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EINE BERÜHRUNG ENTFACHT DIE FLAMMEN. EIN FEUER BRENNT. UND DIE HITZE HAT ERST BEGONNEN. Tief in den kühlen grünen Bergen der Adirondacks baut der verletzte Feuerwehrmann Connor MacKenzie die 100 Jahre alte Hütte der Familie MacKenzie wieder auf – und fühlt sich einsam. Ein schreckliches Feuer hat innerlich und äußerlich Narben an ihm hinterlassen und zwei Dinge weiß er sicher: Er wird zu seinem Team bei den Hot Shots zurückkehren – koste es, was wolle – und jede Frau, die ihm zu nah kommt, wird nicht lange bleiben. Ginger Sinclair hat sich mit einer anderen Art von Feuer verbrannt. Gerade ist sie einer schrecklichen Ehe entkommen und hat sich an diesen sicheren Ferienort am See im Bundesstaat New York zurückgezogen, um ein neues Leben zu beginnen. Mit Männern, Beziehungen und der Gefahr von Trieben, die außer Kontrolle geraten können, ist sie fertig – bis sie unerwartet Connor MacKenzie begegnet. Während ein heißer Sommer am See noch heißer wird, finden sie sich gemeinsam in einer Hütte und in einer Liebesbeziehung wieder, die rasch beide mit sich reißt. "Ein Muss! Diese Liebesgeschichte hat mich wirklich berührt." "Bella Andre weiß, wie heiß ihre Feuerwehrmänner sein müssen, damit es bei der Liebesgeschichte so richtig knistert! Eine wundervolle Lektüre." "Das ist genau das Buch, das ich brauche, um mich nach einer harten Arbeitswoche zu entspannen. Ich habe es verschlungen!" *** Flammen der Leidenschaft *** Feuer in meinem Herzen Gefährliche Liebe in den Rocky Mountains Ein brandheißer Sommer am See *** Leidenschaft in Kalifornien *** Liebst Du Mich? Schenk mir deine Liebe Wie schön du bist Gib mir mehr von dir Verdammt ich Lieb dich Tausendmal berührt
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Seitenzahl: 477
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Flammen der Leidenschaft 3
Bella Andre
Bucheinband
Titelseite
Copyright
Über das Buch
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Vielen Dank
Auszug aus Liebst Du Mich?
Alle Bücher von Bella Andre in deutscher Sprache
Über die Autorin
Ein brandheißer Sommer am See
© 2022 Bella Andre
Flammen der Leidenschaft 3
Übersetzung Lisa Bettenstaedt – Language + Literary Translations, LLC
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EINE BERÜHRUNG ENTFACHT DIE FLAMMEN. EIN FEUER BRENNT. UND DIE HITZE HAT ERST BEGONNEN.
Tief in den kühlen grünen Bergen der Adirondacks baut der verletzte Feuerwehrmann Connor MacKenzie die 100 Jahre alte Hütte der Familie MacKenzie wieder auf – und fühlt sich einsam. Ein schreckliches Feuer hat innerlich und äußerlich Narben an ihm hinterlassen und zwei Dinge weiß er sicher: Er wird zu seinem Team bei den Hot Shots zurückkehren – koste es, was wolle –, und jede Frau, die ihm zu nah kommt, wird nicht lange bleiben.
Ginger Sinclair hat sich mit einer anderen Art von Feuer verbrannt. Gerade ist sie einer schrecklichen Ehe entkommen und hat sich an diesen sicheren Ferienort am See im Bundesstaat New York zurückgezogen, um ein neues Leben zu beginnen. Mit Männern, Beziehungen und der Gefahr von Trieben, die außer Kontrolle geraten können, ist sie fertig – bis sie unerwartet Connor MacKenzie begegnet. Während ein heißer Sommer am See noch heißer wird, finden sie sich gemeinsam in einer Hütte und in einer Liebesbeziehung wieder, die rasch beide mit sich reißt.
CONNOR MACKENZIE fuhr mit seinem Mietwagen die Kiesauffahrt entlang bis hinter die alte Blockhütte, und als er den Schlüssel aus dem Zündschloss zog, kratzte der billige Schlüsselring gegen seine Handfläche. Er fluchte, als sich das Metall in seine unebene, vernarbte Haut bohrte, die sich immer noch jedes Mal, wenn er seine Hände ausstreckte oder zu Fäusten ballte, zu straff anfühlte.
Und doch war heute ein guter Tag. Während des gesamten Fluges und der zweistündigen Fahrt vom Flughafen durch gewundene Nebenstraßen war es ihm gelungen, alles, was er anfasste, zu fühlen.
Die schlimmsten Tage waren die, an denen die Taubheit siegte. Tage, an denen er seine gesamte Kraft aufbringen musste, um ein wütendes Brüllen zurückzuhalten, wenn er sich wie ein verwundeter Löwe fühlte, der in irgendeinem Zoo in einen kaum zwei Quadratmeter großen Käfig gesperrt worden war und nur auf die richtige Gelegenheit wartete, um zu fliehen und sich wieder frei zu bewegen. Um wieder unversehrt und der König des Dschungels zu sein.
Seine Hand brannte, als er seinen Sicherheitsgurt löste und die Fahrertür zuschlug. Er musste raus – dorthin, wo er das Wasser sehen und dessen köstlichen Duft einatmen konnte. Wo er sich beruhigen konnte, verdammt noch mal. Sich in den Griff bekommen.
Dieser See, tief im Herzen der dichten Wälder der Adirondacks, würde ihm den Kopf zurechtrücken.
Das musste er.
Er war von einem anderen See gekommen – er hatte zwölf Jahren am Lake Tahoe in Kalifornien Waldbrände bekämpft. Doch er konnte keinen weiteren Sommer dortbleiben, konnte es nicht ertragen, zuzusehen, wie sein Bruder und seine Freunde auszogen, um einen Brand nach dem anderen zu löschen, während er zur Physiotherapie ging und mit den Neulingen im Klassenzimmer arbeitete, wo er sie mit Hilfe von Büchern unterrichtete und versuchte, nicht zu bemerken, wie sie seine dicken Narben anstarrten, die sich infolge seiner vielen Hauttransplantationen von oben bis unten über seine Arme zogen.
Es war die Idee seines Bruders gewesen, dass er an den Blue Mountain Lake kommen sollte. „Dianna und ich wollen Ende Juli in der Poplar Cove heiraten“, hatte Sam gesagt. Sie hatten für den Spätherbst, am Ende der Feuersaison, eine große Hochzeit geplant, aber nun, da Dianna schwanger war, hatte sich ihr Zeitplan um einige Monate verschoben. „Nach so vielen Jahren, besonders weil sich Granny und Grandpa das ganze Jahr über in Florida aufhalten, bin ich sicher, dass die Hütte Pflege braucht. Für die nächsten paar Wochen könnte das ein gutes Projekt sein. In jedem Fall besser, als hier herumzuhängen.“
Connor hatte beschlossen, so lange vor dem Hauptquartier des Forest Service herumzulungern, bis dieser sich darauf einließ, seinem zigsten Versuch stattzugeben und seine Bewerbungspapiere zu unterzeichnen, die ihn zu seiner Tahoe Pines Hotshot Crew zurückbringen würden. Zwei lange Jahre hatte er einen Spießroutenlauf durch den Forest Service gemacht und sich wie besessen darum bemüht, die Entscheidungsträger davon zu überzeugen, dass er – sowohl geistig als auch körperlich – dazu bereit war, seine Pflichten als Hotshot wieder aufzunehmen. Bisher hatten sie gesagt, es sei ein zu großes Risiko. Sie dachten, es sei zu wahrscheinlich, dass er in eine Starre geraten und nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das eines Zivilisten aufs Spiel setzen könnte.
Unsinn! Er war bereit. Mehr als bereit. Und er war sicher, dass seine Forderung dieses Mal erfüllt werden würde.
Doch er verstand, was Sam meinte. Mit Säge, Hammer und Pinsel ausgestattet in die Hütte zu ziehen, auf den Wegen um den See herum zu joggen, lange im kühlen Wasser zu schwimmen – all das könnte helfen, die Unruhe zu stillen, die seit zwei Jahren durch seine Adern floss.
Hier würde alles anders sein. Dieser Sommer würde besser sein als der letzte, mit Sicherheit ein ganzes Stück besser als die beiden, die er in einem Krankenhaus verbracht hatte.
In diesem Sommer würde Connor die Last, die er auf dem Rücken trug, und das hartnäckige Monster, das ihn langsam, aber sicher erwürgte, endlich abschütteln, um endlich seine Ruhe zu haben.
Connor verließ die Kiesauffahrt, ging über das Gras und durch den Sand, bis er am Ufer des Wassers stand. Er schaute auf den ruhigen See hinaus, auf dessen vollkommen stiller Oberfläche sich die weißen Wolken und die ihn umgebenden grünen Berge, spiegelten, und wartete darauf zu spüren, dass sich die Erleichterung in seiner Brust ausbreitete, sich die Faust in seinem Bauch entspannte.
Ein Schnellboot, das von der Landzunge in die Bucht raste, wirbelte das zur Mittagszeit stille Ufergewässer kräftig auf, und das kalte Wasser spritzte so hoch, dass es sich über Connors Schuhe ergoss und ihn bis zu den Knien durchnässte.
Scheiße!
Wen wollte er da zum Narren halten? Er war nicht hier, um sich in diesem Sommer zu amüsieren. Er war hier, um den anhaltenden Schmerz in seinen Händen und Armen hinter sich zu lassen.
Er war hier, um sich in körperliche Höchstform zu bringen, um dem Forest Service zu beweisen, was er wert war, wenn er für Sams Hochzeit nach Kalifornien zurückkehrte.
Er war hier, um das hundert Jahre alte Blockhaus seiner Urgroßeltern zu renovieren, um so lange und hart zu arbeiten, dass seine Albträume – die grässlichen Erinnerungen an den Tag, an dem er auf dem Berg in Lake Tahoe fast gestorben wäre – ihn im Schlaf nicht einholen konnten.
Er war hier, um allein zu sein. Völlig allein.
Und ganz gleich, was er dafür tun müsste, er würde die innere Ruhe, die Selbstkontrolle finden, die vor dem Feuer in der Desolation Wilderness immer so mühelos und natürlich gewesen war.
Er wandte sich vom Wasser ab und schaute wieder zur Blockhütte. Die Worte POPLAR COVE waren auf einem der Holzblöcke eingraviert – diesen Namen hatten seine Urgroßeltern der Hütte in den Adirondack Mountains im Jahr 1910 gegeben. Er zwang sich dazu, nach Mängeln zu suchen, nach allen Dingen, die er diesen Sommer abreißen und neu aufbauen musste. Von der überdachten Veranda auf der Vorderseite, die am heftigsten von den Stürmen getroffen worden war, blätterte die Farbe ab. Einige Dachschindeln waren schief.
Doch auch, wenn er sich bemühte, sachlich zu sein, fiel ihm vor allem die Präzisionsarbeit auf, die sein Urgroßvater vor hundert Jahren in die Hütte gesteckt hatte: die perfekten Holzblöcke, die die schweren Ecken des Gebäudes stützten, die kleineren Blöcke und Zweige, die die Veranda fast künstlerisch einrahmten.
Achtzehn Sommer hatte er in dieser Hütte verbracht. Zehn Wochen jeden Sommer mit Sam und ihren gemeinsamen Freunden unter der aufmerksamen, aber liebevollen Aufsicht ihrer Großeltern. Die Einzigen, die gefehlt hatten, waren seine Eltern. Einmal hatte er seine Mutter gefragt, warum sie nicht auch kommen konnten, doch sofort hatte sie diesen merkwürdigen atemlosen Blick mit feuchten Augen, den er so sehr hasste, wenn er ihn sah – den gleichen Blick, den sie normalerweise hatte, wenn sie mit seinem Dad über seine langen Arbeitszeiten sprach –, deshalb hatte er das Thema fallen lassen.
Er konnte nicht glauben, dass er zum letzten Mal vor zwölf Jahren hier gestanden hatte.
Nachdem er sich mit achtzehn als Hotshot verpflichtet hatte, war Connor jeden Sommer voll und ganz damit beschäftigt gewesen, Waldbrände zu löschen. An jedem normalen ersten Juli in den letzten zehn Jahren wäre er mit siebzig Kilo auf dem Rücken, einer Kettensäge in der Hand, umzingelt von den zwanzig Mann seines Feuerwehrteams für Waldbrände, in einem Wald an der West Coast gewesen. Doch die letzten paar Jahre waren alles andere als normal gewesen.
Connor hatte nie gedacht, dass er jemals das Wort behindert neben seinem Namen sehen würde. Siebenhundertdreißig Tage waren vergangen, seit er in der Desolation Wilderness von einem Feuersturm überrascht worden war, und noch immer konnte er nicht zurückkehren.
Und obwohl er nach Tahoe gehörte und dort gegen die Flammen kämpfen musste, spürte er, als er im Sand stand und die feuchte Luft sein T-Shirt an seiner Brust kleben ließ, dass er den Blue Mountain Lake schrecklich vermisst hatte.
Er kehrte zu seinem Auto zurück, nahm seine Tasche aus dem Pick-up, warf sie sich über eine Schulter und ging zu den Stufen an der Seite der von Mückenschutz eingerahmten Veranda, die sich von einer Seite des Hauses zur anderen zog.
Die meiste Zeit, die er als Kind im Haus verbracht hatte, war er auf dieser Veranda gewesen – die vor Insekten und Regen schützte, die Brise jedoch hereinließ. Seine Großeltern hatten alle Speisen auf dem Resopaltisch auf der Veranda serviert. Es hatte ihm nichts ausgemacht, dass seine Zähne an kühlen Vormittagen im Frühsommer klapperten, wenn er dort draußen eine Schüssel Cornflakes aß. Ungeachtet der oft hereinbrechenden Kaltfronten hatten Sam und er in T-Shirt und Badehose gelebt.
Eine der Stufen zur Veranda wäre unter seinem Fuß fast zersplittert und er bückte sich stirnrunzelnd, um sie zu untersuchen. Tief in seinem Inneren nagte die Schuld an ihm, als ihm im Stillen bewusst wurde, dass seine Großeltern sich auf dieser Treppe hätten verletzen können. Er hätte am Ende der Saison herkommen sollen, um zu prüfen, dass alles in Ordnung war. Doch die Feuer waren immer an erster Stelle gewesen.
Immer.
Irgendetwas beunruhigte ihn dort, also erinnerte er sich daran, dass die Struktur der Blockhütte stabil war. Hunderte von Malen hatte er Geschichten darüber gehört, dass sein Urgroßvater jeden Holzblock selbst in dem dichten, knapp einen Kilometer vom See entfernten Fichtenwald gefällt hatte. Und doch hinterließ die Zeit früher oder später an jedem Gebäude ihre Spuren, ganz gleich, wie gut es gebaut war.
Connor nahm nun zwei Stufen auf einmal, gefasst darauf zu sehen, welche weiteren Probleme ihn drinnen erwarteten, und griff zum Knauf an der Verandatür.
Doch statt daran zu drehen, erstarrte er.
Was zum Teufel war hier los?
Eine Frau tanzte vor einer Staffelei und schwang etwas vor sich hin und her, das aussah wie ein Pinsel, während sie – weiße Kabel an ihren Ohren baumelnd – völlig schief sang. Alle paar Sekunden tauchte sie in die Farbe ein und strich über die übergroße Leinwand.
Er konnte nicht glauben, was er da sah. Eine merkwürdige, singende, malende Frau auf seiner Veranda war das Letzte, mit dem er sich heute befassen wollte.
Und doch konnte er nichts dagegen tun, dass ihre Schönheit ihn umhaute, als sie eine kleine Drehung hinlegte, bevor sie noch mehr Farbe auf ihre Leinwand spritzte und sie dann mit dem Pinsel verteilte. Er war ihr nah genug, um zu sehen, dass sie unter ihrem roten Tank Top keinen BH trug, und als sie sich mit einem weißen Lappen über die feuchte Haut an ihrem Nacken und dem tiefen V zwischen ihren Brüsten wischte, reagierte sein Körper sofort mit der schmerzhaften Erinnerung daran, dass er schon zu lange mit keiner Frau mehr zusammen gewesen war.
Er vervollständigte rasch den Rest des sinnlichen, unerwarteten Anblicks. Lockiges Haar, das sich auf ihrem Kopf türmte und von einer Art Plastikklammer zusammengehalten wurde, Fransenjeans, gebräunte Beine und Fußnägel in leuchtendem Orange vollendeten ihre nackten Füße.
Er brauchte weitaus länger als angemessen, um sich aus dem Nebel der triebhaften Lust zu befreien, der seinen Schwanz eingehüllt hatte. In einem anderen Moment wäre es ihm gelungen, ihr allein mit einem Lächeln zur Begrüßung das Höschen auszuziehen. Doch er war nicht an den See gekommen, um zu vögeln.
Für eine Frau war in diesem Sommer kein Platz, ganz gleich, wie viele Punkte sie auf seiner Checkliste erfüllte.
Aus irgendeinem Grund überschritt diese Frau eine Grenze.
Und sie musste weg.
* * *
Es war ein perfekter Sommertag, dachte Ginger mit einem Lächeln, als sie Zinnoberrot und Ozeanblau vermischte. Sie hatte ihn mit einem Strandspaziergang begonnen, sich dann einen Bagel auf den Steg mitgenommen, den sie vernascht hatte, während sie ein spannendes Taschenbuch las, und nun war sie hier und malte wie eine Verrückte auf der Veranda.
Der Pop-Song, der mit voller Lautstärke in ihre Ohren drang, erreichte mit dem abschließenden Refrain seinen Höhepunkt und sie musste ganz und gar mit dem Malen aufhören, um Luftschlagzeug zu spielen und beim Singen den richtigen Ton zu treffen. Sie fühlte sich so glücklich, so sorglos und plötzlich wurde ihr schlagartig klar, dass sie das hier niemals – niemals! – in ihren alten Leben hätte tun können.
Ach, wie würden ihr Ex-Mann und ihre „Freunde“ wohl reagieren, wenn sie sie jetzt sehen könnten? Ihr ganzes Leben lang war sie perfekt zugeknöpft, übertrieben sorgfältig frisiert und geschminkt und immer elegant gekleidet gewesen, obwohl die Größe auf den Etiketten ihrer Kleidung eher im oberen Bereich gelegen hatte. Wenn man davon absah, dass ihr Körper sich selbst dann weigerte abzunehmen, wenn sie nichts als Salatköpfe aß, war sie voll und ganz das typische reiche Mädchen, das zur Ehefrau eines Geschäftsmannes geworden war.
Aber jetzt nicht mehr. Nicht am Blue Mountain Lake.
Hier musste sie nicht diese Frau sein.
Natürlich führte sie immer noch viele Spendenaktionen für Kunstinitiativen der Schule durch, doch sie liebte es zu wissen, dass sie anderen damit half. Außerdem hatte es ihr immer Genugtuung verschafft zu wissen, dass sie Talent dafür hatte, Menschen dazu zu bringen, ihr Portemonnaie zu zücken und etwas Gutes zu tun. Ein großes sogar. Der Witz, der in ihrer Heimat oft gemacht wurde – sollte sie inzwischen nicht aufgehört haben, die Stadt als ihre Heimat zu betrachten? – war, dass sie nur in einen Raum voller Millionäre gehen musste, damit diese so viel Geld auf sie warfen, dass sie mit dem Auffangen kaum hinterherkam.
Die Unterstützung der Schulen am Blue Mountain Lake war eine ausgezeichnete Art gewesen, sich für die Stadt zu engagieren und sich am Anfang nicht so allein zu fühlen. Das, was den Einheimischen an Barem fehlte, machten sie durch Enthusiasmus wett. Und obwohl sie in diesen kleinen Ort gekommen war, um sich auf das Malen zu konzentrieren, konnte sie nicht anders, als sich von ihrer Arbeit mit Kindern und Eltern mitreißen zu lassen.
An dem Tag, als sie in die Poplar Cove-Hütte eingezogen war, hatte sie sich geschworen, keine Zeit damit zu verschwenden, in die Vergangenheit zu blicken. Stattdessen würde sie im Hier und Jetzt leben. Jeden Tag so nehmen, wie er kam. Und alles wäre vollkommen perfekt, hätte sie doch nur einen …
Das Lied endete und in der Stille zwischen den Musikstücken konnte sie hören, wie eine Vogelmama einem Nest voller Babyvögel auf der Unterseite der Dachtraufe ihre Rückkehr verkündete. Ginger beugte sich vor, um zu beobachten, wie sich ein kleiner Kopf aus dem Nest reckte und mit einer Bewegung, die wie ein Kuss aussah, das Fressen aus dem Schnabel der Mutter nahm.
Wieder begann ein lebhafter Pop-Song, aber Ginger zog sich die Stöpsel aus den Ohren. Sie war nicht mehr in der richtigen Stimmung. Sie starrte auf ihre Leinwand, doch statt das Gemälde zu sehen, an dem sie den ganzen Tag lang gearbeitet hatte, sah sie das Bild des niedlichen Babys, das während ihres Morgenspaziergangs am Strand gespielt hatte.
Das kleine Mädchen mit den niedlichen runden Backen und den knuddeligen kurzen Beinen, die in ihrem rosa gepunkteten Badeanzug steckten, war absolut vergnügt gewesen, als sie ihre rosa Schaufel in den Sand stieß. Ihre Mutter hatte müde – fast erschöpft – und trotzdem absolut zufrieden zugleich ausgesehen, als sie ihre Tochter beim Spielen am Strand beobachtete.
Ihr Mann Jeremy hatte sie jahrelang hingehalten. „Irgendwann einmal“, hatte er ihr gesagt. „Wenn der richtige Zeitpunkt kommt, sehen wir weiter.“
Bis ihr bewusst wurde, dass der richtige Zeitpunkt niemals kommen würde und „irgendwann einmal“ nicht das Richtige für sie war, musste sie der Tatsache ins Auge sehen, dass Gleiches für die Ehe galt.
In letzter Zeit fragte sie sich immer häufiger, wann es so weit sein würde. Ob es jemals so weit sein würde. Sie kannte viele Frauen, die mit dreißig eine künstliche Befruchtung machen mussten. Da sie dieses Alter schon um drei Jahre überschritten hatte, fragte Ginger sich manchmal, ob ihre brauchbaren Eier eins nach dem anderen austrockneten.
Doch damit nicht genug. Denn wäre sie wieder einmal in ihrer albernen Romantikstimmung, in der sie es eigentlich besser wissen sollte, (was normalerweise ein paar Gläser Wein voraussetzte), dann war die Wahrheit, dass sie sich immer noch einen wundervollen Mann wünschte, um eine Familie mit ihm zu gründen. Ja, ihre erste Ehe war nicht der Hit gewesen. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass die zweite nicht die Liebe sein konnte, nach der sie gesucht hatte.
Das war vielleicht das einzige Problem daran, wenn man sich als Singlefrau in einer Kleinstadt niederließ. Männer, die nicht schon vergeben waren (und nicht von der Speisekarte für Senioren bestellten) waren ein seltenes Gut.
Eine der Frauen aus dem Ort hatte sie mit Sean Murphy verkuppeln wollen, der zusammen mit seinem jüngeren Brüder Besitzer des Gasthauses war, doch die Chemie zwischen ihnen hatte nicht gestimmt. Ja, er war ein gut aussehender Kerl. Groß, dunkel, durchtrainiert. Doch auch wenn sie das Zusammensein mit ihm genoss, konnte sie den Gedanken nicht abschütteln, dass er sie an ihren älteren Bruder erinnerte.
Würde sie eines nicht allzu fernen Tages wieder die Zelte abbrechen müssen, nur um die Chance zu haben, eine Familie zu gründen?
Sie seufzte. Vielleicht war es Zeit, sich Eistee nachzuschenken. Schließlich war es ein verdammt heißer Tag. Und ihr blieben nur noch dreißig Minuten zum Malen, bevor sie zu ihrer Schicht im Blue Mountain Diner aufbrechen musste. Es war sinnlos, sich den Kopf mit Was-wäre-wenn-Fragen und Sorgen und zu zerbrechen, wenn sie eigentlich die Zeit für sich auskosten sollte.
Doch gerade, als sie ihren Pinsel ablegen wollte, öffnete sich links von ihr die Schwingtür in der Glaswand abrupt.
Sie fuhr herum und sah einen großen Mann in der Tür stehen, sein Gesicht war angespannt und düster, seine Augen zu Schlitzen geformt. Die Angst traf sie wie ein Pfeil in die Brust.
Wie lange hatte er schon auf den Stufen gestanden? Hatte er sie beobachtet?
Sie war ihm noch nie begegnet. Er war nicht der Typ von Mann, den sie vergessen hätte. Warum also schaute er sie so an, als wäre er gekommen, um Rache zu nehmen?
Oh Gott, ihre Eltern hatten ihr ja gesagt, dass das passieren würde. Sie hatten ihr gesagt, es sei verrückt, so weit draußen im Wald zu leben. Ihre nächsten Nachbarn lebten fast zwei Kilometer entfernt – zu weit, um ihre Schreie hören zu können. Vielleicht, dachte sie wild drauflos, war das größte Problem an dem Singleleben einer Frau in einer Kleinstadt nicht, dass man nur schwer Männer zum Ausgehen fand, sondern, dass man ermordet wurde.
Ginger sog die Luft ein, schluckte schwer und versuchte sich daran zu erinnern, wie man atmete. Sie ergriff den Pinsel als Waffe, obwohl sie wusste, dass dieser gegen die Wand aus Muskeln, die auf sie herabschaute, rein gar nichts ausrichten konnte.
„Wer bist du? Was willst du?“
Er ging bis ans andere Ende der Veranda und die Tür schlug hinter ihm zu. „Was willst du in meinem Haus?“
In seinem Haus? Was meinte er damit?
Kräftig und dumm. Keine gute Kombination. Sie hatte ein großes Problem. Sie war zu weit vom Telefon entfernt, um eine Freundin oder die Polizei zu Hilfe zu rufen. Bestand ihre einzige Chance darin, einen auf harte Braut zu machen?
Sie war erledigt.
Sie baute sich vor ihm auf, hob den Pinsel, als wäre er ein Messer, und knurrte: „Verzieh dich von meiner Veranda“, da trat plötzlich die Sonne hinter einer Wolke hervor und richtete sich auf seinen Oberkörper.
Es verschlug ihr fast den Atem. Sie hatte seine Arme und Hände zuerst nicht richtig sehen können, aber jetzt konnte sie ihren Blick nicht mehr von ihnen abwenden. Seine Haut unter den kurzen Ärmeln seines T-Shirts war ein Desaster: geschwollen und uneben, von roten Schrammen und Linien überzogen. Im strahlenden Sonnenlicht, das durch die Verglasung der Veranda drang, sahen die Wunden frisch und offen und ungeheuer schmerzhaft aus.
„Oh mein Gott, was ist dir denn passiert?“ Sie ließ ihren Pinsel sinken und kam auf ihn zu.
Wenn möglich, wurde sein Ausdruck sogar noch erbitterter. „Bei mir ist alles gut.“
Sie ging weiter über die Veranda auf ihn zu. Er stand offensichtlich unter Schock. Und verleugnete deshalb den Schmerz, den er verspüren musste.
„Du brauchst nicht so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Ich kann deine Arme sehen, sie …“
Inzwischen war sie keinen Meter mehr von ihm entfernt und ihm so nah, dass sie das wahre Ausmaß des Schadens erkannte. Sie schluckte den Rest ihrer Worte herunter, als ihre Augen und ihr Gehirn endlich zum richtigen Schluss kamen.
Sie hatte gerade einen fürchterlichen Fehler begangen. Ja, er hatte Verletzungen. Schlimme. Aber sie waren nicht frisch. Es waren alte Wunden.
Seine Worte waren leise und hart. „Ich habe vor zwei Jahren Verbrennungen erlitten. Jetzt geht es mir gut.“
Sie biss sich auf die Lippe. Und nickte. „Oh. Ja! Das sehe ich jetzt. Aber als ich dich im Sonnenlicht gesehen habe, habe ich nur gedacht …“ Sie sollte jetzt besser aufhören zu reden: Das Loch, welches sie sich gegraben hatte, war schon tief genug. „Es tut mir leid. Ich wollte nicht so einen Wind um deine … deine Narben machen.“
Die Stille, die ihren schrecklichen Worten folgte, war lang. An der Grenze zu schmerzhaft. Er musste es hassen, wenn andere wegen seiner Narben ausflippten, und sie war praktisch schon kurz davor gewesen, ihm einen Verband anzulegen.
Und jetzt konnte sie natürlich nicht aufhören, sich zu fragen, wie er sich so schlimme Verbrennungen zugezogen hatte. Auch wenn es sie nichts anging.
Schließlich sagte er: „Ich bin Connor MacKenzie. Und das hier ist mein Haus. Ich dachte, es stünde leer. Ich bin gerade extra aus Kalifornien eingeflogen. Es sollte leer stehen.“
Sie registrierte seinen Namen sofort. Endlich etwas, das Sinn ergab. „Bist du mit Helen und George MacKenzie verwandt?“
„Das sind meine Großeltern.“
Zum ersten Mal atmete sie erleichtert auf. Er war kein Serienmörder. Er war mit dem Besitzer der Hütte verwandt.
„Ich bin Ginger. Komm doch rein!“ Sie lächelte zaghaft. „Vielleicht können wir noch einmal von vorn beginnen und ich biete dir ein Glas Eistee an?“
Er erwiderte ihr Lächeln nicht. „Woher kennst du meine Großeltern?“
War ihm bewusst, dass jedes Wort aus seinem Mund wie eine Anschuldigung klang? Als hätte sie all seine großen Pläne über den Haufen geworfen, dabei hatte sie nicht den geringsten Schimmer, wer er war.
„Ich miete diese Hütte von ihnen. Haben Sie dir nichts davon gesagt?“
Er starrte sie eine Weile an, und sie hatte das unangenehme Gefühl, dass er versuchte zu beurteilen, ob sie ihm die Wahrheit sagte.
„Nein.“
Es gab eine Zeit, da hätte so ein großer, starker Mann weniger Worte sie zum Zittern gebracht und sie hätte weiche Knie bekommen. Sie hätte angenommen, dass sie diejenige war, die im Unrecht war, auch wenn sie offensichtlich alles richtig gemacht hatte. Glücklicherweise hatte sich in diesem letzten Jahr vieles verändert. Und ehrlich gesagt war sie nicht in der richtigen Stimmung, um sich herumschubsen zu lassen.
„Warte hier!“ Sechzig Sekunden später war sie mit dem unterschriebenen Mietvertrag zurück. „Hier ist er.“
Er nahm ihr das Dokument aus der Hand und während er es sich durchlas, konnte sie ihn zum ersten Mal für längere Zeit anschauen. Goldbraunes Haar, dunkel gebräunte Haut, Augen mit vollen Wimpern, ein voller und doch männlicher Mund und ein kräftiges, mit frisch nachgewachsenen Stoppeln bedecktes Kinn.
Nun, da sie sich keine Sorgen mehr machte, dass er sie attackieren würde, erkannte ihr Körper plötzlich instinktiv seine Schönheit.
Seine angeborene Kraft.
Aus der Nähe betrachtet war er nicht nur umwerfend attraktiv, sondern auch noch muskulöser, als sie zunächst angenommen hatte. Als sie seine breite Brust, die unter seinem T-Shirt angespannten Muskeln, seinen Bizeps und seine Brust betrachtete, die in eine schlanke, feste Hüfte überging, konnte sie spüren, wie ihr Atem langsam ihren Körper verließ und rasch von etwas ersetzt wurde, dass sich – unangenehm – wie Verlangen anfühlte.
Erst einen langen Augenblick später wurde ihr bewusst, dass er sie ebenfalls anstarrte. Seine Augen wanderten träge von ihrem Gesicht zu ihren teilweise bedeckten Brüsten, dann weiter hinunter zu ihren Hüften und Beinen, bevor sie langsam wieder nach oben zu ihrem Gesicht zurückkehrten.
Da fiel ihr plötzlich ein, was sie trug. Oder besser gesagt, was sie nicht trug.
Sie würde niemals ohne BH in die Öffentlichkeit gehen, aber hier, ganz privat in ihren eigenen vier Wänden, machte sie, was sie wollte. Das gehörte zu den Dingen, die sie am meisten daran liebte, ihr eigenes Haus zu haben. Die Freiheit, nicht nur das zu tun, was sie wollte, sondern auch das zu tragen, was sie wollte.
Ein Tank Top und kurze Fransenjeans waren noch nie Teil ihres typischen Stadt-Outfits gewesen. Doch hier am See, und ganz besonders dann, wenn sie sich an die Arbeit machte und mit Farbe beschmutzte, während die Temperaturen auf über sechsundzwanzig Grad stiegen und die Luftfeuchtigkeit den ganzen Tag lang in Erwartung eines Regenschauers weiter zunahm, gefiel es ihr, dass ihr Fransenjeans das Gefühl gaben, ein Künstlerleben zu führen.
Gar nicht begeistert davon, sich vor irgendeinem Fremden zu entblößen – und noch weniger begeistert davon, dass er womöglich heimlich Gefallen daran finden könnte, sie anzuschauen – verschränkte sie die Arme vor der Brust, um der Peepshow ein Ende zu setzen. Doch dann bemerkte sie, dass er ihr ihren Mietvertrag noch nicht zurückgegeben hatte, also musste sie einen Arm ausbreiten und danach greifen.
Die Ecken des Blattes zerknitterten in seiner Faust. Verdammt, er hatte schon die meiste Zeit der schwindenden Zeit am Nachmittag eingenommen, die sie dem Malen gewidmet hatte. Sie war nicht zu Spielchen aufgelegt.
Sie nahm eine strenge Haltung ein, die bekannt dafür war, dass sie Milliardäre in ihren Ferragamos zum Zittern brachte, wenn sie es „vergaßen“, ihre Wohltätigkeitsinitiativen mit den öffentlich zugesagten Geldern zu finanzieren, und sagte: „Nun, da du den Beweis hast, wüsste ich es sehr zu schätzen, wenn du mir meinen Mietvertrag zurückgeben würdest.“
Aber dieser Mann zitterte nicht. Er rührte sich nicht. Stattdessen hielten seine Augen ihrem Blick stand und sie war sich fast sicher, einen herausfordernden Ausdruck in den blauen Tiefen zu sehen.
Und wie es ja kommen musste, begann ihr Herz wild in ihrer Brust herumzuspringen. Sie vermutete, dass es sich um eine Art instinktiver Reaktion auf die Kombination aus seinem umwerfenden Äußeren und der Bedrohung sein musste, die er offensichtlich für ihren perfekten Sommer am See darstellte.
„Da hast du Glück gehabt“, sagte er langsam. „Dass du dieses Haus den ganzen Sommer für dich hast.“
Sie wurde völlig davon aus der Bahn geworfen, wie seine tiefe, raue Stimme so verführerisch durch ihre Adern floss und glitt. Wie zum Teufel hatte er es geschafft, sie allein mit ein paar Worten so zu plätten, dass sie fast Teil des Verandabodens war?
Bisher war er hart gewesen. Unnachgiebig. Definitiv nicht zum Verhandeln aufgelegt. Doch nun, da sie ihr Recht nicht nur erklärt, sondern auch belegt hatte, sah es so aus, als hätte er beschlossen, die Taktik zu ändern und sie mit der Kraft seiner sinnlichen Macht vollkommen zu überwältigen.
Na ja, aber nur, weil ihr gefiel, was sie sah (wäre dem nicht so, hätte sie jeglicher Hormone beraubt sein müssen), bedeutete das nicht, dass sie die Absicht hatte, ihn zu berühren. Was bedeutete, dass sie immun war.
Jedenfalls größtenteils.
„Du hast recht“, stimmte sie zu, und obwohl sie normalerweise nicht das Bedürfnis verspürte, bei einem Sieg über einen praktisch Unbekannten, Salz in die Wunde zu streuen, konnte sie nicht anders als hinzuzufügen: „Es ist atemberaubend.“
Er schaute zum See hinaus. „So einen schönen Blick hat man selten, sogar an diesem See. Mein Großvater nannte ihn immer den Eine-Million-Dollar-Strand.“
Als er sich wieder ihr zuwandte, hoben sich seine Mundwinkel auf der einen Seite zu etwas, das unter anderen Umständen als Lächeln hätte gedeutet werden können. Doch in diesem Moment hatte es eher etwas von einer Grimasse an sich als irgendetwas, das man auch nur annähernd mit Fröhlichkeit hätte verbinden können.
„Ich frage mich nur Eines. Wie wusstest du, dass meine Großeltern darüber nachdachten, es zu vermieten, wenn sie sich noch nicht einmal daran erinnert haben, es ihrer eigenen Familie zu sagen?“
Das war ein Schlag ins Gesicht. Oh nein, damit würde er nicht davonkommen. Denn Ginger Sinclair hatte keine Angst mehr davor, andere zur Rede zu stellen, wenn sie ihr Unrecht taten. Und dieser Kerl brachte das Fass zum Überlaufen.
„Wirfst du mir irgendetwas vor?“
Das halbe Nicht-Lächeln fiel von ihm ab. „Nur, wenn du dich etwas schuldig gemacht hast.“
Himmel! Was hatten gut aussehende Kerle bloß? Waren die so daran gewöhnt, immer ihren Willen durchzusetzen, dass sie dachten, sie könnten sagen und machen, was sie wollten, wann immer ihnen danach zumute war? Dem hier hätte schon lange jemand einen Dämpfer versetzen sollen. Es sah ganz danach aus, dass ihr diese Aufgabe zukam.
Sie verzog ihren Mund zu dem gleichen schiefen Lächeln, mit dem er sie gerade bedacht hatte, und sagte: „Tja, da ich schon seit acht Monaten ohne dein Wissen hier wohne, ist offenbar viel Zeit vergangen, seit du dich zum letzten Mal mit deinen Großeltern unterhalten hast. Es sieht mir nicht danach aus, dass ich diejenige sein sollte, die Schuldgefühle hat.“
Sie rüstete sich für seine nächste Parade, doch stattdessen blitzte wieder etwas in seinen Augen auf – doch dieses Mal war es keine Wut, sondern eher Faszination. Die Art, wie ihr Puls raste, verwirrte sie und gab ihr das Gefühl, dass ihr Kopf sich drehte. Was hatte dieser Kerl, das dazu führte, dass ihr Körper zum Verräter wurde?
Es musste das schwüle Wetter sein. Das viele Tanzen auf der Veranda musste zu einem Elektrolytmangel geführt haben. Sie war dehydriert. Das war alles.
„Du hast recht“, sagte er schließlich. „Ich muss sie anrufen.“
Ginger konnte es nicht glauben. Stimmte er ihr wirklich zu? Gut, das war alles. Nun, da sie alles geklärt hatten, würde er gehen und sie in Ruhe lassen. Gut.
Sie konnte es kaum erwarten.
Doch dann bemerkte sie die große Tasche zu seinen Füßen, wahrscheinlich voller Kleidung von ihm. Offensichtlich hatte er geplant, heute in der Hütte zu übernachten. Weil er gedacht hatte, sie würde leer stehen. Was bedeutete, dass er keine andere Bleibe hatte.
Oh nein.
Sie schaute ihm wieder ins Gesicht und wurde sofort von seinen dunkelblauen Augen gefangengenommen.
Das kam nicht in Frage.
Diese Blockhütte gehörte ihr, nur ihr allein. Die Kuckucksuhr über dem Kamin im Wohnzimmer ertönte vier Mal, und plötzlich packte sie die Wut darüber, dass ihr perfekter Tag in Scherben lag.
„Sieh mal, es tut mir leid, dass du nicht wusstest, dass jemand in diesem Haus wohnt, aber ich habe einen Vertrag über zwölf Monate, also wirst du eine andere Unterkunft finden müssen.“ Für heute Nacht und die folgenden Nächte, vielen Dank! „Und ich befürchte, ich komme zu spät zur Arbeit, wenn ich nicht bald losgehe, also …“
Sie schaute zur Tür und machte klipp und klar, dass es an der Zeit war, dass er ging.
Er nickte, nahm seine Tasche und sagte: „Okay.“
Nachdem sie die Luft angehalten hatte, hatte sie nun vor Erleichterung schon zur Hälfte tief ausgeatmet, als er hinzufügte: „Ich komme morgen wieder. Dann können wir uns eine Lösung ausdenken, die uns beiden passt.“
Wie bitte? Er würde wiederkommen?
Sie hätte wissen müssen, dass ein Kerl wie dieser nicht so leicht aufgab.
„Ich sage es zum letzten Mal. Ich habe einen Mietvertrag für den ganzen restlichen Sommer. Adieu.“
Na bitte. Klarer hätte sie nicht sein können.
Aber er ging immer noch nicht. Stattdessen musterten seine Augen die Hütte und wanderten dann zu einem Stamm, der die Wand zwischen Veranda und Wohnzimmer stützte. Ohne Vorwarnung schlug er mit seiner Faust dagegen.
Sie schrie überrascht auf. „Was zum Teufel machst du da?“
Vollkommen ruhig benutzte er seine Fingerspitzen, um die abbröckelnden Holzspäne wegzustreichen.
„Hast du das gesehen?“
Sie schluckte schwer. „Du hast gerade ein Loch in den Pfosten geschlagen.“
Ein Loch mit perfekter Faustform. Wie stark musste er sein, um so zuzuschlagen, ohne mit der Wimper zu zucken?
„Dieser morsche Stamm ist nur eine von zig Arten, wie dieses alte Haus über deinem Kopf zusammenbrechen könnte.“ Er drehte sich wieder zu ihr um und hob eine Braue. „Ich bin sicher, meine Großeltern erstatten dir deine Miete gern.“
Ihr Herz pochte immer noch von dem Schock darüber zu sehen, wie er ein riesiges Stück aus dem Pfosten geschlagen hatte. Aber sie war fest entschlossen, seiner Einschüchterungstaktik keine Chance zu geben.
„Ich gehe nirgendwo hin.“
„Dann reden wir morgen.“
Die Verandatür knallte hinter ihm zu, als er ging. Ginger konnte sich nicht davon abhalten, zum Holzpfosten zu gehen, um ihn sich genauer anzusehen. Und als sie eine Hand in das Loch legte, das er hinterlassen hatte, hasste sie Connor dafür, dass er sie die Hütte, die ihr Zufluchtsort gewesen war, mit anderen Augen sehen ließ.
Mit Zweifeln.
MEISTENS WAR Gingers acht Kilometer lange Fahrt in das kleine Stadtzentrum auf der gegenüberliegenden Seite des Blue Mountain Lake gemächlich und entspannend. Der Winter war dem Frühling gewichen und der Frühling hatte dem Sommer Platz gemacht und die Bäume protzten mit hellgrünem neuem Wuchs, den sie schon immer zu schätzen gewusst hatte.
Bis heute.
Was sollte sie bloß mit Connor machen? Angesichts der Tatsache, dass er offensichtlich freien Zutritt zu ihrem Haus haben wollte? Sie war nicht bereit dazu, ihrer Idylle am Seeufer ein Ende zu setzen.
Endlich kam sie mit dem Herumhängen zurecht. Ihre Bilder sahen langsam so aus wie in ihrer Fantasie.
Und am Blue Mountain Lake – aber ganz besonders in der Hütte Poplar Cove fühlte sie sich heimischer als irgendwo sonst.
Es war eine ganz andere Welt hier in den Wäldern, verglichen mit der ihres vorherigen Lebens in New York City. Sie liebte alles daran. Die letzten acht Monate in der Poplar Cove waren die glücklichsten ihres Lebens gewesen. Natürlich bot der Ort einen spektakulären Rahmen, aber ihre Freude war auf viel mehr als auf die wunderschöne Natur der Gegend zurückzuführen.
Freiheit war eine Offenbarung. Zum ersten Mal in ihrem Leben musste sie sich vor niemandem außer sich selbst verantworten. Nicht vor einem Ehemann, nicht vor ihren Eltern, nicht vor einem Ausschuss von unzähligen Vorstandsmitgliedern einer Wohltätigkeitsorganisation.
Natürlich hatte sie sich einen Job als Kellnerin in der Stadt suchen müssen, um ihre Leinwände und Farben zu bezahlen, und es hatte eine Weile gedauert, bis sie sich daran gewöhnt hatte, Bestellungen entgegenzunehmen und Essen und Getränke zu servieren, aber das Kellnern war ein kein hoher Preis dafür, keine Unterstützung von ihren Eltern annehmen zu müssen, während ihr Ex-Mann ihr Geld mit Hilfe seiner Rechtsanwälte unter Verschluss hielt.
Als sie ihren Wagen hinter dem Diner parkte und ausstieg, nahm sie sich ein paar Sekunden Zeit, um die frische Luft einzuatmen, dabei rief sie sich in Erinnerung, dass es keinen Grund zum Ausflippen gab.
Der Enkel des Eigentümers war aus heiterem Himmel aufgetaucht. Na und? Das Wichtigste war, dass sie sich behauptet hatte. Und dass sie es weiterhin tun würde. Leider musste sie zugeben, dass er seine Ansicht über die alte Hütte erfolgreich zum Ausdruck gebracht hatte. Irgendetwas musste getan werden.
Isabel, ihre beste Freundin in der Stadt, die zufällig auch die Eigentümerin des Blue Mountain Lake Diner war, in dem sie arbeitete, erteilte immer gute Ratschläge. Wenn irgendjemand wusste, was man in so einer Situation tun sollte, dann Isabel.
Ginger hatte den Parkplatz schon zur Hälfte überquert, da hätte Josh, Isabels fünfzehnjähriger Sohn, sie fast überrannt, als er an ihr vorbeistürmte, um eine hübsche Blondine auf dem Gehweg einzuholen. Ginger rief „Hallo“, aber er hörte sie nicht, als er um die Ecke bog.
Sie stieß die Hintertür zur Küche auf und sah Isabel, die ein paar Paprikaschoten in dünne Ringe schnitt. „Wer war dieses süße Mädchen, mit dem Josh weggegangen ist? Er konnte seine Augen nicht von ihr ablassen.“
Isabel seufzte, ohne von ihrer Beschäftigung aufzublicken. „Wer weiß? Ich bin die Letzte, der er sie vorstellen würde.“
Von Anfang an war Ginger beeindruckt davon gewesen, wie attraktiv Isabel war. Sie war schlank, blond und fast fünfzig, sah aber locker zehn Jahre jünger aus. Aber heute wirkte sie müde. Ausgebrannt. Wahrscheinlich deshalb, weil es in letzter Zeit Schwierigkeiten zwischen Isabel und ihrem jugendlichen Sohn gab.
„Was ist dieses Mal passiert?“
Isabel antwortete mit einem Wortschwall. „Er ist zur Tür hereingestürzt, obwohl ich ihm schon mindestens hundert Mal gesagt habe, dass er so noch die Tür aus den Angeln heben wird. Und als ich ihn gebeten habe, das Besteck aus dem Geschirrspüler zu räumen, hat er mir gesagt, dass er heute nicht arbeitet.“
In den letzten Monaten hatte Josh nachmittags immer ein paar Stunden ausgeholfen, um sich ein bisschen Taschengeld zu verdienen. Abgesehen von ein paar zu Bruch gegangenen Weingläsern hatte er sich gut gemacht. Manchmal ein wenig faul, aber er war ja erst fünfzehn.
„Mhm.“ Ginger wollte keine Partei ergreifen, auch wenn es sich so anhörte, als hätte Josh sich danebenbenommen. „Hat er gesagt, warum?“
„Offensichtlich hat sein Vater ihm gesagt, dass er ausgehen und sich mit seinen Freunden amüsieren sollte, denn wenn er groß ist, hat er noch genug Zeit zum Arbeiten.“
Isabel schnaubte verärgert. „Ich bringe Brian um. Er fühlt sich schuldig, weil er seinen Sohn nur ein paar Wochen im Jahr sieht und hat keine Ahnung, wie viel schwerer seine endlose Großzügigkeit mir das Leben macht. Du hättest Josh gestern Abend hören sollen, wie er ohne Punkt und Komma von den ,total abgefahrenen‘ Sachen erzählte, die er in den letzten Wochen mit seinem Vater in der Stadt gemacht hat.“
„Es muss schwer sein, mit so etwas mitzuhalten.“
„Unmöglich. Also habe ich Josh gesagt, er soll besser bleiben, sonst setzt‘s was. Und rate mal, was der kleine Scheißer gesagt hat!“
Ginger hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was sich fünfzehnjährige Jungen so einfallen lassen konnten. Besonders, nachdem sie in den letzten Monaten in der Schule mit ihnen gearbeitet hatte.
„Er sagte, es gäbe nur einen Weg für mich, um ihn zum Bleiben zu kriegen: Ihn an den Ofen anzuketten. Und dann ist er mit dem Mädchen abgehauen, um ins Kino zu gehen.“
Ginger stützte sich auf den Tresen. „Ich habe immer noch Albträume davon, fünfzehn zu sein. Zahnspange. Unreine Haut. Alles, was ich brauchte, um meinem Look die Krone aufzusetzen, waren mein Pferdeschwanz und meine Brille. Auch die sieben Kilo mehr waren nicht hilfreich.“
Isabel brummte, und Ginger wusste, dass sie keine große Hilfe war. „Was ich sagen will: Fünfzehn ist ein schweres Alter für alle. Und du musst wissen, dass Josh ein toller Junge ist. Das ganze Schuljahr über war er immer total höflich, als ich in seiner Klasse Kunst unterrichtet habe. Unglaublich konzentriert. Da gab es diesen Bengel, dem ich ein paar Mal fast eine gescheuert hätte, weil er immer wieder Farbe auf die …“ Ihr wurde klar, dass sie vom Thema abwich und sie kam wieder auf Josh zurück. „Wie auch immer – im Vergleich zu den anderen Jugendlichen ist Josh praktisch ein Engel.“
Jegliche Streitlust schien ihre Freundin zu verlassen. „Danke dafür. Es hilft mir, zu hören, dass er sich nicht in einen absoluten Nichtsnutz verwandelt. Ziemlich viel sogar.“
„Gern geschehen. Ich wünschte, ich könnte dir eine größere Hilfe sein, aber da ich selbst kein Kind habe, mit dem ich üben konnte, kann ich wohl keine großen Predigten halten.“
Da sie wusste, dass es ein heikles Thema für sie war, sagte Isabel: „Oh Liebes, ich sollte mich nicht beklagen. Aber an Tagen wie diesem wünsche ich mir, ich hätte einen Partner, der sich mit mir ums Elternsein kümmert. Jemand, mit dem ich die Entscheidungen teilen kann. Das würde alles einfacher machen. Ich dachte, es wäre schwer, als Josh ein Baby war und ich die ganze Nacht neben ihm wach lag – und am nächsten Tag so tun musste, als wäre ich ein voll funktionstüchtiger Mensch. Aber weißt du was? Diese beschissenen Stimmungsschwankungen von Teenies sind noch schlimmer.“
„Und völlig normal“, musste Ginger sie erinnern.
Isabel nickte. „Du hast recht. Wenn ich mich von allem mitnehmen lasse, verliere ich den Verstand noch, bevor er aufs College geht. Erinnere mich daran, dass ich dir später fünf Cent aus der Trinkgelddose gebe. Beratungsstunde offiziell beendet.“
Ginger zögerte einen Moment lang, obwohl das ihr Stichwort war, um in den Lagerraum zu gehen, ihre Tasche aufzuhängen und sich ihre schwarzen Hosen und ihr Button-Down-Hemd anzuziehen.
Sie hatte gehofft, mit Isabel über Connor plaudern zu können. Doch es war offensichtlich, dass ihre Freundin bereits genug mit ihrem Sohn beschäftigt war.
Keine große Sache. Vieles hatte sich in den acht Monaten, die Ginger nun am See war, geändert. Sie hatte gelernt, den Mund aufzumachen. Nicht zuzulassen, dass andere sie übergingen. Sie war Connor gegenüber deutlich gewesen. Die Poplar Cove war vielleicht sein Zuhause gewesen, als er ein Kind war, aber jetzt war sie ihr Haus. Falls irgendetwas daran gemacht werden sollte, während sie zur Miete dort wohnte, dann würde sie diejenige sein, die entschied, wann und wie viel.
Es war nicht nötig, dass Isabel ihr das sagte.
* * *
Der Verkehr auf der Main Street war verrückt und Connor musste, vom Blue Mountain Lake Inn gesehen, am anderen Ende der Straße parken. Die Main Street war nur einen Häuserblock lang, aber selbst wenn er seit über zehn Jahren nicht am See gewesen war, kam es ihm vor, als würde er einen Schritt zurück in die Vergangenheit machen. Einige Geschäftsfassaden waren neuer und leuchtender als in seiner Erinnerung, und mit Backstein gepflasterte Gehwege hatte es nicht gegeben, als er ein Kind war, aber die riesigen Blumenkörbe hingen immer noch von den altmodischen Laternenpfählen, die Eisenwaren- und Lebensmittelgeschäfte waren immer noch da, wo sie immer gewesen waren.
Er sah sein Spiegelbild im Schaufenster eines Wollgeschäfts. Oh Gott, er sah aus, als würde er sich vor einem Sturm in Sicherheit bringen, gebeugt und angespannt. Die Strapazen des Überlandflugs machten sich bemerkbar. Connor war daran gewöhnt, ständig in Bewegung zu sein, nicht daran, so viele Stunden auf einen winzigen Sitz gezwängt zu sein. Ein langer, anstrengender Lauf würde ihm dabei helfen, den heutigen Ärger zu verbrennen. Doch zuerst würde er sich im Inn ein Zimmer nehmen.
Nur für heute Nacht. Bis morgen würde er dafür sorgen, einen Weg zu finden, um in seine – seine eigene – verdammte Hütte am See zurückzukehren.
Als er um das Inn zum Eingang lief, erinnerte er sich an die Klavierabende mit Popcorn in dem übermäßig großen Saal, der einen so riesigen Kamin hatte, dass fast zwanzig von ihnen darinstehen konnten. Wenn er ihn sich jetzt ansah, konnte er kaum glauben, dass es sich um denselben Ort handelte. Jetzt beeindruckte es mit wetterfesten Fenstern, einem neuen Seitenflügel und umfangreicher Landschaftsgestaltung.
Er machte die Tür auf und war überrascht, seinen alten Freund Stu Murphy am Empfang stehen zu sehen. Sie waren beide riesige Fans von Comicbüchern über Superhelden gewesen und hatten endlose Stunden auf dem Dachboden der Poplar Cove damit verbracht, im Licht der Taschenlampe zu lesen.
Doch Connor war nicht dazu aufgelegt, in Erinnerungen zu schwelgen. Er hätte es besser wissen sollen und nicht in die Stadt zum Inn fahren sollen, wo er auf all diese Leute stoßen würde, die ihn von klein auf gekannt hatten. In einer Kleinstadt, in der alle alles über alle anderen wussten, würden alle mehr über seine Narben erfahren wollen. Und darüber, was er hier machte.
„Connor MacKenzie. Lange ist es her …“, sagte Stu. „Freut mich, dich wieder in den Adirondacks zu sehen.“
Connor bemühte sich darum, seine düstere Stimmung zu verbergen, als er seinem Freund die Hand reichte. „Du arbeitest jetzt hier?“
„Eigentlich bin ich der Eigentümer. Sean und ich haben das Inn vor ein paar Jahren gekauft.“ Stus Blick blieb an Connors Narben hängen und er wurde blass. „Ich habe gehört, dass du irgendwo im Westen Feuerwehrmann bist.“
„Ja. Sam und ich sind Hotshots in Lake Tahoe.“
„Hört sich super an“, sagte Stu locker und die Erleichterung darüber, dass er nicht weiter nachhaken musste, war ihm anzuhören. So wie Connor es vorhergesehen hatte.
Als er am Tag seiner Entlassung aus dem Krankenhaus Straßenkleidung angezogen hatte, hatte Connor den Beschluss gefasst, dass er seine Narben vor niemandem verstecken würde, selbst wenn die meisten Menschen sich das wahrscheinlich wünschten. Er hatte sich im T-Shirt schon immer wohler gefühlt. Ihm wurde selbst bei kaltem Wetter heiß, seit jeher.
Seine Verbrennungen waren keine Kriegsnarben, die er für immer mit Stolz zur Schau tragen würde, aber er schämte sich auch nicht für das, was geschehen war. Feuerwehrmänner erlitten oft Verbrennungen. Das war Teil ihrer Arbeit. Aber auch Teil des Adrenalinrausches, der für sie alle der Grund war, sich hinauszubegeben. Denn es gab nichts Besseres als ein wütendes Feuer in die Knie zu zwingen – nichts war erfüllender, als zu wissen, dass er wieder einen Wald, ein Haus, ein Leben gerettet hatte.
Und doch war ihm nicht klar gewesen, wie unangenehm seine Narben den meisten Menschen sein würden. Selbst Menschen, die er für Freunde gehalten hatte.
Ginger war eine der wenigen Personen, denen er begegnet war, die nicht so taten, als würden sie gar nichts bemerken. Stattdessen war sie mit dem Erstbesten herausgeplatzt, das ihr in den Sinn gekommen war.
Ihre Reaktion fühlte sich fast wie eine willkommene Veränderung an.
„Also, was machst du hier?“, fragte Stu.
„Sam heiratet Ende dieses Monats. Ich habe geplant, mir die nächsten Wochen zu nehmen, um die Poplar Cove wieder auf Vordermann zu bringen.“
Das hieß: sobald Ginger ihm Zutritt zu seinem eigenen Haus gewähren würde.
„Ich heirate auch bald.“ Stu entfernte sich vom Tresen und steckte den Kopf zum Büro hinter dem Empfangsschalter hinein. „Rebecca, hast du kurz Zeit? Hier ist ein alter Freund von mir, den ich dir gern vorstellen würde.“
Eine hübsche brünette Frau kam heraus und reichte ihm die Hand. „Hallo“, sagte sie, als Stu sie miteinander bekannt machte.
„Es ist immer schön, einen Freund von Stu kennenzulernen. Ich bin sicher, ihr beide habt als Kinder ganz schön was angestellt.“
Da klingelte Stus Handy. „Mist! Das ist schon wieder die Braut. Ich schwöre: Das ist die letzte Hochzeit, die wir hier veranstalten. Jemals.“
Als er davonging, grinste Stus Verlobte und sagte mit leiser Stimme: „Zumindest weiß ich jetzt, welche Art von Braut ich nie sein will.“ Sie legte den Kopf schief. „Bist du nur gekommen, um Stu wiederzusehen, oder wolltest du noch etwas anderes?“
„Ich brauche ein Zimmer. Nur für heute Nacht.“
Sie machte ein langes Gesicht. „Oh, tut mir so leid, Connor. Ich wünschte, wir hätten eins, aber diese Hochzeit hat hier alles in Beschlag genommen. Jedes einzelne Zimmer. Sogar die Zimmer, die wir normalerweise gar nicht vermieten. Diese Leute sind praktisch in die Vorratskammern eingezogen. Und alle Pensionen im Ort sind für die nächsten Tage ausgebucht. Aber ich kann in den Nachbarorten anrufen, wenn du ein paar Minuten Zeit hast.“
Es dauerte nicht lange und sie bestätigte ihm, dass das nächstgelegene freie Zimmer eine Stunde entfernt in einem Motel am Piseco Lake am südlichen Rand der Adirondacks zu haben war.
„Keine Sorge“, sagte er. „Ich finde schon eine Lösung.“
Verdammt, normalerweise hätte er in der Poplar Cove geschlafen. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, was Ginger für ein Gesicht machen würde, wenn sie ihn nach der Arbeit mit einem Bier auf ihrer Veranda entdecken würde, was für große Augen sie machen würde, wie ihre Wangen sich vor Empörung röten würden.
Wie konnte er an so etwas denken? Er hatte sie gerade erst kennengelernt. Er kannte sie überhaupt nicht. Und seine Pläne gingen nicht weiter, als sie davon zu überzeugen, ihn an der Hütte arbeiten zu lassen. Sie war nur eine x-beliebige Frau, die zufällig im Haus am See wohnte, das seiner Familie gehörte.
Die Tatsache, dass sie etwas Faszinierendes an sich hatte – er hatte nicht damit gerechnet, dass eine so weich und künstlerisch aussehende Frau wie sie so viel Rückgrat hatte – war irrelevant.
Doch Stus Verlobte konnte den Gedanken, dass er eine Nacht lang obdachlos war, offenbar nicht ertragen. „Ich bin sicher, Stu würde nicht wollen, dass du den weiten Weg bis Piseco fährst. Wenn es dir nichts ausmacht, auf seiner Couch zu schlafen, kannst du bei ihm wohnen, bis ein Zimmer frei wird, wenn diese Hochzeit endlich vorbei ist.“
Er erkannte ein gutes Angebot, wenn er eins bekam, und nachdem sie ihn nach oben gebracht und ihm Stus Zimmer und seine Couch für die Nacht gezeigt hatte, zog er sich schnell seine Joggingkleidung an. Fünf Minuten später ließ er die Main Street im Sprint hinter sich.
Er hätte wissen müssen, dass diese Reise zu einem totalen Fiasko werden würde. Achtundzwanzig Jahre lang war ihm alles, was er wollte, einfach zugeflogen. Der perfekte Job. Reizende Frauen. Das Leben war einfach gewesen. Unterhaltsam. Beglückend.
Zwei Jahre nach seinem Unfall hätte alles wieder im Lot sein sollen. Und nicht mit jedem Tag weiter aus den Fugen geraten. Wie oft hatte er sich in Lake Tahoe gewünscht, ins Auto zu steigen und einfach wegzufahren. Irgendwohin. Hauptsache weg. Raus aus seinem Kopf. Alles hinter sich zu lassen, was in den Bergen geschehen war. Besonders an den Abenden, wenn der Schlaf vergeblich auf sich warten ließ, wenn er nichts weiter tun konnte, als diese sechzig Sekunden in der Desolation Wilderness, die alles verändert hatten, noch einmal im Geiste zu durchleben.
Aber das wäre ein feiger Ausweg gewesen. Also hatte er durchgehalten. Hatte darauf gewartet, dass der Forest Service einsichtig wurde und ihn zu seiner Crew zurückschickte. Hatte bis zu diesem Vormittag gewartet, als er ins Flugzeug nach New York gestiegen war.
War es zu viel, ein wenig Frieden und Ruhe zu verlangen? Ein bisschen Raum für sich, um sich zusammenzureißen und seinen Körper dazu zu bringen, den Kampf endlich aufzugeben und das zu tun, was er wollte, verdammt noch mal? War es zu viel verlangt, seinem Bruder bei seiner Hochzeitsplanung zu helfen und der Hütte seiner Urgroßeltern wieder zur alten Pracht zu verhelfen?
Seine Lunge brannte, aber es war ein angenehmes Brennen – die Art von Schmerz, die ihn daran erinnerte, was für ein Glück er hatte, dass er am Leben war. So einem Sprint war es zu verdanken, dass er auf dem Pfad in Lake Tahoe mit unansehnlichen Händen und Armen und ein paar bösen Narben auf Schultern und Nacken davongekommen war.
Und das war der Grund, aus dem er rennen würde, bis er den Schmerz hinter sich ließ – rennen, bis er zu erschöpft war, um ihn noch zu bemerken.
Zwei Stunden später schleppte er sich so erschöpft wie geplant die Treppe hinauf und fand auf Stus Kühlschrank eine Nachricht, in der stand, er solle sich nehmen, was er wolle. Er hatte vor dem Duschen ein Bier hinuntergestürzt und war schon mitten beim zweiten, als er bis ans Ende des langen Stegs vom Inn ging. Auf der Suche nach einem Ort, an dem er Empfang hatte.
In einem Punkt hatte Ginger recht gehabt. Er hatte sich schon lange nicht mehr bei seinen Großeltern erkundigt, wie es ihnen ging.
Während er im Dämmerlicht am Rand des Stegs stand, beobachtete er ein kleines Segelboot, das vorüberfuhr. Er hatte gerade ein paar Stunden damit verbracht, durch Zedern- und Pappelbäume zu rennen, aber bisher hatte er seine Umgebung noch gar nicht richtig wahrgenommen.
Sein ganzes Leben lang war er immer in Bewegung gewesen und hatte etwas getan. Doch als Kind hatte er manchmal spät in der Nacht, als die Lagerfeuer erloschen waren und der Mond hoch am Himmel stand, gelernt, still zu sein. Ruhig dazusitzen und dem Ruf des Eistauchers zu lauschen. Zu beobachten, wie das Wasser sanft gegen das Ufer schwappte.
Hier, in diesem Moment der perfekten Stille am See, sollte er die Ruhe in seinem Sonnengeflecht spüren.
Aber das tat er nicht. Konnte er nicht.
Er nahm sein Telefon aus seiner Hosentasche und rief seine Großeltern in Florida an. „MacKenzie.“
„Hier ist Connor.“
„Wer? Ich hatte einmal einen Enkel mit diesem Namen. Aber ich habe schon so lange nichts mehr von ihm gehört, dass ich ihn ganz vergessen habe.“
Er war nicht dazu aufgelegt, seiner Großmutter die Ausrede zuzuschieben, nach der sie suchte. Nicht, nachdem sie ihm die Poplar Cove so mir nichts dir nichts weggenommen und einfach vermietet hatte.
„Ich bin am See. Im Inn. Wo ich auf der Couch von Stu Murphy schlafen werde.“
„Komm darüber hinweg, Connor. Du und dein Bruder, ihr habt die Hütte seit eurer Jugend nicht mehr benutzt. Und ist das die Art, mit deiner Großmutter zu reden?“
Er hätte wissen müssen, dass es nicht durchgehen ließ, dass er ein Vollidiot war. Verdammt, schließlich hatte sie achtzehn Jahre lang jeden Sommer zwei verrückte aufgedrehte Jungen in Eigenregie unter Kontrolle gehabt. Zwar war sie winzig, aber unvorhersehbar taff. Es war ihr egal, ob er drei oder dreißig war. Sie hatte nicht vor, sich seinen Scheiß gefallen zu lassen.
„Die junge Frau, an die wir vermietet haben, wurde bestens von Miss Miller empfohlen. Du weißt schon, die, die alle Sommerferienwohnungen verwaltet. Jedenfalls ist es ein Segen zu wissen, dass jemand dafür sorgt, dass das Haus nicht total herunterkommt.“
Ihr Vorwurf war laut und deutlich. Da seine Großeltern inzwischen ganzjährig in Florida wohnten und nicht mehr alle sechs Monate in die Adirondacks und wieder zurückfuhren, war es sinnvoll, das Haus zu vermieten. Nicht, weil seine Großeltern das Geld brauchten, sondern, weil die Blockhütte nicht dazu gebaut worden war, jahrelang leer zu stehen.
Die Poplar Cove war ein Ort, an dem Kinder herumrennen sollten, an dem sie mit ihren nassen Badesachen Tropfen auf der Veranda und mit ihren Füßen Sandspuren bis nach oben in die Schlafzimmer hinterlassen sollten. Und in praktischer Hinsicht war es sicherlich nicht schlecht, jemanden im Haus zu haben, der den Eigentümern Bescheid sagen konnte, wenn irgendetwas kaputtging und repariert werden musste.
„Hast du unsere Mieterin kennengelernt?“, fragte sie. „Ist sie hübsch?“
„Ja, ich habe sie kennengelernt“, sagte er, ohne sich darum zu scheren, die zweite Frage zu beantworten. Seiner Großmutter würde es viel zu große Genugtuung geben, wenn sie wüsste, wie hübsch Ginger war.
„Was hält sie von dir?“
„Nicht viel. Sie hat mir gesagt, ich soll mich von ihrer Veranda scheren.“
„Gut für sie. Hört sich ganz danach an, dass das Mädchen was auf dem Kasten hat.“
„Das Haus braucht Pflege, Grandma. Viel Pflege. So wie ich es einschätze, brauche ich fast den ganzen nächsten Monat, um mich um alles zu kümmern.“
Seine Großmutter gab einen irritierten Laut von sich. „Machen wir einen Deal, Kleiner. Ms Sinclair hat bis zum Labor Day einen Mietvertrag mit uns und an den halte ich mich.“
Er ließ sich den Nachnamen der Frau auf der Zunge zergehen. Sinclair. Hörte sich schick an. Elegant. Sogar ein bisschen hochgestochen. Merkwürdig, dass keines dieser Schlagworte zu der dürftig gekleideten, falsch singenden Sängerin mit Pinseln und wilden Locken passte.
„Wenn du tatsächlich meinst, dass du etwas auf Vordermann bringen musst“, fuhr sie fort, „dann einige dich mit ihr. Und nur zu deiner Information: Wenn dieser Anruf irgendetwas über dein, Vorgehen aussagt, dann würde ich mal darüber nachdenken, den Charme einzusetzen, für den du einst so bekannt warst.“ Im Hintergrund hörte er seinen Großvater reden. „Liebling, es ist Cocktail-Zeit, ich muss dann mal! Hab dich lieb.“
Connor legte auf und schaute zu, wie sich die Sonne langsam über den See senkte, während er über die unerwartete Komplikation seiner Pläne für den Sommer nachdachte.
Seine Großmutter hatte recht. Die besten Chancen, um Ginger dazu zu bringen, ihm das zu geben, was er wollte, hatte er, wenn er den alten charmanten Connor wieder ausgrub. Aber es war lange her, seit er zum letzten Mal mit einer Frau zusammen gewesen war – seit den Zeiten, als er nur zu grinsen brauchte, damit sie ihm in die Arme fielen.
Als er nach seiner Genesung von den Transplantationen zum ersten Mal wieder in eine der üblichen Bars gegangen war, in denen die Groupies der Feuerwehrmänner anzutreffen waren, hatten zehn Minuten gereicht, um zu verstehen, dass er nicht mehr dorthin gehörte. Nicht, weil die Frauen angewidert aussahen – obwohl er wusste, dass es so weit sein würde, wenn sie ihm zu nahe kamen und den Fehler begingen, ihre Finger über seine Narben gleiten zu lassen.