Durch die Wüste - Karl May - E-Book

Durch die Wüste E-Book

Karl May

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Beschreibung

Überarbeitete Ausgabe in Neuer Deutscher Rechtschreibung Kara Ben Nemsi und sein treuer Begleiter Hadschi Halef Omar finden in der Wüste eine Leiche. Dieser Fund wird zum Ausgangspunkt einer Reihe von spannenden Abenteuern. Unsere tapferen Gefährten müssen eine Gefangene aus einem Harem befreien, sie kämpfen gegen Piraten, besuchen Mekka, begegnen dem schrulligen Sir David Lindsay und befehligen gleich ein ganzes Heer in die Schlacht um das "Tal der Stufen". Dieser Band bildet den Auftakt zum sechsbändigen "Orientzyklus". Diese vergleichende Ausgabe hat als Grundlage die "Hausschatz-Fassung" (Dt. Hausschatz 7.Jahrg.). Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 749

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Karl May

Durch die Wüste

Reiseerzählungen

Karl May

Durch die Wüste

Reiseerzählungen

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] EV: Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 1881/82 2. Auflage, ISBN 978-3-954187-13-3

null-papier.de/angebote

Inhaltsverzeichnis

Karl May und die Ori­gi­na­le

Zum Buch

Ein To­des­ritt

Vor Ge­richt

Im Ha­rem

Eine Ent­füh­rung

Abu-Seïf

Wie­der frei

In Mek­ka

Am Ti­gris

Auf Kund­schaft

Der Sieg

Bei den Teu­fel­s­an­be­tern

Das große Fest

Ein Nach­wort

Karl May bei Null Pa­pier

Durch die Wüs­te

Durchs wil­de Kur­dis­tan

Von Bag­dad nach Stam­bul

In den Schluch­ten des Bal­kan

Durch das Land der Ski­pe­ta­ren

Der Schut

Karl May und die Ori­gi­na­le

Will­kom­men in der Welt von Karl May: Ein klas­si­sches Erbe neu prä­sen­tiert

Lie­be Le­se­rin, lie­ber Le­ser

In der Welt der li­te­ra­ri­schen Klas­si­ker gibt es we­ni­ge Na­men, die so sehr mit Aben­teu­er und fer­nen Län­dern ver­bun­den sind wie Karl May. Mit sei­nen fes­seln­den Er­zäh­lun­gen aus dem Wil­den Wes­ten und dem Ori­ent hat Karl May nicht nur Ge­ne­ra­tio­nen von Le­sern be­geis­tert, son­dern auch eine li­te­ra­ri­sche Land­schaft ge­schaf­fen, die bis heu­te nach­hallt. Sei­ne Fi­gu­ren, ins­be­son­de­re Win­ne­tou und Old Shat­ter­hand, sind mehr als nur Cha­rak­tere auf dem Pa­pier – sie sind Sym­bo­le für Mut, Freund­schaft und die Su­che nach Ge­rech­tig­keit.

Als Ein­zel­ver­le­ger habe ich es mir zur Auf­ga­be ge­macht, Karl Mays Wer­ke in ih­rer reins­ten und au­then­tischs­ten Form zu prä­sen­tie­ren. Ich ar­bei­te mit den Erst­ver­öf­fent­li­chun­gen sei­ner Wer­ke, um si­cher­zu­stel­len, dass der ur­sprüng­li­che Cha­rak­ter und Stil von Mays Schrif­ten so treu wie mög­lich er­hal­ten bleibt. Mein Ziel ist es, die­se klas­si­schen Tex­te so zu über­ar­bei­ten, dass sie die Qua­li­tät und den Geist der Ori­gi­nal­aus­ga­ben wi­der­spie­geln, wäh­rend sie gleich­zei­tig den heu­ti­gen Le­se­ge­wohn­hei­ten an­ge­passt sind.

Will­kom­men zu­rück zu den Wur­zeln von Karl Mays li­te­ra­ri­schem Erbe, prä­sen­tiert mit ei­nem tie­fen Re­spekt für sei­ne Ar­beit und ei­nem Auge für die Be­dürf­nis­se des heu­ti­gen Le­sers.

Treue zu den Erst­ver­öf­fent­li­chun­gen

Bei der Über­ar­bei­tung der Tex­te lege ich größ­ten Wert dar­auf, Karl Mays ori­gi­na­le Er­zähl­stim­me zu be­wah­ren. Ich ver­mei­de es, in­halt­li­che Än­de­run­gen vor­zu­neh­men oder mo­der­ne In­ter­pre­ta­tio­nen ein­zu­fü­gen, die vom ur­sprüng­li­chen Geist der Ge­schich­ten ab­wei­chen könn­ten. Statt­des­sen kon­zen­trie­re ich mich dar­auf, sprach­li­che Glät­tun­gen durch­zu­füh­ren, wo es not­wen­dig ist, um die Les­bar­keit zu ver­bes­sern und gleich­zei­tig die Authen­ti­zi­tät zu wah­ren.

Bar­rie­re­frei­heit und Zu­gäng­lich­keit

Es ist mir wich­tig, dass Karl Mays Wer­ke von al­len ge­nos­sen wer­den kön­nen. Da­her ge­stal­te ich die E-Books so, dass sie mit ver­schie­de­nen Tech­no­lo­gi­en zur Un­ter­stüt­zung des Le­sens kom­pa­ti­bel sind, um si­cher­zu­stel­len, dass auch Men­schen mit Seh­be­hin­de­run­gen oder an­de­ren Ein­schrän­kun­gen Zu­gang ha­ben.

Beglei­ten Sie mich auf die­ser Rei­se zu­rück zu den Wur­zeln

Ich lade Sie ein, Karl Mays Welt durch die­se neu­en Edi­tio­nen wie­der­zuent­de­cken, die so­wohl die Tie­fe als auch das Aben­teu­er sei­ner Ge­schich­ten mit ei­ner Fri­sche und Klar­heit prä­sen­tie­ren, die Sie viel­leicht noch nicht er­lebt ha­ben. Tau­chen Sie ein in die klas­si­schen Er­zäh­lun­gen, die Karl May zu ei­nem der meist­ge­le­se­nen Au­to­ren sei­ner Zeit mach­ten.

May und sei­ne Zeit

May war und ist ei­ner der er­folg­reichs­ten Schrift­stel­ler deut­scher Spra­che. Ge­ne­ra­tio­nen von Le­ser ha­ben ihn für sich ent­deckt, egal, wie stark und aus wel­chen Grün­den er im­mer wie­der von Tu­gend­wäch­tern oder be­sorg­ten El­tern in die li­te­ra­ri­sche Schmud­de­le­cke ge­drängt wur­de.

Es gibt wohl kei­nen Deut­schen, der sei­ne Fi­gu­ren nicht kennt: Win­ne­tou oder Had­schi Ha­lef Omar, Old Shat­ter­hand oder Kara Ben Nem­si. Vie­le wer­den so­gar die Na­men der Pfer­de oder der Waf­fen der Pro­tago­nis­ten ken­nen. Nicht zu­letzt die far­ben­präch­ti­gen Fil­me der 1960er Jah­re ha­ben Mays Fi­gu­ren auch eine ki­ne­ma­to­gra­fi­sche Un­ters­terb­lich­keit ver­passt – soll­te das je­mals not­wen­dig ge­we­sen sein. Und wo sonst hät­te ein Fran­zo­se einen ame­ri­ka­ni­schen Urein­woh­ner, ein Ame­ri­ka­ner einen deut­schen Aben­teu­rer und ein Ber­li­ner einen Ori­en­ta­len spie­len kön­nen?

Zu ei­ner Zeit, als es noch kei­nen or­ga­ni­sier­ten Mas­sen­tou­ris­mus und kein In­ter­net gab, brach­te May dem Le­ser die wei­te Welt bis vor die Haus­tür oder un­ter die ver­ber­gen­de Bett­de­cke. Sei­ne Tex­te präg­ten, ob ge­recht­fer­tigt oder nicht, die Vor­stel­lung des Wil­den Wes­tens und des Ori­ents für Ge­ne­ra­tio­nen.

Am bes­ten, Sie, lie­ber Le­ser, lie­be Le­se­rin, füh­len sich ein­fach nur gut un­ter­hal­ten.

In die­sem Sin­ne Ihr Jür­gen Schul­ze, Neuss

Karl May

Zum Buch

Ka­ra Ben Nem­si und sein treu­er Beglei­ter Had­schi Ha­lef Omar fin­den in der Wüs­te eine Lei­che. Die­ser Fund wird zum Aus­gangs­punkt ei­ner Rei­he von span­nen­den Aben­teu­ern. Un­se­re tap­fe­ren Ge­fähr­ten müs­sen eine Ge­fan­ge­ne aus ei­nem Ha­rem be­frei­en, sie kämp­fen ge­gen Pi­ra­ten, be­su­chen Mek­ka, be­geg­nen dem schrul­li­gen Sir Da­vid Lind­say und be­feh­li­gen gleich ein gan­zes Heer in die Schlacht um das »Tal der Stu­fen«.

Ein To­des­ritt

Und ist es wirk­lich wahr, Sih­di,1 dass du ein Gi­aur blei­ben willst, ein Ungläu­bi­ger, wel­cher ver­ächt­li­cher ist als ein Hund, wi­der­li­cher als eine Rat­te, die nur Ver­faul­tes frisst?«

»Ja«, ant­wor­te­te ich.

»Ef­fen­di, ich has­se die Ungläu­bi­gen und gön­ne es ih­nen, dass sie nach ih­rem Tode in die Dsche­hen­na kom­men, wo der Teu­fel wohnt; aber dich möch­te ich ret­ten vor dem ewi­gen Ver­der­ben, wel­ches dich er­ei­len wird, wenn du dich nicht zum Ikrar bil Li­san, zum hei­li­gen Zeug­nis, be­kennst. Du bist so gut, so ganz an­ders als an­de­re Sih­dis, de­nen ich ge­dient habe, und dar­um wer­de ich dich be­keh­ren, du magst wol­len oder nicht.«

So sprach Ha­lef, mein Die­ner und Weg­wei­ser, mit dem ich in den Schluch­ten und Klüf­ten des Dsche­bel Au­res her­um­ge­kro­chen und dann nach dem Dra el Haua her­un­ter­ge­stie­gen war, um über den Dsche­bel Tar­faui nach Sed­da­da, Kris und Dgasche zu kom­men, von wel­chen Or­ten aus ein Weg über den be­rüch­tig­ten Schott Dsche­rid nach Fet­nas­sa und Kbil­li führt.

Ha­lef war ein ei­gen­tüm­li­ches Kerl­chen. Er war so klein, dass er mir kaum bis un­ter die Arme reich­te, und da­bei so ha­ger und dünn, dass man hät­te be­haup­ten mö­gen, er habe ein vol­les Jahr­zehnt zwi­schen den Lösch­pa­pier­blät­tern ei­nes Her­ba­ri­ums in fort­wäh­ren­der Pres­sung ge­le­gen. Da­bei ver­schwand sein Ge­sicht­chen voll­stän­dig un­ter ei­nem Tur­ban, der vol­le drei Fuß im Durch­mes­ser hat­te, und sein einst weiß ge­we­se­ner Bur­nus, wel­cher jetzt in al­len mög­li­chen Fett- und Schmutz­nu­an­cen schim­mer­te, war je­den­falls für einen weit grö­ße­ren Mann ge­fer­tigt wor­den, so­dass er ihn, so­bald er vom Pfer­de ge­stie­gen war und nun ge­hen woll­te, empor­neh­men muss­te wie das Reit­kleid ei­ner Dame. Aber trotz die­ser äu­ße­ren Un­an­sehn­lich­keit muss­te man al­len Re­spekt vor ihm ha­ben. Er be­saß einen un­ge­mei­nen Scharf­sinn, viel Mut und Ge­wandt­heit und eine Aus­dau­er, wel­che ihn die größ­ten Be­schwer­den über­win­den ließ. Und da er auch au­ßer­dem alle Dia­lek­te sprach, wel­che zwi­schen dem Wohn­sit­ze der Uëlad Bu Seba und den Nil­mün­dun­gen er­klin­gen, so kann man sich den­ken, dass er mei­ne volls­te Zufrie­den­heit be­saß, so­dass ich ihn mehr als Freund denn als Die­ner be­han­del­te.

Eine Ei­gen­schaft be­saß er nun al­ler­dings, wel­che mir zu­wei­len recht un­be­quem wer­den konn­te: Er war ein fa­na­ti­scher Mu­sel­mann und hat­te aus Lie­be zu mir den Ent­schluss ge­fasst, mich zum Is­lam zu be­keh­ren. Eben jetzt hat­te er wie­der einen sei­ner frucht­lo­sen Ver­su­che un­ter­nom­men, und ich hät­te la­chen kön­nen, so ko­misch sah er da­bei aus.

Ich ritt einen klei­nen, halb­wil­den Ber­ber­hengst, und mei­ne Füße schleif­ten da­bei fast am Bo­den; er aber hat­te sich, um sei­ne Fi­gur zu un­ter­stüt­zen, eine alte, dür­re, aber him­mel­ho­he Has­si-Ferd­sch­ahn-Stu­te aus­ge­wählt und saß also so hoch, dass er zu mir her­nie­der­bli­cken konn­te. Wäh­rend der Un­ter­hal­tung war er äu­ßerst leb­haft; er we­del­te mit den bü­gel­lo­sen Bei­nen, ges­ti­ku­lier­te mit den dün­nen, brau­nen Ärm­chen und ver­such­te, sei­nen Wor­ten durch ein so leb­haf­tes Mie­nen­spiel Nach­druck zu ge­ben, dass ich alle Mühe hat­te, ernst zu blei­ben.

Als ich auf sei­ne letz­ten Wor­te nicht ant­wor­te­te, fuhr er fort:

»Weißt du, Sih­di, wie es den Gi­aurs nach ih­rem Tode er­ge­hen wird?«

»Nun?«, frag­te ich.

»Nach dem Tode kom­men alle Men­schen, sie mö­gen Mos­lems, Chris­ten, Ju­den oder et­was an­de­res sein, in den Barz­akh.«

»Das ist der Zu­stand zwi­schen dem Tode und der Au­fer­ste­hung?«

»Ja, Sih­di. Aus ihm wer­den sie alle mit dem Schall der Po­sau­nen er­weckt, denn el Jaum el Ak­bar, der Jüngs­te Tag, und el Ak­hi­ret, das Ende, sind ge­kom­men, wo dann al­les zu­grun­de geht, au­ßer el Kuhrs, der Ses­sel Got­tes, el Ruhh, der Hei­li­ge Geist, el Lau­hel ma­fus und el Kalam, die Ta­fel und die Fe­der der gött­li­chen Vor­her­be­stim­mung.«

»Wei­ter wird nichts mehr be­ste­hen?«

»Nein.«

»Aber das Pa­ra­dies und die Höl­le?«

»Sih­di, du bist klug und wei­se; du merkst gleich, was ich ver­ges­sen habe, und da­her ist es jam­mer­scha­de, dass du ein ver­fluch­ter Gi­aur blei­ben willst. Aber ich schwö­re es bei mei­nem Bar­te, dass ich dich be­keh­ren wer­de, du magst wol­len oder nicht!«

Bei die­sen Wor­ten zog er sei­ne Stirn in sechs dro­hen­de Fal­ten, zupf­te sich an den sie­ben Fa­sern sei­nes Kinns, zerr­te an den acht Spin­nen­fä­den rechts und an den neun Par­ti­keln links von sei­ner Nase, sum­ma sum­ma­rum Bart ge­nannt, schlen­ker­te die Bei­ne un­ter­neh­mend in die Höhe und fuhr mit der frei­en an­de­ren Hand der Stu­te so kräf­tig in die Mäh­ne, als sei sie der Teu­fel, dem ich ent­ris­sen wer­den soll­te.

Das so grau­sam aus sei­nem Nach­den­ken ge­stör­te Tier mach­te einen Ver­such, vorn em­por­zu­stei­gen, be­sann sich aber so­fort auf die Ehr­wür­dig­keit sei­nes Al­ters und ließ sich in sei­nen Gleich­mut stolz zu­rück­fal­len. Ha­lef aber setz­te sei­ne Rede fort:

»Ja, Dschen­net, das Pa­ra­dies, und Dsche­hen­na, die Höl­le, müs­sen auch mit blei­ben, denn wo­hin soll­ten die Se­li­gen und die Ver­damm­ten sonst kom­men? Vor­her aber müs­sen die Au­fer­stan­de­nen über die Brücke Ssi­reth, wel­che über den Teich Handh führt und so schmal und scharf ist, wie die Schnei­de ei­nes gut ge­schlif­fe­nen Schwer­tes.«

»Du hast noch eins ver­ges­sen«, be­merk­te ich.

»Was?«, frag­te er.

»Das Er­schei­nen des Dedd­schel.«

»Wahr­haf­tig! Sih­di, du kennst den Koran und alle hei­li­gen Bü­cher und willst dich nicht zur wah­ren Leh­re be­keh­ren! Aber tra­ge nur kei­ne Sor­ge; ich wer­de einen gläu­bi­gen Mos­lem aus dir ma­chen! Also vor dem Ge­richt wird sich der Dedd­schel zei­gen, den die Gi­aurs den An­ti­christ nen­nen, nicht wahr, Ef­fen­di?«

»Ja.«

»Dann wird über je­den das Buch Kit­ab auf­ge­schla­gen, in wel­chem sei­ne gu­ten und bö­sen Ta­ten ver­zeich­net ste­hen, und die Hi­sab ge­hal­ten, die Mus­te­rung sei­ner Hand­lun­gen, wel­che über fünf­zig­tau­send Jah­re währ­ten, eine Zeit, wel­che den Gu­ten wie ein Au­gen­blick ver­ge­hen, den Bö­sen aber wie eine Ewig­keit er­schei­nen wird. Das ist das Hukm, das Ab­wie­gen al­ler mensch­li­chen Ta­ten.«

»Und nach­her?«

»Nach­her folgt das Ur­teil. Die­je­ni­gen mit über­wie­gend gu­ten Wer­ken kom­men in das Pa­ra­dies, die un­gläu­bi­gen Sün­der aber in die Höl­le, wäh­rend die sün­di­gen Mos­lems nur auf kur­ze Zeit be­straft wer­den. Du siehst also, Sih­di, was dei­ner war­tet, selbst wenn du mehr gute als böse Ta­ten ver­rich­test. Aber du sollst ge­ret­tet wer­den, du sollst mit mir in das Dschen­net, in das Pa­ra­dies, kom­men, denn ich wer­de dich be­keh­ren, du magst wol­len oder nicht!«

Und wie­der stram­pel­te er bei die­ser Ver­si­che­rung so ener­gisch mit den Bei­nen, dass die alte Has­si-Ferd­sch­ahn-Stu­te ganz ver­wun­dert die Ohren spitz­te und mit den großen Au­gen nach ihm zu schie­len ver­such­te.

»Und was harrt mei­ner in eu­rer Höl­le?«, frag­te ich ihn.

»In der Dsche­hen­na brennt das Nar, das ewi­ge Feu­er; dort flie­ßen Bä­che, wel­che so sehr stin­ken, dass der Ver­damm­te trotz sei­nes glü­hen­den Durs­tes nicht aus ih­nen trin­ken mag, und dort ste­hen fürch­ter­li­che Bäu­me, un­ter ih­nen der schreck­li­che Baum Za­kum, auf des­sen Zwei­gen Teu­fels­köp­fe wach­sen.«

»Brrrrrrr!«

»Ja, Sih­di, es ist schau­der­haft! Der Be­herr­scher der Dsche­hen­na ist der Stra­fen­gel Tha­bek. Sie hat sie­ben Ab­tei­lun­gen, zu de­nen sie­ben Tore füh­ren. Im Dsche­hen­nem, der ers­ten Ab­tei­lung, müs­sen die sünd­haf­ten Mos­lems bü­ßen so lan­ge, bis sie ge­rei­nigt sind; Lad­ha, die zwei­te Ab­tei­lung, ist für die Chris­ten, Ho­tha­ma, die drit­te Ab­tei­lung, für die Ju­den, Sair, die vier­te, für die Sa­bier, Sa­kar, die fünf­te, für die Ma­gier und Feu­er­an­be­ter, und Ge­him, die sechs­te, für alle, wel­che Göt­zen oder Fe­ti­sche an­be­ten. Zao­vi­at aber, die sie­ben­te Ab­tei­lung, wel­che auch Derk As­fal ge­nannt wird, ist die al­ler­tiefs­te und fürch­ter­lichs­te; sie wird alle Heuch­ler auf­neh­men. In al­len die­sen Ab­tei­lun­gen wer­den die Ver­damm­ten von bö­sen Geis­tern durch Feu­er­strö­me ge­schleppt, und da­bei müs­sen sie vom Bau­me Za­kum die Teu­fels­köp­fe es­sen, wel­che dann ihre Ein­ge­wei­de zer­bei­ßen und zer­flei­schen. O, Ef­fen­di, be­keh­re dich zum Pro­phe­ten, da­mit du nur kur­ze Zeit in der Dsche­hen­na zu ste­cken brauchst!«

Ich schüt­tel­te den Kopf und sag­te:

»Dann kom­me ich in un­se­re Höl­le, wel­che eben­so ent­setz­lich ist wie die eu­ri­ge.«

»Glau­be dies nicht, Sih­di! Ich ver­spre­che dir beim Pro­phe­ten und al­len Ka­li­fen, dass du in das Pa­ra­dies kom­men wirst. Soll ich es dir be­schrei­ben?«

»Tue es!«

»Das Dschen­net liegt über den sie­ben Him­meln und hat acht Tore. Zu­erst kommst du an den großen Brun­nen Ha­wus Kew­ser, aus wel­chem Hun­dert­tau­sen­de Se­li­ge zu­gleich trin­ken kön­nen. Sein Was­ser ist wei­ßer als Milch, sein Ge­ruch köst­li­cher als Mo­schus und Myr­rhe, und an sei­nem Ran­de ste­hen Mil­lio­nen gol­de­ner Trink­scha­len, wel­che mit Dia­man­ten und Stei­nen be­setzt sind. Dann kommst du an Orte, wo die Se­li­gen auf gold­durch­wirk­ten Kis­sen ru­hen. Sie er­hal­ten von un­s­terb­li­chen Jüng­lin­gen und ewig jun­gen Hou­ris köst­li­che Spei­sen und Ge­trän­ke. Ihr Ohr wird ohne Auf­hö­ren von den Ge­sän­gen des En­gels Is­ra­fil ent­zückt und von den Har­mo­ni­en der Bäu­me, in de­nen Glo­cken hän­gen, wel­che ein vom Thro­ne Got­tes ge­sen­de­ter Wind be­wegt. Je­der Se­li­ge ist sech­zig El­len lang und im­mer­fort grad drei­ßig Jah­re alt. Un­ter al­len Bäu­men aber ragt her­vor der Tu­bah, der Baum der Glück­se­lig­keit, des­sen Stamm im Palas­te des großen Pro­phe­ten steht und des­sen Äste in die Woh­nun­gen der Se­li­gen rei­chen, wo an ih­nen al­les hängt, was zur Se­lig­keit er­for­der­lich ist. Aus den Wur­zeln des Bau­mes Tu­bah ent­sprin­gen alle Flüs­se des Pa­ra­die­ses, in de­nen Milch, Wein, Kaf­fee und Ho­nig strö­men.«

Trotz der Sinn­lich­keit die­ser Vor­stel­lung muss­te ich be­mer­ken, dass Mo­ham­med aus der christ­li­chen An­schau­ung ge­schöpft und die­sel­be für sei­ne No­ma­den­hor­den um­ge­mo­delt hat. Ha­lef blick­te mich jetzt mit ei­nem Ge­sich­te an, in wel­chem sehr deut­lich die Er­war­tung zu le­sen war, dass mich sei­ne Be­schrei­bung des Pa­ra­die­ses über­wäl­tigt ha­ben wer­de.

»Nun, was meinst du jetzt?«, frag­te er, als ich schwieg.

»Ich will dir auf­rich­tig sa­gen, dass ich nicht sech­zig El­len lang wer­den mag; auch mag ich von den Hou­ris nichts wis­sen, denn ich bin ein Feind al­ler Frau­en und Mäd­chen.«

»Wa­rum?«, frag­te er ganz er­staunt.

»Weil der Pro­phet sagt: ›Des Wei­bes Stim­me ist wie der Ge­sang des Bül­bül,2 aber ihre Zun­ge ist voll Gift wie die Zun­ge der Nat­ter.‹ Hast du das noch nicht ge­le­sen?«

»Ich habe es ge­le­sen.«

Er senk­te den Kopf; ich hat­te ihn mit den Wor­ten sei­nes ei­ge­nen Pro­phe­ten ge­schla­gen. Dann frag­te er mit et­was we­ni­ger Zu­ver­sicht­lich­keit:

»Ist nicht trotz­dem un­se­re Se­lig­keit schön? Du brauchst ja kei­ne Hou­ri an­zu­se­hen!«

»Ich blei­be ein Christ!«

»Aber es ist ja nicht schwer, zu sa­gen: La Illa illa Al­lah, we Mo­ham­med Re­sul Al­lah!«

»Ist es schwe­rer, zu be­ten: ja aba­na ’Iled­si, fi ’s – se­ma­va­ti, jata – had­de­so ’s­mo­ka?«

Er blick­te mich zor­nig an.

»Ich weiß es wohl, dass Isa Ben Mar­ryam, den ihr Je­sus nennt, euch die­ses Ge­bet ge­lehrt hat; ihr nennt es das Va­terun­ser. Du willst mich stets zu dei­nem Glau­ben be­keh­ren, aber den­ke nur nicht dar­an, dass du mich zu ei­nem Ab­trün­ni­gen vom Tau­hid, dem Glau­ben an Al­lah, ma­chen wirst!«

Ich hat­te schon mehr­mals ver­sucht, sei­nem Be­keh­rungs­ver­su­che den mei­ni­gen ent­ge­gen zu stel­len. Zwar war ich von der Frucht­lo­sig­keit des­sel­ben voll­stän­dig über­zeugt, aber es war das ein­zi­ge Mit­tel, ihn zum Schwei­gen zu brin­gen. Das be­währ­te sich auch jetzt wie­der.

»So lass mir mei­nen Glau­ben, wie ich dir den dei­ni­gen las­se!«

Er knurr­te auf die­se mei­ne Wor­te et­was vor sich hin und brumm­te dann:

»Aber ich wer­de dich den­noch be­keh­ren, du magst wol­len oder nicht. Und das muss mir ge­lin­gen, denn du hast ja auch ein Tes­bih, einen Ro­sen­kranz, um­hän­gen. Was ich ein­mal will, das will ich, denn ich bin der Had­schi3 Ha­lef Omar Ben Had­schi Abul Ab­bas Ibn Had­schi Da­wud al Gossa­rah!«

»So bist du also der Sohn Abul Ab­bas’, des Soh­nes Da­wud al Gossa­rah?«

»Ja.«

»Und bei­de wa­ren Pil­ger?«

»Ja.«

»Auch du bist ein Had­schi?«

»Ja.«

»So ward ihr alle Drei in Mek­ka und habt die hei­li­ge Kaa­ba ge­se­hen?«

»Da­wud al Gossa­rah nicht.«

»Ah! Und den­noch nennst du ihn einen Had­schi?«

»Ja, denn er war ei­ner. Er wohn­te am Dsche­bel Schur-Schum und mach­te sich als Jüng­ling auf die Pil­ger­rei­se. Er kam glück­lich über el Dschuf, das man den Leib der Wüs­te nennt; dann aber wur­de er krank und muss­te am Brun­nen Tra­sah zu­rück­blei­ben. Dort nahm er ein Weib und starb, nach­dem er sei­nen Sohn Abul Ab­bas ge­se­hen hat­te. Ist er nicht ein Had­schi, ein Pil­ger, zu nen­nen?«

»Hm! Aber Abul Ab­bas war in Mek­ka?«

»Nein.«

»Und auch er ist ein Had­schi?«

»Ja. Er trat die Pil­ger­fahrt an und kam bis in die Ebe­ne Ad­mar, wo er zu­rück­blei­ben muss­te.«

»Wa­rum?«

»Er er­blick­te da Amareh, die Per­le von Dschu­neth, und lieb­te sie. Amareh wur­de sein Weib und ge­bar ihm Ha­lef Omar, den du hier ne­ben dir siehst. Dann starb er. War er nicht ein Had­schi?«

»Hm! Aber du selbst warst in Mek­ka?«

»Nein.«

»Und nennst dich den­noch einen Pil­ger!«

»Ja. Als mei­ne Mut­ter tot war, be­gab ich mich auch auf die Pil­ger­schaft. Ich zog gen Auf­gang und Nie­der­gang der Son­ne; ich ging nach Mit­tag und nach Mit­ter­nacht; ich lern­te alle Oa­sen der Wüs­te und alle Orte Ägyp­tens ken­nen; ich war noch nicht in Mek­ka, aber ich wer­de noch dort­hin kom­men. Bin ich also nicht ein Had­schi?«

»Hm! Ich den­ke, nur wer in Mek­ka war, darf sich einen Had­schi nen­nen?«

»Ei­gent­lich, ja. Aber ich bin ja auf der Rei­se dort­hin!«

»Mög­lich! Doch du wirst auch ir­gend­wo eine schö­ne Jung­frau fin­den und bei ihr blei­ben; dei­nem Soh­ne wird es eben­so ge­hen, denn dies scheint euer Kis­met zu sein, und dann wird nach hun­dert Jah­ren dein Uren­kel sa­gen: ›Ich bin Had­schi Mu­stafa Ben Had­schi Ali Assa­beth Ibn Had­schi Saïd al Ham­za Ben Had­schi Sche­hab To­faïl Ibn Had­schi Ha­lef Omar Ben Had­schi Abul Ab­bas Ibn Had­schi Da­wud al Gossa­rah‹, und kei­ner von all die­sen sie­ben Pil­gern wird Mek­ka ge­se­hen ha­ben und ein ech­ter, wirk­li­cher Had­schi ge­wor­den sein. Meinst du nicht?«

So ernst er sonst war, er muss­te den­noch über die­se klei­ne, un­schäd­li­che Ma­li­ce la­chen. Es gibt un­ter den Mo­ham­me­da­nern sehr, sehr vie­le, die sich, be­son­ders dem Frem­den ge­gen­über, als Had­schi ge­bär­den, ohne die Kaa­ba ge­se­hen, den Lauf zwi­schen Ssa­fa und Mer­weh voll­bracht zu ha­ben, in Arafah ge­we­sen und in Mi­nah ge­scho­ren und ra­siert wor­den zu sein. Mein gu­ter Ha­lef fühl­te sich ge­schla­gen, aber er nahm es mit gu­ter Mie­ne hin.

»Sih­di«, frag­te er klein­laut, »wirst du es aus­plau­dern, dass ich noch nicht in Mek­ka war?«

»Ich wer­de nur dann da­von spre­chen, wenn du wie­der an­fängst, mich zum Is­lam zu be­keh­ren; sonst aber wer­de ich schwei­gen. Doch schau, sind das nicht Spu­ren im Sand?«

Wir wa­ren schon längst in das Wadi4 Tar­faui ein­ge­bo­gen und jetzt an eine Stel­le des­sel­ben ge­kom­men, an wel­cher der Wüs­ten­wind den Flug­sand über die ho­hen Fel­se­nu­fer hin­ab­ge­trie­ben hat­te. In die­sem San­de war eine sehr deut­li­che Fähr­te zu er­ken­nen.

»Hier sind Leu­te ge­rit­ten«, mein­te Ha­lef un­be­küm­mert.

»So wer­den wir ab­stei­gen, um die Spur zu un­ter­su­chen.«

Er blick­te mich fra­gend an.

»Sih­di, das ist über­flüs­sig. Es ist ge­nug, zu wis­sen, dass Leu­te hier ge­rit­ten sind. Wes­halb willst du die Huf­spu­ren un­ter­su­chen?«

»Es ist stets gut, zu wis­sen, wel­che Leu­te man vor sich hat.«

»Wenn du alle Spu­ren, wel­che du fin­dest, un­ter­su­chen willst, so wirst du un­ter zwei Mon­den nicht nach Sed­da­da kom­men. Was ge­hen dich die Män­ner an, die vor uns sind?«

»Ich bin in fer­nen Län­dern ge­we­sen, in de­nen es viel Wild­nis gibt und wo sehr oft das Le­ben da­von ab­hängt, dass man alle Darb und Ethar, alle Spu­ren und Fähr­ten, ge­nau be­trach­tet, um zu er­fah­ren, ob man ei­nem Freun­de oder ei­nem Fein­de be­geg­net.«

»Hier wirst du kei­nem Fein­de be­geg­nen, Ef­fen­di.«

»Das kann man nicht wis­sen.«

Ich stieg ab. Es wa­ren die Fähr­ten drei­er Tie­re zu be­mer­ken, ei­nes Ka­mels und zwei­er Pfer­de. Das ers­te­re war je­den­falls ein Reit­ka­mel, wie ich an der Zier­lich­keit sei­ner Huf­ein­drücke be­merk­te. Bei ge­nau­er Be­trach­tung fiel mir eine Ei­gen­tüm­lich­keit der Spu­ren auf, wel­che mich ver­mu­ten ließ, dass das eine der Pfer­de am ›Hah­nen­trit­t‹5 lei­de. Die­ses muss­te mei­ne Ver­wun­de­rung er­re­gen, da ich mich in ei­nem Lan­de be­fand, des­sen Pfer­de­reich­tum zur Fol­ge hat, dass man nie­mals Tie­re rei­tet, wel­che mit die­sem Übel be­haf­tet sind. Der Be­sit­zer des Ros­ses war ent­we­der kein oder ein sehr ar­mer Ara­ber.

Ha­lef lä­chel­te über die Sorg­falt, mit wel­cher ich den Sand un­ter­such­te, und frag­te, als ich mich wie­der em­por­rich­te­te:

»Was hast du ge­se­hen, Sih­di?«

»Es wa­ren zwei Pfer­de und ein Ka­mel.«

»Zwei Pfer­de und ein Djem­mel! Al­lah seg­ne dei­ne Au­gen; ich habe ganz das­sel­be ge­se­hen, ohne dass ich von mei­nem Tie­re zu stei­gen brauch­te. Du willst ein Ta­leb sein, ein Ge­lehr­ter, und tust doch Din­ge, über wel­che ein Ha­mahr, ein Esels­trei­ber, la­chen wür­de. Was hilft dir nun der Schatz des Wis­sens, den du hier ge­ho­ben hast?«

»Ich weiß nun zu­nächst, dass die drei Rei­ter vor un­ge­fähr vier Stun­den hier vor­über­ge­kom­men sind.«

»Wer gibt dir et­was für die­se Weis­heit? Ihr Män­ner aus dem Be­lad el Rumi, aus Eu­ro­pa, seid son­der­ba­re Leu­te!«

Er schnitt bei die­sen Wor­ten ein Ge­sicht, von wel­chem ich das tiefs­te Mit­leid le­sen konn­te, doch zog ich es vor, schwei­gend un­sern Weg fort­zu­set­zen.

Wir folg­ten der Fähr­te wohl eine Stun­de lang, bis wir da, wo das Wadi eine Krüm­mung mach­te und wir nun um eine Ecke bo­gen, un­will­kür­lich un­se­re Pfer­de an­hiel­ten. Wir sa­hen drei Gei­er, wel­che nicht weit vor uns hin­ter ei­ner Sand­dü­ne hock­ten und sich bei un­se­rem An­blick mit hei­se­ren Schrei­en in die Lüf­te er­ho­ben.

»El Büdj, der Bart­gei­er«, mein­te Ha­lef. »Wo er ist, da gibt es ganz si­cher ein Aas.«

»Es wird dort ir­gend­ein Tier ver­en­det sein«, ant­wor­te­te ich, in­dem ich ihm folg­te.

Er hat­te sein Pferd ra­scher vor­wärts­ge­trie­ben, so­dass ich hin­ter ihm zu­rück­ge­blie­ben war. Kaum hat­te er die Düne er­reicht, so hielt er mit ei­nem Ru­cke still und stieß einen Ruf des Schre­ckens aus.

»Masch Al­lah, Wun­der Got­tes! Was ist das? Ist das nicht ein Mensch, Sih­di, wel­cher hier liegt?«

Ich muss­te al­ler­dings be­ja­hend ant­wor­ten. Es war wirk­lich ein Mann, wel­cher hier lag, und an des­sen Leich­nam die Gei­er ihr schau­der­haf­tes Mahl ge­hal­ten hat­ten. Schnell sprang ich vom Pfer­de und knie­te bei ihm nie­der. Sei­ne Klei­dung war von den Kral­len der Vö­gel zer­fetzt. Aber lan­ge konn­te die­ser Un­glück­li­che noch nicht tot sein, wie ich bei der Berüh­rung so­fort fühl­te.

»Al­lah ke­rihm, Gott ist gnä­dig! Sih­di, ist die­ser Mann ei­nes na­tür­li­chen To­des ge­stor­ben?«, frag­te Ha­lef.

»Nein. Siehst du nicht die Wun­de am Hal­se und das Loch im Hin­ter­haup­te? Er ist er­mor­det wor­den.«

»Al­lah ver­der­be den Men­schen, der dies ge­tan hat! Oder soll­te der Tote in ei­nem ehr­li­chen Kamp­fe ge­fal­len sein?«

»Was nennst du ehr­li­chen Kampf? Vi­el­leicht ist er das Op­fer ei­ner Blut­ra­che. Wir wol­len sei­ne Klei­der un­ter­su­chen.«

Ha­lef half da­bei. Wir fan­den nicht das Ge­rings­te, bis mein Blick auf die Hand des To­ten fiel. Ich be­merk­te einen ein­fa­chen Gold­reif von der ge­wöhn­li­chen Form der Trau­rin­ge und zog ihn ab. In sei­ne in­ne­re Sei­te war klein, aber deut­lich ein­ge­gra­ben: »E.P. 15. Juil­let 1830.«

»Was fin­dest du?«, frag­te Ha­lef.

»Die­ser Mann ist kein Ibn Arab.«6

»Was sonst?«

»Ein Fran­zo­se.«

»Ein Fran­ke, ein Christ? Woran willst du dies er­ken­nen?«

»Wenn ein Christ sich ein Weib nimmt, so tau­schen bei­de je einen Ring, in wel­chem der Name und der Tag ein­ge­gra­ben sind, an dem die Ehe ge­schlos­sen wur­de.«

»Und dies ist ein sol­cher Ring?«

»Ja.«

»Aber wor­an er­kennst du, dass die­ser Tote zu dem Vol­ke der Fran­ken ge­hört? Er könn­te doch eben­so gut von den Ing­lis7 oder den Nem­si8 stam­men, zu de­nen auch du ge­hörst.«

»Es sind fran­zö­si­sche Zei­chen, wel­che ich hier lese.«

»Er kann den­noch zu ei­nem an­de­ren Vol­ke ge­hö­ren. Meinst du nicht, Ef­fen­di, dass man einen Ring fin­den oder auch steh­len kann?«

»Das ist wahr. Aber sieh das Hemd, wel­ches er un­ter sei­ner Klei­dung trägt. Es ist das­je­ni­ge ei­nes Eu­ro­pä­ers.«

»Wer hat ihn ge­tö­tet?«

»Sei­ne bei­den Beglei­ter. Siehst du nicht, dass der Bo­den hier auf­ge­wühlt ist vom Kamp­fe? Be­merkst du nicht, dass – –«

Ich hielt mit­ten im Sat­ze inne. Ich hat­te mich aus mei­ner kni­en­den Stel­lung er­ho­ben, um den Bo­den zu un­ter­su­chen, und fand nicht weit von der Stel­le, an wel­cher der Tote lag, den An­fang ei­ner brei­ten Blut­spur, wel­che sich seit­wärts zwi­schen die Fel­sen zog. Ich folg­te ihr mit schuss­be­rei­tem Ge­wehr, da die Mör­der sich leicht noch in der Nähe be­fin­den konn­ten. Noch war ich nicht weit ge­gan­gen, so stieg mit lau­tem Flü­gel­schlag ein Gei­er em­por und ich be­merk­te an dem Orte, von wel­chem er sich er­ho­ben hat­te, ein Ka­mel lie­gen.

Es war tot; in sei­ner Brust klaff­te eine tie­fe, brei­te Wun­de. Ha­lef schlug die Hän­de be­dau­ernd in­ein­an­der.

»Ein grau­es He­d­jihn, ein grau­es Tua­reg-He­d­jihn, und die­se Mör­der, die­se Schur­ken, die­se Hun­de ha­ben es ge­tö­tet!«

Es war klar, er be­dau­er­te das präch­ti­ge Reit­tier viel mehr als den to­ten Fran­zo­sen. Als ech­ter Sohn der Wüs­te, dem der ge­rings­te Ge­gen­stand kost­bar wer­den kann, bück­te er sich nie­der und un­ter­such­te den Sat­tel des Ka­mels. Er fand nichts; die Ta­schen wa­ren leer.

»Die Mör­der ha­ben be­reits al­les hin­weg­ge­nom­men, Sih­di. Mö­gen sie in alle Ewig­keit in der Dsche­hen­na bra­ten. Nichts, gar nichts ha­ben sie zu­rück­ge­las­sen, als das Ka­mel – und die Pa­pie­re, wel­che dort im San­de lie­gen.«

Durch die­se Wor­te auf­merk­sam ge­macht, be­merk­te ich in ei­ner Ent­fer­nung von uns al­ler­dings ei­ni­ge mit den Hän­den zu­sam­men­ge­ball­te und wohl als un­nütz weg­ge­wor­fe­ne Pa­pier­stücke. Sie konn­ten mir viel­leicht einen An­halts­punkt bie­ten, und ich ging, um sie auf­zu­he­ben. Es wa­ren meh­re­re Zei­tungs­bo­gen. Ich glät­te­te die zu­sam­men­ge­knit­ter­ten Fet­zen und pass­te sie ge­nau an­ein­an­der. Ich hat­te zwei Sei­ten der »Vi­gie al­géri­en­ne« und eben­so viel vom »L’In­dé­pen­dant« und der »Ma­hou­n­a« in den Hän­den. Das ers­te Blatt er­scheint in Al­gier, das zwei­te in Con­stan­ti­ne und das drit­te in Guel­ma. Trotz die­ser ört­li­chen Ver­schie­den­heit be­merk­te ich bei nä­he­rer Prü­fung eine mir auf­fäl­li­ge Über­ein­stim­mung be­züg­lich des In­hal­tes der drei Zei­tungs­fet­zen: Sie ent­hiel­ten näm­lich alle drei einen Be­richt über die Er­mor­dung ei­nes rei­chen fran­zö­si­schen Kauf­man­nes in Bli­dah. Des Mor­des drin­gend ver­däch­tig war ein ar­me­ni­scher Händ­ler, wel­cher die Flucht er­grif­fen hat­te und steck­brief­lich ver­folgt wur­de. Die Be­schrei­bung sei­ner Per­son stimm­te in al­len drei Jour­na­len ganz wört­lich über­ein.

Aus wel­chem Grun­de hat­te der Tote, wel­chem die­ses Ka­mel ge­hör­te, die­se Blät­ter bei sich ge­führt? Ging ihn der Fall per­sön­lich et­was an? War er ein Ver­wand­ter des Kauf­manns in Bli­dah, war er der Mör­der, oder war er ein Po­li­zist, der die Spur des Ver­bre­chers ver­folgt hat­te?

Ich nahm die Pa­pie­re an mich, wie ich auch den Ring an mei­nen Fin­ger ge­steckt hat­te, und kehr­te mit Ha­lef zu der Lei­che zu­rück. Über ihr schweb­ten be­harr­lich die Gei­er, wel­che sich nun nach un­se­rer Ent­fer­nung auf das Ka­mel nie­der­lie­ßen.

»Was ge­den­kest du nun zu tun, Sih­di?«, frag­te der Die­ner.

»Es bleibt uns nichts üb­rig, als den Mann zu be­gra­ben.«

»Willst du ihn in die Erde schar­ren?«

»Nein; dazu feh­len uns die Werk­zeu­ge. Wir er­rich­ten einen Stein­hau­fen über ihm; so wird kein Tier zu ihm ge­lan­gen kön­nen.«

»Und du denkst wirk­lich, dass er ein Gi­aur ist?«

»Er ist ein Christ.«

»Es ist mög­lich, dass du dich den­noch irrst, Sih­di; er kann trotz­dem auch ein Recht­gläu­bi­ger sein. Da­rum er­lau­be mir eine Bit­te!«

»Wel­che?«

»Lass uns ihn so le­gen, dass er mit dem Ge­sich­te nach Mek­ka blickt!«

»Ich habe nichts da­ge­gen, denn dann ist es zu­gleich nach Je­ru­sa­lem ge­rich­tet, wo der Wel­tei­land litt und starb. Grei­fe an!«

Es war ein trau­ri­ges Werk, wel­ches wir in der tie­fen Ein­sam­keit vollen­de­ten. Als der Stein­hau­fen, wel­cher den Un­glück­li­chen be­deck­te, so hoch war, dass er der Lei­che voll­stän­di­gen Schutz ge­gen die Tie­re der Wüs­te ge­währ­te, füg­te ich noch so viel hin­zu, dass er die Ge­stalt ei­nes Kreu­zes be­kam, und fal­te­te dann die Hän­de, um ein Ge­bet zu spre­chen. Als ich da­mit ge­en­det hat­te, wand­te Ha­lef sein Auge ge­gen Mor­gen, um mit der hun­dert­und­zwölf­ten Sure des Korans zu be­gin­nen:

»Im Na­men des all­barm­her­zi­gen Got­tes! Sprich: Gott ist der ein­zi­ge und ewi­ge Gott. Er zeugt nicht und ist nicht ge­zeugt, und kein We­sen ist ihm gleich. Der Mensch liebt das da­hin­ei­len­de Le­ben und lässt das zu­künf­ti­ge un­be­ach­tet. Dei­ne Abrei­se aber ist ge­kom­men, und nun wirst du hin­ge­trie­ben zu dei­nem Herrn, der dich auf­er­we­cken wird zu neu­em Le­ben. Möge dann die Zahl dei­ner Sün­den klein sein und die Zahl dei­ner gu­ten Ta­ten so groß wie der Sand, auf dem du ein­sch­liefst in der Wüs­te!«

Nach die­sen Wor­ten bück­te er sich nie­der, um sei­ne Hän­de, die er mit der Lei­che ver­un­rei­nigt hat­te, mit dem San­de ab­zu­wa­schen.

»So, Sih­di, jetzt bin ich wie­der ta­hir, was die Kin­der Is­rael kau­scher9 nen­nen, und darf wie­der be­rüh­ren, was rein und hei­lig ist. Was tun wir jetzt?«

»Wir ei­len den Mör­dern nach, um sie ein­zu­ho­len.«

»Willst du sie tö­ten?«

»Ich bin ihr Rich­ter nicht. Ich wer­de mit ih­nen spre­chen und dann er­fah­ren, warum sie ihn ge­tö­tet ha­ben. Dann weiß ich, was ich tun wer­de.«

»Es kön­nen kei­ne klu­gen Män­ner sein, sonst hät­ten sie nicht ein He­d­jihn ge­tö­tet, wel­ches mehr wert ist, als ihre Pfer­de.«

»Das He­d­jihn hät­te sie viel­leicht ver­ra­ten. Hier siehst du ihre Spur. Vor­wärts! Sie sind fünf Stun­den vor uns; viel­leicht tref­fen wir mor­gen auf sie, noch ehe sie Sed­da­da er­rei­chen.«

Wir jag­ten trotz der drücken­den Hit­ze und des schwie­ri­gen, fel­si­gen Bo­dens mit ei­ner Eile da­hin, als ob es gel­te, Ga­zel­len ein­zu­ho­len, und es war da­bei ganz un­mög­lich, ein Ge­spräch zu füh­ren. Die­se Schweig­sam­keit aber konn­te mein gu­ter Ha­lef un­mög­lich lan­ge aus­hal­ten.

»Sih­di«, rief er hin­ter mir, »Sih­di, willst du mich ver­las­sen?«

Ich dreh­te mich nach ihm um.

»Ver­las­sen?«

»Ja. Mei­ne Stu­te hat äl­te­re Bei­ne als dein Ber­ber­hengst.«

Wirk­lich trief­te die alte Has­si-Ferd­sch­ahn-Stu­te be­reits von Schweiß, und der Schaum flog ihr in großen Flo­cken von dem Mau­le.

»Aber wir kön­nen heu­te nicht wie ge­wöhn­lich wäh­rend der größ­ten Hit­ze Rast ma­chen, son­dern wir müs­sen rei­ten bis zur Nacht, sonst ho­len wir die bei­den, wel­che vor uns sind, nicht ein.«

»Wer zu viel eilt, kommt auch nicht frü­her als der, wel­cher lang­sam rei­tet, Ef­fen­di, denn – Al­lah Ak­bar, bli­cke da hin­un­ter!«

Wir be­fan­den uns vor ei­nem jä­hen Sturz des Wadi und sa­hen in der Ent­fer­nung von viel­leicht ei­ner Vier­tel­wegs­stun­de un­ter uns zwei Rei­ter oder viel­mehr zwei Män­ner an ei­ner klei­nen Sob­ha10 sit­zen, in wel­cher sich bra­cki­ges Was­ser er­hal­ten hat­te. Ihre Pfer­de knab­ber­ten an den dür­ren, sta­che­li­gen Mi­mo­sen her­um, wel­che in der Nähe stan­den.

»Ah, sie sind es!«

»Ja, Sih­di, sie sind es. Auch ih­nen ist es zu heiß ge­we­sen, und sie ha­ben be­schlos­sen, zu war­ten, bis die größ­te Glut vor­über ist.«

»Oder sie ha­ben sich ver­weilt, um die Beu­te zu tei­len. Zu­rück, Ha­lef, zu­rück, da­mit sie dich nicht be­mer­ken! Wir wer­den das Wadi ver­las­sen und ein we­nig nach West rei­ten, um zu tun, als ob wir vom Schott Rhar­sa kämen.«

»Wa­rum, Ef­fen­di?«

»Sie sol­len nicht ah­nen, dass wir die Lei­che des Er­mor­de­ten ge­fun­den ha­ben.«

Un­se­re Pfer­de er­klom­men das Ufer des Wadi, und wir rit­ten stracks nach Wes­ten in die Wüs­te hin­ein. Dann schlu­gen wir einen Bo­gen und hiel­ten auf die Stel­le zu, an wel­cher sich die bei­den be­fan­den. Sie konn­ten uns nicht kom­men se­hen, da sie in der Tie­fe des Wadi sa­ßen, muss­ten uns aber hö­ren, als wir dem­sel­ben nahe ge­kom­men wa­ren.

Wirk­lich hat­ten sie sich, als wir den Rand der Ver­tie­fung er­reich­ten, be­reits er­ho­ben und nach ih­ren Ge­weh­ren ge­grif­fen. Ich tat na­tür­lich, als sei ich eben­so über­rascht wie sie selbst, hier in der Ein­sam­keit der Wüs­te so plötz­lich auf Men­schen zu tref­fen, hielt es je­doch nicht für nö­tig, nach mei­ner Büch­se zu lan­gen.

»Salam aal­eï­kum!«, rief ich, mein Pferd an­hal­tend, zu ih­nen hin­ab.

»Aleï­kum«, ant­wor­te­te der äl­te­re von ih­nen. »Wer seid ihr?«

»Wir sind fried­li­che Rei­ter.«

»Wo kommt ihr her?«

»Von Wes­ten.«

»Und wo wollt ihr hin?«

»Nach Sed­da­da.«

»Von wel­chem Stam­me seid ihr?«

Ich deu­te­te auf Ha­lef und ant­wor­te­te:

»Die­ser hier stammt aus der Ebe­ne Ad­mar, und ich ge­hö­re zu den Beni-Sach­sa. Wer seid ihr?«

»Wir sind von dem be­rühm­ten Stam­me der Uëlad Ha­ma­lek.«

»Die Uëlad Ha­ma­lek sind gute Rei­ter und tap­fe­re Krie­ger. Wo kommt ihr her?«

»Von Gaf­sa.«

»Da habt ihr eine wei­te Rei­se hin­ter euch. Wo­hin wollt ihr?«

»Nach dem Bir11 Saui­di, wo wir Freun­de ha­ben.«

Bei­des, dass sie von Gaf­sa ka­men und nach dem Brun­nen Saui­di woll­ten, war eine Lüge, doch tat ich, als ob ich ih­ren Wor­ten glaub­te, und frag­te:

»Er­laubt ihr uns, bei euch zu ras­ten?«

»Wir blei­ben hier bis zum frü­hen Mor­gen«, lau­te­te die Ant­wort, wel­che also für mei­ne Fra­ge we­der ein Ja noch ein Nein ent­hielt.

»Auch wir ge­den­ken, bis zum Auf­gang der nächs­ten Son­ne hier aus­zu­ru­hen. Ihr habt ge­nug Was­ser für uns alle und auch für un­se­re Pfer­de. Dür­fen wir bei euch blei­ben?«

»Die Wüs­te ge­hört al­len. Mar­ha­ba, du sollst uns will­kom­men sein!«

Es war ih­nen trotz die­ses Be­schei­des leicht an­zu­se­hen, dass ih­nen un­ser Ge­hen lie­ber ge­we­sen wäre, als un­ser Blei­ben; wir aber lie­ßen un­se­re Pfer­de den Ab­hang hin­un­ter klet­tern und stie­gen an dem Was­ser ab, wo wir so­fort un­ge­niert Platz nah­men.

Die bei­den Phy­sio­gno­mi­en, wel­che ich nun stu­die­ren konn­te, wa­ren kei­nes­wegs ver­trau­en­er­we­ckend. Der äl­te­re, wel­cher bis­her das Wort ge­führt hat­te, war lang und ha­ger ge­baut. Der Bur­nus hing ihm am Lei­be wie an ei­ner Vo­gel­scheu­che. Un­ter dem schmut­zig blau­en Tur­ban blick­ten zwei klei­ne, ste­chen­de Au­gen un­heim­lich her­vor; über den schma­len, blut­lee­ren Lip­pen fris­te­te ein dün­ner Bart ein küm­mer­li­ches Da­sein; das spit­ze Kinn zeig­te eine auf­fal­len­de Nei­gung, nach oben zu stei­gen, und die Nase, ja, die­se Nase er­in­ner­te mich leb­haft an die Gei­er, wel­che ich vor kur­z­er Zeit von der Lei­che des Er­mor­de­ten ver­trie­ben hat­te. Das war kei­ne Ad­ler- und auch kei­ne Ha­bichts­na­se; sie hat­te wirk­lich die Form ei­nes Gei­er­schna­bels.

Der an­de­re war ein jun­ger Mann von auf­fal­len­der Schön­heit; aber die Lei­den­schaf­ten hat­ten sein Auge um­flort, sei­ne Ner­ven ent­kräf­tet und sei­ne Stirn und Wan­gen zu früh ge­furcht. Man konn­te un­mög­lich Ver­trau­en zu ihm ha­ben.

Der äl­te­re sprach das Ara­bi­sche mit je­nem Ak­zent, wie man es am Eu­phrat spricht, und der jün­ge­re ließ mich ver­mu­ten, dass er kein Ori­en­ta­le, son­dern ein Eu­ro­pä­er sei. Ihre Pfer­de, wel­che in der Nähe stan­den, wa­ren schlecht und sicht­lich ab­ge­trie­ben; ihre Klei­dung hat­te ein sehr mit­ge­nom­me­nes Aus­se­hen, aber ihre Waf­fen wa­ren aus­ge­zeich­net. Da, wo sie vor­hin ge­ses­sen, la­gen ver­schie­de­ne Ge­gen­stän­de, wel­che sonst in der Wüs­te sel­ten sind und wohl nur des­halb lie­gen ge­blie­ben wa­ren, weil die bei­den kei­ne Zeit ge­fun­den hat­ten, sie zu ver­ber­gen: ein sei­de­nes Ta­schen­tuch, eine gol­de­ne Uhr nebst Ket­te, ein Kom­pass, ein pracht­vol­ler Re­vol­ver und ein in Maro­quin ge­bun­de­nes Ta­schen­buch.

Ich tat, als ob ich die­se Ge­gen­stän­de gar nicht be­merkt hät­te, nahm aus der Sat­tel­ta­sche eine Hand­voll Dat­teln und be­gann, die­sel­ben mit gleich­gül­ti­ger und zu­frie­de­ner Mie­ne zu ver­zeh­ren.

»Was wollt ihr in Sed­da­da?«, frag­te mich der Lan­ge.

»Nichts. Wir ge­hen wei­ter.«

»Wo­hin?«

»Über den Schott Dsche­rid nach Fet­nas­sa und Kbil­li.«

Ein un­be­wach­ter Blick, den er auf sei­nen Ge­fähr­ten warf, sag­te mir, dass ihr Weg der näm­li­che sei. Dann frag­te er wei­ter:

»Hast du Ge­schäf­te in Fet­nas­sa oder Kbil­li?«

»Ja.«

»Du willst dei­ne Her­den dort ver­kau­fen?«

»Nein.«

»Oder dei­ne Skla­ven?«

»Nein.«

»Oder viel­leicht die Wa­ren, die du aus dem Su­dan kom­men lässt?«

»Nein.«

»Was sonst?«

»Nichts. Ein Sohn mei­nes Stam­mes treibt mit Fet­nas­sa kei­nen Han­del.«

»Oder willst du dir ein Weib dort ho­len?«

Ich im­pro­vi­sier­te eine sehr zor­ni­ge Mie­ne.

»Weißt du nicht, dass es eine Be­lei­di­gung ist, zu ei­nem Man­ne von sei­nem Wei­be zu spre­chen! Oder bist du ein Gi­aur, dass du die­ses nicht er­fah­ren hast?«

Wahr­haf­tig, der Mann er­schrak förm­lich, und ich be­gann, in­fol­ge­des­sen die Ver­mu­tung zu he­gen, dass ich mit mei­nen Wor­ten das Rich­ti­ge ge­trof­fen hat­te. Er hat­te ganz und gar nicht die Phy­sio­gno­mie ei­nes Be­dui­nen; Ge­sich­ter, wie das sei­ni­ge, wa­ren mir viel­mehr bei Män­nern von ar­me­ni­scher Her­kunft auf­ge­fal­len und – – ah, war es nicht ein ar­me­ni­scher Händ­ler, der den Kauf­mann in Bli­dah er­mor­det hat­te und des­sen Steck­brief ich in der Ta­sche trug? Ich hat­te mir nicht die Zeit ge­nom­men, den Steck­brief, we­nigs­tens das Si­gna­le­ment, auf­merk­sam durch­zu­le­sen. Wäh­rend mir die­se Ge­dan­ken blitz­schnell durch den Kopf gin­gen, fiel mein Blick noch­mals auf den Re­vol­ver. An sei­nem Griff be­fand sich eine sil­ber­ne Plat­te, in wel­che ein Name ein­gra­viert war.

»Er­lau­be mir!«

Zu glei­cher Zeit mit die­ser Bit­te griff ich nach der Waf­fe und las: »Paul Ga­lin­gré, Mar­seil­le.« Das war ganz si­cher nicht der Name der Fa­brik, son­dern des Be­sit­zers. Ich ver­riet aber mein In­ter­es­se durch kei­ne Mie­ne, son­dern frag­te leicht­hin:

»Was ist das für eine Waf­fe?«

»Ein – ein – – ein Dreh­ge­wehr.«

»Magst du mir zei­gen, wie man mit ihm schießt?«

Er er­klär­te es mir. Ich hör­te ihm sehr auf­merk­sam zu und mein­te dann:

»Du bist kein Uëlad Ha­ma­lek, son­dern ein Gi­aur.«

»Wa­rum?«

»Sie­he, dass ich recht ge­ra­ten habe! Wä­rest du ein Sohn des Pro­phe­ten, so wür­dest du mich nie­der­schie­ßen, weil ich dich einen Gi­aur nann­te. Nur die Ungläu­bi­gen ha­ben Dreh­ge­weh­re. Wie soll die­se Waf­fe in die Hän­de ei­nes Uëlad Ha­ma­lek ge­kom­men sein! Ist sie ein Ge­schenk?«

»Nein.«

»So hast du sie ge­kauft?«

»Nein.«

»Dann war sie eine Beu­te?«

»Ja.«

»Von wem?«

»Von ei­nem Fran­ken.«

»Mit dem du kämpf­test?«

»Ja.«

»Wo?«

»Auf dem Schlacht­fel­de.«

»Auf wel­chem?«

»Bei El Gu­er­a­ra.«

»Du lügst!«

Jetzt riss ihm doch end­lich die Ge­duld. Er er­hob sich und griff nach dem Re­vol­ver.

»Was sagst du? Ich lüge? Soll ich dich nie­der­schie­ßen wie – – –«

Ich fiel ihm in die Rede:

»Wie den Fran­ken da oben im Wadi Tar­faui!«

Die Hand, wel­che den Re­vol­ver hielt, sank wie­der nie­der, und eine fah­le Bläs­se be­deck­te das Ge­sicht des Man­nes. Doch raff­te er sich zu­sam­men und frag­te dro­hend:

»Was meinst du mit die­sen Wor­ten?«

Ich lang­te in mei­ne Ta­sche, zog die Zei­tun­gen her­aus und tat einen Blick in die Blät­ter, um den Na­men des Mör­ders zu fin­den.

»Ich mei­ne, dass du ganz ge­wiss kein Uëlad Ha­ma­lek bist. Dein Name ist mir sehr be­kannt; er lau­tet Hamd el Ama­sat.«

Jetzt fuhr er zu­rück und streck­te bei­de Hän­de wie zur Ab­wehr ge­gen mich aus.

»Wo­her kennst du mich?«

»Ich ken­ne dich; das ist ge­nug.«

»Nein, du kennst mich nicht; ich hei­ße nicht so, wie du sag­test; ich bin ein Uëlad Ha­ma­lek, und wer das nicht glaubt, den schie­ße ich nie­der!«

»Wem ge­hö­ren die­se Sa­chen?«

»Mir.«

Ich er­griff das Ta­schen­tuch. Es war mit »P.G.« ge­zeich­net. Ich öff­ne­te die Uhr und fand auf der In­nen­sei­te des De­ckels ganz die­sel­ben Buch­sta­ben ein­gra­viert.

»Wo­her hast du sie?«

»Was geht es dich an? Lege sie von dir!«

An­statt ihm zu ge­hor­chen, öff­ne­te ich auch das No­tiz­buch. Auf dem ers­ten Blat­te des­sel­ben las ich den Na­men Paul Ga­lin­gré; der In­halt aber war ste­no­gra­fiert, und ich kann Ste­no­gra­fie nicht le­sen.

»Weg mit dem Bu­che, sage ich dir!«

Bei die­sen Wor­ten schlug er mir das­sel­be aus der Hand, so­dass es in die La­che flog. Ich er­hob mich, um den Ver­such zu ma­chen, es zu ret­ten, fand aber jetzt dop­pel­ten Wi­der­stand, da sich nun auch der jün­ge­re der bei­den Män­ner zwi­schen mich und das Was­ser stell­te.

Ha­lef hat­te dem Wort­wech­sel bis­her schein­bar gleich­gül­tig zu­ge­hört, aber ich sah, dass sein Fin­ger an dem Drücker sei­ner lan­gen Flin­te lag. Es be­durf­te nur ei­nes Win­kes von mir, um ihn zum Schus­se zu brin­gen. Ich bück­te mich, um auch den Kom­pass noch auf­zu­neh­men.

»Halt; das ist mein! Gib die­se Sa­chen her­aus!«, rief der Geg­ner.

Er fass­te mei­nen Arm, um sei­nen Wor­ten Nach­druck zu ge­ben; ich aber sag­te so ru­hig wie mög­lich:

»Set­ze dich wie­der nie­der! Ich habe mit dir zu re­den.«

»Ich habe mit dir nichts zu schaf­fen!«

»Aber ich mit dir. Set­ze dich, wenn ich dich nicht nie­der­schie­ßen soll!«

Die­se Dro­hung schi­en doch nicht ganz un­wirk­sam zu sein. Er ließ sich wie­der zur Erde nie­der, und ich tat ganz das­sel­be. Dann zog ich mei­nen Re­vol­ver und be­gann:

»Sie­he, dass ich auch ein sol­ches Dreh­ge­wehr habe! Lege das dei­ni­ge weg, sonst geht das mei­ni­ge los!«

Er leg­te die Waf­fe lang­sam ne­ben sich hin aus der Hand, hielt sich aber zum au­gen­blick­li­chen Griff be­reit.

»Du bist kein Uëlad Ha­ma­lek?«

»Ich bin ei­ner.«

»Du kommst nicht von Gaf­sa?«

»Ich kom­me von dort.«

»Wie lan­ge Zeit rei­test du be­reits im Wadi Tar­faui?«

»Was geht es dich an!«

»Es geht mich sehr viel an. Da oben liegt die Lei­che ei­nes Man­nes, den du er­mor­det hast.«

Ein bö­ser Zug durch­zuck­te sein Ge­sicht.

»Und wenn ich es ge­tan hät­te, was hät­test du dar­über zu sa­gen?«

»Nicht viel; nur ei­ni­ge Wor­te.«

»Wel­che?«

»Wer war der Mann?«

»Ich ken­ne ihn nicht.«

»Wa­rum hast du ihn und sein Ka­mel ge­tö­tet?«

»Weil es mir so ge­fiel.«

»War er ein Recht­gläu­bi­ger?«

»Nein. Er war ein Gi­aur.«

»Du hast ge­nom­men, was er bei sich trug?«

»Soll­te ich es bei ihm lie­gen las­sen?«

»Nein, denn du hat­test es für mich auf­zu­he­ben.«

»Für dich – –?«

»Ja.«

»Ich ver­ste­he dich nicht.«

»Du sollst mich ver­ste­hen. Der Tote war ein Gi­aur; ich bin auch ein Gi­aur und wer­de sein Rä­cher sein.«

»Sein Blut­rä­cher?«

»Nein; wenn ich das wäre, so hät­test du be­reits auf­ge­hört, zu le­ben. Wir sind in der Wüs­te, wo kein Ge­setz gilt als nur das des Stär­ke­ren. Ich will nicht er­pro­ben, wer von uns der Stär­ke­re ist; ich über­ge­be dich der Ra­che Got­tes, des All­wis­sen­den, der al­les sieht und kei­ne Tat un­ver­gol­ten lässt; aber das eine sage ich dir, und das magst du dir wohl mer­ken: Du gibst al­les her­aus, was du dem To­ten ab­ge­nom­men hast.«

Er lä­chel­te über­le­gen.

»Meinst du wirk­lich, dass ich die­ses tue?«

»Ich mei­ne es.«

»So nimm dir, was du ha­ben willst!«

Er zuck­te mit der Hand, um nach dem Re­vol­ver zu grei­fen; schnell aber hielt ich ihm die Mün­dung des mei­ni­gen ent­ge­gen.

»Halt, oder ich schie­ße!«

Es war je­den­falls eine sehr ei­gen­tüm­li­che Si­tua­ti­on, in der ich mich be­fand. Glück­li­cher­wei­se aber schi­en mein Geg­ner mehr Ver­schla­gen­heit als Mut zu be­sit­zen. Er zog die Hand wie­der zu­rück und schi­en un­ent­schlos­sen zu wer­den.

»Was willst du mit den Sa­chen tun?«

»Ich wer­de sie den Ver­wand­ten des To­ten zu­rück­ge­ben.«

Es war fast eine Art von Mit­leid, mit der er mich jetzt fi­xier­te.

»Du lügst. Du willst sie für dich be­hal­ten!«

»Ich lüge nicht.«

»Und was wirst du ge­gen mich un­ter­neh­men?«

»Jetzt nichts; aber hüte dich, mir je­mals wie­der zu be­geg­nen!«

»Du rei­test wirk­lich von hier nach Sed­da­da?«

»Ja.«

»Und wenn ich dir die Sa­chen gebe, wirst du mich und mei­nen Ge­fähr­ten un­ge­hin­dert nach dem Bir Saui­di ge­hen las­sen?«

»Ja.«

»Du ver­sprichst es mir?«

»Ja.«

»Be­schwö­re es!«

»Ein Gi­aur schwört nie; sein Wort ist auch ohne Schwur die Wahr­heit.«

»Hier, nimm das Dreh­ge­wehr, die Uhr, den Kom­pass und das Tuch.«

»Was hat­te er noch bei sich?«

»Nichts.«

»Er hat­te Geld.«

»Das wer­de ich be­hal­ten.«

»Ich habe nichts da­ge­gen; aber gib mir den Beu­tel oder die Bör­se, in der es sich be­fand.«

»Du sollst sie ha­ben.«

Er griff in sei­nen Gür­tel und zog eine ge­stick­te Per­len­bör­se her­vor, die er leer­te und mir dann ent­ge­gen­reich­te.

»Wei­ter hat­te er nichts bei sich?«

»Nein. Willst du mich aus­su­chen?«

»Nein.«

»So kön­nen wir ge­hen?«

»Ja.«

Er schi­en sich jetzt doch leich­ter zu füh­len als vor­hin; sein Beglei­ter aber war ganz si­cher ein furcht­sa­mer Mensch, der sehr froh war, auf die­se Wei­se da­von­zu­kom­men. Sie nah­men ihre Hab­se­lig­kei­ten zu­sam­men und be­stie­gen ihre Pfer­de.

»Salam aal­eï­kum, Frie­de sei mit euch!«

Ich ant­wor­te­te nicht, und sie nah­men die­se Un­höf­lich­keit sehr gleich­gül­tig hin. In we­ni­gen Au­gen­bli­cken wa­ren sie hin­ter dem Ran­de des Wa­di­u­fers ver­schwun­den.

Ha­lef hat­te bis jetzt kein ein­zi­ges Wort ge­spro­chen; nun brach er sein Schwei­gen.

»Sih­di!«

»Was?«

»Darf ich dir et­was sa­gen?«

»Ja.«

»Kennst du den Strauß?«

»Ja.«

»Weißt du, wie er ist?«

»Nun?«

»Dumm, sehr dumm.«

»Wei­ter!«

»Ver­zei­he mir, Ef­fen­di, aber du kommst mir noch schlim­mer vor, als der Strauß.«

»Wa­rum?«

»Weil du die­se Schur­ken lau­fen lässt.«

»Ich kann sie nicht hal­ten und auch nicht tö­ten.«

»Wa­rum nicht? Hät­ten sie einen Recht­gläu­bi­gen er­mor­det, so kannst du dich dar­auf ver­las­sen, dass ich sie zum Scheïtan, zum Teu­fel, ge­schickt hät­te. Da es aber ein Gi­aur war, so ist es mir sehr gleich­gül­tig, ob sie Stra­fe fin­den oder nicht. Du aber bist ein Christ und lässt die Mör­der ei­nes Chris­ten ent­kom­men!«

»Wer sagt dir, dass sie ent­kom­men wer­den?«

»Sie sind ja be­reits fort! Sie wer­den den Bir Saui­di er­rei­chen und von da nach De­bi­la und El Uëd ge­hen, um in der Areg12 zu ver­schwin­den.«

»Das wer­den sie nicht.«

»Was sonst? Sie sag­ten ja, dass sie nach Bir Saui­di ge­hen wer­den.«

»Sie lo­gen. Sie wer­den nach Sed­da­da ge­hen.«

»Wer sag­te es dir?«

»Mei­ne Au­gen.«

»Al­lah seg­ne dei­ne Au­gen, mit de­nen du die Stap­fen im San­de be­trach­test. So wie du kann nur ein Ungläu­bi­ger han­deln. Aber ich wer­de dich schon noch zum rech­ten Glau­ben be­keh­ren; dar­auf kannst du dich ver­las­sen, du magst nun wol­len oder nicht!«

»Dann nen­ne ich mich einen Pil­ger, ohne in Mek­ka ge­we­sen zu sein.«

»Sih­di – –! Du hast mir ja ver­spro­chen, das nicht zu sa­gen!«

»Ja, so­lan­ge du mich nicht be­keh­ren willst.«

»Du bist der Herr, und ich muss es mir ge­fal­len las­sen. Aber, was tun wir jetzt?«

»Wir sor­gen zu­nächst für un­se­re Si­cher­heit. Hier kön­nen wir leicht von ei­ner Ku­gel ge­trof­fen wer­den. Wir müs­sen uns über­zeu­gen, ob die­se bei­den Schur­ken auch wirk­lich fort sind.«

Ich er­stieg den Rand der Schlucht und sah al­ler­dings die zwei Rei­ter in be­reits sehr großer Ent­fer­nung von uns auf Süd­west zu­hal­ten. Ha­lef war mir ge­folgt.

»Dort rei­ten sie«, mein­te er. »Das ist die Rich­tung nach Bir Saui­di.«

»Wenn sie sich weit ge­nug ent­fernt ha­ben, wer­den sie sich nach Os­ten wen­den.«

»Sih­di, dein Ge­hirn dünkt mir schwach. Wenn sie dies tä­ten, müss­ten sie uns ja wie­der in die Hän­de kom­men!«

»Sie mei­nen, dass wir erst mor­gen auf­bre­chen, und glau­ben also, einen gu­ten Vor­sprung vor uns zu er­lan­gen.«

»Du rätst und wirst doch das Rich­ti­ge nicht tref­fen.«

»Meinst du? Sag­te ich dir nicht da oben, dass eins ih­rer Pfer­de den Hah­nen­tritt habe?«

»Ja, das sah ich, als sie da­von­rit­ten.«

»So wer­de ich auch jetzt recht ha­ben, wenn ich sage, dass sie nach Sed­da­da ge­hen.«

»Wa­rum fol­gen wir ih­nen nicht so­fort?«

»Wir kämen ih­nen sonst zu­vor, da wir den ge­ra­den Weg ha­ben, dann wür­den sie auf un­se­re Spur sto­ßen und sich hü­ten, mit uns wie­der zu­sam­men­zu­tref­fen.«

»Lass uns also wie­der zum Was­ser ge­hen und ru­hen, bis es Zeit zum Auf­bruch ist.«

Wir stie­gen wie­der hin­ab. Ich streck­te mich auf mei­ne am Bo­den aus­ge­brei­te­te De­cke aus, zog das Ende mei­nes Tur­bans als Lischam13 über das Ge­sicht und schloss die Au­gen, nicht um zu schla­fen, son­dern um über un­ser letz­tes Aben­teu­er nach­zu­den­ken. Aber wer ver­mag es, in der fürch­ter­li­chen Glut der Sa­ha­ra sei­ne Ge­dan­ken län­ge­re Zeit mit ei­ner an sich schon un­kla­ren Sa­che zu be­schäf­ti­gen? Ich schlum­mer­te wirk­lich ein und moch­te über zwei Stun­den ge­schla­fen ha­ben, als ich wie­der er­wach­te. Wir bra­chen auf.

Das Wadi Tar­faui mün­det in den Schott Rhar­sa; wir muss­ten es also nun ver­las­sen, wenn wir, nach Os­ten zu, Sed­da­da er­rei­chen woll­ten. Nach Ver­lauf von viel­leicht ei­ner Stun­de tra­fen wir auf die Spur zwei­er Pfer­de, wel­che von West nach Ost führ­te.

»Nun, Ha­lef, kennst du die­se Ethar, die­se Fähr­te?«

»Masch Al­lah, du hat­test recht, Sih­di! Sie ge­hen nach Sed­da­da.«

Ich stieg ab und un­ter­such­te die Ein­drücke.

»Sie sind erst vor ei­ner hal­b­en Stun­de hier vor­über­ge­kom­men. Lass uns lang­sa­mer rei­ten, sonst se­hen sie uns hin­ter sich.«

Die Aus­läu­fer des Dsche­bel Tar­faui senk­ten sich all­mäh­lich in die Ebe­ne her­nie­der, und als die Son­ne un­ter­ging und nach kur­z­er Zeit der Mond em­por­stieg, sa­hen wir Sed­da­da zu un­sern Fü­ßen lie­gen.

»Rei­ten wir hin­ab?«, frag­te Ha­lef.

»Nein. Wir schla­fen un­ter den Oli­ven dort am Ab­hang des Ber­ges.«

Wir bo­gen ein we­nig von un­se­rer Rich­tung ab und fan­den un­ter den Öl­bäu­men einen präch­ti­gen Platz zum Bi­wak. Wir wa­ren bei­de an das heu­len­de Bel­len des Scha­kals, an das Ge­kläf­fe des Fen­nek und an die tiefe­ren Töne der schlei­chen­den Hyä­ne ge­wöhnt und lie­ßen uns von die­sen nächt­li­chen Lau­ten nicht im Schla­fe stö­ren. Als wir er­wach­ten, war es mein Ers­tes, die gest­ri­ge Fähr­te wie­der auf­zu­su­chen. Ich war über­zeugt, dass sie mir hier in der Nähe ei­nes be­wohn­ten Or­tes nicht mehr von Nut­zen sein wer­de, fand aber zu mei­ner Über­ra­schung, dass sie nicht nach Sed­da­da führ­te, son­dern nach Sü­den bog.

»Wa­rum gin­gen sie nicht her­nie­der?«, frag­te Ha­lef.

»Um sich nicht se­hen zu las­sen. Ein ver­folg­ter Mör­der muss vor­sich­tig sein.«

»Aber wo­hin ge­hen sie denn?«

»Je­den­falls nach Kris, um über den Dsche­rid zu rei­ten. Dann ha­ben sie Al­ge­ri­en hin­ter sich und sind in leid­li­cher Si­cher­heit.«

»Wir sind doch be­reits jetzt in Tu­nis. Die Gren­ze geht vom Bir el Khal­la zum Bir el Tam über den Schott Rhar­sa.«

»Das kann sol­chen Leu­ten noch nicht ge­nü­gen. Ich wet­te, dass sie über Fez­zan nach Ku­fa­rah ge­hen, denn erst dort sind sie voll­stän­dig si­cher.«

»Sie sind auch hier be­reits si­cher, wenn sie ein Bud­je­rul­du14 des Sul­tans ha­ben.«

»Das wür­de ih­nen ei­nem Kon­sul oder Po­li­zei-Agen­ten ge­gen­über nicht viel nüt­zen.«

»Meinst du? Ich möch­te es kei­nem ra­ten, ge­gen das mäch­ti­ge ›Gi­öl­ge­da pa­dis­hanün‹15 zu sün­di­gen!«

»Du sprichst so, trotz­dem du ein frei­er Ara­ber sein willst?«

»Ja. Ich habe in Ägyp­ten ge­se­hen, was der Groß­herr ver­mag; aber in der Wüs­te fürch­te ich ihn nicht. Wer­den wir jetzt nach Sed­da­da ge­hen?«

»Ja, um Dat­teln zu kau­fen und ein­mal gu­tes Was­ser zu trin­ken. Dann aber set­zen wir den Weg fort.«

»Nach Kris?«

»Nach Kris.«

Be­reits eine Vier­tel­stun­de spä­ter hat­ten wir uns re­stau­riert und folg­ten dem Reit­we­ge, wel­cher von Sed­da­da nach Kris führt. Zu un­se­rer Lin­ken glänz­te die Flä­che des Schott Dsche­rid zu uns her­auf, ein An­blick, den ich voll­stän­dig aus­zu­kos­ten such­te.

Die Sa­ha­ra ist ein großes, noch im­mer nicht ge­lös­tes Rät­sel.

Schon seit Vir­let d’Aoust im Jah­re 1845 be­steht das Pro­jekt, einen Teil der Wüs­te in ein Meer und da­durch die an­lie­gen­den Ge­bie­te in ein frucht­ba­res Land zu ver­wan­deln und so auch die Be­woh­ner die­ser Stre­cken dem Fort­schrit­te der Zi­vi­li­sa­ti­on nä­her zu brin­gen. Ob aber die­ses Pro­jekt aus­führ­bar und dann auch von den be­ab­sich­tig­ten Er­fol­gen ge­krönt sein wird, dar­über lässt sich noch im­mer strei­ten.

Am Fuße des Süd­ab­han­ges des Dsche­bel Au­res und der öst­li­chen Fort­set­zung die­ser Berg­mas­se, also des Dra el Haua, Dsche­bel Tar­faui, Dsche­bel Si­tu­na und Dsche­bel Ha­di­fa, dehnt sich eine ein­heit­li­che, un­über­seh­ba­re, hier und da leicht ge­well­te Ebe­ne aus, de­ren tiefs­te Stel­len mit Salz­krus­ten und Salz­aus­wit­te­run­gen be­deckt sind, wel­che als Über­res­te eins­ti­ger großer Bin­nen­ge­wäs­ser im al­ge­ri­schen Tei­le den Na­men Schott und im tu­ne­si­schen Tei­le den Na­men Sob­ha oder Seb­cha füh­ren. Die Gren­ze die­ses ei­gen­tüm­li­chen und hoch­in­ter­essan­ten Ge­bie­tes bil­den im Wes­ten die Aus­läu­fer des Beni-Mzab-Pla­te­aus, im Os­ten die Landen­ge von Ga­bes und im Sü­den die Dü­nen­re­gi­on von Ssuf und Nif­zaua nebst dem lang ge­streck­ten Dsche­bel Te­ba­ga. Vi­el­leicht ist un­ter die­ser Ein­sen­kung der Golf von Tri­ton zu ver­ste­hen, von wel­chem uns He­ro­dot, der Va­ter der Ge­schichts­schrei­bung, be­rich­tet.

Au­ßer ei­ner großen An­zahl klei­ne­rer Sümp­fe, wel­che im Som­mer aus­ge­trock­net sind, be­steht die­ses Ge­biet aus drei grö­ße­ren Salz­seen, näm­lich, von West nach Ost ver­folgt, aus den Schotts Melr­ir, Rhar­sa und Dsche­rid, welch Letz­te­rer auch El Ke­bir ge­nannt zu wer­den pflegt. Die­se drei Be­cken be­zeich­nen eine Zone, de­ren west­li­che Hälf­te tiefer liegt, als das Mit­tel­meer bei Ga­bes zur Zeit der Ebbe.

Die Ein­sen­kung des Schott­ge­bie­tes ist heut­zu­ta­ge zum großen Tei­le mit Sand­mas­sen an­ge­füllt, und nur in der Mit­te der ein­zel­nen Bass­ins hat sich eine ziem­lich be­trächt­li­che Was­ser­mas­se er­hal­ten, wel­che durch ihr Aus­se­hen den ara­bi­schen Schrift­stel­lern und Rei­sen­den Ver­an­las­sung gab, sie bald mit ei­nem Kamp­fer­tep­pich oder ei­ner Kris­tall­de­cke, bald mit ei­ner Sil­ber­plat­te oder der Ober­flä­che ge­schmol­ze­nen Me­talls zu ver­glei­chen. Die­ses Aus­se­hen er­hal­ten die Schotts durch die Salz­krus­te, mit der sie be­deckt sind und de­ren Di­cke sehr ver­schie­den ist, so­dass sie zwi­schen zehn und höchs­tens zwan­zig Zen­ti­me­ter va­ri­iert. Nur an ein­zel­nen Stel­len ist es mög­lich, sich ohne die emi­nen­tes­te Le­bens­ge­fahr auf sie zu wa­gen. Wehe dem, der auch nur eine Hand­breit von dem schma­len Pfa­de ab­weicht! Die Krus­te gibt nach, und der Ab­grund ver­schlingt au­gen­blick­lich sein Op­fer. Un­mit­tel­bar über dem Kop­fe des Ver­sin­ken­den schließt sich als­bald die De­cke wie­der. Die schma­len Fur­ten, wel­che über die Salz­de­cke der Schotts füh­ren, wer­den be­son­ders in der Re­gen­zeit höchst ge­fähr­lich, in­dem der Re­gen die vom Flug­san­de über­deck­te Krus­te bloß­legt und aus­wäscht.

Das Was­ser die­ser Schotts ist grün und dick­flüs­sig und bei Wei­tem sal­zi­ger als das des Mee­res. Ein Ver­such, die Tie­fe des Ab­grun­des un­ter sich zu mes­sen, wür­de des Ter­rains hal­ber zu kei­nem Re­sul­tat füh­ren, doch darf wohl an­ge­nom­men wer­den, dass kei­ner der Salz­mo­räs­te tiefer als fünf­zig Me­ter ist. Die ei­gent­li­che Ge­fahr bei dem Ein­bre­chen durch die Salz­de­cke ist be­dingt durch die Mas­sen ei­nes flüs­si­gen, be­weg­li­chen San­des, wel­cher un­ter der fünf­zig bis acht­zig Zen­ti­me­ter tie­fen, hell­grü­nen Was­ser­schicht schwimmt und ein Pro­dukt der Jahr­tau­sen­de lan­gen Ar­beit des Sa­mums ist, der den Sand aus der Wüs­te in das Was­ser trieb.

Schon die äl­tes­ten ara­bi­schen Geo­gra­fen, wie Ebn Dscho­beir, Ebn Ba­tuta, Obei­dah el Be­kri, El Istakhri und Omar Ebn el War­di, stim­men in der Ge­fähr­lich­keit die­ser Schotts für die Rei­sen­den über­ein. Der Dsche­rid ver­schlang schon Tau­sen­de von Ka­me­len und Men­schen, wel­che in sei­ner Tie­fe spur­los ver­schwan­den. Im Jah­re 1826 muss­te eine Ka­ra­wa­ne, wel­che aus mehr als tau­send Last­ka­me­len be­stand, den Schott über­schrei­ten. Ein un­glück­li­cher Zu­fall brach­te das Leit­ka­mel, wel­ches an der Spit­ze des Zu­ges schritt, vom schma­len Wege ab. Es ver­schwand im Ab­grun­de des Schott, und ihm folg­ten alle an­de­ren Tie­re, wel­che ret­tungs­los in der zä­hen, sei­fi­gen Mas­se ver­schwan­den. Kaum war die Ka­ra­wa­ne ver­schwun­den, so nahm die Salz­de­cke wie­der ihre frü­he­re Ge­stalt an, und nicht die kleins­te Ver­än­de­rung, das min­des­te An­zei­chen ver­riet den gräss­li­chen Un­glücks­fall. Ein sol­ches Vor­komm­nis könn­te un­mög­lich er­schei­nen, aber um es zu glau­ben, muss man sich nur ver­ge­gen­wär­ti­gen, dass je­des Ka­mel ge­wohnt ist, dem vor­an­schrei­ten­den, mit dem es ja meist auch durch Stri­cke ver­bun­den ist, blind und un­be­dingt zu fol­gen, und dass der Pfad über die Schotts oft so schmal ist, dass es ei­nem Tie­re oder gar ei­ner Ka­ra­wa­ne ganz un­mög­lich wird, wie­der um­zu­keh­ren.

Der An­blick die­ser tücki­schen Flä­chen, un­ter de­nen der Tod lau­ert, er­in­nert an ein­zel­nen Stel­len an den bläu­lich schil­lern­den Spie­gel ge­schmol­ze­nen Blei­es. Die Krus­te ist zu­wei­len hart und durch­sich­tig wie Fla­schen­glas und klingt bei je­dem Schrit­te wie der Bo­den der Sol­fa­ta­ra in Nea­pel; meist aber bil­det sie eine wei­che, breii­ge Mas­se, wel­che voll­stän­dig si­cher zu sein scheint, aber doch nur so viel Fes­tig­keit be­sitzt, um einen leich­ten An­flug von Sand zu tra­gen, bei je­der an­de­ren Last aber un­ter der­sel­ben zu wei­chen, um sich über ihr wie­der zu schlie­ßen.

Den Füh­rern die­nen klei­ne, aus­ein­an­der­lie­gen­de Stei­ne als Weg­zei­chen. Frü­her gab es auf dem Schott El Ke­bir auch ein­ge­steck­te Pal­menäs­te. Der Ast der Dat­tel­bäu­me heißt Dsche­rid, und die­sem Um­stan­de hat der Schott sei­nen zwei­ten Na­men zu ver­dan­ken. Die­se Stein­häuf­chen hei­ßen »Gmaïr«, und auch sie feh­len an sol­chen Punk­ten, wo auf meh­re­re Me­ter Län­ge der Bo­den von ei­ner den Pfer­den bis an die Brust rei­chen­den Was­ser­flä­che be­deckt wird.

Die Krus­te der Schotts bil­det üb­ri­gens nicht etwa eine ein­heit­li­che, fla­che Ebe­ne, son­dern sie zeigt im Ge­gen­teil Wel­len, wel­che selbst drei­ßig Me­ter Höhe er­rei­chen. Die Käm­me die­ser Bo­den­wel­len bil­den eben die Fur­ten, wel­che von den Ka­ra­wa­nen be­nützt wer­den, und zwi­schen ih­nen, in den tiefer lie­gen­den Stel­len, lau­ert das Ver­der­ben. Doch ge­rät schon bei ei­nem mä­ßi­gen Win­de die Salz­de­cke in eine schwin­gen­de Be­we­gung und lässt das Was­ser aus ein­zel­nen Öff­nun­gen und Lö­chern mit der Macht ei­ner Quel­le her­vor­bre­chen.

Also die­se freund­lich glit­zern­de, aber trü­ge­ri­sche Flä­che lag zu un­se­rer Lin­ken, als wir den Weg nach Kris ver­folg­ten, von wo aus eine Furt über den Schott nach Fet­nas­sa auf der ge­gen­über­lie­gen­den Halb­in­sel des Nif­zaua führt. Ha­lef streck­te die Hand aus und deu­te­te hin­ab.

»Siehst du den Schott, Sih­di?«

»Ja.«

»Bist du schon ein­mal über einen Schott ge­rit­ten?«

»Nein.«

»So dan­ke Al­lah, denn viel­leicht wä­rest du sonst be­reits zu dei­nen Vä­tern ver­sam­melt! Und wir wol­len wirk­lich hin­über?«

»Al­ler­dings.«

»Bis­mil­lah, in Got­tes Na­men! Mein Freund Sa­dek wird wohl noch am Le­ben sein.«

»Wer ist das?«

»Mein Bru­der Sa­dek ist der be­rühm­tes­te Füh­rer über den Schott Dsche­rid; er hat noch nie­mals einen falschen Schritt ge­tan. Er ge­hört zum Stam­me der Mer­asig und ward ge­bo­ren von sei­ner Mut­ter in Muï Ha­med, lebt aber mit sei­nem Soh­ne, der ein wa­cke­rer Krie­ger ist, in Kris. Er kennt den Schott wie kein Zwei­ter und er ist es ganz al­lein, dem ich dich an­ver­trau­en möch­te, Sih­di. Rei­ten wir di­rekt nach Kris?«

»Wie weit ha­ben wir noch bis hin?«

»Ein Klei­nes über eine Stun­de.«

»So bie­gen wir jetzt ab ge­gen West. Wir müs­sen se­hen, ob wir eine Spur der Mör­der fin­den.«

»Du meinst wirk­lich, dass sie auch nach Kris ge­gan­gen sind?«

»Auch sie ha­ben je­den­falls im Frei­en ihr La­ger ge­hal­ten und wer­den be­reits vor uns sein, um über den Schott zu ge­hen.«

Wir ver­lie­ßen den bis­he­ri­gen Weg und hiel­ten grad nach West. In der Nähe des Pfa­des fan­den wir vie­le Spu­ren, wel­che wir zu durch­schnei­den hat­ten; dann aber wur­den sie we­ni­ger zahl­reich und hör­ten end­lich ganz auf. Da schließ­lich, wo der Reit­pfad nach El Ham­ma führt, er­blick­te ich die Fähr­te zwei­er Pfer­de im San­de, und nach­dem ich sie ge­hö­rig ge­prüft hat­te, ge­lang­te ich zu der Über­zeu­gung, dass es die ge­such­te sei. Wir folg­ten ihr bis in die Nähe von Kris, wo sie sich im brei­ten Wege ver­lor. Ich hat­te also die Ge­wiss­heit, dass sich die Mör­der hier be­fan­den.

Ha­lef war nach­denk­lich ge­wor­den.

»Sih­di, soll ich dir et­was sa­gen?«, mein­te er.

»Sage es!«

»Es ist doch gut, wenn man im San­de le­sen kann.«

»Es freut mich, dass du zur Er­kennt­nis kommst. Doch da ist Kris. Wo ist die Woh­nung dei­nes Freun­des Sa­dek?«

»Fol­ge mir!«

Er ritt um den Ort, der aus ei­ni­gen un­ter Pal­men lie­gen­den Zel­ten und Hüt­ten be­stand, her­um bis zu ei­ner Grup­pe von Man­del­bäu­men, in de­ren Schut­ze eine brei­te, nie­de­re Hüt­te lag, aus der bei un­se­rem An­blick ein Ara­ber trat und mei­nem klei­nen Ha­lef freu­dig ent­ge­ge­neil­te.

»Sa­dek, mein Bru­der, du Lieb­ling des Ka­li­fen!«

»Ha­lef, mein Freund, du Ge­seg­ne­ter des Pro­phe­ten!«

Sie la­gen ein­an­der in den Ar­men und herz­ten sich wie ein Lie­bes­paar.

Dann aber wand­te sich der Ara­ber zu mir:

»Ver­zei­he, dass ich dich ver­gaß! Tre­tet ein in mein Haus; es ist das eu­ri­ge!«

Wir folg­ten sei­nem Wun­sche. Er war al­lein und prä­sen­tier­te uns al­ler­hand Er­fri­schun­gen, de­nen wir flei­ßig zu­spra­chen. Jetzt glaub­te Ha­lef die Zeit ge­kom­men, mich sei­nem Freun­de vor­zu­stel­len.

»Das ist Kara Ben Nem­si, ein großer Ta­leb aus dem Abend­lan­de, der mit den Vö­geln re­det und im San­de le­sen kann. Wir ha­ben schon vie­le große Ta­ten voll­bracht; ich bin sein Freund und Die­ner und soll ihn zum wah­ren Glau­ben be­keh­ren.«

Der bra­ve Mensch hat­te mich ein­mal nach mei­nem Na­men ge­fragt und wirk­lich das Wort Karl im Ge­dächt­nis be­hal­ten. Da er es aber nicht aus­zu­spre­chen ver­moch­te, so mach­te er rasch ent­schlos­sen ein Kara dar­aus und setz­te Ben Nem­si, Nach­kom­me der Deut­schen, hin­zu. Wo ich mit den Vö­geln ge­re­det hat­te, konn­te ich mich lei­der nicht ent­sin­nen; je­den­falls soll­te mich die­se Be­haup­tung eben­bür­tig an die Sei­te des wei­sen Sa­lo­mo stel­len, der ja auch die Gabe ge­habt ha­ben soll, mit den Tie­ren zu spre­chen. Auch von den großen Ta­ten, die wir voll­bracht ha­ben soll­ten, wuss­te ich wei­ter nichts, als dass ich ein­mal im Ge­strüpp hän­gen ge­blie­ben und da­bei ge­mäch­lich von mei­nem klei­nen Ber­ber­gau­le ge­rutscht war, der die­se Ge­le­gen­heit dann be­nutz­te, ein­mal mit mir Ha­schens zu spie­len. Der Glanz­punkt der Ha­le­f’­schen Di­plo­ma­tik war nun al­ler­dings die Be­haup­tung, dass ich mich von ihm be­keh­ren las­sen wol­le. Er ver­dien­te da­für eine Zu­recht­wei­sung; da­her frag­te ich Sa­dek:

»Kennst du den gan­zen Na­men dei­nes Freun­des Ha­lef?«

»Ja.«

»Wie lau­tet er?«

»Er lau­tet Had­schi Ha­lef Omar.«

»Das ist nicht ge­nug. Er lau­tet Had­schi Ha­lef Omar Ben Had­schi Abul Ab­bas Ibn Had­schi Da­wud al Gossa­rah. Du hörst also, dass er zu ei­ner from­men, ver­dienst­vol­len Fa­mi­lie ge­hört, de­ren Glie­der alle Had­schi wa­ren, ob­gleich – – –«

»Sih­di«, un­ter­brach mich Ha­lef mit ei­ner ganz un­be­schreib­li­chen Pan­to­mi­me des Schre­ckens, »sprich nicht von den Ver­diens­ten dei­nes Die­ners! Du weißt, dass ich dir stets gern ge­hor­chen wer­de.«

»Ich hof­fe es, Ha­lef. Du sollst nicht von dir und mir spre­chen; fra­ge lie­ber dei­nen Freund Sa­dek, wo sich sein Sohn be­fin­det, von dem du mir ge­sagt hast!«

»Hat er wirk­lich von ihm ge­spro­chen, Ef­fen­di?«, frag­te der Ara­ber. »Al­lah seg­ne dich, Ha­lef, dass du de­rer ge­denkst, die dich lie­ben! Omar Ibn Sa­dek, mein Sohn, ist über den Schott nach Sef­ti­mi ge­gan­gen und wird noch heu­te wie­der­keh­ren.«

»Auch wir wol­len über den Schott, und du sollst uns füh­ren«, mein­te Ha­lef.

»Ihr? Wann?«

»Noch heu­te.«

»Wo­hin, Sih­di?«

»Nach Fet­nas­sa. Wie ist der Weg hin­über?«

»Ge­fähr­lich, sehr ge­fähr­lich. Es gibt nur zwei wirk­lich si­che­re Wege hin­über an das jen­sei­ti­ge Ufer, näm­lich El To­se­ri­ja zwi­schen To­ser und Fet­nas­sa und Es Sui­da zwi­schen Nefta und Sar­sin. Der Weg von hier nach Fet­nas­sa aber ist der al­ler­schlimms­te, und nur zwei gibt es, die ihn ge­nau ken­nen; das bin ich und Ar­fan Ra­ke­dihm hier in Kris.«

»Kennt dein Sohn den Weg nicht auch?«

»Ja, aber al­lein ist er ihn noch nicht ge­gan­gen. De­sto bes­ser aber kennt er die Stre­cke nach Sef­ti­mi.«

»Die­se fällt wohl ei­ni­ge Zeit lang zu­sam­men mit der nach Fet­nas­sa.«

»Über zwei Drit­tei­le, Sih­di.«

»Wenn wir am Mit­tag auf­bre­chen, bis wann sind wir in Fet­nas­sa?«

»Vor An­bruch des Mor­gens, wenn dei­ne Tie­re gut sind.«

»Du gehst auch wäh­rend der Nacht über den Schott?«

»Wenn der Mond leuch­tet, ja. Ist es aber dun­kel, so über­nach­tet man auf dem Schott, und zwar da, wo das Salz so dick ist, dass es das La­ger tra­gen kann.«

»Willst du uns füh­ren?«

»Ja, Ef­fen­di.«

»So lass uns zu­nächst den Schott be­se­hen!«