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Olivenhaine, Pinien, sanfte Hügel: In der Toskana hat Larissa einen alten Palazzo geerbt. Unerwartet bietet der faszinierende Antonio seine Hilfe bei der Renovierung an, und Hals über Kopf verliebt Larissa sich in ihn. Bis sie erfährt, wer der feurige Italiener wirklich ist ...
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Seitenzahl: 166
IMPRESSUM
Ein Palazzo für die Liebe erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2006 by Christina Hollis Originaltitel: „The Italian Billionaire’s Virgin“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRABand 270 - 2007 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Susanne Hartmann
Umschlagsmotive: Kiuikson_GettyImages
Veröffentlicht im ePub Format in 08/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733744724
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY
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Milde Nachmittage in der Toskana waren wie geschaffen dafür, Leute zu beobachten. Allerdings versuchte Rissa, ihre Neugier zu verbergen, während sie von Signor Mazzini durch das Gedränge geführt wurde.
„Der verstorbene Conte hat Sie ja sicher mit den Freuden der passeggiata bekannt gemacht, Contessa. Um diese Zeit gehen wir alle gern frische Luft schöpfen.“ Rot im Gesicht und schwitzend, schlängelte sich Signor Mazzini mit seiner Klientin durch die Menschenmenge auf dem Dorfplatz.
„Mein Mann hat mich niemals in seine Heimat Italien mitgenommen, Signore. Nach unserer Hochzeit haben wir Amerika selten verlassen.“ Rissa bemühte sich, nicht enttäuscht zu klingen. Sie hatte vieles aufzuholen. Zu seinen Lebzeiten hatte es nur einen einzigen verunglückten Besuch bei ihr zu Hause in England gegeben. Jetzt, da sie frei und ungebunden war, hielt der Nachlass ihres Mannes sie ebenso gefangen wie früher ihre Ehe. Mit seinem verschwenderischen Lebensstil hatte Luigi das gesamte Vermögen der Tizianos aufgebraucht. Übrig war lediglich der schon lange leer stehende Palazzo, der den Namen seiner Familie trug. Bisher hatte Rissa den Besitz nur aus einiger Entfernung gesehen. An diesem Tag hatte sie zum ersten Mal Gelegenheit, sich das einzige verbleibende Grundstück der Alfere-Tizianos anzusehen.
Während Signor Mazzini vor dem hohen Tor nach seinen Schlüsseln suchte, fühlte sich Rissa beobachtet. Dass die Dorfbewohner neugierig sein würden, hatte sie erwartet, aber dies jetzt empfand sie irgendwie anders.
Mit einem freundlichen Lächeln drehte sie sich um. Es verschwand, sobald sie den Mann sah, der nur wenige Meter entfernt an einem der vielen auf dem Dorfplatz aufgestellten Cafétischen saß und sie anstarrte.
„Buon giorno!“
Ihr Beobachter antwortete nicht. Er war gut angezogen, und sie hätte ihn vielleicht sehr attraktiv gefunden, wenn sein Gesichtsausdruck nicht gewesen wäre. Ihr war, als würde der Mann sie mit seinem herausfordernden wütenden Blick durchbohren. Schaudernd wandte sie sich ab und folgte Signor Mazzini auf das große Grundstück, froh, dass er hinter sich wieder abschloss.
Die Erleichterung hielt nicht lange an. Vom Tor war es ein Weg von zehn Minuten bis zum Haus, und Rissa verlor den Mut, während sie sich in der wuchernden Wildnis umsah. Umgestürzte Bäume hatten an mehreren Stellen die Gartenmauer beschädigt. Große Reparaturen bedeuteten hohe Rechnungen.
Blind vor Liebe hatte sie Luigi geheiratet. Im Lauf der Jahre hatten sie sich mit ihrem traurigen Geheimnis abgefunden, und Rissas Liebe hatte sich verändert. Dann war er mit seinem Sportwagen bei einhundertneunzig Stundenkilometern von der Straße abgekommen.
Luigis Tod riss sie aus ihrem tranceartigen Leben. Den nächsten Schock erlitt Rissa, als sie entdeckte, dass alle Konten ihres Mannes so gut wie leer waren und sie der letzte Mensch auf der Welt war, der den Namen Alfere-Tiziano trug. Was jedoch auch ein starkes Verantwortungsgefühl in ihr weckte. Sie musste Luigi zuliebe unbedingt den Schein wahren, und sie musste diesen mysteriösen Palazzo sehen. Also gab sie fast ihr ganzes Geld für ein einfaches Ticket nach Italien aus – und verliebte sich sofort in die romantische Gegend. Aber sie wusste, dass dieser baufällige Besitz niemals auf einen rechtmäßigen Erben übergehen konnte.
Nach Luigis Tod hatte es Rissa einige Wochen lang wieder großen Kummer bereitet, dass ihre Ehe kinderlos geblieben war. Trotz ihrer prekären Finanzlage hatte sie abgelehnt, als von AMI Holdings – anscheinend ein bedeutendes internationales Bauunternehmen – ein außergewöhnlich großzügiges Angebot für den Palazzo Tiziano gekommen war. Der Verkauf hätte ihr mehr als genug Geld eingebracht, um zurück nach London zu ziehen. Nur hatte sie das Gefühl, ihrem angenommenen Familiennamen gegenüber noch immer verpflichtet zu sein.
Inzwischen ging ihr das Geld aus, und Rissa war in Versuchung, Signor Mazzini zu bitten, wieder Kontakt mit AMI Holdings aufzunehmen. Zwei Dinge hielten sie jedoch davon ab. Luigi war ein stolzer Mann gewesen, und sein Erbe stand auf dem Spiel. Dass das alte Heim der Familie abgerissen wurde, um Platz für luxuriöse Ferienwohnungen zu schaffen, war ein unerträglicher Gedanke – anscheinend passierte das mit vielen historisch bedeutsamen Gebäuden in der Gegend. Der zweite Grund war, dass ihr ein eigenes Haus eine gewisse Sicherheit geben würde.
In einer Mietwohnung zu leben hatte das ältere Ehepaar immer gestört, das sie aufgezogen hatte. Wenn sie an dem Palazzo festhalten und genug Geld verdienen konnte, wollte Rissa ihre Adoptiveltern herholen. Sie gab sich ein Jahr. Falls sie ihr Ziel bis dahin nicht erreicht hatte, würde sie verkaufen und in England ein Haus erwerben, in dem sie gemeinsam mit Tante Jane und Onkel George, wie sie ihre Adoptiveltern nannte, wohnen konnte.
Diese romantische Ruine und ihre märchenhafte Lage in den toskanischen Hügeln waren ihre große Chance, irgendetwas in ihrem Leben zu einem Erfolg zu machen. Das Haus war wunderschön. Sie musste unbedingt die ihr vom Schicksal gegebenen Karten ausnutzen, um die Dämonen ihrer Vergangenheit zu vergessen. Aufgeben war keine Alternative.
Es handelte sich um ein Problem, das wert war, von Sherlock Holmes gelöst zu werden, und Antonio Michaeli-Isola mochte keine Rätsel. Grüblerisch blickte er über den Dorfplatz auf das hohe Tor in der Steinmauer, die das Gut umgab. Er konnte jede Frau haben, die er begehrte, und hatte so viel Geld, wie es sich ein Mann wünschen konnte. Aber er wollte etwas anderes: den Palazzo Tiziano. Nur eins stand zwischen ihm und seinem idealen Heim: die Contessa Alfere-Tiziano.
Ohne sie kennengelernt zu haben, wusste Antonio genau, was für ein Typ Frau sie war. Die Frauen, die sich skrupellos ihren Weg nach oben in die High Society bahnten, waren alle gleich. Oberflächliche amoralische Modepuppen, die ihre männlichen Angestellten verführten und ihre Hausmädchen schikanierten. Sex und Geld waren ihre einzigen Antriebskräfte. Jetzt war Luigi Alfere-Tiziano tot, und da der Palazzo angeblich eine Ruine war, hatte Antonio erwartet, dass die Contessa die Bruchbude zu Geld machen und sich in die Hamptons absetzen würde. Aber sie war anscheinend fest entschlossen, das alte Haus zu behalten. Es war unerklärlich. So benahmen sich Frauen seines Wissens einfach nicht. Offensichtlich würde es ihn mehr als nur Geld kosten, den Palazzo zu bekommen.
Ein elegant gekleideter Mann begleitete eine Frau über den Dorfplatz zum Tor. Antonio spannte sich an, dann besserte sich seine Laune. Das musste die Contessa sein. Er hatte eine arrogante Manhattan-Zicke mit harten Gesichtszügen erwartet. Stattdessen blickte sich eine schlanke, bildhübsche junge Frau nervös und unsicher um, bevor sie in den überwucherten Garten geführt wurde.
Meine Chancen sind gestiegen, sagte sich Antonio. Den Schatz der Tizianos in die Finger zu bekommen könnte einfacher und angenehmer sein, als er gedacht hatte.
Bei seiner Rückkehr ins Hotel Excelsior in Florenz lag die Financial Times für ihn bereit. Bevor er die Mails auf seinem Laptop checkte, blätterte Antonio die Zeitung durch und hielt inne, als er in zentimetergroßen Lettern seinen Namen entdeckte. „Milliardär will neues Krankenhaus finanzieren“, begann der Artikel, in dem seine Großzügigkeit unterschätzt und sein Alter übertrieben wurde. Antonio war kein eitler Mensch, also würde er auf keiner Richtigstellung bestehen. Nur zeigte es, wie Journalisten Tatsachen verdrehen konnten. Wieder las er dieselbe alte Story, die sie so gern aufwärmten. Seine Mutter war die Tochter eines Flüchtlings. In Anerkennung der Familiengeschichte benutzte Antonio Michaeli-Isola noch immer einen Teil ihres Mädchennamens zusammen mit dem seines Vaters, der ein neapolitanischer Fischer gewesen war.
Anders als die Hochglanzmagazine hielt sich die Financial Times nicht lange mit Antonios gutem Aussehen und seiner italienischen Herkunft auf. Wie alle anderen Journalisten war auch dieser besessen von Antonios Kontostand und Spendenbereitschaft. Wie er das hasste! In Armut aufzuwachsen hatte ihn gelehrt, wie wichtig harte Arbeit und Selbstvertrauen waren, und er hatte es nach ganz oben geschafft. Jetzt machte es ihm Freude, etwas von seinem Vermögen wieder in die Allgemeinheit zu investieren. Dass andere Leute so fixiert darauf waren, wie er sein Geld ausgab, verblüffte ihn immer wieder.
Seine Gesichtszüge verlangten eher Respekt als Bewunderung. Die Kindheit und Jugend in den Straßen Neapels hatte Spuren hinterlassen. Er war viel öfter wütend als fröhlich, und sein Lächeln erreichte nur selten die dunklen Augen, selbst wenn er belustigt wirkte. Schon früh hatte er gelernt, dass der einzige Mensch, auf den er sich wirklich verlassen konnte, Antonio Michaeli-Isola war. Wenn sich eine Arbeit lohnt, mach sie selbst, war die Maxime, mit der er es zum Superstar in der Geschäftswelt gebracht hatte.
Männer scharwenzelten um ihn herum, Frauen konnten es nicht erwarten, ihn anzufassen und sich wie Kletten an seinen Arm zu hängen. In dem Armenviertel, in dem Antonio aufgewachsen war, blieb Frauen oft nur die Prostitution, um ihre Kinder ernähren zu können. Was die Schattenseiten des Lebens betraf, war er nicht zimperlich. Wenn aber reiche Frauen sich ihm anboten wie Flittchen, fiel es ihm schwer, seine Abscheu zu verbergen. Seine guten Manieren wurden häufig auf eine harte Probe gestellt.
Er nahm die andere Zeitung auf, die in sein Hotelzimmer geliefert worden war. Während er sie auf der Suche nach dem Wirtschaftsteil durchsah, fiel ihm ein Gesicht auf der Gesellschaftsseite ins Auge. Es war die Frau, die er das Grundstück hatte betreten sehen, das eigentlich ihm gehören sollte. Die Frau, die zwei Angebote seines Unternehmens für den Palazzo Tiziano abgelehnt hatte. Antonios Miene wurde härter. Normalerweise las er die Klatschspalten nicht. Er kannte jeden, der im Geschäftsleben etwas darstellte, und zog die Wahrheit den Spekulationen vor. An diesem Tag nahm er den Text allerdings mit Wonne in sich auf.
Vom Immobilienvermögen zu Designerkleidern? Verschwendet die Contessa Alfere-Tiziano die Millionen ihres verstorbenen Mannes?
Larissa Alfere-Tiziano hat ihr Erbe in Windeseile verkauft. Witwe geworden durch Conte Luigis Liebe zu schnellen Autos, hat die tragische Rissa sich auf eine kleine Shopping-Therapie vorbereitet, indem sie den Grundbesitz ihres jüngst verstorbenen Ehemannes zu Geld gemacht hat.
Mit jeder Zeile blickte Antonio finsterer drein. Der Schein konnte trügen, wie wahr. Auf ihn hatte die junge Frau ängstlich und sanftmütig gewirkt, die ihrem Lakai in den Garten des Palazzos gefolgt war. Er hatte kein Problem darin gesehen, sie bei einem persönlichen Treffen mit Schmeicheleien dazu zu bringen, das Haus aufzugeben. Jetzt erfuhr er, dass sie so oberflächlich und habgierig wie alle anderen Frauen war.
Nachdenklich faltete er die Zeitung zusammen. Zwei großzügige Angebote für den Besitz waren fehlgeschlagen. Ihr noch mehr Geld aufzudrängen würde die junge Frau nur misstrauisch machen, und umso wahrscheinlicher war es, dass sie abwarten würde, in der Hoffnung, den Preis immer höher zu treiben. Nein, er würde seinen Willen raffinierter durchsetzen. Sex würde natürlich die Hauptrolle spielen – so eine Gelegenheit würde er sich niemals entgehen lassen –, aber er würde ihn nur dazu benutzen, in Erfahrung zu bringen, warum sie Luxusimmobilien in besserer Lage verkauft hatte, diese jedoch nicht. Wenn er erst einmal ihre Beweggründe kannte, konnte er sich die beste Methode für den Schlussakt ausrechnen.
Zufrieden lächelnd lehnte sich Antonio in seinem Sessel zurück.
„Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Contessa.“ Die alte Frau machte einen Knicks.
„Oh, bitte tun Sie das nicht … Livia, stimmt’s?“ Rissa blickte schnell zu ihrem Grundstücksverwalter Signor Mazzini.
Er nickte. „Livia kümmert sich schon seit vielen Jahren um dieses Haus.“
„Die Familie Alfere-Tiziano muss Ihnen sehr dankbar gewesen sein.“
„Ha!“, stieß die Haushälterin hervor, dann murmelte sie vor sich hin.
Obwohl sie nicht gut Italienisch konnte, reimte sich Rissa zusammen, dass Luigis aristokratische Mutter Livia ebenso von oben herab behandelt hatte wie ihre Schwiegertochter. Beide waren sie Bürgerliche und als solche für die Contessa unter aller Kritik gewesen.
Rissa wusste nicht, was sie angesichts Livias Unzufriedenheit sagen sollte. Zum Glück kam ihr Signor Mazzini zu Hilfe.
„Kommen Sie, bevor es zu dämmern beginnt. Sie wollen sich doch sicher in Ihrem neuen Haus umsehen.“
Mit einem Lächeln für Livia ließ sich Rissa aus der zugigen Eingangshalle in eine warme helle Küche führen. Eine Seite des Raums wurde fast völlig von einem gewaltigen altmodischen Herd eingenommen. Der Widerschein seines offenen Feuers tanzte über die funkelnden Töpfe und Pfannen aus Kupfer, die über dem großen Tisch hingen, auf dem ein Teller mit drei dicken Scheiben Ciabatta und einem Stück Ziegenkäse stand. Sofort blickte sich Rissa zur Haushälterin um, die mit finsterer Miene an der Tür stand. „Es tut mir leid, dass wir Sie beim Essen gestört haben. Setzen Sie sich bitte wieder hin. Signor Mazzini und ich können uns zuerst die anderen Räume ansehen.“
„Nein. Das ist für Sie, Contessa. Ihr Abendessen“, erwiderte Livia triumphierend.
Entsetzt wünschte Rissa, sie hätte Signor Mazzinis Einladung in die Trattoria des Dorfes angenommen. „Das ist nett, Livia. Soll ich jetzt essen, oder wollen wir erst das Haus besichtigen, Signore?“ Hilfe suchend sah sie ihn an, aber die Haushälterin war schneller.
„Jetzt wäre mir lieber. Dann kann ich abwaschen und noch vor dem Dunkelwerden ins Dorf gehen.“ Livia hob einen Krug aus einem Eimer mit kaltem Wasser, goss Milch in eine angeschlagene Tasse und stellte sie neben den Teller.
Auf der wässrigen Oberfläche der sauer gewordenen Milch schwammen Flocken. Rissa schaute durch die Türöffnung in die Eingangshalle, wo die Porträts der Adligen hingen, die vor ihr in diesem Haus gelebt hatten. Wenn so ein Essen für sie gut genug gewesen war, würde es für sie selbst auch gut genug sein müssen. Tapfer setzte sich Rissa an den Tisch, fest entschlossen, nicht die Nase zu rümpfen über das alte Brot und die saure Milch.
„Danke, Livia“, sagte sie schließlich und reichte der Haushälterin den leeren Teller, gerade als ihr Handy klingelte. „Tante Jane! Ja, heute ziehe ich endlich in den Palazzo Tiziano. Und sobald ich ein schönes Zimmer für dich und Onkel George eingerichtet habe, könnt ihr herkommen!“
Signor Mazzini verzog das Gesicht, und Rissa blickte ihn fragend an.
„Bevor man sich in die oberen Stockwerke trauen kann, müssen sie von einem Statiker überprüft werden. Und im Erdgeschoss werden gegenwärtig nur zwei Räume genutzt. Diese Küche ist einer von ihnen“, flüsterte er.
„Ich hoffe, ihr habt etwas für Camping übrig“, sagte Rissa zu ihrer Adoptivmutter. „Anscheinend ist das Haus ein Trümmerhaufen, aber es steht auf zehn Hektar …“
„… Gestrüpp und Einöde.“ Signor Mazzini schüttelte trübselig den Kopf.
„Also kann es nur besser werden!“, versicherte Rissa ihrer Adoptivmutter. „Das Ehepaar, das mich großgezogen hat, ist seit zehn Jahren nicht mehr in Urlaub gewesen“, erklärte sie ihrem Grundstücksverwalter, nachdem sie das Telefongespräch beendet hatte. „Meine Adoptiveltern haben mich während meines Studiums finanziell unterstützt, und sie bedeuten mir alles. Ich kann es kaum erwarten, sie wiederzusehen.“
„Sie haben eine Hochschulausbildung, Contessa?“, fragte Signor Mazzini überrascht, und Livia blickte sie starr an.
„Ja, ich habe Marketing und Kommunikationswissenschaften studiert. Nach dem Abschluss wollten ein paar Freundinnen und ich einige Monate durch die Vereinigten Staaten reisen, bevor wir eine Laufbahn einschlagen. Lange sind wir nicht zusammengeblieben. Ich musste die Reise selbst finanzieren und wollte möglichst auch noch Geld nach Hause schicken. Abends auszugehen konnte ich mir nicht leisten, deshalb sind die anderen Mädchen allein nach Los Angeles und Las Vegas weitergezogen. Eines Tages hatte Conte Alfere-Tiziano auf der Fernstraße Sechsundsechzig eine Reifenpanne und saß in dem Lokal fest, in dem ich gerade jobbte. Der Rest ist Geschichte, wie es heißt.“
Argwöhnisch von Signor Mazzini und Livia beobachtet, erkannte Rissa, dass sie zu weit gegangen war. Luigi hatte immer geschimpft, sie würde zu freundschaftlich mit dem Personal verkehren. Ihr schauderte bei dem Gedanken daran, was er zu ihrem Geplauder gesagt hätte. Das spielte jedoch jetzt keine Rolle mehr. Was er niemals erfahren würde, konnte ihn nicht verärgern. Rissa straffte die Schultern und räusperte sich. „Sie sollten mich jetzt besser durchs Haus führen, Signor Mazzini.“
Drei Stunden später war Rissa allein. Signor Mazzini war zurück nach Florenz gefahren, und Livia hatte sich auf den Weg ins Dorf gemacht. Donner grollte in der Ferne. Rissa ging in das kleine Zimmer, das für sie hergerichtet war. Früher musste es einmal eine Vorratskammer gewesen sein, denn das hohe Fenster war vergittert, und trotz des uralten Elektroofens in einer Ecke wurde es nicht warm im Raum. Das Bett war allerdings schön gemütlich, mit weichen Wolldecken und nach Lavendel duftenden Laken. Einschlafen konnte Rissa trotzdem nicht. Stundenlang lag sie wach und horchte auf jedes neue Geräusch. Das alte Haus knarrte auf seinem Fundament, und aus der Küche nebenan hörte sie Knabbergeräusche. Rissa hatte keine Lust, nachzusehen, ob es eine Maus war … oder etwas Größeres.
Nach einer weiteren Stunde gab sie auf, knipste das Licht an und ging zu einem ihrer Koffer, der auf einem alten Sessel lag. Zu ihren Lieblingssachen gehörte ein kleines Radio, das sie überallhin mitnahm. Wenn sie World Service einstellen konnte, würde es die einsamen Stunden bis zum Morgengrauen ausfüllen. Bei Tageslicht kam einem alles viel weniger schlimm vor.
Gerade als sie das Radio einschalten wollte, hörte sie einen klagenden Schrei. Der Wind frischte auf. Irgendwo quietschte eine Pforte in den rostigen Angeln, und ein Fensterladen schwang hin und her. Die Geräusche machten ihr noch mehr Angst, aber Rissa war sicher, dass draußen in der Dunkelheit eine Katze miaute. Vorsichtig öffnete sie die Tür, die in den Garten führte. Der Lichtstrahl aus dem Zimmer beleuchtete Gestrüpp, das sich fast bis ans Haus ausgebreitet hatte. Nur einen Meter entfernt von Rissa saß eine Katze. Das Tier hielt eine Vorderpfote hoch und bewegte den Kopf hin und her, um an Rissa vorbei ins Zimmer zu blicken.
„Miez, Miez, Miez“, rief sie und machte mutig einen Schritt nach draußen. Jetzt konnte sie das Blut auf der weißen Pfote erkennen. „Du armes Ding, lass mich mal sehen …“ Sobald sie die Hand ausstreckte, lief die Katze jedoch weg. Rissa folgte ihr in die Dunkelheit gleich hinter der beleuchteten Türöffnung. Das war ein Fehler. Sie verfing sich in den Dornensträuchern, verlor das Gleichgewicht und stürzte den Abhang hinter dem Haus hinunter.
Außer Atem und ziemlich mitgenommen, versuchte Rissa aufzustehen, und schrie auf, als ein stechender Schmerz durch ihren Knöchel schoss. Ein Blitz erhellte einen Moment lang das Gestrüpp, bevor die Dunkelheit zurückkehrte. Die ersten Regentropfen fielen. Jetzt bin ich in derselben Lage wie die Katze, dachte Rissa, oder noch schlimmer dran. Zumindest musste das Tier von hier sein und sich auskennen.
Ein alles andere als appetitliches Abendessen, eine deprimierende Führung durch den heruntergekommenen Palazzo und jetzt dieser Sturz sollten eigentlich genügen, um sie für immer von dem Plan abzubringen, das Haus zu behalten und darin zu wohnen. Stattdessen spürte Rissa eine neue Entschlossenheit. Mühsam stand sie auf und konzentrierte sich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen, aber für das letzte Stück nach oben musste sie auf allen vieren gehen und sich hochziehen. Als sie schließlich auf dem Boden saß und den Kopf hob, beruhigten sich ihre Nerven allerdings nicht. Als Silhouette gegen das Licht aus der Türöffnung abgehoben, ragte ein großer muskulöser Mann über ihr auf.
„Hier ist es gefährlich, Contessa.“