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"Durchs wilde Kurdistan" ist eine Reiseerzählung von Karl May, publiziert 1892.Karl Friedrich May (* 25. Februar 1842 in Ernstthal; † 30. März 1912 in Radebeul; eigentlich Carl Friedrich May) war ein deutscher Schriftsteller. Karl May war einer der produktivsten Autoren von Abenteuerromanen. Er ist einer der meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache und laut UNESCO einer der am häufigsten übersetzten deutschen Schriftsteller. Die weltweite Auflage seiner Werke wird auf 200 Millionen geschätzt, davon 100 Millionen in Deutschland. Bekannt wurde er vor allem durch seine sogenannten Reiseerzählungen, die vorwiegend im Orient, in den Vereinigten Staaten und im Mexiko des 19. Jahrhunderts angesiedelt sind. Besondere Berühmtheit erlangten die in drei Bänden zusammengefassten Geschichten um den Indianer Winnetou. Viele seiner Werke wurden verfilmt, für die Bühne adaptiert, zu Hörspielen verarbeitet oder als Comics umgesetzt.
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Inhaltsverzeichnis
Durchs wilde Kurdistan
Fußnoten
Karl May
Durchs wilde Kurdistan
Als wir auf der Höhe vor dem Dorfe ankamen und das Thal des Heiligen überblicken konnten, bemerkten wir ganz in der Nähe des Hauses, welches dem Bey gehörte, einen ungeheurren Haufen von Reisholz, welcher von einer Anzahl von Dschesidi immer noch vergrößert wurde. Pir Kamek stand dabei und warf von Zeit zu Zeit ein Stück Erdharz hinein.
»Das ist sein Kurban-kalabalik,« meinte Ali Bey.
»Was wird er opfern?«
»Ich weiß es nicht.«
»Vielleicht ein Thier?«
»Nur bei den Putperestler werden Thiere verbrannt.«
»Dann vielleicht Früchte?«
»Die Dschesidi verbrennen weder Thiere noch Früchte. Der Pir hat mir nicht gesagt, was er verbrennen wird, aber er ist ein großer Heiliger, und was er thut, wird keine Sünde sein.«
Noch immer ertönten von der gegenüberliegenden Höhe die Salven der ankommenden Pilger, und noch immer wurde denselben im Thale geantwortet; und doch bemerkte ich, als wir unten ankamen, daß dieses Thal kaum noch mehr Menschen zu fassen vermöge. Wir übergaben unsere Thiere und gingen nach dem Grabmale. An dem Wege, welcher zu demselben führte, lag ein Springbrunnen, der von Platten eingefaßt war. Auf einer derselben saß Mir Scheik Khan und sprach mit einer Anzahl von Pilgern, die in ehrerbietiger Haltung und Entfernung vor ihm standen.
»Dieser Brunnen ist heilig, und nur der Mir, ich und die Priester dürfen auf diesen Steinen sitzen. Zürne also nicht, wenn Du stehen mußt!« sagte Ali zu mir.
»Eure Gebräuche werde ich achten.«
Als wir uns nahten, gab der Khan den Umstehenden ein Zeichen, auf welches sie Platz machten, so daß wir zu ihm kommen konnten. Er erhob sich, kam uns einige Schritte entgegen und reichte uns die Hände.
»Willkommen bei Eurer Rückkehr! Nehmt Platz zu meiner Rechten und Linken!«
Er deutete dem Bey zur Linken, sodaß mir die rechte Seite übrig blieb. Ich setzte mich auf die geheiligten Steine, ohne daß ich bei einem der Anwesenden den geringsten Verdruß darüber bemerkt hätte. Wie sehr stach ein solches Verhalten gegen dasjenige ab, welches man bei den Muhammedanern zu beobachten hat.
»Hast Du mit dem Häuptling gesprochen?« frug der Khan.
»Ja. Es ist Alles in der besten Ordnung. Hast Du den Pilgern bereits eine Mittheilung gemacht?«
»Nein.«
»So wird es Zeit sein, daß die Leute sich versammeln. Gib den Befehl dazu!«
»Ich bin der Regent des Glaubens, und alles Andere ist Deine Sache. Ich werde Dir den Ruhm, die Gläubigen beschützt und die Feinde besiegt zu haben, niemals verkürzen.«
Auch dies war eine Bescheidenheit, welche bei den muhammedanischen Imams niemals zu finden ist. Ali Bey erhob sich und schritt von dannen. Während ich mich mit dem Khan unterhielt, bemerkte ich eine Bewegung unter den Pilgern, welche mit jeder Minute größer wurde. Die Frauen blieben an ihren Plätzen stehen, die Kinder ebenso; die Männer aber stellten sich am Bache entlang auf, und die Anführer der einzelnen Stämme, Zweige und Ortschaften bildeten einen Kreis um Ali Bey, welcher ihnen die Absichten des Mutessarif von Mossul bekannt machte. Dabei herrschte eine Ruhe, eine Ordnung, wie bei der Parade einer europäischen Truppe, ganz verschieden von dem lärmenden Durcheinander, welches man sonst bei orientalischen Kriegern zu sehen und zu hören gewohnt ist. Nach einiger Zeit, in welcher die Anführer den Ihrigen die Mittheilung und die Befehle des Bey überbracht hatten, ging die Versammlung ohne Unordnung wieder auseinander, und ein Jeder begab sich an den Platz, den er vorher inne gehabt hatte.
Ali Bey kam zu uns zurück.
»Was hast Du befohlen?« frug der Khan.
Der Gefragte streckte den Arm aus und deutete auf einen Trupp von vielleicht zwanzig Männern, die den Pfad emporstiegen, auf dem wir vorhin herabgekommen waren.
»Siehe, das sind Krieger aus Aïram, Hadschi Dsho und Schura Khan, welche diese Gegend sehr gut kennen. Sie gehen den Türken entgegen und werden uns von deren Kommen rechtzeitig benachrichtigen. Auch gegen Baadri hin habe ich Wachen stehen, so daß es ganz unmöglich ist, uns zu überraschen. Bis es Nacht wird, ist noch drei Stunden Zeit, und das genügt, um alles Überflüssige nach dem Thale Idiz zu bringen. Die Männer werden aufbrechen, und Selek wird ihnen den Weg zeigen.«
»Werden sie bei dem Beginne der heiligen Handlungen zurückgekehrt sein?«
»Ja; das ist sicher.«
»So mögen sie gehen!«
Nach einiger Zeit schritt ein sehr, sehr langer Zug von Männern, welche Thiere mit sich führten oder verschiedene Habseligkeiten trugen, an uns vorüber, wo sie, immer Einer hinter dem Andern, hinter dem Grabmale verschwanden. Dann kamen sie über demselben auf einem Felsenpfade wieder zum Vorschein, und man konnte von unserem Sitze aus ihren Weg verfolgen, bis derselbe oben in den hohen, dichten Wald verlief.
Jetzt mußte ich mit Ali Bey gehen, um das Mahl einzunehmen. Nach demselben trat der Baschi-Bozuk zu mir.
»Herr, ich muß Dir etwas sagen!«
»Was?«
»Uns droht eine große Gefahr!«
»Ah! Welche?«
»Ich weiß es nicht; aber diese Teufelsmänner haben mich seit einer halben Stunde mit Augen angesehen, welche ganz fürchterlich sind. Es sieht grad so aus, als ob sie mich tödten wollten!«
Da der Buluk Emini seine Uniform trug, so konnte ich mir das Verhalten der von den Türken bedrohten Dschesidi sehr leicht erklären; doch war ich vollständig überzeugt, daß ihm nichts geschehen werde.
»Das ist schlimm!« meinte ich. »Wenn sie Dich tödten, wer wird dann den Schwanz Deines Esels bedienen?«
»Herr, sie werden den Esel auch mit erstechen! Hast Du nicht gesehen, daß sie die meisten Büffel und Schafe, die vorhanden sind, bereits getödtet haben?«
»Dein Esel ist sicher, und Du bist es auch. Ihr gehört zusammen, und man wird Euch nicht auseinander reißen.«
»Versprichst Du mir dies?«
»Ich verspreche es Dir!«
»Aber ich hatte Angst, als Du vorhin abwesend warst. Gehst Du wieder fort von hier?«
»Ich werde bleiben; aber ich befehle Dir, stets hier im Hause zu sein und Dich nicht unter die Dschesidi zu mischen, sonst ist es mir unmöglich, Dich zu beschützen!«
Er ging, halb und halb getröstet, von dannen, der Held, den der Mutessarif mir zu meinem Schutze mitgegeben hatte. Aber es kam auch noch von einer andern Seite eine Warnung: Halef suchte mich auf.
»Sihdi, weißt Du, daß es Krieg geben wird?«
»Krieg? Zwischen wem?«
»Zwischen den Osmanly und den Teufelsleuten.«
»Wer sagte es?«
»Niemand.«
»Niemand? Du hast doch wohl gehört, was wir heute früh in Baadri bereits davon gesprochen haben?«
»Nichts habe ich gehört, denn Ihr spracht türkisch, und diese Leute sprechen diese Sprache so aus, daß ich sie nicht verstehen kann. Aber ich sah, daß es eine große Versammlung gab und daß nach derselben alle Männer die Waffen untersuchten. Nachher haben sie ihre Thiere und Güter fortgeschafft, und als ich zu Scheik Mohammed hinauf auf die Plattform kam, war er beschäftigt, die alte Ladung aus seinen Pistolen zu nehmen, um sie gegen eine neue zu vertauschen. Sind dies nicht genug Zeichen, daß man eine Gefahr erwartet?«
»Du hast recht, Halef. Morgen früh beim Anbruch des Tages werden die Türken von Baadri und auch von Kaloni her über die Dschesidi herfallen.«
»Und das wissen die Dschesidi?«
»Ja.«
»Wie hoch zählen die Türken?«
»Fünfzehnhundert Mann.«
»Es werden Viele von ihnen fallen, da ihr Plan verrathen ist. Wem wirst Du helfen, Sihdi, den Türken oder den Dschesidi?«
»Ich werde gar nicht kämpfen.«
»Nicht?« erwiderte er getäuscht. »Darf ich nicht?«
»Wem willst Du helfen?«
»Den Dschesidi.«
»Ihnen, Halef? Ihnen, von denen Du glaubtest, daß sie Dich um das Paradies bringen würden?«
»O Sihdi, ich kannte sie nicht; jetzt aber liebe ich sie.«
»Aber es sind Ungläubige!«
»Hast Du selbst nicht stets Jenen geholfen, welche gut waren, ohne sie zu fragen, ob sie an Allah oder an einen andern Gott glauben?«
Mein wackerer Halef hatte mich zum Moslem machen wollen, und jetzt sah ich zu meiner großen Freude, daß er sein Herz für ein ganz und gar christliches Gefühl geöffnet hatte. Ich antwortete ihm:
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