Ein Mord am Wörthersee - Roland Zingerle - E-Book

Ein Mord am Wörthersee E-Book

Roland Zingerle

4,4

Beschreibung

SPORT IST MORD? IM WAHRSTEN SINNE DES WORTES! Beim Ironman in Klagenfurt kommt es bereits zum zweiten Mal in Folge zu einem mysteriösen Todesfall: Auf der Radstrecke bricht ein Athlet zusammen und ist auf der Stelle tot. Pikantes Detail am Rande: Beide Verunglückten entstammen derselben Familie, sind beim selben Arzt in Behandlung und haben dieselbe Lebensversicherung abgeschlossen. Zufall? Tragisches Schicksal? DETEKTIV SABLATNIG ERMITTELT IN KLAGENFURT - UND ES WIRD BRENZLIG-HEISS Daran will der Direktor der Fiducia-Versicherung, Armin Oberhofer, partout nicht glauben - immerhin war die Summe der ausgezahlten Lebensversicherungen nicht unbeträchtlich. Und nun will auch noch der dritte männliche Spross der Familie beim Ironman an den Start gehen. Oberhofer beauftragt Berufsdetektiv Heinz Sablatnig, das Umfeld der Verunglückten genauer unter die Lupe zu nehmen, um einen weiteren Todesfall zu verhindern. Für Sablatnig beginnt damit ein Wettlauf gegen die Zeit, den er beinahe mit dem eigenen Leben bezahlt … IDYLLISCHER WÖRTHERSEE, ABGRÜNDIGES MOTIV Mord am wunderschönen Wörthersee, wo alle Menschen Freunde sind? Kann man sich kaum vorstellen! Mit großer Raffinesse verwebt Roland Zingerle in seinem Krimi-Debüt das Flair der Kärntner Landeshauptstadt und deren mondänen Wörthersee-Gesellschaft mit einem spektakulären Kriminalfall: originell, abgründig und spannend bis zur letzten Seite! "Heißes Krimi-Vergnügen im sommerlichen Kärnten! Roland Zingerle gelingt mit 'Ein Mord am Wörthersee' ein spannender Krimi, der einen sofort in die Kärntner Hauptstadt katapultiert. Der Wörthersee zum Greifen nah … Ein äußerst gelungenes Debüt! Bin gespannt auf den nächsten Fall!" "Endlich ein spannender Krimi aus Kärnten, der durch geschickt verknüpfte Handlungsstränge und die tolle Kulisse überzeugt. Für alle Kärnten- und Krimi-Liebhaber eine absolute Leseempfehlung!"

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Roland Zingerle

Ein Mord am Wörthersee

Kärnten-Krimi

Table of Contents
Cover
Titel
Kapitel 1
Freitag, 7 Uhr
Kapitel 2
Freitag, 7.30 Uhr
Kapitel 3
Freitag, 8 Uhr
Freitag, 13 Uhr
Kapitel 4
Freitag, 17 Uhr
Samstag, 7.45 Uhr
Kapitel 6
Samstag, 9 Uhr
Samstag, 10 Uhr
Samstag, 13 Uhr
Kapitel 7
Samstag, 16 Uhr
Kapitel 8
Sonntag, 5.15 Uhr
Sonntag, 10 Uhr
Kapitel 9
Sonntag, 12 Uhr
Sonntag, 14 Uhr
Kapitel 10
Montag, 10 Uhr
Kapitel 11
Montag, 14 Uhr
Montag, 17 Uhr
Montag, 18.30 Uhr
Kapitel 12
Dienstag, 6 Uhr
Dienstag, 7.50 Uhr
Dienstag, 10 Uhr
Dienstag, 12 Uhr
Kapitel 13
Dienstag, 12.30 Uhr
Dienstag, 17.15 Uhr
Kapitel 14
Dienstag, 21 Uhr
Dienstag, 22.30 Uhr
Kapitel 15
Mittwoch, 12 Uhr
Kapitel 16
Mittwoch, 13.30 Uhr
Mittwoch, 18 Uhr
Kapitel 17
Mittwoch, 21 Uhr
Kapitel 18
Freitag, 10 Uhr
Freitag, 19 Uhr
Samstag, 3 Uhr
Sonntag, 3.30 Uhr
Kapitel 19
Samstag, 11 Uhr
Kapitel 20
Sonntag, 9 Uhr
Sonntag, 19 Uhr
Roland Zingerle
Zum Autor
Impressum
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Roland Zingerle

Ein Mord am Wörthersee

Ich widme dieses Buch meinen Eltern Helga und Gunter,  meiner Frau Elke und meinem Freund Gerhard.

Ihr seid die besten, die ich mir hätte wünschen können,  euch verdanke ich mein heutiges Leben.

Kapitel 1

Freitag, 7 Uhr

Diese Kindsköpfe!

Heinz Sablatnig starrte auf die Spitzen seiner Laufschuhe.

Ich Idiot!

Im Reflex schüttelte er eine Ameise ab, die über seine rechte Hand krabbelte, ehe er diese wieder neben die linke an die Backsteinmauer legte, an der er lehnte. Die Bewegung seines Körpers ließ die Brieftasche und das Handy in seinen Hosentaschen hin und her schwingen. Heinz fragte sich, warum er die Sachen überhaupt zum Laufen mitgenommen hatte.

Hätte es gestern Abend nicht auch bis neun Uhr gereicht? Oder zehn? Aber nein, Sperrstunde, wie üblich.

Er blies die verbrauchte Luft aus seinen Lungen und atmete tief durch die Nase ein. Als er die Ausdünstung seines Mundes roch, drehte er den Kopf angeekelt zur Seite. Auch wenn er sich mit seinen einundvierzig Jahren zu alt für Eskapaden wie die gestrige im Innenstadtcafé fühlte, so war ihm doch seit geraumer Zeit klar, dass es gewisse Dinge gab, für die er nie alt genug werden würde. Ein Teil jedes Mannes blieb wohl immer ein Kind. Als sich ihm schnell getaktete Schritte auf dem Kies näherten, wusste er, dass sein Arbeitstag gerade begann.

»Ah, Herr Sablatnig, Dehnungsübungen vor dem Sport, sehr gescheit!«

Heinz stieß sich von der Mauer ab, drehte sich zu Herrn Oberhofer um und zwang sich zu einem freundlichen Lächeln. Am verdutzten Blick seines Gegenübers erkannte er, dass sein Gesicht keinen Zweifel über seinen Zustand offenließ. Er streckte dem Ankömmling die Hand entgegen und begann zu reden, um den schlechten Ersteindruck zu überspielen, den er heute wohl vermittelte.

»Guten Morgen, Herr Direktor. Sie nützen das schöne Wetter?«

Oberhofer schlug in Heinz’ Hand ein, dass es patschte.

»Das Wetter ist wurscht, die Trainingsleistung muss stimmen.«

Der Direktor hatte seinen Laufschritt für die Begrüßung verlangsamt, nun beschleunigte er wieder, so dass Heinz sich in Bewegung setzen musste, um ihm zu folgen.

Magister Armin Oberhofer war Landesdirektor der Versicherungsgesellschaft Fiducia AG für Kärnten und Osttirol. In dieser Funktion hatte er dem Berufsdetektiv Heinz Sablatnig in der Vergangenheit immer wieder Aufträge erteilt, bei denen dieser Versicherungsfälle überprüfen musste, deren Umstände nicht gänzlich klar waren. Konnte Heinz einen Versicherungsbetrug nachweisen, brauchte die Fiducia nicht zu bezahlen. Auch wenn Oberhofer nicht der Typ war, mit dem Heinz einen Abend wie den gestrigen hätte verbringen wollen – genau genommen würde ihm in Gegenwart des Versicherungsmannes wohl nicht einmal ein einziger Schluck Bier schmecken –, so mochte Heinz doch dessen Aufträge. Sie brachten gutes Geld, das noch dazu prompt überwiesen wurde. Und sie waren in der Regel herausfordernd, was in Heinz’ Geschäft die Ausnahme war. Deshalb hatte er auch nicht eine Sekunde lang gezögert, als Oberhofer ihn gestern angerufen und um den heutigen Termin gebeten hatte.

Das heißt, gebeten hatte er nicht darum, der Landesdirektor war kein Mensch, der einen anderen um etwas bat. Er hatte bestimmt, dass sie sich um sieben Uhr am Lendhafen treffen und sich während seines Lauftrainings unterhalten würden, weshalb Heinz Sportgewand anziehen solle.

Heinz hatte nicht widersprochen, er kannte seinen Auftraggeber: So brachte dieser einen Geschäftstermin während seiner Trainingszeit unter, und das war gut, denn es sparte Zeit. Und Zeit war Geld.

Der Lendhafen war nicht mehr als ein kleiner Vorplatz um eine Steinverbauung, die den Lendkanal im Osten abschloss. Der etwa zehn Meter breite Kanal war im sechzehnten Jahrhundert rund vier Kilometer durch ein Sumpfgebiet gegraben worden, das Klagenfurt vom Wörthersee trennte. Über den Kanal konnten der Stadtgraben mit Wasser versorgt sowie Bau- und Heizmaterial nach Klagenfurt gebracht werden. Außerdem war er ein Segen für die rund um den See lebenden und arbeitenden Menschen, da sie ihre Waren per Boot viel schneller auf die Märkte der Stadt bringen konnten als über den Landweg.

Eine kurze Steigung brachte Heinz und Oberhofer aus dem Hafenbecken auf die Uferböschung und damit auf die Tarviser Straße, die dem Verlauf des Lendkanals folgte. Der auch tagsüber mäßige Anrainerverkehr hatte noch nicht eingesetzt, und so gehörte die Straße all jenen, die die kühlen Morgenstunden zum Sport nutzten oder mit ihren Vierbeinern eine morgendliche Runde drehten.

Heinz hatte Mühe, zum Versicherungsmann aufzuschließen. Er war an sich gut trainiert, doch Oberhofers Tempo hätte er selbst ohne seinen Kater nicht halten können, die Kondition des Direktors war viel besser als seine.

»Na, besonders in Form sind Sie nicht gerade.« Oberhofers ungehaltener Blick und sein abschätziger Tonfall konkurrierten miteinander um die größere Wirkung. »Da kann ich mir den Trainingseffekt heute aber in die Haare schmieren.«

Heinz biss sich auf die Zunge. Anstelle einer Entgegnung sagte er knapp: »Sie haben am Telefon gesagt, es ginge um einen Auftrag?«

Oberhofer wandte sich seinem Gesprächspartner zu und musterte ihn eingehend. Sein federnder Seitwärtsschritt erweckte den Anschein, er trüge nur wenige Kilogramm Gewicht. Im krassen Gegensatz zu Heinz, dessen Schritte sich für ihn selbst wie das Stampfen eines Elefanten anfühlten, begleitet vom weit ausholenden Pendelschlag der Utensilien in seinen Hosentaschen.

»Na schön, Herr Sablatnig, in medias res. Dass es in den vergangenen beiden Jahren bei den Ironman-Wettbewerben am Wörthersee zu je einem Todesfall gekommen ist, wird nicht an Ihnen vorbeigegangen sein. Was wissen Sie darüber?«

»Was die Medien berichtet haben.«

»Also nicht viel. Das heißt, ich muss Ihnen alles erklären, na schöne Grüße. Aber sehen wir es positiv, wenn ich rede, laufe ich langsamer. Hoffentlich langsam genug, damit Sie mir folgen können. Körperlich, meine ich. Und geistig natürlich auch.« Heinz hatte sich im Laufe der Jahre an Oberhofers Art gewöhnt, was aber nicht bedeutete, dass sie ihn heute weniger störte als damals, als er ihn kennengelernt hatte. »Vor zwei Jahren starb ein gewisser Christoph Neunteufel«, fuhr der Versicherungsmann fort. »Schwächeanfall am Fahrrad, er stürzte und starb an der Unfallstelle. Vergangenes Jahr erwischte es einen Einundachtzigjährigen, sein Name war Josef Tengg. Auch er kippte vom Fahrrad und starb, wahrscheinlich ein Hitzekollaps, der Tag war extrem heiß.«

Oberhofer legte eine Redepause ein und atmete sehr flach, was zur Folge hatte, dass sich die Frequenz, in der er Luft holte, hektisch steigerte. Heinz empfand diesen Versuch des Direktors, seine Atemlosigkeit zu überspielen als ebenso armselig wie die Tatsache, dass der Versicherungsmann seine Laufgeschwindigkeit nicht drosselte – beides wohl nur, um Heinz zu zeigen, wie sehr er ihm körperlich überlegen war. Dabei wäre das heute überhaupt nicht nötig gewesen, so miserabel, wie der Detektiv sich fühlte. Zwar stabilisierte sein in Schwung kommender Puls den Kreislauf, dennoch schien jede Zelle seines Körpers lauthals um Gnade zu winseln. Im Gegensatz zu Oberhofer machte Heinz allerdings keinen Hehl aus seiner Atemlosigkeit: »Ich nehme an, die beiden … die beiden Verunfallten waren bei der Fiducia versichert?«

»Zwei Lebensversicherungen, die wir ausbezahlt haben.«

Eine Zeit lang liefen beide schweigend nebeneinander her. Heinz wartete auf Oberhofers Erklärung, wozu er bei einem offenbar klaren Sachverhalt die Hilfe eines Detektivs brauchte, während Oberhofer wohl darauf wartete, dass Heinz ihn danach fragte – zweifelsohne, um eine weitere Gelegenheit zu bekommen, ihn als begriffsstutzig oder sonst wie minderwertig hinzustellen. Heinz stieg nicht auf dieses Spiel ein. Dass er keinen Atem zum Fragen hatte, brauchte er nicht zu simulieren, und wenn es der Herr Landesdirektor für angebracht hielt, würde er schon das Wort an ihn richten. Bis es so weit war, blickte Heinz zwischen den alten, hohen Weiden, die die Tarviser Straße flankierten, hindurch auf den Lendkanal hinunter. Dort standen zwei Angestellte der Stadtwerke Klagenfurt auf einem motorisierten Floß und mähten das Gras auf der steilen Uferböschung. Das Floß fuhr in dieselbe Richtung, in die auch Heinz und Oberhofer unterwegs waren, doch war es ein wenig langsamer, so dass die beiden Läufer es über eine Distanz von etwa einhundert Metern überholten.

»Beide Todesfälle waren medizinisch völlig unverdächtig«, begann der Direktor schließlich wieder, wobei er seine Stimme so klingen ließ, als sei er in der vergangenen Minute in Gedanken versunken gewesen. »Die Aufregung, die Anstrengung, die Hitze – die Athleten kollabieren reihenweise deswegen. Vor allem die Amateure, die sich etwas beweisen wollen.« Den letzten Satz begleitete ein kurzer Seitenblick auf Heinz.

»Was war an den beiden anders?«

»Bitte, wie?«

Oberhofer tat so, als hätte er Heinz’ Frage wegen dessen Keuchen nicht verstanden, wohingegen Heinz nun so tat, als hätte Oberhofer den Sinn seiner Frage nicht erfasst: »Kreislaufzusammenbrüche führen selten zum Tod.«

»Im Fall von Tengg kam wohl das Alter hinzu. Bei Neunteufel nicht, der war erst einunddreißig, dafür litt er aber an einer Herzschwäche. Er wurde beim Training für den Ironman sogar von einem Sportmediziner betreut.«

Dass Heinz ärgerlich wurde, lag nicht daran, dass er soeben über seine eigenen Füße stolperte und gerade noch einen Sturz verhindern konnte. Es lag daran, dass Oberhofer ihn schon wieder ins Messer laufen lassen wollte. Heinz sollte sich wohl dumm vorkommen, weil er immer nachfragen musste; begriffsstutzig, weil er offenbar nichts verstand. Dabei hatte er momentan ganz andere Sorgen, auf den Beinen zu bleiben, zum Beispiel, oder zu verhindern, dass ihm abwechselnd Handy und Brieftasche im Lauftakt schmerzhaft zwischen den Beinen schwangen.

»Ich nehme an, Sie haben begründete Zweifel an der Dummer-Zufall-Theorie?«

Oberhofer warf Heinz einen amüsierten Blick zu. Aufgesetzt naiv fragte er: »Aber wie kommen Sie denn darauf?«

Ich schwöre, ich würde diesen Versicherungskasper jetzt und auf der Stelle verprügeln, wenn ich die Kraft dazu hätte!

»Weil Sie mich kaum … unter dem Vorwand einer Vertragsvergabe … zu einem Plauderstündchen beim … beim Morgensport locken würden.«

Der Direktor lachte auf.

»Nein, wirklich nicht, Sablatnig, wirklich nicht. Ich sage Ihnen, was mich misstrauisch macht: Abgesehen davon, dass trotz allen logischen Erklärungen beide Todesfälle ungewöhnlich sind, und abgesehen von dem Zufall, dass sie sich in zwei aufeinanderfolgenden Jahren in gleicher Weise ereigneten, haben die beiden Toten noch andere Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel den Sportmediziner, den ich vorhin erwähnt habe, ein gewisser Doktor Peter Zernatto. Er war nicht nur der behandelnde Arzt sowohl von Christoph Neunteufel als auch von Josef Tengg, er hat außerdem seinerzeit die Untersuchungen für die Lebensversicherungen der beiden vorgenommen. Das ist allerdings kein Zufall, sondern familiär bedingt. Neunteufel war nämlich der Ehemann von Christine Tengg, der Tochter des zweiten Toten.«

»Neunteufel.«

»Was?«

»Sie wird Christine Neunteufel heißen, wenn sie mit Christoph Neunteufel verheiratet war.«

»Halten Sie mich für deppert, Sablatnig? Christine Tengg hat nach der Heirat ihren Mädchennamen behalten, weil ihr Geschäft auf diesen Namen läuft. Ich weiß schon, was ich rede!«

O ja, ich würde ihn verprügeln! Und wie ich ihn verprügeln würde: mit Genuss!

»Na, und letztlich waren auch die Lebensversicherungen, die die beiden bei der Fiducia abgeschlossen haben, eine Gemeinsamkeit. Und hier wird’s für uns interessant.«

Heinz wartete einige Sekunden, ehe er betont gelangweilt nachfragte: »Warum denn?«

Er hatte endgültig genug von Oberhofers »jetzt frag mich schon«-Spielchen. Dieser blickte kurz forschend zu ihm, beschloss dann aber wohl, Heinz’ Tonwahl als Produkt von dessen Atemlosigkeit anzusehen.

»Dass beide bei uns versichert waren, war kein Zufall. Christoph Neunteufel hatte gleich nach seiner Heirat eine Lebensversicherung abgeschlossen und seine Frau als Begünstigte eingesetzt. Sie verstehen, was das bedeutet?«

Anstelle einer Antwort entgegnete Heinz müde: »Sie werden sich daran erinnern, ich habe früher einmal für die Fiducia gearbeitet.«

»Na super«, ging der Direktor über diese Zurechtweisung hinweg, »und jetzt raten Sie einmal, wer die Begünstigte in Josef Tenggs Lebensversicherung war.«

Am Ausbleiben seines eigenen Keuchens erkannte Heinz, dass er zwei Schritte lang den Atem angehalten hatte.

»Ebenfalls Christine«, stieß er dann hervor.

»Seine beiden Kinder«, korrigierte Oberhofer, »Christine und Hannes. Die Versicherung wurde zu gleichen Teilen an die beiden ausgezahlt.«

Heinz und Oberhofer waren an der Steinernen Brücke angekommen, wo sie die Fahrbahn queren mussten, ein ungeregelter Übergang, der permanent unangenehme und mitunter auch gefährliche Verkehrssituationen provozierte. Nach mehreren Kontrollblicken, die sicherstellten, dass die Autofahrer sie wahrnahmen, liefen sie über die Straße.

Auf der anderen Seite blieb Heinz stehen, stützte die Hände auf die Oberschenkel und verschnaufte. Auch wenn die Luft noch angenehm kühl war, so stach die Sonne, wo sie durch das Laub der Bäume drang, doch schon spürbar auf der Haut. Dass Heinz der Schweiß aus der Stirn trat, sich langsam auf seiner Nasenspitze sammelte und von dort zu Boden troff, hatte aber nichts mit der Sonne zu tun. Das war vielmehr eine Panikreaktion seines Körpers, der offenbar den Restalkohol über die Poren ausschied – und über den Atem, wie Heinz einmal mehr roch. Damit nicht genug, spürte er, wie nun auch sein Speichel flüssig wurde und aus seinem Mund zu triefen drohte. Er spuckte aus, möglichst geräuscharm, das schien ihm eine Nuance weniger eklig zu sein, als zu sabbern.

Nie wieder trinke ich auch nur einen Tropfen Alkohol; nie wieder!

»Was ist denn?«, rief Oberhofer ungehalten. Er war weitergelaufen und umgekehrt, als er Heinz’ Abwesenheit bemerkt hatte.

Heinz war das jetzt egal. Er starrte keuchend auf seine Schuhspitzen, während seine Arme zitterten und der rasende Herzschlag in seiner Kopfhaut pulsierte. Er brauchte eine Pause, da konnte der Direktor an ihm herummäkeln, wie er wollte. Jeweils zwischen zwei Atemzügen stieß Heinz hervor: »Das bedeutet … Christine Tengg hat … vordergründig ein … ein Mordmotiv.«

Einige Sekunden lang wog Oberhofer am Stand laufend offenbar ab, ob er auf Heinz’ Gesprächsfortführung einsteigen oder ihn nicht doch lieber noch ein bisschen demütigen sollte.

»Wieso vordergründig?«, meinte er schließlich. »Geld ist immer ein Motiv, vor allem, wenn es um größere Summen geht.«

»Es ist vordergründig … weil … weil zu offensichtlich.« Heinz blickte aus seiner gebückten Stellung seitlich zu seinem Gesprächspartner auf. Seine Atmung wollte und wollte sich nicht beruhigen. »Außerdem … außerdem wenig denkbar: zuerst der eigene Ehemann … und dann der eigene Vater. Und das für Geld. Welche Art Mensch tut so etwas?«

»Woher soll ich wissen, wie ein Mörder tickt?«

»Hören Sie, dass eine … eine Frau ihren Mann ins … ins Jenseits befördert – okay. Dass eine Frau … ihren Vater um die Ecke bringt – auch okay. Aber beide? Ich meine, einen Mord … begeht man ja nicht, weil … weil einem gerade langweilig ist, da stecken massive … emotionale Triebkräfte dahinter.«

»Sablatnig, wo leben Sie? So etwas passiert jeden Tag.«

Heinz holte tief Luft, dann fuhr er Oberhofer an: »Wo? Im Fernsehen? Wir leben in Kärnten, Herr Direktor. Können Sie sich an einen einzigen solchen Fall hier bei uns erinnern?«

»Darum geht’s überhaupt nicht. Es geht um zwei merkwürdige Todesfälle und um eine Dame, die ein starkes Motiv hat.«

»Das ist aber nur eine Theorie, die zu den Fakten passt, und nicht mehr. Und das ist vordergründig.«

»Was ist überhaupt los mit Ihnen? Gemma, gemma, wir haben noch ein paar Kilometer vor uns!«

Oberhofer klatschte in die Hände wie ein Baupolier, der seine Maurer bei einer nicht genehmigten Rauchpause erwischt hatte. Dass das nur ein Ablenkungsmanöver war, weil er Heinz’ Argumenten nichts entgegenzusetzen hatte, war diesem bewusst. Als Heinz sich wieder in Bewegung setzte, schien es ihm, als hätte er in der vergangenen Minute fünfzig Kilogramm aufgespeckt, vorwiegend in den Beinen. Es klang wie ein Stöhnen, als er weitersprach: »Ich nehme doch an, die Wahl der Fiducia als Versicherungsgesellschaft hatte ähnliche familiäre Hintergründe wie die des gemeinsamen Arztes?«

»Was meinen Sie?«

»Ich meine, dass Christoph Neunteufels Entscheidung, welche Versicherungsgesellschaft er wählen sollte, davon beeinflusst war, wo seine neue Familie versichert war.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Sie haben erwähnt, dass Christine Tengg ein Geschäft leitet, wegen dem sie ihren Mädchennamen behalten hat. Das hätte sie nicht gemacht, wenn dieser Name nicht gut etabliert, also seit vielen Jahren gut eingeführt wäre. Ich schließe daraus, dass schon ihr Vater das Geschäft leitete, und das bringt mich zu der Annahme, dass dieser seit jeher alle nötigen Versicherungen bei ein und derselben Anstalt abgeschlossen hat, um bessere Konditionen zu bekommen. Bei der Fiducia nämlich, immerhin hatte er hier ja auch seine Lebensversicherung laufen.«

Oberhofer, der sich dazu herabgelassen hatte, sich Heinz’ Lauftempo anzupassen, sah diesen beinahe anerkennend an.

»Sie sind ja ein richtiger Sherlock, Sablatnig, oder nein, wie heißt der? Genau: Monk!«

... und in den Hintern würde ich ihm auch treten, aber kräftig!

»Was für ein Geschäft leitet Christine Tengg?«

»Frau Tengg ist Geschäftsführerin eines Cateringunternehmens. Nicht irgendeines Cateringunternehmens, sondern jenes, das das VIP-Zelt beim Ironman betreut.«

Das Grinsen, mit dem der Versicherungsmann nun seinen Gesprächspartner bedachte, war in gleicher Weise triumphierend und selbstgefällig. Heinz sprach aus, was in Oberhofers Worten mitgeschwungen war: »Was Ihren Verdacht gegenüber Christine Tengg bestätigt.«

»So ist es. Sie hatte nicht nur bei beiden Todesfällen ein Motiv, sie hatte auch beide Male die Gelegenheit.«

»Wie soll das abgelaufen sein? Ich meine, wenn es Morde waren, können sie ja eigentlich nur mit Gift begangen worden sein. Wäre das für Christine Tengg nicht zu riskant gewesen, wo doch die ganze Welt zusieht, vor allem, wenn man die familiären Verstrickungen bedenkt, die Sie aufgezählt haben? Das wäre ja so, als würde sie den Ermittlern das Messer in die Hand drücken, in das sie dann selbst hineinrennt.«

»Im Gegenteil, genau diese völlige Offenheit war der optimale Schutz. Wenn ein alter und ein herzkranker Mann bei einem der anstrengendsten Publikumswettbewerbe der Welt sterben, ordnet doch kein Staatsanwalt eine Obduktion an, wo doch die ganze Welt zusieht, wenn er sich blamiert.«

Heinz freundete sich kurz mit diesem Gedanken an, ehe er ihn weiterspann: »Und Christine Tengg kennt die Schwächen ihres Mannes und ihres Vaters gut genug, um ihre Giftmixturen so abzustimmen, dass die Morde wie Unfälle aussehen, meinen Sie?«

»Sie haben es erraten.«

Während beide eine Weile schweigend nebeneinander herliefen, dachte Heinz über den Sachverhalt nach, und je länger er das tat, desto besser konnte er Oberhofers Verdacht nachvollziehen. Selbst wenn die Todesumstände in beiden Einzelfällen unverdächtig erscheinen mochten, so war die Gesamtkonstellation zumindest Misstrauen erweckend. Ging Heinz davon aus, dass der Versicherungsdirektor Recht hatte, zog das eine Reihe von Zwangsläufigkeiten nach sich. Zum einen musste Christine Tengg ein Motiv für ihre Taten haben, das weit über bloße Geldgier hinausging, und zum anderen musste sie über umfassende Kenntnisse verfügen, was die Wirkung von Giften auf den menschlichen Körper anbelangte. Oder sie kannte jemanden, der solche Kenntnisse besaß, womit zumindest eine weitere Person in der Sache mit drinsteckte.

Auf der anderen Seite erschienen Heinz diese Überlegungen jedoch zu konstruiert. Immerhin musste Christine Tengg von Anfang an klar sein, dass der erste und schwerste Verdacht auf sie fallen würde. War sie dazu bereit gewesen, im Kreuzfeuer der Verdächtigungen zu stehen, war sie selbstsicher genug zu glauben, man würde ihr nichts nachweisen können? Oder wollte sie diese Offensichtlichkeit gar zu ihrer Verteidigung nutzen, indem sie darauf hinwies, dass sie ja kaum den Verdacht auf sich selbst lenken würde? Aber wie konnte sie sicher sein, dass ihre Opfer nicht obduziert würden, und – dieses Argument wog für Heinz am schwersten – hätte sie Ehemann und Vater nicht weitaus unverdächtiger und unauffälliger beseitigen können?

»Irgendwie verstehe ich nicht, was Sie in dieser Angelegenheit von mir erwarten«, meinte Heinz schließlich. »Wenn die Fiducia die Versicherungen ausgezahlt hat, hat sie offenbar keine Gründe gefunden, die dagegen sprächen. Damit sind die Fälle doch abgeschlossen, oder nicht?«

»Beides: ja und nein.« Oberhofer zog die Nase hoch und schluckte hörbar, ehe er seine Antwort erklärte. »Beim diesjährigen Ironman startet wieder ein Athlet, auf den all die Gemeinsamkeiten zutreffen, die ich Ihnen vorhin beschrieben habe.«

Heinz stöhnte auf.

»Aber nicht im Ernst! Sie wollen doch nicht sagen, dass Christine Tenggs Bruder, dieser … wie heißt er?«

»Hannes Tengg. Doch.«

»Das darf doch nicht wahr sein. Wer ist dieser Hannes? Ich meine, wenn in zwei aufeinanderfolgenden Jahren mein Schwager und mein Vater ...«

»Er ist Profisportler und ziemlich erfolgreich. Für ihn gelten andere Regeln.«

»Wie meinen Sie das?«

»Sablatnig, Sie könnten es sich leisten, nicht anzutreten, weil Sie Angst davor haben, als Dritter in einer Serie den Tod zu finden, aber Hannes Tengg hat diesen Luxus nicht. Wenn er antritt, dann macht er seine Arbeit, tritt er nicht an, kürzt ihm sein Sponsor die Mittel.«

»Na gut, ich verstehe. Aber was hat das mit mir zu tun?« Als Heinz das entgeistert-verständnislose Gesicht des Versicherungsmannes sah, erläuterte er: »Wie lautet mein Auftrag?«

»Ich habe es vorhin schon erwähnt: Möglicherweise ist die Serie noch nicht zu Ende. Wenn Frau Tengg, wie ich glaube, eine Mörderin und ihr Motiv die Geldgier ist, dann wird sie versuchen, auch ihren Bruder umzubringen.«

»Einmal angenommen, Sie haben Recht – warum sollte sie das tun?«

»Sagen Sie, haben Sie mir nicht zugehört? Wegen der Lebensversicherung natürlich!«

»Sie meinen, er hat auch eine ...«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, alle Gemeinsamkeiten der beiden Toten treffen auch auf Hannes Tengg zu. Auch er hat eine Lebensversicherung, auch er hat sie bei uns abgeschlossen und auch sein Gesundheitsattest wurde von Doktor Zernatto ausgestellt. Auch in seiner Polizze waren sein Vater und seine Schwester als Begünstigte eingetragen, und jetzt raten Sie einmal, was sich nach dem Tod des Vaters in dieser Angelegenheit geändert hat?«

Heinz spürte einen Knödel des Zorns in seinem Hals anschwellen, so sehr brachte ihn die ironische, oberlehrerhafte Art des Landesdirektors auf die Palme. Mit erstickter Stimme antwortete er: »Seine Schwester ist jetzt die Alleinbegünstigte.«

»Bravo, Columbo!«

Heinz ließ sich aus dem Trab fallen und bemühte sich um einen autoritären Tonfall, als er erwiderte: »Danke für den Applaus. Und jetzt noch einmal für die billigen Plätze: Wo komme ich ins Spiel?«

In Oberhofers Gesicht spiegelte sich Erheiterung. Da Heinz keine Anstalten mehr machte, weiterzulaufen, sondern nur noch in schnellem Schritt ging, lief der Versicherungsmann von nun an rückwärts vor ihm her.

»Wenn Hannes Tengg etwas zustößt, können wir davon ausgehen, dass seine Schwester dahintersteckt. Wenn das geschieht, ist die Suppe auf jeden Fall dick genug, um eine Obduktion zu beantragen, und zwar nicht nur für Hannes, sondern auch für die beiden anderen Toten.«

Heinz empfand Oberhofers Haifischgrinsen als abstoßend.

»Sie scheinen sich das ja geradezu zu wünschen.«

»Sablatnig, selbstverständlich wünsche ich niemandem den Tod. Aber wenn Christine Tengg eine Mörderin ist, dann muss sie hinter Gitter.«

»... und die beiden Lebensversicherungen wurden zu Unrecht ausgezahlt, weil Mord keine versicherungswirksame Todesursache ist. Die Fiducia kann sie zurückfordern«, sprach Heinz den Satz so zu Ende, wie er ihn verstand.

»Ich tue nur meine Arbeit, Sablatnig, und dazu gehört auch, meine Firma vor Schaden zu bewahren.«

»Selbst auf die Gefahr hin, als menschliche Gebetsmühle zu enden: Welche Rolle spiele ich dabei?«

»Sie sollen während des Ironman ein Auge auf Christine Tengg haben. Sollte es ihre Absicht sein, ihren Bruder zu ermorden, sichern Sie Beweise und sorgen dafür, dass sie nicht zum Zug kommt.«

»Was, wenn Sie nicht Recht haben?« Oberhofers Gesichtsausdruck war irritiert, er schien unfähig, diesen Gedanken überhaupt in Betracht ziehen zu können. »Ich meine, wenn die Todesfälle tatsächlich nur Unfälle waren und die Gemeinsamkeiten unter den Opfern nichts weiter als Zufälle?«

»Dann bleiben die Dinge so, wie sie sind – und Sie haben als Einziger davon profitiert.«

»Moment!« Die Erkenntnis traf Heinz mit Wucht. »Findet der Ironman nicht schon dieses Wochenende statt?«

»Übermorgen. Lesen Sie keine Zeitung?«

»Warum … warum geben Sie mir den Auftrag dann erst jetzt? Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, hätte ich schon im Vorfeld Recherchen durchführen und mir einen besseren Überblick ...«

»Ich weiß, dann hätten Sie mehr Stunden schreiben und mehr Spesen verrechnen können. Sablatnig, meine Arbeit dreht sich in der Regel um rechtskonforme Angelegenheiten und nicht um die Aufdeckung von Illegalitäten. Womit ich sagen will, dass ich andere Dinge im Kopf habe, als mich um Ihr Wohlergehen zu kümmern. Wie sieht es aus, trauen Sie sich diesen Auftrag zu, oder muss ich mich nach einem echten Profi umsehen?«

Echter Profi? Ein echter Schlag in sein Gesicht würde mir jetzt echte Erleichterung verschaffen!

»Ja. Und nein.«

»Ich sehe, wir sind uns einig. Ich gehe davon aus, dass die zwischen uns üblichen Konditionen gelten? Gut, dann laufe ich jetzt weiter, sonst werden meine Muskeln kalt. Ach ja, und noch etwas: Ich muss wohl nicht extra betonen, dass niemand Ihre Überwachungstätigkeit bemerken soll. Vertrauen ist eine wichtige Sache im Verhältnis Versicherungsgeber-Versicherungsnehmer, und ein Versicherungsgeber, der seine Versicherungsnehmer überwacht, wird diesem Vertrauen nicht gerecht. Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Tag – und schützen Sie auf den paar Metern zurück keine Müdigkeit vor, Sablatnig. Der frühe Vogel fängt den Wurm!«

Damit wandte sich Oberhofer ab und lief davon, ohne eine Antwort von Heinz abzuwarten. Dieser blieb stehen und sah ihm hinterher, wobei er sich selbst zuraunte: »Mag sein, aber die zweite Maus kriegt den Käse.«

Kapitel 2

Freitag, 7.30 Uhr

Heinz saß gefühlte zehn Minuten an der Uferböschung des Lendkanals, ehe sich sein Atem und sein Herzschlag beruhigt hatten und sein Schwindelgefühl sowie sein Schweißaustritt abgeflaut waren.

Irgendwann, nach dem fünften oder sechsten Bier, hatte er gestern aufgehört zu zählen. Oti war wieder einmal in Höchstform gewesen: Angesichts der erzählerischen Ausschmückungen seiner Alltagserlebnisse wäre sogar Baron Münchhausen vor Neid erblasst. Und Luigi hatte den ganzen Abend über nur Unsinn geredet, was aber von niemandem, der ihn kannte, zwingend als Zeichen für seine Trunkenheit angesehen wurde. Heinz selbst hatte so viel gelacht wie schon lange nicht mehr.

Das war ihm heute gründlich vergangen.

Wie er nachhause gekommen war, hatte er sich nicht gemerkt, und auch die Erinnerung an die erste halbe Stunde des heutigen Morgens schien in eine Art Nebel gehüllt zu sein. Zwar hatte er daran gedacht, Sportbekleidung anzuziehen, nicht jedoch, Handy und Brieftasche zuhause zu lassen. Doch was ihn beim Laufen behindert hatte, gereichte ihm nun zum Vorteil. Entlang der gegenüberliegenden Uferböschung folgte die Villacher Straße dem Verlauf des Lendkanals. Dort befand sich auf Heinz’ Höhe die Bushaltestelle Neckheimgasse. Mit dem unbeabsichtigt mitgenommenen Geld konnte er sich einen Fahrschein zurück in die Innenstadt kaufen, immerhin verspürte er nicht die geringste Lust, die gelaufene Strecke wieder zurückzugehen. Und das Handy konnte er für Recherchen nutzen, wenn sich der Bedarf danach ergab.

Als er sich aufrappelte, stellte er fest, dass sich seine Knie während des Sitzens offenbar in Butter verwandelt hatten. Er hinkte die zwanzig oder dreißig Meter weiter bis zur Unterführung, vor der ihn ein Zubringer auf die Villacher Straße hinaufbrachte. Dort wartete er eine Verkehrslücke ab, querte die Fahrbahn und ließ sich mit einem Seufzen der Erleichterung auf die Wartebank der Haltestelle fallen. Während er auf den Bus wartete, versuchte er nachzudenken – was aber nur bedingt gelang.

Nachdem sein Auftrag lautete, einen Mord zu verhindern, musste er die beiden bereits vorgefallenen Todesfälle zwangsläufig ebenfalls als Morde ansehen. Um seinen Auftrag zu erfüllen, musste er dem Mörder – ob es ein Mann oder eine Frau war, ließ er vorerst dahingestellt – zuvorkommen, und das konnte ihm nur gelingen, wenn er dessen Motive kannte – und dessen Methode. Wenn die Tode von Christoph Neunteufel und Josef Tengg fremdverschuldet waren, kamen nur Giftmorde in Frage, alle anderen Mordarten wären von außen sichtbar gewesen. Das wiederum bedeutete, dass der Mörder eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen musste. Erstens musste er über ein gewisses pharmazeutisches Wissen verfügen, das ihn in die Lage versetzte, das passende Gift zu mischen. Zweitens musste er sich die Zutaten für dieses Gift beschaffen können; ein nicht unwesentlicher Punkt, denn Heinz ging davon aus, dass nicht alle Ingredienzien für jedermann erhältlich waren. Drittens musste der Mörder die Möglichkeit haben, den Opfern das Gift zu verabreichen, ohne dass diese es bemerkten.

Wie es um die pharmazeutischen Kenntnisse von Christine Tengg bestellt war, würde Heinz noch herausfinden müssen, doch klar war, dass sie genaue Kenntnisse über den Gesundheitszustand sowohl ihres Ehemannes als auch ihres Vaters besessen hatte, wodurch es ihr ein Leichtes gewesen wäre, das Gift jeweils richtig zu dosieren. Auch wäre für sie die Verabreichung in beiden Fällen kein Problem gewesen.

Der Bus kam, Heinz stand auf und zückte seine Brieftasche.

Wenn Christine Tengg die Mörderin war, so war ihr Motiv sicherlich nicht das Geld der Lebensversicherungen – zumindest nicht ausschließlich, denn dazu wäre ihr Vorgehen viel zu auffällig. Für Versicherungsdirektor Oberhofer mochte Geld der Antrieb des gesamten Universums sein, für Heinz, wie für viele andere Menschen, war es das nicht.

Heinz legte zwei Ein-Euro-Münzen auf den Kassenautomat neben dem Busfahrer. Dessen abschätziger Blick, mit dem er den verschwitzten Fahrgast musterte, entging Heinz, er war viel zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt. Er warf sich auf einen freien Sitz und starrte zum Fenster hinaus.

Was die Täterschaft von Christine Tengg betraf, war Heinz überhaupt skeptisch. Als Begünstigte beider Lebensversicherungen stand sie in der Reihe der Verdächtigen an erster Stelle. Wäre auch nur der Verdacht aufgekommen, die Todesfälle hätten keine natürliche Ursache, hätte die Polizei sie so lange durchleuchtet, bis sie gefunden hätte, was zu finden war.

Da erschien ihm der Arzt, dieser Doktor Zernatto, schon um einiges verdächtiger. Immerhin hatte dieser die Möglichkeit, das Gift unbemerkt – etwa als Medikament getarnt – zu verabreichen, verfügte über die nötigen Kenntnisse der Substanzen, kam problemlos an diese heran und kannte den Gesundheitszustand seiner künftigen Opfer vermutlich besser als jeder andere Mensch. Darüber hinaus hatte er die Untersuchungen für die Lebensversicherungen durchgeführt, wodurch er auch über diesbezügliche Zusammenhänge Bescheid wusste, etwa, dass Christine Tengg die Hauptverdächtige wäre, wenn eines oder mehrere ihrer Familienmitglieder unnatürliche Tode starben.

Je mehr Heinz darüber nachdachte, desto stimmiger erschien ihm Doktor Zernatto in der Rolle des Mörders. Vordergründig natürlich, denn was noch fehlte, war ein Motiv. Heinz beschloss also, zuerst dem Mediziner auf den Zahn zu fühlen, und dann erst Christine Tengg. Allerdings musste er dabei besonders behutsam vorgehen, denn offiziell wurden die Todesfälle ja als Unfälle betrachtet. Das bedeutete, dass sich Doktor Zernatto, wenn er tatsächlich der Mörder war, seiner Sache sicher sein konnte. Ihn mit einer anderen Version der Geschehnisse bluffen zu wollen, würde dazu führen, dass er das Gespräch abbrechen und überdies wahrscheinlich auch seinen Anwalt einschalten würde, womit Heinz’ Ermittlungen schon beendet wären, noch bevor sie überhaupt begonnen hätten.

Draußen vor dem Busfenster zog die Steinerne Brücke vorbei, danach kam das Floß der Stadtwerke Klagenfurt in Sicht. Die Arbeiter mähten mit gleichmäßig gemächlichen Bewegungen die Uferböschung, und Heinz stellte fest, dass sie nicht viel weiter gekommen waren, bis er sich bewusst machte, wie wenig Zeit eigentlich vergangen war, seit er und Oberhofer das Floß überholt hatten. Er hatte in dieser Zeit nicht nur viel Neues erfahren und eine Menge Gedankengänge durch sein Gehirn laufen lassen, er schleppte ja auch einen ausgewachsenen Kater mit sich herum, der – neben anderen unschönen Begleiterscheinungen – die Zeit zäh wie kalten Honig fließen ließ, besonders wenn sie so unangenehm war wie ein unfreiwilliger Morgenlauf.

Doch das war jetzt nicht wichtig. Wichtig war, dass Heinz mehr Informationen zu den beiden Todesfällen brauchte, wenn er den Mediziner gezielt befragen oder vielleicht sogar Widersprüche in dessen Aussagen aufdecken wollte. Er überlegte. Wenn es einen Verdacht gab, oder auch nur eine Ahnung, dass die Unfälle gar keine solchen waren, dann hatte am ehesten die Polizei Kenntnis davon.

Heinz zog sein Mobiltelefon hervor und sah es unschlüssig an. Seine Hand spielte damit, während er aus dem Fenster sah, ohne irgendetwas wahrzunehmen. Er wusste, wie Sabine darauf reagierte, wenn er ihr Geschwisterverhältnis für Belange seiner Arbeit missbrauchte. Dass er in diesem Punkt gar keine andere Wahl hatte, wenn er professionell arbeiten wollte, ließ Sabine nämlich nicht gelten. Kurz entschlossen wählte er ihre Nummer und hielt das Telefon an sein Ohr.

»Guten Morgen, Bruderherz«, tönte es ungewohnt gefühlswarm aus dem Hörer. Heinz führte das darauf zurück, dass seine Schwester noch nicht lange wach war. Vermutlich hatte sie gestern Abend länger gearbeitet und fing deshalb heute später an. »So früh schon auf den Beinen?«

Du hast ja keine Ahnung!

»O, so früh ist es gar nicht mehr. Aber dir auch einen wunderschönen guten Morgen.«

Sabine stockte kurz, ehe sie antwortete: »Da kommt nichts Gutes, wenn du säuselst.«

Eine gehörige Portion Misstrauen färbte nun den Klang ihrer Stimme. Das passte eher zu ihr, fand Heinz.

»Aber wer wird denn? Ich brauche nur eine kleine Auskunft von dir, weiter nichts.« Seine zu einem Grinsen gespannten Lippen färbten seine Sprechweise. In der Heftigkeit ihrer Antwort war Sabine endgültig sie selbst: die taffe Chefinspektorin.

»Das hätte ich mir eigentlich denken können! Warum sonst ruft mich mein Bruder so früh an? Egal, was es ist, vergiss es gleich, okay?«

»Popopop«, machte Heinz schnell, um zu verhindern, dass sie auflegte, »erst zuhören, dann ablehnen.«

Doch wenn Sabine in Fahrt war, ließ sie keinen Widerspruch gelten: »Mich kotzt das an, dass du immer Insiderinformationen von mir verlangst, nur weil wir verwandt sind.«

»Ich würde dich auch anrufen, wenn wir nicht verwandt wären, das gehört nun einmal zu meiner Arbeit. Außerdem keine Sorge, ich bringe dich nicht in einen Interessenskonflikt. Der Fall, um den es geht, ist abgeschlossen.«

Diesmal folgte ein Seufzen dem kurzen Stocken.

»Ich bring dich um, Heinz, irgendwann bringe ich dich um, hast du mich gehört?«

»Ich hab dich auch lieb.« Heinz erklärte, worum es ging und wie viel er wusste, dann fragte er: »Gab es zu irgendeinem Zeitpunkt Zweifel an der Unfalltheorie?«

Seine Schwester schwieg. Vermutlich dachte sie nach.

»Nein«, antwortete sie dann, »soweit ich mich erinnere, standen die Todesursachen nie in Zweifel. Es gab ausreichend Zeugen, und die Beschreibungen der Unfallhergänge unterschieden sich in nichts von denen anderer Schwächeanfälle, die an den Renntagen ebenfalls passiert waren – nur dass eben die beiden speziellen tödlich endeten.«

»Die Motivlage hat keinen Verdacht erregt?«

»Welche Motivlage meinst du?«

»Christine Tengg war in beiden Fällen die Begünstigte der Lebensversicherungen der Opfer.«

»Vergiss das, Heinz! Die Frau war nach beiden Unfällen so was von fertig, wenn du sie gesehen hättest, würdest du nicht einmal auf diesen Gedanken kommen.«

»Vielleicht ist sie eine gute Schauspielerin?«

»Ich hatte in meinem Leben schon mit so vielen Betrügern und Scheinheiligen zu tun, dass ich sie zehn Kilometer gegen den Wind riechen kann, das darfst du mir glauben. Aber die Tengg gehört nicht dazu. Wenn die uns echt etwas vorgespielt hat, dann verdient sie einen Oscar.«

»Das heißt, eine Obduktion stand nie zur Debatte?«

Sabine zischte verächtlich.

»Obduktion! Nicht einmal wenn ich eine gewollt hätte, hätte ich sie bekommen, dafür war die Suppe einfach zu dünn.«

»Und was ist mit dem gemeinsamen Arzt?«

»Was soll mit dem sein? Die Verunfallten und die Tengg waren eine Familie, da ist es nicht ungewöhnlich, dass alle denselben Arzt haben. Mama, Papa und wir zwei waren ja auch bei Doktor Gruber, bis er in Pension gegangen ist.«

»Aber findest du nicht, dass da verdächtig viele Gemeinsamkeiten mitspielen? Ich meine: dieselbe Familie, derselbe Arzt, dieselbe Versicherung ...«

»... derselbe Sponsor – ich weiß, diese Gedanken haben wir uns auch gemacht. Doch es war nun einmal so, dass die beiden Verunfallten gehandicapt waren, der eine durch seinen Herzfehler, der andere durch sein Alter. Da passieren solche Dinge schon einmal, auch wenn sie verdächtig aussehen. Aber Heinz: Jeden Tag geschehen Zufälle, die noch viel unglaublicher sind, und trotzdem nichts weiter sind als Zufälle.«

»Moment, was hast du gesagt«, restalkoholbedingt hatte Heinz’ Gehirn etwas länger gebraucht, um die eingehende Information zu verarbeiten, »denselben Sponsor?«

»Hast du das nicht gewusst?« Sabine machte sich nicht die Mühe, ihre Genugtuung zu verbergen. »Obwohl die beiden Verunfallten nur Amateursportler waren, traten sie für ein Rennteam an, und zwar für jenes, in dem der Bruder von der Tengg Mitglied ist, dieser … wie heißt er?«

»Hannes.«

»Hannes, stimmt. Hannes Tengg ist Profisportler und hat seinen Schwager und seinen Vater in sein Team gebracht. Was ich mir übrigens nicht besonders einfach vorstelle.«

»Warum?«

»Weil ein solches Team von sportlichen Höchstleistungen lebt, die nehmen nicht jeden auf. Amateure wie der alte Tengg und dieser … dieser ...«

»Neunteufel.«

»... Neunteufel, genau, die senken die Teamleistung, und das kann dem Sponsor gar nicht recht sein – und damit dem restlichen Team auch nicht.«

»Warum haben sich dann alle darauf eingelassen?«

»Ich denke einmal, Hannes’ Leistungen sind so gut, dass er seinen Einfluss geltend machen konnte.«

»Aber warum sollte er das tun?«

»Aus demselben Grund, warum du mich immer anrufst: Verwandtschaftsliebe.«

Heinz ging über diese Spitze hinweg.

»Wer ist der Sponsor?«

Sabine seufzte tief.

»Soweit ich das mitbekommen habe, hat so ein Team mehrere Sponsoren. Die Sportartikelhersteller, zum Beispiel, sponsern vor allem die Materialien, also Schuhe, Rennanzüge, Rennräder und so weiter. Und dann gibt’s meistens noch einen Hauptsponsor, der Geld herauslässt, zum Beispiel für das Gehalt der Profis.«

»Okay, okay, wer war der Hauptsponsor?«

»Warum fragst du?

»Weil ich denke, dass der am meisten dabei verliert, wenn die Teamleistung nachlässt.«

»Soweit ich weiß, irgendein Software-Hersteller.«

»Ein Software-Hersteller? Wieso sponsert ein ...?«

»Frag mich nicht! Aber wenn du meinst, dass der Sponsor ein Motiv hätte, seine Sportler aus dem Weg zu schaffen, dann hast du deinen Beruf verfehlt. Was glaubst du, was das für ein Image-Schaden ist, wenn zwei Triathleten aus demselben Team hintereinander die Kurve kratzen?«

»Du hast Recht, die Idee ist Blödsinn.« Heinz dachte kurz nach, ehe er fortfuhr: »Also, kurz zusammengefasst gab es keinerlei Verdachtsmomente, weil die ganze Geschichte eine blöde Verkettung von Zufällen war.«

»So ist es.«

»Na gut, dann danke ich dir für die Info.«

»Bitte, bitte, das nächste Mal nicht mehr. Verrätst du mir auch, wozu du das jetzt wissen wolltest?«

Heinz spürte, wie ein Lächeln seine Mundwinkel dehnte.

»Musst du nicht schön langsam in die Arbeit?«

Kapitel 3

Freitag, 8 Uhr

Sein Kopf fühlte sich an, als würde er vom Stirnbein ausgehend nach und nach gefrieren, doch Heinz hielt das Gesicht weiterhin regungslos in den Wasserstrahl. Es war, als klänge mit der Hitze seiner Kopfhaut auch sein Kopfschmerz ab und als bringe die Kälte sein Bewusstsein zurück.

Er war nachhause gegangen, in sein Wohnbüro, wie er es nannte; eine Mansardenwohnung in der Klagenfurter Innenstadt, in der er einen Raum für seine Arbeitszwecke eingerichtet hatte.

Als Heinz das Gesicht aus dem Wasserstrahl zog, schlug ihm das Herz bis zum Hals. Genau das, nämlich seinen Kreislauf weiter in Schwung zu bringen, hatte er mit dieser Brachialtherapie bezweckt, und tatsächlich erschienen ihm seine Gedanken nun ungleich klarer als noch vor wenigen Minuten.

Auch Hannes Tengg war für Heinz verdächtig. Der Profisportler war dazu bereit gewesen, die Beziehung zu seinem Team und zu seinem Sponsor zu belasten, um Schwager und Vater an den Ironman-Start zu bringen. Da er um die Handicaps seiner Verwandten Bescheid wusste, ergab diese Handlung nur dann einen Sinn, wenn Hannes wollte oder zumindest in Kauf nahm, dass a) den beiden etwas zustieß und b) Team und Sponsor deswegen Schaden nahmen. Welche Beweggründe er dafür hatte, musste Heinz freilich noch herausfinden.

Während Heinz sich abtrocknete, machte er sich klar, dass er Hannes Tengg so oder so durchleuchten musste. Doktor Zernatto war jedoch die heißere Spur, weshalb er sich zuerst um diesen kümmern wollte.