Ein BIld, das ein Geheimnis birgt - Eva-Maria Horn - E-Book

Ein BIld, das ein Geheimnis birgt E-Book

Eva Maria Horn

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkinder" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit. Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann. In dieser Gegend der herrlichen Heidelandschaft war Rose noch nie gewesen. Ihr Malerauge entzückte sich an der Farbenpracht des blühenden Heidekrautes. Weiße Wollgrasflocken tanzten durch die berauschend reine Luft. Rose brachte den weißen Sportwagen zum Stehen. Sie dehnte weit die Arme. gen zum blauen wolkendurchzogenen Himmel hinauf. Wie schön war doch die Welt! Die leichte Verstimmung, die ihre Laune getrübt hatte, war verflogen. Zum Kuckuck, warum hatte sie ihre Zeichenutensilien nicht mitgebracht? Roses Augen verengten sich. Und was war der helle Fleck zwischen den Wachholderbüschen? Zögernd ging Rose näher. Und sah bald, es war ein kleines Mädchen… Einen Moment erfaßte Panik sie. Das kleine Wesen lag gar zu ruhig. Nichts bewegte sich. In den langen blonden Haaren spielte der Wind. Rose ging energisch über den gelben Sandweg. Das Mädchen bewegte sich. Ein scheues Lächeln flog über das weiße Gesichtchen. Rose stand sehr still.

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Fürstenkinder – 81 –

Ein BIld, das ein Geheimnis birgt

Unveröffentlichter Roman

Eva-Maria Horn

In dieser Gegend der herrlichen Heidelandschaft war Rose noch nie gewesen. Ihr Malerauge entzückte sich an der Farbenpracht des blühenden Heidekrautes. Weiße Wollgrasflocken tanzten durch die berauschend reine Luft.

Rose brachte den weißen Sportwagen zum Stehen. Sie dehnte weit die Arme. Sie sah mit glücklichen Au-

gen zum blauen wolkendurchzogenen Himmel hinauf. Wie schön war doch die Welt!

Die leichte Verstimmung, die ihre Laune getrübt hatte, war verflogen. Zum Kuckuck, warum hatte sie ihre Zeichenutensilien nicht mitgebracht?

Dort drüben die Birke vor dem Himmel, der gelbe Weg, der sich durch das Rot des Heidekrauts schlängelte, die knorrigen Kiefern…

Roses Augen verengten sich. Und was war der helle Fleck zwischen den Wachholderbüschen?

Zögernd ging Rose näher. Und sah bald, es war ein kleines Mädchen… Einen Moment erfaßte Panik sie. Das kleine Wesen lag gar zu ruhig. Nichts bewegte sich. In den langen blonden Haaren spielte der Wind.

Rose ging energisch über den gelben Sandweg. Das Mädchen bewegte sich. Ein scheues Lächeln flog über das weiße Gesichtchen. Rose stand sehr still.

Der Kopf der Kleinen wandte sich ihr zu. Es war ein süßes, ein zauberhaftes Gesicht, wie einem alten Bild entstiegen. Die ganze Gestalt, die in einem Dirndlkleid steckte, schien vollkommen.

Nur die riesengroßen blauen Augen, mit der Farbe eines Vergißmeinnichts, sahen wie tot in die herrliche Welt.

»Guten Tag«, ein kleines, zögerndes Stimmchen. Um den roten Kirschenmund ein feines Lächeln. »Du gingst zuerst so leise. Da dachte ich, eine Fee kommt. Weißt du, wenn man sehr still liegt, hört man die Feen über die Heide gehen. Aber du darfst dich nicht rühren. Sonst erschrecken sie. Warum bist du dann plötzlich so hart aufgetreten?«

Rose schluckte. Der Tag hatte sein Strahlen verloren.

»Ich kann dich nicht sehen. Ich bin blind, weißt du. Aber ich höre sehr viel. Viel mehr als andere Menschen. Bist du ein Mädchen? Oder bist du schon eine Frau?«

Rose trat schnell an die Kleine heran. »Als ich so alt war wie du, erschienen mir Mädchen von 23 Jahren wie rechte Greise.«

Die Kleine lachte. Zögernd streckte sie ihre Hand aus und legte sie der Fremden auf den Arm.

»Wie siehst du aus? Was hast du für eine Haarfarbe? Meine Mutti erzählt mir immer alles ganz genau. Dann kann ich es mir gut vorstellen…, aber meine Mutti ist zu Hause geblieben. Weißt du, die fremde Frau ist wieder da. Aber sie hat eine so harte Stimme…, ich habe Angst vor ihr. Aber meine Mutti sagt, ich sei ein Dummes. Und die fremde Frau sei sehr gut zu uns. Und dann gehe ich immer weg, wenn sie kommt.

Und die bist überhaupt die erste Fremde, die ich sprechen höre. Hier in die Heide verirrt sich selten jemand. Manchmal kommen Jäger hierher. Aber ich höre sie immer nur von weitem. Willst du mir sagen, wie du heißt und wie du aussiehst?«

Die Kleine war reizend in ihrer Zutraulichkeit. Und man konnte bei dem zufriedenen, ja glücklichen Gesicht die blinden Augen vergessen.

»Ich heiße Rose Meeßen. Und ich bin noch nie hier in der Gegend gewesen. Weißt du, kleines Mädchen, ich wohne erst drei Monate in L. Und heute wollte ich nur mit dem Wagen umherfahren.«

»Und jetzt hast du mich gefunden«, die Kleine klatschte glücklich in die Hände. »Das ist fein. Wie siehst du nur aus… O bitte, sag es mir.«

»Ich bin längst nicht so hübsch wie du, kleine Fee. Und habe auch nicht so herrliche Haare… Deine Haare glänzen wie Gold. Ich habe schwarze Haare. Und weil ich wenig Zeit habe, lasse ich sie mir stets sehr kurz schneiden. Und du hast Augen, die leuchten so blau wie der Himmel. Meine Augen sind grün und haben kleine braune Pünktchen. Ich habe mich einmal selbst gemalt. Und darum kenne ich mein Gesicht genau.«

Sie lachten beide. Das Kinderlachen war wie eine helle kleine Glocke. Roses Glocke schien einen Sprung zu haben.

»Bist du dick oder dünn?« Sehr ernsthaft wurde die Frage gestellt. Und sehr ernsthaft antwortete Rose.

»So mittelprächtig, Kleines. Ich muß schon ein wenig auf meine Figur achten. Und dabei esse ich so furchtbar gern Kuchen und Pralinen. Im Augenblick ist Schmalhans in meinem Portemonnaie Küchenmeister.«

»Schmalhans Küchenmeister?« Die Kleine bemühte sich, die hohe runde Kinderstirn zu krausen. »Das habe ich noch nie gehört.«

Rose setzte sich ins Heidekraut. Eine Biene summte über ihren Kopf, ließ sich auf eine rote Blüte nieder und flog dann weiter. Rose nahm die schmalen, feinen Hände der Kleinen zwischen ihre Finger. »Das ist ein Sprichwort. Und es soll ausdrücken, daß man knapp bei Kasse ist. Nein, siehst du, wie wenig ich gewohnt bin, mit kleinen Mädchen zu sprechen. Ich wohnte bisher in einer Stadt, die weit von hier ist. Dann bin ich nach L. umgezogen. Und das kostete viel Geld. Da wurde mein Portemonnaie ein wenig leerer.«

»Aber warum hast du nicht das Geld aus dem Kästchen genommen? Meine Mutti legt das Geld nicht nur

in die Geldbörse. Oder hast du kein

Kästchen?«

»Nein. Siehst du, so leichtsinnig bin ich. Ich habe alles Geld, das ich verdiene, in meine Geldbörse gelegt. Und nie an ein Kästchen gedacht.«

»Das solltest du aber«, sagte die Kleine streng. »Meine Mutti sagt, man muß, wenn es einem gutgeht, immer für den Notfall sorgen. Wie die Tiere. Die sorgen auch im Sommer und Herbst schon für den Winter.«

»Deine Mutti muß sehr klug sein.«

Die Kleine strahlte. »Und wunderschön ist sie. So schön wie ein Engel.

O bitte, erzähle weiter. Von dem Schmalhans.«

»Also, ich bin umgezogen. Und dann hätte ich mich mit einem hübschen Zimmer begnügen müssen. Aber da sah ich eine Wohnung, die gerade fertiggebaut war. Sie hat herrlich große Fenster. Eine Atelierwohnung nennt man so etwas. Der Himmel ist mir sehr nahe, und die Wolken schwimmen manchmal vor den Scheiben her. Die Wohnung besteht aus drei Zimmern. Bestand…, ich habe einige Wände herausreißen lassen. Jetzt habe ich ein riesengroßes und ein sehr kleines Zimmer. Und ich habe nur wenige Möbel. Aber es ist sehr behaglich bei mir. Das ist wichtig für mich…, daß ich in einer Umgebung lebe, in der ich viel Licht zum Malen habe.«

»Was malst du denn? Ich dachte immer, malen tun nur Männer.«

Rose lachte. »O nein. Manchmal verkaufe ich sogar Bilder. Und ich trenne mich immer wieder ungern von ihnen. Sie sind…«, sie zögerte einen kleinen Augenblick. Ihre Augen streiften das feine, ernsthafte Gesichtchen der Kleinen. Es war ein feingliedriges kleines Wesen. Hoheitsvoll, lieblich. So malten alte Meister ihre Engel.

»Warum erzählst du nicht weiter?«

»Die Bilder sind mir ans Herz gewachsen. Sie sind wie ein Teil von mir selbst. Und darum verkaufe ich sie nicht gern.«

Sie krauste das feingeformte kleine Näschen. »Das kann ich gut verstehen. Warum bist du denn nicht in deiner anderen Wohnung geblieben?«

Rose sah auf ihre braune Cordhose hinunter. Es war gut, daß Paul sie nicht so sah. Paul haßte das Saloppe ihrer Kleidung. Sie seufzte ungeduldig. Da waren die Gedanken also glücklich wieder bei Paul angelangt.

»Sei mir nicht böse«, ganz kläglich klang die Kinderstimme. »Ich wollte dich nicht ärgern.«

»Das hast du auch nicht. Meine Gedanken waren auf Reisen. Warum ich nicht in meiner Wohnung geblieben bin? Ich lebte mit meiner Mutter dort. Und als sie starb, mochte ich nicht dort bleiben.« Von Paul erzählte sie der kleinen Wißbegierigen nichts. Und war von Paul überhaupt etwas zu erzählen?

Die Kleine öffnete entsetzt die toten Augen. Ganz starr waren sie. »Können denn Muttis sterben?«

»Nur, wenn sie sehr alt sind«, sagte Rose schnell. Und legte ihren Arm um die dünnen Schultern des Kindes.

»Anne! Anne! Sei lieb, Anne. Ich suche dich schon so lange. Wir spielen später noch einmal Verstecken!«

»Das ist meine Mutti.« Die Kleine war schon aufgesprungen. Sie wandte den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam. Glücklich gelöst wirkte das blinde Mädchen. Ihr langes blondes Haar flatterte im Wind und umstand licht das feine Gesichtchen.

Ich möchte sie malen, dachte Rose, und ich weiß, es würde mein bestes Bild.

Rose erhob sich. Hinter dem Hügel tauchte eine junge Frau auf. Gertenschlank. Mit den gleichen blonden Haaren, wie sie Anne hatte…

Und als Rose das Gesicht der Fremden sah, erschrak sie bis ins Herz. Es war ein narbenentstelltes Gesicht. Einen Augenblick glich es einer Teufelsmaske.

Aber da waren die Augen…, warmherzig, lebhaft. Aber jetzt stand deutlich Abwehr und Angst in ihnen.

»Das Mädchen heißt Rose«, rief Anne lebhaft und machte zögernde Schritte auf die Mutter zu. Weit streckte es ihre Ärmchen der Mutter entgegen. Beinahe feindlich musterten sie die blauen Augen.

»Ich fuhr mit dem Wagen über den Weg. Und als ich ausgestiegen war, sah ich das Mädchen. Ihre Tochter ist entzückend, wie…«

»Wie eine Elfe, hat sie gesagt, Mutti. Ich weiß ganz viel von ihr. Sie war so lieb. O bitte, Mutti, laß sie doch mit uns ins Haus kommen. Ich möchte es so gern.«

Ein wenig schwand die feindliche Abwehr aus dem entstellten Gesicht. Rose war voll Erbarmen. Man wußte nicht, wer mehr Mitleid brauchte, die fremde Frau? Das blinde Mädchen?

Rose war fest entschlossen, sich nicht von der Feindseligkeit der Fremden abschrecken zu lassen. Sie spürte ein Geheimnis…, sie spürte noch mehr. Sie wußte mit untrüglichem Instinkt, diese beiden brauchten ihre Hilfe.

»Ich bin in der Tat sehr durstig«, lachte sie kläglich. Und sehr bittend sah sie die Fremde an. »Gegen eine Tasse Tee hätte ich nichts einzuwenden. Das nächste Wirtshaus ist sicherlich weit entfernt.«

»Sehr weit«, rief Anne eifrig. Sie streckte ihre Hand nach Rose aus. Wie ein Vögelchen schlüpften ihre Finger in die warme Umhüllung von Roses Hand. »Kilometer um Kilometer. Darum kommen auch überhaupt keine Fremden hierher. Und das ist gut so, sagt meine Mutti.«

»Da hast du recht«, Rose nickte. »Ich liebe auch die Einsamkeit. Es ist zauberhaft hier«, wandte sie sich freundlich der Mutter zu. »Aber ist es im Winter nicht gar zu einsam?«

Die Frau hatte eine dunkle, sehr weiche Stimme: »Anfangs war es nicht ganz einfach«, sie sprach offensichtlich gegen ihren Willen. »Man gewöhnt sich daran.«

Und dann murmelte sie ein wenig freundlicher: »Dann kommen Sie. Ich kann Ihnen eine Tasse Tee anbieten.« Sie schämte sich bei dem enttäuschten Gesicht ihrer Kleinen. Und sagte liebenswürdig: »Ich habe am Morgen Kuchen gebacken. Hungrig werden Sie sicher auch sein.«

Anne strahlte, als habe man ihr ein Geschenk gemacht. »Wir haben einen Backofen vor dem Haus, Rose. Den stopft meine Mutti voll mit Holz. Und dann knistert und knackt es. Das Holz stöhnt und will sich nicht verbrennen lassen.«

Über das entstellte Gesicht flog ein Lachen. »Einmal kam ich zum Glück dazu, wie sie versuchte, das Holz aus dem Ofen herauszureißen. Ich war furchtbar erschrocken. Sie glaubt nicht, daß das Holz nicht lebt.«

»Es lebt doch«, bockte Anne. »Ich hab’ sogar gehört, wie es wisperte: Nimm mich ’raus, nimm mich ’raus.«

»Sie sitzt voll Märchen«, murmelte die Fremde leise. »Sie lebt in ihrer eigenen Welt.«

»Und ist offensichtlich glücklich«, Roses Stimme klang warm und fand den Weg zum Herzen der Frau. »Es ist das glücklichste kleine Kind, das ich bisher gesehen habe.«

Die Augen der Mutter leuchteten.

»Bitte«, bat sie schüchtern. »Sie müssen meine Unfreundlichkeit verzeihen. Ich wohne schon lange allein hier. Und bin Fremden gegenüber sehr mißtrauisch…, seit mein Gesicht…«

Sie brach abrupt ab.

Die Fragen brannten auf Roses Zunge. Aber sie beherrschte sich. Es war keine Neugier, die sie in sich spürte. Es war Mitleid und der brennende Wunsch zu helfen.

»Dort drüben wohnen wir.« Sie zeigte mit der verarbeiteten Hand zu einem kleinen Haus hinüber, das verborgen hinter knorrigen Bäumen stand. Es war ein winziges Fachwerkhaus. Aus dem Schornstein stieg feiner weißer Rauch in den blauen Himmel. Die Fenster blitzten. Weiße Gardinen umrahmten die Scheiben. Ein riesiger zotteliger Hund sprang auf und kam mit drohend gebleckten Zähnen auf sie zu.

»Ruhig, Bosso«, riefen Anne und die Mutter in einem Atemzug. Und die Kleine setzte hinzu: »Bist du denn dumm, Bosso? Das ist doch Rose…, und ich mag sie gern.«

»Bitte, kommen Sie ins Haus.«

Zwei ausgetretene, weiß gescheuerte Stufen. Das warme Dämmern einer kleinen Diele nahm sie auf. Sehr sicher sprang Anne auf die Tür zu und drückte die Klinke hinunter.

Sonnenlicht lag auf hellgescheuerten Dielen. Ein großer bunter Teppich fing das Licht der Sonne auf. Derbe, behagliche Bauernmöbel träumten in den Tag. Ein buntbemalter Schrank fand Roses hellstes Entzücken.

»Wie wunderschön haben Sie es hier…, es ist ja zauberhaft.«

»Ich heiße Luise Günther«, die Frau zog einen hohen Korbstuhl nahe ans Fenster. »Wollen Sie Platz nehmen? Ich habe den Tee gleich fertig.«

»Wenn es Sie nicht stört, Frau Günther, dann möchte ich lieber das Zimmer bewundern. Welch prächtige alte Bauernmöbel. Die Uhr dort ist ja zauberhaft.«

»Sie stand in unserem Haus…, ich habe sie als Kind besonders geliebt. Auch den Tisch hier. Mein Vater hat ihn selbst geschreinert.«

Der Hund war ins Zimmer gekommen. Frau Günther seufzte. »Er kann die Klinke allein herunterdrücken. Oh, Bosso…«

Der Hund schüttelte sich kräftig. Verstreute freigiebig Grashalme und Wassertropfen, kratzte sich den mächtigen Kopf und lugte mit strengen schwarzen Knopfaugen zu der Fremden hinüber. Schnupperte…, und ließ sich dann schwerfällig auf den Teppich fallen.

»Er hat seine Pflicht getan«, lachte Frau Günther. »Er hat sie also akzeptiert. Er ist Fremden gegenüber furchtbar.«

Anne lag nahe neben dem Hund. Ihr helles Köpfchen bohrte sich in Bossos schwarzes Fell. Der Hund legte beschützend die Pfote auf das Kinder-

ärmchen.

»Wenn die fremde Frau kommt…, die mit der bösen Stimme…, muß Mutti Bosso immer einschließen. Einmal hat er seinen Stall sogar zertrümmert. So getobt hat er. Mutti war ganz böse mit ihm. Und die Frau hat gekreischt. Dabei war Bosso doch im Recht. Er muß uns doch beschützen.«

Als wüßte er, daß von ihm die Rede war, hob der Hund seinen mächtigen Kopf. Die Zunge fuhr liebevoll über Annes Gesichtchen.

»Bosso«, schrie Frau Günther auf. Aber sie lachte dabei. Und das hörte Bosso natürlich. »Darf das ein guter Hund?«

»Wuff, wuff«, bellte er. Leckte noch einmal blitzschnell und legte sich dann wieder behaglich zurecht.

Frau Günther lächelte. Es verzerrte das Gesicht noch mehr. Noch jetzt sah man dem Gesicht an, daß sie früher einmal sehr schön gewesen war. Sie hatte eine hohe Stirn mit feingezeichneten Brauen, hohen Wangenknochen, über die lange Wimpern ihre Schatten warfen…, aber die furchtbaren Narben…

Frau Günther nahm aus dem Bauernschrank buntgeblümtes Porzellan. Der Kuchen duftete. Die Sonne schien durch das weit geöffnete Fenster.

Alle Hast fiel von Rose ab. Sie hatte sich seit endloser Zeit nicht mehr so behaglich gefühlt.

Und Rose, die Fremden gegenüber sehr distanziert, ja, beinahe schroff war, erzählte von sich. Von ihrem Elternhaus. Von ihrem Zweifel, ob es richtig war, in eine fremde Stadt zu ziehen.

»Ich kenne kaum jemanden«, sie drehte zögernd den feinen Silberlöffel zwischen ihren Fingern. Er trug ein fremdes, kunstvoll eingraviertes Wappen. Rose sah es und vergaß es wieder.

»Aber ich mußte dort heraus…, alles erinnerte mich an meine Eltern. Ich vermißte sie so sehr.« Und in Gedanken setzte sie seufzend hinzu: »Und wohl nur darum habe ich mich an Paul geklammert. Es war ihr noch nie so deutlich geworden wie in diesem Augenblick. Sie hatte verzweifelt Ersatz für ihre Mutter gesucht. Einen Menschen, den sie lieben konnte…, der zu ihr gehörte. Sie war so entsetzlich allein gewesen.

»Mein Vater starb ganz plötzlich. Vor zwei Jahren. Und seitdem ist meine Mutter jeden Tag ein wenig mehr gestorben. Sie wollte gar nicht mehr leben.«

Anne spielte längst mit ihrer Puppe draußen auf dem Rasen. Bosso lag zu ihren Füßen.

»Ich kenne das Gefühl«, murmelte Luise Günther leise. »Sich fallenlassen dürfen…, nicht mehr des morgens wach werden müssen…, und ein langer Tag mit vielen Stunden liegt vor einem. Ein Tag und noch ein Tag. Und noch viel schlimmer sind die Nächte.«

Rose sah zu dem Kind hinaus. »Ein Unfall?«

»Ja. Ein Unfall. Vier Jahre ist es her. Als ich mich zum ersten Mal im Spiegel sah…« Die Stimme brach.

Rose wußte nicht, wohin sie sehen sollte…

»Aber das Leben geht trotz allem weiter. Der Vater Annes war sofort tot. Wir waren noch nicht verheiratet… Anne wurde in der Nacht des Unfalls geboren. Anfangs wütete ich gegen das Schicksal. Klagte Gott an…, ich wollte nicht leben. Wie konnte er so grausam sein? Warum durfte ich nicht sterben? Dieses Warum!«

Rose murmelte leise: »Gottes Wille kennt kein Warum…«

»Es steht in einem Wappen«, sagte Luise leise. »Ich weiß es wohl. Nur danach leben ist sehr schwer. Aber warum erzähle ich Ihnen das alles?«

Sie hob die feinen Brauen. Rose lächelte herzlich in das entstellte Gesicht.

»Vielleicht weil wir beide sehr einsam sind? Ich bin auch unglücklich…, Luise. Und habe niemanden, mit dem ich reden kann.«

»Kummer, der nicht spricht, erfüllt das grambeladene Herz, es bricht.«

»Shakespeare«, nickte Rose. »Lieben Sie Gedichte, Luise? Wenn ich wiederkomme, bringe ich Ihnen einige Bände von Shakespeare. Ich darf doch wiederkommen?« Deutliche Abwehr stand in dem verunstalteten Gesicht. Schnell sagte Rose: »Wir müssen ungefähr gleichaltrig sein, nicht wahr?«

»Was ändert das? Mein Leben ist zu Ende… so, wie ich aussehe. Manchmal denke ich, es ist ein Segen, daß das Kind mich nicht sieht, es müßte ja vor mir erschrecken. Sie hält mich für wunderschön, die Kleine.«

»Sie haben sie lieb, und nur das zählt für sie. Luise, haben Sie nie an eine Gesichtsoperation gedacht?« Die Hände umkrampften die Kante des Tisches.

Luises Mund war trocken. Leise, tonlos murmelte sie, die Augen starr auf den Tisch gerichtet: »Ich habe schon daran gedacht. Es ist wahnsinnig teuer. Und sie war einmal mit einem Arzt hier draußen. Und der sagte: aussichtslos. Die Narben sind zu tief.«

»Wer ist sie, Luise? Ist es die Frau, vor der Anne Angst hat? Wer ist sie?«

Die Augen blitzten feindlich, drohend.

»Das geht sie nichts an. Und ich habe jetzt keine Zeit mehr. Ich habe es nicht so gut wie gewisse Leute, die mit dem Wagen durch die Welt fahren.«

Rose war wie vor den Kopf geschlagen. »Bitte…, sollte ich Sie gekränkt haben, Luise, dann verzeihen sie mir.« Sie schluckte mühsam. »Als ich Anne und dann Sie sah, da dachte ich einfach ich habe Freunde gefunden.«