Durchs wilde Kurdistan - Karl May - E-Book

Durchs wilde Kurdistan E-Book

Karl May

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Beschreibung

Überarbeitete Ausgabe in Neuer Deutscher Rechtschreibung Inmitten der verpönten "Teufelsanbeter" werden Kara Ben Nemsi und seine Gefährten überraschend herzlich empfangen. Sie helfen bei der Befreiung von Amad el Ghandur, dem Sohn ihres Gastfreunds Scheik Mohammed Emin aus dem ersten Teil, der in einer Festung in Amadijah gefangen gehalten wird. Hier trifft Kara Ben Nemsi auch auf Marah Durimeh - und auf einen rätselhaften Höhlengeist. Null Papier Verlag

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Karl May

Durchs wilde Kurdistan

Reiseerzählungen

Karl May

Durchs wilde Kurdistan

Reiseerzählungen

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024 EV: Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 1881 1. Auflage, ISBN 978-3-954187-16-4

null-papier.de/352

Inhaltsverzeichnis

Karl May und die Ori­gi­na­le

Zum Buch

Der Op­fer­tod des hei­li­gen

Do­jan

In der Fes­tung

Aus der Fes­tung

Un­ter Blut­rä­chern

Bä­ren- und Men­schen­jagd

Der Geist der Höh­le

Ein Nach­wort

Karl May bei Null Pa­pier

Durch die Wüs­te

Durchs wil­de Kur­dis­tan

Von Bag­dad nach Stam­bul

In den Schluch­ten des Bal­kan

Durch das Land der Ski­pe­ta­ren

Der Schut

Karl May und die Ori­gi­na­le

Will­kom­men in der Welt von Karl May: Ein klas­si­sches Erbe neu prä­sen­tiert

Lie­be Le­se­rin, lie­ber Le­ser

In der Welt der li­te­ra­ri­schen Klas­si­ker gibt es we­ni­ge Na­men, die so sehr mit Aben­teu­er und fer­nen Län­dern ver­bun­den sind wie Karl May. Mit sei­nen fes­seln­den Er­zäh­lun­gen aus dem Wil­den Wes­ten und dem Ori­ent hat Karl May nicht nur Ge­ne­ra­tio­nen von Le­sern be­geis­tert, son­dern auch eine li­te­ra­ri­sche Land­schaft ge­schaf­fen, die bis heu­te nach­hallt. Sei­ne Fi­gu­ren, ins­be­son­de­re Win­ne­tou und Old Shat­ter­hand, sind mehr als nur Cha­rak­tere auf dem Pa­pier – sie sind Sym­bo­le für Mut, Freund­schaft und die Su­che nach Ge­rech­tig­keit.

Als Ein­zel­ver­le­ger habe ich es mir zur Auf­ga­be ge­macht, Karl Mays Wer­ke in ih­rer reins­ten und au­then­tischs­ten Form zu prä­sen­tie­ren. Ich ar­bei­te mit den Erst­ver­öf­fent­li­chun­gen sei­ner Wer­ke, um si­cher­zu­stel­len, dass der ur­sprüng­li­che Cha­rak­ter und Stil von Mays Schrif­ten so treu wie mög­lich er­hal­ten bleibt. Mein Ziel ist es, die­se klas­si­schen Tex­te so zu über­ar­bei­ten, dass sie die Qua­li­tät und den Geist der Ori­gi­nal­aus­ga­ben wi­der­spie­geln, wäh­rend sie gleich­zei­tig den heu­ti­gen Le­se­ge­wohn­hei­ten an­ge­passt sind.

Will­kom­men zu­rück zu den Wur­zeln von Karl Mays li­te­ra­ri­schem Erbe, prä­sen­tiert mit ei­nem tie­fen Re­spekt für sei­ne Ar­beit und ei­nem Auge für die Be­dürf­nis­se des heu­ti­gen Le­sers.

Treue zu den Erst­ver­öf­fent­li­chun­gen

Bei der Über­ar­bei­tung der Tex­te lege ich größ­ten Wert dar­auf, Karl Mays ori­gi­na­le Er­zähl­stim­me zu be­wah­ren. Ich ver­mei­de es, in­halt­li­che Än­de­run­gen vor­zu­neh­men oder mo­der­ne In­ter­pre­ta­tio­nen ein­zu­fü­gen, die vom ur­sprüng­li­chen Geist der Ge­schich­ten ab­wei­chen könn­ten. Statt­des­sen kon­zen­trie­re ich mich dar­auf, sprach­li­che Glät­tun­gen durch­zu­füh­ren, wo es not­wen­dig ist, um die Les­bar­keit zu ver­bes­sern und gleich­zei­tig die Authen­ti­zi­tät zu wah­ren.

Bar­rie­re­frei­heit und Zu­gäng­lich­keit

Es ist mir wich­tig, dass Karl Mays Wer­ke von al­len ge­nos­sen wer­den kön­nen. Da­her ge­stal­te ich die E-Books so, dass sie mit ver­schie­de­nen Tech­no­lo­gi­en zur Un­ter­stüt­zung des Le­sens kom­pa­ti­bel sind, um si­cher­zu­stel­len, dass auch Men­schen mit Seh­be­hin­de­run­gen oder an­de­ren Ein­schrän­kun­gen Zu­gang ha­ben.

Beglei­ten Sie mich auf die­ser Rei­se zu­rück zu den Wur­zeln

Ich lade Sie ein, Karl Mays Welt durch die­se neu­en Edi­tio­nen wie­der­zuent­de­cken, die so­wohl die Tie­fe als auch das Aben­teu­er sei­ner Ge­schich­ten mit ei­ner Fri­sche und Klar­heit prä­sen­tie­ren, die Sie viel­leicht noch nicht er­lebt ha­ben. Tau­chen Sie ein in die klas­si­schen Er­zäh­lun­gen, die Karl May zu ei­nem der meist­ge­le­se­nen Au­to­ren sei­ner Zeit mach­ten.

May und sei­ne Zeit

May war und ist ei­ner der er­folg­reichs­ten Schrift­stel­ler deut­scher Spra­che. Ge­ne­ra­tio­nen von Le­ser ha­ben ihn für sich ent­deckt, egal, wie stark und aus wel­chen Grün­den er im­mer wie­der von Tu­gend­wäch­tern oder be­sorg­ten El­tern in die li­te­ra­ri­sche Schmud­de­le­cke ge­drängt wur­de.

Es gibt wohl kei­nen Deut­schen, der sei­ne Fi­gu­ren nicht kennt: Win­ne­tou oder Had­schi Ha­lef Omar, Old Shat­ter­hand oder Kara Ben Nem­si. Vie­le wer­den so­gar die Na­men der Pfer­de oder der Waf­fen der Pro­tago­nis­ten ken­nen. Nicht zu­letzt die far­ben­präch­ti­gen Fil­me der 1960er Jah­re ha­ben Mays Fi­gu­ren auch eine ki­ne­ma­to­gra­fi­sche Un­ters­terb­lich­keit ver­passt – soll­te das je­mals not­wen­dig ge­we­sen sein. Und wo sonst hät­te ein Fran­zo­se einen ame­ri­ka­ni­schen Urein­woh­ner, ein Ame­ri­ka­ner einen deut­schen Aben­teu­rer und ein Ber­li­ner einen Ori­en­ta­len spie­len kön­nen?

Zu ei­ner Zeit, als es noch kei­nen or­ga­ni­sier­ten Mas­sen­tou­ris­mus und kein In­ter­net gab, brach­te May dem Le­ser die wei­te Welt bis vor die Haus­tür oder un­ter die ver­ber­gen­de Bett­de­cke. Sei­ne Tex­te präg­ten, ob ge­recht­fer­tigt oder nicht, die Vor­stel­lung des Wil­den Wes­tens und des Ori­ents für Ge­ne­ra­tio­nen.

Am bes­ten, Sie, lie­ber Le­ser, lie­be Le­se­rin, füh­len sich ein­fach nur gut un­ter­hal­ten.

In die­sem Sin­ne Ihr Jür­gen Schul­ze, Neuss

Karl May

Zum Buch

In­mit­ten der ver­pön­ten »Teu­fel­s­an­be­ter« wer­den Kara Ben Nem­si und sei­ne Ge­fähr­ten über­ra­schend herz­lich emp­fan­gen. Sie hel­fen bei der Be­frei­ung von Amad el Ghan­dur, dem Sohn ih­res Gast­freunds Scheik Mo­ham­med Emin aus dem ers­ten Teil, der in ei­ner Fes­tung in Ama­di­jah ge­fan­gen ge­hal­ten wird. Hier trifft Kara Ben Nem­si auch auf Ma­rah Du­ri­meh - und auf einen rät­sel­haf­ten Höh­len­geist.

Der Op­fer­tod des hei­li­gen

Als wir auf der Höhe vor dem Dorf an­ka­men und das Tal des Hei­li­gen über­bli­cken konn­ten, be­merk­ten wir ganz in der Nähe des Hau­ses, wel­ches dem Bey ge­hör­te, einen un­ge­heu­ren Hau­fen von Reis­holz, wel­cher von ei­ner An­zahl von Dsche­si­di im­mer noch ver­grö­ßert wur­de. Pir Ka­mek stand da­bei und warf von Zeit zu Zeit ein Stück Erd­harz hin­ein.

»Das ist sein Kur­ban-ka­la­ba­lik«,1 mein­te Ali Bey.

»Was wird er op­fern?«

»Ich weiß es nicht.«

»Vi­el­leicht ein Tier?«

»Nur bei den Put­pe­rest­lern2 wer­den Tie­re ver­brannt.«

»Dann viel­leicht Früch­te?«

»Die Dsche­si­di ver­bren­nen we­der Tie­re noch Früch­te. Der Pir hat mir nicht ge­sagt, was er ver­bren­nen wird, aber er ist ein großer Hei­li­ger, und was er tut, wird kei­ne Sün­de sein.«

Noch im­mer er­tön­ten von der ge­gen­über­lie­gen­den Höhe die Sal­ven der an­kom­men­den Pil­ger, und noch im­mer wur­de den­sel­ben im Tal geant­wor­tet; und doch be­merk­te ich, als wir un­ten an­ka­men, dass die­ses Tal kaum noch mehr Men­schen fas­sen konn­te. Wir über­ga­ben un­se­re Tie­re und gin­gen zum Grab­mal. An dem Weg, der zu dem­sel­ben führ­te, lag ein Spring­brun­nen, der von Plat­ten ein­ge­fasst war. Auf ei­ner da­von saß Mir Scheik Khan und sprach mit ei­ner An­zahl von Pil­gern, die in ehr­er­bie­ti­ger Hal­tung und Ent­fer­nung vor ihm stan­den.

»Die­ser Brun­nen ist hei­lig, und nur der Mir, ich und die Pries­ter dür­fen auf die­sen Stei­nen sit­zen. Zür­ne also nicht, wenn Du ste­hen musst!« sag­te Ali zu mir.

»Eure Ge­bräu­che wer­de ich ach­ten.«

Als wir uns nä­her­ten, gab der Khan den Um­ste­hen­den ein Zei­chen, auf wel­ches sie Platz mach­ten, so­dass wir zu ihm kom­men konn­ten. Er er­hob sich, kam uns ei­ni­ge Schrit­te ent­ge­gen und reich­te uns die Hän­de.

»Will­kom­men bei Eu­rer Rück­kehr! Nehmt Platz zu mei­ner Rech­ten und Lin­ken!«

Er deu­te­te dem Bey zur Lin­ken, so­dass mir die rech­te Sei­te üb­rig blieb. Ich setz­te mich auf die ge­hei­lig­ten Stei­ne, ohne dass ich bei ei­nem der An­we­sen­den den ge­rings­ten Ver­druss dar­über be­merk­te. Wie sehr stach ein sol­ches Ver­hal­ten ge­gen das­je­ni­ge ab, wel­ches man bei den Mus­li­men zu be­ob­ach­ten hat.

»Hast Du mit dem Häupt­ling ge­spro­chen?« frag­te der Khan.

»Ja. Es ist al­les in der bes­ten Ord­nung. Hast Du den Pil­gern be­reits eine Mit­tei­lung ge­macht?«

»Nein.«

»So wird es Zeit sein, dass die Leu­te sich ver­sam­meln. Gib den Be­fehl dazu!«

»Ich bin der Re­gent des Glau­bens, und al­les an­de­re ist Dei­ne Sa­che. Ich wer­de Dir den Ruhm, die Gläu­bi­gen be­schützt und die Fein­de be­siegt zu ha­ben, nie­mals ver­kür­zen.«

Auch dies war eine Be­schei­den­heit, wel­che bei den mus­li­mi­schen Imams nie­mals zu fin­den ist. Ali Bey er­hob sich und schritt da­von. Wäh­rend ich mich mit dem Khan un­ter­hielt, be­merk­te ich eine Be­we­gung un­ter den Pil­gern, die mit je­der Mi­nu­te grö­ßer wur­de. Die Frau­en blie­ben an ih­ren Plät­zen ste­hen, die Kin­der eben­so; die Män­ner aber stell­ten sich am Bach ent­lang auf, und die An­füh­rer der ein­zel­nen Stäm­me, Zwei­ge und Ort­schaf­ten bil­de­ten einen Kreis um Ali Bey, der ih­nen die Ab­sich­ten des Mu­tessa­rif von Mos­sul be­kannt mach­te. Da­bei herrsch­te eine Ruhe, eine Ord­nung, wie bei der Pa­ra­de ei­ner eu­ro­päi­schen Trup­pe, ganz ver­schie­den von dem lär­men­den Durchein­an­der, wel­ches man sonst bei ori­en­ta­li­schen Krie­gern zu se­hen und zu hö­ren ge­wohnt ist. Nach ei­ni­ger Zeit, in der die An­füh­rer den Ih­ri­gen die Mit­tei­lung und die Be­feh­le des Bey über­bracht hat­ten, ging die Ver­samm­lung ohne Un­ord­nung wie­der aus­ein­an­der, und je­der be­gab sich an den Platz, den er zu­vor ein­ge­nom­men hat­te.

Ali Bey kam zu uns zu­rück.

»Was hast Du be­foh­len?« frag­te der Khan.

Der Ge­frag­te streck­te den Arm aus und deu­te­te auf einen Trupp von viel­leicht zwan­zig Män­nern, die den Pfad em­por­stie­gen, auf dem wir vor­hin her­ab­ge­kom­men wa­ren.

»Sie­he, das sind Krie­ger aus Aïram, Had­schi Dsho und Schu­ra Khan, die die­se Ge­gend sehr gut ken­nen. Sie ge­hen den Tür­ken ent­ge­gen und wer­den uns von de­ren Kom­men recht­zei­tig be­nach­rich­ti­gen. Auch ge­gen Baa­dri hin habe ich Wa­chen ste­hen, so­dass es ganz un­mög­lich ist, uns zu über­ra­schen. Bis es Nacht wird, ist noch drei Stun­den Zeit, und das ge­nügt, um al­les Über­flüs­si­ge nach dem Tal Idiz zu brin­gen. Die Män­ner wer­den auf­bre­chen, und Se­lek wird ih­nen den Weg zei­gen.«

»Wer­den sie beim Be­ginn der hei­li­gen Hand­lun­gen zu­rück­ge­kehrt sein?«

»Ja; das ist si­cher.«

»So mö­gen sie ge­hen!«

Nach ei­ni­ger Zeit schritt ein sehr, sehr lan­ger Zug von Män­nern, die Tie­re mit sich führ­ten oder ver­schie­de­ne Hab­se­lig­kei­ten tru­gen, an uns vor­über, wo sie, im­mer ei­ner hin­ter dem an­de­ren, hin­ter dem Grab­mal ver­schwan­den. Dann ka­men sie über dem­sel­ben auf ei­nem Fel­sen­pfad wie­der zum Vor­schein, und man konn­te von un­se­rem Sitz aus ih­ren Weg ver­fol­gen, bis der­sel­be oben in den ho­hen, dich­ten Wald ver­lief.

Jetzt muss­te ich mit Ali Bey ge­hen, um das Mahl ein­zu­neh­men. Nach dem­sel­ben trat der Ba­schi-Bo­zuk zu mir.

»Herr, ich muss Dir et­was sa­gen!«

»Was?«

»Uns droht eine große Ge­fahr!«

»Ah! Wel­che?«

»Ich weiß es nicht; aber die­se Teu­fels­män­ner ha­ben mich seit ei­ner hal­b­en Stun­de mit Au­gen an­ge­se­hen, die ganz fürch­ter­lich sind. Es sieht ge­ra­de so aus, als ob sie mich tö­ten wol­len!«

Da der Bu­luk Emi­ni sei­ne Uni­form trug, so konn­te ich mir das Ver­hal­ten der von den Tür­ken be­droh­ten Dsche­si­di sehr leicht er­klä­ren; doch war ich voll­stän­dig über­zeugt, dass ihm nichts ge­sche­hen wer­de.

»Das ist schlimm!« mein­te ich. »Wenn sie Dich tö­ten, wer wird dann den Schwanz Dei­nes Esels be­die­nen?«

»Herr, sie wer­den den Esel auch mit er­ste­chen! Hast Du nicht ge­se­hen, dass sie die meis­ten Büf­fel und Scha­fe, die vor­han­den sind, be­reits ge­tö­tet ha­ben?«

»Dein Esel ist si­cher, und Du bist es auch. Ihr ge­hört zu­sam­men, und man wird Euch nicht aus­ein­an­der­rei­ßen.«

»Ver­sprichst Du mir dies?«

»Ich ver­spre­che es Dir!«

»Aber ich hat­te Angst, als du vor­hin ab­we­send warst. Gehst du wie­der fort von hier?«

»Ich wer­de blei­ben; aber ich be­feh­le dir, stets hier im Hau­se zu sein und dich nicht un­ter die Dsche­si­di zu mi­schen, sonst ist es mir un­mög­lich, dich zu be­schüt­zen!«

Er ging, halb und halb ge­trös­tet, von dan­nen, der Held, den der Mu­tessa­rif mir zu mei­nem Schut­ze mit­ge­ge­ben hat­te. Aber es kam auch noch von ei­ner an­de­ren Sei­te eine War­nung: Ha­lef such­te mich auf.

»Sih­di, weißt du, dass es Krieg ge­ben wird?«

»Krieg? Zwi­schen wem?«

»Zwi­schen den Os­m­an­ly und den Teu­fels­leu­ten.«

»Wer sag­te es?«

»Nie­mand.«

»Nie­mand? Du hast doch wohl ge­hört, was wir heu­te früh in Baa­dri be­reits da­von ge­spro­chen ha­ben?«

»Nichts habe ich ge­hört, denn ihr spracht Tür­kisch, und die­se Leu­te spre­chen die­se Spra­che so aus, dass ich sie nicht ver­ste­hen kann. Aber ich sah, dass es eine große Ver­samm­lung gab und dass nach der­sel­ben alle Män­ner die Waf­fen un­ter­such­ten. Nach­her ha­ben sie ihre Tie­re und Gü­ter fort­ge­schafft, und als ich zu Scheik Mo­ham­med hin­auf auf die Platt­form kam, war er be­schäf­tigt, die alte La­dung aus sei­nen Pis­to­len zu neh­men, um sie ge­gen eine neue zu ver­tau­schen. Sind dies nicht ge­nug Zei­chen, dass man eine Ge­fahr er­war­tet?«

»Du hast recht, Ha­lef. Mor­gen früh beim An­bruch des Ta­ges wer­den die Tür­ken von Baa­dri und auch von Ka­lo­ni her über die Dsche­si­di her­fal­len.«

»Und das wis­sen die Dsche­si­di?«

»Ja.«

»Wie hoch zäh­len die Tür­ken?«

»Fünf­zehn­hun­dert Mann.«

»Es wer­den vie­le von ih­nen fal­len, da ihr Plan ver­ra­ten ist. Wem wirst du hel­fen, Sih­di, den Tür­ken oder den Dsche­si­di?«

»Ich wer­de gar nicht kämp­fen.«

»Nicht?«, er­wi­der­te er ge­täuscht. »Darf ich nicht?«

»Wem willst du hel­fen?«

»Den Dsche­si­di.«

»Ih­nen, Ha­lef? Ih­nen, von de­nen du glaub­test, dass sie dich um das Pa­ra­dies brin­gen wür­den?«

»O Sih­di, ich kann­te sie nicht; jetzt aber lie­be ich sie.«

»Aber es sind Ungläu­bi­ge!«

»Hast du selbst nicht stets je­nen ge­hol­fen, wel­che gut wa­ren, ohne sie zu fra­gen, ob sie an Al­lah oder an einen an­de­ren Gott glau­ben?«

Mein wa­cke­rer Ha­lef hat­te mich zum Mos­lem ma­chen wol­len, und jetzt sah ich zu mei­ner großen Freu­de, dass er sein Herz für ein ganz und gar christ­li­ches Ge­fühl ge­öff­net hat­te. Ich ant­wor­te­te ihm:

»Du wirst bei mir blei­ben!«

»Wäh­rend die an­de­ren kämp­fen und tap­fer sind?«

»Es wird sich für uns viel­leicht Ge­le­gen­heit fin­den, noch tap­fe­rer und mu­ti­ger zu sein, als sie.«

»So blei­be ich bei dir. Der Bu­luk Emi­ni auch?«

»Auch er.«

Ich stieg hin­auf auf die Platt­form zu Scheik Mo­ham­med Emin.

»Ham­dul­lil­lah, Preis sei Gott, dass du kommst!«, sag­te er. »Ich habe mich nach dir ge­sehnt wie das Gras nach dem Tau der Nacht.«

»Du bist stets hier oben ge­blie­ben?«

»Stets. Es soll mich nie­mand er­ken­nen, weil ich sonst viel­leicht ver­ra­ten wer­den möch­te. Was hast du Neu­es er­fah­ren?«

Ich teil­te ihm al­les mit. Als ich ge­en­det hat­te, deu­te­te er auf sei­ne Waf­fen, wel­che vor ihm la­gen.

»Wir wer­den sie emp­fan­gen!«

»Du wirst die­ser Waf­fen nicht be­dür­fen.«

»Nicht? Soll ich mich und un­se­re Freun­de nicht ver­tei­di­gen?«

»Sie sind stark ge­nug. Willst du viel­leicht in die Hän­de der Tür­ken, de­nen du kaum ent­gan­gen bist, fal­len, oder soll dich eine Ku­gel, ein Mes­ser­stich tref­fen, da­mit dein Sohn noch län­ger in der Ge­fan­gen­schaft von Ama­di­jah schmach­tet?«

»Emir, du sprichst wie ein klu­ger, aber nicht wie ein tap­fe­rer Mann!«

»Scheik, du weißt, dass ich mich vor kei­nem Fein­de fürch­te; es ist nicht die Angst, wel­che aus mir spricht. Ali Bey hat von uns ver­langt, dass wir uns vor dem Kampf hü­ten sol­len. Er hegt üb­ri­gens die Über­zeu­gung, dass es gar nicht zum Kampf kom­men wer­de, und ich bin ganz der­sel­ben Mei­nung wie er.«

»Du denkst, die Tür­ken er­ge­ben sich ohne Wi­der­stand?«

»Wenn sie es nicht tun, so wer­den sie zu­sam­men­ge­schos­sen.«

»Die Of­fi­zie­re der Tür­ken tau­gen nichts, aber die Sol­da­ten sind tap­fer. Sie wer­den die Hö­hen stür­men und sich be­frei­en.«

»Fünf­zehn­hun­dert ge­gen viel­leicht sechs­tau­send Mann?«

»Wenn es ge­lingt, sie zu um­zin­geln!«

»Es wird ge­lin­gen.«

»So müs­sen wir also mit den Frau­en nach dem Tale Idiz ge­hen?«

»Du, ja.«

»Und du?«

»Ich wer­de hier zu­rück­blei­ben.«

»Al­lah ke­rihm! Wozu? Das wür­de dein Tod sein!«

»Das glau­be ich nicht. Ich bin im Gi­öl­ge­da pa­disch­ahnün, be­sit­ze die Emp­feh­lun­gen des Mu­tessa­rif und habe einen Bu­luk Emi­ni bei mir, des­sen An­we­sen­heit schon ge­nü­gend wäre, mich zu schüt­zen.«

»Aber was willst du hier tun?«

»Un­heil ver­mei­den, wenn es mög­lich ist.«

»Weiß Ali Bey da­von?«

»Nein.«

»Oder der Mir Scheik Khan?«

»Auch nicht. Sie er­fah­ren es noch im­mer zur rech­ten Zeit.«

Ich hat­te wirk­lich große Mühe, den Scheik zur Bil­li­gung mei­nes Vor­ha­bens zu über­re­den. End­lich aber ge­lang es mir.

»Al­lah il Al­lah! Die Wege des Men­schen sind im Bu­che vor­ge­schrie­ben«, mein­te er; »ich will dich nicht be­we­gen, von die­sem Vor­ha­ben ab­zu­las­sen, aber ich wer­de hier bei dir blei­ben!«

»Du? Das geht nicht!«

»Wa­rum?«

»Sie dür­fen dich nicht fin­den.«

»Dich auch nicht.«

»Ich habe dir be­reits aus­ein­an­der­ge­setzt, dass ich kei­ne Ge­fahr lau­fe; dich aber, wenn du er­kannt wirst, er­war­tet ein an­de­res Los.«

»Das Ende des Men­schen steht im Bu­che ver­zeich­net. Soll ich ster­ben, so muss ich ster­ben, und dann ist es gleich, ob es hier ge­schieht oder dort in Ama­di­jah.«

»Du willst in dein Un­glück ren­nen, aber du ver­gisst, dass du auch mich dar­ein ver­wi­ckelst.«

Dies schi­en mir der ein­zi­ge Weg, sei­ner Hart­nä­ckig­keit bei­zu­kom­men.

»Dich? Wie­so?«, frag­te er.

»Bin ich al­lein hier, so schüt­zen mich mei­ne Fir­ma­ne; fin­den sie aber Dich bei mir, den Feind des Mu­tessa­rif, den ent­flo­he­nen Ge­fan­ge­nen, so habe ich die­sen Schutz ver­lo­ren und ver­wirkt. Dann sind auch wir ver­lo­ren, Du und ich, alle bei­de!«

Er blick­te nach­denk­lich vor sich nie­der. Ich sah, was sich in ihm ge­gen den Rück­zug nach dem Tale Idiz sträub­te, aber ich ließ ihm Zeit, einen Ent­schluss zu fas­sen. End­lich sag­te er mit hal­ber, un­si­che­rer Stim­me:

»Emir, hältst Du mich für einen Feig­ling?«

»Nein. Ich weiß ja, dass Du tap­fer und furcht­los bist.«

»Was wird Ali Bey den­ken?«

»Er denkt ganz so wie ich, eben­so Mir Scheik Khan.«

»Und die an­de­ren Dsche­si­di?«

»Sie ken­nen Dei­nen Ruhm und wis­sen, dass Du vor kei­nem Fein­de fliehst. Da­rauf kannst Du Dich ver­las­sen!«

»Und wenn man an mei­nem Mut zwei­feln soll­te, wirst Du mich ver­tei­di­gen? Wirst Du öf­fent­lich sa­gen, dass ich mit den Frau­en nach Idiz ge­gan­gen bin, nur um Dir zu ge­hor­chen?«

»Ich wer­de es über­all und öf­fent­lich sa­gen.«

»Nun wohl, so wer­de ich tun, was Du mir vor­ge­schla­gen hast!«

Er schob re­si­gniert die Flin­te von sich fort und wand­te sein An­ge­sicht wie­der dem Tale zu, wel­ches sich be­reits in den Schat­ten des Abends zu hül­len be­gann.

Gera­de jetzt ka­men die Män­ner zu­rück, die zu­vor nach Idiz ge­gan­gen wa­ren. Sie bil­de­ten einen Zug ein­zel­ner Per­so­nen, der sich im Tale vor uns auf­lös­te.

Da er­scholl vom Gra­be des Hei­li­gen her eine Sal­ve, und zur glei­chen Zeit kam Ali Bey her­auf zu uns mit den Wor­ten:

»Es be­ginnt die große Fei­er am Gra­be. Es ist noch nie ein Frem­der da­bei ge­we­sen, aber der Mir Scheik Khan hat mir im Na­men al­ler Pries­ter die Ge­neh­mi­gung er­teilt, Euch ein­zu­la­den.«

Das war nun al­ler­dings eine sehr hohe Ehre für uns; aber Scheik Mo­ham­med Emin lehn­te sie ab:

»Ich dan­ke Dir, Herr; aber es ist dem Mos­lem ver­bo­ten, bei der An­be­tung ei­nes an­de­ren als Al­lah zu­ge­gen zu sein.«

Er war ein Mos­lem; aber er hät­te die­se Ab­wei­sung doch in an­de­re Wor­te klei­den kön­nen. Er blieb zu­rück, und ich folg­te dem Bey.

Als wir aus dem Hau­se tra­ten, bot sich uns ein selt­sa­mer, un­be­schreib­lich schö­ner An­blick dar. So weit das Tal reich­te, fla­cker­ten Lich­ter un­ter und auf den Bäu­men, am Was­ser un­ten und auf je­dem Fel­sen in der Höhe, um die Häu­ser her­um und auf den Platt­for­men der­sel­ben. Das regs­te Le­ben aber herrsch­te am Grab­ma­le des Hei­li­gen. Der Mir hat­te an der ewi­gen Lam­pe des Gra­bes ein Licht an­ge­bracht und trat da­mit her­aus in den in­ne­ren Hof. An die­sem Licht zün­de­ten die Scheiks und Ka­wals ihre Lam­pen an; von die­sen lie­hen wie­der die Fa­ki­re ihre Flam­men, und nun tra­ten sie alle her­aus in das Freie, und Tau­sen­de ström­ten her­bei, um sich an den hei­li­gen Feu­ern zu rei­ni­gen.

Wer den Lich­tern der Pries­ter nahe zu kom­men ver­moch­te, fuhr mit der Hand durch die Flam­me der­sel­ben und be­strich dann mit die­ser Hand die Stirn und die Ge­gend des Her­zens. Män­ner stri­chen dann zum zwei­ten Mal durch die Flam­me, um den Se­gen der­sel­ben ih­ren Frau­en zu brin­gen. Müt­ter ta­ten ganz das­sel­be für ihre Kin­der, wel­che nicht die Kraft be­sa­ßen, durch die dich­te Men­ge zu drin­gen. Und da­bei herrsch­te ein Ju­bel, eine Freu­de, die gar nichts An­stö­ßi­ges hat­te.

Auch das Hei­lig­tum wur­de il­lu­mi­niert. In jede der zahl­rei­chen Mau­er­ni­schen kam eine Lam­pe zu ste­hen, und über die Höfe hin­weg zo­gen sich lan­ge Gir­lan­den von Lam­pen und Flam­men. Je­der Zweig der dort be­find­li­chen Bäu­me schi­en der Arm ei­nes rie­si­gen Leuch­ters zu sein, und Hun­der­te von Lich­tern lie­fen an den bei­den Tür­men bis zu den Spit­zen der­sel­ben em­por, zwei rie­si­ge Gi­ran­do­len bil­dend, de­ren An­blick ein zau­be­ri­scher war.

Die Pries­ter hat­ten jetzt, zwei Rei­hen bil­dend, im in­ne­ren Hofe Platz ge­nom­men. Auf der einen Sei­te sa­ßen die Scheiks in ih­ren wei­ßen An­zü­gen und ih­nen ge­gen­über die Ka­wals. Die­se letz­te­ren hat­ten In­stru­men­te in der Hand, ab­wech­selnd je ei­ner eine Flö­te und der an­de­re ein Tam­bu­rin. Ich saß mit Ali Bey un­ter der Re­ben­lau­be. Wo Mir Scheik Khan war, konn­te ich nicht be­mer­ken.

Da er­tön­te aus dem In­nern des Gra­bes ein Ruf, und die Ka­wals er­ho­ben ihre In­stru­men­te. Die Flö­ten be­gan­nen eine lang­sa­me, kla­gen­de Me­lo­die zu spie­len, wozu ein lei­ser Schlag auf das Tam­bu­rin den Takt an­gab. Dann folg­te plötz­lich ein lang aus­ge­hal­te­ner vier­tö­ni­ger Ak­kord; ich glau­be, es war ein Terz­quart­sext­ak­kord, zu wel­chem auf den Tam­bu­r­ins mit den Fin­ger­spit­zen ge­tril­lert wur­de, erst pia­nis­si­mo, dann pia­no, stär­ker, im­mer stär­ker bis zum For­tis­si­mo, und dann fie­len die Flö­ten in ein zwei­stim­mi­ges Ton­stück ein, für wel­ches kei­ner un­se­rer mu­si­ka­li­schen Na­men passt, des­sen Wir­kung aber doch eine sehr an­ge­neh­me und be­frie­di­gen­de war.

Am Schlus­se die­ses Stückes trat Mir Scheik Khan aus dem In­nern des Ge­bäu­des her­aus. Zwei Scheiks be­glei­te­ten ihn. Der eine trug ein höl­zer­nes Ge­stell vor ihm her, wel­ches ei­nem No­ten­pul­te glich; die­ses wur­de in die Mit­te des Ho­fes ge­setzt. Der an­de­re trug ein klei­nes Ge­fäß mit Was­ser und ein an­de­res, of­fe­nes, run­des, in wel­chem sich eine bren­nen­de Flüs­sig­keit be­fand. Die­se bei­den Ge­fäße wur­den auf das Pult ge­stellt, zu wel­chem Mir Scheik Khan trat.

Er gab mit der Hand ein Zei­chen, auf wel­ches die Mu­sik von Neu­em be­gann. Sie spiel­te eine Ein­lei­tung, nach wel­cher die Pries­ter mit ei­ner ein­stim­mi­gen Hym­ne ein­fie­len. Lei­der konn­te ich mir den In­halt der­sel­ben nicht no­tie­ren, da dies auf­ge­fal­len wäre, und der ei­gent­li­che Wort­laut ist mei­nem Ge­dächt­nis ent­schwun­den. Sie war in ara­bi­scher Spra­che ver­fasst und for­der­te zur Rein­heit, zum Glau­ben und zur Wach­sam­keit auf.

Nach der­sel­ben hielt Mir Scheik Khan eine kur­ze An­spra­che an die Pries­ter. Er schil­der­te in kur­z­en Wor­ten die Not­wen­dig­keit, sei­nen Wan­del von je­der Sün­de rein zu hal­ten, Gu­tes zu tun an al­len Men­schen, sei­nem Glau­ben stets treu zu blei­ben und den­sel­ben ge­gen alle Fein­de zu ver­tei­di­gen.

Dann trat er zu­rück und setz­te sich zu uns un­ter den Wein­stock. Jetzt brach­te ei­ner der Pries­ter einen le­ben­den Hahn her­bei, wel­cher mit­tels ei­ner Schnur an das Pult be­fes­tigt wur­de; zur Lin­ken von ihm wur­de das Was­ser und zur Rech­ten das Feu­er ge­stellt.

Die Mu­sik be­gann wie­der. Der Hahn hock­te in sich ge­kehrt am Bo­den; die lei­sen Klän­ge der Flö­ten schi­en er gar nicht zu be­ach­ten. Da wur­den die Töne stär­ker, und er lausch­te. Den Kopf aus dem Ge­fie­der zie­hend, blick­te er sich mit hel­len, klu­gen Au­gen im Krei­se um und be­merk­te da­bei das Was­ser. Schnell fuhr er mit dem Schna­bel in das Ge­fäß, um zu trin­ken. Die­ses freu­di­ge Er­eig­nis wur­de durch ein hel­les, ju­beln­des Zu­sam­menschla­gen der Tam­bu­r­ins ver­kün­det. Dies schi­en das mu­si­ka­li­sche In­ter­es­se des Tie­res zu er­re­gen. Der Hahn krümm­te den Hals und horch­te auf­merk­sam. Da­bei be­merk­te er, dass er sich in ge­fähr­li­cher Nähe von der Flam­me be­fand. Er woll­te sich zu­rück­zie­hen, konn­te aber nicht, da er fest­ge­hal­ten wur­de. Dar­über er­grimmt, rich­te­te er sich auf und stieß ein lau­tes »Kik-ri-kih!« her­vor, in wel­ches die Flö­ten und Tam­bu­r­ins ein­fie­len. Dies schi­en in ihm die An­sicht zu er­we­cken, dass man es auf einen mu­si­ka­li­schen Wett­streit ab­ge­se­hen habe. Er wand­te sich mu­tig ge­gen die Mu­si­kan­ten, schlug die Flü­gel und schrie aber­mals. Er er­hielt die­sel­be Ant­wort, und so ent­wi­ckel­te sich ein Ton­ge­fecht, wel­ches den Vo­gel schließ­lich so er­zürn­te, dass er un­ter ei­nem wü­ten­den Gal­li­ci­ni­um sich los­riss und in das In­ne­re des Gra­bes floh.

Die Mu­sik be­glei­te­te die­se Hel­den­tat mit dem al­ler­stärks­ten For­tis­si­mo; die Stim­men der Pries­ter fie­len ju­belnd ein, und nun folg­te ein Fina­le, wel­ches al­ler­dings ganz ge­eig­net war, so­wohl die Mu­si­kan­ten als auch die Sän­ger zu er­mü­den. Am Schluss des Stückes küss­ten die Ka­wals ihre In­stru­men­te.

Soll­te die­ses lau­te, stür­mi­sche Fina­le auf ir­gend­ei­ne Wei­se ein­mal Ge­le­gen­heit ge­ge­ben ha­ben, die Dsche­si­den mit den un­lau­te­ren Cheragh Son­deran, oder wie es in kur­di­scher Spra­che lau­tet, Tscherah son­derahn3 zu ver­wech­seln? Das re­li­gi­öse Ge­fühl ei­nes Chris­ten sträubt sich al­ler­dings ge­gen die Vor­füh­rung die­ses Vo­gels, aber et­was Im­mo­ra­li­sches habe ich da­bei nicht be­ob­ach­ten kön­nen.

Jetzt soll­te der Ver­kauf der Ku­geln er­fol­gen, von de­nen ich be­reits ge­spro­chen habe. Vor­her aber tra­ten die Pries­ter her­bei und mach­ten Ali Bey und mir ein Ge­schenk da­von. Er er­hielt sie­ben und ich sie­ben. Sie wa­ren voll­stän­dig rund und mit ei­nem ara­bi­schen Wort ver­se­hen, wel­ches man mit ei­nem spit­zi­gen In­stru­ment ein­ge­gra­ben hat­te. Von mei­nen sie­ben Ku­geln zeig­ten vier das Wort ›El Schems‹, die Son­ne.

Der Ver­kauf fand im äu­ße­ren Hofe statt, wäh­rend im In­nern des um­mau­er­ten Rau­mes die In­stru­men­te und der Ge­sang noch er­tön­ten. Ich ver­ließ das Hei­lig­tum. Ich dach­te, dass das Tal von der Höhe aus einen wun­der­vol­len An­blick bie­ten müs­se, und ging, um mir Ha­lef zur Beglei­tung zu ho­len. Ich fand ihn auf der Platt­form des Hau­ses bei dem Bu­luk Emi­ni sit­zen. Sie schie­nen sich in ei­nem sehr ani­mier­ten Ge­spräch zu be­fin­den, denn ich hör­te ihn sa­gen:

»Was? Ein Rus­se wäre es ge­we­sen?«

»Ja, ein Rus­si­kow, dem Al­lah den Kopf ab­schnei­den möge; denn wenn er nicht ge­we­sen wäre, so hät­te ich mei­ne Nase noch! Ich haute wie wü­tend um mich; die­ser Kerl aber hol­te nach mei­nem Kopf aus; ich woll­te aus­wei­chen und trat zu­rück. Der Hieb, wel­cher den Kopf tref­fen soll­te, traf bloß die – – –«

»Had­schi Ha­lef!« rief ich.

Es mach­te mir wirk­lich Spaß, die be­rühm­te Ge­schich­te von der Nase auch ein­mal un­ter­bre­chen zu kön­nen. Die bei­den spran­gen auf und tra­ten auf mich zu.

»Du sollst mich be­glei­ten, Ha­lef; komm!«

»Wo­hin, Sih­di?«

»Dort hin­auf zur Höhe, um zu se­hen, wie sich die Il­lu­mi­na­ti­on des Ta­les aus­nimmt.«

»O Emir, lass mich mit Dir ge­hen!« bat Ifra.

»Ich habe nichts da­ge­gen. Vor­wärts!«

Wir stie­gen die nach Baa­dri zu ge­le­ge­ne Höhe hin­an. Über­all tra­fen wir Män­ner, Frau­en und Kin­der mit Fa­ckeln und Lich­tern, und von Al­len wur­den wir mit ei­ner wirk­lich kind­li­chen Freu­de be­grüßt und an­ge­re­det. Als wir die Höhe er­reich­ten, bot sich uns ein ge­ra­de­zu un­be­schreib­li­cher An­blick dar. Meh­re­re der Dsche­si­di wa­ren uns ge­folgt, um uns zu leuch­ten: ich aber bat sie, zu­rück­zu­ge­hen oder ihre Fa­ckeln zu ver­lö­schen. Wer den Ge­nuss voll­stän­dig ha­ben woll­te, muss­te sich selbst im Dun­keln be­fin­den.

Da un­ten im Tale flu­te­te Flam­me an Flam­me. Tau­send leuch­ten­de Punk­te kreuz­ten, hüpf­ten und schlüpf­ten, tanz­ten, schos­sen und flo­gen durch­ein­an­der, klein, ganz klein tief un­ten, je nä­her aber zu uns, de­sto grö­ßer wer­dend. Das Hei­lig­tum wall­te förm­lich von Glanz und Licht, und die bei­den Tür­me leck­ten em­por in das Dun­kel der Nacht wie flam­men­de Hym­nen. Dazu er­tön­te von un­ten her­auf zu uns das dump­fe Wo­gen und Brau­sen der Stim­men, oft un­ter­bro­chen von ei­nem lau­ten, na­hen Ju­bel­ru­fe. Ich hät­te Stun­den lang hier ste­hen und mich an die­sem An­blick wei­den und er­göt­zen kön­nen.

»Was ist das für ein Stern?« er­tön­te da ne­ben mir eine Fra­ge in kur­di­scher Spra­che.

Ei­ner der Dsche­si­di hat­te sie aus­ge­spro­chen.

»Wo?« frag­te ein an­de­rer.

»Sieh die Rea ka­di­sahn4 da rechts!«

»Ich sehe sie.«

»Un­ter ihr flamm­te ein hel­ler Stern auf. Jetzt wie­der! Siehst Du ihn?«

»Ich sah ihn. Es ist der Kja­le be sche­ri.«5

Die vier Ster­ne, wel­che in un­se­rem Stern­bild den Rücken des Bä­ren bil­den, hei­ßen näm­lich bei den Kur­den ›der Al­te‹. Sie mei­nen, dass sein Kopf hin­ter ei­ner be­nach­bar­ten Ster­nen­grup­pe ver­steckt sei. Die drei Ster­ne, wel­che bei uns den Schwanz des großen Bä­ren bil­den (oder die Deich­sel des ›Wa­gens‹, wie die­ses Stern­bild auch ge­nannt wird), hei­ßen bei ih­nen die ›zwei Brü­der und die blin­de Mut­ter des Al­ten‹.

»Der Kja­le be sche­ri? Der hat doch vier Ster­ne!« mein­te der ers­te Fra­ger. »Es wird Ku­mi­kji schi­wan6 sein.«

»Der steht hö­her. Jetzt leuch­tet es wie­der. Ah, wir sind irr; es ist ja im Sü­den! Es wird Me­schin7 sein.«

»Me­schin hat auch meh­re­re Ster­ne. Was meinst Du, Herr, dass es ist?«

Die­se Fra­ge war an mich ge­rich­tet. Mir schi­en das Phä­no­men auf­fäl­lig.

Die Fa­ckeln und Lich­ter un­ter uns war­fen einen Schein in die Höhe, der es uns un­mög­lich mach­te, die Ster­ne ge­nau zu er­ken­nen. Der Glanz aber, wel­cher von Zeit zu Zeit da drü­ben auf­blitz­te, um so­fort wie­der zu ver­schwin­den, war in­ten­siv. Er glich ei­nem Irr­lich­te, das plötz­lich auf­leuch­te­te und au­gen­blick­lich wie­der ver­lösch­te. Ich be­ob­ach­te­te noch eine Wei­le und wand­te mich dann zu Ha­lef:

»Had­schi Ha­lef, eile so­fort hin­ab zu Ali Bey und sage ihm, dass er sehr schnell zu mir her­auf­kom­men möge! Es hand­le sich um et­was Wich­ti­ges.«

Der Die­ner ver­schwand mit schnel­len Schrit­ten, und ich trat noch eine Stre­cke wei­ter vor, teils, um den ver­meint­li­chen Stern bes­ser be­ob­ach­ten zu kön­nen, teils auch, um al­len wei­te­ren Fra­gen zu ent­ge­hen.

Glück­li­cher­wei­se hat­te Ali Bey ge­hört, dass ich her­auf­ge­gan­gen sei, und den Ent­schluss ge­fasst, mir zu fol­gen. Ha­lef traf ihn eine nur klei­ne Stre­cke un­ter uns und brach­te ihn zu mir.

»Was willst Du mir zei­gen, Emir?«

Ich streck­te den Arm aus.

»Bli­cke fest dort­hin! Du wirst einen Stern auf­blit­zen se­hen. Jetzt!«

»Ich sehe ihn.«

»Er ist wie­der fort. Kennst Du ihn?«

»Nein. Er liegt sehr tief und ge­hört zu kei­nem Bil­de.«

Ich trat an einen Busch und schnitt ei­ni­ge Ru­ten ab. Die eine da­von steck­te ich in die Erde und stell­te mich dann ei­ni­ge Schrit­te vor­wärts von ihm auf.

»Knie ge­nau hin­ter die­ser Rute nie­der. Ich wer­de in der Rich­tung von ihr, in wel­cher der Stern wie­der blitzt, eine zwei­te auf­ste­cken. – Sahst Du ihn jetzt?«

»Ja. Ganz deut­lich.«

»Wo­hin soll die Rute? Hier­her?«

»Ei­nen Fuß­breit wei­ter nach rechts.«

»Hier­her?«

»Ja; das ist ge­nau.«

»So! Nun be­ob­ach­te wei­ter!«

»Jetzt sah ich ihn wie­der!« mein­te er nach ei­ner klei­nen Wei­le.

»Wo? Ich wer­de eine drit­te Rute ste­cken.«

Der Stern war nicht am al­ten Platz. Er war viel wei­ter links.

»Wie weit? Sage es!«

»Zwei Fuß von der vo­ri­gen Rute.«

»Hier?«

»Ja.«

Ich steck­te die drit­te Rute ein, und Ali Bey be­ob­ach­te­te wei­ter.

»Jetzt sah ich ihn wie­der«, mein­te er bald.

»Wo?«

»Nicht mehr links, son­dern rechts.«

»Gut! Das war es, was ich Dir zei­gen woll­te. Jetzt magst Du Dich wie­der er­he­ben.«

Die an­de­ren hat­ten mei­nem son­der­ba­ren Ge­ba­ren mit Ver­wun­de­rung zu­ge­se­hen, und auch Ali Bey konn­te den Grund des­sel­ben nicht ein­se­hen.

»Wa­rum läs­sest Du mich die­ses Ster­nes we­gen ru­fen?«

»Weil es kein Stern ist!«

»Was sonst? Ein Licht?«

»Nun, wenn es nur ein Licht wäre, wür­de es schon merk­wür­dig sein; aber es ist eine gan­ze Rei­he von Lich­tern.«

»Woraus ver­mu­test Du dies?«

»Ein Stern kann es nicht sein, weil es tiefer steht, als die Spit­ze des Ber­ges, der da­hin­ter liegt. Und dass es meh­re­re Lich­ter sind, hast Du ja aus dem Ex­pe­ri­men­te ge­se­hen, das wir vor­ge­nom­men ha­ben. Da drü­ben ge­hen oder rei­ten vie­le Leu­te mit Fa­ckeln oder La­ter­nen, von de­nen zu­wei­len die eine oder die an­de­re her­über­blitzt.«

Der Bey stieß einen Aus­ruf der Ver­wun­de­rung aus.

»Du hast recht, Emir!«

»Wer mag es sein?«

»Pil­ger sind es nicht, denn die­se wür­den auf dem Wege von Baa­dri nach Scheik Adi kom­men.«

»So den­ke an die Tür­ken!«

»Herr! Wäre es mög­lich?«

»Das weiß ich nicht, denn die­se Ge­gend ist mir un­be­kannt. Be­schrei­be sie mir, Bey!«

»Hier grad aus geht der Weg nach Baa­dri, und hier wei­ter links der nach Aïn Sif­ni. Tei­le die­sen Weg in drei Tei­le; gehe das ers­te Drit­tel, so hast Du die­se Lich­ter dann Dir zur Lin­ken nach dem Was­ser zu, wel­ches von Scheik Adi kommt.«

»Kann man am Was­ser ent­lang rei­ten?«

»Ja.«

»Und auf die­se Wei­se nach Scheik Adi kom­men?«

»Ja.«

»So ist ein großer, ein sehr großer Feh­ler vor­ge­kom­men!«

»Wel­cher?«

»Du hast Vor­pos­ten ge­stellt nach Baa­dri und Ka­lo­ni hin, aber nicht nach Aïn Sif­ni zu.«

»Dor­ther wer­den die Tür­ken nicht kom­men. Die Leu­te von Aïn Sif­ni wür­den es uns ver­ra­ten.«

»Aber wenn die Tür­ken nicht nach Aïn Sif­ni ge­hen, son­dern bei Dscherai­jah den Khaus­ser über­schrei­ten und dann zwi­schen Aïn Sif­ni und hier das Tal zu er­rei­chen su­chen? Mir scheint, sie wür­den dann die­sel­be Rich­tung neh­men, in wel­cher sich dort jene Lich­ter be­we­gen. Sie­he, sie sind be­reits wie­der nach links vor­ge­rückt!«

»Emir, Dei­ne Ver­mu­tung ist viel­leicht die rich­ti­ge. Ich wer­de so­fort meh­re­re Wa­chen vor­schi­cken!«

»Und ich wer­de mir ein­mal die­se Ster­ne nä­her be­trach­ten. Hast Du einen Mann, der die­se Ge­gend ge­nau kennt?«

»Nie­mand kennt sie bes­ser als Se­lek.«

»Er ist ein gu­ter Rei­ter; er soll mich füh­ren!«

Wir stie­gen so schnell wie mög­lich hin­ab. Der letz­te­re Teil der Un­ter­re­dung war von uns lei­se ge­führt wor­den, so­dass nie­mand, und be­son­ders auch der Ba­schi-Bo­zuk nicht, et­was da­von ver­nom­men hat­te. Se­lek war bald ge­fun­den; er er­hielt ein Pferd und nahm sei­ne Waf­fen zu sich. Auch Ha­lef muss­te mit. Ich konn­te mich auf ihn mehr als auf je­den an­de­ren ver­las­sen. Zwan­zig Mi­nu­ten spä­ter, nach­dem ich den Stern zu­erst ge­se­hen hat­te, jag­ten wir auf dem Weg nach Aïn Sif­ni da­hin. Auf der nächs­ten Höhe blie­ben wir hal­ten. Ich mus­ter­te das Halb­dun­kel vor uns und sah end­lich das Auf­leuch­ten wie­der. Ich mach­te Se­lek dar­auf auf­merk­sam.

»Emir, das ist kein Stern, das sind auch kei­ne Fa­ckeln, denn die­se wür­den einen um­fang­rei­che­ren Schein ver­brei­ten. Das sind La­ter­nen.«

»Ich muss hart an sie her­an. Kennst Du die Ge­gend ge­nau?«

»Ich wer­de Dich füh­ren; ich ken­ne je­den Stein und je­den Strauch. Hal­te Dich nur hart hin­ter mir, und nimm Dein Pferd stets hoch!«

Er wand­te sich vom Was­ser nach rechts und nun ging es über Stock und Stein im Trab vor­wärts. Es war ein sehr bö­ser Ritt, aber be­reits nach ei­ner reich­li­chen Vier­tel­stun­de konn­ten wir meh­re­re Lich­ter ge­nau un­ter­schei­den. Nach ei­ner zwei­ten Vier­tel­stun­de, wäh­rend de­rer die­sel­ben hin­ter ei­nem vor uns lie­gen­den Ber­grücken ver­schwun­den wa­ren, er­reich­ten wir die­sen und sa­hen nun sehr deut­lich, dass wir einen ziem­lich lan­gen Zug vor uns hat­ten. Von wem die­ser ge­bil­det wur­de, war von hier aus nicht zu un­ter­schei­den; je­doch be­merk­ten wir, dass er plötz­lich ver­schwand und nicht wie­der er­schi­en.

»Gibt es dort wie­der einen Hü­gel?«

»Nein. Hier ist Ebe­ne«, ant­wor­te­te Se­lek.

»Oder eine Ver­tie­fung, ein Tal, in wel­chem die­se Lich­ter ver­schwin­den kön­nen?«

»Nein.«

»Oder ein Wald – – –«

»Ja, Emir«, fiel er schnell ein. »Dort, wo sie ver­schwun­den sind, liegt ein klei­nes Oli­ven­wäld­chen.«

»Ah! Du wirst mit den Pfer­den hier blei­ben und auf uns war­ten. Ha­lef aber be­glei­tet mich.«

»Herr, nimm mich auch mit«, bat Se­lek.

»Die Tie­re wür­den uns ver­ra­ten.«

»Wir bin­den sie an!«

»Mein Rap­pe ist zu kost­bar, als dass ich ihn ohne Auf­sicht las­sen dürf­te. Und au­ßer­dem ver­stehst Du auch das rich­ti­ge An­schlei­chen nicht. Man wür­de Dich hö­ren oder gar se­hen.«

»Emir, ich ver­ste­he es!«

»Sei still!«, mein­te da Ha­lef. »Auch ich dach­te, ich ver­stän­de es, mich mit­ten in ein Duar zu schlei­chen und das bes­te Pferd weg­zu­neh­men; aber als ich es vor dem Ef­fen­di ma­chen muss­te, habe ich mich schä­men müs­sen wie ein Kna­be! Aber trös­te Dich, denn Al­lah hat nicht ge­wollt, dass aus Dir eine Ei­dech­se wird!«

Wir lie­ßen die Ge­weh­re zu­rück und schrit­ten vor­an. Es war ge­ra­de so hell, dass man auf fünf­zig Schrit­te einen Men­schen leid­lich er­ken­nen konn­te. Vor uns tauch­te nach viel­leicht zehn Mi­nu­ten ein dunk­ler Punkt auf, des­sen Di­men­sio­nen von Schritt zu Schritt zu­nah­men – das Oli­ven­wäld­chen. Als wir so weit her­an wa­ren, dass wir es in fünf oder sechs Mi­nu­ten er­rei­chen konn­ten, hielt ich an und lausch­te an­ge­strengt. Nicht der min­des­te Laut war zu ver­neh­men.

»Gehe ge­nau hin­ter mir, so­dass un­se­re Per­so­nen eine ein­zi­ge Li­nie bil­den!«

Ich hat­te nur Ja­cke und Hose an, bei­de dun­kel; auf dem Kopf trug ich den Tar­busch, von dem ich das Tur­ban­tuch ab­ge­wun­den hat­te. So war ich nicht so leicht vom dunklen Bo­den zu un­ter­schei­den. Mit Ha­lef war ganz das­sel­be der Fall.

Laut­los glit­ten wir wei­ter. Da ver­nah­men wir das Geräusch knacken­der Äste. Wir leg­ten uns nun auf die Erde nie­der und kro­chen lang­sam vor­wärts. Das Knacken und Bre­chen wur­de lau­ter.

»Man sam­melt Äste, viel­leicht gar, um ein Feu­er zu ma­chen.«

»Gut für uns, Sih­di!«, flüs­ter­te Ha­lef.

Bald er­reich­ten wir den hin­te­ren Rand des Ge­höl­zes. Das Schnau­ben von Tie­ren und Män­ner­stim­men wur­den hör­bar. Wir la­gen so­eben hart ne­ben ei­nem dich­ten Busch­werk. Ich deu­te­te auf das­sel­be und sag­te lei­se:

»Ver­birg Dich hier und er­war­te mich, Ha­lef.«

»Herr, ich ver­las­se Dich nicht; ich fol­ge Dir!«

»Du wür­dest mich ver­ra­ten. Das un­hör­ba­re Schlei­chen ist in ei­nem Wald schwie­ri­ger als auf of­fe­nem Fel­de. Ich habe Dich nur mit­ge­nom­men, um mir den Rück­zug zu de­cken. Du bleibst lie­gen, selbst wenn Du schie­ßen hörst. Wenn ich Dich rufe, kommst Du so schnell wie mög­lich.«

»Und wenn Du we­der kommst noch rufst?«

»Dann schleichst Du Dich nach ei­ner hal­b­en Stun­de vor­wärts, um zu se­hen, was mit mir ge­sche­hen ist.«

»Sih­di, wenn sie Dich tö­ten, so schla­ge ich alle tot!«

Die­se Ver­si­che­rung hör­te ich noch, dann war ich fort; aber noch hat­te ich mich nicht sehr weit von ihm ent­fernt, so hör­te ich eine lau­te, be­feh­len­de Stim­me ru­fen:

»Et atesch – bren­ne an, ma­che Feu­er!«

Die­se Stim­me kam aus ei­ner Ent­fer­nung von viel­leicht hun­dert Fuß. Ich konn­te also un­be­sorgt wei­ter krie­chen. Da ver­nahm ich das Pras­seln ei­ner Flam­me und be­merk­te zu­gleich einen lich­ten Schein, der sich zwi­schen den Bäu­men fast bis zu mir ver­brei­te­te. Das er­schwer­te mir na­tür­lich mein Vor­ha­ben be­deu­tend.

»Tasch­lar atesch tsche­wre­sin­de – lege Stei­ne um das Feu­er!«, be­fahl die­sel­be Stim­me.

Die­sem Be­fehl wur­de je­den­falls so­fort Fol­ge ge­leis­tet, denn der lich­te Schein ver­schwand, so­dass ich nun bes­ser vor­wärts konn­te. Ich schlich mich von ei­nem Stamm zum an­de­ren und war­te­te hin­ter je­dem, bis ich mich über­zeugt hat­te, dass ich nicht be­merkt wor­den war. Glück­li­cher­wei­se war die­se Vor­sicht über­flüs­sig; ich be­fand mich nicht in den Ur­wäl­dern Ame­ri­kas, und die gu­ten Leu­te, die ich vor mir hat­te, schie­nen nicht die min­des­te Ah­nung zu ha­ben, dass es ei­nem Men­schen ein­fal­len könn­te, sie zu be­lau­schen.

So avan­cier­te ich im­mer wei­ter, bis ich einen Baum er­reich­te, des­sen Wur­zeln so zahl­rei­che Schöss­lin­ge ge­trie­ben hat­ten, dass ich hin­ter ih­nen ein recht leid­li­ches Ver­steck zu fin­den hoff­te. Wün­schens­wert war dies be­son­ders des­halb, weil ganz in der Nähe des Bau­mes zwei Män­ner sa­ßen, auf die ich es ab­ge­se­hen hat­te – zwei tür­ki­sche Of­fi­zie­re.

Mit ei­ni­ger Vor­sicht ge­lang es mir, mich hin­ter den Schöss­lin­gen häus­lich nie­der­zu­las­sen, und nun konn­te ich die Sze­ne voll­stän­dig über­bli­cken.

Drau­ßen vor dem klei­nen Ge­hölz stan­den – vier Ge­birgs­ka­no­nen oder viel­mehr zwei Ka­no­nen und zwei Hau­bit­zen, und am Saum des Ge­höl­zes wa­ren un­ge­fähr zwan­zig Maul­tie­re an­ge­bun­den, die zum Trans­port die­ser Ge­schüt­ze er­for­der­lich ge­we­sen wa­ren. Man braucht zu ei­nem Ge­schütz ge­wöhn­lich vier bis fünf Maul­tie­re; eins muss das Rohr, eins die La­fet­te und zwei bis vier müs­sen die Mu­ni­ti­ons­käs­ten tra­gen.

Die Topd­schi8 hat­ten es sich be­quem ge­macht; sie la­gen auf dem Bo­den aus­ge­streckt und plau­der­ten lei­se mit­ein­an­der. Die bei­den Of­fi­zie­re aber wünsch­ten Kaf­fee zu trin­ken und ih­ren Tschi­buk zu rau­chen; dar­um war ein Feu­er ge­macht wor­den, über wel­chem ein klei­ner Kes­sel auf zwei Stei­nen stand. Der eine der bei­den Hel­den war ein Jüs Ba­schi9 und der an­de­re ein Müla­sim.10 Der Jüs Ba­schi hat­te ein recht bie­de­res Aus­se­hen; er kam mir ge­ra­de so vor, als sei er ei­gent­lich ein ur­ge­müt­li­cher, di­cker, deut­scher Bäcker­meis­ter, der auf ei­nem Lieb­ha­ber­thea­ter den wil­den Tür­ken spie­len soll und sich dazu für an­dert­hal­be Mark vom Mas­ken­ver­lei­her das Ko­stüm ge­lie­hen hat. Mit dem Müla­sim war es ganz ähn­lich. Just so wie er muss­te eine sech­zig­jäh­ri­ge Kaf­fee­schwes­ter aus­se­hen, die auf den un­be­greif­li­chen Back­fisch­ge­dan­ken ge­ra­ten ist, in Pumpho­sen und Os­m­an­ly-Ja­cke auf die Re­dou­te zu ge­hen. Es war mir ganz so, als müss­te ich jetzt hin­ter dem Bau­me her­vor­tre­ten und sie über­ra­schen mit den ge­flü­gel­ten Wor­ten:

»Schön’ gu­ten Abend, Meis­ter Mehl­hu­ber; ’p­feh­le mich, Fräu­lein Lat­tens­ten­gel; ’was Neu­es? Dan­ke, dan­ke, wer­de so frei sein!«

Frei­lich wa­ren die Wor­te, die ich zu hö­ren be­kam, et­was we­ni­ger ge­müt­lich. Ich lag ih­nen so nahe, dass ich al­les hö­ren konn­te.

»Top­le­ri­miz chosch – un­se­re Ka­no­nen sind gut!« brumm­te der Jüs Ba­schi.

»Pek chosch – sehr gut!« flö­te­te der Müla­sim.

»Atar-iz, atar-iz hep­si – wir wer­den schie­ßen, al­les nie­der­schie­ßen!«

»Hep­si – Al­les!« er­tön­te das Echo.

»Ja­par-iz ka­zang­d­schü – wir wer­den Beu­te ma­chen!«

»Tschok ka­zang­d­schü – viel Beu­te!«

»Olad­schag-iz ji­jid – wir wer­den tap­fer sein!«

»Pek ji­jid – sehr tap­fer!«

»Bi­nar-iz – wir wer­den be­för­dert wer­den!«

»Jü­k­sek, gha­jet jü­k­sek – hoch, äu­ßerst hoch!«

»Tü­tar-iz son­ra tütü­nü ad­schem­li – dann rau­chen wir Ta­bak aus Per­si­en!«

»Tütü­nü schi­raz­li – Ta­bak aus Schi­ras!«

»Ile it­schar-iz ka­weh­ji ara­b­li – und trin­ken Kaf­fee aus Ara­bi­en!«

»Ka­weh­ji mok­kah­li – Kaf­fee aus Mok­ka!«

»Dsche­si­di­ler ge­rek olar-lar öl­mek hep­si – die Dsche­si­di müs­sen alle ster­ben!«

»Hep­si – alle!«

»Fenalar – die Bö­se­wich­ter!«

»Og­h­an­lar – die Bu­ben!«

»Na pa­klar, utan­maz­lar – die Un­rei­nen, die Un­ver­schäm­ten!«

»Ki­öpek­ler – die Hun­de!«

»Öl­di­rar-iz on­la­ri – wir wer­den sie tö­ten!«

»Ja­rin sa­bah tiz – mor­gen früh gleich!«

»Ta­biat­li, dir do­ghru – na­tür­lich, das ver­steht sich!«

Ich hat­te nun ge­nug ge­se­hen und ge­hört; dar­um zog ich mich zu­rück, erst lang­sam und vor­sich­tig, dann aber ra­scher. Ich er­hob mich da­bei so­gar von der Erde, wor­über Ha­lef sich nicht we­nig wun­der­te, als ich bei ihm an­kam.

»Wer ist es, Sih­di?«

»Ar­til­le­ris­ten. Komm; wir ha­ben kei­ne Zeit!«

»Ge­hen wir auf­recht?«

»Ja.«

Wir er­reich­ten bald un­se­re Pfer­de, stie­gen auf und kehr­ten zu­rück. Die Stre­cke nach Scheik Adi wur­de jetzt na­tür­lich viel schnel­ler zu­rück­ge­legt, als vor­hin. Wir fan­den dort noch das­sel­be rege Le­ben.

Ich hör­te, dass Ali Bey sich beim Hei­lig­tum be­fin­de, und traf ihn mit dem Mir Scheik Khan in dem in­ne­ren Hofe des­sel­ben. Er kam mir er­war­tungs­voll ent­ge­gen und führ­te mich zum Khan.

»Was hast du ge­se­hen?« frag­te er.

»Ka­no­nen!«

»Oh!« mach­te er er­schro­cken. »Wie vie­le?«

»Vier klei­ne Ge­birgs­ka­no­nen.«

»Wel­chen Zweck ha­ben sie?«

»Scheik Adi soll da­mit zu­sam­men­ge­schos­sen wer­den. Wäh­rend die As­ke­ri11 von Baa­dri und Ka­lo­ni an­grei­fen, soll die Ar­til­le­rie je­den­falls da un­ten am Was­ser spie­len. Der Plan ist nicht schlecht, denn von dort aus lässt sich das gan­ze Tal be­strei­chen. Es han­del­te sich nur dar­um, die Ge­schüt­ze un­be­merkt über die Hö­hen zu brin­gen; dies ist ge­lun­gen; man hat sich der Maul­tie­re be­dient, mit de­ren Hil­fe die Ka­no­nen in ei­ner Stun­de von dem La­ger­plat­ze aus bis nach Scheik Adi ge­bracht wer­den kön­nen.«

»Was tun wir, Emir?«

»Gib mir so­fort sech­zig Rei­ter und ei­ni­ge Fe­ne­ri,12 so siehst du bin­nen zwei Stun­den die Ge­schüt­ze mit ih­rer Be­die­nung hier in Scheik Adi!«

»Ge­fan­gen?«

»Ge­fan­gen!«

»Herr, ich gebe dir hun­dert Rei­ter!«

»Nun wohl, gib mir so­fort acht­zig und sage ih­nen, dass ich sie un­ten am Was­ser er­war­te.«

Ich ging und traf Ha­lef und Se­lek noch bei den Pfer­den.

»Was wird Ali Bey tun?« frag­te Ha­lef.

»Nichts. Wir selbst wer­den tun, was ge­tan wer­den soll.«

»Was ist das, Sih­di? Du lachst! Herr, ich ken­ne dein Ge­sicht; wir ho­len die Ka­no­nen?«

»Al­ler­dings! Ich möch­te aber die Ka­no­nen ha­ben, ohne dass Blut ver­gos­sen wird, und dar­um neh­men wir acht­zig Rei­ter mit.«

Wir rit­ten dem Aus­gang des Ta­les zu, wo wir nicht lan­ge war­ten durf­ten, bis die Acht­zig ka­men.

Ich sand­te Se­lek mit zehn Mann vor­an und folg­te mit den an­de­ren eine Stre­cke hin­ter ih­nen. Wir er­reich­ten, ohne einen Feind zu se­hen, die An­hö­he, auf wel­cher Se­lek vor­hin auf uns ge­war­tet hat­te, und stie­gen da ab. Zu­nächst sand­te ich ei­ni­ge Leu­te aus, die für un­se­re ei­ge­ne Si­cher­heit zu wa­chen hat­ten; dann ließ ich zehn Mann bei den Pfer­den zu­rück und ge­bot ih­nen, den Platz ohne mei­nen Be­fehl nicht zu ver­las­sen, und nun schli­chen wir an­de­ren auf das Wäld­chen zu. In pas­sen­der Ent­fer­nung vor dem­sel­ben an­ge­kom­men, wur­de Halt ge­macht, und ich ging al­lein vor­wärts. Wie vor­her ge­lang­te ich auch dies­mal ohne Hin­der­nis zu dem Bau­me, un­ter wel­chem ich be­reits ge­le­gen hat­te. Die Tür­ken la­gen in ein­zel­nen Grup­pen bei­sam­men und plau­der­ten. Ich hat­te ge­hofft, dass sie schlie­fen. Die mi­li­tä­ri­sche Wach­sam­keit und die Er­war­tung des be­vor­ste­hen­den Kamp­fes lie­ßen sie je­doch nicht schla­fen. Ich zähl­te mit den Un­ter­of­fi­zie­ren und den bei­den Of­fi­zie­ren vierund­drei­ßig Mann und kehr­te zu den Mei­nen zu­rück.

»Had­schi Ha­lef und Se­lek, geht und holt eure Pfer­de! Ihr rei­tet einen Bo­gen und kommt an der an­de­ren Sei­te des Wäld­chens vor­über. Man wird euch an­hal­ten. Ihr sagt, dass ihr euch ver­irrt habt und zu dem Fes­te nach Scheik Adi kom­men wollt. Ihr wer­det so die Auf­merk­sam­keit der Os­m­an­ly von uns ab- und auf euch len­ken. Das Üb­ri­ge ist un­se­re Sa­che. Geht!«

Die Üb­ri­gen ließ ich zwei lan­ge, hin­ter­ein­an­der ste­hen­de Rei­hen bil­den, die den Zweck hat­ten, das Ge­hölz von drei Sei­ten zu um­fas­sen. Ich gab ih­nen die nö­ti­ge An­wei­sung, wor­auf wir uns zu Bo­den leg­ten und vor­wärts kro­chen.

Na­tür­lich kam ich am schnells­ten vor­an. Ich hat­te mei­nen Baum wohl be­reits seit zwei Mi­nu­ten er­reicht, als lau­te Huf­schlä­ge er­schall­ten. Das Feu­er brann­te noch im­mer; dar­um war es mir mög­lich, die gan­ze Sze­ne leid­lich zu über­bli­cken. Die bei­den Of­fi­zie­re hat­ten wahr­schein­lich wäh­rend der gan­zen Zeit mei­ner Ab­we­sen­heit ge­raucht und Kaf­fee ge­trun­ken.

»Scheik Adi kem juwa – Scheik Adi ist ein bö­ses Nest!« hör­te ich den Haupt­mann sa­gen.

»Jum juwa – ganz böse!« ant­wor­te­te der Leut­nant.

»Chalk onda scheïta­ni etar-lar – die Leu­te dort be­ten den Teu­fel an!«

»Scheïta­ni; Al­lah on­la­ri döj-sun de jas­silt-sun de – Den Teu­fel; Al­lah zer­ha­cke und zer­quet­sche sie!«

»Bu kylar-iz – das wer­den wir tun!«

»He, on­la­ri jir­tar-iz – ja, wir wer­den sie zer­rei­ßen!«

»Büz bütün – ganz und gar!«

Bis hier­her konn­te ich die Un­ter­hal­tung ver­neh­men, dann aber hör­te man das er­wähn­te Pfer­de­ge­trap­pel. Der Leut­nant hob den Kopf em­por.

»Bir kem­se gel-yr – man kommt!« sag­te er.

Auch der Haupt­mann lausch­te.

»Kim dir olan – wer mag das sein?« frag­te er.

»Iki at­li­lar dir­ler; onu ischar-im – es sind zwei Rei­ter; ich höre es.«

Sie er­ho­ben sich, und die Sol­da­ten ta­ten das­sel­be. Im Schein, den das Feu­er hin­aus­warf, wur­den Ha­lef und Se­lek sicht­bar. Der Haupt­mann trat ih­nen ent­ge­gen und zog sei­nen Sä­bel.

»Halt! Wer seid ihr?« rief er sie an.

Sie wa­ren so­fort von den Tür­ken um­ringt. Mein klei­ner Ha­lef be­trach­te­te die Of­fi­zie­re vom Pferd her­un­ter mit ei­ner Mie­ne, die mich er­ra­ten ließ, dass sie auf ihn den­sel­ben Ein­druck mach­ten, den sie auch auf mich her­vor­ge­bracht hat­ten.

»Wer seid ihr, habe ich ge­fragt!« wie­der­hol­te der Haupt­mann.

»Leu­te!«

»Was für Leu­te?«

»Män­ner!«

»Was für Män­ner?«

»Rei­ten­de Män­ner!«

»Scheïtan sizi jer – der Teu­fel ver­schlin­ge euch! Ant­wor­tet bes­ser, sonst er­hal­tet ihr die Bas­ton­na­de! Also, wer seid ihr?«

»Wir sind Dsche­si­di«, ant­wor­te­te jetzt Se­lek mit klein­lau­ter Stim­me.

»Dsche­si­di? Ah! Wo­her?«

»Aus Mek­ka.«

»Aus Mek­ka? Al­lah il Al­lah! Gibt es dort auch Teu­fel­s­an­be­ter?«

»Ja­ri­si jük – grad fünf­mal­hun­dert­tau­send.«

»O ka­dar – so vie­le! Al­lah ke­rihm; er lässt viel Un­kraut un­ter dem Wei­zen wach­sen! – Wo­hin wollt ihr?«

»Nach Scheik Adi.«

»Ah, sizi war-be­nim – ah, habe ich euch! Was wollt ihr dort?«

»Es wird dort ein großes Fest ge­fei­ert.«

»Ich weiß es. Ihr tanzt und singt mit dem Teu­fel und be­tet da­bei einen Hahn an, der durch das Feu­er der Dsche­hen­nah aus­ge­brü­tet wor­den ist. Steigt ab! Köle olar-siz – Ihr seid mei­ne Ge­fan­ge­nen!«

»Ge­fan­gen? Was ha­ben wir ge­tan?«

»Oghu­lar scheïtanün siz – Ihr seid Söh­ne des Teu­fels. Ihr müsst ge­prü­gelt wer­den, bis euer Va­ter von euch ge­wi­chen ist. Aschaghy at­lar­dan – her­un­ter von den Pfer­den!«

Er griff selbst zu, und die bei­den Män­ner wur­den förm­lich von den Pfer­den her­un­ter­ge­zo­gen.

»Gebt eure Waf­fen her!«

Ich wuss­te, Ha­lef wür­de das nie tun, selbst un­ter den ge­gen­wär­ti­gen Ver­hält­nis­sen nicht. Er sah su­chend nach dem Feu­er hin, und so hob ich den Kopf so weit em­por, dass er mich er­blick­te. Nun wuss­te er, dass er si­cher sein konn­te. Aus dem vie­len lei­sen Ra­scheln hin­ter mir hat­te ich be­reits er­kannt, dass die Mei­nen das La­ger voll­stän­dig um­schlos­sen hat­ten.

»Un­se­re Waf­fen?« frag­te Ha­lef. »Höre, Jüs Ba­schi, er­lau­be, dass wir dir et­was sa­gen!«

»Was?«

»Das kön­nen wir nur dir und dem Müla­sim mit­tei­len.«

»Ich mag nichts von euch er­fah­ren!«

»Es ist aber wich­tig, sehr wich­tig!«

»Was be­trifft es?«

»Höre!«

Er flüs­ter­te ihm ei­ni­ge Wor­te in das Ohr, wel­che den au­gen­blick­li­chen Er­folg hat­ten, dass der Haupt­mann einen Schritt zu­rück­trat und den Spre­cher mit ei­ner ge­wis­sen ehr­fürch­ti­gen Mie­ne mus­ter­te. Spä­ter er­fuhr ich, dass der schlaue Ha­lef ge­flüs­tert hat­te: »Eu­ren Geld­beu­tel be­trifft es!«

»Ist das wahr?« frag­te der Of­fi­zier.

»Es ist wahr!«

»Wirst du dar­über schwei­gen?«

»Wie das Grab!«

»Schwö­re es mir!«

»Wie soll ich schwö­ren?«

»Bei Al­lah und dem Bar­te des – doch nein, ihr seid ja Dsche­si­di. So schwö­re es mir beim Teu­fel, den ihr an­be­tet!«

»Nun wohl! Der Teu­fel weiß es, dass ich nach­her nichts sa­gen wer­de!«

»Aber er wird dich zer­rei­ßen, wenn du die Un­wahr­heit sagst! Komm, Müla­sim; kommt, ihr bei­den!«

Die vier Män­ner tra­ten zum Feu­er her­bei; ich konn­te je­des ih­rer Wor­te ver­neh­men.

»Nun, so rede!« ge­bot der Haupt­mann.

»Lasst uns frei! Wir wer­den dich be­zah­len.«

»Habt ihr Geld?«

»Wir ha­ben Geld.«

»Wisst ihr nicht, dass die­ses Geld be­reits mir ge­hört? Al­les, was ihr bei euch führt, ist un­ser.«

»Du wirst es nie fin­den. Wir kom­men von Mek­ka her, und wer eine sol­che Rei­se macht, der weiß sein Geld zu ver­ber­gen.«

»Ich wer­de es fin­den!«

»Du wirst es nicht fin­den, selbst wenn du uns tö­test und al­les ganz ge­nau durch­su­chen lässt. Die Teu­fel­s­an­be­ter ha­ben sehr gute Mit­tel, ihr Geld un­sicht­bar zu ma­chen.«

»Al­lah ist all­wis­send!«

»Aber du bist nicht Al­lah!«

»Ich darf euch nicht frei­las­sen.«

»Wa­rum?«

»Ihr wür­det uns ver­ra­ten.«

»Ver­ra­ten? Wie so?«

»Seht ihr nicht, dass wir hier sind, um einen Kriegs­zug zu un­ter­neh­men?«

»Wir wer­den dich nicht ver­ra­ten.«

»Aber ihr wollt nach Scheik Adi ge­hen!«

»Sol­len wir nicht?«

»Nein.«

»So sen­de uns, wo­hin es Dir be­liebt!«

»Woll­tet Ihr nach Baa­wei­za ge­hen und dort zwei Tage war­ten?«

»Wir wol­len es.«

»Wie viel wollt Ihr uns für Eure Frei­heit zah­len?«

»Wie viel ver­langst Du?«

»Fünf­zehn­tau­send Pias­ter13 für je­den.«

»Herr, wir sind sehr arme Pil­ger. So viel ha­ben wir nicht bei uns!«

»Wie viel habt Ihr?«

»Fünf­hun­dert Pias­ter kön­nen wir Dir viel­leicht ge­ben.«

»Fünf­hun­dert? Kerl, Ihr wollt uns be­trü­gen!«

»Vi­el­leicht brin­gen wir auch sechs­hun­dert zu­sam­men.«

»Ihr gebt zwölf­tau­send Pias­ter und kei­nen Para we­ni­ger. Das schwö­re ich Euch bei Mo­ham­med. Und wollt Ihr nicht, so las­se ich Euch so lan­ge prü­geln, bis Ihr sie gebt. Ihr habt ge­sagt, dass Ihr Mit­tel be­sitzt, Euer Geld un­sicht­bar zu ma­chen; Ihr habt also viel bei Euch, und ich habe das Mit­tel, Eue­re Pias­ter wie­der sicht­bar zu ma­chen!«

Ha­lef tat, als er­schre­cke er.

»Herr, tust Du es wirk­lich nicht bil­li­ger?«

»Nein.«

»So müs­sen wir es Dir ge­ben!«

»Ihr Schur­ken, jetzt sehe ich, dass Ihr viel Geld bei Euch habt! Nun wer­det Ihr nicht für zwölf­tau­send Pias­ter frei, son­dern Ihr müsst das ge­ben, was ich zu­erst ver­lang­te, näm­lich fünf­zehn­tau­send.«

»Ver­zei­he, Herr, das ist zu we­nig!«

Der Haupt­mann sah den klei­nen Had­schi Ha­lef ganz er­staunt an.

»Wie meinst Du das, Kerl?«

»Ich mei­ne, dass ein je­der von uns mehr wert ist, als fünf­zehn­tau­send Pias­ter. Er­lau­be, dass wir Dir fünf­zig­tau­send ge­ben!«

»Mensch, bist Du ver­rückt?«

»Oder hun­dert­tau­send!«

Der Bäcker­meis­ter-Jüs Ba­schi blies ganz rat­los die Ba­cken auf und blick­te dem Lieu­ten­ant in das ha­ge­re Ge­sicht:

»Müla­sim, ne sen-der – Lieu­ten­ant, was sagst Du?«

Die­ser hat­te den Mund of­fen und ge­stand frei­mü­tig:

»Hitsch, sim hitsch – nichts, ganz und gar nichts!«

»Ich auch nichts! Die­se Men­schen müs­sen un­ge­heu­er reich sein!«

Dann wand­te er sich wie­der zu Ha­lef:

»Wo habt Ihr das Geld?«

»Musst Du es wis­sen?«

»Ja.«

»Wir ha­ben einen bei uns, der für uns be­zahlt. Du kannst ihn aber nicht se­hen.«

»Al­lah bizi ko­runy-sun – Al­lah be­schüt­ze uns! Du meinst den Teu­fel!«

»Soll er kom­men?«

»Nein, nein, nie­mals! Ich bin kein Dsche­si­di, ich ver­ste­he nicht, mit ihm zu re­den! Ich wür­de tot sein vor Schreck!«

»Du wirst nicht er­schre­cken, denn die­ser Scheïtan kommt in der Ge­stalt ei­nes Men­schen. Da ist er schon!«

Ich hat­te mich hin­ter dem Bau­me er­ho­ben, und mit zwei schnel­len Schrit­ten stand ich vor den bei­den Of­fi­zie­ren. Sie fuh­ren ent­setzt aus­ein­an­der, der eine nach rechts und der an­de­re nach links. Da ih­nen aber mei­ne Ge­stalt doch nicht ganz und gar schreck­lich vor­kom­men moch­te, so blie­ben sie ste­hen und starr­ten mich wort­los an.

»Jüs Ba­schi«, re­de­te ich sie an, »ich habe al­les ge­hört, was Ihr heu­te Abend und heu­te Mor­gen ge­spro­chen habt. Ihr sag­tet, Scheik Adi sei ein bö­ses Nest!«

Ein schwe­rer Atem­zug er­scholl als ein­zi­ge Ant­wort.

»Ihr sag­tet, Al­lah möge dort die Leu­te zer­ha­cken und zer­quet­schen.«

»Oh, oh!« er­tön­te es.

»Ihr sag­tet fer­ner, Ihr woll­tet die Bö­se­wich­ter, die Bu­ben, die Un­rei­nen, die Un­ver­schäm­ten, die Hun­de nie­der­schie­ßen und große Beu­te ma­chen!«

Der Müla­sim war halb tot vor Angst, und der Jüs Ba­schi konn­te nichts als stöh­nen.

»Ihr woll­tet dann be­för­dert wer­den und Ta­bak aus Schi­ras rau­chen!«

»Er weiß al­les!« brach­te der di­cke Haupt­mann angst­voll her­vor.

»Ja, ich weiß al­les. Ich wer­de Euch be­för­dern. Weißt Du, wo­hin?«

Er schüt­tel­te den Kopf.

»Nach Scheik Adi, zu den Un­rei­nen und Un­ver­schäm­ten, die Ihr tö­ten woll­tet. Jetzt sage ich zu Euch das, was Ihr vor­hin zu die­sen bei­den Män­nern sag­tet: Köle olar-siz – Ihr seid mei­ne Ge­fan­ge­nen!«

Die Sol­da­ten konn­ten sich den Vor­gang nicht er­klä­ren; sie stan­den in ei­nem dich­ten Knäu­el bei­sam­men. Der Wink, wel­chen ich bei mei­nen letz­ten Wor­ten gab, ge­nüg­te. Die Dsche­si­di bra­chen her­vor und um­ring­ten sie. Nicht ein ein­zi­ger dach­te dar­an, Wi­der­stand zu leis­ten. Alle wa­ren ganz ver­blüfft. Die Of­fi­zie­re aber ahn­ten nun doch den wah­ren Sach­ver­halt und grif­fen in den Gür­tel.

»Halt, kei­ne Ge­gen­wehr!« er­mahn­te ich sie, in­dem ich den Re­vol­ver zog. »Wer zur Waf­fe greift, wird au­gen­blick­lich nie­der­ge­schos­sen!«

»Wer bist Du?« frag­te der Haupt­mann.

Er schwitz­te förm­lich. Der bra­ve Fall­staff dau­er­te mich ei­ni­ger­ma­ßen, und die Don Qui­xo­te-Ge­stalt ne­ben ihm gleich­falls. Um ihre Be­för­de­rung war es nun ge­sche­hen.

»Ich bin Euer Freund und wün­sche des­halb, dass Ihr nicht von den Dsche­si­di nie­der­ge­schos­sen wer­det. Gebt Eure Waf­fen ab!«

»Aber wir brau­chen sie doch!«

»Wozu?«

»Wir müs­sen da­mit die Ge­schüt­ze ver­tei­di­gen!«

Die­ser bei­spiel­lo­sen Nai­vi­tät war nicht zu wi­der­ste­hen, ich muss­te laut auf­la­chen. Dann be­ru­hig­te ich sie:

»Seid ohne Sor­gen; wir wer­den die Ka­no­nen be­hü­ten!«

Es ward zwar noch Ei­ni­ges hin und her ge­spro­chen, dann aber streck­ten sie doch die Waf­fen.

»Was wer­det Ihr mit uns tun?« frag­te jetzt der be­sorg­te Jüs Ba­schi.

»Das kommt ganz auf Euer Ver­hal­ten an. Vi­el­leicht wer­det Ihr ge­tö­tet, viel­leicht aber auch er­langt Ihr Gna­de, wenn Ihr ge­hor­sam seid.«

»Was sol­len wir tun?«

»Zu­nächst mei­ne Fra­gen der Wahr­heit ge­mäß be­ant­wor­ten.«

»Fra­ge!«

»Kom­men noch mehr Trup­pen hin­ter Euch?«

»Nein.«

»Ihr seid wirk­lich die Ein­zi­gen hier?«

»Ja.«

»So ist der Mi­ralai Omar Amed ein sehr un­fä­hi­ger Mensch. In Scheik Adi hal­ten meh­re­re tau­send Be­waff­ne­te, und hier schickt er drei­ßig Män­ner mit vier Ka­no­nen ge­gen sie. Er müss­te Euch we­nigs­tens einen Alai Emi­ni mit zwei­hun­dert Mann In­fan­te­rie als Be­de­ckung mit­ge­ben. Die­ser Mann hat ge­meint, die Dsche­si­di sei­en so leicht zu fan­gen und zu tö­ten, wie die Flie­gen. Wel­che Be­feh­le hat er Euch ge­ge­ben?«

»Wir sol­len die Ge­schüt­ze un­be­merkt bis an das Was­ser schaf­fen.«

»Und dann?«

»Und dann an dem­sel­ben auf­wärts ge­hen, bis eine hal­be Stun­de vor Scheik Adi.«

»Wei­ter!«

»Dort sol­len wir war­ten, bis er uns einen Bo­ten sen­det. Da­rauf müs­sen wir bis zum Tale vor­rücken und die Dsche­si­di mit Ku­geln, Kar­tät­schen und Gra­na­ten be­schie­ßen.«

»Das Vor­rücken ist Euch ge­stat­tet; Ihr wer­det so­gar noch wei­ter kom­men als nur bis zum Ein­gan­ge des Ta­les. Das Schie­ßen aber wer­den an­de­re über­neh­men.«

Nun, es ein­mal ge­sche­hen war, er­ga­ben sich die Tür­ken als ech­te Fa­ta­lis­ten ganz ru­hig in ihr Schick­sal. Sie muss­ten zu­sam­men­tre­ten und wur­den von den Dsche­si­di es­kor­tiert. Die Ge­schütz­stücke wa­ren auf die Maul­tie­re ge­la­den wor­den und folg­ten un­ter Be­de­ckung. Na­tür­lich mach­ten wir uns wie­der be­rit­ten, als wir bei den Pfer­den an­ka­men.

Eine hal­be Stun­de vor dem Tale von Scheik Adi ließ ich die Ka­no­nen un­ter dem Schutz von zwan­zig Mann zu­rück. Es ge­sch­ah dies um des Bo­ten wil­len, wel­cher von dem Mi­ralai er­war­tet wur­de.

Gleich an dem Ein­gan­ge zum Tale tra­fen wir auf eine be­deu­ten­de Men­schen­men­ge. Das Gerücht von un­se­rer klei­nen Ex­pe­di­ti­on hat­te sich sehr bald un­ter den Pil­gern ver­brei­tet, und man hat­te sich hier ver­sam­melt, um das Er­geb­nis so bald wie mög­lich zu ver­neh­men. In Fol­ge des­sen war auch jed­we­des Schie­ßen im Tale ein­ge­stellt wor­den, so­dass nun eine tie­fe Stil­le herrsch­te. Man woll­te die Schüs­se hö­ren, falls es zwi­schen uns und den Tür­ken zu ei­nem ernst­li­chen Kampf kom­men soll­te.

Der Ers­te, wel­cher mir ent­ge­gen­kam, war Ali Bey.

»End­lich kommst Du«, rief er sicht­lich er­leich­tert; dann setz­te er be­sorgt hin­zu: »aber ohne Ka­no­nen! Und auch Leu­te feh­len!«

»Es fehlt kein Mann, und auch kein ein­zi­ger ist ver­wun­det.«

»Wo sind sie?«

»Bei Ha­lef und Se­lek drau­ßen bei den Ge­schüt­zen, die ich zu­rück­ge­las­sen habe.«

»Wa­rum?«

»Die­ser Jüs Ba­schi hat mir er­zählt, dass der Mi­ralai an die Stel­le, an wel­cher die Ka­no­nen ste­hen, einen Bo­ten sen­den wer­de. Sie sol­len dann vor­rücken und Scheik Adi mit Voll­ku­geln, Kar­tät­schen und Gra­na­ten be­schie­ßen. Hast Du Leu­te, wel­che ein Ge­schütz zu be­die­nen ver­ste­hen?«

»Ge­nug!«

»So sen­de sie hin­aus. Sie mö­gen mit den Tür­ken die Klei­dung wech­seln, den Bo­ten ge­fan­gen neh­men und dann so­fort einen Schuss lö­sen. Dies wird für uns das si­chers­te Zei­chen sein, dass der Feind nahe ist, und die­sen selbst wird es zu ei­nem über­eil­ten An­griff ver­lei­ten. Was tust Du mit den Ge­fan­ge­nen?«

»Ich schi­cke sie fort und las­se sie be­wa­chen.«

»Im Tale Idiz?«

»Nein. Die­sen Ort darf kei­ner se­hen, der nicht ein Dsche­si­di ist. Aber es gibt eine klei­ne Schlucht, in der es mög­lich ist, die Ge­fan­ge­nen nur durch we­ni­ge Leu­te fest­zu­hal­ten. Komm!«

In sei­nem Hau­se er­war­te­te mich ein sehr reich­li­ches Nachtes­sen, wo­bei mich sei­ne Frau be­dien­te. Er selbst war nicht zu­ge­gen, denn er muss­te die Um­klei­dung der Ge­fan­ge­nen be­auf­sich­ti­gen, wel­che dann ab­ge­führt wur­den. Die­je­ni­gen, wel­che die Uni­for­men der Tür­ken er­hiel­ten, wa­ren ge­schul­te Ka­no­nie­re und rück­ten bald ab, um sich zu den Ge­schüt­zen zu be­ge­ben.

Die Ster­ne be­gan­nen be­reits zu er­blei­chen, als Ali Bey zu mir kam.

»Bist Du be­reit, auf­zu­bre­chen, Emir?«

»Wo­hin?«

»Nach dem Tale Idiz.«

»Er­lau­be, dass ich hier blei­be!«

»Du willst mit­kämp­fen?«

»Nein.«

»Dich uns nur an­schlie­ßen, um zu se­hen, ob wir tap­fer sind?«

»Ich wer­de mich Euch auch nicht an­schlie­ßen, son­dern hier in Scheik Adi blei­ben.«

»Herr, was denkst Du!«

»Ich den­ke, dass dies das Rich­ti­ge sein wird.«

»Man wird Dich tö­ten!«

»Nein. Ich ste­he un­ter dem Schutz des Groß­herrn und des Mu­tessa­rif.«

»Aber Du bist un­ser Freund; Du hast die Ar­til­le­ris­ten ge­fan­gen ge­nom­men; das wird Dir das Le­ben kos­ten!«

»Wer wird das den Tür­ken er­zäh­len? Ich blei­be hier mit Ha­lef und dem Ba­schi-Bo­zuk. So kann ich für Euch viel­leicht mehr tun, als wenn ich in Eu­ren Rei­hen kämp­fe.«

»Du magst recht ha­ben, Emir; aber wenn wir schie­ßen, kannst auch Du ver­wun­det oder viel­leicht gar ge­tö­tet wer­den!«

»Das glau­be ich nicht, denn ich wer­de mich hü­ten, mich Eu­ren Ku­geln aus­zu­set­zen.«

Da öff­ne­te sich die Tür, und ein Mann trat her­ein. Er ge­hör­te zu den Pos­ten, wel­che Ali Bey aus­ge­stellt hat­te.

»Herr«, mel­de­te er ihm, »wir ha­ben uns zu­rück­ge­zo­gen, denn die Tür­ken sind be­reits in Baa­dri. In ei­ner Stun­de sind sie hier.«

»Keh­re zu­rück und sage den Dei­nen, dass sie im­mer in der Nähe der Tür­ken blei­ben, sich aber von ih­nen nicht se­hen las­sen sol­len!«

Wir gin­gen vor das Haus. Die Frau­en und Kin­der zo­gen an uns vor­über und ver­schwan­den hin­ter dem Hei­lig­tum. Da kam ein zwei­ter Bote atem­los ge­lau­fen und mel­de­te:

»Herr, die Tür­ken ha­ben Ka­lo­ni längst ver­las­sen und mar­schie­ren durch die Wäl­der. In ei­ner Stun­de kön­nen sie hier sein.«

»Pos­tiert Euch jen­seits des ers­ten Ta­les und zieht Euch, wenn sie kom­men, zu­rück. Die Un­se­ri­gen wer­den Euch oben er­war­ten!«

Der Mann kehr­te zu­rück, und der Bey ent­fern­te sich auf ei­ni­ge Zeit. Ich stand am Hau­se und sah auf die Ge­stal­ten, die an mir vor­über­zo­gen. Als die Frau­en und Kin­der vor­bei wa­ren, schlos­sen sich ih­nen lan­ge Rei­hen von Män­nern an, zu Fuß und zu Pfer­de; aber sie ver­schwan­den nicht hin­ter dem Hei­lig­tum, son­dern er­stie­gen die nach Baa­dri und Ka­lo­ni ge­le­ge­nen Hö­hen, um den Tür­ken das Tal frei­zu­ge­ben. Es war ein ei­gen­ar­ti­ges Ge­fühl, wel­ches ich beim An­blick die­ser dunklen Ge­stal­ten emp­fand. Ein Licht nach dem an­de­ren wur­de aus­ge­bla­sen; eine Fa­ckel nach der an­de­ren er­losch, und nur das Grab­mal mit sei­nen bei­den Tür­men streck­te sei­ne flam­men­de Dop­pel­zun­ge noch im­mer zum Him­mel em­por. Ich war al­lein hier. Die An­ge­hö­ri­gen des Bey wa­ren fort; der Bu­luk Emi­ni schlief dro­ben auf der Platt­form, und Ha­lef war noch nicht zu­rück. Da aber hör­te ich den Ga­lopp ei­nes Pfer­des. Ha­lef spreng­te her­an. Als er ab­saß, er­dröhn­ten von un­ten her­auf zwei star­ke, kra­chen­de Schlä­ge.

»Was war das, Ha­lef?«

»Die Bäu­me stür­zen. Ali Bey hat be­foh­len, sie zu fäl­len, um un­ten das Tal zu schlie­ßen und die Ka­no­nen ge­gen einen An­griff der Tür­ken zu schüt­zen.«

»Das ist klug ge­han­delt! Wo sind die an­de­ren von den Zwan­zig?«

»Sie muss­ten auf Be­fehl des Beys bei den Ge­schüt­zen zu­rück­blei­ben, und er hat au­ßer­dem noch drei­ßig an­de­re Män­ner zu ih­rer Be­de­ckung be­or­dert.«

»Also zu­sam­men fünf­zig Mann. Die­se könn­ten schon einen An­griff aus­hal­ten.«

»Wo sind die Ge­fan­ge­nen?« frag­te Ha­lef.

»Be­reits fort un­ter Auf­sicht.«

»Und die­se Män­ner hier zie­hen schon zum Kampf?«

»Ja.«

»Und wir?«

»Blei­ben hier zu­rück. Ich bin be­gie­rig, die Ge­sich­ter der Tür­ken zu se­hen, wenn sie be­mer­ken, dass sie in die Fal­le ge­ra­ten sind.«

Die­ser Ge­dan­ke schi­en Ha­lef zu be­frie­di­gen, so­dass er nicht über un­ser Hier­blei­ben murr­te. Er moch­te sich auch sa­gen, dass die­ses Blei­ben wohl ge­fähr­li­cher sei, als der An­schluss an die Strei­ter.

»Wo ist Ifra?« frag­te Ha­lef noch.

»Er schläft auf der Platt­form.«

»Er ist ein Uj­ku­di­schi,14 Sih­di, und dar­um wird ihm sein Haupt­mann den Esel ge­ge­ben ha­ben, wel­cher die gan­ze Nacht hin­durch schreit. Weiß er be­reits et­was von dem, was ge­sche­hen wird?«

»Ich glau­be nicht. Er soll auch nicht wis­sen, wie weit wir da­bei be­tei­ligt wa­ren; ver­stehst Du?«

Da kam Ali Bey noch ein­mal zu­rück, um sein Pferd zu ho­len. Er mach­te mir noch al­ler­lei Vor­stel­lun­gen, wel­che aber nichts fruch­te­ten, und so war er ge­zwun­gen, mich zu ver­las­sen. Er tat dies mit dem herz­lichs­ten Wunsch, dass mir nichts Bö­ses ge­sche­hen möge, und ver­si­cher­te wie­der­holt, er wür­de alle fünf­zehn­hun­dert Tür­ken nie­der­schie­ßen las­sen, wenn ich von ih­nen ein Leid er­dul­den müss­te. Zu­letzt bat er mich, das große wei­ße Tuch, wel­ches in der Stu­be hing, auf die Platt­form des Hau­ses, wel­che er von der Höhe ganz gut über­bli­cken konn­te, zu le­gen, zum Zei­chen, dass ich mich wohl be­fin­de. Soll­te das Tuch fort­ge­nom­men wer­den, so wer­de er schlie­ßen, dass ich mich in Ge­fahr be­fin­de, und wer­de so­fort dement­spre­chend han­deln.

Nun stieg er auf und ritt da­von, der Letz­te von all den Sei­nen.