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Ein warmer Sommerwind, endlose Sandstrände, rauschende Wellen – und ein heißer Gentleman … Grafikdesignerin Carolin ist vom Pech verfolgt. Die Suche nach ihrem Mr. Right hat sie erfolglos abgebrochen. Dann verliert sie auch noch ihren geliebten Job. Völlig frustriert, entscheidet sie sich für eine Auszeit und nimmt einen Aushilfsjob als Hundeausführerin auf einer Nordseeinsel an. Bei ihren Spaziergängen durch die Dünen trifft Carolin immer wieder auf einen äußerst attraktiven Mann – Henrik. Er schafft es, ihre Gefühle mit Charme und Humor gehörig durcheinanderzuwirbeln. Ist er der Traummann, nach dem sie sich immer gesehnt hat? Doch welches Geheimnis verbirgt er? Und was hat es mit dem herzzerreißenden Brief auf sich, den Carolin in einer Flasche im Dünensand findet?
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Ein Gentleman und Meer
Roman
Kim S. Caplan
Inhaltsverzeichnis
Buchbeschreibung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Epilog
Impressum
Ein warmer Sommerwind, endlose Sandstrände, rauschende Wellen – und ein heißer Gentleman …
Grafikdesignerin Carolin ist vom Pech verfolgt. Die Suche nach ihrem Mr. Right hat sie erfolglos abgebrochen. Dann verliert sie auch noch ihren geliebten Job. Völlig frustriert, entscheidet sie sich für eine Auszeit und nimmt einen Aushilfsjob als Hundeausführerin auf einer Nordseeinsel an.
Bei ihren Spaziergängen durch die Dünen trifft Carolin immer wieder auf einen äußerst attraktiven Mann – Henrik. Er schafft es, ihre Gefühle mit Charme und Humor gehörig durcheinanderzuwirbeln.
Ist er der Traummann, nach dem sie sich immer gesehnt hat? Doch welches Geheimnis verbirgt er? Und was hat es mit dem herzzerreißenden Brief auf sich, den Carolin in einer Flasche im Dünensand findet?
Abgeschlossener Liebesroman mit Happy End.
Anmerkung der Autorin
Der Schauplatz dieser romantischen Liebesgeschichte ist die Nordseeinsel Bentrum. Reetgedeckte Häuser und ein rauer, salziger Wind, so kennen wir die typischen Nordseeinseln. Doch du wirst Bentrum auf keiner Landkarte entdecken. Die Autorin hat sich die künstlerische Freiheit genommen, die Insel zu erfinden.
~ Carolin ~
So ein Mist! Gestern habe ich meinen Job als Grafikdesignerin verloren, den ich lange gesucht hatte. Und das in der Probezeit – wegen einer dämlichen Umstrukturierung. Ich bin unglaublich traurig und enttäuscht.
Den ganzen Vormittag habe ich mich im Netz bereits nach einer neuen Stelle umgesehen, doch leider nichts Geeignetes gefunden. Seufzend klappe ich den Laptop zu. Mein Traumjob entwickelt sich zum Albtraum, denn die City wird von neuen Talenten nahezu überschwemmt, sodass man kaum noch eine Chance hat. Allzu viel Zeit kann ich mir nicht lassen, bis ich eine Arbeit finde, denn Düsseldorf ist ein teures Pflaster. Ich liebe meine wunderschöne Heimatstadt und bewohne ein kleines Apartment am Rheinufer, in dem ich mich absolut wohlfühle.
Mein Smartphone bimmelt. Beim Blick aufs Display erhellt sich mein Gesicht, denn es ist meine beste Freundin Verena, die seit Kurzem als Personalleiterin in einem Luxushotel auf einer ostfriesischen Insel arbeitet. Ich vermisse sie wahnsinnig und hoffe, dass sie bald zurückkommt, denn ihr Job ist befristet, weil die bisherige Leiterin sich im Mutterschaftsurlaub befindet und bald wieder ihren Platz einnehmen möchte.
»Hallo, Süße! Alles klar?«, fragt Verena trotz Stress fröhlich wie immer.
»Nicht wirklich …«, gestehe ich ihr, weil sie sowieso merken würde, dass es mir nicht gut geht. Beste Freundinnen besitzen eben ein untrügliches Gespür dafür.
»Was ist los?«
»Ich habe meinen Job verloren«, erkläre ich niedergeschlagen und erläutere ihr den Grund.
»O nein! Das ist ja furchtbar!«, ruft sie bestürzt aus.
»Jetzt geht die Lauferei zum Arbeitsamt los«, klage ich ihr mein Leid, denn dies ist eine wahre Horrorvorstellung für mich.
»Ach, Liebes, reg dich nicht auf! Kopf hoch! Du wirst bestimmt bald was Geeignetes finden«, versucht sie, mich aufzumuntern.
»Ich gebe mir Mühe! Wie geht’s dir auf der kleinen Insel, wo du gestrandet bist? Gut oder sprichst du schon vor Einsamkeit mit einem bemalten Volleyball?«, mache ich eine Anspielung auf einen bekannten Film, wo dies der Hauptfigur passiert ist.
Verena lacht. »Du hast ja keine Ahnung! Die Insel ist fantastisch! Unser Hotel ist bis aufs letzte Zimmer ausgebucht und alle anderen Unterkünfte auch. Die Sonne und das Meer … Wie in der Karibik!«
»Karibik? Pfff …«, stoße ich verächtlich aus, denn das kann ich mir partout nicht vorstellen.
»Wirklich …«
»Komm trotzdem bald zurück«, flehe ich sie an. »Ich halte es ohne dich kaum noch aus. Mit wem soll ich abends ausgehen und Cocktails schlürfen? Mit wem das Staffelfinale meiner Lieblingsserie streamen und Pizza direkt aus dem Karton essen?«
»Du bist schon viel zu lange allein. Schaff dir endlich wieder einen Freund an«, rät Verena mir.
Ich pruste entrüstet. »Wie du das sagst … Einen Freund anschaffen … Das klingt, als könnte ich einfach einen kaufen wie einen Hund …«
»Apropos Hund … Du kennst dich doch so gut mit den Vierbeinern aus und gehst mit den Hunden aus dem Tierheim spazieren …«
»Ja, dafür habe ich sogar einen Sachkundenachweis gemacht«, erkläre ich stolz.
»Ich habe da eine Idee …«
»Lass hören …«
»Bei uns im Hotel ist ein Job frei. Als Dogwalker«, berichtet Verena mir. »Wir brauchen dringend jemanden, der die Hunde der Gäste ausführt.«
»Du bietest mir einen Job als profane Hundeausführerin an?«, hake ich so verwirrt nach, als hätte ich nicht richtig gehört.
»Ja.«
»Warum nicht gleich eine Stelle als Schuhputzerin?«, frage ich ein bisschen eingeschnappt. Die Vierbeiner aus dem Tierheim auszuführen, ist in meinen Augen etwas völlig anderes.
»Caro, stell dich doch nicht so an! Das ist ein echt lukrativer Job!«
»Lukrativ? Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Doch! Es ist ein richtig guter Job. Und Roland, der letzte Dogwalker, hat mir verraten, dass die Gäste sehr dankbar sind, wenn sich jemand gut um ihre Hunde kümmert und ganz schön viel Trinkgeld springen lassen.«
»Und warum übt er den Job dann nicht mehr aus?«
»Äh, als er mit mehreren großen Hunden spazieren war, haben sich die Leinen um seine Beine gewickelt und er ist gestürzt, als alle losliefen, um eine Katze zu jagen … Fußbruch …«
»Oje … Gibt es für den Job eine Gefahrenzulage?«, hake ich spöttisch nach.
»Mensch, Caro, warum immer so sarkastisch? Das wäre doch eine Supergelegenheit, um den Sommer am Meer zu verbringen und nebenbei auch noch Geld zu verdienen«, versucht sie, mir den Job schmackhaft zu machen. »Jeder andere würde sich darum reißen! Und du kannst ja nebenbei weiter nach einer Stelle als Grafikdesignerin suchen. Ist doch kein Problem.«
»Warum eigentlich nicht?«, denke ich laut. Auf diese Weise könnte ich meine beste Freundin wiedersehen und ein bisschen Kohle verdienen. »Ich überlege es mir.«
»Supi! Du meinst es aber ernst, wirst wirklich darüber nachdenken? Das ist keiner deiner berühmten Witze?«, vergewissert sie sich.
»Nein. Du hast mein Wort.«
»Du, ich habe gleich jemanden hier für ein Einstellungsgespräch. Ich ruf dich danach noch mal an. Sag mir dann, wie du dich entschieden hast.«
»In Ordnung.« Ich nehme das Handy mit in die Küche und mache mir einen Kaffee, setze mich mit dem dampfenden Becher an meinen kleinen Küchentisch. So kann ich am besten nachdenken. Doch anstatt im Kopf eine Für-und-Wider-Liste anzulegen, flammt etwas anderes in meinem Hirn auf. Was hat Verena mir geraten? Such dir endlich einen Freund. Ich verdrehe die Augen, denn ich habe die Hoffnung nach neun Monaten Single-Dasein fast aufgegeben. Die Männer scheinen alle Psychos zu sein, es ist offenbar leichter, eine Nadel im Heuhaufen zu finden als einen gescheiten Typen. Mist, jetzt drängt sich auch noch Frank in meine Gedanken, mein Ex, der mich laufend betrogen hat. Es war eigenartig. Ich fühlte mich sicher bei ihm, denn ständig sagte er mir, wie sehr er mich liebe. Er war aufmerksam und brachte mir kleine Geschenke mit, Aufmerksamkeiten wie ein gerahmtes Foto von uns oder einen seltenen Kaktus für meine Sammlung, alles Dinge, über die ich mich wirklich gefreut habe. Im Nachhinein weiß ich, dass es sein schlechtes Gewissen war. Mein Gott, ich war ja so blind! Blinder als ein Maulwurf.
Ich trinke einen Schluck Kaffee. Was soll ich mit dem Angebot von Verena tun? Ich wäre so gern in ihrer Nähe, aber ist das wirklich ein Grund, diesen Job anzunehmen? Oder sollte ich mich lieber darauf fokussieren, eine neue Stelle als Grafikdesignerin zu finden? Diese Entscheidung kann mir niemand abnehmen, ich muss sie ganz allein treffen. Ich horche in mich hinein. Was sagt mein Bauchgefühl? Vordergründig, dass ein Stück Kuchen zum Kaffee nicht schlecht wäre. Aber auch, dass ich mich einfach auf dieses kleine Abenteuer einlassen soll. Ich stehe auf und schaue in meinen Küchenschrank, wo ich zwar keinen Kuchen, aber noch ein paar Kekse finde.
Fast zucke ich zusammen, als mein Handy nach einer Weile klingelt. Ich gehe sofort ran.
»Da bin ich wieder …«, sagt Verena. »Also, hast du es dir inzwischen überlegt? Wenn du willst, hast du den Job«, knüpft sie an unser Gespräch von vorhin an.
»Ja, ich nehme den Job an.«
»Wunderbar! Ich mache gleich den Vertrag fertig und schicke ihn dir per E-Mail. Herzlichen Glückwunsch!«, ruft sie so enthusiastisch, als hätte ich einen Job als Hoteldirektorin bekommen.
»Danke …«, murmle ich und ein heißer Stich fährt durch mein Hirn. Der Kopf will sich nicht vom Bauch überstimmen lassen und meldet Bedenken an. Tue ich das Richtige? Oder ist das eine komplett bescheuerte Idee?
»Bist du noch dran?«
»Ja, ich bin noch dran …«
»Das ist jetzt etwas kurzfristig, aber es wäre klasse, wenn du schon morgen anreisen könntest, um übermorgen gleich loslegen zu können«, plappert Verena munter weiter. »Bis dahin kann jemand von der Insel aushelfen, aber nicht länger. Bekommst du das hin?«
»Natürlich. Ich bin frei wie ein Vogel … Kein Freund, keine Haustiere. Nur meine Kakteen auf der Fensterbank …«
»Schon wieder Sarkasmus, meine Liebe …«, ermahnt mich Verena.
»Du kennst mich doch …«
»Unfassbar – wir werden uns morgen wiedersehen!«, jubelt meine Freundin.
»Ja, das werden wir! Warte mal … Wo soll ich denn wohnen?«
»Bei mir natürlich«, antwortet sie.
»Bei dir? Du hast mir doch erzählt, wie winzig dein Apartment ist.«
»Das wird schon gehen …«, versichert Verena mir.
»Wenn ich nicht stehend in der Abstellkammer pennen muss …«
Verena kichert. »Ich leihe ein Klappbett und stelle es auf.«
»In Ordnung. Ich schau dann mal im Netz nach der besten Reiseverbindung.«
»Bis dann! Pass auf dich auf!«
»Bis morgen!«
Ich lege das Handy in meinen Schoß und überlege, was ich da gerade getan habe. Von der Grafikdesignerin zur Hundeausführerin. Na, das ist ja ein steiler Karrieresprung!
Ich klappe meinen Laptop auf und tippe den Namen der Insel ein. Bentrum – wo liegt das überhaupt? Ah, die Karte zeigt mir ein kleines Eiland zwischen Norderney und Juist.
Wie komme ich am besten dorthin? Ich besitze kein Auto, weil die Straßen hier in Düsseldorf immer so verstopft sind wie die Adern eines kettenrauchenden Fast-Food-Junkies. Deshalb werde ich den Zug nehmen müssen. Ich buche mir einen Fahrschein für den ersten Intercity, der morgen früh nach Norddeich Mole fährt. Von da aus geht es mit der Fähre auf die Insel. Auch dafür kann ich online ein Ticket buchen.
Bleibt nur die Frage, wie ich zum Bahnhof komme. Die Lösung heißt Micha, denn mein Nachbar schuldet mir noch einen Gefallen.
Am besten, ich gehe direkt rüber und frage ihn. Aus seinem Apartment dröhnt laute Musik. Ich klingle. Nichts. Ich klingle nochmals. Wieder nichts. Dann klopfe ich mehrmals, bis mir die Knöchel wehtun. »Mach auf! Ich bin’s«, schreie ich gegen den Lärm an.
Endlich öffnet Micha mit zerzausten Haaren und ein T-Shirt tragend, das aussieht, als hätte er darin geschlafen. Was wahrscheinlich sogar der Fall ist, wie ich ihn kenne.
»Mann, du hast mir fast die Tür eingeschlagen«, mault er. »Was ist los? Komm rein!«
Ich folge ihm ins Wohnzimmer. »Kannst du mal die Musik leiser machen?«, bitte ich ihn und warte, bis er es getan hat, damit ich weiterreden kann.
»Setz dich«, sagt er.
»Wohin?«, frage ich und deute auf das mit Pizzakartons und Bierflaschen übersäte Sofa.
Micha grinst. »Ich habe gestern Besuch von ein paar Kumpels gehabt.«
»Das sieht man …« Ich schiebe einen Karton beiseite. »Hör zu, ich brauche deine Hilfe …«, fange ich an und berichte ihm von meinem Jobangebot als Dogwalker auf Bentrum.
Er schlägt sich lachend auf die Schenkel. »Scheiße …«
»Was ist so lustig daran?«, frage ich säuerlich.
»Ich habe mir gerade vorgestellt, wie du mit ein paar Chihuahuas durch den Sand stampfst … Ist es echt dein Ding, die verwöhnten Schoßhündchen der High Society zu bespaßen?«
»Was hast du gegen Chihuahuas?«
»Nichts. Sie sind nur zu winzig, um sie als Hund ernst nehmen zu können …«
»Du bist ein Idiot! Außerdem stellt sich hier nicht die Frage, ob es mein Ding ist. Meine Miete muss bezahlt werden. Das müsstest du doch nur zu gut wissen«, erkläre ich dem ewigen Studenten, der jetzt dreiunddreißig ist und immer noch im fünften Semester seines Naturwissenschaftlichen und Mathematik-Studiums festhängt, sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält.
»Ja … schon gut …« Er fährt mit den Fingern durch seine schulterlange, aschblonde Mähne.
»Kannst du mich morgen früh zum Bahnhof bringen?«
»Von welcher Uhrzeit sprechen wir da?«
»Sechs Uhr.«
»O Mann, mitten in der Nacht …«
»Mensch, Micha …«
»Nur Spaß … Natürlich bring ich dich zum Bahnhof. Klare Sache.«
~ Carolin ~
Am nächsten Morgen …
Am liebsten würde ich den Wecker ignorieren, dessen schrilles Klingeln mich aus dem Bett schmeißen will. Doch heute ist ein wichtiger Tag. Es geht auf die Insel. Sonne, Strand und Meer rufen.
Ich schlurfe ins Bad, stelle mich unter die Dusche und putze mir danach die Zähne. Beim Blick in den Spiegel entdecke ich Schatten unter meinen blaugrünen Augen. In letzter Zeit bin ich echt zu wenig an die frische Luft gegangen, die Spaziergänge mit den Tierheimhunden mal ausgenommen. Und das Herumhocken mit einer Tasse Kaffee auf dem Balkon zählt nicht. Wahrscheinlich wird mir der Aufenthalt am Meer richtig guttun. Auf Bentrum herrscht ein sehr gesundes Reizklima, habe ich im Netz gelesen.
Ich greife zum Kamm, denn eine Bürste ist nicht mehr notwendig, weil ich mein Haar nach dem Ende meiner letzten Beziehung habe kurz schneiden lassen. Es heißt immer, dass Frauen sich oft von ihrer Mähne trennen, wenn sie einen neuen Lebensabschnitt beginnen. Diese These stimmt. Der alte Zopf musste buchstäblich ab. Während ich den Kamm durch meine Haare ziehe, denke ich an den Friseur, der mich zu einer Blondierung überreden wollte. Verächtlich meinte er, meine Haarfarbe wäre zu trist und eine Aufhellung würde meine ausdrucksstarken Augen besser betonen. Doch ich habe abgelehnt und bin bei meinem Straßenköterblond geblieben. Das passt ja zu einer Hundeausführerin, denke ich ironisch.
Ich ziehe eine Jeans und ein T-Shirt mit dem Aufdruck meiner Lieblingsband an und werfe einen hektischen Blick auf die Uhr. Bleibt noch Zeit für einen Kaffee? Nein, der ist nicht mehr drin. Ich hatte gestern keine Lust mehr zum Packen meiner Reisetasche, was sich jetzt rächt. Nun muss es ultraschnell gehen. Nachdenklich stehe ich vor meinem Kleiderschrank. Es ist Sommer und ziemlich warm draußen, aber ich werde auch eine Regenjacke mitnehmen müssen. Auf den Nordseeinseln kann das Wetter schnell umschlagen, habe ich gelesen. Wasserfeste Schuhe sind ebenso ein Muss.
Ich hole mehrere T-Shirts, meine geliebte Tunika sowie die Cargo-Hose aus dem Schrank. Meine Kleidung, die durch den Sand und die Hundeschnauzen sicher oft schmutzig werden, kann ich bei Verena ja waschen. Fehlen noch Schuhe sowie mein Kulturbeutel. Ich verfrachte alles in der großen Reisetasche. Meinen Skizzenblock und die Stifte darf ich auf keinen Fall vergessen. Verflucht! Sie ist so voll, dass ich den Reißverschluss kaum schließen kann. Mit viel Geschick gelingt es mir am Ende doch noch.
Ring! Ring!
»Ich komme!«, rufe ich und hetze zur Tür, reiße sie auf. »Hallo, Micha!«
»Na, Caro, mal wieder auf den letzten Drücker fertig?«, meint er grinsend.
»Du kennst mich mittlerweile zu gut …«, antworte ich augenzwinkernd.
»Wir müssen gleich los, wenn du den Zug noch kriegen willst«, mahnt er zur Eile.
»Okay!« Ich hole die Reisetasche und schnappe mir meine Jacke sowie den kleinen Rucksack, der als Handtaschen-Ersatz fungiert. Im Gegensatz zu anderen Frauen habe ich weder ein Faible für Handtaschen noch für Schuhe. Da bin ich völlig aus der Art geschlagen.
»Komm her, gib mir dein Gepäck«, bietet Micha an.
»Danke.«
»Verdammt, was hast du da drin? Hast du jemanden umgebracht und willst die Leiche verstecken?«
Ich lache, denn ich mag seinen schwarzen Humor. »Nur eine Minute …«, halte ich inne und hebe den Zeigefinger. »Ich muss mich noch verabschieden …«
»Von wem? O Mann, hast du etwa ein Haustier? Das hättest du mir sagen müssen. Es wäre doch verhungert …«
»Mensch, Micha! Als ob ich dir ein Haustier verheimlicht hätte … Nein, ich muss nur eben meinen Kakteen Auf Wiedersehen sagen …« Ich gehe zum Fensterbrett und werfe einen prüfenden Blick auf meine Lieblinge. »Und denk dran, nur ganz wenig Wasser geben«, ermahne ich Micha und deute zur Gießkanne.
»Schon klar. Ich mach das nicht zum ersten Mal«, brummt er. »Du und deine stachligen Kollegen …«
»Die sind mir lieber als andere …«, antworte ich und denke an die blöde, zickige Kollegin zurück, mit der ich in der Werbeagentur zusammenarbeiten musste.
Wir verlassen mein Apartment und ich schließe sorgfältig ab. Der Aufzug ist defekt, daher müssen wir die Treppe nehmen. Micha tut mir richtig leid, meine Tasche fünf Stockwerke runterschleppen zu müssen. Unten angekommen, öffne ich ihm die Haustür, denn das ist das Mindeste, was ich tun kann.
»Mein Wagen steht da hinten«, sagt er und deutet zum Ende der Gasse. Außer verstopften Straßen herrscht in Düsseldorf nämlich auch chronischer Parkplatzmangel.
Wir steigen in seine alte Karre, deren Blech von misslungenen Parkmanövern zahlreiche Dellen aufweist. Doch Micha liebt dieses Vehikel heiß und innig und würde es gegen kein anderes eintauschen. Abgesehen davon, hat er auch nicht die Kohle dafür, sich ein besseres zuzulegen.
Die Fahrt vergeht durch eine lustige Unterhaltung wie im Flug. Ich gehe davon aus, dass er mich am Bahnhof einfach rauslässt, doch zu meinem Erstaunen steuert Micha den Wagen ins Parkhaus.
»Ich begleite dich noch bis zum Zug«, erklärt er.
»Aber ich zahle das Parkticket«, bestimme ich, denn es ist verdammt teuer. Man wird bei solchen Gelegenheiten abgezockt wie bei einem Hütchenspiel.
»Kommt nicht infrage«, lehnt er ab, steigt aus und holt eins.
Wir betreten die Bahnhofshalle und gehen weiter, suchen das Gleis, von dem mein Zug abfährt.
»O nein, so ein Mist, der Intercity hat eine halbe Stunde Verspätung«, stelle ich mit einem Blick auf die Anzeigetafel fest. »Komm, dann habe ich noch Zeit für einen Kaffee.«
»Du hattest noch keinen Kaffee?«, meint Micha verwundert. »Wie hast du es heute Morgen geschafft, ohne dein Lebenselixier in die Gänge zu kommen?«
Ich grinse. »Keine Ahnung. Deshalb fühle ich mich wahrscheinlich auch wie ein Zombie.«
Wir gehen wieder zurück in die Halle und halten an einem Stand an, der Kaffee und belegte Brote anbietet, bestellen uns zwei Becher und Käse-Baguettes. Ich schaue fasziniert dem Gewimmel der Reisenden zu. Es herrscht eine ansteckende Aufbruchstimmung, klappernde Rollkoffer werden von abgehetzt wirkenden Geschäftsmännern über den Boden gezogen, am Kiosk wird noch schnell eine Zeitung für unterwegs gekauft. Langsam erwacht ein richtiges Kribbeln in mir, das mich darin bestätigt, das Richtige zu tun.
Erschrocken fällt mein Blick auf die große Bahnhofsuhr. »Oh! Mein Zug kommt gleich …« Hektisch trinke ich den letzten Schluck Kaffee. Nur nichts vergeuden.
Micha setzt eine übertrieben bedrückte Miene auf, nachdem wir am Gleis angekommen sind. »Es wird verdammt einsam sein ohne dich. Niemand, der an die Wand klopft, weil die Musik zu laut ist …«
»Ach komm, du wirst es überstehen«, erwidere ich, denn rührselige Abschiede sind mir zuwider. Doch ich muss mir eingestehen, dass ich einen Kloß im Hals habe.
»Dann mach’s gut«, sagt Micha.
»Mach’s besser …«, bemühe ich mich um Coolness und steige in den Zug. Gleich im nächsten Abteil befindet sich mein reservierter Sitzplatz am Fenster. Ich schiebe meine Tasche unter den Sitz und setze mich dann.
Kurz darauf ertönt das Signal zur Abfahrt. Ich schaue aus dem Fenster. Gott, da steht Micha ja noch! Ich hatte gedacht, er wäre bereits verschwunden. Und jetzt winkt er auch noch! Fehlt nur ein weißes Taschentuch in seiner Hand.
Ich winke zurück. Was für eine filmreife Szene! Nur, dass wir kein Liebespaar sind. Dann wäre die Trennung richtig tragisch.
Der Zug rollt aus dem Bahnhof und nimmt langsam Fahrt auf.
Ich werfe einen Blick auf die anderen Passagiere, eine bunte Mischung aus Alt und Jung. Dann schaue ich aus dem Fenster, was immer das Schönste an einer Bahnreise für mich ist. Zurücklehnen und Entspannen ist angesagt.
Beim nächsten Halt steigen zahlreiche Leute zu. Eine Frau in etwa meinem Alter bleibt neben mir stehen.
»Hi! Ich glaube, das ist mein Sitzplatz«, sagt sie lächelnd und deutet neben mich.
»Hallo!« Lächelnd gebe ich den Gruß zurück und nehme meinen Rucksack weg, quetsche ihn mir zwischen die Beine, was gar nicht so einfach ist, da meine Reisetasche stört. Vielleicht ergibt sich eine nette Unterhaltung. Ich finde es stets spannend, neue Menschen kennenzulernen und etwas aus ihrem Leben zu erfahren.
Sie nimmt Platz und holt eine Packung Kaugummis aus ihrer Tasche, bietet mir eins an.
Ich nehme mir begeistert eins und bedanke mich. Es ist genau die Sorte, die ich am liebsten mag und schmeckt fruchtig-süß. Wir haben also schon mal eine Gemeinsamkeit. Daraus kann sich mehr entwickeln. Doch als der Zug anfährt, holt sie ihr Smartphone heraus und steckt sich Stöpsel in die Ohren, um Musik zu hören.
So ist das heutzutage. Wir kapseln uns freiwillig ab, lassen Chancen vergehen, neue Kontakte zu knüpfen. Und niemand weiß, was er dabei verpasst.
Ich starre aus dem Fenster, während der süßliche Geschmack des Kaugummis sich in meinem Mund ausbreitet und Kindheitserinnerungen wach werden lässt. Ich denke daran zurück, wie meine Eltern mit mir manchmal mit dem Zug gefahren sind. Einfach nur, weil es mir Freude bereitet hat, nicht etwa, weil wir kein Auto besaßen. Mein Vater arbeitete als Autoverkäufer in einem großen Autohaus und fuhr stets die neuesten Modelle. Ich war sehr stolz, wenn er mich damit ab und zu von der Schule abholte, und träumte dann, ich wäre ein sehr reiches Mädchen, das einen Chauffeur hätte.
Autofahrten waren etwas Alltägliches, aber so eine Zugfahrt am Wochenende war etwas Besonderes für mich. Das Ziel war meistens Münster, wo wir den Allwetterzoo besuchten. Erst abends kehrten wir zurück nach Hause, denn ich konnte nie genug von den Tieren bekommen.
Meine Mutter mochte das Zugfahren nicht so sehr, wäre lieber mit dem Auto gefahren. Doch mir zuliebe tat sie es. Mit einem Lächeln denke ich daran, wie liebevoll ich aufgewachsen bin. Mutti war Arzthelferin in einer Röntgenpraxis und arbeitete halbtags, damit sie Zeit für mich hatte, wenn ich aus dem Kindergarten oder später der Schule kam. Ich war ein sehr lebhaftes Kind mit einer überaus großen Fantasie. Ständig habe ich mir Geschichten ausgedacht. Wenn ich sie als Kind anschwindelte, weil ich etwas Verbotenes getan hatte, pflegte sie stets, zu sagen: »Caro, lüg mich nicht an. Ich durchschaue dich … Notfalls nehme ich dich mit in die Röntgenpraxis und dann sieht der Herr Doktor die Lügenmännchen in deinem Bauch … Sie haben ganz kurze Beinchen und können nicht schnell weglaufen …« Als ich sehr klein war, glaubte ich ihr das. Keine Ahnung, ob diese Erziehungsmethode optimal war – bei mir hat sie zumindest gefruchtet. Noch heute verabscheue ich Lügen über alles.
Wie die Zeit vergeht. Heute sind meine Eltern Rentner und verbringen die meiste Zeit des Jahres in ihrem Wohnwagen auf einem Campingplatz an der Mosel. Es ist wunderschön dort, aber ich besuche sie nur selten, denn nach zwei Tagen wird es mir zu langweilig und ich muss wieder zurück in die Großstadt.
Das Rauschen des Intercitys über die Gleise macht mich müde, ich lehne den Kopf zur Seite und schlafe tatsächlich ein.
Die monotone Durchsage des Zugführers reißt mich aus den Träumen.
»Endstation Norddeich Mole!«, kündigt er an. »Der Zug endet hier. Werte Fahrgäste, bitte aussteigen!«
Ich greife nach meiner Reisetasche und schultere den kleinen Rucksack, verlasse als einer der letzten Passagiere den Zug. Zum Glück liegt der Fähranleger in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs, sodass ich zu Fuß gehen kann. Trotz der Verspätung erwische ich noch die Fähre.
Zu gern würde ich an Deck gehen, doch mit meiner schweren Reisetasche ist es einfacher, unten im Restaurant zu bleiben. Ich hole mir daher einen Cappuccino und setze mich. Gedankenversunken reiße ich ein Zuckertütchen auf, schütte es hinein, schaue zu, wie es im Milchschaum versinkt, und rühre dann um. Gespannt schaue ich aus dem Fenster, als die Fähre ablegt. Was für ein aufregender Moment, das Festland zu verlassen. Ui, das schaukelt aber ganz schön, stelle ich fest, als wir ein Stück weit hinaus aufs Meer gefahren sind.
»Hallo … ist hier noch frei?«, will ein junger Typ mit einem riesigen Rucksack wissen.
Ich schaue auf. Meine Güte, ist der groß! Und breitschultrig. Und attraktiv. Sein Akzent verrät sofort, dass er aus Bayern stammt.
»Klar …«, erwidere ich freundlich, erhoffe mir diesmal allerdings keine Unterhaltung. Er wird vermutlich gleich sein Handy herausholen und aufs Display starren, bis wir in den Hafen einlaufen.
»Danke, super«, antwortet er und setzt sich mit seiner Limo an den Tisch.
»Wäre blöd, dich zu fragen, wohin du willst«, startet er überraschenderweise ein Gespräch. »Die Fähre fährt nur nach Bentrum …«
Ich lache und schaue ihn mir näher an. Er hat moosgrüne Augen und langes, braunes Haar, das er mit einem Gummi zum Zopf gebändigt hat.
»Eine Trauminsel. Machst du dort Urlaub?«, will er wissen.
»Nein, ich habe da einen Job.« Was genau, will ich ihm nicht verraten, weil es mir immer noch ein wenig peinlich ist. »Und du?«
»Ich mache auf Bentrum ein Praktikum. In der Wildvogel-Auffangstation«, berichtet er stolz. »Es war wahnsinnig schwer, dort einen Platz zu bekommen. Als Mensch, meine ich … Als Vogel musst du dir nur einen Flügel brechen …«, setzt er nach.
»Verstehe …«, antworte ich lächelnd und lasse mir von ihm noch einiges über seine kommenden Aufgaben erzählen. Gespannt höre ich zu, denn egal welches Thema – ich liebe es, wenn Menschen für das brennen, was sie tun.
»Aber jetzt zu dir. Was ist das für ein Job?«
»Ich … äh … jobbe als Hundeausführerin. Für die Vierbeiner der Gäste eines Luxushotels«, rücke ich mit der Sprache heraus.
»Klasse!«, sagt er wie aus der Pistole geschossen. »Du liebst also Tiere. Genau wie ich.«
»Ja. Ich liebe alle Tiere. Besonders verrückt bin ich allerdings nach allem, was Fell hat …«
»Dann müsstest du auch mich mögen …«, meint er, deutet auf seinen Bart und macht seinen Zopf auf, sodass sich seine prächtigen braunen Locken über seine Schultern ergießen.
Ich lache herzhaft auf. Der Typ ist phänomenal!
Er bindet sich den Zopf wieder zusammen. »Ich studiere in München Tiermedizin, bin im vorletzten Semester und mache bald meinen Abschluss«, berichtet er mir dann ohne jegliche Arroganz, nur mit einem kleinen Anflug von Stolz. »Deshalb mache ich in den Semesterferien bei verschiedenen Tierschutzorganisationen Praktika. Man lernt nie aus …«
»Das stimmt«, bestätige ich beeindruckt. So jung und fast schon mit dem Studium fertig. Davon könnte sich Micha eine Scheibe abschneiden.
»Ach, habe ich mich eigentlich schon vorgestellt?«
»Nein.« Ich schüttle den Kopf.
»Tut mir leid. Ich bin Tobias. Alle nennen mich nur Tobi«, sagt er, »ob ich will oder nicht …«
Schon wieder bringt er mich zum Lachen, denn die Verniedlichung seines Vornamens wirkt bei solch einem Hünen seltsam. »Ich bin Carolin, aber werde von allen nur Caro genannt.«
»Schade, Caro, ich hätte noch ewig mit dir quatschen können … Aber wir legen gleich an. Vielleicht laufen wir uns mal über den Weg. Die Insel ist schließlich nicht so groß. Oder komm doch mal in der Auffangstation vorbei«, schlägt er vor. »Ich würde mich freuen!«
»Das werde ich ganz bestimmt tun.«
»Versprochen?«, hakt er mit schief gelegtem Kopf nach.
»Versprochen.« Ich nicke zur Bestätigung. Seine unaufdringliche, lockere Art empfinde ich als äußerst angenehm. Immer sofort die Handynummern zu tauschen, ist nicht mein Ding.
»Warte, ich helfe dir beim Tragen«, bietet Tobi an.
»Nein, lass nur. Du hast doch selbst schweres Gepäck«, lehne ich ab.
»Keine Widerrede.« Er packt sich seinen Rucksack auf den Rücken und hebt meine Reisetasche an, ohne mit der Wimper zu zucken. Ein im wahrsten Sinne des Wortes starker Typ.
Wir verlassen die Fähre und werden sofort vom Schreien der Möwen empfangen. Ich atme die frische Seeluft tief ein. Was für ein Gewusel hier am Hafen herrscht! Die edlen Limousinen warten offensichtlich auf die Gäste des Luxushotels, aber auch ein uriger Planwagen mit kräftigen Kaltblütern davor steht bereit, um ein paar Leute zu transportieren.
»So, da wären wir«, sagt Tobi und stellt meine Tasche ab. Suchend schaut er sich um. »Die Auffangstation wollte mir jemanden schicken, der mich abholt.«
Ein junger Mann kommt auf uns zu, von der Statur her ein ebensolcher Hüne wie Tobias. »Hallo! Bist du der neue Praktikant der Wildvogel-Auffangstation?«, will er wissen.
»Der bin ich. Tobias Brunner …« Er streckt seine Hand aus.
»Hej! Das sagt man hier auf der Insel zur Begrüßung. Ich bin Andreas Kerber, Leiter der Station«, stellt der andere sich vor und schüttelt ihm kräftig die Hand. »Willkommen auf Bentrum. Dann wollen wir mal …« Da hinten steht mein Wagen.« Er deutet auf einen ramponierten dunkelgrünen Jeep mit der Aufschrift »Wildvogel-Auffangstation Bentrum«.
»Geh ruhig vor, ich komme gleich nach …«, sagt Tobi zu ihm und gibt dann auch mir die Hand. »Tschüss, Caro. Viel Spaß bei deinem neuen Job.«
»Tschüss, Tobi. Mach’s gut und dir auch viel Spaß«, erwidere ich.
»Wie kommst du zum Hotel?«
»Keine Ahnung. Ich muss erst meine Freundin anrufen. Sie arbeitet dort.«
»Ach, es ist sicher noch Platz im Jeep«, meint er. »Komm!«
»Bist du dir sicher?«, zögere ich.
»Komm!«, wiederholt er und schnappt sich einfach meine Reisetasche. Ich folge ihm zum Jeep. »Das ist Caro«, sagt er zu Andreas. »Ich habe sie eben auf der Fähre kennengelernt. Es ist doch bestimmt kein Problem, sie am Hotel abzusetzen, oder?«
»Hallo, Caro.« Andreas schüttelt mir die Hand. Ich verziehe leicht schmerzhaft das Gesicht. Wenn mir heute noch so ein kräftiger Kerl die Hand schüttelt, fällt sie mir vermutlich ab. »Wohin soll es denn gehen?«, will er wissen.
»Zum Hotel Bentrumer Hof. Das liegt an der Promenade.«
»Ah, kein Problem. Steig ein!«, fordert er mich auf und macht die hintere Tür auf.
»Danke, das ist echt lieb«, sage ich und klettere hinein.
Tobias verlädt unser Gepäck und nimmt dann auf dem Beifahrersitz Platz, schnallt sich an.
Andreas lässt den Motor an. »Du wohnst wirklich in dem verflucht teuren Spießer-Hotel?«, erkundigt er sich bei mir.
»Nein, ich habe dort nur einen Job«, kläre ich ihn auf.
»Ach so … Ich dachte schon, du wärst eine eingebildete Tussi, die auf Kaviar und Austern steht.«
»Sehe ich etwa so aus?«, frage ich leicht provokant.
»Eigentlich nicht«, gibt er zu.
Ich schaue aus dem Seitenfenster und versuche, alle neuen Eindrücke in mich aufzusaugen.
»Da wären wir«, kündigt Andreas an und stoppt den Wagen in der Nähe des Eingangs.
Ich schaue die Fassade des imposanten Gebäudes hoch und mir wird ein wenig mulmig im Bauch. Das teuerste Hotel, das ich je betreten habe, hatte drei Sterne, dieses hier hat fünf. Wie wird es wohl da drin aussehen? Ah, ich träume schon wieder. Ich darf die Männer nicht warten lassen, denn sie müssen noch weiter.
»Nochmals vielen Dank. Das war echt supernett«, sage ich und verlasse mit Andreas den Wagen.
Er holt meine Tasche heraus und stellt sie ab. »Kein Thema. Mach’s gut!«
»Du auch!«
»Warte, ich komme mit und trage dein Gepäck rein«, bietet Tobi an, der das Autofenster heruntergelassen hat und lässig seinen Arm aufstützt.
»O nein!«, lehne ich ab. »Ich komm schon zurecht. Du bist nicht mein persönlicher Packesel.«
Tobi lacht. »Als Esel wurde ich allerdings schon oft bezeichnet. Wie du meinst … Man sieht sich!« Er hebt die Hand.
»Ja. Bestimmt!« Ich hebe ebenfalls die Hand und winke kurz.
Der Jeep fährt an und ich schaue ihm nach, bevor ich meine Tasche anhebe und sie in Richtung Eingang schleppe. Es benötigt Geschick, um sich damit durch die Drehtür zu quetschen.
In der Lobby bleibe ich erst einmal staunend stehen. Heilige Scheiße, was für ein Luxus! Ich starre an die Decke, an der ein riesiger Kronleuchter hängt. Wenn der jetzt runterfällt, bin ich platt wie eine Flunder, ist mein erster Gedanke.
Ich stelle mich in eine Ecke der Lobby und rufe Verena an. »Hallo, Liebes! Ich bin schon da!«
»Caro! Was? Du bist schon auf Bentrum? Das ist ja super!«
»Überraschung! Ich bin sogar schon im Hotel«, teile ich ihr mit.
»Warum hast du nicht von der Fähre aus angerufen? Ich hätte dir jemanden geschickt, der dich am Hafen abholt«, erwidert sie.
»Ich bin auch so klargekommen. Aber das erzähl ich dir später … Ich warte in der Lobby auf dich.«
»Setz dich. Ich komme gleich zu dir.«
»Alles klar.« Ich nehme in einem der gemütlichen Klubsessel Platz und beobachte die Gäste. Die meisten sind leger gekleidet, die Damen tragen Sommerkleider und die Herrn Bermudashorts und Poloshirts. Nur wenige wollen durch extravagante Designerkleidung ihren Status deutlich machen. Eine Dame ist dabei einen Tick zu fein, mit Boucle-Kostümchen und riesiger Sonnenbrille könnte sie besser über die Kö, die Düsseldorfer Prachtstraße, flanieren.
Das Studieren der unterschiedlichen Gäste ist echt kurzweilig, sodass die Minuten wie im Flug vergehen, bis Verena in einem schicken dunkelblauen Kostüm, unter dem sie eine blütenweiße Bluse mit Halstuch trägt, auf mich zukommt. Sie sieht ungewohnt elegant aus durch das hochgesteckte Haar, das von Natur aus sehr kraus ist. Ein dezentes Make-up vervollständigt ihren Look. Sie streckt die Arme nach mir aus.
»Süße! Wie schön, dich zu sehen!«, ruft sie impulsiv.
Ich stehe auf und lasse mich von ihr drücken. »Du erstickst mich ja«, stoppe ich sie keuchend.
»Wie war deine Reise?«
»Der Intercity hatte ein wenig Verspätung, aber sonst lief alles reibungslos.«
»Lass dich ansehen«, sagt sie und mustert mich. »Du bist ziemlich blass. Aber das wird sich hier auf der Insel schnell ändern.