Amagomer sah, wie nah er der Königin stand, sowohl im körperlichen wie auch im geistigen Sinne. Er spürte, wie sich seine Augen im Blickwechsel mit Kargemil immer enger zusammenkniffen.
»Wird er zuhören?«, fragte Amagomer und wandte dabei den Blick wieder zu Hashandru.
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Stört es dich, wenn ich eine Leibwache an meiner Seite wissen will?«
Amagomer wollte nicht antworten. Jedes Gespräch mit ihr fühlte sich an, als gieße er Öl in ein tanzendes Feuer. Doch sobald es brannte, schien kein Wasser der Vernunft es mehr löschen zu können. Er hatte keine Wahl.
»Der Nurbadi ist dir doch mehr als nur Leibwächter. Wir wissen beide, dass er für dich das tut, was allein mein gutes Recht wäre.«
Hashandru gab einen seufzenden Laut von sich und verdrehte dabei die Augen. Dann winkte sie ihren Leibwächter zu sich hinab und flüsterte ihm einige Worte zu, von denen Amagomer zu seinem Verdruss rein gar nichts verstehen konnte. Schließlich nickte sie.
»Ich danke dir, Kargemil. Wenn das hier vorüber ist, werde ich dich rufen lassen.«
Der Leibwächter erwiderte ihr Nicken und legte die Hand dabei an das Heft seiner Klinge. Wie sie befohlen hatte, verließ er dann den Raum, und für einen Augenblick rechnete Amagomer damit, auf dem Weg von ihm angerempelt zu werden. Er konnte die Schulter des anderen Mannes förmlich an seiner spüren, doch als er die Tür hinter sich ins Schloss fallen hörte, bemerkte er, dass nichts davon wirklich geschehen war. Stattdessen hatte der Nurbadi ihn wortlos allein gelassen, mit ihr.
»Sag mir eines, Thayan, damit ich mich darauf vorbereiten kann: Werde ich von dir nun Einzelheiten zum Fortschritt meiner jungen Krieger hören, oder wird dies wieder eines unserer üblichen Gespräche?«
Amagomer sah sie mit gespielter Überraschung an. »Wir haben ›übliche Gespräche‹, meine Königin?«
»Genau darauf wollte ich hinaus. Wie oft du doch Fragen mit Gegenfragen beantwortest und noch dazu so verbissen. Als sprächen wir stets nur über Probleme und nie über Lösungen.«
»Was ist daran bissig, wenn ich die Wahrheit spreche? Schätzt unsere Königin denn plötzlich die Ehrlichkeit nicht mehr?«
»O Thayan.« Sie faltete die Hände in ihrem Schoß und setzte einen warmen, beinahe schon gütig zu nennenden Gesichtsausdruck auf, der in ihm sofort Ablehnung erzeugte. Wie konnte sie es wagen, ihn in einem solch mütterlichen Tonfall anzusprechen – ausgerechnet sie, die Mörderin seiner Mutter! Sie hatte kein Recht dazu. Sie hatte kein Recht, ihn Thayan zu nennen, denn schließlich hatte sie den Jungen Thayan auf dem Gewissen. In der Welt, die sie geschaffen hatte, gab es für jemanden wie ihn keinen Platz mehr. Thayan war gezwungen, Amagomer zu sein, um zu überleben.
»Verachtest du mich noch immer so sehr, Thayan?« Ihre Augen sahen ihn fragend an. »Was geschehen ist, ist geschehen. Seitdem ist Zeit vergangen, einige Zeit sogar. Du hattest die Möglichkeit, dir Gedanken zu machen, um die Dinge in einem anderen Licht zu sehen. Ich war mir sicher, dass … hm.«
Sie hielt inne. Amagomer spürte in der daraus entstehenden Stille plötzlich, dass er müde wurde. Der Tag war lang und körperlich auszehrend gewesen, aber diese Müdigkeit war durch mehr als nur erschöpfte Gliedmaßen begründet. Er war es leid, all das hier, so unendlich leid.
»Ich bedauere dein Leid, auch wenn du mir das nicht glaubst. Das habe ich stets getan«, fuhr Hashandru unvermittelt fort. »Ich bedauere, dass dein Leben einen Pfad eingeschlagen hat, den du dir selbst nie gewünscht hast. Ich bedauere, dass du dich nicht dazu durchringen kannst, mit diesem Leben deinen Frieden zu machen. Aber ist es wirklich das, was du willst? Dieser ewige, nie vergehende Zorn? Dieses bittere Gefühl, das jeden wachen Moment begleitet? Willst du so leben?«
Amagomers Herz schlug schneller, als hätten ihre Worte ihn aus der Müdigkeit gerissen. Er sah sie an und erwog tausend Dinge, die er hätte erwidern können. Viele von ihnen hätte er ihr voll Wut entgegen geschleudert. Manche aber waren anders, ruhig, durchdachter. Ihre Art zu sprechen, erinnerte ihn an Shinara, die Mutter seines besten Freundes Mikail, die er stets für ihre Weisheit geschätzt hatte. Auch sie stellte gerne Fragen, um andere dazu zu bringen, ihre Antworten zu überdenken. Obwohl sich vieles in seiner Seele dagegen wehrte, dachte auch Amagomer nun über die eben gestellten Fragen nach.
»Natürlich will ich nicht so leben«, sagte er schließlich, aber es klang immer noch zornig.
Hashandru nickte und lächelte traurig. »Natürlich nicht.« Sie erhob sich von ihrer Liege und ging zu einer Truhe am Fußende ihres Bettes. Neugier keimte in Amagomer auf, als er ihr beim Herumwühlen darin zusah, aber er verbot sich, diese in Worte zu fassen. Es interessierte ihn schließlich nicht, was die Mörderin seiner Mutter tat. Es hatte ihn nicht zu interessieren.
»Ich möchte dir ein Geschenk machen, weil ich bereits befürchtet habe, dass du so antworten würdest. Deshalb habe ich es in Auftrag gegeben. Jetzt ist es so weit.«
Sie kam auf ihn zu und streckte ihm etwas entgegen, das er automatisch entgegennahm, ohne sich eine schnippische Ablehnung zu überlegen. Stattdessen sah er auf das kleine Tonfläschchen, das sich angenehm kühl in seine Hand schmiegte. Er runzelte die Stirn.
»Will ich wissen, was das ist?«
»Es ist Gift.«
Amagomer riss die Augen überrascht auf und sah sie an.
»Das beste, welches man herstellen kann, wenn man Thesija glauben will. Meine Heilerin ist eine kluge Frau, auf die man sich stets verlassen kann. Wer das hier trinkt, scheidet mit Gewissheit und doch ohne Schmerzen aus dem Leben.«
Ein trauriger Teil seiner Seele wollte ihr für dieses Geschenk beinahe schon danken, doch Amagomers Stolz ließ es nicht zu. Er war ein Prinz, der Sohn einer großen Herrscherin, und sie wagte es, ihm so etwas auch nur vorzuschlagen?
»Du willst mich also tot sehen«, schnaubte er.
»Mit Sicherheit will ich das nicht«, widersprach sie und lehnte sich überraschend vor, um nach seiner Hand zu greifen, die das Fläschchen hielt. »Ich will, dass du dich für das Leben entscheidest, für unser Volk, und ja, auch für mich. Aber wenn du diese Entscheidung nicht aus freien Stücken treffen könntest, wäre sie doch ohne jeglichen Wert. Bislang, so scheint es mir, hattest du keine freie Wahl, weil du keine Alternativen hattest. Ich rechne es dir hoch an, dass du nie wieder versucht hast, mich zu ermorden, obwohl es dir einen einfachen Ausweg bieten würde. Du bist ein ehrenhafter Nurbadi, Thayan, und das kann ich respektieren. Sicher würdest du dir wünschen, durch die Klinge eines Feindes zu fallen, und gewiss würdest du niemals den Freitod durch deine eigene Klinge wählen. Du bist weder ehrlos noch feige. Aber … wenn dieses Leben dir wirklich so sehr zuwider ist, wie es immer den Anschein hat, dann hast du hiermit einen Ausweg. Ich überlasse dir die Wahl.«
Vorsichtig schloss sie seine Hand um das Fläschchen. Er sah gebannt dabei zu, wie sich ihre Finger um seine legten, spürte die Wärme ihrer Haut auf seiner. Glühende Erinnerungen breiteten sich in ihm aus, Erinnerungen daran, wie sich ihre Hände an anderen Stellen seines Körpers angefühlt hatten, wie ihre Haut unter seinen Fingern gezittert hatte, wie ihr Atem rau und kehlig in seinen Ohren widergehallt war … Er schüttelte den Kopf, so als könne er die Erinnerungen an ihre Hochzeitsnacht damit abschütteln, doch der Versuch, armselig wie er war, schien zum Scheitern verurteilt. Sein Blick traf ihren, fand das weiche Lächeln in ihren Augen, und er fühlte, wie etwas gegen seinen Zorn ankämpfte.
Nimm das Geschenk an, schimpfte dieses etwas. Nimm es an und dann nimm sie! Sie ist deine Frau, verdammt nochmal. Nimm sie gleich hier auf dem Boden und lass sie vergessen, wie dieser tumbe Leibwächter überhaupt heißt. Du bist ihr Fürstgemahl!
Mit brennenden Wangen sah er Hashandru an und schien unfähig, sich für eines der Herzen zu entscheiden, die gerade in seiner Brust schlugen. Ihr blieb dieser Zwist offenbar verborgen, denn sie ließ ihn los und wandte sich mit einem letzten mitleidigen Lächeln von ihm ab.
»Ich habe die Hoffnung, dass du mir jetzt etwas über meine jungen Nurbadi verrätst«, sagte sie und ließ sich wieder auf der Liege nieder.
»Sie … sind junge Kerle, ahnungslos, faul und voller Hoffnungen. Doch nichts davon gibt Anlass zur Sorge. Gib ihnen einige Monde, dann werden sie zu etwas zu gebrauchen sein und können sich in ihrer ersten Schlacht beweisen«, antwortete er pflichtschuldigst. Das Brennen ließ langsam nach. »Darf ich im Gegenzug fragen, wann du dein Versprechen einzulösen gedenkst? Wann marschieren wir nach War-Hunk? Wann treiben wir die Bosparaner zurück ins Meer?«
»Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Wenn du mit ›wir‹ die Alhanier meinst, dann lautet die Antwort, dass du dir nicht zu viel Zeit mit der Ausbildung nehmen darfst. Spätestens im nächsten Jahr werde ich meine Drohung wahrmachen müssen, sonst säen wir keine Furcht ins Herz unseres Feindes. Aber wir, du und ich, werden nicht dabei sein, wenn es so weit ist. Wir bleiben hier, in Ysil’elah.«
Amagomer ballte unwillkürlich seine Faust um das Fläschchen mit dem Gift.
»Das ist falsch. Ich bin dein Fürstgemahl, ich sollte unsere Truppe anführen!«
»Und doch hast du mein Vertrauen nicht«, widersprach sie in resigniertem Ton. »Entscheide dich, Thayan. Entscheide dich für das Leben, für mich, und du wirst mit Ehre und Anstand so behandelt werden, dass es deinem Stand entspricht.«
»Mein Stand …« Er biss sich selbst auf die Zunge.
Vergiss es, sagte er zu sich selbst. Mit keinen Worten der Welt wirst du dieses sture Weib von irgendetwas überzeugen. Sie wird nur Taten akzeptieren, also soll sie auch Taten bekommen.
Er neigte seinen Kopf vor ihr. »Ich danke dir für das Gespräch, Herrin. Wenn du nichts Weiteres von mir wünschst, würde ich mich jetzt zurückziehen.«
»Nein, für den Augenblick genügt das«, erwiderte sie.
Amagomer verneigte sich erneut. »Gut, denn ich könnte es mir ja auch nicht verzeihen, länger zwischen dir und deinem tatkräftigen Leibwächter zu stehen.«
Schnell wandte er sich ab, weil er die Reaktion auf diese zugegebenermaßen unbedachten Worte nicht sehen wollte. Er hatte sie sich nicht verkneifen können, und er gestand sich auch nicht zu, sie zu bereuen. Doch als er beim Verlassen ihrer Gemächer erneut Auge in Auge mit besagtem Leibwächter stand, der ihm entgegenkam, da fühlte er ein leichtes Stechen in seiner Magengegend. Kargemil kehrte zurück zu der Frau, die gewiss die ganze Nacht lang honigsüß seinen Namen seufzen würde, und Amagomer kehrte nur zurück in jene schmucklose Schlafkammer, die er sich als Form des Protests selbst ausgesucht hatte. Er kam nicht umhin, sich zu fragen, ob es – wenn es in dieser Welt schon keinen Platz für Thayan gab – überhaupt einen Platz für Amagomer geben konnte.
Sie ließ ihn nicht los. Amagomer hasste allein den Gedanken an sie, und doch dauerte es nach jedem Treffen mit Hashandru Tage, bis er ihr Gesicht aus seinen Gedanken verbannen konnte. Dieses Mal hallten auch ihre Worte in ihm nach, und auch das kleine Fläschchen, das er sich an den Gürtel gebunden hatte, ließ ihm keine Ruhe. Viele Male in den folgenden Tagen ertappte er sich dabei, wie seine Finger daran herumspielten, während seine Gedanken abschweiften. Wollte sie seinen Tod nun, oder wollte sie ihn nicht?
Er streifte durch die Gänge des Königinnenpalastes wie ein rastloser Geist und schalt sich selbst dafür. So wie jetzt, so hilflos, so ziellos, hatte er nie sein wollen. Er hatte Träume gehabt, damals, als er noch Thayan gewesen war. Große Träume vom Schlachtenruhm gegen die verhassten Bosparaner, von Gedichten zu seinen Ehren, von fürstlichen Säbeln, die man ihm zum Geschenk machte. Er hatte vom Leben als Mann geträumt, als Nurbadi an der Seite einer zaubermächtigen Dienerin Heshinjas, der er seine Treue und Liebe schenken konnte, und die ihm im Tausch dafür ebenso zaubermächtige Töchter und kräftige Söhne schenkte. Dann war Bosparan gekommen, Bey-el-Unukh war gefallen. Die Sippen seines Volkes waren zerbrochen wie die Scherben eines Spiegels. Fassungslos hatte er mitansehen müssen, wie seine stolze und kluge Mutter sich bemühte, die Reste aufzulesen. Sie schien ihren Weg gefunden zu haben, sie hatte ihm wieder Hoffnung gegeben. Doch dann war sie gestorben, erdolcht von jener Frau, die danach ihr Zepter an sich genommen und Thayan zum Gefangenen gemacht hatte. Seitdem war nichts mehr, wie es einst gewesen war.
Und jetzt, was war er jetzt?
»Absolut unvernünftig.«
Die Stimme zerrte Amagomer aus seinen Gedanken zurück in die Wirklichkeit. Er sah sich um und bemerkte, dass er in einem Torborgen des Palastes stand, der zum Inneren des Rosenhofs führte. Dieser von zahlreichen Rosensträuchern gesäumte Innenhof wurde von der Königin und ihren Beratern für wichtige Versammlungen genutzt. Genau deshalb kannte ihn Amagomer beinahe nur vom Hörensagen, wie er zähneknirschend feststellte. Er war schließlich nur der Gemahl der Königin, nur ein Prinz von edlem Blute, und daher bei weitem nicht wichtig genug, um an Entscheidungen über ihr gesamtes Volk teilzuhaben.
»Wir sind alle gelegentlich unvernünftig, wenn es um die Liebe geht«, antwortete eine andere Stimme plötzlich, und Amagomer erkannt sie als die seiner Gemahlin.
Sein Instinkt riet ihm, seine Schritte augenblicklich in eine andere Richtung zu lenken. Es war unanständig und geschmacklos, die Beratungen der Königin zu belauschen. Dennoch blieb er stehen. Er musste wissen, worauf sie mit diesen Worten hinauswollte.
»Herrin, ich weiß, sie ist deine Cousine. Du hast mit ihr stets viel Geduld bewiesen, und das, obwohl es dein gutes Recht gewesen wäre, ihr den Kopf abschlagen zu lassen«, fuhr die andere, ihm fremde Frauenstimme fort. Sie klang älter als Hashandru und beinahe etwas krächzend. »Aber du kannst nicht zulassen, dass ihre Schlechtwettermiene weiterhin bei Hof gesehen wird. Sie so zu sehen, sät Zweifel in die Herzen deiner Diener. Ganz zu schweigen von dem, was sie sagt, wenn sie denn einmal spricht.«
Er hörte Hashandru tief seufzen. »Hashinis … ist von meinem Blut, aber sie hat einen unverzeihlichen Fehler begangen. Beides muss ich bedenken. Ich verstehe ja deine Sorge, liebe Suljescha, aber ich sehe nicht, welchen Schluss ich deiner Meinung nach daraus ziehen könnte. Soll ich sie einsperren lassen, damit man ihr Liebesleid nicht mehr sieht? Soll ich zur Lügnerin werden, indem ich Häscher entsende nach diesem Bosparaner, der ihr das Herz gestohlen hat? Ich habe ihm die Freiheit geschenkt, zwar nicht aus gutem Willen, aber dennoch ist es geschehen. Denkst du, sie wird weniger Zweifel säen, wenn ich ihr den Kopf dieses fremdländischen Verräters schenke?«
Amagomer presste sich eng an die Wand und schlich unwillkürlich einige Schritte in den Rosenhof hinein. Er musste sichergehen, dass er jedes einzelne Wort verstand.
»Mit Verlaub, sie ritt freudig auf dem Schoß dieses bosparanischen Hundes, während Bitescha versuchte, dir dein Zepter zu stehlen.«
»Bitescha wurde von allen Vorwürfen freigesprochen. Sie ist genau wie du ein Mitglied meines inneren Kreises«, widersprach Hashandru energisch. Amagomer kannte diesen Tonfall gut, und er konnte sich ihren Gesichtsausdruck dabei bildlich vorstellen. »Es war dieser bosparanische Hund, Crito, der mir den Mörder schickte, der mein Zepter stehlen wollte. Er führte Bitescha vom rechten Weg ab, genau wie meine Cousine.«
»Wie kannst du dann zulassen, dass sie als seine Geliebte in deinem Haus schlecht über dich spricht? Erst vor ein paar Tagen hörte ich zwei Dienerinnen reden, zu denen Hashinis sagte, sie wünsche dir den Tod. Herrin, solche Worte mögen dir wie der harmlose Zorn eines Kindes vorkommen, aber eines Tages werden ihnen Taten folgen!«
Es wurde still. Amagomer hielt atemlos inne und drückte sich hinter eine Säule. Sein Herz schlug laut in seiner Brust.
»Sie … ist meine Cousine, mein Blut, meine Familie … Neben Laromir und der kleinen Danuscha ist sie doch alles, was mir geblieben ist.«
Hashandrus Stimme war leise und klang so verletzlich, wie er sie nie zuvor gehört hatte. Der gute Junge, den Thayans Mutter erzogen hatte, wollte sein Versteck sofort verlassen und sie umarmen. Amagomer aber wusste, dass sie ihm das niemals danken würde. Er ballte seine Hand zur Faust und hielt still.
»Die kleine Danuscha wird nicht mehr lange klein sein«, gab die alte Frau, die offenbar Suljescha hieß, in gütigem Tonfall zu bedenken. »Aber sie bereitet dir auch in keinster Weise Schande, so wie Hashinis es tut. Ebenso wenig würde Laromir dich jemals so beschämen. Kein Mitglied deiner Familie würde das. Nicht einmal Gama, deine Mutter.«
Ihre Mutter? Hashandru hat ihre Mutter niemals erwähnt, schoss es Amagomer durch den Kopf.
»Lass uns davon nicht sprechen«, winkte Hashandru ab. »Ich nehme deinen Rat und deine Warnung bezüglich meiner Cousine an. Vielleicht werde ich eines der Dienstmädchen damit beauftragen, Hashinis etwas genauer im Blick zu behalten. Ich kenne die Richtige für diese Aufgabe.«
»Du müsstest diesem Mädchen sehr innig vertrauen. Ihr Scheitern hätte weitreichende Folgen …«
»Das tue ich. Sireyka ist Kerijans Schwester, du erinnerst dich sicher an ihn. Er fand während der Schreckensherrschaft des Bosparaners zu deiner Widerstandsgruppe und führte mich zurück nach Ysil’elah.«
»Der Hirtenjunge?«
»Der ehemalige Hirtenjunge. Er ist jetzt ein stolzer Nurbadi, und seine jüngere Schwester ist im Dienste des Palastes zu einer geschickten Kammerdienerin gereift. Sie macht mir seit einiger Zeit die Haare. Siehst du, wie kunstfertig sie ist?«
Amagomer verdrehte die Augen.
»Kunstfertig ja, aber ist sie auch vertrauenswürdig?«
»Absolut. Es gibt wenige außerhalb meines engen Kreises, denen ich vertrauen würde. Sireyka zählt dazu. An ihrer Treue zweifle ich ebenso wenig wie an der Kerijans. Sie ist aufrichtig und liebenswert, und ihre Familie steht tief in meiner Schuld.«
Vor seinem inneren Auge sah Amagomer das angesprochene Mädchen, das er erst vor wenigen Tagen im Schlafgemach seiner Gemahlin getroffen hatte. Nun verstand er, weshalb sie es nicht ertragen hatte, ihn anzusehen. Wenn sie Hashandrus Geschöpf war, durch und durch, dann musste sie ihn verabscheuen. Sie tat sicher alles, um ihrer Herrin zu gefallen – so wie alle hier.
Die Alte räusperte sich. »Ich will das so hinnehmen. Wollen wir dann zur Beratung übergehen? Ich bin sicher, dass die meisten bereits eingetroffen sind, und du weißt, wie unleidig der gute alte Amijan wird, wenn man ihn warten lässt.«
»Das könnte ich heute kaum ertragen«, stimmte Hashandru lachend zu.
Amagomers Herz begann wieder zu rasen, als er begriff, dass die beiden Frauen nun nach Dienern und Beratern schicken ließen. Er sank ratlos in die Knie und hoffte, sich zwischen den Rosenbüschen verstecken zu können, bis genügend Tumult im Hof herrschte, damit er ungesehen verschwinden konnte. Irgendwo in der Ferne wurde ein Tor geöffnet. Andere Stimmen, darunter auch männliche, hallten von den Wänden wider.
In was für einen Mist hast du dich da nur wieder hineinbegeben?, schimpfte er mit sich selbst.
Ein Dorn stach ihm in die Handfläche, als er ungelenk zwischen den Büschen hindurch hüpfte. Er biss sich auf die Zunge, um den Schmerz zu verdrängen.
Du heshinjaverlassener Narr, das hast du jetzt davon! Firun spuckt auf dich.
Amagomer wischte sich das Blut am Saum seines Gewands ab und ließ sich auf die Knie sinken, um sich noch tiefer zu ducken. Durch das Geäst der Sträucher konnte er Menschen in den Hof treten sehen. Sogar Hashandru konnte er nun ausmachen, deren schwarzes Haar tatsächlich zu einer imposanten Frisur hochgesteckt war.
»Es gibt sicherlich einen guten Grund, weshalb du wie ein wilder Eber durchs Unterholz kriechst«, schrak ihn urplötzlich die Stimme der alten Suljescha auf. »Mir will nur keiner einfallen.«
Entsetzt sah er zu ihr auf und fühlte sich dabei auf ganz furchtbare Art wie ein kleiner Bengel, der mit der Hand im Honigtopf erwischt worden war.
»Wie …?«
»Wie ich dich bemerkt habe?« Die Alte zog beide Augenbrauen streng hoch und legte dabei die Stirn kraus. »Denkst du, nur weil ich all meine Zaubermacht aufgegeben habe, bin ich taub oder blind? Ich habe dich aus dem Augenwinkel gesehen und mich gewundert, warum jemand sich in den Rosenbüschen verstecken sollte. Mit einem Spion habe ich gerechnet, aber nicht mit dem Gemahl unserer Königin, der sich wie ein Schwein im Dreck suhlt.«
Amagomer sah sie noch immer verdutzt an.
»Willst du weiterhin dort unten hocken oder dich endlich erklären und dabei stehen wie ein anständiger Mann?«
»Ja, natürlich. Letzteres, meine ich«, beeilte er sich zu sagen. Dabei erhob er sich ebenso hastig und versuchte nervös, die Erde von seiner Kleidung zu klopfen. »Ich war durch Zufall in der Nähe und ich hörte euch sprechen …«
»Und weil von Verrat die Rede war, bist du gerne geblieben, nicht wahr?« Obwohl sie fast einen Kopf kleiner war als er, fühlte er sich von Suljeschas Augen wie festgenagelt. »Denk nicht, ich würde dich nicht durchschauen. Es ist niemandem verborgen geblieben, was für ein verbitterter Narr du bist, und dass du unserer Königin ihre Milde mit Verachtung dankst.«
Hashandrus Stimme unterbrach sie quer durch den Hof. »Suljescha, wir wollen beginnen! Oh …«
Amagomer wollte im Boden versinken, als er die Königin näher kommen sah.
»Thayan? Gibt es ein Problem, bei dessen Lösung ich behilflich sein könnte?«
Beide, Hashandru und Suljescha, sahen ihn fragend an. Er klopfte noch einmal Erde von seinem Hosenbein und schüttelte den Kopf.
»Nein. Deine Beraterin ließ mir eine Kostprobe ihrer Weisheit zuteilwerden, und jetzt werde ich gehen.«
Aus dem Augenwinkel sah er, dass die Alte mürrisch nickte. Ihr Blick ließ ihn eindeutig wissen, dass sie ihn fortan im Auge behalten würde. Zu seiner Überraschung zuckte Hashandru aber nur mit den Schultern.
»Du kannst der Beratung beiwohnen, wenn du deine Zunge im Zaum hältst.«
»Herrin?«, fragte Suljescha überrascht dazwischen.
»Es schadet nicht, wenn er einmal sieht, was ihm entgeht. Dies hier könnte deine Welt sein, Thayan, wenn du dich für den richtigen Weg entscheidest. Du solltest eine wohlüberlegte Entscheidung treffen können, also bitte, bleib und hör zu.«
Amagomer sah sie verblüfft an und fühlte sich noch unwohler als in dem Moment, in dem Suljescha im Rosenbeet auf ihn herabgesehen hatte. Sein Blick glitt ab, hinüber zu den unfreiwillig wartenden Beratern, die über das Schicksal ihres gesamten Volkes sprechen wollten. Er hatte nie etwas anderes so sehr gewollt, wie Teil dieser Welt zu sein. Etwas zu entscheiden, etwas zu bewegen, etwas zu verändern. Sein Blick traf wieder den Hashandrus, die ungeduldig, aber nicht wirklich unfreundlich, seiner Antwort harrte.
»Ich werde schweigen und zuhören«, versprach er.
Die Königin lächelte. »So soll es sein.«
Das sollte es sein? Amagomer weigerte sich, seinen Sinnen Vertrauen zu schenken. Diese zeternden, wild einander ins Wort fallenden Gestalten sollten die klügsten und ehrbarsten Mitglieder seines Volkes sein? Dies war die große Politik, von der seine Mutter immer so ehrfurchtsvoll gesprochen hatte? Amagomer schüttelte ungläubig den Kopf und sah zu.
Er beobachtete, wie man sich über den Feldzug gegen War-Hunk stritt, bei dem offenbar nicht einmal für banale Fragen eine breite Übereinkunft gefunden werden konnte. Wer sollte die Truppen anführen? Manche, darunter die alte Suljescha, die Amagomer zwischen ihren Worten stets kritisch ansah, befürworteten einen Nurbadi namens Laromir. Er war der Vetter der Königin und einst auch ihr Gemahl gewesen, bevor sie ihn verlassen hatte. Oder hatte er sie verlassen? Amagomer waren verschiedene Gerüchte zu Ohren gekommen, aber er hatte sich für keines davon interessiert. Dieses Desinteresse bedauerte er nun, denn er hätte gerne verstanden, was für ein Mann dieser Laromir war.
»Nein, unsere Königin hat den Oberbefehl über unsere Nurbadi aus gutem Grund meinem Enkel anvertraut. Veron omer Danutja sollte uns nach War-Hunk führen«, warf ein alter Zausel dazwischen, den Amagomer als Keshmir, den getreuen Berater der Königin, erkannte. Auch dessen Enkel Veron war ihm ein Begriff. Wie könnte er diesen aufgeblasenen Speichellecker vergessen, der ständig um die Königin schlich und dabei dreinblickte wie ein geprügelter Hund? Es war offensichtlich, dass er die Position des Fürsten und obersten Leibwächters ebenso sehr begehrte wie die Königin selbst. Nur ihr schien es nicht klar zu sein, andernfalls hätte sie nicht so viel Vertrauen in den Mann gelegt. Amagomer war sich sicher, dass dieser Veron eines Tages seine Klinge bis zum Ansatz in demjenigen Mann versenken würde, der Hashandru gerade beiwohnte. Vermutlich würde es also Kargemil, den brummigen Leibwächter, treffen, und Amagomer war sich nicht sicher, ob er diese Vorstellung bedauernswert finden sollte.
»Was ist mit dem Fürstgemahl? Wäre es nicht seine Aufgabe, unsere Säbel anzuführen, so wie die Königin unsere Seelen anführt?«
Ja, genau, was ist mit mir? Amagomer reckte seinen Kopf, um zu erkennen, wer in seinem Sinne gesprochen hatte. Zu seinem Erstaunen war es eine Zauberpriesterin mit dickem, schwarzem Zopf und gefährlich glänzenden Augen. Er wusste, wer sie war – ihr Name lautete Bitescha, doch viele im Palast nannten sie die Verräterin, obwohl die Königin ihr Gnade gewährt hatte. Mehr noch, sie war sogar Teil von Hashandrus engstem Kreis, jenem elitären Zirkel von persönlichen Vertrauten, mit denen die Königin die wirklichen Fragen der Politik entschied. Der Kreis, in den sie mich niemals einlassen würde.
»Der Junge ist doch ein Witz. Mein Vetter sollte unsere Truppen anführen, der Bruder meiner geliebten Cousine, der Beyrouna Dalkeshja von Lors-Hunk!«, warf eine füllige Frau ein, deren Gesicht Amagomer rein gar nichts sagte. Er würde es sich aber gewiss von nun an merken.
Ein alter Nurbadi mischte sich mit einem Räuspern ein. »Mäßige dich. Du bist Gast in diesem Haus – und der Junge, von dem du sprichst, kann dich hören.« Dabei deutete er in Amagomers Richtung.
Ein kalter Schauer lief über dessen Rücken, als sich nach und nach immer mehr Köpfe zu ihm wandten.
»Er sollte aber nicht hier sein, Vater«, sagte ein junger, dunkel gelockter Mann mit eiskalter Stimme. »Er gehört nicht zu den Beratern der Königin.« Bei diesen Worten sah er Amagomer eindringlich an.
»Ich bin auf Wunsch der Königin hier«, gab dieser weit weniger gelassen zurück. »Und wer bist du, dass du es wagst, so mit deinem Fürsten zu sprechen?«
»Sildroyan omer Karmilja, Nurbadi der Königin, Sohn des treusten aller Nurbadi, Amijan omer Nurja. Ich bin auf Wunsch der Königin hier, doch dass du mein Fürst bist, das glaube ich erst, wenn ich es sehe.«
Amagomer riss seine Arme aus der verschränkten Haltung vor seiner Brust und ging auf den Mann zu. Die Menge begann zu raunen. Er bedauerte, keine Waffe mit sich zu führen. Wenigstens hatte er noch das Gift an seinem Gürtel, wenn er nur schnell genug war …
»Mein Gemahl ist auf meinen persönlichen Wunsch hier«, durchbrach Hashandrus Stimme das Gemurmel. Amagomer blieb abrupt stehen, denn während der gesamten Besprechung hatte sie nicht einmal ihre Stimme erhoben. »Er ist hier, um zu sehen, zu hören und zu lernen. Allerdings frage ich mich: Ist es der Wunsch meiner geschätzten Berater, dass er lernt, was Uneinigkeit und Zank bedeuten?«
Mit betretener Miene wandten viele der Anwesenden ihre Köpfe ab. Amagomer fand sich umringt von Menschen, die allesamt ebenso peinlich berührt schienen wie er, als die Alte ihn aus den Rosenbüschen gescheucht hatte. Sein Blick traf den der Königin, die nur einmal kurz mit den Mundwinkeln zuckte.
»Dann will ich damit eure Ratschläge zur Kenntnis nehmen und bald zu einer gereiften Entscheidung kommen, wer uns im kommenden Jahr zum Sieg gegen die verhassten Bosparaner führen wird«, fuhr Hashandru so ungerührt fort, als bemerke sie die merkwürdige Stimmung nicht. »Damit wir gut vorbereitet sind, wird es bald an der Zeit sein, unsere Männer zusammenzurufen und zu bewaffnen. Der Heerzug wird sich hier versammeln, in den Mauern von Ysil’elah, die Heshinja selbst gesegnet hat. Dazu ist es nötig, dass ein jeder seinen Beitrag leistet. Wir sind ein einiges Bienenvolk, wir stehen zusammen.«
Amagomer sah sich unter den Schweigenden um. Seine Augen fanden die des dreisten jungen Nurbadi, der es gewagt hatte, ihn so öffentlich zu beschämen – Sildroyan. Sie beide sollten einig zusammenstehen? Amagomer lachte innerlich.
Hashandrus Stimme erklang wieder, plötzlich so süß wie Honig. »Und natürlich, geschätzte Dalkeshja, werden wir uns auf unsere Verbündeten aus Lors-Hunk verlassen. Wie könnte ich vergessen, dass ihr von Anfang an zu mir standet?«
Die füllige Frau nickte erfreut, doch Amagomer legte nur die Stirn in Falten. Hatte sie nicht gesagt, ihre Cousine sei Beyrouna von Lors-Hunk und hieße Dalkeshja? Hatte sie den gleichen Namen? Amagomer kratzte sich am Bart und bemerkte dabei, dass er etwas verloren mitten im Hof stand.
»Genau deshalb bitte ich dich, zu deiner Cousine zu reisen und sie persönlich über unsere Pläne ins Bild zu setzen. Lors-Hunk muss vorbereitet sein, wenn es so weit ist, um seinen gebührenden Platz einnehmen zu können.« Hashandru lächelte.
»Ich schreibe ihr direkt einen Brief«, erwiderte die Angesprochene und rieb sich dabei die Hände.
Der alte Krieger, der offenbar Sildroyans Vater war, räusperte sich hörbar. »Hast du nicht gehört? Die Königin wünscht, dass du gehst.«
»Die Königin wünscht sich nur treue Unterstützung aus Lors-Hunk, und bei Mokoscha, die wird sie erhalten. Gewiss hätte sie sogar noch mehr erhalten können, wäre sie bei der Wahl ihres Gatten nicht so nachlässig gewesen. Ein Gemahl aus Lors-Hunk wäre für unser Volk von großem Nutzen gewesen.«
Ihre Worte schlugen in Amagomers Magengrube wie ein Fausthieb.
»Es steht dir nicht zu, in Gegenwart deiner Königin so zu sprechen, Weib«, stellte sich nun Sildroyan auf die Seite seines Vaters.
»Und dir steht es nicht zu, eine von Heshinja erwählte Zauberpriesterin zu maßregeln, Welpe«, entgegnete Dalkeshja hastig. »Hängst noch immer an den Zitzen deiner Mutter …«
Da schien dem alten Mann, Sildroyans Vater, der Geduldsfaden zu reißen. »Sprich ja nicht von meiner Frau!«, spuckte er und war drauf und dran, seinen Säbel zu ziehen.
Ohne einen Gedanken dabei zu fassen, stolperte Amagomer vorwärts, und plötzlich fand er sich Seite an Seite mit dem unverschämten Sildroyan bei dem Versuch, den Alten vor einem großen Fehler zu bewahren. Gemeinsam zogen sie ihn, jeder an einer Schulter, von Dalkeshja fort. Tumult brach um sie herum aus.
»Lasst mich los«, fauchte der Alte.
Amagomer konnte über das Stimmengewirr hinweg das Lachen Dalkeshjas hören. »Wie mir scheint, hast du deine Männer nicht richtig im Griff, meine Königin. Mit Männern aus Lors-Hunk wäre dir das nicht passiert.«
Lass den Alten los, lass ihn los wie einen Hund von der Kette. Diese großmäulige Schnepfe hat es verdient, raunte es in Amagomers Gedanken. Oder stopf ihr gleich selbst das Maul. Wie kann sie es wagen, so mit der Königin der Alhanier zu sprechen?
Aber sie sprach nicht weiter. Zu Amagomers Erstaunen sprach niemand mehr weiter, denn eisige Stille kehrte so urplötzlich in den Rosenhof ein, dass er sich nicht erklären konnte, was geschehen war. Instinktiv ließen er und auch Sildroyan dessen Vater los. Sie alle wandten ihre Köpfe dem Thron aus golddurchwirkten Kissen zu, von dem die Königin sich erhoben hatte. Hoch über all ihren Köpfen glänzte nun in ihrer Hand das Zepter von Imme und Natter, das erhabene Symbol der Macht über Ysil’elah. Hashandru hatte es gen Himmel gereckt, und sofort war Stille eingekehrt. Fast schien es Amagomer sogar, als könne er nicht sprechen, selbst wenn er wollte. Eine unsichtbare Kraft schien ihm die Kehle zuzuschnüren.
»Wir sind nicht hier, um über meine Männer zu sprechen. Wir sind hier, um einen Krieg vorzubereiten, und du, Dalkeshja, bist hier als Vertreterin deiner geschätzten Cousine. Du wirst sie in Kenntnis setzen von allem, was heute hier geschehen ist, und dann magst du bleiben.« Hashandrus Worte schienen von den Wänden widerzuhallen und den gesamten Hof zu erfüllen. Amagomer spürte, wie sich alle Haare an seinem Körper langsam aufstellten. »Doch missverstehe mich bitte nicht. Ich werde nie wieder ein Wort von dir hören über meine Männer, weder über meinen Gemahl noch meine Berater oder deren Söhne. Sie sind allein mein. Wir sind ein einiges Bienenvolk, und ich bin die Königin.«
Nie zuvor hatte es ihn gefreut, sie diese Worte sagen zu hören.
Meine Königin.
Die Worte rollten auf seiner Zunge hin und her, während Amagomer nachdenklich auf der harten Pritsche lag, die seine kärgliche Kammer zu einem guten Teil ausfüllte. Er starrte auf die nackten Wände, an denen das Mondlicht merkwürdige Muster zeichnete. Seit seinem Besuch im Rosenhof waren drei Tage vergangen, aber noch schlimmer, auch drei Nächte. Nächte, in denen er wenig Schlaf fand, weil sein Geist wachgehalten wurde durch die Erinnerungen an Worte und Gefühle. Was hatte er empfunden, als sie das Zepter in die Höhe gerissen hatte? War es wahrhaftig Heshinjas Macht, die durch ihn und alle anderen geflossen war wie Wasser durch eine Mühle? Er versuchte, sich einzureden, dass er etwas hätte sagen können, wenn er nur gewollt hätte, doch eine Stimme der Vernunft widersprach ihm stets.
Heshinjas Macht ist groß, größer als du sie dir je vorstellen könntest. Sie erwählt unter den Frauen nur jene, die ihr wahrhaft wohlgefallen, und macht sie zu ihren Dienerinnen, mahnte die Stimme seiner Mutter ihn in Gedanken. Und keine steht höher als die Königin.
Er wusste, dass es so war. Nur, wie konnte es sein? Seine Mutter war doch gerade in die Schlacht gezogen, um eben jener Frau, die jetzt Königin war, die Stirn zu bieten! Sie hatte gelitten und geblutet und war schließlich durch einen Dolchstoß ins Herz gestorben. Sie hatte alles verloren an Hashandru die Königin. Wie konnte die Göttin einer solchen Frau gewogen sein? Wieso hatte diese Frau so viel Macht über die Herzen der Menschen? Wieso konnte sie nicht viel mehr hassenswerte Taten vollbringen, die es Amagomer leicht machen würden, der zu sein, der er sein musste?
Er schlug mit der Faust gegen die kalte Mauer neben seiner Pritsche und schloss die Augen.
Verdammt, verdammt, verdammt.
Es klopfte an der Tür. Erschrocken öffnete Amagomer die Augen und sah sich um. Hier drinnen war alles kalt und still wie immer. Hatte er sich getäuscht? Doch nein, ein zweites zaghaftes Klopfen drang klar an sein Ohr. Er rappelte sich auf und bemerkte, dass er außer einer einfachen Leinenhose nichts am Leib trug.
Soll ich mich anständiger anziehen? Wenn das die alte Suljescha ist, zetert sie bestimmt bei meinem Anblick. Aber wenn es die Königin ist …
Er ging ohne Umschweife zur Tür und öffnete sie. Im Licht des Mondes erkannte er die junge Frau, die mit unsicherem Blick vor seiner Tür stand, zunächst nicht. Amagomer zog die Tür weiter auf, doch auch bei besserer Beleuchtung war ihm das Mädchen unbekannt.
Eine Spionin von Hashandru vielleicht? Wie eine Mörderin sieht sie jedenfalls nicht aus …
»Du kennst mich nicht, Herr«, sagte sie mit leiser Stimme. »Ich bin Hashinis suni Nimescha. Ich bitte dich, höre mich an.«
Seine Gedanken überschlugen sich, als er sie eintreten ließ. Er hatte das Gespräch nicht vergessen, das er – auf zugegebenermaßen unwürdige Art – kürzlich belauscht hatte. Dies also war die ominöse Cousine der Königin, die sich einem bosparanischen Verräter hingegeben hatte. Amagomer musterte sie von oben bis unten, wie sie sich nervös in seiner Kammer umsah.
»So also zwingt sie dich zu leben? Dann musst du mich verstehen«, seufzte sie. »Dieser Ort ist ein Gefängnis, doch niemand versteht es. Niemand sieht es! Sie ist grausam und kalt und herzlos zu jenen, die nicht genau das tun, was sie wünscht.«
Genau genommen habe ich mir diesen Raum selbst ausgesucht, dachte Amagomer und erinnerte sich dabei an das prunkvolle Gemach, das Hashandru ihm ursprünglich zugestanden hatte.
»Bitte, ich flehe dich an, Thayan, du bist der Einzige, der mich verstehen könnte!«
Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Mein Name ist Amagomer.«
Ihre Augen wurden groß. Dann nickte sie eifrig. »Natürlich ist er das! Rächender Sohn, siehst du nicht, dass wir dasselbe Schicksal teilen? Die Königin hat uns Unrecht getan, doch die Welt ist zu blind, um es zu erkennen.«
»Was willst du von mir?«, erwiderte er mürrisch.
»Dein Verständnis, deine Hilfe, deine Unterstützung. Bitte, siehst du nicht, dass man mich aller Macht beraubt hat? Ich habe niemanden mehr, nicht einmal Freunde. Nicht einmal meine Schwester sieht mich noch so an, wie sie es einst tat. Danuschas Herz ist vergiftet vom Zorn der Königin. Alles, was sie tut, ist von ihr und dieser Beyrouna zu sprechen – der Beyrouna von Yal’Alankh, diesem heiteren Kind, dem man das Zepter deiner Mutter geschenkt hat! Wie kannst du untätig danebenstehen und solches Unrecht geschehen lassen?«
Ihre Worte trafen ihn, aber er verbot sich, ihr das zu zeigen. Sie hatte kein Recht darauf, zu wissen, was in einem Fürsten vor sich ging.
»Meine Mutter ist tot«, sagte er deshalb kalt. »Jemand musste ihr Zepter übernehmen. Ich höre Berichte über den Fortschritt der jungen Eshinis, und was man mir sagt, stimmt mich zuversichtlich.«
»Aber sie hätte niemals das Zepter halten dürfen, oder nicht? Es gehörte deiner Mutter, genau wie du zu ihr gehört hast, wie ich zu Crito gehöre! Uns wurden die Menschen entrissen, die wir am meisten lieben, und wofür? Wofür? Für Politik und die Eitelkeit der Königin!«
Sie hat nicht Unrecht, raunten einige von Amagomers Gedanken.
Sie will dich in ihren törichten Verrat hineinziehen. Ihr werdet beide euren Kopf verlieren, und dann bleibt deine Mutter ungerächt, widersprachen andere.
Er brummte. »Du schläfst mit dem Feind.«
Hashinis schüttelte verzweifelt den Kopf. »Bitte, Amagomer, bitte! Du musst es doch verstehen, es war alles ein Missverständnis! Crito ist ein guter Mann, ein wunderbarer Mann! Ist es seine Schuld, in welchem Volk er geboren wurde? Es war alles Bitescha, diese falschzüngige Schlange! Bitte, du musst mir glauben.«
Ich muss gar nichts.
»Selbst wenn ich dir glauben würde, was könnte ich tun? Du sagst es selbst, ich bin ebenso ein Gefangener wie du. Ich habe keinerlei Macht.«
»Das ist nicht wahr«, widersprach sie überraschend energisch. »Dir hört die Königin zu. Dir will sie zuhören, weil sie noch immer glaubt, du würdest ihr irgendwann verzeihen. Sie versteht nicht, dass man so etwas nicht verzeihen kann! Aber dadurch hast du Macht, Amagomer, und du könntest sie nutzen. Bitte, nutze sie für mich. Ich verlange nicht viel, bitte, ich will nur hier raus … Ich will keine Gefangene mehr sein.«
»Du willst zu deinem Geliebten, ins Feindesland«, stellte er nüchtern fest.
»Wäre das so falsch? Ich will doch nur einen Ausweg. Hättest du nicht auch gern einen Ausweg?«
Seine Hand wanderte instinktiv an die Hüfte, wo er sonst seinen Gürtel trug. Dann erinnerte er sich, dass er das Fläschchen mit dem Gift auf den kleinen Hocker neben seinem Bett gestellt hatte. Er sah hinüber, nur um sich zu vergewissern, dass es noch da war.
»Die Königin hat mir einen Ausweg geschenkt«, sagte er dann nicht ohne Ironie in der Stimme. »Da drüben. Das ist Gift. Gutes Gift, das hat sie mir versichert. Ihre so hochgeschätzte Heilerin hat es anscheinend eigenhändig gebraut. Wenn mir dieses Leben vollends zuwider wird, soll ich mich damit selbst vor Mokoscha bringen.«
Ungläubig starrte Hashinis auf das Fläschchen. Sie schüttelte den Kopf, langsam, aber dafür immer wieder.
»Siehst du, wie grausam sie ist?«
Amagomer war unfähig, darauf zu antworten. Die streitenden Stimmen in seinem Kopf tobten zu laut.
»Genau deshalb darf sie nicht gewinnen. Bitte, Amagomer! Wir sind die einzigen, die ihrem Bann noch nicht verfallen sind. Wenn wir nicht für unsere Freiheit einstehen, dann wird es niemand mehr tun können. Du musst mir aus dieser verfluchten Stadt heraushelfen!«
Er atmete tief ein und dann wieder aus.
»Du musst jetzt gehen.«
»Nein, Amagomer, du hast mir nicht richtig zugehört.«
»Ich habe dich gehört«, beharrte er in zunehmend zornigem Tonfall. »Und ich habe dich verstanden. Was du verlangst, kann ich nicht hier entscheiden, und nicht jetzt. Du musst jetzt gehen, bevor dich jemand sieht. Wenn die Königin erfährt, dass du hier warst, ist unser beider Schicksal besiegelt.«
Sie nickte hastig. »Natürlich. Bitte entschuldige. Ich werde gehen. Sofort.«
Willst du sie nicht warnen, dass die Königin sie beschatten lässt? Wie hieß nochmal diese Kammerdienerin, die auf sie aufpassen soll? Die kleine Schwester des Hirtenburschen?
»Gute Nacht«, hörte Amagomer sich sagen, und dann schloss er die Tür. Offenbar wollte er sie nicht warnen.
Was aber konnte er sonst wollen?
»Du weißt also nicht, was du willst. Wunderbar. Großartig. Wie gut, dass du mich mit hineingezogen hast.«
Amagomer zog eine Augenbraue hoch und sah seinen besten Freund und Vetter Mikail fragend an, der schimpfend in seiner Schlafkammer auf und ab ging. Er hatte mit einer anderen Reaktion gerechnet.
»Ist das dein Ernst? Ich vertraue dir, weil es niemanden sonst in dieser Welt gibt, mit dem ich sprechen könnte, und du verspottest mich?«
Mikail blieb stehen und fuhr sich nachdenklich durchs Haar. »Ich verspotte dich doch nicht. Aber sei doch ehrlich … Ist das dein Ernst? Dieses arme, fehlgeleitete Ding wendet sich an dich mit einem unausgegorenen Plan zum Hochverrat und du ziehst in Erwägung, ihr dabei zu helfen?«
»Du wirst doch niemandem davon erzählen? Nicht einmal deiner Mutter?«, hakte Amagomer erschrocken nach. Er war sich so sicher gewesen, dass er Mikail vertrauen konnte. Wem, wenn nicht ihm?
»Das werde ich natürlich nicht, aber nicht nur, weil du mein Freund bist und Mokoscha mich zwingt, dich zu lieben, sondern weil ich weiß, dass du deine Dummheit erkennen wirst. Du bist von Heshinjas Odem verlassen, wenn du glaubst, dass diese irrsinnigen Pläne zum Verrat gelingen könnten.«
Amagomer nickte und seufzte. »Weil die Königin ihre Spitzel überall hat, und ihre Macht nicht mehr zu brechen ist.«
»Weil es eine furchtbare Idee ist!«, widersprach Mikail und kam auf ihn zu, um ihn an den Schultern zu packen. »Bei Mokoscha, Thayan, du weißt, dass ich dich liebe, aber ganz ehrlich – dein Kopf ist voller Scheiße. Wann immer du den Mund aufmachst, kommt etwas davon heraus.«
»Wie liebenswert von dir«, spottete Amagomer zurück.
»Wenn es sonst niemand tut, dann muss eben ich dir die Wahrheit sagen. Diese Hashinis sollte sich freuen, dass sie noch atmen darf. Wenn sie mit ihrem albernen Gejammer Erfolg hätte, was dann? Willst du wirklich, dass die Bosparaner jemanden in ihren Klauen haben, dem sie einen Anspruch auf den Thron der Königin andichten können?«
Natürlich nicht, antwortete er in Gedanken sofort, aber er wollte Mikail diese Genugtuung nicht gönnen.
»Ich will …«
Mikail ließ ihn los und stöhnte auf. »Ja, bitte, sprich! Der Tag, an dem der große Thayan omer Agnitha endlich versteht, was er will, ist ein Tag, den ich im Rausch von Honigwein feiern werde!«
»Ich will, was mir zusteht«, sprach Amagomer eisern weiter, obwohl ihn die Theatralik seines Freundes aus dem Konzept zu bringen drohte. »Ich will Bosparan in den Staub treten. Ich will den Tod meiner Mutter rächen. Ich bin Amagomer omer Agnitha, und ich werde nicht scheitern!«
Ein plötzlicher Schmerz durchzuckte ihn. Es dauerte einige Herzschläge, bis er begriff, dass Mikails Hand auf seiner Wange diesen Schmerz ausgelöst hatte. Fassungslos sah er den Freund an, der ihn geschlagen hatte und der ebenso fassungslos zurückstarrte.
»Ein Volltrottel, das bist du«, sagte Mikail dann leise und wandte sich ab. »Du schlägst jede helfende Hand weg, die man dir entgegenstreckt.«
»Und du schlägst einem Mann ins Gesicht, den du Freund nennst.«
»Weil du zur Vernunft kommen musst!« Mikail wurde plötzlich laut. »Bei Firuns Stärke, ich kann es kaum ertragen, dir bei deinem Pfad der Selbstzerstörung zuzusehen. Diese würdelose Schlafkammer, dein Ausschluss von allen höheren Ehren, das Bett deiner Frau, das kalt bleibt … Das muss doch alles nicht sein, Thayan!«
Amagomer lachte verächtlich. »Oh, ich versichere dir, das Bett meiner Frau bleibt ganz sicher nicht kalt.«
»Ja, aber es bist nicht du, der es ihr wärmt, und das ist eine Schande für dich und sie. Der Thayan, den ich kannte, hätte sich niemals mit einem zweiten Platz zu Füßen eines Mannes wie diesem Kargemil zufriedengegeben. Was ist nur passiert?«
»Du weißt von Kargemil?«
Nun war es Mikail, der die Arme vor der Brust verschränkte. »Ich weiß vermutlich mehr über das Leben deiner Frau als du selbst.«
»Schläfst du also auch mit ihr?«
»Was, ich? Auf keinen Fall!«
Mikail winkte hastig ab, aber zu seinem Entsetzen bemerkte Amagomer, dass sein Freund rot wurde. Sein Beteuern, der Königin nur als treuer Diener zur Seite zu stehen, klang allerdings aufrichtig. Doch wieso schämte er sich dann? Was verbarg er?
»Bitte, Thayan, sei doch einmal vernünftig. Das hier könnte sich zu deinem Vorteil entwickeln! Wenn du die Königin über die Pläne ihrer verräterischen Cousine in Kenntnis setzt, dann gewinnst du damit ihr Vertrauen. Sie wird in dir endlich den Mann erkennen, der du immer schon gewesen bist. Das ist deine Chance, wahrhaft zu ihrem Fürstgemahl zu werden! Wie kannst du da zögern?«
Weil ich gar nicht mehr weiß, was noch richtig oder falsch ist oder was ich tun soll. Das wurde ihm in diesem Moment schlagartig klar, aber er wusste auch, dass er diese Erkenntnis nicht in Worte fassen konnte. Nicht einmal für Mikail.
»Du wirst niemandem davon erzählen?«
»Thayan, du bist mein Freund.«
»Dann schwöre es. Das ist meine Entscheidung, also schwöre, dass du niemandem davon erzählst.«
Mikail seufzte tief. »Ich schwöre es bei Heshinja und Firun. Aber ich schwöre dir auch – wenn das schief geht, dann bist du allein schuld daran. Sei kein Narr.«
»Ich bin kein Narr, mein Freund, und ich bin es leid, so genannt zu werden. Ich bin …«
»Wenn du noch einmal den Namen Amagomer erwähnst, trete ich dich dahin, wo es viel länger wehtut«, fiel ihm Mikail ins Wort, und es klang nicht wie ein Scherz.
Amagomer zögerte kurz, bevor er weitersprach. »Ich bin der Fürstgemahl der Alhanier. Ich werde eine Entscheidung treffen, und du wirst der erste sein, der davon erfährt.«
Sie machte es ihm einfach nicht leicht. Seit dem Tag, an dem man ihn vor sie gezerrt hatte, die blutige Eroberin seiner Heimatstadt, machte es ihm das verfluchte Biest, das jetzt Königin war, nicht leicht. Immer tat sie freundlich und hilfsbereit und, oh, so verständnisvoll! Amagomer musste sie hassen, weil es alles war, was ihn noch am Leben hielt, aber Hashandru wollte es ihm nicht leicht machen.
Im Gegenteil, seit dem Tag, an dem sie ihn zu den Besprechungen im Rosenhof eingeladen hatte, behandelte sie ihn sogar mit ausgesprochener Höflichkeit. Viele Mitglieder des Hofstaats taten es ihr schnell gleich. Man reichte ihm Honigwasser und Süßspeisen, wenn er durch die Gänge schritt. Die Nurbadi der königlichen Leibwache grüßten ihn mit respektvollem Nicken. Sogar dieser dreiste Sildroyan, der ja doch nichts anderes war als der unbedeutende Sohn eines gealterten Kriegers, blieb stehen, um kurz den Kopf zu neigen, wenn sie sich begegneten. Amagomer verstand nicht, was plötzlich vor sich ging. Vor allem verstand er nicht, wie er, der eigentlich die jungen Krieger ausbilden musste, ausgerechnet in dieser furchtbaren Situation gelandet war, in der er sich gerade befand.
»Komm weiter, du trödelst so herum«, quiekte eine Stimme neben ihm. Eine Hand griff nach seinem Ärmel und hakte sich unter, um ihn so am Arm durch die Gassen der Stadt zu ziehen. »Wir haben schließlich nicht den ganzen Tag Zeit!«
Widerwillig ließ Amagomer sich ziehen und sah dabei das Mädchen an, das an seinem Arm hing. Sie war noch nicht erwachsen, doch konnte man bereits vermuten, dass sie eines Tages eine schöne Frau werden würde, schöner als die Königin, von deren Blut sie war.
»Achte mehr auf dein Verhalten, Herrin. Du solltest nicht so gesehen werden«, raunte er ihr zu und versuchte, seinen Arm von ihrem zu lösen.
Sie sah mit großen dunklen Augen zu ihm auf und hielt ihn fest. »Magst du mich etwa nicht?«
»Herrin, du bist kein kleines Mädchen mehr, sondern fast schon eine Frau. In der Stadt wird man darüber sprechen, wenn du mit dem Mann deiner Cousine durch die Gassen spazierst. Ich bin hier als Leibwächter, nicht als …«
»Als was?« Sie lachte. »Als mein Liebhaber? Igitt, ganz bestimmt nicht.« Mit diesen Worten ließ sie ihn los und beschleunigte ihre Schritte so, dass sie vor ihm laufen konnte.
Igitt, sagt sie? Na, wenigstens ist sie ehrlich.
»Dann gib doch anderen keinen Grund, falsch über dich zu reden«, mahnte er.
Sie verschränkte die Arme hinter dem Rücken und zuckte mit den Schultern. »Und wenn schon. Über dich wird ja auch viel geredet, dabei bist du, glaube ich, gar kein so übler Kerl. Die Leute reden sehr viel, weil sie oft nichts Besseres zu tun haben. So ist das eben.«
Mit diesen Worten schlenderte sie weiter, als sei nichts geschehen.
Missmutig stapfte Amagomer ihr hinterher, gleichsam Unwillens, sie nach dem zu fragen, was man so über ihn sagte. Den Großteil davon konnte er sich bereits denken, und das, was er noch nicht wusste, wollte er vielleicht gar nicht hören.
»Hast du schon gehört, dass ich nächstes Jahr die Stadt verlassen werde?«