Du machst das schon - Christine Mayr - E-Book

Du machst das schon E-Book

Christine Mayr

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Beschreibung

Stress, fehlende Wertschätzung, Chefwechsel im Zwei-Jahres-Takt, desaströse Wahlergebnisse - irgendwann wird alles zu viel und die Parteimanagerin bricht zusammen. Burn-out, Depression oder einfach nur zu schwach? Bei der Suche nach einer Antwort begegnen ihr Hilfe und Hindernisse, bis ihr klar wird, dass sie über den unwirtlichen Verhältnissen am Arbeitsplatz vergessen hat, wer sie wirklich ist und was sie braucht. Sie entdeckt, dass mehr in ihr steckt, als sie gewusst hat und dass sie jemand ist - noch bevor sie irgendeine Leistung erbracht hat. Mitreißend geschrieben, zum Weinen und zum Lachen rührend, erzählt dieses "Fallbeispiel" eine Geschichte, die viele Berufstätige in der heutigen Arbeitswelt kennen und führt uns Lesende zu einem hoffnungsvollen Ausblick.

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Seitenzahl: 190

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Inhalt

Bei der Arbeit

Am Hofe des Tyrannen

Du machst das schon

Der alte König

Gerüchteküche

Der ominöse 25.

Jubel.Parteitag

Gemetzel

Missratene Grippe

Notaufnahme

Danke, Hl. Pharmakus!

Fokus-Suche

Cry me a river

Zu meinem Baum

Kaffee, Kuchen und Gesellschaft

Flieg, schwarzer Vogel

Drogenonkel und Quasseltante

Faulheit ist die halbe Gesundheit

Tarnkappe

Eine Katze braucht der Mensch

Wissower Klinken

Begnadete Strickerin

Stroh zu Gold

Weihnachten

Ganz klar, unser Jahr!

Langsam, langsam

Personalrochade

Das Nutztier schwächelt

Eine Frage der Chemie

Was machen wir denn heute Schönes?

Schmerz, lass nach!

Haftprüfungstermin

Nachdenkpause

Vorher Wien

Existenzgrundlage

Dienst nach Auftrag

Träumen Sie!

Topfit

Spitzenklöpplerin

Amy

Pscht!!!

Druckkochtopf

Frau Hitt zu tief in den Ausschnitt geschaut

Schreib’s auf!

Passt eh

Valentinstag

Ton.Kunst

Vincero! Vinceeeeeero!

Zu erledigen

post scriptum: Die strenge Königin

Bei der Arbeit

Wir sind jetzt nur mehr zwölf. Der Geschäftsführer hat nach dem Debakel bei der Landtagswahl gehen müssen und ist mit einem Job in der Privatwirtschaft versorgt worden. Gekündigt wurde niemand. Ein paar sind von sich aus gegangen, haben sich »anders orientiert« und die Verbliebenen haben zusätzliche Arbeitsbereiche bekommen. Ich bin nicht die Einzige, der man einen zweiten Job aufs Auge gedrückt hat.

Vormittags sitze ich als Pressereferentin mit Notizblock und Fotoapparat bei Pressekonferenzen, nachmittags füttere ich die Homepage und abends fahre ich als Geschäftsführerin in einen Bezirk, um bei einer Versammlung die Landesorganisation zu vertreten. Oder ich schreibe in den Vorstandssitzungen mit, um Diskussionen und Abstimmungen zu protokollieren.

Das ist manchen zu wenig. Sie meinen, die Partei bräuchte eine politische Geschäftsführerin. Eine, die in der Öffentlichkeit deutlicher Parteipositionen vertritt, als es dem Fraktionsführer im Landtagsklub möglich ist. Ein strategisches Rollenspiel, dem ich theoretisch viel abgewinnen kann. Nicht aber praktisch – nicht mit mir in der Hauptrolle.

Abgesehen davon, dass ich nicht für die erste Reihe gemacht bin, ist es auch so stressig genug. Nicht nur an Großkampftagen wie in der vergangenen Woche: Wenn der Bundesvorsitzende nach Tirol kommt, bin ich nicht nur als Begleitung dabei, sondern bin quasi Mädchen für alles. Chauffeurin, Parkplatz-Sucherin, Regenschirm-Besorgerin, Nerven-Beruhigerin.

Doch das ist nicht genug. Weil ich keine politische Geschäftsführerin bin. Nicht einmal eine politische Pressereferentin.

Dabei gibt es ohnehin genügend Leute, die sich liebend gern zu Wort melden. Wenn ich sie gut koordiniere, hat die Partei ausreichend Stimmen, um politische Positionen in Reinkultur zu vertreten. Wenn sie sich koordinieren lassen. Die Politik ist ja ein Feuerwerk der Eitelkeiten, und niemand lässt sich gern von der Pressestelle zurückpfeifen. »Du, nein, ich schreibe dir da keine Aussendung, da ist schon die Gesundheitssprecherin drauf.« Oder die Verkehrssprecherin. Oder der Gemeindesprecher. Manchmal kommt es mir vor, als würde ich hauptsächlich dafür bezahlt, einen Sack voller Flöhe zu hüten. Was letztlich in einer Aussendung steht, ist oft gar nicht mehr der Punkt. Wichtig ist nur mehr, dass auch ein Zitat der Frauenchefin oder eines Regionalvorsitzenden darin vorkommt.

»Frau Abgeordnete! Was verschafft mir die Ehre?

»Ich werde heute von einer Zeitung interviewt und hätte dich gern dabei. Ein Fotograf kommt auch.«

»Wann?«

»Um fünf.«

»Geht in Ordnung. Aber zieh dich vorher um, bei diesem T-Shirt sieht man deine Nippel durch. Das macht sich auf Fotos nicht so gut.«

»Oh … Ich habe aber nichts mit.«

»Geh dir einen Schalen-BH kaufen, so viel Zeit ist ja noch.«

»Mach ich.«

So mag ich das. Kein Gezetere, sondern einfach tun, was die Pressereferentin sagt.

Ja, ich mache. So gut ich eben kann. Zwei Funktionen in einer Person. Das meiste gelingt eh.

Aber.

Aber diese Alles-ist-so-traurig-Stimmung.

Wieder ein Sonntagmorgen, der in Tränen versinkt. Schon beim Aufwachen kocht der Topf mit den giftigen Gedanken. Bleiernes Herz. Die Aussichts- und Ausweglosigkeit, die bei Licht besehen lächerlich unbegründet ist.

Am Hofe des Tyrannen

An einem Freitag im Oktober zitiert mich der Chef in sein Büro. Er sitzt auf der weißen Couch. Unter einem großen Bild, das mir neu ist. Ein überlebensgroßer Adlerkopf in Angriffsposition ragt einen halben Meter aus dem Gemälde heraus.

Oh mein Gott, ist das schrecklich. Wo hat er denn das her?

»Was sagst? Das hat mir ein amerikanischer Künstler geschenkt, der gut im Geschäft ist. Seine Bilder haben auf dem Markt einen Wert von 20.000 Dollar und mehr.«

Oder hat er 2.000 gesagt? Ich würde jedenfalls keinen Cent dafür ausgeben, einen so bedrohlichen Vogel zu haben.

»Setz dich.«

Er bietet mir keinen Kaffee an. Schlechtes Zeichen.

»Du weißt, dass ich in den vergangenen Wochen mit allen Mitarbeitern gesprochen habe. Bei dem einen oder anderen ist mir aber nach wie vor nicht klar, wofür wir den bezahlen. Die Buchhalterin zum Beispiel. So ein paar Buchungszeilen sind doch kein 30-Stunden-Job. Oder der EDV-Mann. Ich frage mich, was der den ganzen Tag macht.«

»Ich habe bei ihm aber noch nie den Eindruck gehabt, dass er unterbeschäftigt wäre. Er hilft ja auch überall mit, wo es ihn braucht.«

»Oder der im Oberland. Der kümmert sich mehr um den Gemeinderat als um die Bezirksorganisation. Und der Schützenhauptmann …« Er deutet ans Ende des Gangs. »… ist überhaupt eine faule Sau.«

Ja, Kollege – die Füße auf dem Schreibtisch liegen zu haben, wenn der Chef hereinkommt, ist keine gute Strategie.

»Ich kann mich nicht über ihn beklagen. Wenn ich ihm einen Auftrag gebe, erledigt er den prompt und perfekt.«

»Außerdem ist er hinter jedem Rock in der Partei her. Gestern hat mich seine Frau unter Tränen angerufen …«

Du, das will ich überhaupt nicht hören. Das geht uns gar nichts an. Und überhaupt! Du bist auch nicht gerade der Inbegriff praktizierender Monogamie, was man so hört.

»Chef, bitte …«

»Ja … Wie ist es mit dir? Bist du ausgelastet?«

Ausgelastet?!

»Ich habe zwei Jobs!«

»Das wird sich jetzt ändern. Ich werde nämlich die Leitung des Wahlkampfs in die Hände der Werbeagentur legen …«

Wahlkampfleitung-Agentur? Ich höre wohl nicht recht. Von einer Agentur kauft man sich Dienstleistungen zu, die man selbst nicht erbringen kann. Aber einen Wahlkampf zu leiten ist das ureigenste Geschäft einer politischen Partei.

»… Dein Führungsstil ist mir zu amikal. Ich traue dir nicht zu, einen Wahlkampf erfolgreich zu organisieren. Und Erfolg brauchen wir dringend. Deshalb wird das der Agenturchef machen.«

Der?! Der gelernte Klugscheißer. Den setzt er mir vor?! Okay, amikaler Führungsstil mag schon stimmen, aber ist das so schlecht?

»Herr Obmann …«

Du misst mich offensichtlich an meinem Stil, nicht an meiner Leistung. Denk an die Gemeinderatswahl; die ist doch gut gelaufen. Und der Parteitag, den ich federführend organisiert habe, der war perfekt.

Aber ich sage nur: »… Seit ich hier das Sagen habe, ist wieder Ruhe im Team eingekehrt, und alle arbeiten wieder motiviert.«

»Ja, aber effizient ist anders. Die Personalkosten sind viel zu hoch. Und ich sehe überhaupt nicht, wozu es so viel Personal braucht.«

Ja, das hast du schon nach der letzten Wahl gesagt. Wo alle schuld waren am Debakel außer dir.

»Ich brauche einen Mann meines Vertrauens an der Spitze der Organisation. Beruf für Dienstag um 9:30 Uhr eine Mitarbeitersitzung ein. Im Besprechungsraum.«

Willkommen am Hof des Tyrannen. Der verteilt seine Gunst auch nach Laune, nicht nach Leistung.

Und ich war einmal Feuer und Flamme für ihn! Der fesche Typ mit dem charmanten Grinser, der als oberster Touristiker eine so gute Figur gemacht hat. Wie wir uns gefreut haben, der Kollege Geschäftsführer und ich, bei der ersten Wahl mit dem Neuen als Spitzenkandidat, bei der wir so gut abgeschnitten haben. Sensationell gut. Wenn ich mir die Fotos von der Wahlparty anschaue, krieg ich heute noch eine Gänsehaut. So glücklich. Der Spitzenkandidat, unser Strahlemann. In unserer Mitte.

Was mach ich jetzt? Da knallt er mir seine einsamen Entscheidungen vor die Nase und ich muss schauen, wo ich bleibe.

Zu Hause mache ich die Flasche Laphroaig auf, die seit Jahren auf einen besonderen Anlass wartet.

Ich habe nicht das Format eines Damon. Ich schleiche nicht zum Tyrannen, den Dolch im Gewande. Ich nicke, schlucke und tue, was man mir sagt. Jetzt jedenfalls.

Mit drei doppelten Whiskys intus schreibe ich einen Brief.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender!

Nach reiflicher Überlegung ersuche ich dich, mich von der Funktion der Landesgeschäftsführung zu entbinden. Da ich diese Funktion – wie du mir heute erklärt hast – nicht zu deiner Zufriedenheit ausfülle und du den Chef der Agentur als Wahlkampfleiter eingesetzt hast, ist klar, dass mir das Vertrauen des Vorsitzenden fehlt, welches für die Landesgeschäftsführung notwendig ist. Zudem ist mein Handlungsspielraum auf diese Art so weit eingeschränkt, dass es irreführend wäre, die Bezeichnung »Landesgeschäftsführerin« weiterhin zu führen. Ich bin bereit, alle Aufgaben, die ich zusätzlich zu meiner Tätigkeit als Pressereferentin seit dem Ausscheiden meines Vorgängers in der Geschäftsführung übernommen habe, weiterhin durchzuführen, schlage aber vor, dies unter dem Titel »Büroleitung« zu tun.

Ich schicke den Brief nie ab.

Du machst das schon

Die Nummer kenne ich nicht. Ein Festnetzanschluss.

»Ja?«

»Hallo, hier spricht …«

Ich erkenne die Stimme sofort. Dieser gequälte Ton. Sie hatte ihn damals schon, als Lehrling in Vaters Labor.

»Ja. Hallo.«

Mein Vater wohnt bei ihr, seit er es allein nicht mehr schafft. Niemand sonst hält ihn aus.

Sie kommt sofort zur Sache.

»Dein Vater liegt im Sterben. Ich hab gedacht, du möchtest ihn noch einmal sehen.«

»Wie … Ich meine, wie dramatisch ist es denn?«

»Ich weiß nicht, ob er den heutigen Tag noch überlebt.«

»Oh …«

Wann habe ich meinen Vater zuletzt gesehen? Vor acht, neun Jahren vielleicht?

»Ich denke nach, wie ich das machen kann. Ich bin gerade in einer Besprechung. Die dauert wahrscheinlich noch eine Stunde.«

»Ich habe den Notarzt gerufen; der müsste in einer Viertelstunde da sein. Wahrscheinlich bringen sie ihn in die Klinik.«

»Dann könnte ich ihn ja dort besuchen.«

»Wie du meinst.«

Fuck, was mach ich jetzt bloß?

»Nein, weißt du was? Die hier können das auch ohne mich. Ich fahre jetzt zu euch. Sag mir, wo ich dich finde.«

Der Notarzt ist gerade gekommen und lässt mich für ein paar Minuten mit meinem Vater allein.

Diesem Fremden mit dem zerstörten Gesicht.

Er scheint zu schlafen. Wirkt überhaupt nicht so, als ob es ans Ende geht. Bei meiner Mama hat das ganz anders ausgesehen.

Wahrscheinlich ist sie einfach hysterisch. Mein Vater ist zäh. Das hat er schon einmal bewiesen. Der lebt bestimmt noch fünf Jahre. Andererseits … Sie ist vom Fach. Vielleicht schätzt sie die Situation ja richtig ein.

Aber wie nimmt man von einem Fremden Abschied, zu dem man kein einziges warmes Gefühl hat?

»Papa«, sage ich, kaum hörbar. »Papa, ich bin’s, deine Tochter.« Das Wort »Papa« aussprechen. Das ist alles, was mir möglich ist.

Nachdem der Notarzt gefahren ist, kommt die Rettung und bringt meinen Vater in die Klinik. Ich gehe zurück in die Teamsitzung. Wenn die zu Ende ist, werde ich in die Klinik fahren.

Dem kommt mein Vater zuvor. Er stirbt noch während der Fahrt. Morgen wäre er 80 geworden.

Er liegt auf der Pritsche, auf der ihn die Rettungsleute ins Gebäude geschoben haben.

»Ich habe ihm die Augen zugemacht«, sagt die Frau, die ihn jahrelang umsorgt hat. »Ich hoffe, du hast nichts dagegen.«

Nein. Bin froh, diese stechenden Augen nicht mehr sehen zu müssen. Diesen höhnischen Blick.

»Nein, das ist okay.«

Ich zwinge mich, den Mann unter dem weißen Neonlicht anzuschauen. Die Vertiefung über seiner Nase, die nach dem Unfall monatelang von einer Blutkruste überzogen war. Die langen, weißen Haare. Die Hände, die beim Absturz unversehrt geblieben waren. Die gekrümmten Zehen mit den verwachsenen Nägeln, die mich an die Krallen eines Raubvogels erinnern.

»Darf ich …?«

Jemand ist ins Zimmer gekommen.

»Wir müssten die Formalitäten besprechen.«

»Einen Moment noch.«

»Klar. Kommen Sie einfach zu mir, wenn Sie so weit sind. Ich bin im Ärztezimmer nebenan.«

Ciao, mach’s gut, wo immer du jetzt bist. Das Wort »Papa« kommt mir nicht mehr über die Lippen.

Ich bekomme von der Ärztin einen Hocker angeboten.

»Sie sind …?«

»Die Tochter.«

»Ihr Vater ist im Rettungswagen gestorben. Vermutlich hat sein Herz einfach aufgegeben. Er hat ja eine lange Krankheitsgeschichte. Ganz genau wissen wir es nicht. Sollen wir es untersuchen? Wollen Sie eine Autopsie?

»Nein, das ist nicht nötig.«

Es wird ihn ja niemand umgebracht haben. Und tot ist tot.

»Wie geht das jetzt weiter? Wie ist das Procedere in so einem Fall?«

»Sie beauftragen ein Bestattungsunternehmen, das nimmt dann mit uns Kontakt auf. Bis dahin behalten wir Ihren Vater bei uns.«

»Danke.«

»Mein Beileid.«

Vor der Tür wartet die Frau mit der gequälten Stimme. Sie sieht ruhig aus.

»Gehen wir noch einen Kaffee trinken? Ich habe seine Unterlagen dabei. Die gebe ich dir.«

Sie hat alles fein säuberlich beisammen. Geburts- und Taufurkunde, Heirats- und Scheidungsurkunden, Staatsbürgerschaftsnachweis. Und die Polizze einer Sterbeversicherung.

»Nimm diese Papiere mit, wenn du zum Bestattungsunternehmen gehst. Die regeln dir dort alles. Ich weiß das, weil meine Mutter vor Kurzem gestorben ist. Ach, genau, ein Foto habe ich auch mitgebracht, für die Parte.«

»Willst du nicht mitreden, bei der Parte und so?«

»Nein. Du machst das schon. Sag mir nur, wann die Beerdigung ist.«

Es ist so, wie sie gesagt hat. Die Bestatterin nimmt mir alles ab. Ich muss nur Entscheidungen treffen. Eine Anzeige in der Zeitung? Ja. Sterbebildchen? Ja. Wie viele? 50. Die Mindestanzahl ist 100.

So viele Leute kommen nie zu seinem Begräbnis. Nachdem er jahrelang die Oberkrätze gewesen ist. Ein paar von früher vielleicht, Segelflieger-Kollegen, Bergkameraden, der eine oder andere Zahnarzt, für den er gearbeitet hat. Und ein paar von der Familie.

»Dann 100. Passt.«

»Wir informieren den Pfarrer, der wird sich dann bei Ihnen melden.«

»Und wie sieht das mit den Kosten aus?«

»Die werden von der Versicherung gedeckt.«

Gut, danke. Danke, dass ihr solche Profis seid’s. Das hilft mir sehr.

Und danke, Vater, dass du so gut vorgesorgt hast. Obwohl ich 40 Jahre lang kein »Papa« über die Lippen gebracht habe.

Der alte König

Im Auto immer Beethoven. 2. und 3. Klavierkonzert. Mal im Hintergrund, mal wie aus dem Ghettoblaster. Heute laut, ganz laut. Blas den Blues away, Beethoven. Und ihr Tränen, wartet, bis wir im Wald sind. Bis wir bei meinem Baum sind. Dem macht das gar nichts. Wenn ich mich an ihn lehne, ihn umarme. Der sagt nichts. Vor allem keine Blödheiten. Wie mein Klugscheißer.

»Was heulst denn? Hast deinen Vater eh nie mögen.«

»Ja, schon …«

»Weiber!«

Fahr mich zu meinem Baum, schwarzes Pferdchen. So schnell du kannst. 80, 90, 100. Kümmere dich nicht um die Kurven. Fahr schneller. Vielleicht trägt es uns hinaus, über die Böschung, hinunter in die Sillschlucht. Dann wäre Ruhe. Endlich Ruhe. Wenn wir Glück haben.

Und jetzt soll ich einen Text schreiben, für den Pfarrer. Damit er in der Messe über den Verstorbenen etwas zu sagen hat. Ein »Lebensbild« hat er es genannt.

Wie macht man das bei einem so verkorksten Leben? Über die Toten nur Gutes. Nein, das geht gar nicht. Das würde überhaupt nicht passen. Jeder, der zum Begräbnis kommt, hat meinen Vater gekannt und weiß, was für ein schrecklicher Mensch er gewesen ist. Nach dem Unfall. Da kann man nicht so tun, als ob alles eitel Wonne gewesen wäre.

Aber ein bissl was Positives muss ich schon finden. Es hat ja auch eine Zeit vor seinem Monster-Dasein gegeben. Wo ich seine Prinzessin war. Wo meine Mutter sich in ihn verliebt hat. Wo ich mit ihm auf dem Flugplatz gewesen bin und mit den anderen Mädchen geschaukelt habe, während unsere Väter in der Luft waren. »Wenn du zwölf bist, darfst du mitfliegen«, hat er gesagt. Darauf habe ich mich gefreut. Aber bevor ich zwölf geworden bin, ist er abgestürzt.

Danach war er ein einsamer Mann, der niemanden mehr um sich haben wollte. Und den niemand mehr um sich haben wollte. Im inneren Exil. »Der alte König in seinem Exil«, ein schönes Bild, das Arno Geiger da gezeichnet hat. Es hat mir geholfen, einen Text zu schreiben, der meinem Vater gerecht geworden ist. Und den der Pfarrer beim Begräbnisgottesdienst vortragen kann.

»Der alte König in seinem Exil«

So hat der österreichische Schriftsteller Arno Geiger das Buch genannt, in dem er auf berührende Weise die Geschichte seines demenzkranken Vaters erzählt.

Ein König in seinem Exil war – wenn auch auf andere Art und aus anderen Gründen – unser Verstorbener. Ein König wäre er gern gewesen – ein Gönner, ein Professor, ein geachteter Mann.

Geboren als sechstes von sieben Kindern, hat es ihm das Leben aber von Anfang an nicht leicht gemacht. Sein Vater war ins KZ deportiert worden, wo er unter ungeklärten Bedingungen starb, sein Halbbruder Hubert war im Widerstandskampf gegen das nationalsozialistische Regime unter ebenfalls nie aufgeklärten Umständen verschwunden. Seine Mutter musste die sieben Kinder unter schwierigsten Bedingungen allein großziehen.

Er erlernte den Beruf des Zahntechnikers. Er schaffte es bis zum Meister und machte sein eigenes Labor auf.

Er mochte die Natur, hielt sich sommers wie winters gern in den Bergen auf und fand sich gern in geselligen Runden wieder. Er liebte das Schöne – und auch das Extravagante. Seine Frau, die er 1957 geheiratet und die ihm zwei Töchter geschenkt hatte, wusste ein Lied davon zu singen. Maßgefertigte Schuhe, maßgeschneiderte Hosen und ein ausgefallenes Hobby: das Segelfliegen. Das ging hart an die Grenzen dessen, was sein »Königreich« erlaubte.

Als er 40 Jahre alt war, erfuhr sein Leben am Achselkopf eine abrupte Wende. Das Flugzeug, mit dem er zu einem Überlandflug aufgebrochen war, bohrte sich in den Waldboden. Die körperlichen und psychischen Folgen dieses Unfalls haben den Mann, von dem wir uns heute verabschieden, nie mehr losgelassen, und er zog sich ein seine eigene Welt zurück. Seine Familie zerbrach, auch seine beruflichen und privaten Kontakte hielten seinem veränderten Charakter nicht stand. Der König war in sein Exil gegangen. Dort war es seine frühere Angestellte mit ihrer Familie und ihrem Netzwerk, die ihm über viele Jahre – bis zu seinem Tod – eine Heimat gab, in der er seinen inneren Frieden finden konnte. Möge er in diesem Frieden ruhen.

Gerüchteküche

Ein paar Tage später wieder eine unbekannte Nummer auf dem Handy-Display.

»Frau Geschäftsführerin, ich bin’s. Ich rufe von meinem privaten Handy aus an. Können wir uns auf einen schnellen Kaffee treffen? Ich brauche jemanden, mit dem ich reden kann.«

»Sicher, wann?«

»Jetzt gleich. Jetzt merkt es niemand, wenn ich mich kurz rausschleiche.«

»Okay. In zehn Minuten auf dem Landhausplatz.«

Die Kollegin sieht unglücklich aus.

»Was ist denn los?«

»Der Chef ist nicht mehr auszuhalten. Der wird jeden Tag grantiger. Ich glaub, der mag nimmer.«

»Meinst, er macht uns den Spitzenkandidaten gar nicht?«

»Überraschen tät’s mich nicht.«

»Wär ein schöner Scheiß, wenn er alles hinschmeißen tät, jetzt, wo wir den ganzen Wahlkampf auf ihn ausgerichtet haben.«

»Aber so, wie er im Moment drauf ist, reißt er eh nix. Vom Strahlemann ist nichts mehr übrig. Das merken die Leute draußen auch. Nicht nur die Journis, auch die Wählerinnen. Und der Moment dauert schon Monate.«

»Ja, aber … Wer käme denn statt seiner infrage?«

»Na, seine Stellvertreterin. Wer sonst?«

»Ja, hast recht. Wenn’s der Boss wenigstens bald tun würde. Herbst wäre schon verdammt spät.«

»Spätestens am 25. wissen wir’s.«

»Vielleicht.«

»Lass dich nicht unterkriegen, Mädl. Du schaust echt mitgenommen aus.«

»Du dich auch nicht.«

Vor dem ominösen 25., an dem die nächste Parteivorstandssitzung auf der Agenda steht, ist noch eine Klausur der Regionalstellen anberaumt. Für eine Stunde ist auch der Chef dabei und erzählt von den Mitgliederversammlungen, die er in den vergangenen Wochen absolviert hat. »Die machen Hackfleisch aus mir«, sagt er. »Früher war das anders. Da waren sie noch zufrieden mit dem, was ich gesagt habe. Aber heute kann ich ihnen gar nichts mehr recht machen.«

Bevor er ins Auto steigt, fange ich ihn ab.

»Nur eine Minute, Herr Vorsitzender. Die Gerüchteküche sagt, dass du zur Landtagswahl gar nicht mehr antreten willst. Stimmt das? Für uns ist das schon wichtig, wir planen ja einen Wahlkampf, der ganz auf dich zugeschnitten ist. Ich wäre um eine ehrliche Antwort wirklich froh.«

Er dreht sich abrupt um und steigt in seinen Wagen.

Die Zeitung hat natürlich auch von dem Gerücht Wind bekommen und nimmt die nächste Pressekonferenz zum Anlass, den Chef damit zu konfrontieren. Er dementiert. So überzeugend, dass sie nichts schreiben kann.

Der ominöse 25.

Ich bin mit einem Kollegen aus dem Klubbüro zum Mittagessen verabredet. Die Klubvizechefin ist auch mitgekommen. Das tut sie öfter, spontan und uneingeladen irgendwo auftauchen.

»Alles unter Kontrolle, Frau Landesgeschäftsführerin?«

Wenn sie Frau Landesgeschäftsführerin zu mir sagt, wird’s heikel.

»Das wäre etwas übertrieben. Die Vorstandssitzung am Abend … Ich habe keine Ahnung, was da auf uns zukommt.«

»Ich schon. Ich sag’s dir. Ich werde übernehmen.«

»Echt jetzt?!

»Der Vorsitzende wird seinen Rücktritt erklären und mich als geschäftsführende Obfrau vorschlagen. Bis zum nächsten Parteitag.«

»Wow …«

»Ist doch super, oder?«, sagt der Kollege.

»Wie ist das jetzt so schnell gegangen?«

»Der Boss hat mich gestern angerufen und mir eine Stunde Bedenkzeit gegeben.«

»Und du hast Ja gesagt …«

»Ja.«

»Wie machen wir das jetzt mit den Medien?«

»Du schreibst eine Presseaussendung.«

»Ich bin in der Vorstandssitzung, ich schreibe das Protokoll. Wie soll ich da …?«

»Du findest schon eine Lösung«, sagt die Klubvizechefin. »Ich vertraue dir.«

»Ich vertraue dir.« Balsam für meine geschundene Seele. Jetzt wird alles gut.

Mallorca

Wir sind im Paradies. Palmen, dunkler Meeresblauteppich, weiße Wellenkronen, frühabendrosa Berge. In der morgendlichen Dämmerung auf die Terrasse schlüpfen und nach zehn Schritten am Meer sein, dem spiegelglatten, tänzelnden Morgenmeer.

Ich bekomme alles, was ich mir von diesem Urlaub gewünscht habe. Mittägliche Hitze und laue Abende, Liebe in der klimatisierten Siesta-Zone und vor allem eins: nichts tun. Einfach nichts tun. Nur den Mund aufmachen, damit die gebratenen Hühnchen hineinfliegen. Ab und an die Liege dem Schatten nachziehen.

Keine Unruhe, keine Getriebenheit, kein schlechtes Gewissen. Im warmen Wellenwasser schaukeln, die Füße in den warmen Sand graben und in der Kühle der Nacht unters warme Liebster-Leintuch kriechen.

Jubel.Parteitag

Jetzt, wo alles gut ist, müsste es mir eigentlich gut gehen. Die neue Chefin hat ein sonniges Gemüt und lässt keine Gelegenheit aus, ihr Team zu loben. Und die Partei trägt sie auf Händen. Ich als Geschäftsführerin rehabilitiert, zur Wahlkampfleiterin auserkoren. »Du machst das schon«, sagt sie.

Ich habe da meine Zweifel. Für einen Wahlkampf braucht es andere Kaliber. Toughere Typen. Außerdem habe ich das noch nie gemacht. Ja, klar, ich war bei vielen Wahlen dabei. Aber eben nur dabei, nicht vorne dran.

»Du machst das schon!«, sagen auch meine Freundinnen. Und mein Freund. »Die anderen kochen auch nur mit Wasser.«