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Was passiert mit dem Sprudel im Mineralwasser, wenn man es kocht? Wieviel Vitamin C steckt in einem Apfel? Was ist in Brausetabletten alles drin? Was passiert während der Gärung? Georg Schwedt zeigt an 131 Experimenten, wie man eine rasch eine Antwort erhält. Mit geringem Aufwand, in jeder Küche und mit überall erhältlichen Produkten, sind diese Versuche durchzuführen. Als Hilfsmittel werden Indikatorstäbchen verwendet, die in kürzester Zeit eine qualitative und halb-quantitative Analyse ermöglichen. Nicht immer ist die gesuchte Substanz direkt nachzuweisen, aber das Verstehen-Lernen des Verlaufs von Reaktionen erlaubt es, Rückschlüsse auf sie zu ziehen. Gerade dieses Verständnis wird gefördert und macht Lust auf eigene Experimente. Gleichzeitig wird die chemische Fachsprache erläutert und geübt. Das Buch beschäftigt sich im ersten Teil mit Gleichgewichtsreaktionen (z.B. pH-Wert Änderungen) und im zweiten Teil mit Redoxreaktionen (z.B. Nachweis von Sulfit nach Oxidation zu Sulfat). Ein Muss für jedes Schülerlabor, engagierte Lehrer und jeden an Chemie Interessierten: das Buch hilft beim Erlernen und der Verinnerlichung der chemischen Denkweise.
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Seitenzahl: 266
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung – Aus der Geschichte der Teststäbchen
Literatur
1 Die vier Gesichter der Kohlensäure
1.1 Allgemeine und historische Einführung
1.2 pH-Änderungen vom Mineralwasser bis zum Brausepulver
1.3 Flüchtige Säuren
1.4 pH-Puffer-Systeme
Literatur
2 Härtebildner im Wasser und das Kalk-Kohlensäure-Gleichgewicht
2.1 Das Kalk-Kohlensäure-Gleichgewicht
2.2 Kalk oder Gips
Literatur
3 Lösungs- und Fällungsreaktionen
3.1 Calcium
3.2 Eisen
3.3 Kupfer
3.4 Zink
3.5 Aluminium
Literatur
4 Reduktion und Oxidation
4.1 Kupfer
4.2 Eisen
4.3 Das Redox-System Ascorbinsäure
4.4 Vom Sulfit zum Sulfat
4.5 Vom Nitrat zum Nitrit
Literatur
5 Glucose – Vorkommen, Bildung und Abbau
5.1 Glucose in ausgewählten Lebensmitteln
5.2 Bildung durch chemische und enzymatische Reaktionen
5.3 Abbau von Glucose – durch Karamellisierung, Oxidation und Vergärung
Literatur
Anhang A Übersicht zu den verwendeten Teststäbchen
Anhang B Liste der Experimente
Literaturempfehlungen
Stichwortverzeichnis
Georg Schwedt schrieb auch folgende Experimentierbücher:
Schwedt, G.
Zuckersüße Chemie
Kohlenhydrate & Co
2.Auflage
2015
Print ISBN: 978-3-527-33868-9
Schwedt, G.
Experimente rund um die
Kunststoffe des Alltags
2013
Print ISBN: 978-3-527-33503-9
Schwedt, G.
Chemie querbeet und reaktiv
Basisreaktionen mit Alltagsprodukten
2011
Print ISBN: 978-3-527-32910-6
Schwedt, G.
Experimente rund ums
Kochen, Braten, Backen
2. Auflage
2010
Print ISBN: 978-3-527-32790-4 Schwedt, G.
Schwedt, G.
Noch mehr Experimente mit
Supermarktprodukten
Das Periodensystem als Wegweiser
2. Auflage
2009
Print ISBN: 978-3-527-32476-7
Schwedt, G.
Chemische Experimente in
Schlössern, Klöstern und
Museen
Aus Hexenküche und Zauberlabor
2. Auflage
2009
ISBN: 978-3-527-32718-8
Schwedt, G.
Experimente mit
Supermarktprodukten
Eine chemische Warenkunde
3.Auflage
2008
ISBN: 978-3-527-32450-7
Schwedt, G.
Chemie für alle Jahreszeiten
Einfache Experimente mit pflanzlichen
Naturstoffen
2007
ISBN: 978-3-527-31662-5
Autor
GeorgSchwedtLärchenstraße 2153117 Bonn
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Print ISBN 978-3-527-33911-2 ePDF ISBN 978-3-527-69337-5 ePub ISBN 978-3-527-69339-9 Mobi ISBN 978-3-527-69338-2
Vorwort
Mit diesem zugegeben fachlich ungewöhnlichen Begriff dynamische Chemie soll der Bereich chemischer Reaktionen, vor allem deren Verlauf, umschrieben werden.
Solche Reaktionen treten als Gleichgewichtsreaktionen bzw. -verschiebungen, verbunden mit pH-Änderungen, Fällungs- und Lösungsreaktionen, Hydrolyse, Reduktionen und Oxidationen sowie Komplexbildungen auf.
Als Erstes und als ein relativ komplexes Beispiel wird die dynamische Chemie in einem Mineralwasser demonstriert, bei dem beim Erwärmen bzw. Erhitzen einige dieser grundlegenden Reaktionen – Gleichgewichtsverschiebungen, Freisetzung von Kohlenstoffdioxid, pH-Verschiebung sowie Fällung von vor allem Calciumcarbonat – ablaufen und gut erkennbar bzw. messbar sind.
Sie lassen sich mithilfe von Teststäbchen – pH-, Carbonathärte-, Gesamthärte-, Calcium-Teststäbchen – auch halbquantitativ beschreiben.
Für weitere Experimente werden stets Alltagsprodukte verwendet – wie Backpulver, Brausepulver und Brausetabletten, Gips und Schulkreide. An allen Beispielen lassen sich die genannten grundlegenden dynamisch verlaufenden Reaktionen erkennen.
Die vor allem auch experimentelle Beschäftigung mit diesen Phänomenen, das Verstehenlernen der sich dabei abspielenden Reaktionen und die Umsetzung in die chemische Fachsprache – in vor allem auch Reaktionsgleichungen – soll wesentlich zu einem allgemeinen Verständnis der Chemie beitragen. Auf Berechnungen wurde weitgehend verzichtet (Ausnahme: Löslichkeiten), da es sich auch bei den Tests um halb(semi)quantitative Methoden handelt.
Im zweiten Teil wird das Spektrum der dynamischen Chemie auf Redox-Reaktionen bzw. Redox-Systeme, auf die Kinetik chemischer Reaktionen, auf Komplexbildungen und auch auf Beispiele des Abbaus von Substanzen (Beispiele Nitrat und Stärke) sowie biochemische Vorgänge (Gärung, enzymatische Reaktionen) erweitert.
Zu den Experimenten werden zahlreiche Alltagsprodukte verwendet. Ihre Beschreibung und Erläuterung soll auch das Ziel einer Einführung in die Warenkunde verfolgen und dazu anregen, Zutatenlisten kritisch zu lesen bzw. die genannten Inhaltsstoffe für den Einsatz der Teststäbchen einzusetzen.
Für die Durchführung der Experimente ist in den meisten Fällen kein chemisches Laboratorium erforderlich – alle Experimente wurden vom Autor persönlich in der eigenen Küche durchgeführt.
Ich danke der Fa. MERCK in Darmstadt für die Bereitstellung aller in diesem Buch beschriebenen Teststäbchen.
Bonn, Dezember 2014
Georg Schwedt
Einleitung – Aus der Geschichte der Teststäbchen
Die Vorgeschichte der heutigen, sehr breit einsetzbaren Teststäbchen als mikrochemische Analysenmethode, für die sowohl sehr geringe Mengen an Reagenzien als auch an zu analysierender Substanz benötigt werden, beginnt schon im 17. Jahrhundert – mit der Tüpfelanalyse.
Der englische Chemiker und Physiker Robert Boyle (1627–1691) betupfte (= tüpfelte) ein mit dem bekannten Pflanzenfarbstoff Lackmus getränktes Papier mit einem Tropfen einer Probelösung zur Unterscheidung von Säure und Lauge. Säuren färben den Lackmusfarbstoff bekanntlich rot, Basen blau. Boyle gilt auch als Entdecker des Lackmuspapiers, dem Vorläufer aller heutigen pH-Indikatorpapiere.
Die moderne Tüpfelanalyse wurde von dem Wiener Chemiker Fritz Feigl (1891–1971) entwickelt, der 1938 emigrierte und in Rio de Janeiro ein mikrochemisches Laboratorium leitete. Er promovierte 1920 „Über die Verwendung von Tüpfelreaktionen in der qualitativen Analyse“, wurde im selben Jahr Assistenz-Professor, 1935 zum Professor für Anorganische Analytische Chemie und 1937 zum Lehrstuhlinhaber an der Wiener Universität ernannt.
Das Grundsätzliche der Tüpfelanalyse besteht darin, dass durch empfindliche, mit dem Auge erkennbare chemische Umsetzungen geringe Mengen an Elementen (meist Ionen) oder auch organische Stoffe (Verbindungen) erkannt und nachgewiesen werden können. Diese Umsetzungen sprechen meist nur auf einen Stoff oder einige wenige Stoffe an – sie werden dann als spezifische bzw. selektive Nachweisreaktionen bezeichnet. Die Elemente oder Verbindungen werden überwiegend durch Farbreaktionen (Farbänderungen) erkennbar.
Diese Reaktionen führt man jedoch nicht wie sonst üblich in Reagenzgläsern oder in noch größeren Gefäßen in Lösungen von mehreren Millilitern durch. Sie erfolgen entweder auf kleinen weißen Porzellanplatten (den Tüpfelplatten) in kleinen Mulden, die nur wenige Mikroliter (tausendstel Milliliter) aufnehmen können, oder, wie beschrieben, auf Filterpapieren, die mit Chemikalien (Reagenzien) getränkt (imprägniert) sind.
Von der Fa. MERCK wurde das Programm an Teststäbchen erstmals im Gesamtkatalog 1971/1972 verzeichnet. Eine Weiterentwicklung stellt die Anwendung der Teststäbchen-Reflektometrie als apparative Methode dar, die seit der Mitte der 1980er-Jahre praktiziert wird.
Abb. 1 Mitteilung aus demJahr 1969. Quelle: Merck-Archiv (MA W38/29(b), 23/218/30/169).
Nicht blutende pH-Indikatorstäbchenwurden erstmals imJanuar 1969 angeboten. Die Indikatorsubstanzen sind chemisch an die Cellulose gebunden.
Im Unterschied zu den Testpapieren bestehen Teststreifen bzw. Teststäbchen aus einer Trägerfolie aus Kunststoff, auf der eine oder mehrere Testzonen von etwa 5mm im Quadrat aufgeklebt sind. Die Testzonen enthalten in der Regel alle für eine spezielle Nachweisreaktion erforderlichen Reagenzien in einer standardisierten und stabilisierten Form – und in äußerst geringen Mengen [1–3].
Die Untersuchungen mithilfe solcher Teststäbchen werden im Allgemeinen wie folgt durchgeführt:
Das Teststäbchen wird kurz – etwa 1–2 s – in die zu untersuchende Lösung eingetaucht, wobei die Testzone vollständig von der Flüssigkeit benetzt werden muss. Sie nimmt dabei ein reproduzierbar geringes Volumen an Flüssigkeit auf. Beim Herausnehmen des Teststäbchens wird überschüssige Flüssigkeit entweder abgestreift oder vorsichtig abgeschüttelt. Je nach der Schnelligkeit der chemischen Umsetzung erfolgt nach wenigen Sekunden oder auch erst nach Minuten ein Vergleich der Farbe auf der Testzone mit den Farben einer Farbskala, die in der Regel auf der Packung aufgeklebt ist. Nach der Intensität oder dem Farbton der jeweiligen Färbung kann dann eine Zuordnung zu einem Konzentrationsbereich vorgenommen werden.
Allgemeine Arbeitsweise – aus [1]:
„(...) Folgende Fehlerquellen sind zu beachten. Wird der Teststreifen zu lange in die zu untersuchende Lösung gehalten, so kann ein Teil der Chemikalien ausgewaschen werden. Da sich damit die Konzentration in der angefeuchteten Testzone ändert, kann die Farbreaktion schwächer ausfallen, als sie der Stoffkonzentration in der Probelösung entspricht.
Vergleicht man die Farbe des Teststreifens zu früh mit der beigefügten Farbskala, so fallen die Ergebnisse zu niedrig aus, die Nachweisreaktion ist noch nicht vollständig abgelaufen. Ist die vorgeschriebene Ablesezeit überschritten, so können zum Beispiel auch Luftverunreinigungen, der Lichteinfluß und die Temperatur zu Verfälschungen führen.“
Eine wichtige Voraussetzung für die Richtigkeit der Analysenergebnisse ist die reproduzierbare Aufnahme an Flüssigkeit durch die Testzone aus Cellulose. Messungen im Institut für Anorganische und Analytische Chemie der TU Clausthal hatten folgende Ergebnisse (Auswaagen):
Die relative Standardabweichung (Auswaagen von jeweils 5 Teststäbchen) lagen somit zwischen 0,8 und 1,9 %.
Literatur
1 Schwedt, G. (1985) Chemischen Elementen auf der Spur. Mit Tests für jedermann, Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart.
2 Schwedt, G. (1995) Mobile Umweltanalytik. Schnelltestverfahren und Vor-Ort-Meßtechniken, Vogel Buchverlag, Würzburg.
3 Schwedt, G. (1988) Teststäbchen in der Lebensmittelanalytik. Praxis der Naturwissenschaften-Chemie,37, 23–25.
Zur Einstimmung in das Thema wird zunächst aus der Geschichte der Entdeckung und über das Vorkommen der vier Gesichter der Kohlensäure – von Kohlenstoffdioxid als Gas, gelöst in Wasser als „Kohlensäure“ und in Form der Salze Carbonat und Hydrogencarbonat – berichtet:
Das Gas Kohlenstoffdioxid, das im 21. Jahrhundert eine so große Rolle in der Verursachung der globalen Erwärmung spielt, wurde zwar bereits im 16. Jahrhundert von Paracelsus (1493–1541) und dem flämischen Arzt van Helmont (1577–1644) von der atmosphärischen Luft unterschieden – als gas sylvestris. Van Helmont stellte fest, dass die Masse von Holzkohle bei der Verbrennung abnahm; nach seiner Auffassung wurde sie in eine unsichtbare Substanz verwandelt, die er Gas oder spiritus sylvestris nannte. Aber in seinen Eigenschaften wurde es erstmals von dem englischen Mediziner James Keir (1735–1820) beschrieben – als Säurebildner in Wasser. Joseph Black (1728–1799) stellte 1754 bzw. 1765 fest, dass dieses Gas auch beim Versetzen von Kalk mit einer Säure bzw. beim Erhitzen von Kalk entsteht und nannte es fixe Luft. Stephen Hales (1677–1761) trennte das Kohlenstoffdioxid aus Mineralwässern. Auch im Rauch einer Kerze, bei Gärungsvorgängen und in ausgeatmeter Luft konnte er es nachweisen. 1776 ermittelte dann Lavoisier auch die Zusammensetzung aus einem Teil Kohlenstoff und zwei Teilen Sauerstoff – als CO2.
1823 verflüssigten Humphrey Davy (1778–1829) und Michael Faraday (1791–1867) Kohlenstoffdioxid durch Druckerhöhung – bei 0°C und 36 bar lässt sich CO2 verflüssigen. 1834 öffnete Charles Thilorier (1790–1844) einen unter Druck stehenden Behälter mit flüssigem CO2. Dabei stellte er fest, dass durch die spontane Verdampfung unter starker Abkühlung sogar festes CO2 entstehen konnte [1].
Das Diagramm (mit logarithmischen Skalen) zeigt den Zusammenhang zwischen Druck (p) und Temperatur in Bezug auf die drei möglichen Phasen (/Aggregat)zustände von CO2 – am Tripelpunkt liegt CO2 in festem, flüssigem und gasförmigem Aggregatzustand im Gleichgewicht nebeneinander vor. Der Tripelpunkt liegt bei – 56,6 °C und 5,18 bar, der Sublimationspunkt, bei dem festes Kohlenstoffdioxid unmittelbar in den Gaszustand übergeht, bei –78,9 °C und 0,981 bar. Festes Kohlenstoffdioxid wird als Trockeneis bezeichnet.
Abb. 1.1 Phasendiagramm von Kohlenstoffdioxid.
In Deutschland begann die Verflüssigung und industrielle Nutzung von CO2 1877 durch den Gymnasiallehrer Dr. phil. Wilhelm Carl Raydt (1842–1908), der am Realgymnasium in Hannover tätig war. Eurammon (eine Initiative für natürliche Kältemittel) berichtet [2] u. a.:
„Er [Raydt] verflüssigte CO2 mittels eines Kolbenverdichters bei Umgebungstemperatur durch Wasserkühlung. Eine der ersten Anwendungen von CO2 war das Heben und Versetzen eines 5 Tonnen schweren Ankersteines im Hafen von Kiel im Auftrag der kaiserlichen Marine. Raydt ließ dazu einen Gummiballon durch einen Taucher an dem Ankerstein befestigen und den Ballon mit CO2 aus einer Stahlflasche aufblasen. Dadurch konnte der Ankerstein schwimmend an einen anderen Platz versetzt werden. 1880 erhielt Raydt ein Patent auf „Ein Verfahren und Apparate um mittels tropfbarer flüssiger Kohlensäure Wasser zu imprägnieren, zu heben und zu werfen“. Darauf beruht die Herstellung von kohlensäurehaltigen Getränken und die Verwendung von CO2beim FassbierAusschank zur Druckhaltung und Förderung des Bieres zur Zapfsäule.“
Im Bilder-Conversations-Lexikonfür das deutsche Volk. Ein Handbuch zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse und zur Unterhaltung [3] aus dem Brockhaus-Verlag in Leipzig von 1838 ist folgende allgemeinverständliche Darstellung zu lesen:
„Die Kohlensäure, eine chemische Verbindung von Kohlenstoff und Sauerstoff, wird gewonnen, wenn man Kreide, Marmor oder ungebrannten Kalk mit einer Säure übergießt. Es entsteht dann ein Brausen, bei welchem sich die luftförmige Kohlensäure bildet. Das Schäumen der gährenden Getränke, des Champagners und der Sauerwasser, z. B. des Selterswassers, ist eine Folge der in diesen Flüssigkeiten enthaltenen Kohlensäure, welche sich alsbald freizumachen sucht, wenn sie nicht mit Gewalt zurückgehalten wird. Auch die Luft, welche wir athmen, enthält stets einen geringen Antheil Kohlensäure und alle Thiere hauchen beim Athmen Kohlensäure aus, sowie dieses des Nachts auch von Pflanzen geschieht. Beim Verbrennen der Kohle entsteht stets Kohlensäure, weil sich bei demselben die Kohle mit dem in der Luft enthaltenen Sauerstoff verbindet. Wie die Kohlendämpfe, ist auch die reine Kohlensäure nicht athembar, auch unterhält dieselbe das Brennen nicht. Man muß sich daher hüten, wenn man an Orte geht, wo sich in einem geschlossenen Raume viele Kohlensäure entwickelt, z. B. in Keller, in welchen Bier oder Most gährt. Durch künstliche Erkältung kann man die Kohlensäure sowol in tropfbar flüssiger als auch in fester Gestalt darstellen. Da das Wasser Kohlensäure verschluckt, so kann man durch künstliche Schwängerung des Wassers mit Kohlensäure künstliche Sauerwasser erzeugen, die wie das Selterswasser gebraucht werden.“
Anschaulich wird das Vorkommen von Kohlenstoffdioxid in der Natur an vielen Orten. Bereits in Meyers Großes Konversations-Lexikon [4] von 1905 finden wir dazu zahlreiche Hinweise. So ist in dem Lexikon-Beitrag unter Kohlensäure u. a. zu lesen (Auszüge):
„...CO2 findet sich zu etwa 0,03 Proz. [2013: 0,04%!] in der Atmosphäre, entströmt (...) an vielen Orten aus Rissen und Spalten des Erdbodens (aus alten Kratern der Eifel), bei (...) Brohl, (...) Pyrmont [Dunsthöhle]“ – zwei Orte in der Eifel und die Dunsthöhle werden anschließend näher vorgestellt.
„(...) In der Technik entnimmt man K. vielfach den natürlichen Kohlensäurequellen oder Bohrlöchern, diese liefern z. T. sehr reine K. (...) und nach einer Reinigung auch verflüssigt wird. Dem Bohrloch bei Burgbrohl in der Eifel entströmen in einer Stunden 900, dem bei Sondra in Thüringen 1000 cbm K. (...) Sehr reiche Gasquellen sind auch die bei Salzungen und bei Herste in Westfalen.“ – In Herste bei Bad Driburg kann man sich vor Ort über Technik und Geschichte informieren – auch dazu weitere Informationen im Folgenden.
Der Laacher See ist ein Calderasee (Caldera für Kessel vulkanischen Ursprungs) – entstanden durch eine explosive Eruption (als Sprengtrichter) bzw. durch den Einsturz oberflächennaher Magmakammern eines Zentralvulkans. Der letzte Ausbruch des Laacher Vulkans an der Benediktinerabtei Maria Laach wird auf das Jahr 10 930 v. Chr. datiert. Der Name Laacher See ist eigentlich ein Pleonasmus – d. h. Laach entstammt dem Althochdeutschen und bedeutet bereits See. Die vulkanische Tätigkeit lässt sich noch heute an den vulkanischen Ausgasungen von Kohlenstoffdioxid erkennen – als Mofette, Austrittsstellen von CO2 mit Temperaturen unter 100 °C. (Mofette vom lat. Wort mephitis für schädliche Ausdünstung, ital. mofeta). Geochemisch kann Kohlenstoffdioxid u. a. beim Zusammentreffen von Kieselsäure und Kalk in der Schmelze entstehen. Im Standardwerk Die Mineral- und Thermalwässer von Mitteleuropa von Walter Carlé [5] ist über Mofetten bzw. Kohlenstoffdioxidaustritte in der vulkanischen Eifel zu lesen:
Abb. 1.2 Kohlenstoffdioxidbläschen am Ufer des Laacher Sees in der Eifel (Foto G. Schwedt).
„...Freies Kohlendioxid-Gas brodelt am Ostufer des Laacher Sees in einer etwa 150 m langen, nordsüdlichen Zone empor. Im Maarkessel von Wehr sind mehrere frei Austritte von Gas zu beobachten; Gas wurde auch hier erbohrt...“
Der Austritt von Kohlenstoffdioxid am Helvetiushügel von Bad Pyrmont wurde 1712 entdeckt, als in einem Steinbruch einige Arbeiter plötzlich ohnmächtig wurden. Der damalige Brunnenarzt Dr. Johann Philipp Seip stellte fest, dass aus den Gesteinsspalten ein unsichtbares Gas austrat, das er (da Kohlendioxid noch nicht bekannt war) als Schwefeldunst bezeichnete. Die Grotte wurde 1720 vertieft, darüber ein Steingebäude errichtet, das man 1737 erneuerte. Sie kann heute besichtigt werden. Die Höhe des Kohlenstoffdioxidspiegels hängt jeweils von der Wetterlage und vom Luftdruck ab. Da das Gas schwerer als Luft ist, bewegen sich z. B. luftgefüllte Seifenblasen über der Kohlenstoffdioxidatmosphäre. 1801 hielt sich Goethe zur Kur in Pyrmont auf und ließ sich am 18. Juni Abends in der Dunsthöhle, Versuche mit den Seifenblasen, brennendem Stroh usw. zeigen (Tagebuch) die der Besucher bei den Vorführungen auch heute noch zu sehen bekommt.
Als Wegbereiter der Kohlensäure-Industrie gilt Carl Gustav Rommenhöller (1853–1931). Er ist der Gründer von insgesamt 40 Kohlensäurewerken – Rommenhöllerwerke genannt – in Europa und auch in Afrika.
In der Geschichte der industriellen Kohlenstoffdioxidanwendung spielen in Deutschland vor allem die noch heute tätigen Unternehmen Drägerwerke Lübeck (seit 1889), Linde AG (seit 1879 – als Gesellschaft für Lindes Eismaschinen AG in Wiesbaden) und Agefko Aktiengesellschaft für Kohlensäure (seit 1883; AirLiquid 1986 als deutsche Tochtergesellschaft in Düsseldorf) eine wesentliche Rolle.
Abb. 1.3 (a) Die Dunsthöhle in Bad Pyrmont – an den Halbkugeln kann man den stoßweisen Austritt des Kohlenstoffdioxids als Nebel beobachten. (b) Schematische Darstellung der Dunsthöhle. (Fotos: G. Schwedt).
Abb. 1.4 Historische Kohlendioxid-Verflüssigungsanlage in Herste (mit Informationstafel) (Foto: G. Schwedt).
Auf der Tafel an der abgebildeten Anlage ist u. a. zu lesen:
„Kohlensäure-Verflüssigungsanlage. Das aus der Erde gewonnene CO2-Gas wird mit dem Kolbenverdichter verdichtet und in den flüssigen Zustand versetzt. Dabei bekommt es ein kleineres Volumen und kann in dem Stahlzylinder [links im Bild] gespeichert werden. Von dort wird es dann in die Tankwagen abgefüllt.“
In Herste befindet sich auch ein Denkmal aus Sandsteinquadern für den „Begründer der Kohlensäure-Industrie“ Carl Gustav Rommenhöller – ein Brunnenhaus auf einem Ehrenhain, zu dem eine Lindenallee führt. Rommenhöller erbohrte hier 1894 den ersten „Riesensprudel“, den Westfalia-Sprudel, der damals das ganze Deutsche Kaiserreich mit Kohlensäure versorgt haben soll. Am Ort der 1932 errichteten Denkmalanlage wurde 1925 das erste „Herster Kohlensäure-Feld“mit demCarl-Gustav-Sprudel erbohrt. Das daraus gewonnene Kohlenstoffdioxid wurde von der C. G. Rommenhöller AG in Herste industriell verarbeitet, in Druckbehälter (s. o.) abgefüllt und mit der damaligen Eggebahn abtransportiert. Seit Ende des 20. Jahrhunderts ist hier die Firma Linde tätig.
Abb. 1.5 Selters (Foto: G. Schwedt).
Selters war im 19. Jahrhundert zu einem Synonym für kohlensäurehaltiges Mineralwasser geworden. Erstmals nachweislich beschrieben wurde die Quelle in der Bäder-Literatur durch den Arzt Tabernaemontanus 1581. Im Herzogtum Nassau (1806–1866) war Selters der wohl berühmteste und bekannteste Brunnen nicht nur in Deutschland. Jährlich wurden bis zu 3 Millionen Krüge versandt, und berühmte Ärzte und Chemiker wie Hufeland und Fresenius beschrieben und analysierten das Selterser Wasser. 1999 wurde die Selterswasserquelle stillgelegt. Seit dem Sommer 2011 befindet sich neben dem 1906–1908 errichteten Brunnentempel eine umfangreiche Ausstellung zur Geschichte des Brunnens, wo Besuchei auch das Selterswasser probieren können (www.selterswassermuseum.de).
Die wichtigsten in der Natur vorkommenden Salze der zweiprotonigen Kohlensäure sind Soda (Natriumcarbonat), Natron (Natriumhydrogencarbonat) und Kalk (Calciumcarbonat).
In der Antike kannte man Natur-Soda aus den unterägpytischen Natronseen (als z. B. Trona Na2CO3 · NaHCO3 · 2H2O), das man u. a. zur Textil- und Köperreinigung verwendete.
Der Calciumcarbonat wurde erstmals von den Römern durch Brennen von Kalk als Baustoff genutzt. Sie entdeckten, dass gebrannter Kalk mit Wasser Wärme entwickelt (Löschkalk) und bei Verwendung als Wandputz sich (durch die Reaktion mit dem Kohlenstoffdioxid der Luft) wieder verfestigt. Eine beeindruckende römische Kalkbrennanlage ist in Iversheim bei Bad Münstereifel zu besichtigen.
Abb. 1.6 Die römischen Kalkbrennöfen von Ilvesheim (Foto G. Schwedt).
Weitere Literaturempfehlungen zu den beschriebenen Themen finden Sie am Ende dieses Buches.
Für den Einstieg in die dynamische Chemie wählen wir das Mineralwasser, das uns zugleich in die Chemie des Kohlenstoffdioxids einführt.
Beim Mineralwasser handelt es sich um ein Grundwasser mit besonderen Eigenschaften. Es muss aus einem unterirdischen Wasservorkommen stammen, seine Gehalte an Mineralstoffen und Spurenelementen dürfen nur unwesentlich schwanken, es muss von ursprünglicher Reinheit sein, und es muss direkt am Gewinnungsort, der Quelle/dem Brunnen, abgefüllt werden. Zugleich ist eine amtliche Anerkennung erforderlich. In Deutschland existieren über 800 amtlich anerkannte Mineralwässer. Ein Mineralwasser darf als Sprudel bezeichnet werden, wenn es unter Kohlenstoffdioxid abgefüllt wurde oder natürlicherweise einen so hohen Gehalt aufweist, dass es bei Druckentlastung (Öffnen der Flasche) sprudelt.
Als Kohlensäure wird die Lösung des Kohlenstoffdioxids in Wasser bezeichnet. Als zweiprotonige Säure bildet sie zwei Salze – Hydrogencarbonate und Carbonate.
In Wasser gelöst ist Kohlenstoffdioxid nur zu etwa 0,2 % zu H2CO3 umgesetzt – der größte Anteil ist physikalisch gelöst (als hydratisiertes CO2):
(1.1)
(1.2)
Der Anteil der Kohlensäure nach Gl. (1.1) ist jedoch nicht exakt zu bestimmen. Daher fasst man die Gl. (1.1) und (1.2) zusammen:
(1.3)
Dafür ergibt sich ein pKs-Wert (als scheinbare Dissoziationskonstante) von ca. 6,35 angegeben, was einer schwachen Säure entspricht.
Mineralwasser beinhaltet ein Gleichgewichtssystem – im Hinblick auf den pH-Wert vor allem durch die Gl. (1.3) beschrieben.
Wir stellen zunächst die pH-Werte folgender unterschiedlicher Mineralwässer fest – hier am Beispiel der natürlichen Mineralwässer Gerolsteiner Sprudel (mit Kohlensäure versetzt), Gerolsteiner Medium und Gerolsteiner Naturell (ohne Kohlensäure).
Sprudel und Medium unterscheiden sich im (nicht deklarierten) Gehalt an Kohlenstoffdioxid, jedoch nicht im Gehalt an Hydrogencarbonat (in beiden Mineralwässern mit 1816 mg/l) angegeben. Das Mineralwasser Naturell dagegen weist nur 652 mg/l an Hydrogencarbonat auf (und damit verbunden auch geringe Gehalte an vor allem Calcium und Magnesium – dazu mehr in Kap. 2).
(1.3)
(1.4)
(1.5)
Abb. 1.7 Abhängigkeit des pH-Wertes vom Anteil an Kohlensäure
Abb. 1.8 Markenzeichen des Steinsieker Brunnens (seit 1850 bekannt, zwischen Teutoburger Wald undWiehengebirge bei Löhne gelegen – seit 1984 zur Brohler Mineral- und Heilbrunnen GmbH; Bildquelle http://www.steinsieker.de/handel/logo/).
(1.6)
Sodawasser Unter Sodawasser versteht man in Deutschland heute ein Tafelwasser, das mindestens 570 mg Natriumhydrogencarbonat enthält. Dadurch schmeckt es leicht nach Lauge. Somit sind alkalische Mineralwässer ebenfalls Sodawässer.
Bekannte Sodawässer kommen aus Fachingen und aus den böhmischen Quellen von Karlsbad, Marienbad sowie dem französischen Vichy.
1826 soll der ungarische Benediktinerpater Ányos Jedlik (1800–1895), Physiker und Erfinder, auch Professor an der Universität in Budapest, zur Überraschung seiner Mitbrüder künstliches Sodawasser (auch zur Behandlung von Cholerakranken) hergestellt haben. Er entwickelte die Siphonflasche: Eine zu etwa 70% mit Leitungs- oder stillem Wasser gefüllte Flasche, luftdicht verschlossen, wird durch ein Gasventil mit CO2 unter Druck gesetzt. Es löst sich umso mehr, je niedriger die Temperatur des Wassers ist (s. Abbildung).
Abb. 1.9 (a) T-abhängige Löslichkeit von CO2 in Wasser (mg/l), (b) Siphonflasche.
Da der Behälter unter Druck steht, kann das Sodawasser nach dem Befüllen durch ein Steigrohr nach außen gelangen, wenn man den am Siphon angebrachten Verschlusshebel öffnet.
Bereits 1772 gelang dem französischen Chemiker Joseph Priestley die erste Herstellung eines Sodawassers. Er leitete Schwefelsäure in eine kalkhaltige (calciumcarbonathaltige) Lösung und löste das dabei entstandene Kohlenstoffdioxid in einem Becher mit Wasser. Darüber berichtete er in seinen Oberservations on Different Kinds of Air [7].
(1.7)
(1.8a)
(1.8b)