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Dürfen Lehrer ihre Meinung sagen? E-Book

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Beschreibung

Dürfen Lehrer ihre Meinung sagen? Inwieweit sind sie im Unterricht zu (partei-)politischer Neutralität verpflichtet? Wie sollen sie im Unterricht mit kontroversen und polarisierenden Themen, z.B. Migration, Klimawandel, COVID- 19 Pandemie etc. umgehen? Wie sollen sie sich zu extremistischen, illiberalen und antidemokratischen Äußerungen von Schülern verhalten? Diese Fragen sind nicht allein von akademischer Relevanz. Die Kontroverse über den angemessenen pädagogischen Umgang mit kontroversen Themen ist in den letzen Jahren wieder zu einem gesellschaftlich brisanten Topos der Auseinandersetzung geworden. Der Band beschäftigt sich mit der pädagogischen Kontroverse über Kontroversitätsgebote und den Folgerungen, die sich daraus für die Praxis des Unterrichtens in unterschiedlichen Fächern ziehen lassen.

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Die Herausgeber

Dr. Johannes Drerup ist Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft und Betriebspädagogik (IAEB) an der TU Dotmund.

Dr. Miguel Zulaica y Mugica ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft und Betriebspädagogik (IAEB) an der TU Dortmund.

Dr. Douglas Yacek ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft und Betriebspädagogik (IAEB) an der TU Dortmund

Johannes Drerup, Miguel Zulaica y Mugica, Douglas Yacek (Hrsg.)

Dürfen Lehrer ihre Meinung sagen?

Demokratische Bildung und die Kontroverse über Kontroversitätsgebote

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendungaußerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmunge und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-039882-5

E-Book-Formate:

pdf:           ISBN 978-3-17-039883-2

epub:        ISBN 978-3-17-039884-9

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

Dürfen Lehrer ihre Meinung sagen? Einleitung

Douglas Yacek, Johannes Drerup & Miguel Zulaica y Mugica

Literatur

I    Kontroversen über Kontroversitätsgebote: Theoretische Grundlagen

Vermitteln und Mitteilen: Die Meinung der Lehrperson in der Diskussion kontroverser Themen

Johannes Giesinger

1   Einleitung

2   Vermitteln

3   Mitteilen und Vermitteln

4   Mitteilen und Diskutieren

5   Sich eine eigene Meinung bilden

6   Zum Schluss

Literatur

Das Kontroversitätsgebot schulischen Unterrichts. Ein erziehungs- und bildungstheoretisch fundierter Interpretationsvorschlag

Thomas Rucker

Einleitung

1   Ein pädagogischer Blick

2   Erziehender Unterricht mit Bildungsanspruch

3   Das Kontroversitätsgebot

Literatur

Wissen – Glauben – Kontroversität. Die Bedeutung eines Bewusstseins der Fallibilität als kommunikative Voraussetzung

Miguel Zulaica y Mugica

Einleitung

1   Der Begriff der Kontroversität und der Beutelsbacher Konsens

2   Kontroversität und die Grenzen des »Begründungspotenzials« aus differenten theoretischen Perspektiven

3   Der Fallibilismus und das epistemische Kriterium zwischen Überforderung und Szientismus

4   Abschließende Betrachtung

Literatur

Kontroversität anders denken. Die Bedeutung von Streit für eine demokratische Erziehung

Ole Hilbrich

Einleitung

1   Die englischsprachige Kontroverse über Kontroversitätsgebote

2   Kontroversität und Demokratie

3   Demokratischer Unterricht als agonale und umstrittene Praxis

4   Fazit

Literatur

II   Kontroversen über Kontroversitätsgebote: Fach- und domänenspezifische Perspektiven

Kontroversität und Positionalität im konfessionellen Religionsunterricht. Religionspädagogische Perspektiven auf den Beutelsbacher Konsens

Jan-Hendrik Herbst

Einleitung

1   Der Religionsunterricht als ein typisches Fallbeispiel? Religionspädagogische Rezeptionsmöglichkeiten des Beutelsbacher Konsenses

2   Gibt es eine positionierte Kontroversität? Der Religionsunterricht als exklusive Ausnahme

3   Fazit und Ausblick: Dürfen Religionslehrer*innen ihre Meinung sagen?

Literatur

Handlungsspielräume jenseits philosophischer Überwältigung und Beliebigkeit: Gruppendiskussionen mit Lehrkräften zur Bedeutung und Legitimität von Positionierungen im Philosophieunterricht

Anne Burkard

1   Datengrundlage, methodisches Vorgehen und Erkenntnisinteresse der Studie

2   Jenseits philosophischer Überwältigung und Beliebigkeit: zentrale Themen der Gruppendiskussionen

3   Fazit und Ausblick

Literatur

Dürfen Lehrer ihre Meinung sagen?

Jörn Rüsen

1   Worum geht es?

2   Die Rolle von Werturteilen im historischen Denken

3   Die Rolle von Werturteilen im Lehren und Lernen von Geschichte

4   Das Gebot der Multiperspektivität und seine Grenzen

5   Die Logik der Leitkultur

6   Geschichtsdidaktische Konsequenzen

7   Wie die Lehrer ihre Meinung sagen sollten

Literatur

Wehrhaft statt neutral – Kann sich die politische Bildung mit einem Leitbild aus den 1950er-Jahren im 21. Jahrhundert profilieren?

Benedikt Widmaier

1   Wehrhafte politische Bildung und Neutralität – Zur Einführung

2   Wehrhafte Demokratie – der Kern des Grundgesetzes

3   Erzieherischer Verfassungsschutz in einer wehrhaften Demokratie

4   Die fdGO als Leitbegriff einer wehrhaften Demokratie

5   Weder neutral noch wehrhaft!

Literatur

Das Offenlegen politischer Ansichten der Lehrperson: theoretische Rahmungen und empirische Befunde

Dorothee Gronostay

1   Parteinahme und Parteilichkeit: Lehramt als politische Profession

2   Empirische Befunde

3   Die Frage der Offenlegung politischer Ansichten: Aspekte der professionellen Abwägung

4   Fazit

Literatur

Vom Nutzen und Nachteil der Kontroversität für das tägliche Leben (als Politiklehrkraft) – ein Essay

Thomas Goll

Einleitung

1   Kann Kontroversität Schaden anrichten?

2   Zur Notwendigkeit reflektierter Kontroversität im politikdidaktischen Denken von Lehrkräften

3   Kontroversität im Kontext der politikdidaktischen Unterrichtsplanung

4   Kontroversität à la Beutelsbach – Lehr- und Leerstellen des 2. Konsenssatzes

5   Fazit – Vom Nutzen und Nachteil der Kontroversität für das tägliche Leben (als Politiklehrkraft)

Literatur

III Aktuelle Themen, Problemvorgaben und Herausforderungen

Wider den Missbrauch von Beutelsbach – Einwände aus historischer Perspektive und pragmatische Lösungen für den Geschichts- und Politikunterricht

Christina Brüning

Einleitung

1   Historische Einordnung

2   Pragmatische Überlegungen

3   Fazit und Ausblick

Literatur

Wie sollten Lehrende mit Fake News und Verschwörungstheorien im Unterricht umgehen?

David Lanius

1   Einführung

2   Eine kleine Erkenntnistheorie der Fake News und Verschwörungstheorien

3   Mit Fake News und Verschwörungstheorien umgehen

Literatur

Bedingte Autonomie, nicht Neutralität – »Neutrale Schulen Hamburg« (AfD) und ihre Kritik

Christoph Haker und Lukas Otterspeer

Hinführung

1   »Informationsportal Neutrale Schulen Hamburg«

2   Neutralität

3   Kritik der Neutralität

4   Bedingte Autonomie

5   Fazit

Literatur

Dürfen Schüler*innen überwältigt werden, die Welt zu retten? Kontroverse Aspekte einer ›Nachhaltigkeitsdidaktik‹

Subin Nijhawan

Einleitung

1   Welcome to the 21st century

2   Zeitreise durch die Präliminarien des Beutelsbacher Konsenses

3   Sind Lehrkräfte verpflichtet, die Lernenden zum Handeln zu überwältigen?

4   Fazit

Literatur

Die Autorinnen und Autoren

Dürfen Lehrer ihre Meinung sagen? Einleitung

Johannes Drerup, Miguel Zulaica y Mugica & Douglas Yacek

Dürfen Lehrer_innen ihre Meinung sagen?1 Inwieweit sind sie im Unterricht zu (partei-)politischer Neutralität verpflichtet? Wie sollen sie im Unterricht mit kontroversen und polarisierenden Themen, z. B. Migration, Klimawandel, COVID-19 Pandemie, umgehen? Wie sollen sie sich zu extremistischen, illiberalen und antidemokratischen Äußerungen von Schüler_innen verhalten? Und wie sollen sie als Vertreter_innen der Demokratie mit der Aussage umgehen, das Dritte Reich sei nur ein ›Vogelschiss‹ in der deutschen Geschichte? Wie lässt sich eine angemessene und zivilisierte Streitkultur in und außerhalb von öffentlichen Schulen kultivieren und wie könnte diese aussehen?

Diese Fragen zeigen bereits an, dass die Kontroversen über den angemessenen pädagogischen Umgang mit kontroversen Themen nicht nur von akademischer Relevanz sind, sondern in den letzten Jahren zunehmend wieder zu einem gesellschaftspolitisch brisanten Thema geworden sind. So wird im Zuge des Erfolgs rechtspopulistischer Parteien in der öffentlichen Debatte vermehrt über die ›Neutralität‹ von Lehrer_innen und über Indoktrinationsvorwürfe diskutiert, und es wird auch öffentlich politischer Druck auf Lehrkräfte ausgeübt, denen politische Parteilichkeit vorgeworfen wird (etwa Dienstaufsichtsbeschwerden der AfD in Hamburg, die Einrichtung von Online-Portalen zur Meldung AfD-kritischer Lehrer_innen sowie auch die kürzlich wieder entbrannte Diskussion über Berufsverbote für Lehrer_innen). Zugleich haben ideologiepolitisch beladene Themen wie ›safe spaces‹, ›cancel culture‹, ›political correctness‹, Redefreiheit in Schulen und Hochschulen und Entwicklungen in der polarisierenden und polarisierten digitalen Öffentlichkeit Dauerkonjunktur in Debatten, in denen die Grundlagen und Grenzen einer demokratischen Streitkultur verhandelt werden. Gestritten wird nicht nur über konkrete Inhalte, sondern auch über die Art und Weise, wie gestritten werden sollte, über metakommunikative Vorgaben für die Gestaltung von Kontroversen und für den Umgang mit Dissens (vgl. Pörksen & Schulz von Thun 2021), aber auch über die Frage, warum überhaupt in und außerhalb von Schulen über kontroverse Themen diskutiert werden sollte (vgl. Geuss 2019; Talisse 2019; Drerup 2021). Diese Debatten beschränken sich nicht auf pädagogische (vgl. etwa analoge Debatten in der Politik und im Sport) und nationale Kontexte (Deutschland, Europa oder die USA, vgl. Costa 2020) und haben – so der Tenor in Wissenschaft und Öffentlichkeit – zu einigen Verunsicherungen bei Lehrer_innen mit Bezug auf die Frage geführt, wie sinnvoller- und legitimerweise mit kontroversen Positionen umzugehen ist bzw. welche Positionen überhaupt als kontrovers zu gelten haben.

In der deutschsprachigen Debatte werden solche Problemvorgaben üblicherweise mit Rekurs auf den ›Beutelsbacher Konsens‹ und vor allem auf das Kontroversitätsgebot diskutiert. Der Beutelsbacher Konsens umfasst drei Prinzipien, die als »Kern der Berufsethik von Pädagogen in demokratischen Gesellschaften« (Grammes 2014, S. 266) gelten. Die drei Prinzipien – das Überwältigungsverbot (häufig auch Indoktrinationsverbot), das Kontroversitätsgebot und das Prinzip der Schülerorientierung – lauten in leicht gekürzter Form wie folgt:

1.  Überwältigungsverbot: »Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbständigen Urteils zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der – rundum akzeptierten – Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers.«

2.  Kontroversitätsgebot: »Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten. Zu fragen ist, ob der Lehrer nicht sogar eine Korrekturfunktion haben sollte, d. h. ob er nicht solche Standpunkte und Alternativen besonders herausarbeiten muss, die den Schülern (und anderen Teilnehmern politischer Bildungsveranstaltungen) von ihrer jeweiligen politischen und sozialen Herkunft her fremd sind. Bei der Konstatierung dieses zweiten Grundprinzips wird deutlich, warum der persönliche Standpunkt des Lehrers, seine wissenschaftstheoretische Herkunft und seine politische Meinung verhältnismäßig uninteressant werden.«

3.  Prinzip der Schülerorientierung: »Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen. Eine solche Zielsetzung schließt in sehr starkem Maße die Betonung operationaler Fähigkeiten ein, was eine logische Konsequenz aus den beiden vorgenannten Prinzipien ist« (Wehling 1977, S. 179f.; Hervorhebung im Original).

Was jedoch aus diesen drei Prinzipien jeweils genau folgt, wie sie aufeinander bezogen, gewichtet und auf konkrete Erziehungs- und Bildungsziele theoretisch und praktisch abgestimmt werden sollen, und insbesondere wie das Kontroversitätsgebot genau verstanden und umgesetzt werden könnte, bleibt selbst Gegenstand anhaltender nationaler und internationaler Kontroversen (vgl. Yacek 2018; Drerup & Yacek 2020; Zulaica y Mugica 2019; Drerup 2021), in denen zugleich epistemologische, methodologische, ethisch-politische sowie curriculare und unterrichtspraktische Fragen verhandelt werden. Insbesondere in der Debatte in der angelsächsischen Philosophy of Education wurden unterschiedliche Kriterien der Kontroversität vorgeschlagen, die beanspruchen, kontroverse Themen (die mit offenem Ausgang und mit Bezug auf eine Pluralität von grundsätzlich angemessenen und legitimen Positionen zu unterrichten und zu diskutieren sind) von solchen Themen unterscheiden zu können, die nicht als kontrovers gelten können. Auf Basis eines sozialen Kriteriums sollten z. B. alle in Öffentlichkeit und Politik kontrovers diskutierten Themen auch im Unterricht kontrovers diskutiert werden. Verteidiger epistemischer Kriterien wenden dagegen ein, dass dies nur für hinreichend rational und empirisch begründete Positionen gelten dürfe.

Die Fragen nach einer angemessenen Bestimmung von Kontroversität und ihren Grenzen sind – analog zu gängigen Aufgabenbeschreibungen von Demokratieerziehung und demokratischer Bildung – eine fächerübergreifende Herausforderung, die sich in und außerhalb von Schulen auf je unterschiedliche Art und Weisen stellen. Kontroversen über politisch relevante Fragen und Themen – ob pädagogisch organisiert und intendiert oder nicht – können in allen Schulfächern – in naturwissenschaftlichen Fächern nicht weniger als in gesellschaftswissenschaftlichen Fächern, wie Geschichte, Wirtschaft und Sozialwissenschaften – und selbstverständlich auch außerhalb der Schule aufkommen.

Im Rahmen des Bandes wird der Komplexität der Problemvorgaben rund um das Thema Kontroversität dadurch Rechnung getragen, dass nicht nur die gängigen Kriterien, die in der Debatte zur Differenzierung zwischen kontroversen und nicht kontroversen Themen vorgeschlagen wurden, auf den Prüfstand gestellt werden (z. B. soziale, politische und epistemische Kriterien), sondern auch weitergehende Probleme diskutiert werden, die die Theorie, die Empirie und die Praxis des Umgangs mit kontroversen Themen im Unterricht betreffen. Zur Debatte stehen z. B. grundlegende theoretische Fragen nach dem Status und der Orientierungskapazität allgemeiner Kriterien, ihrem Zusammenhang und ihrer Abwägung und damit verbundene methodologische Kontroversen über das Verhältnis von systematischen, normativen Ansätzen und theoriegeleiteter empirischer Forschung, über den Geltungsbereich und über Anwendungsprobleme tradierter Kriterien auch jenseits des Politikunterrichts in anderen Fächern und Bereichen und über Hindernisse, mit denen auf Förderung von Kontroversen ausgerichtete, dialogorientierte Formate von Demokratieerziehung und demokratischer Bildung konfrontiert sind.

Das übergreifende Ziel des Bandes ist es, Vertreter_innen unterschiedlicher Disziplinen und Fächer zusammenzubringen, um diese und ähnliche – kontroverse – Fragen zur Kontroverse über Kontroversitätsgebote zu diskutieren und zu klären. Der Band ist in drei Hauptteile gegliedert. Im ersten Teil werden zunächst theoretische Grundlagen der Kontroverse über Kontroversitätsgebote diskutiert. Im zweiten Teil folgt eine Analyse von fach- und domänenspezifischen Problemen im Umgang mit Kontroversität in pädagogischen Kontexten. Der dritte Teil bietet eine Auseinandersetzung mit aktuellen Themen, Problemvorgaben und Herausforderungen im Umgang mit Kontroversität.

Johannes Giesinger eröffnet mit seinem Beitrag den ersten Teil des Bandes und die Diskussion über den angemessenen Umgang mit kontroversen Themen im Unterricht. Auf Basis pädagogischer Überlegungen zur Differenz von Vermittlung, Mitteilung und Diskussion analysiert er Kriterien und Gründe für die Legitimität von Meinungsäußerungen von Lehrkräften. Im Rahmen seiner Analyse argumentiert er für eine differenzierte Position, in der professionelles Handeln und didaktische Zielvorstellungen die Grundlagen für begründete Entscheidungen der Lehrkraft bilden sollten.

Thomas Rucker diskutiert die Frage nach dem angemessenen Umgang mit Kontroversität im Unterricht aus einer dezidiert erziehungs- und bildungstheoretischen Perspektive. Schule und Unterricht treten hier in ihrer erziehenden Dimension hervor, die er als eine »Form des Miteinanderumgehens« in der Vermittlung von und Hinführung in die Kultur begreift. Er geht davon aus, dass Kontroversität überhaupt erst aufgrund des Bildungsanspruchs eines erziehenden Unterrichts für pädagogische Reflexion bedeutsam ist. Mit dem bildungstheoretisch begründeten Ziel – der Befähigung zu einer selbstbestimmten Lebensführung – verbindet er eine nichtaffirmative Erziehung, die Schüler_innen zum selbstständigen Werten und Urteilen befähigen soll. Rucker argumentiert, dass Entscheidungen über die Auswahl und Thematisierung von Kontroversen auf Basis eines demokratischen Freiheitsverständnisses und des jeweils aktuellen Stands des Wissens begründet werden sollen.

Die Frage, wie mit Kontroversität im schulischen Kontext umgegangen werden sollte, wird von Miguel Zulaica y Mugica vor dem Hintergrund der Wissenschaftsorientierung der Schule als bildungspolitische Entscheidung betrachtet. Er verteidigt die These, dass Fallibilität – verstanden als ein Bewusstsein der Fehlbarkeit im Rahmen eines reflektierten Wahrheitsverständnis – Bedingung für eine kommunikative Begegnung im Kontext von Kontroversen ist. Auf der Grundlage dieser These argumentiert Zulaica y Mugica für das bildungstheoretische Ziel eines nicht-naiven Wissenschaftsverständnisses, das auf die Ermöglichung von Urteilsfähigkeit in einer wissenschaftsdominierten Gesellschaft abzielt.

Der Beitrag von Ole Hilbrich eröffnet eine sozialtheoretische Perspektive auf das Thema Kontroversität im Unterricht in Form der Ausgestaltung einer demokratischen Streitkultur. Ausgangspunkt seiner Argumentation ist eine Kritik an der »Pseudoklarheit« der Diskussion über Kriterien der Kontroversität. Im Widerspruch zu dem liberalen Rationalismus, den Hilbrich diesem Diskurs attestiert, und zu einem instrumentellen Unterrichtsverständnis propagiert er eine radikaldemokratische Theorieperspektive. Ausgehend von Arendt und Rancière entfaltet er ein alternatives Interpretationsangebot der Kontroversität und des demokratischen Streits als agonales Geschehen, in dem emanzipatorisch die »Grundlosigkeit der herrschenden Ordnung demonstriert« werden könne. Hilbrich überführt diese Überlegungen in ein sozialtheoretisches Unterrichtsverständnis, in welchem Schüler_innen als den Unterricht mitbestimmende Subjekte anerkannt werden.

Der zweite Teil wird durch eine religionspädagogische Ausdeutung des Beutelsbacher Konsenses und des Kontroversitätsgebots von Jan Hendrik Herbst eingeleitet. Ausgehend von der Prämisse, dass der Religionsunterricht in die politische Bildung involviert sei, konstatiert Herbst einen politikdidaktischen Orientierungsbedarf und plädiert daher dafür, sich mit dem Beutelsbacher Konsens kritisch auseinanderzusetzen. In seinem Beitrag entwickelt er den Vorschlag einer »positionierten Kontroversität«, die auf einen multiperspektivischen Umgang mit kontroversen Themen im Religionsunterricht ausgerichtet ist und den Lehrkräften zugleich erlaubt, sich im Sinne der christlichen Ethik und der entsprechenden Gerechtigkeitskonzeptionen zu positionieren.

Anne Burkard widmet sich in ihrem Beitrag der philosophiedidaktischen Bedeutung von Neutralität und der Problematik von Neutralitätsforderungen im Zusammenhang mit nicht erstrebenswerten naiv-skeptischen und -relativistischen Einstellungen von Schüler_innen. Sie fokussiert nicht den naiven Skeptizismus als solchen, sondern die professionsethische Diskussion der Position der Lehrkräfte im Philosophieunterricht. So werde eine diskursive Dichotomie zwischen neutraler Repräsentation – »teaching the debate« – und positionierender Diskussion – »engaging the debate« – aufgespannt. Burkards Ansatz besteht darin, Handlungsspielräume jenseits dieser Extrempositionen im Kontext einer qualitativen Studie nachzuzeichnen, in der sie Ergebnisse aus Gruppendiskussionen mit Philosophie- und Ethiklehrkräften vorstellt. Auf dieser Basis rekonstruiert sie erfahrungsgestützte Hinweise für den professionellen Umgang mit Kontroversität, um reflexive Bezugnahmen auf das Thema der Neutralität und Kontroversität im Lehramtstudium und Referendariat zu ermöglichen.

Das Spannungsverhältnis von Neutralitätsforderungen, Werturteilen und der narrativen Struktur historischen Denkens ist Gegenstand des Betrags von Jörn Rüsen. In seiner Argumentation tritt er von der Frage, ob Lehrkräfte im Geschichtsunterricht ihre Meinung sagen dürfen, zunächst zurück und wendet sich einer theoretischen Bestimmung geschichtlichen Wissens und seiner Vermittlung zu. Konfrontiert mit dem Sachverhalt, dass Geschichtsschreibung vergangenen Geschehnissen Sinn zuschreibt, geht Rüsen der Verwicklung dieses Wissens mit Werturteilen in Auswahl, Präsentation und Erzählform nach. Die Multiperspektivität als Prinzip des Unterrichts und die Idee einer Autonomie der historischen Urteilsbildung von Schüler_innen seien pädagogische Antworten auf die wertbedingte Struktur geschichtlichen Wissens. Problematisch werde die Multiperspektivität dem Autor zur Folge aber dann, wenn diese mit ethnozentrischen Deutungsmustern konfrontiert werde, die antipluralistisch sind. Ausgehend von diesem Problemaufriss entwickelt Rüsen die Idee einer pluralistischen und auf dem Gedanken der Menschwürde basierenden »Leitkultur«, in der Geschichtsschreibung sich durch Diskursfähigkeit, qualitative Begründungskriterien und Selbstreflexivität auszeichnen müsse. Rüsen argumentiert so für eine Verlagerung der Frage vom Was auf das Wie des Erzählens in seinen geschichtspädagogischen Überlegungen.

Benedikt Widmaier beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der historischen Genese und kontemporären gesellschaftspolitischen Rolle des Leitbilds einer wehrhaften Demokratie. Ausgehend von einer historischen Rekonstruktion der Idee einer wehrhaften oder auch streitbaren Demokratie in den 1950er-Jahren entwickelt er eine Kritik der politischen und pädagogischen Funktion und Nutzung dieses Leitbilds, welches sich – so seine Argumentation – als latent anachronistische Orientierungsvorgabe nicht mehr als Grundlage für eine zeitgemäße politische Bildung eigne.

Dorothee Gronostays Beitrag analysiert theoretische Rahmungen und empirische Befunde zur Frage der Offenlegung politischer Ansichten von Lehrpersonen. Dabei wird die Offenlegungsfrage als professionelle und berufsethische Entscheidung von praktizierenden Lehrkräften verstanden, die Abwägungen erforderlich macht. In ihrem Beitrag diskutiert sie diese Frage ausgehend von einschlägigen empirischen Befunden, professionsethischen Überlegungen zum Lehramt als politischem Beruf und der hierfür zentralen Unterscheidung zwischen Parteinahme und Parteilichkeit.

Ausgangspunkt des Beitrags von Thomas Goll ist die inhaltliche Unterbestimmtheit und geringe Ergiebigkeit des Kontroversitätsgebots in der Beutelsbacher Version für fachdidaktische Fragestellungen. Dies Gebot könne – unprofessionell angewandt – problematische Einstellungen der Ratlosigkeit bis hin zur Politikverdrossenheit bei Schüler_innen hervorbringen, wenn etwa im Politikunterricht Positionen beliebig nebeneinander aufgereiht werden und ohne sachlichmethodische Behandlung bleiben. Gleichwohl verteidigt Goll die Ansicht, dass Kontroversität einen Beitrag zu einem gelingenden und guten Politikunterricht leisten kann, wenn dieses Gebot als ein diskursives Legimitationsprinzip reformuliert wird, das an einem fachdidaktischen Kriterium orientiert ist. Mit der Rückbindung an das fachdidaktische Kriterium sollen Entscheidungen über im Unterricht behandelte Positionen und Kontroversen der professionellen fachdidaktischen Expertise der Lehrkräfte zugewiesen werden, die ihren Unterricht wissenschaftsorientiert gestalten und die Bildung politischer Mündigkeit fördern müssen.

Im folgenden dritten Teil geht Christina Brüning aus von einer im schulischen und universitären Betrieb wahrnehmbaren Verunsicherung bezüglich der Akzeptabilität von Äußerungen und Kontroversen bei Schüler_innen, Studierenden und Lehrkräften als Folge eines Rechtsrucks der politischen und medialen Landschaft seit 2010. In ihrem Beitrag führt sie diese Verunsicherungen auf eine Fehldeutung und einen Missbrauch des Beutelsbacher Konsenses zurück, der als rechtliche Grundlage insbesondere von der AfD fehlinterpretiert werde, um Einfluss auf die unterrichtlichen Inhalte zu gewinnen. Diese Strategie sei deswegen erfolgreich, weil die historische Genese des Beutelsbacher Konsenses und dessen demokratische Orientierung selbst bei Fachkräften oftmals unbekannt sind. Mit Hilfe einer historischen Kontextualisierung des Konsenses weist sie auf die demokratische und menschenrechtliche Fundierung der historisch-politischen Bildung in der Schule hin, die in einer Demokratie nicht wertneutral sein könne. Zur pädagogisch-praktischen Orientierung erläutert sie Argumentations- und Handlungsoptionen im Umgang mit rechtsextremistischen, menschen- und wissenschaftsfeindlichen Aussagen anhand von Beispielen aus dem Geschichtsunterricht und aktuellen politischen Konflikten.

Für eine Didaktik des kritischen Denkens spricht sich David Lanius in seiner wissenschaftstheoretisch gestützten Beschäftigung mit Fake News, Verschwörungstheorien und Verschwörungsmythen aus. Mit einer Relationierung dieser Begriffe hinsichtlich der Fragen von Wahrheit vs. Lüge, Wahrhaftigkeit vs. Täuschungsversuch oder der Negation jedes Wahrheitsanspruchs – Bullshit – arbeitet er Kriterien für begriffliche Unterscheidungen heraus und entwickelt einen Rahmen für pädagogische Überlegungen zur Vermittlung von epistemischen und demokratischen Argumentationskompetenzen. Er konstatiert einen Zusammenhang zwischen der Komplexität des Wissens- und Wahrheitsbegriffs und der Wirkmächtigkeit und Gefährlichkeit von Fake News und Verschwörungstheorien und skizziert Vorschläge für die Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen Entwicklungen. Der weitestgehende Vorschlag von Lanius ist die Einführung eines eigenständigen Unterrichtsfachs für Kritisches Denken, in dem neben wissenschaftstheoretischen Begriffen und Einsichten, metakognitiven Kompetenzen und Medienkritikfähigkeit auch demokratische Handlungskompetenz gefördert werden sollten.

Ausgehend von schulpädagogischen und bildungstheoretischen Argumentationen zum Neutralitätsgebot kritisieren Christoph Haker und Lukas Otterspeer Forderungen der AfD nach einer »Neutralen Schule«. Die Meldeportale der AfD werden von den Autoren als Einschränkungen der Autonomie der Schule und des Unterrichts kritisiert, die Verunsicherungen schüren und Bildungsprozesse behindern sollen. Auf der Basis eines sozialtheoretischen Unterrichtsverständnisses kritisieren die Autoren Forderungen nach Unabhängigkeit und Distanziertheit, weil diese eine »teilnahmslose Haltung« der Lehrkräfte propagieren. Für eine demokratische Gesellschaft und eine entsprechende Streitkultur bedarf es aus ihrer Sicht einer »engagierten, subjektiven, parteiischen und involvierten« Lehrer_innenpersönlichkeit, die ihre Meinung sagen soll. Dem Problem der Überwältigung begegnen sie mit einer auf Foucaults Machttheorie rekurrierenden »Orientierungskategorie« der »bedingten Autonomie«, mit der sie die Bedingungen des Wie der Positionierung seitens der Lehrkraft formulieren. Sie sprechen sich dafür aus, Interaktionen im Unterricht als »Machtspiele« zu interpretieren, zur Selbstreflexion aufzufordern, Schüler_innen immer schon Autonomie zuzusprechen und ihnen so Gelegenheiten zu bieten, Formen der Wissensvermittlung zu hinterfragen und sich selbst zu positionieren.

Subin Nijhawan setzt sich in seinem provokant gehaltenen Essay mit der Frage auseinander, ob und inwieweit es sich um eine zu beanstandende Überwältigung im Sinne des Beutelsbacher Konsenses handelt, wenn Jugendliche angesichts unbestreitbarer globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel aufgefordert werden, sich in aktiver politischer Absicht zu engagieren. Er diskutiert die damit verbundenen Fragen nach der angemessenen und legitimen Rolle von Lehrkräften ausgehend von der Vorstellung des Projekts The Blue Planet und im Rahmen einer Konzeption von Bildung für nachhaltige Entwicklung, um so neue Perspektiven auf den Beutelsbacher Konsens zu eröffnen.

Herzlich danken möchten wir Tim Isenberg für seine Hilfe bei der Erstellung des Manuskripts.

 

Literatur

Costa, S. (2020): Politische Bildung nach dem Rechtsruck in Brasilien. Aus Politik und Zeitgeschichte, 70 (14-15), 41–45.

Drerup, J. & Yacek, D. (2020): Demokratische Bildung und die Grenzen des politischen Streits. Anmerkungen zur Kontroverse über Kontroversitätsgebote. Journal für politische Bildung, 4, 18–23.

Drerup, J. (2021): Kontroverse Themen unterrichten. Konstruktiv streiten lernen. Stuttgart: Reclam.

Geuss, R. (2019): A Republic of Discussion. The Point Magazine. Online verfügbar unter: https://thepointmag.com/politics/a-republic-of-discussion-habermas-at-ninety/, Zugriff am 23.03.2021.

Grammes, T. (2014): Kontroversität. In: W. Sander (Hrsg.), Handbuch der politischen Bildung (4. Auflage) (S. 266–274). Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.

Pörksen, B. & Schulz von Thun, F. (2020): Die Kunst des Miteinander-Redens. Bonn: bpb.

Talisse, R. (2019): Overdoing democracy. Oxford: Oxford University Press.

Yacek, D. (2018): Thinking controversially: The psychological condition for teaching controversial issues. Journal of Philosophy of Education, 52 (1), 71–86.

Wehling, H.-G. (1977): Konsens à la Beutelsbach? In: S. Schiele & H. Schneider (Hrsg.), Das Konsensproblem in der politischen Bildung (S. 173–184). Stuttgart: Klett.

Zulaica y Mugica, M. (2019): Bildung zum gemeinsamen Streit und Widerstreit – eine Skizze. Online verfügbar unter: https://www.praefaktisch.de/bildung/bildung-zum-streit-und-zum-gemeinsamen-widerstreit-eine-skizze/, Zugriff am 23.03.21.

1     Im Titel haben wir aus stilistischen Gründen das Wort ›Lehrer‹ genutzt. Gemeint sind selbstverständlich immer Personen jedweden Geschlechts. In den einzelnen Beiträgen haben wir es den Autoren und Autorinnen freigestellt, wie sie mit diesem Thema (welches ja in Teilen selbst kontrovers diskutiert wird) umgehen wollen.

I           Kontroversen über Kontroversitätsgebote: Theoretische Grundlagen

Vermitteln und Mitteilen: Die Meinung der Lehrperson in der Diskussion kontroverser Themen

Johannes Giesinger

1           Einleitung

Eine Lehrperson behandelt im Unterricht das Problem der Sterbehilfe, und in der Klasse werden verschiedene Meinungen vertreten. Während die meisten Schülerinnen und Schüler einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe offen gegenüberstehen, gibt es auch vereinzelte ablehnende Stimmen. Darf die Lehrperson in einer solchen Diskussion selbst Stellung beziehen? Die Frage, ob die Lehrperson den Lernenden ihre Meinung mitteilen darf, ist zu unterscheiden von der Frage, ob sie eine Auffassung als die richtige vermitteln darf. Paula McAvoy (2017) verwendet in diesem Kontext die Begriffe »share« und »advocate«:

»Teachers share a view when they make their opinion about a political issue known to the class or a student but do so in a way that communicates this is just one view among many possible views. When teachers advocate for a view, they are trying to convince or persuade others to adopt that view.« (S. 375)

Michael Hand spricht von »direktivem« Unterrichten, setzt dieses Konzept jedoch nicht dem Mitteilen von Meinungen gegenüber, sondern Unterrichtsformen, in denen Themen als kontrovers behandelt werden. Charakteristisch für direktives Unterrichten ist nach Hand »the willingness of the teacher to endorse one view of a matter as the right one« (Hand 2008, S. 213). Diese Formulierung wirkt unscharf, wenn man die Unterscheidung zwischen Mitteilen und Vermitteln in den Blick nimmt. Sich auf eine Auffassung als die richtige festzulegen bedeutet nicht notwendigerweise, dass man diese vermitteln will, indem man andere davon überzeugt. In einem aktuellen Beitrag Hands findet sich denn auch eine präzisere Definition: Wesentlich für direktives Unterrichten ist gemäß Hand, dass die Lehrperson ein bestimmtes Ziel verfolgt – »the aim of persuading pupils that a matter is settled, a claim true or a standard justified« (Hand 2020, S. 14). Wie Hand hervorhebt, ist direktives nicht mit »didaktischem« Unterrichten – d. h. mit der expliziten und direkten Vermittlung von moralischen oder politischen Gehalten – gleichzusetzen, sondern kann auch indirekte Formen annehmen: So können Schüler und Schülerinnen durch die gezielte Auswahl von Filmbeispielen, durch die Steuerung der Klassendiskussion oder durch spezifisch ausgestaltete Projektaufträge dazu gebracht werden können, bestimmte Auffassungen zu akzeptieren.

Während die Vermittlung »richtiger« Positionen nicht notwendigerweise expliziten Charakter haben kann, bezieht sich die Debatte um Meinungsäusßerungen von Lehrpersonen primär auf explizite Mitteilungen, kann aber darüber hinaus auch nonverbale oder implizite Botschaften betreffen. Ein Kreuz um den Hals kann ebenso als Meinungsäußerung aufgefasst werden wie der Verzicht auf Fleisch beim Mittagessen in der Schule. Die folgenden Überlegungen fokussieren allerdings auf verbale Stellungahmen in der Unterrichtssituation.

Im nächsten Abschnitt (2) skizziere ich die Debatte um direktives Unterrichten und diskutiere kurz die hauptsächlich vertretenen Kriterien dafür, was direktiv vermittelt werden soll – das verhaltensbezogene, das epistemische, das politisch-authentische und das politische Kriterium (vgl. Drerup 2021; vgl. Giesinger 2021). Dies bereitet den Boden für die Frage danach, ob Lehrpersonen ihre Meinung mitteilen dürfen: Diese Frage bezieht sich auf Auffassungen, die nach dem jeweiligen Kriterium nicht direktiv zu vermitteln sind und auch nicht direktiv zurückgewiesen werden dürfen.

Vor diesem Hintergrund können zunächst zwei Extrempositionen unterschieden werden: Nach der einen soll die Lehrperson in jeder Situation ihre Neutralität wahren und ihre Meinung nie äußern.

Gemäss der zweiten Position überträgt sich die Redefreiheit, über die die Lehrperson als Bürgerin verfügt, auf ihre Rolle im Klassenzimmer: Demnach ist sie genauso wie die Schüler und Schülerinnen grundsätzlich berechtigt, ihre Meinung zu äußern. Im Folgenden argumentiere ich für eine dritte Position, nach der es vom Unterrichtskontext abhängt, ob die Lehrperson ihre Meinung mitteilen soll oder nicht (ähnlich McAvoy 2017): In der jeweiligen Situation sollen Gründe für oder gegen das Mitteilen der eigenen Meinung gegeneinander abgewogen werden. Welche Erwägungen hier relevant sind, erörtere ich im dritten, vierten und fünften Abschnitt.

2           Vermitteln

Betrachtet man die internationale Debatte darüber, was im Unterricht direktiv vermittelt werden darf, so stößt man auf zumindest vier unterschiedliche Kriterien. Das erste Kriterium besagt, dass in der Schule alles, was in der Gesellschaft tatsächlich umstritten ist, als kontrovers behandelt werden sollte. Dieses verhaltensbezogene (behavioral) Kriterium ist problematisch, weil es Personen mit beliebig abwegigen Auffassungen das Recht einräumt, etwas als kontrovers zu deklarieren. Dies könnte etwas für die Leugnung des Holocaust gelten oder für Ansichten über den Klimawandel oder die Coronakrise, die mit dem Stand der Wissenschaft unvereinbar sind. Jede haltlose Verschwörungstheorie müsste im Klassenzimmer ernstgenommen werden und dürfte nicht direktiv zurückgewiesen werden.

Das epistemische Kriterium, wie es insbesondere von Michael Hand (2008) vertreten wird, setzt hier ein: Demnach sollen im Unterricht jene Auffassungen direktiv vertreten werden, die durch Argumente und Evidenz begründet sind. Hand geht davon aus, dass gewisse Fragen epistemisch geklärt sind und deshalb im Unterricht nicht offengehalten werden sollen. Sein Hauptinteresse gilt moralischen Fragen, aber das Kriterium lässt sich ebenso auf Aussagen über Fakten beziehen. Hand scheint es für unmittelbar einleuchtend zu halten, dass epistemisch geklärte Auffassungen unter Angabe der relevante Gründe vermittelt werden dürfen: Was sollte dagegen sprechen, das zu vertreten, was wahr ist?

Darüber hinaus entwickelt Hand ein Argument für das epistemische Kriterium, das sich auf die Bedeutung rationalen Denkens und Handelns für das menschliche Wohlergehen bezieht (vgl. Hand 2008, S. 218). Das Argument lautet, dass es die Entwicklung rationaler Einstellungen – und damit letztlich das Wohlergehen der Lernenden – untergräbt, wenn begründete Auffassungen im Unterricht nicht direktiv vertreten werden: Nimmt die Lehrperson in allen Fällen eine epistemisch neutrale Haltung ein und behandelt selbst offensichtliche Wahrheiten als kontrovers, können Lernende demnach die Haltung entwickeln, dass Argumente und Evidenz nicht von entscheidender Bedeutung sind: Selbst wenn alles für eine bestimmte Auffassung spricht, so die vermittelte Botschaft, kann man immer noch anderer Meinung sein. Ein Unterricht, der auf die Förderung der Rationalität ausgerichtet ist, sollte deshalb nach Hand nicht epistemisch neutral bleiben.

Die Diskussion um Hands Ansatz bezieht sich unter anderem auf die Frage, ob rational begründete Positionsbezüge der Lehrperson für die Entwicklung rationaler Haltungen und Fähigkeiten unabdingbar sind (dazu Warnick & Spencer 2014, Gregory 2014, Tillson 2017). Es geht hier also nicht um das angestrebte Ziel, die Förderung von Rationalität, sondern um den instrumentellen Zusammenhang zwischen der Unterrichtskommunikation und diesem Ziel. Beispielsweise wird eingewandt, dass sich Rationalität fördern lässt, wenn man als Lehrperson keine inhaltlichen Wertauffassungen vermittelt, sondern die Lernenden direktiv in prozedurale rationale Praktiken einführt (vgl. Gregory 2014).

Ein weiterer Einwand besagt, dass das epistemische Kriterium die politische Debatte im Schulzimmer zu stark einschränkt, da politisch relevante Positionen existieren, die epistemischen Ansprüchen nicht genügen, es aber doch verdienen, kontrovers diskutiert zu werden. Diana Hess und Paula McAvoy (2015, S. 168–169) haben vor diesem Hintergrund das Kriterium der politischen Authentizität entwickelt, gemäss dem nicht alle gesellschaftlich kontroversen Fragen als kontrovers zu behandeln sind, aber zumindest diejenigen, die Eingang in den politischen Diskurs gefunden haben. Dieses Kriterium lässt viel Spielraum für problematische moralische oder politische Positionen und abwegige empirische Auffassungen – diese müssen im Klassenzimmer ernstgenommen werden, sobald sie den politischen Mainstream erreichen.

Im Weiteren wird das sogenannte politische Kriterium diskutiert. Dieses besagt gemäß gängigen Darstellungen, dass diejenigen moralischen oder politischen Gehalte direktiv vermittelt werden sollen, die sich aus Grundwerten oder -prinzipien ergeben, die im liberaldemokratischen Kontext allgemein anerkannt sind. Drerup (2021) vertritt dieses Prinzip in Verbindung mit einem epistemischen Prinzip, das in seiner Fassung im Wesentlichen in der Wissenschaftsorientierung des Unterrichts begründet ist, sich zugleich aber auch auf normative und politische Fragen beziehen soll.

Hand (2008, S. 227) wendet gegen das politische Kriterium ein, die Tatsache eines gesellschaftlichen Konsenses in bestimmten Wertfragen biete keine Rechtfertigung dafür, die entsprechenden Gehalte direktiv zu vermitteln: In der Tat ist faktische Einigkeit keine Garantie für epistemische Korrektheit. Jedoch ist auch zu fragen, ob epistemische Korrektheit für sich genommen bereits als Rechtfertigung für die schulische Vermittlung von Gehalten dienen kann. Unterricht an öffentlichen Schulen, so könnte man argumentieren, ist ein Aspekt staatlichen Handelns und muss wie andere Formen politischer Machtausübung speziell gerechtfertigt werden. Hand wendet sich gegen diese Sichtweise, da er der Auffassung ist, dass rationalistische Formen der Moralerziehung nicht als Machtausübung zu sehen sind und deshalb nicht weiter gerechtfertigt werden müssen: Direktiver Unterricht, der Lernende mit Gründen zu überzeugen versucht, ist nach Hand eine Art rationaler Beratung (vgl. Hand 2008, S. 224). Dies verkennt, dass schulischer Unterricht, auch wenn er rational ausgerichtet ist, auf asymmetrischen politischen und schulischen Strukturen beruht: Nicht nur werden Lernende politisch zum Unterricht verpflichtet, die Lehrperson hat zudem weitreichende Verfügungsmacht über sie. Gerade jüngere Schülerinnen und Schüler werden die ihnen vermittelten moralischen Gehalte möglicherweise nicht deshalb akzeptieren, weil sie die präsentierten Gründe einsehen, sondern eher, weil sie von der Lehrperson abhängig sind. Dazu kommt ihre kognitive Unterlegenheit, die sie geneigt macht, der als Expertin auftretenden Lehrperson zu glauben.

In diesem Zusammenhang kann die epistemische Berechtigung (oder Autorität), eine Aussage zu machen, von der pädagogischen Autorität unterschieden werden – d. h. der Berechtigung, den Gehalt der Aussage pädagogisch zu vermitteln. Letztere muss im Rahmen der öffentlichen Schule an politische Erwägungen – d. h. an Fragen politischer Legitimität – zurückgebunden werden. Die Frage der Legitimität betrifft die Rechtfertigung politischer Machtausübung (vgl. Rawls 1993).

Wie also soll pädagogisch und politisch entschieden werden, was vermittelt werden soll oder darf? Die Frage ist, ob man hier nicht doch wieder auf das epistemische Kriterium zurückgreifen muss: Demnach wäre es legitim, diejenigen Gehalte zu vermitteln, die epistemisch geklärt (bzw. wahr oder richtig) sind. Die Lehrperson als (moralische) Expertin würde diese Gehalte unter Angabe guter Gründe weitergeben. Man könnte annehmen, dass es sich hierbei um objektive Gründe handeln wird, die von den Lernenden ungeachtet ihrer subjektiven Einstellungen akzeptiert werden sollten. In politischer Perspektive ist diese Sichtweise problematisch, weil umstritten ist, welche Gründe objektiv gültig sind. Auch besteht kein Konsens darüber, wer als moralischer Experte zu gelten hat (vgl. Estlund 2008, S. 4). In der politischen Philosophie wird die Idee diskutiert, wonach politische Legitimität nicht an objektive, sondern »öffentliche« Gründe gebunden sein soll (vgl. Peter 2019): Demnach sind diejenigen politischen Maßnahmen legitim, die öffentlich rechtfertigbar sind (vgl. Rawls 1993, S. 137). Öffentliche Rechtfertigbarkeit ist sowohl von objektiver Richtigkeit als auch von faktischer Übereinstimmung zu unterscheiden. Auch wenn gewisse Auffassungen objektiv richtig sind, so die Idee, werden Meinungsverschiedenheiten über sie weiterbestehen. Dies gilt insbesondere für religiös-weltanschauliche Dispute: Die Rechtfertigung politischer Maßnahmen soll deshalb nicht auf umstrittene weltanschauliche Positionen abstellen, sondern in dieser Hinsicht neutral sein.

Zugleich ist klar, dass es im moralischen Bereich kaum Auffassungen gibt, die tatsächlich unbestritten sind. Öffentliche Rechtfertigung muss folglich von vornherein gewisse politische oder weltanschauliche Positionen ausschließen, z. B. rassistische Auffassungen, nach denen bestimmte Gruppen von Menschen geringeren moralischen Wert haben als andere. Am öffentlichen Rechtfertigungsprozess können nur diejenigen teilnehmen, die andere in basaler Weise als Gleiche anerkennen und bereit sind, sich unter Ausklammerung kontroverser Auffassungen an der Entwicklung weitherum akzeptabler Regelungen zu beteiligen.

Dieses Modell, das seine Wurzeln im sogenannten politischen Liberalismus hat (vgl. Larmore 1988 und 1990; vgl. Rawls 1993; vgl. Nussbaum 2011), unterscheidet also drei Arten von Auffassungen: Neben den politisch inakzepablen Positionen und denjenienigen Auffassungen, über die ein Konsens erzielt werden kann, gibt es Auffassungen, die im liberaldemokratischen Kontext als akzeptabel gelten, obwohl sie umstritten sind. Die Rede ist auch von einem vernünftigen Dissens (reasonable disagreement) in weltanschaulichen oder politischen Fragen. Überträgt man diese Sichtweise auf die Frage des direktiven Unterrichtens, kommt man zum Schluss, dass öffentlich rechtfertigbare Auffassungen vermittelt werden dürfen, während inakzeptable Positionen direktiv zurückgewiesen werden sollen vgl. (Giesinger 2021). Die »vernünftigerweise umstrittenen« Auffassungen sollen nicht als falsch abgestempelt, gleichzeitig aber auch nicht vermittelt werden.

Betrachten wir nochmals das epistemische Kriterium. Insofern sich dieses auf objektive Wahrheiten oder Gründe bezieht, unterscheidet es sich in seinem Geltungsbereich klar vom politischen Kriterium: Man wird dann davon ausgehen, dass es im moralischen Bereich stets objektiv gültige Antworten gibt, über die man sich nicht vernünftigerweise streiten kann. Hand vertritt jedoch nicht diese Sichtweise, sondern übernimmt die Idee vernünftiger Meinungsverschiedenheiten aus der politischen Philosophie. Im Anschluss an Rawls schreibt er: »Human beings, exercising their powers of reason in the absence of coercion, will come to different conclusions on matters of morality because the relevant evidence and argument is subject to more than one plausible interpretation« (Hand 2018, S. 5). Dies ist aus Hands Sicht von unmittelbarer Bedeutung für das Problem moralischer Erziehung: Diese sollte sich in ihren direktiven Formen auf moralische Auffassungen beschränken, über die man nicht vernünftigerweise unterschiedlicher Meinung sein kann.

Folgt man dieser Ausdeutung des epistemischen Kriteriums, so unterscheidet es sich hinsichtlich seines Geltungsbereichs nicht wesentlich vom politischen Kritierium. Aus beiden Kriterien ergibt sich etwa, dass religiöse Auffassungen, die sich im Rahmen liberaldemokratischer Vorgaben bewegen, nicht direktiv vertreten werden sollen, grundlegende moralisch-politische Prinzipien hingegen schon.

Die Debatte um Kontroversität und direktives Unterrichten setzt in diesem Sinne den Rahmen für Überlegungen dazu, ob Lehrer ihren Meinungen mitteilen sollen oder dürfen.

Ungeachtet der Begründung oder des Geltungsbereichs des jeweiligen Kriteriums beziehen sich diese Überlegungen auf Auffassungen, die weder direktiv vermittelt noch zurückgewiesen werden dürfen. Gemäß dem politischen Kriterium (in seiner politisch-liberalen Fassung) sowie Hands Version des epistemischen Kriteriums handelt es sich dabei um Sichtweisen, die vernünftigerweise umstritten sind.

Im Einzelnen ist näher zu diskutieren, welche Sichtweisen dies betrifft. Nach Hand (2007) etwa gehört die Frage der moralischen Beurteilung homosexueller Handlungen nicht in den Bereich dessen, was vernünftigerweise kontrovers ist. Fragen der Suizidbeihilfe und Sterbehilfe sind nach meiner Einschätzung in diesem Bereich anzusiedeln: Selbst wenn religiöse Argumente ausgeklammert werden, ergeben sich gute Gründe für oder gegen die jeweiligen Praktiken.

Aus der Debatte um direktive Vermittlung lässt sich jedoch nicht ableiten, ob Lehrpersonen zu diesen und ähnlichen Themen ihre Meinung sagen sollen oder nicht. Man kann aber festhalten, dass das Mitteilen vernünftigerweise kontroverser Auffassungen dann problematisch ist, wenn es einem Vermitteln gleichkommt.

3           Mitteilen und Vermitteln

In der Einleitung wurde davon ausgegangen, dass das Ziel, Lernende zur Akzeptanz bestimmter Auffassungen zu bringen, konstitutiv für den Begriff des direktiven Unterrichtens ist. Ausgehend hiervon könnte man es als charakteristisch für das bloße Mitteilen von Meinungen sehen, dass dieses Ziel von der Lehrperson nicht verfolgt wird. Allerdings kann das Mitteilen der eigenen Meinung durchaus die Wirkung haben, jemanden zu überzeugen, insbesondere wenn es mit der Angabe von überzeugenden Gründen verbunden ist. Zugleich ist klar, dass nicht jede pädagogische Kommunikation, die das Ziel hat, etwas zu vermitteln, damit erfolgreich ist. Hinsichtlich ihrer Wirkung lassen sich Mitteilen und Vermitteln also nicht scharf unterscheiden.

Kompliziert wird die Sache dadurch, dass es nicht grundsätzlich illegitim ist, wenn Lernende von einer Meinungsäußerung der Lehrperson überzeugt werden: Es scheint normal, dass Schülerinnen und Schüler sich an den in der Diskussion präsentierten Positionen und Begründungen orientieren und aufgrund dessen bisweilen ihre Meinung ändern. Man kann also nicht sagen, dass das Mitteilen der eigenen Meingung genau dann ethisch gerechtfertigt ist, wenn es diese Wirkung nicht hat. Dies bedeutet aber nicht, dass jede Meinungsäußerung gerechtfertigt ist, die nicht mit der expliziten Ziel zur Beeinflussung der Lernenden einhergeht. Jemand, der dieses Ziel nicht bewusst verfolgt, kann dennoch in einer Weise auftreten und kommunizieren, die es wahrscheinlich macht, dass manche Lernende seine Meinung übernehmen. Gerade in hierarchisch strukturierten Konstellationen wie der Unterrichtssituation ist zu erwarten, dass Zuhörende häufig nicht klar zwischen einer blossen Meinungsäußerung und einem Vermittlungsversuch unterscheiden können.

Vor diesem Hintergrund könnte man zu einer Rechtfertigung der Position der strikten Neutralität gelangen: Selbst wenn man Mitteilen und Vermitteln hinsichtlich der verfolgten Ziele unterscheiden kann, so die Argumentation, ist stets damit zu rechnen, dass das Mitteilen der eigenen Meinung problematische Wirkungen hat. Um eine ungerechtfertigte Beeinflussung der Lernenden zu verhindern, sollten Lehrpersonen deshalb auf Meinungsäußerungen verzichten.

Meiner Auffassung nach geht diese Sichtweise zu weit, da es viele Unterrichtskonstellationen gibt, in denen Lehrpersonen sich äußern können, ohne befürchten zu müssen, dass die Lernenden dadurch unter Druck geraten, die vertretene Meinung zu übernehmen. Allerdings ist die Gefahr ungerechtfertigter Beeinflussung in manchen Kontexten durchaus gegeben: Dies kann in der jeweiligen Situation ein Grund für die Lehrperson sein, mit ihrer Meinung zurückzuhalten. Wenn also z. B. eine Lehrperson den Eindruck hat, mit ihrem Stellungsbezug zu Gunsten einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe viele der Lernenden in diese Richtung zu lenken, sollte sie darauf verzichten. Schätzt sie die Situation hingegen so ein, dass die Lernenden fähig sind, sich von ihrer Meinungsäußerung abzugrenzen, wird sie bedenkenlos ihre Meinung sagen können.

Geht man vom Problem der ungerechtfertigten Beeinflussung aus, könnte man auch eine andere Überlegung anstellen: Hat die Lehrperson in einer Frage eine klare Meinung, äußert diese aber nicht, könnte dies dazu führen, dass die Lernenden in unterschwelliger Weise beeinflusst werden, etwa durch den Aufbau der Unterrichtseinheit oder die Auswahl der Materialien. Zeigt man etwa einen Filmausschnitt, in der sich eine sympathisch und vernünftig wirkende schwerkranke Person zu ihrem Sterbewunsch äußert, kann dies den Lernenden eine zustimmende Haltung zur Suizidbeihilfe nahelegen. Macht die Lehrperson ihre eigene Einstellung klar – und weist die Lernenden zugleich auf die dem Film innewohnende Tendenz hin – so dürfte es ihnen dies erleichtern, sich selbst eine Meinung zu bilden.

4           Mitteilen und Diskutieren

Die Frage, ob Lehrpersonen ihre Meinung sagen sollen, kann unter einem weiteren Gesichtspunkt gesehen werden: Trägt das Mitteilen der eigenen Meinung dazu bei, in der Klasse eine lebendige Diskussionskultur zu etablieren, oder ist es diesem Ziel eher abträglich?

Diese Überlegung geht davon aus, dass die Diskussion von (vernünftigerweise) kontroversen Themen ein wesentlicher Bestandteil des schulischen Unterrichts sein sollte. Dies kann unterschiedlich gerechtfertigt werden – z. B. damit, dass Heranwachsende in die demokratische Diskussion kontroverser Fragen eingeführt werden sollen. Demnach gehört die öffentliche Argumentation zum Kern dessen, was demokratische Entscheidungsprozesse ausmacht. Dies wird insbesondere in Konzeptionen deliberativer Demokratie hervorgehoben (vgl. Gutmann & Thompson 2004). Schulische Diskussionen dienen also dem Einüben deliberativer Prozesse. Sie sind, sofern sie nicht an Praktiken schul- oder klasseninterner Demokratie gebunden sind, vom unmittelbaren Entscheidungsdruck entlastet.

Die Beteiligten begegnen sich auf Augenhöhe, insofern alle in gleicher Weise die Berechtigung haben, Argumente vorzubringen. In epistemischer Hinsicht sind alle gleich: Ein gutes Argument zählt, unabhängig davon, von wem es geäußert wird. Dennoch hat die Lehrperson eine herausgehobene Stellung: Sie ist es, die die Diskussion initiiert und anleitet. Sie setzt den Rahmen für das Geschehen in der Klasse und verfolgt dabei pädagogisch-didaktische Ziele. Sie tritt auch als Expertin auf, die Fachwissen zu den behandelten Themen vermittelt: Beispielsweise wird sie in einer Diskussion zur Sterbehilfe darauf verweisen, dass aktive von passiver und indirekter Sterbehilfe sowie von Suizidbeihilfe zu unterscheiden ist. Darüber hinaus dürften viele Lehrpersonen ihren Schülern und Schülerinnen argumentativ überlegen sein, insbesondere deshalb, weil sie mit gängigen Argumentationsmustern vertraut sind. In der Frage der Sterbehilfe etwa werden sie fähig sein, Erwägungen zum Problem der Autonomie in differenzierter Weise zu artikulieren. Trotz epistemischer Gleichberechtigung bleiben schulische Diskussionen also asymmetrisch strukturierte pädagogische Veranstaltungen.

Gelingende Diskussionen haben zum einen einen Eigenwert, zum anderen dienen sie unterschiedlichen Zielen, die sich teils mit den Anforderungen eines deliberativen Demokratiemodells verbinden lassen. In gut geführten Diskussionen können demokratische Grundhaltungen wie Toleranz und Respekt eingeübt werden: Die Schüler und Schülerinnen lernen idealerweise, den Auffassungen anderer in engagierter, sachlicher und fairer Weise zu begegnen. Sie können dazu angeleitet werden, andere ernstzunehmen, ihre Aussagen aber auch kritisch zu sehen und ihnen argumentativ entgegenzutreten. In der Diskussion kontroverser Themen kann Verständigung zwischen Vertretern unterschiedlicher Auffassungen geschehen, ohne dass ein Konsens angestrebt werden muss. Wichtiger ist zu erörtern, in welchen Fragen Konsens besteht und in welchen nicht.

Neben demokratischen Grundhaltungen können in diesem Kontext auch argumentative und begriffliche Kompetenzen entwickelt werden: Dies mag in lebendigen Diskussionen eine Stück weit wie von selbst geschehen, kann und soll aber durch didaktische Interventionen der Lehrperson unterstützt werden. So kann die Lehrperson die Diskutierenden dazu anregen, die verwendeten Begriffe zu klären oder ihre Argumenationsmuster genauer unter die Lupe zu nehmen.

Soll die Lehrperson sich mit ihrer eigenen Meinung einbringen? Es scheint klar, dass Meinungsäußerungen der Lehrperson Diskussionen beeinträchtigen können. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Lehrperson ihre Auffassung in kompetenter Weise rechtfertigt und sie so für die Lernenden schwer angreifbar macht. In vielen Fällen wird davon abzuraten sein, die eigene Meinung bereits in einem frühen Stadium der Diskussion zu äußern, um den Lernenden genügend Raum zur Entwicklung ihrer eigenen Argumente und Kontroversen zu lassen.

Die Mitteilung der eigenen Meinung kann aber in manchen Kontexten einer Förderung der Diskussion dienlich sein. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Lernenden untereinander »alle der gleichen Meinung sind« oder sich dies zumindest einbilden. Sind alle »für Suizidbeihilfe« oder »für aktive Sterbehilfe«, so kann es sinnvoll sein, wenn die Lehrperson ihre davon abweichende Auffassung ins Spiel bringt. In solchen Situationen ist es selbstverständlich auch möglich, die Gegenpositon als Advocatus Diaboli einzubringen oder mit den Lernenden einen Text mit einer alternativen Auffassung zu lesen. Äußert die Lehrperson ihre eigene Meinung, kann dies zur Folge haben, dass Schüler und Schülerinnen sich in besonderer Weise herausgefordert fühlen, ihre eigene Position zu rechtfertigen und zu entwickeln. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Meinung der Lehrperson sich nicht vollständig in dem den Lernenden bekannten Muster (»für oder gegen Sterbehilfe«) bewegt, sondern einen differenzierten Standpunkt ausdrückt. Das kann die Lernenden dazu bewegen, ihren Standpunkt ebenfalls zu präzisieren.

Diese Erwägungen machen deutlich, dass die Lehrperson in schulischen Diskussionen nie als einfache Teilnehmerin gelten kann, die den anderen auf Augenhöhe begegnet, sondern stets ihre pädagogisch-didaktischen Ziele im Blick haben muss, wenn sie ihre Meinung äussert oder sich damit zurückhält.

5           Sich eine eigene Meinung bilden

Standen im letzten Abschnitt demokratische Grundhaltungen und argumenative Kompetenzen im Vordergrund, geht es im Weiteren um die persönliche Meinungsbildung der Lernenden. Angenommen wird, dass es ein Ziel des Unterrichts sein sollte, die Lernenden in der Entwicklung einer eigenen Meinung zu unterstützen. Dies setzt voraus, dass Positionen zu vernünftigerweise kontroversen Fragen nicht direktiv vermittelt werden (3), erschöpft sich aber nicht darin, sondern erfordert darüber hinaus ein aktives Bemühen um pädagogische Arrangements, die die freie Meinungsbildung ermöglichen. Die Frage ist, inwiefern diesem Ziel gedient ist, wenn die Lehrperson ihre Meinung äußert.

Hier könnte man zunächst fragen, was es heißt, eine »eigene« – oder »authentische« – Meinung zu bilden. Um dieser Ausdrucksweise einen Sinn abzugewinnen, muss man sich mit einem bescheidenen Verständnis von Authentizität zufriedengeben, wie es etwa in der neueren Autonomiedebatte verwendet wird (vgl. Christman 2009): Authentisch ist die Meinung einer Person nicht nur dann, wenn sie diese selbst entwickelt oder erfunden hat. Ihre Meinung kann authentisch sein, auch wenn andere die gleiche Meinung haben. Man kann sich eine Meinung aneignen, indem man sich mit ihr identifiziert. So gesehen ist es durchaus möglich, eine Meinung aus dem sozialen und kulturellen Umfeld – z. B. von der Lehrperson – zu übernehmen und sie zu seiner eigenen zu machen. Hat eine Meinungsäußerung der Lehrperson die Wirkung, dass ihre Position von Lernenden adoptiert wird, ist nicht notwendigerweise von einer unberechtigten Beeinflussung der Lernenden auszugehen.

Allerdings scheint klar, dass nicht jede Form der Identifikation mit einer Meinung deren Authentizität sicherstellt: Meinungen können Lernenden aufgezwungen oder aufgedrängt werden. Ein Unterricht, in dem manipuliert oder indoktriniert wird, wird kaum dazu führen, dass Auffassungen, die die Lernenden annehmen, »ihre eigenen« sind. Allerdings ist es schwierig, Formen von Indoktrination oder Manipulation klar von unproblematischen Unterrichtsmethoden zu unterscheiden (vgl. Drerup 2018). Wie gesagt, ist der gewöhnliche Unterricht von Asymmetrien und Abhängigkeiten bestimmt, und Lernende sind dadurch besonders geneigt, sich den Vorgaben der Lehrperson zu unterwerfen. Trotz des machtförmigen Charakters von Unterricht scheint es jedoch möglich, eine Atmosphäre zu schaffen, in denen Lernende ihre Auffassungen in freier Weise artikulieren und entwickeln können.

Sieht man Auffassungen zu vernünftigerweise umstrittenen Fragen als begründbar an, ist klar, dass die Meinungsbildung mit dem Prüfen von Gründen einhergehen muss. Man könnte hier noch einen Schritt weitergehen und sagen, dass einzelne Meinungen nicht isoliert zu betrachten, sondern mit anderen Meinungen – und letztlich dem gesamten System der eigenen Werte und Überzeugungen – in Verbindung gebracht werden sollten: Eine Meinung, die nicht zu den Meinungen passt, die jemand bereits hat, ist demnach nicht wirklich »ihre eigene«. Authentizität entsteht, wenn verschiedene Positionen, die jemand übernommen hat, aufeinander abgestimmt und zu einem mehr oder weniger kohärenten Ganzen gebildet werden. So ergibt sich ein normatives Selbstverständnis, das der Person Handlungsorientierung verschafft und sie in die Lage versetzt, sich neu auftretenden Problemen zu stellen. Sie kann sich zu diesen Themen eine Meinung bilden, die auf bisherige Auffassungen abgestimmt ist, möglicherweise aber auch gewisse Aspekte des bestehenden Selbstverständnisses modifiziert. Folgt man dieser kohärentistischen Auffassung von Authentizität, kann das Ziel von Unterricht darin gesehen werden, Prozesse der Entwicklung eines kohärenten Selbstverständnisses zu ermöglichen und anzuleiten. Dies kann etwa zu Unterrichtskonzepten führen, die die Behandlung der Sterbehilfe mit der Diskussion verwandter ethischer Fragen verknüpft und die Lernenden so dazu anregt, ihre Auffassungen zu verschiedenen Fragen miteinander in Verbindung zu bringen: Wie etwa verhalten sich die Einstellungen, die Lernende zum Suizid Jugendlicher haben, zu ihren Meinungen über Suizidbeihilfe oder aktive Sterbehilfe?

Es ist klar, dass Meinungsäußerungen der Lehrperson solche Prozesse in manchen Situationen stören oder zumindest nicht unterstützen. Allerdings kann es gute Gründe geben, zur Förderung der Meinungsbildung mit der eigenen Meinung nicht zurückhalten. Meine zentrale Überlegung zu diesem Thema hat Ähnlichkeiten mit Hands Argumentation für das epistemische Kriterium: Nach Hand (2008) sollen epistemisch geklärte Fragen direktiv vermittelt werden, weil sich bei den Lernenden ansonsten die Auffassung einschleichen könnte, dass Argumente nicht von entscheidender Bedeutung seien. Im vorliegenden Fall stehen nicht epistemisch geklärte Fragen im Mittelpunkt, sondern solche, auf die es vernünftigerweise unterschiedliche Antworten geben kann. Verhält sich die Lehrperson in diesen Fragen strikt neutral, kann dies den Anschein erwecken, als könne man sich dazu keine begründete Meinung bilden.

Zum einen könnten Lernende den Eindruck gewinnen, dass es nicht vertretbar ist, in solchen Fällen eine eigene Meinung zu haben, da diese stets rational infrage gestellt werden kann. Manche der Lernenden werden geneigt sein, ein ausgewogenes Verständnis des jeweiligen Problems anzustreben, in dem Pro- und Kontraargumente einander gegenübergestellt werden, es aber nicht zu einem persönlichen Positionsbezug kommt.

Zum anderen könnte sich die Sichtweise durchsetzen, dass persönliche Meinungen aufgrund einer arbiträren Festlegung entstehen, die nicht weiter begründbar ist. Lernende haben in diesem Fall vielleicht keine Mühe, eine eigene Meinung zu bilden, sehen aber nicht ein, dass sie diese verständlich machen und begründen sollten. Sie betrachten Diskussionen primär als Meinungsaustausch, nicht als Prozess des gemeinsamen Abwägens von Gründen.

Indem die Lehrperson ihre Meinung mitteilt und mit Gründen unterstützt, modelliert sie, was vernünftige Meinungsbildung bedeuten kann. Dabei verdeutlicht sie, dass ihre Meinung nicht die einzig vernünftige ist, macht aber auch klar, warum sie von ihrer eigenen Meinung dennoch überzeugt ist. Sie will die Lernenden nicht von ihrer Meinung überzeugen, sondern sie zur Entwicklung ihrer eigenen Meinung und ihres gesamten Systems von Werten und Überzeugungen anregen.

6           Zum Schluss

Einleitend habe ich zwei Extrempositionen zur Frage, ob Lehrpersonen ihre Meinung sagen sollen, umrissen: Die eine Auffassung ist, dass Lehrpersonen die ihnen als Bürgerinnen und Bürger zukommende Redefreiheit mit dem Eintritt ins Klassenzimmer nicht verlieren. Man kann wohl davon ausgehen, dass die Übernahme des Status einer Lehrperson nicht mit dem Verlust grundlegender staatsbürgerlicher Rechte einhergeht. Folgt man den Überlegungen in diesem Beitrag, so ist allerdings festzuhalten, dass die Lehrperson ihr professionelles Handeln stets an pädagogisch-didaktischen Erwägungen und Zielvorstellungen auszurichten hat. Dies gilt auch für das Mitteilen der eigenen Meinung: Die Lehrperson ist nie eine gewöhnliche Diskussionsteilnehmerin, sondern trägt die pädagogische Hauptverantwortung für das Geschehen im Klassenzimmer.

Die zweite Position – strikte Neutralität in vernünftigerweise umstrittenen Fragen – erscheint gerade aus diesem Grund unhaltbar: In manchen Situationen kann es pädagogischen Zielen dienen, wenn Lehrpersonen ihre Meinung mitteilen und begründen. Nicht jedes Mitteilen der eigenen Meinung kommt deren Vermittlung gleich. Beziehen Lehrpersonen selbst Stellung, so kann dies Diskussionen anregen und die individuelle Meinungsbildung der Lernenden unterstützen. Umgekehrt kann es Lernenden aber auch in problematischer Weise beeinflussen, die Diskussion in der Klasse sowie die Entwicklung persönlicher Positionen behindern.

Es ist zum einen eine Frage der situativen Einschätzung jeder Lehrperson, ob sie angesichts von Erwägungen dieser Art ihre Meinung sagen soll oder nicht. Zum anderen kann die Lehrperson durch die Gestaltung der Unterrichtskonstellation Einfluss darauf nehmen, wie sich ihre Meinungsäußerung auswirkt. Gelingt es ihr, eine offene Diskussionsatmosphäre zu schaffen, in der sich alle artikulieren können, wird ihre eigene Meinungsäußerung in vielen Fällen eher anregend als störend wirken.

 

Literatur

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Das Kontroversitätsgebot schulischen Unterrichts. Ein erziehungs- und bildungstheoretisch fundierter Interpretationsvorschlag

Thomas Rucker

Einleitung

In modernen Gesellschaften sind öffentliche Kontroversen an der Tagesordnung. Es scheint kaum noch Fragen zu geben, deren Beantwortung nicht neue Fragen sowie alternative Antworten provoziert. Erziehung – dies dürfte bei aller Verschiedenheit der Positionen, die auch in der Beschreibung dieses