Unschuldig in seinem Bett (4-teilige Serie) - Christina Hollis - E-Book

Unschuldig in seinem Bett (4-teilige Serie) E-Book

Christina Hollis

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

DIE NACHT AUF DER JACHT Ein verführerischer Auftrag in der Toskana! Die Innenarchitektin Katie Carter soll das Castello von Conte Giovanni Amato neu einrichten. Er ist ein faszinierender Mann, aber Katie traut der Liebe überhaupt nicht! Vorsichtig geht sie dem Conte aus dem Weg - bis er sie zu einer Party auf seiner Luxusjacht einlädt. In einem atemberaubenden Abendkleid erscheint sie an Deck: der erste Fehler! Denn das Funkeln in Giovannis dunklen Augen verrät ihr: Sie hat den Jagdinstinkt des adligen Multimillionärs geweckt! Jetzt darf sie keinen zweiten Fehler machen ... EINE STÜRMISCHE AFFÄRE In den Armen des griechischen Millionärs Nicholas Zentenas findet die junge Catherine die Erfüllung all ihrer Sehnsüchte. Noch ahnt sie nicht: Ihre Begegnung auf einer Hochzeitsfeier in London war kein Zufall! Nicholas hat nur ein Ziel: Rache an Catherines Familie, die ihn einst in den Ruin trieb. Er will Catherine, die er für ebenso berechnend wie ihren Vater hält, um ihr Erbe bringen. Doch als er sie zu einer stürmischen Affäre verführt, muss er feststellen, dass sie ganz anders ist, als er dachte. So unschuldig, so faszinierend - so unendlich liebenswert … SAG NIEMALS NIE! Angelo Emiliani überläuft es heiß - jedesmal, wenn er Rose Delafield begegnet. Zwischen ihm und der englischen Lady knistert die Luft vor Spannung. Ist es nur, weil ihr Eigensinn ihn reizt? Wild entschlossen hat sie ihm zu verstehen gegeben, dass sie ihm ihr prächtiges Familienschloss in Südfrankreich niemals verkaufen wird. Oder hat sie ihm so ganz nebenbei den Kopf verdreht? Kurzerhand beschließt er, sie auf seine Luxusjacht vor der Côte d'Azur einzuladen und sie dort zunächst einmal mit italienischem Charme und samtheißen Küssen verführerisch umzustimmen … ICH LEGE DIR MEINE WELT ZU FÜßEN Ein Autounfall hat seine Verlobte Holly das Leben gekostet und den mächtigen Rinderbaron Finn McLeod schwer verletzt. Jetzt kehrt Finns Kraft allmählich zurück: Die junge Physiotherapeutin Sienna vollbringt mit sanften Berührungen ihrer zarten Hände wahre Wunder! Und auch Finns geschundenes Herz kann Sienna heilen. Sie schenkt ihm Zuversicht, Hoffnung und Liebe, die er viel zu lange nicht mehr gespürt hat. Als er Sienna auf seine Ranch einlädt, scheint ein neues Glück zum Greifen nah - wenn nicht Hollys Schatten ihre zärtliche Romanze verdunkeln würde …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 803

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Christina Hollis, Kathryn Ross, India Grey, Lindsay Armstrong

Unschuldig in seinem Bett (4-teilige Serie)

Christina Hollis

Die Nacht auf der Jacht

IMPRESSUM

JULIA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG, 20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Redaktion und Verlag: Brieffach 8500, 20350 Hamburg Telefon: 040/347-25852 Fax: 040/347-25991
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Cheflektorat:Ilse BröhlProduktion:Christel Borges, Bettina SchultGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)Vertrieb:asv vertriebs gmbh, Süderstraße 77, 20097 Hamburg Telefon 040/347-27013

© 2007 by Christina Hollis Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 1804 (6/1) - 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Emma Luxx

Fotos: RJB Photo Library

Veröffentlicht im ePub Format im 04/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86349-261-8

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

1. KAPITEL

Katie hatte sich die Toskana heiß und staubig vorgestellt. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass der Himmel hier so strahlend blau war und die Luft nach Kräutern duftete.

„Man erwartet von Ihnen, dass Sie Ihre Arbeit zügig erledigen, Miss Carter. Signor Amato macht selten Zugeständnisse, schon gar nicht an Innenarchitekten!“ Eduardo, ein untersetzter, mit peinlicher Sorgfalt gekleideter Mann, beugte sich vor und klopfte an die Trennscheibe der Limousine, in der sie saßen. Er sagte kurz etwas auf Italienisch zu dem Chauffeur, bevor er sich wieder zurücklehnte. „Signor Amato muss heute Vormittag noch in sein Stadtbüro, und abends ist er Ehrengast bei dem Dinner einer australischen Delegation. Sein Arbeitstag ist straff organisiert und minutiös durchgeplant. Ich als sein persönlicher Assistent muss dafür sorgen, dass wir rechtzeitig eintreffen.“

„Tut mir leid, dass mein Flug gestrichen wurde. Ich wollte eigentlich schon gestern hier sein.“ Katie umfasste den Griff ihrer Aktentasche fester. Und dann hatte es ausgerechnet gestern einen Sicherheitsalarm gegeben. Dabei war dieser Traumjob wirklich wichtig für sie. Giovanni Amato war einer der öffentlichkeitsscheusten Multimillionäre der Welt. Und nun hatte sie durch die persönliche Fürsprache der Marchesa di San Marco den Auftrag bekommen, seiner Familienvilla ein neues Gesicht zu geben. Im ersten Moment hatte sie ihr Glück kaum fassen können. Alles war bis in die letzte Einzelheit geplant gewesen. Damit sie dem Grafen auch wirklich frisch und ausgeruht gegenübertreten konnte, hatte sie extra für die Nacht zuvor in Mailand ein Hotelzimmer gebucht. Doch dann waren alle ihre Pläne über den Haufen geworfen worden. Statt hellwach und konzentriert war Katie jetzt nach einer im Flughafen verbrachten schlaflosen Nacht nervös und übermüdet. Ihre Handflächen waren verdächtig feucht, außerdem klopfte ihr Herz zu schnell. So hatte sie sich ihren ersten Tag im Paradies nicht vorgestellt.

Hier zu arbeiten ist bestimmt keine Strafe, dachte sie, während sie durch eine idyllische Hügellandschaft fuhren. Immer wieder tauchten verstreut daliegende kleine Dörfer mit hübschen alten Häusern aus Stein auf. Schließlich bog die glänzende schwarze Limousine ab und hielt vor einem gewaltigen schmiedeeisernen Tor. Der Chauffeur ließ das Fenster herunter und schob eine Codekarte in den dafür vorgesehenen Schlitz. Gleich darauf glitt das Tor auf, und der Wagen fuhr langsam eine lange, mit Limonenbäumen gesäumte Auffahrt hinauf. Katie holte überrascht Luft, als eine klassische toskanische Villa in Sicht kam, die sich von der Größe her fast mit Windsor Castle messen konnte.

Während die Limousine vor dem Haupteingang vorfuhr, trat ein höchst effizient wirkender junger Mann in einem Designeranzug, Armani, wie Katie vermutete, aus dem Haus. Noch ehe der Wagen richtig angehalten hatte, riss er auf ihrer Seite die Tür auf. Die Hitze schwappte ins Innere und legte sich wie eine Thermodecke über Katie.

„Oh, was für ein herrliches Wetter Sie hier haben“, begann sie, aber das Personal der Villa Antico war nicht auf Small Talk eingestellt.

„Signor Amato erwartet Sie im weißen Büro, Miss Carter“, beschied der Butler Katie, bevor er an den persönlichen Assistenten gewandt fortfuhr: „Sie ist spät dran.“

„Sagen Sie mir einfach, wo es langgeht, ich beeile mich“, bat Katie.

Als Katie den kathedralenähnlichen lichtdurchfluteten Raum betrat, stand Conte Giovanni Amato mit dem Rücken zu ihr und telefonierte. Seine hochgewachsene schlanke Gestalt zeichnete sich schemenhaft vor der vom Boden bis zur Decke reichenden Fensterfront ab. Obwohl sein Gesicht im Schatten lag, erkannte Katie auf Anhieb, dass er eine unglaubliche Präsenz ausstrahlte. Er drehte sich halb zu ihr um und winkte sie befehlsgewohnt näher, allerdings ohne seinen italienischen Wortschwall zu unterbrechen. Er trug eine elegante Leinenhose, die von einem blütenweißen Hemd ergänzt wurde, doch um seine Erscheinung richtig würdigen zu können, musste Katie warten, bis er seinen Anruf beendete.

„Ich störe hoffentlich nicht, Signor Amato“, sagte sie, nachdem er sich ihr endlich zuwandte. Sein Gesicht war anbetungswürdig, ein Leckerbissen für jedes weibliche Auge, während es in Männern möglicherweise schlimmste Befürchtungen weckte. Beim ersten tiefen Blick in diese eindringlichen grauen Augen würde sie wahrscheinlich verloren sein. Für einen kurzen Moment wirkte er, als trüge er die Last der ganzen Welt auf seinen Schultern. Doch schon eine Sekunde später verzogen sich seine ebenmäßigen Gesichtszüge zu einem atemberaubenden Lächeln.

„Gar nicht … Miss Carter, nehme ich an? Ich bin angenehm überrascht, Ihre Bekanntschaft zu machen. Normalerweise empfiehlt mir Mima nämlich fast durchweg nur schlitzohrige Neapolitaner“, klärte er sie in perfektem Englisch auf. Bei seinen Worten fuhr er sich mit der Hand durch das volle dunkle Haar und lockerte kurz die breiten Schultern. Dann streckte er mit lässiger Eleganz den Arm, um einen Blick auf seine silberne Rolex zu werfen.

„Man hat mich vorgewarnt, dass Sie sich verspätet haben, aber was sind schon fünf Minuten?“ Als er jetzt wieder lächelte, blitzte in seinen Augen für einen Sekundenbruchteil etwas Diabolisches auf. „Manchmal nimmt es mein Personal etwas zu genau, aber ich werde mich hüten, das zu kritisieren. Je gewissenhafter sie sind, desto besser.“

Katie hatte es die Sprache verschlagen. Giovanni Amato war umwerfend charmant. Jetzt ging er um seinen Schreibtisch herum und ließ sich lässig auf der Tischkante nieder.

„Ein Schreibtisch ist immer eine trennende Barriere, finden Sie nicht auch?“ Er streckte die Hand nach einem Becher auf seinem Schreibtisch aus. Nachdem er einen Schluck getrunken hatte, schüttelte er sich angewidert. „Kalter Cappuccino … grauenhaft. Warten Sie einen Moment, ich besorge uns frischen.“

Während er telefonierte, schaute Katie sich in dem großen Arbeitszimmer um. Der hohe Raum mit der aufwendig verzierten Stuckdecke und den abblätternden Tapeten verströmte den verblassten Glanz früherer Zeiten. Außer den wertvollen alten Perserteppichen schmückte einzig Giovanni Amatos Schreibtisch nebst Hightechausstattung den Raum.

„Pech, Miss Carter, wir müssen es kurz machen. Ich muss in zehn Minuten los, zu einer Besprechung nach Mailand. Deshalb erlaubt sich mein äußerst effizienter persönlicher Assistent vorzuschlagen, dass wir uns besser nicht mit Kaffee aufhalten sollten.“ Er schüttelte lachend den Kopf.

„Äh … ja … also …“, stotterte Katie. Offenbar meinte er es ernst, deshalb tat sie gut daran, sich kurz zu fassen. „Ich bin Katie Carter …“

„Das ist mir bekannt. Sie wurden mir von einer Freundin, der Marchesa di San Marco, wärmstens empfohlen. Ich weiß nicht, was sie Ihnen erzählt hat, aber ich habe diesesAnwesen vor einer Weile von meinem Vater geerbt. Dass die Villa Antico heute in diesem bedauernswerten Zustand ist, ist seine Schuld, aber ich habe beschlossen, sie wiederauferstehen zu lassen. Ich möchte sie in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzen und alle Spuren ihrer letzten Bewohner weitgehend tilgen. Doch da mir die nötige Zeit wie auch die Kenntnisse hierzu fehlen, bin ich auf Fachleute angewiesen. An meine Mitarbeiter stelle ich hohe Ansprüche, und das gilt selbstverständlich auch für Sie.“

Nach diesem Vortrag schwieg er einen Moment und musterte sie mit einem schwachen Lächeln. Katie konnte nur erahnen, welche verheerenden Auswirkungen es bei voller Wattstärke entfalten würde. Gleich darauf wurde er wieder ernst.

„Nun gut. Tatsache ist, dass ich einen Ort brauche, an dem ich mich entspannen kann, Miss Carter. Ich habe also nicht vor, mich hier zu amüsieren oder rauschende Feste zu feiern – dafür habe ich meine Jacht und meine Stadtwohnungen. Und da Mima so große Stücke auf Sie hält, sind Sie jetzt hier, um für dieses Bedürfnis nach Entspannung den richtigen Rahmen zu schaffen.“ Bei diesen Worten machte er eine umfassende Handbewegung.

Katie sagte nichts. Sie wusste, dass Kunden zumeist sehr genaue Vorstellungen hatten von dem, was sie wollten. Deshalb war davon auszugehen, dass ein so erfolgreicher, viel beschäftigter Mann wie Giovanni Amato ihr gleich einen ellenlangen Wunschzettel präsentieren würde. Er lächelte immer noch. Wahnsinnsaugen, dachte Katie. Taubengrau, mit langen dunklen Wimpern – obwohl da auch Schatten waren. Sie fragte sich, woher sie wohl kommen mochten. War das Schmerz? Oder Argwohn? Die Art, wie er kaum merklich sein Gewicht verlagert hatte, als er auf seinen Vater zu sprechen gekommen war, deutete auf irgendetwas Belastendes in seiner Vergangenheit hin. Allem Anschein nach gab es unter dieser lässig eleganten effizienten Oberfläche Geheimnisse. Katie spürte es genau.

Ihre Unterredung fand ein abruptes Ende, als Eduardo zum Aufbruch mahnte. Giovanni rutschte von der Schreibtischkante.

„Ich werde in Mailand erwartet, Miss Carter. Kennen Sie das Amato-Gebäude? Dort bekommen Sie einen Cappuccino und alles, was Ihr Herz sonst noch begehrt.“ Und an seinen Assistenten gewandt, fuhr er fort: „Miss Carter wird mich begleiten, Eduardo.“ Dann fügte er, jetzt wieder mit Blick auf sie, hinzu: „Auf dem Weg nach unten kommen wir durch einen Teil des Hauses, in dem seit dreißig Jahren nichts mehr gemacht wurde. Es wäre nicht schlecht, wenn Sie ihn sich ziemlich zu Anfang vornehmen könnten.“

Er hielt ihr die Tür auf. Anschließend führte er sie durch verwirrend viele holzgetäfelte Korridore und Hallen, sodass Katie schon nach kürzester Zeit den Überblick verlor. Sie erstarrte fast vor Ehrfurcht angesichts der Größe und Pracht der alten Villa. Um sich hier zurechtzufinden, würde sie wahrscheinlich ihr ganzes Leben brauchen. Aber ihr Aufenthalt war auf dreißig Tage beschränkt. Am Ende eines langen Flurs blieben sie vor einer mächtigen Doppeltür mit schweren Türklinken aus Kupfer stehen. Beim Betreten des dahinterliegenden Raums schlug Katie ein Duft nach Bienenwachspolitur entgegen. Die Sonne fiel durch die hohen Fenster und warf breite Streifen aus Licht auf das alte Parkett, dem unzählige Schichten Bohnerwachs einen goldenen Glanz verliehen hatten.

„Wenn Sie nicht mehr herfinden, fragen Sie einfach nach der Raucherempore“, nahm er eine ihrer Fragen vorweg.

„Rauchen Sie, Signor Amato?“

Er lachte leise auf. „Nein, das ist alles nur Nostalgie. Mein Urgroßvater sah vor einem Jahrhundert bei einem Besuch in England einige architektonisch ziemlich interessante Kamine, die er teilweise nachbauen ließ. Dummerweise haben sie nie richtig funktioniert.“

Er ging zu einem großen schwarzen Marmorkamin auf einer Seite des Raums und deutete neben dem Kaminschacht nach oben. Dort hingen alte Holzpaneele, auf denen der Amato-Stammbaum abgebildet war. Er war mit bunten Wappen und Flaggen bestückt und hing wie ein Stalaktit von der Decke. Die Namen waren in Goldlettern geschrieben. Neben jedem einzelnen befand sich ein Schild oder ein Banner in den jeweiligen Familienfarben.

Dieser Mann hatte eine Geschichte. Katie fragte sich, was für eine. Sie warf ihm einen Blick zu und wollte etwas sagen, doch er wirkte plötzlich niedergeschlagen. Gleich darauf lächelte er schon wieder sein charmantes Lächeln, aber Katie war hellhörig geworden. Sie schaute erneut auf den Stammbaum und fragte sich, was ihn wohl so aus der Fassung gebracht haben mochte.

Sein Familienzweig bestand nur aus Jahres-, Namens- und Ortsangaben. Vor Katie war ein Großteil der Familiengeschichte der Amatos ausgebreitet, und am Ende stand ein einziger, in goldenen Lettern leuchtender Name: Giovanni Francisco Salvatore Amato. Daraus ergab sich für Katie, dass dieser Mann weder eine Ehefrau noch Nachkommen hatte – noch nicht. Vielleicht macht ihn das ja nervös, dachte sie. Möglicherweise hatte es ja doch seine Vorteile, in kleinbürgerliche Verhältnisse hineingeboren worden zu sein. Giovanni Amato hingegen oblag die Verantwortung, eine lange Familientradition fortzusetzen.

Wenig später entdeckte Katie, dass es wenig sinnvoll war, im Zusammenhang mit ihrem neuen Auftraggeber allzu viele Schlüsse zu ziehen. Sie ließen sich nämlich nicht wie erwartet in einer seiner Limousinen nach Mailand chauffieren, sondern flogen per Hubschrauber. Nachdem Giovanni ihr beim Einsteigen behilflich gewesen war, kletterte er auf den Pilotensitz und stülpte sich ein Headset über. Das konnte nur bedeuten, dass er vorhatte, das Fliegen selbst zu übernehmen.

„Warum holen Sie sich Ihre Geschäfte eigentlich nicht ins Haus?“, brachte sie nach dem ersten Schreck mühsam heraus. „Das dürfte für jemanden wie Sie doch kein Problem sein.“ Da er von den Startvorbereitungen in Anspruch genommen war, antwortete er nicht sofort. Nachdem sie in der Luft waren, flog er einen großen Bogen, damit sie einen Eindruck von der Größe der Villa mit ihren zahlreichen Nebengebäuden und dem Grundstück erhielt.

„Dafür gibt es zwei Gründe, Miss Carter“, kam er nach einiger Zeit auf ihre Frage zurück. Der Hubschrauber stand einen Moment reglos in der Luft, dann drehte er ab und flog in einem eleganten Slalom über die Dächer der Villa. Sie flogen so tief, dass Katie direkt in die Kamine hätte hineinschauen können – wenn sie nicht gezwungen gewesen wäre, sich an ihrem Sitz festzuklammern.

„Erstens geht nichts über einen Händedruck, egal wie gut die elektronische Verbindung auch sein mag. Außerdem sind die Leute neugierig, sie wollen mich persönlich kennenlernen, und wie käme ich dazu, ihnen dieses Vergnügen vorzuenthalten?“ Der Blick, den er ihr unter hochgezogenen Augenbrauen zuwarf, traf sie mitten ins Herz. Das ließ sich unmöglich leugnen, aber Katie wusste, dass sie sich auf keinen Fall etwas anmerken lassen durfte. Ihm lag wahrscheinlich die gesamte Frauenwelt zu Füßen.

Der Hubschrauber legte sich gefährlich in die Kurve, als Giovanni scharf nach Nordwesten abbog. Katie schnappte erschrocken nach Luft.

„Soll ich langsamer fliegen, Miss Carter?“ Mit einem feinen Lächeln brachte er die Maschine wieder in die Ausgangsstellung zurück. „Nur keine Aufregung. Bis jetzt habe ich noch nie einen Passagier verloren.“

Erleichtert ließ Katie das Sitzpolster los.

„Sie haben eben von mehreren Gründen gesprochen, Signor Amato.“

Sein Gesichtsausdruck bekam jetzt fast etwas Genüssliches.

„Oh ja …“ Nachdem er eine unfassbar enge Kurve geflogen war, schwebte der Hubschrauber im Tiefflug über die altehrwürdige, von Limonenbäumen gesäumte Auffahrt. „Ein weiterer Grund ist der, dass ich es gern tue, Miss Carter.“

Bald überwand Katie ihre anfängliche Angst. Nach einer Weile wagte sie es sogar, einen Blick aus dem Seitenfenster zu werfen, nur nach unten zu schauen war schlechterdings unmöglich. Sie überlegte, was ihre Mutter wohl sagen würde, wenn sie sie jetzt sehen könnte. Die arme kleine mausgraue Katie im Hubschrauber eines Multimillionärs! Es würde ihr die Sprache verschlagen.

Als Mailand in den Fokus rückte, wurden die Zypressen durch Wolkenkratzer ersetzt, die sich in einen dunstigen Himmel reckten.

„Sehen Sie das Hochhaus dort? Das ist der Stammsitz von Amato International.“ Giovanni deutete auf eines der imposanten Gebäude. Beim Näherkommen konnte Katie auf dem Dach ein großes, leuchtend weißes H erkennen. Als der Hubschrauber zur Landung ansetzte, musste sie sich wieder an ihrem Sitz festklammern.

„Amato International ist vor mehreren Hundert Jahren als kleine Firma gegründet worden“, erzählte Giovanni ihr, nachdem sie sicher gelandet waren. „Anfang des letzten Jahrhunderts mussten sich die Autohersteller entscheiden, welchen Treibstoff sie verwenden wollten. Die Investoren sahen sich vor eine ähnliche Wahl gestellt.“

„Und Amato International entschied sich für Benzin?“, fragte Katie. Ihr Auftraggeber nickte zustimmend. Seine Familie muss eine über Generationen hinweg anhaltende Glückssträhne gehabt haben, überlegte Katie, während sie ihm in den Vorstandslift folgte. Sie fragte sich, ob er es überhaupt zu schätzen wusste. Trotz seiner umgänglichen Art machte Signor Giovanni Amato einen eher verschlossenen Eindruck.

Sie fuhren in einem Lift aus Spiegelglas hinauf in die Vorstandsetage. Katie wusste nicht, wo sie hinsehen sollte. Überall war Giovanni Amato. Wenn sie nach vorn schaute, war es unmöglich, seinem Blick auszuweichen. Zur Rechten wie zur Linken wurde sie von seiner hochgewachsenen Gestalt eingerahmt – einmal in Wirklichkeit und das andere Mal im Spiegel. Und wenn sie an die Decke schaute, war er da ebenfalls, wenn auch um einiges weiter entfernt.

Beim Verlassen des Lifts versanken sie fast knöcheltief in einem luxuriösen Teppichboden, den Katie automatisch auf mindestens hundert Euro pro Quadratmeter schätzte. Sie stutzte. War ihr Leben schon so von ihrer Arbeit durchdrungen, dass sie bereits begann, ihre Umgebung in Preiskategorien zu unterteilen?

Katie war der Auffassung, dass Beruf und Familie unvereinbar waren. Für sie bedeutete ihr Beruf einfach alles. Das hatte mit Sicherheit etwas mit ihrer Geschichte zu tun. Ihre Arbeit gab ihr Freude und Sicherheit. Hinzu kam, dass sie sich damit nicht nur ihren Lebensunterhalt verdiente, sondern gleichzeitig die Menschen erfreute, für die sie arbeitete. Das war bisher ihr Patentrezept für ein glückliches Leben gewesen. Was wollte sie mehr? Sie hatte ihre berufliche Laufbahn mit vierzehn begonnen, samstags als Aushilfsverkäuferin in einem Stoffladen ihrer Heimatstadt. Ihr ursprünglicher Grund dafür war gewesen, einfach ein paar Stunden von zu Hause wegzukommen. Doch dann hatte ihr die Arbeit so viel Freude gemacht, dass sich in ihr der Wunsch verfestigt hatte, Innenarchitektin zu werden. Der Weg dorthin war oft steinig gewesen, doch am Ende hatte sie es geschafft. Und nun war sie hier und arbeitete für einen der reichsten Männer der Welt. Selbst jetzt konnte sie ihr Glück noch immer kaum fassen.

Ein solches Privileg bekam man jedoch nicht geschenkt. Katie wusste, dass neben fachlichem Können und Einfühlungsvermögen in die Gedankenwelt ihrer Kunden Diskretion eine der wichtigsten Voraussetzungen für ihren Erfolg war. Gerade sehr reiche Leute waren oft peinlich auf ihre Privatsphäre bedacht, und so ließ sie sich niemals auch nur ein einziges Wort über ihre Kunden entlocken. Das hatte sich so schnell herumgesprochen, dass es nicht lange dauerte, bis sie sich vor Aufträgen kaum mehr retten konnte und Leute einstellen musste. Obwohl sie die wichtigsten Dinge auch heute immer noch selbst machte, um sich nicht zu sehr auf andere verlassen zu müssen.

Weil sie das Risiko scheute, im Stich gelassen zu werden.

Die Vorstandslounge war spektakulär. Auf rotem Grund buhlte ausgefallene moderne Kunst um Aufmerksamkeit. Eine Seite des weitläufigen Raums hatte eine durchgehende Glasfront, von der aus man wie aus einem Adlerhorst auf die weit unten liegende Stadt hinabschauen konnte. Als Katie an der Seite von Giovanni Amato den Raum – offenbar eine reine Männerdomäne – durchquerte, erntete sie viele erstaunte Blicke und manches süffisante Grinsen. Sie hätte sich am liebsten unsichtbar gemacht, was Giovanni jedoch schon dadurch verhinderte, dass er ihr eine Hand auf die Schulter legte.

„Gentlemen, ich möchte Ihnen Miss Carter vorstellen. Sie ist Innenarchitektin und soll der Villa Antico ein neues Gesicht geben. Ich habe sie mitgebracht, damit sie sieht, was ich in meinem Privatleben garantiert nicht brauche“, scherzte er. Alle lachten.

„Miss Carter wird in diesem Monat eng mit mir zusammenarbeiten, deshalb möchte ich, dass sie sich zumindest einen ungefähren Eindruck von meiner Arbeitsumgebung verschafft“, fuhr er, jetzt ernster geworden, fort, und ergänzte nach einer kurzen Pause: „Ich werde sie gleich noch mit den Damen im Sekretariat bekannt machen.“

Die Vorstandsmitglieder von Amato International grinsten immer noch, wenn auch inzwischen nicht mehr ganz so abschreckend. In ihrer Welt waren Frauen entweder Dienstboten oder Ehefrauen, die bestenfalls ehrenamtlich tätig waren. Giovanni Amato führte sie an ihnen vorbei, und Katie war froh, dass sie ihre normale, aus einem schlichten schwarzen Hosenanzug bestehende Arbeitskleidung trug. Trotzdem berührten sie die Blicke der Männer unangenehm.

Giovanni Amato teilte zum Glück die Unsitte seiner männlichen Führungskräfte nicht – vielleicht, weil er aus Erfahrung wusste, wie man sich fühlte, wenn man so angestarrt wurde. Dennoch atmete Katie erleichtert auf, als sie wenig später einen großen Raum betraten, in dem sich die persönlichen Assistentinnen und Vorstandssekretärinnen versammelt hatten, obwohl sie auch hier neugierige Blicke auf sich zog.

Katie war so erpicht darauf, endlich mit ihrer Arbeit anzufangen, dass sie die Rückkehr in die Villa kaum erwarten konnte. Durch den Ausflug nach Mailand hatte sie viele Anregungen bekommen.

Auf dem Rückflug verzichtete Giovanni Amato glücklicherweise darauf, ihr seine Flugkünste zu demonstrieren.

„Ich habe wirklich sehr von diesem Ausflug profitiert, Signor Amato“, sagte sie, nachdem er sie heil auf den Boden zurückgebracht hatte. „Die Informationen Ihrer Angestellten haben sich als sehr nützlich für mich erwiesen.“

„Und das Mittagessen war bestimmt auch nicht zu verachten“, ergänzte er augenzwinkernd. „Ich hoffe, unsere Damen haben Sie in die beste Trattoria Mailands geführt?“

Damit meinte er die Firmenkantine. Katie spürte, dass sierot wurde. „Wir waren alle pünktlich zum Ende der Mittagspause zurück, Signor“, glaubte sie, betonen zu müssen, und fuhr dann fort: „Aber … wäre es vielleicht möglich, dass ich mir die übrigen Büros auch noch irgendwann ansehe?“

„Warum sagen Sie es nicht offen heraus, dass Sie meinen Firmensitz auch noch ganz gern neu gestalten würden, Miss Carter?“ Er lachte anerkennend. „Ich muss schon sagen. So jung und schon so geschäftstüchtig.“

Katie wurde wieder rot. „Na ja … also, ich muss zugeben, dass mich dieser Gedanke zumindest gestreift hat.“

„Recht so. Im Geschäftsleben sollte man die Zukunft immer fest im Blick haben, sonst kann man gleich einpacken“, gab er zurück. Katie atmete auf. Sie überquerten einen Grasstreifen zwischen Hubschrauberlandeplatz und Villa. Irgendwann blieb er stehen, lockerte seine Krawatte und öffnete die beiden obersten Hemdknöpfe. Katie ertappte sich dabei, dass sie sich auszumalen begann, wie es unter diesem Hemd wohl aussehen mochte. Als es ihr bewusst wurde, schüttelte sie, peinlich berührt über sich selbst, den Kopf. Gleich darauf hörte sie ihn leise auflachen.

„Du meine Güte, Miss Carter, dieses Erröten würde ja jeder Contessa gut zu Gesicht stehen. Die Marchesa di San Marco hat mir kein Wort davon gesagt, dass Sie blaues Blut in den Adern haben. Da kann ich nur hoffen, dass Sie nicht ihrem habsüchtigen Verwandtenklüngel angehören.“

Obwohl er es in scherzhaftem Ton gesagt hatte, reagierte Katie pikiert. Das klang ja fast, als ob er ihr eine bewusste Täuschung unterstellte. Damit würde sie ihn nicht durchkommen lassen.

„Na, hören Sie mal! Ich bin weder habsüchtig noch irgendjemandes Verwandte! Dass ich hier bin, habe ich allein meiner Arbeit und meinem guten Ruf zu verdanken“, wehrte sie sich entschieden.

„Das will ich auch hoffen“, erwiderte Giovanni in einem Tonfall, in dem Genugtuung mitschwang. „Ich habe nämlich keine Zeit, hier jeden Ihrer Schritte zu überwachen.“

„Das wäre ja auch noch schöner.“ Katie hob trotzig das Kinn und schaute ihm fest in die Augen, obwohl sie es sofort bereute. Er war schlicht atemberaubend. Ein anderes Wort gab es dafür nicht.

„Na prächtig. Dann sind wir in diesem Punkt ja schon mal einer Meinung“, gab er, ohne mit der Wimper zu zucken, zurück, bevor er ihr mit einer Handbewegung bedeutete, ihm zu folgen.

2. KAPITEL

„Das sind Signor Amatos Termine für diesen Monat.“ Eduardo reichte Katie ein Blatt schweres cremefarbenes Papier, auf dem das Amato-Wappen prangte. „Geschäftliche Termine sind rot markiert, gesellschaftliche grün, und eine Mischung aus beidem habe ich schraffiert. Ihr Aufenthalt wurde absichtlich so gelegt, dass er in eine Zeit fällt, in der sich Signor Amato praktisch nicht im Ausland aufhält. Damit Sie genügend Zeit finden, sich mit ihm auszutauschen.“

„Oje“, murmelte Katie, während sie auf den brechend vollen Terminkalender schaute. Der laufende Monat war detailliert wiedergegeben, während man im oberen und unteren Bereich des Blatts Teile des vergangenen sowie des folgenden Monats sehen konnte. „Die Hamptons, Manhattan, eine Jacht, Nizza … Verbringt der Mann eigentlich jemals mehr als zwei Nächte an ein und demselben Ort?“, fragte sie fassungslos.

„Kaum.“ Eduardo schaute für einen Moment nachdenklich vor sich hin, bevor er fortfuhr: „Signor Amato hat mich informiert, dass Sie zu sämtlichen Räumen der Villa freien Zutritt haben. Da er heute Abend außer Haus isst, böte sich eine gute Gelegenheit, das weiße Schlafzimmer in Augenschein zu nehmen. Falls Sie bereit wären sofort anzufangen, hätten Sie eine ganze Weile Zeit, da oben ungestört zu arbeiten, Miss Carter.“

„Oh, aber jetzt doch noch nicht. Bestimmt will sich Signor Amato irgendwann zum Ausgehen fertig machen.“

Eduardo lachte. „Aber nein, Miss Carter! Das weiße Schlafzimmer ist nicht sein persönliches Schlafzimmer. Es wurde bis zum Tod des alten Grafen genutzt für …“, er unterbrach sich und suchte an der reich verzierten Stuckdecke nach Worten, „… für etwas, das Signor Amato lieber gestern als heute aus den Akten streichen würde, wenn ich das mal so ausdrücken darf.“

Obwohl ihre Fantasie wilde Blüten trieb, war Katie natürlich viel zu diskret, um nach Einzelheiten zu fragen. Damit schien sie bei Giovannis persönlichen Assistenten einen Punkt gemacht zu haben, zumindest wirkte es so, als ob er sich entschlossen hätte, seinen berufsbedingten Argwohn ihr gegenüber fallen zu lassen. Er schlug vor, ihr das besagte Zimmer gleich zu zeigen, doch sie bat ihn, vorher in ihre eigenen Räumlichkeiten geführt zu werden. „Es dauert nicht lange, Eduardo, ich brauche nur meine Werkzeugkiste, sonst kann ich nicht arbeiten.“

Wenig später schaute sie sich beeindruckt in dem großen Salon der Suite um, die für die nächsten vier Wochen ihr Zuhause sein sollte.

Obwohl bei näherem Hinsehen hier wie überall sonst in der Villa der verblasste Glanz alter Zeiten vorherrschte, wirkten die Räume doch herrlich großzügig, lichtdurchflutet und glamourös. Zwischen dieser Suite und ihrem kleinen Stadtapartment lagen Welten. Die Luft, die aus dem Garten durch die weit geöffneten hohen Fenster ins Zimmer strömte, duftete süß, die weißen Musselinvorhänge bauschten sich leicht im Wind. Das mit Marmor gekachelte und verspiegelte Badezimmer war mit goldenen Armaturen bestückt, und ihr Ankleidezimmer hatte etwa die Größe eines Tanzsaals. Da sie möglichst wenig Gepäck mitgenommen hatte, fiel ihr erst beim zweiten Blick auf, dass man ihre gesamte Habe bereits ausgepackt und in den riesigen Schränken verstaut hatte. Wenn so das Leben der Reichen war, könnte sie sich wahrscheinlich ganz schnell daran gewöhnen. Sie nahm sich vor, sich später bei der guten Fee zu bedanken, aber jetzt wollte sie erst einmal an die Arbeit gehen.

Wieder führte Eduardo sie durch endlose Korridore, bis er schließlich vor einer schweren, auf Hochglanz polierten Doppeltür aus dunklem Holz stehen blieb. Er zog einen enormen rasselnden Schlüsselbund aus der Tasche und schloss auf. Der Raum dahinter erstrahlte ganz in Weiß, die Wände waren ebenso weiß wie die Möbel und die Vorhänge. Und in der Mitte stand ein rundes, ebenfalls weißes Bett, das ungefähr die Ausmaße einer römischen Wettkampfarena hatte.

„So, da wären wir, Miss Carter. Na, was sagen Sie? Gemütlich, nicht wahr?“ Eduardo gelang es nicht ganz, den beißenden Spott aus seiner Stimme herauszuhalten.

„Es ist ziemlich … hell, oder?“

„Nachts sind alle Katzen grau, Miss Carter. Selbst hier, glauben Sie mir.“

Katie, die versuchte, die Anspielung zu überhören, räusperte sich, bevor sie das Thema wechselte und fragte: „Dieser wunderhübsche alte Kamin da drüben … funktioniert der noch?“

„Bedauerlicherweise hat er noch nie funktioniert, Miss. Dieser Raum hier liegt direkt über der Raucherempore. Die Räume teilen sich einen Schacht.“

„Schade.“ Katie runzelte die Stirn. Sie nahm sich vor, einen Kaminexperten zurate zu ziehen. Irgendwie würde sie diesen Raum behaglicher machen müssen, aber bis jetzt fehlte ihr noch eine zündende Idee.

„Danke, Eduardo“, sagte sie, als sich Giovannis persönlicher Assistent zum Gehen wandte. „Und noch eine Frage hätte ich: Ist es in Ordnung, wenn ich mich später noch kurz auf der Empore umsehe?“

„Jederzeit, Miss Carter. Sie können sich überall frei bewegen“, versicherte er ihr.

Es war, als wären erst zehn Minuten vergangen, als Eduardo mit einem Silbertablett in der Hand zurückkehrte, auf dem Kaffee und Gebäck standen.

„Signor Amato hat soeben das Haus verlassen, Miss. Er hat mich gebeten, Ihnen einen kleinen Imbiss zu bringen. Dürfte ich fragen, was für Pläne Sie für den Abend haben?“

„Erwartet man, dass ich ebenfalls ausgehe?“

„Das ist nicht zwingend, Miss.“ Er lächelte. „Sie können wählen, ob Sie Ihr Abendessen in Ihrer Suite einnehmen möchten oder im Esszimmer. Oder wenn Sie lieber einen Pizzaservice in Anspruch nehmen, sind wir selbstverständlich bereit, das für Sie zu erledigen.“

Katie versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie überrascht sie war. Sie schwelgte hier in purem Luxus – und wurde auch noch dafür bezahlt!

„Was steht denn bei Ihnen heute auf der Speisekarte, Eduardo?“, erkundigte sie sich höflich.

Auf seinem Gesicht erschien ein fast herablassender Ausdruck. „Was immer Sie möchten, Miss Carter.“

Katie schluckte verblüfft. Die Küche war wahrscheinlich darauf eingestellt, selbst winzigste Portionen der exotischsten Speisen zuzubereiten. Ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie fast am Verhungern war.

„Nun, wenn das so ist, hätte ich nichts gegen ein halbes Hähnchen und einen Salat einzuwenden. Lässt sich das machen?“ Sie lächelte.

„Selbstverständlich, Miss Carter. Und wo möchten Sie die Mahlzeit einnehmen?“

„Ich denke in meiner Suite, Eduardo“, entschied sie. „Sagen Sie mir einfach Bescheid, wenn das Essen fertig ist. Ich richte mich ganz nach Ihnen.“

Eduardo schaute verwirrt. „Nein, Miss Carter, so läuft das hier nicht. Sie bestimmen, wann und wo wir das Essen servieren.“

Katie, die gerade am Boden die Fußleisten ausgemessen hatte, setzte sich auf ihre Fersen zurück. Wenn sie in anderen großen Haushalten tätig war, aß sie stets mit dem Personal. Niemand, weder Katie noch ihre Auftraggeber, waren je auf die Idee gekommen, etwas anderes vorzuschlagen.

„Ich habe hier noch eine knappe Stunde zu tun, Eduardo. Dann möchte ich noch kurz etwas auf der Raucherempore überprüfen, und anschließend bin ich in meiner Suite, danke.“

Als Eduardo gegangen war, gestattete sich Katie ein kleines Lächeln. Es hat durchaus seine Vorteile, für einen alleinstehenden reichen Mann zu arbeiten, dachte sie.

In dieser Nacht konnte Katie lange nicht einschlafen. Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander – aus den verschiedensten Gründen. Allein die Größe dieser wunderschönen Villa war überwältigend. Ihre Suite, die Eduardo als die „kleine Gästesuite“ bezeichnete, war riesig, hell und bezaubernd. Katie konnte sich an dieser verblassten Pracht gar nicht sattsehen. Noch als sie im Bett lag, sammelte sie unablässig weiter neue Ideen, genauso oft aber musste sie an etwas denken, das sie heute vor dem Abendessen bei ihrem zweiten Besuch auf der Raucherempore entdeckt hatte. Da war ihr nämlich – anders als beim ersten Mal – aufgefallen, dass der Amato-Stammbaum im Nachhinein an entscheidender Stelle verändert worden war. Zwar möglichst unauffällig, für ein geschultes Auge wie das Ihre jedoch deutlich erkennbar. Dort wo jetzt nur noch der Name ihres Kunden stand, hatten früher zwei Namen geprangt. Welches Geheimnis verbarg sich dahinter? Wessen Name war da entfernt worden?

Sie lag lange wach und starrte auf die in dunkle Schatten gehüllten Balken an der Decke. Schließlich aber musste sie wohl doch eingeschlafen sein, weil sie von einem Geräusch draußen geweckt wurde. Sie sprang aus dem Bett, schlüpfte in ihren Morgenrock und eilte zur Balkontür in ihrem Schlafzimmer. Nachdem sie die Tür geöffnet hatte, hörte sie Vogelgezwitscher und ein rhythmisches Plantschen. Es klang, als ob jemand in dem Swimmingpool unter ihrem Fenster seine Bahnen zog. Eingehüllt in die weiche Morgendämmerung, trat sie auf den Balkon. Die Luft war kühl, und die Vögel sangen ihr Morgenlied. Die Wasseroberfläche des erleuchteten Swimmingpools war leicht gekräuselt von Wellen – die Giovanni Amato verursachte.

Wie von unsichtbaren Fäden gezogen, trat Katie an die schmiedeeiserne Brüstung. Sie legte die Hände auf das Eisen, das sich kalt und feucht anfühlte, aber sie spürte es kaum, so sehr war sie von dem Anblick gefesselt, der sich ihr bot. Der Swimmingpool mochte schätzungsweise zwanzig Meter lang sein. Wieder und wieder tauchte Giovannis geschmeidiger nackter Körper aus dem Wasser auf. Sobald er am einen Ende angelangt war, machte er eine elegante Tauchwende, um die Bahn zurückzuschwimmen. Katie schaute fasziniert zu. Am Himmel im Osten brach sich die Sonne langsam Bahn. War er eben erst nach Hause gekommen? Sie war unfähig, den Blick von ihm zu lösen. Laut Zeitplan frühstückte Giovanni jeden Morgen um sechs, dann zog er sich in sein Arbeitszimmer zurück.

„Guten Morgen, Miss Carter.“

Sie schrak zusammen. Er war eben aus dem Wasser aufgetaucht und hangelte jetzt mit ausgebreiteten Armen das Geländer entlang, das sich über die Seitenwand des Beckens zog. Über seine muskulöse, leicht behaarte Brust tanzten die Schatten, die das immer noch leicht gekräuselte Wasser warf. Katie, die vor Verlegenheit am liebsten im Boden versunken wäre, schlug sich die Hände vors Gesicht.

„Oje! Ich bitte Sie tausendmal um Verzeihung, Signor Amato.“

Sie hörte ein Plätschern, dann ein amüsiertes Auflachen.

„Sie können die Hände wieder runternehmen, Miss Carter.“

Sie tat es und schaute nach unten. Er war aus dem Pool gestiegen und hatte sich ein blendend weißes Handtuch um die Hüften geschlungen. Mit einem zweiten frottierte er sich die Haare und die breiten Schultern.

„Ich schwimme jeden Tag vor dem Frühstück.“

„Ich dachte schon, Sie sind eben erst nach Hause gekommen.“

Er zuckte die Schultern. „Nein, schon vor ein paar Stunden. Aber ich brauche nicht viel Schlaf.“

„Ich habe letzte Nacht auch nicht viel geschlafen.“ Katie seufzte, allerdings nicht wegen der schlaflosen Nacht. Er hatte den tollsten Oberkörper, den sie sich bei einem Mann vorstellen konnte. Katies Haut fing an zu kribbeln. Wie mochte es wohl sein, mit der Hand über diese glänzende, straff gespannte Haut zu fahren und darunter die harten Muskeln zu spüren? Sein Anblick erregte sie, und dass so eine Situation völlig neu war für sie, machte die Sache nicht besser. Da Katie normalerweise kaum Zeit für Ablenkungen hatte, war der Kelch der Versuchung bisher an ihr vorübergegangen. Doch das schien sich gerade zu ändern.

Sie hatte ihren Blick über ihn hinwegwandern lassen und versuchte jetzt, in seinem Gesicht zu lesen. Erriet er, was sie dachte? Sie wusste es nicht.

„Das ist bedauerlich. Warum konnten Sie denn nicht schlafen, Miss Carter?“

Katie dachte sofort an den Stammbaum auf der Raucherempore, aber sie sagte nichts.

„Vielleicht weil … nun, ich hatte so viele Ideen, wie man Ihr weißes Schlafzimmer umgestalten kann, das ich mir gestern Abend angesehen hatte“, erklärte sie. „Irgendwie kam ich nicht davon los.“

„Dann müssen wir uns dringend unterhalten. Ich möchte nämlich, dass die Sache möglichst zügig vorangeht. Zum Frühstück gibt es Kaffee und frische Brötchen. Ist Ihnen das recht?“

„Klingt wundervoll.“ Katie lächelte.

„Gut, dann treffen wir uns gleich im Esszimmer … sagen wir in zehn Minuten?“

Nach diesen Worten verschwand er in dem von Wein umrankten eleganten Badehaus. Sie schaute ihm, immer noch wie gebannt, nach. Und ertappte sich schon wieder bei der Frage, wie sich dieser Körper wohl anfühlen mochte. Katie spürte, wie sie errötete. Himmel, langsam sollte sie wirklich zur Vernunft kommen. Außerdem musste sie sich beeilen!

Nach einer zwanzigminütigen, immer panischer werdenden Suche wäre Katie schon überglücklich gewesen, wenigstens Giovanni Amatos voll bekleideten Körper zu sehen, von aufregenderen Dingen ganz zu schweigen. Sie war verzweifelt, weil sie das Esszimmer nicht finden konnte. Irgendwann hörte sie auf einem angrenzenden Flur Dielenbretter knarren und lief in die entsprechende Richtung. Als sie erhitzt und keuchend dort angelangt war, sah sie gerade noch jemanden um die Ecke biegen.

„Hallo! Entschuldigung!“, rief sie. „Ich suche das Esszimmer.“

Es blieb so lange still, dass sie sich schon auszumalen begann, wie sie für den Rest ihres Lebens durch menschenleere Korridore wanderte. Als wenig später ein junger Butler um die Ecke schaute, atmete sie erleichtert auf. „Hier oben sind Sie ganz falsch, Miss Carter.“ Er machte eine Pause und fragte dann: „Aber welches Esszimmer meinen Sie denn, das Sommer- oder das Winteresszimmer?“

Katie hätte am liebsten laut aufgestöhnt vor Frustration, doch der junge Mann konnte ja nichts dafür, dass sie sich verlaufen hatte. „Das Esszimmer, in dem Signor Amato sein Frühstück einnimmt“, erklärte sie so würdevoll wie möglich.

„Das ist das Sommeresszimmer. Da müssen Sie hier zurück und bei der zweiten Möglichkeit rechts abbiegen, anschließend gehen Sie zwei Treppenabsätze nach unten, dann kommen Sie zum Dienstboteneingang. Dort gegenüber ist eine Tür, wenn Sie da durchgehen, gelangen Sie auf den hinteren Flur, an dessen Ende die Küche ist. Da müssen Sie durch, und auf der Rückseite stoßen Sie auf drei grüne Türen, von denen die dritte direkt ins Sommeresszimmer führt.“

„Du lieber Himmel, gibt es denn keine Abkürzung?“, erkundigte sie sich verzweifelt.

Er taxierte ihr elegantes Kostüm, das ihm sichtlich Kopfzerbrechen bereitete.

„Nur wenn man bereit ist, den Dienstbotenaufzug zu nehmen.“

„Oh, kein Problem, wo muss ich lang?“, fragte Katie eilig.

Ein halbes Leben später kam sie völlig außer Puste in einem riesigen Saal mit Kronleuchtern an der Decke und vergoldeten Spiegeln an den Wänden an.

„Ah, Miss Carter, da sind Sie ja.“ Giovanni Amato ließ seine La Repubblica sinken und schaute ihr entgegen. „Wo brennt’s? Wir haben Kaffee im Angebot, obwohl mir scheint, zur Stärkung Ihrer Nerven wäre Tee empfehlenswerter.“

„Ich … ich habe mich verlaufen.“ Sie rückte sich einen vornehm gestreiften Stuhl zurecht und setzte sich an die auf Hochglanz polierte Mahagonitafel. Giovannis Hände lagen locker gefaltet vor ihm auf dem Tisch. Da er keine Anstalten machte, sie zu bewirten, erhob sie sich wieder. Dabei wäre sie um ein Haar mit dem Butler zusammengestoßen, der unbemerkt mit einer Teekanne in der Hand neben ihr an den Tisch getreten war.

„Dieses Haus ist ja wirklich riesig. Ich bin offenbar ständig im Kreis gelaufen.“

„Einer Innenarchitektin sollte so etwas aber nicht passieren.“ Giovanni versuchte, sich das Lachen zu verkneifen, allerdings nur mit mäßigem Erfolg. „Mir scheint, wir müssen Ihnen einen Lageplan besorgen, Miss Carter.“

Er ließ sie nicht aus den Augen, während sie sich wieder hinsetzte. Obwohl sein Blick fast unverschämt direkt war, lag darin eine gewisse Wärme. Katie konnte ihm nicht ausweichen, trotz der irritierenden Wirkung, die er auf sie hatte. Mit einem Auftraggeber zu frühstücken war an sich schon ungewöhnlich, doch so viel Aufmerksamkeit bekam sie selten. Und sie hatte sich gleich zu Beginn ihres ersten Arbeitstags so ungeschickt angestellt, dass allein beim Gedanken daran ihre Wangen vor Verlegenheit anfingen zu brennen. Ein guter Start sah anders aus.

„Ich kann Ihnen nur versprechen, mich zu bessern, Signor Amato.“

Er gab einen Laut von sich, den Katie als Zustimmung deutete. Gleich darauf erhob er sich. „Wir wollten uns ja eigentlich beim Frühstück über Ihre Pläne unterhalten, aber jetzt läuft mir leider die Zeit davon“, erklärte er bedauernd. „Ich muss in mein Büro – eine Videokonferenz. Schade, dass wir die Gelegenheit verpasst haben, aber vielleicht klappt es heute Abend. Dann also viel Spaß heute. Ciao.“

Katie blieb, über ihre Tasse Darjeeling Tee gebeugt, sitzen, fest entschlossen, sich erst zu rühren, nachdem er den Raum verlassen hatte. Sonst machte sie womöglich noch einen Fehler.

Das Klingeln seines Handys störte ihren Plan. Sie hörte, wie er dicht hinter ihr stehen blieb, um den Anruf entgegenzunehmen.

Katie nahm einen Schluck von ihrem Tee. Ihr Magen knurrte, aber sie wollte erst frühstücken, wenn sie allein war. In dem großen Raum war es so still, dass sie den italienischen Wortschwall hören konnte, der aus seinem Handy schall. Schließlich bedankte er sich gut gelaunt, was Katie veranlasste, sich überrascht nach ihm umzudrehen. Die Fünkchen der Belustigung, die in seinen Augen tanzten, machten sie ganz atemlos. Er klappte sein Handy zu und verstaute es wieder in seiner Jackentasche.

„Jetzt sieht es ganz danach aus, als müsste ich Sie heute Abend doch nicht um Ihren Schönheitsschlaf bringen, Miss Carter.“ Sein tiefes Lachen hüllte sie ein. „Eben hat ein Kunde abgesagt, der mich eigentlich zum Mittagessen ins Il Ritiro einladen wollte, aber ich kann seine Buchung übernehmen. Deshalb möchte ich vorschlagen, dass wir beide dort zu Mittag essen, dann können wir uns in aller Ruhe unterhalten.“

Bevor Katie antworten konnte, klopfte es. Der Butler steckte den Kopf herein, um Giovanni an die Videokonferenz zu erinnern. Katie hatte schon befürchtet, ihr Auftraggeber könnte ihre Verspätung zum Frühstück als Affront deuten, doch nun wurde sie dafür auch noch mit einem fürstlichen Mittagessen belohnt. Sie hätte vor Freude am liebsten laut gesungen. Was wollte sie noch mehr?

3. KAPITEL

Katie arbeitete den ganzen Vormittag auf der Raucherempore. Irgendwann brachte ihr jemand einen Lageplan der Villa, zusammen mit der Nachricht, dass Giovanni sie um zwölf am Haupteingang erwartete. Da sie fest entschlossen war, diesmal überpünktlich zu sein, stellte sie sich auf ihrem Handy den Wecker.

Um elf Uhr neunundfünfzig erreichte sie den Haupteingang. Sie kam nicht dazu, ihre Kräfte an dem schweren gusseisernen Türöffner zu erproben, weil prompt ein Butler herbeieilte und die Tür aufriss. Dann trat er einen Schritt zurück und ließ einen Schwall warmer, nach Kräutern duftender Luft herein.

Um Punkt zwölf bog Giovanni in seinem Ferrari um die Ecke und hielt vor Katie an. Er sprang aus dem Wagen, umrundete ihn und öffnete ihr die Beifahrertür. Obwohl sein Lächeln nur höflich war, bekam Katie sofort Herzklopfen. Ihre übliche Arbeitskleidung hatte sie durch eine dunkle Leinenhose und ein hellgelbes Top ersetzt, an den Füßen trug sie Riemchensandaletten. Sie war schrecklich aufgeregt und musste sich nachdrücklich daran erinnern, dass dies nichts weiter als ein ganz normales Arbeitsessen mit einem Kunden war – auch wenn es ihr als etwas weit Verlockenderes erschien.

„Sie sehen hübsch aus, Miss Carter. Jetzt wirken Sie schon viel entspannter.“ Er verzog den Mund zu einem Lächeln. „Und unserem Klima entsprechend gekleidet sind Sie auch.“

Katie schaute ihn überrascht an. Sie war nicht davon ausgegangen, dass er darauf achtete, was sie anhatte, und mit einem Kompliment hatte sie schon gar nicht gerechnet. Verlegen nestelte sie an ihrer Mappe mit Entwürfen herum und ließ dabei ihre Sonnenbrille fallen. Während sie versuchte, die rutschende Mappe festzuhalten, bückte sich Giovanni nach ihrer Designerbrille.

„Versace?“, fragte er mit Blick auf das Logo. „Na so was.“ Er grinste. „Da hat Sie wohl jemand zu gut bezahlt, Miss Carter.“

Katie verfluchte ihre Ungeschicklichkeit. Giovanni Amato sah wirklich unverschämt gut aus. Und jetzt verdreifachte er seine Attraktivität auch noch durch ein charmant schurkisches Lächeln, bei dem sie im Bauch ein seltsames Kribbeln verspürte. Das konnte sie bei einem Arbeitsessen wirklich nicht gebrauchen. Deshalb war sie bemüht, seinem Blick auszuweichen, bevor sie erwiderte: „Ich verdiene, was ich wert bin, Signor Amato.“

Sie hörte sein leises Auflachen, während er sich hinters Steuer setzte. Es klang so unwiderstehlich, dass ihr für einen Moment ganz heiß wurde. Puh!

Mit brennenden Wangen ließ sie das Seitenfester herunter und versuchte, an etwas anderes zu denken.

„Sie sollten lieber die Klimaanlage anmachen, Miss Carter“, riet er ihr, wobei der Wagen wie ein Pfeil durch die Landschaft schoss.

„Die Luft duftet so gut.“

„Das sind die Weinberge. In dieser Jahreszeit wächst der Wein so schnell, dass man das Gefühl hat, dabei zusehen zu können.“ Seine Rechte ruhte locker auf dem Lenkrad, die Linke auf dem Schaltknüppel. Katie antwortete nicht. Sie versuchte, sich auf die Aussicht zu konzentrieren, und hoffte, dass diese typisch italienische Raserei nicht im Fluss endete.

„Was ist?“

Trotz der engen, kurvenreichen Straße wandte er den Kopf und schaute sie an. Katie holte erschrocken Luft.

„Miss Carter?“

„Nichts. Gar nichts“, beteuerte sie und rang sich ein Lächeln ab.

Die nächste Kurve nahm er mit so hoher Geschwindigkeit, dass ihr ein leiser Aufschrei entfuhr.

„Natürlich ist etwas“, widersprach er.

Katie musste sich erst räuspern, bevor sie antworten konnte. „Nein … ich frage mich nur … warum fahren Sie eigentlich so schnell, Signor Amato?“

„Schnell? Wieso?“ Es klang überrascht. Er warf einen Blick auf den Tacho. „Oh, entschuldigen Sie. Ich fürchte, manchmal geht mein Temperament mit mir durch.“ Er nahm den Fuß vom Gas. Der Wagen wurde langsamer, und Katie atmete erleichtert auf.

„Wahrscheinlich, weil ich diese Straße hier im Schlaf entlangfahren könnte. Erstaunlicherweise bin ich noch nie angehalten worden.“ Er warf ihr einen übermütigen Blick aus dem Augenwinkel zu, bevor er fortfuhr: „Aber vielleicht wäre es Ihnen ja lieber gewesen, wenn wir die Firmenfahrräder genommen hätten?“

„Wie bitte? Sie wollen mir ja wohl nicht weismachen, dass Sie Fahrrad fahren?“, fragte sie lachend.

„Na klar doch, und wie! Die Villa Antico und Umgebung waren als Jugendlicher meine Zuflucht. Damals wohnte mein Großonkel dort.“ Weil er jetzt zivilisierter fuhr, konnte Katie sich entspannt zurücklehnen. Doch schon wenig später heizte sich ihr innerer Thermostat wieder auf. „Da bin ich auf meinem zuverlässigen Tommasini hier durch die Berge gebraust. Es war wie ein Rausch.“

Vor Katies geistigem Auge erstand sein nur von einem Handtuch bedeckter Körper, wobei sie sich ausmalte, wie diese muskulösen Beine in die Pedale traten. Ihr entschlüpfte ein leises Auflachen, in das er sofort einstimmte.

„Wunderbar. Sie sollten viel öfter lachen, Miss Carter.“

Als sie auf dem Parkplatz vorfuhren, fühlte sich Katie fast entspannt, obwohl ihr bei dem Gedanken, in einem so vornehmen Restaurant mit einem Multimillionär zu Mittag zu essen, immer noch leicht mulmig wurde.

Das Lokal war in einem ehemaligen Landgut untergebracht. Die Gaumen reicher Gäste zu verwöhnen war einfach befriedigender als jahrein, jahraus mit einem trockenen steinigen Boden und einer unberechenbaren Witterung zu kämpfen.

Katie stockte der Atem. Ein hübscheres Ambiente hätte sie sich in den blauen Hügeln der Toskana nicht ausmalen können. Um das Bild komplett zu machen, hatte man draußen neben einer von Kletterrosen und Wein umrankten Laube ebenfalls Tische aufgestellt.

Der Oberkellner erschien nun höchstpersönlich, um sie in Empfang zu nehmen.

„Ah, Signor Amato. Wie schön, Sie wieder mal bei uns begrüßen zu dürfen.“ Der Mann rieb sich erfreut die Hände und streifte Katies Aktenkoffer mit einem kurzen Blick. „Werden Sie einen Internetzugang benötigen?“

„Nein, heute nicht, danke, Luigi“, erwiderte Giovanni. Dann wurden sie zu einem Tisch neben der mit Wein bewachsenen Laube geführt. Es war wahrscheinlich der beste Platz im ganzen Restaurant, der eine herrliche Aussicht über das unter ihnen liegende Tal bot.

Als sie ankamen, legten gerade zwei Kellnerinnen in schwarzen Uniformen mit blütenweißen gestärkten Schürzen Gedecke auf. Tafelsilber glänzte, und auf den blank geputzten Gläsern brachen sich die Sonnenstrahlen.

Der Oberkellner bot Katie einen zierlichen schmiedeeisernen Stuhl an. Während sie sich setzte, schüttelte er mit leisem Knall die ebenfalls blütenweiße, kompliziert zusammengefaltete Leinenserviette aus, bevor er sie ihr mit gekonntem Schwung auf den Schoß legte. Katie bedankte sich, und ein anderer Kellner reichte ihr die Speisekarte.

Als Katie die in handschriftlichem Kupferdruck gehaltene Karte aufklappte, verstand sie absolut nichts. Ihr Italienisch war einfach nicht gut genug. Und wenn sie nun etwas bestellte, was sie überhaupt nicht mochte? Es war ohnehin schwierig genug, sich in Gesellschaft eines so aufregenden Mannes zu konzentrieren. Ein falsches Essen wäre da entschieden zu viel. Sie starrte in die Karte und hoffte verzweifelt auf eine rettende Eingebung.

„Haben Sie schon gewählt, Miss Carter?“, fragte er.

Um von ihren Verständnisschwierigkeiten abzulenken, konzentrierte sie sich auf einen weiteren Punkt, der ihr Kopfzerbrechen bereitete. „Auf meiner Karte stehen gar keine Preise, Signor Amato.“

„Mit Absicht. Damit Sie sich ganz unbeschwert entscheiden können“, gab er beiläufig zurück. „Haben Sie schon irgendetwas entdeckt, das Ihnen zusagen könnte?“

Katie zögerte. Wahrscheinlich war ja alles köstlich … und sündhaft teuer. Ihre antrainierte Sparsamkeit riet ihr wie stets, das Preiswerteste zu wählen – in diesem Fall jedoch ein unmögliches Unterfangen.

„Darf ich Ihnen vielleicht etwas übersetzen, Miss Carter?“

Gott sei Dank, da war er, der ersehnte Rettungsanker, und ohne dass sie darum hatte bitten müssen! Katie nickte erleichtert. Am Ende konnte sie sich nicht zwischen marinierter Täubchenbrust und Rindfleisch Valdichiana entscheiden.

„Das Rindfleisch kann ich wärmstens empfehlen“, sagte er. „Ich nehme es sehr oft hier, aber lassen Sie sich von mir nicht beeinflussen.“

Doch diesmal wollte sich Katie beeinflussen lassen, deshalb entschied sie sich dafür. Sie klappte ihre Speisekarte zu, und ihr Auftraggeber winkte den Kellner an den Tisch, um die Bestellung aufzugeben.

„Was machen Sie denn für ein Gesicht, Miss Carter?“, fragte er, nachdem sie wieder allein waren. „Sind Ihnen Zweifel gekommen?“ Er schenkte ihnen beiden ein Glas Wasser ein.

„Ich frage mich nur, warum es nicht mehr vegetarische Gerichte gibt.“

„Wieso? Sie sind keine Vegetarierin.“ Er lachte leise auf.

„Woher wissen Sie das?“, fragte sie zurück.

„Ein guter Gastgeber versucht solche Dinge natürlich vorab in Erfahrung zu bringen, Miss Carter. Außerdem weiß ich, dass Sie gestern zum Abendessen Hähnchenbrust hatten. Das erlaubt mir zumindest den Schluss, dass Sie keine allzu strenge Vegetarierin sind“, erklärte er gelassen. „So, aber jetzt erzählen Sie mir lieber von Ihren Ideen, bevor Sie mich noch zum hoffnungslosen Kontrollfreak abstempeln.“

Katie lachte, doch diesmal schloss Giovanni sich nicht an. Obwohl er es leicht dahingesagt hatte, lauerten in seinen Augen dunkle Schatten. Irgendetwas plagt ihn, schoss es Katie durch den Kopf, aber sie schob den Gedanken sofort wieder weg. Es war lachhaft. Dieser Mann entstammte einer Adelsfamilie, er war märchenhaft reich und außerdem auch noch ein höchst erfolgreicher Geschäftsmann. Was sollte ihn bedrücken? Seine einzige Sorge war es wahrscheinlich, eine standesgemäße Ehefrau und Mutter für seinen zukünftigen Sohn und Erben zu finden.

„Natürlich nicht. Also, lassen Sie uns anfangen“, stimmte sie munter zu. Die Arbeit würde sie vor ihren gefährlich ausufernden Fantasien schützen. Dies hier war ein Arbeitsessen, sonst gar nichts. Es war weder für ihn noch für sie etwas Besonderes.

Sie öffnete ihre Mappe und holte eine Handvoll Skizzen heraus. Die erste Zeichnung erregte sofort seine Aufmerksamkeit.

„Ah … die Amüsiersuite meines Vaters, richtig? Nun, ich sollte eigentlich froh sein, wenn nichts mehr daran erinnert.“ Er nahm ihr das Blatt aus der Hand und studierte es eingehend.

„Ich habe mich bei einem Experten in London erkundigt“, berichtete Katie. „Er hält es für gut möglich, dass man den Abzugsschacht umbauen kann. Dann könnten die Suite hier und die Raucherempore wieder offene Kamine haben. Ich dachte mir einfach, dass Sie zu Hause vielleicht eine behaglichere Atmosphäre bevorzugen, nachdem Ihr Firmensitz schon so postmodern ist. Ich würde hier die Farben Creme, Aprikose und Terrakotta vorschlagen. Gegen die weißen Musselinvorhänge ist nichts einzuwenden, aber die von mir empfohlenen Farben verleihen der Suite mehr Wärme und Behaglichkeit.“

„Ja“, sagte er gedankenverloren, während er einen Schluck Mineralwasser trank. „Ich wünsche eine grundlegende Veränderung, und dies wäre ein guter Anfang. Ich nehme an, Sie haben bereits gehört, dass ich die Suite nie mochte?“

Katie schüttelte den Kopf und schaute ihn fragend an. Er stellte sein Glas ab, stützte die Ellbogen auf den Tisch auf und musterte sie herausfordernd. „Nun, dann sind meine Dienstboten offenbar diskreter, als ich dachte. Schön, mir soll es recht sein.“

Sie spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. Nur mit größter Mühe schaffte sie es, seinem Blick standzuhalten. Die Vorstellung, mit Giovanni Amato in diesem Schlafzimmer allein zu sein, wurde plötzlich so übermächtig, dass für nichts anderes mehr Raum war. Entschlossen versuchte sie, ein Gefühl von Erwartung abzuschütteln, doch vergebens. Was passierte gerade mit ihr? Sie hatte hier einen Auftrag zu erledigen, der obendrein auch noch höchst lukrativ war, und Arbeit war in ihren Augen doch das Einzige, was einen nie enttäuschte, oder? Sie hatte keine Zeit zu träumen – auch nicht, wenn sie dem begehrenswertesten Junggesellen der Welt gegenübersaß. Er ist nur ein Kunde, ermahnte sie sich verzweifelt. Giovanni Amato war kein bisschen anders als andere Männer.

Nur dass das so nicht stimmte. Ihr war, als könnten diese eindringlichen grauen Augen bis auf den tiefsten Grund ihrer Seele schauen.

Ihre Vorspeise kam. Sie hatten beide Bruschetta bestellt – mehrere Scheiben geröstetes Weißbrot mit jeweils einem anderen Belag, Salami, tiefroten Cocktailtomaten, in hauchdünne Scheiben geschnittenen Feigen und kunstvoll gedrehtem, ebenfalls hauchdünnem Parmaschinken.

„Sie wirken verunsichert, Miss Carter“, bemerkte er, während er von seiner Vorspeise kostete.

„Verunsichert? Nein, gar nicht, Signor. Ich bin nur immer noch überrascht, wie hübsch es hier ist. In so eine wunderschöne Umgebung komme ich nicht oft, dafür fehlt mir einfach die Zeit.“ Und das Geld, fügte sie in Gedanken hinzu, aber das behielt sie natürlich für sich. Katie spürte, wie sie sich langsam entspannte. Ihr Tisch stand angenehm im Schatten, das Wetter war herrlich und das Essen köstlich. „Ich arbeite fast immer, Signor Amato. Und in meiner Freizeit leiste ich meinem kranken Vater Gesellschaft.“

Giovanni nickte nun anerkennend. „So viel Opferbereitschaft findet man heutzutage nur noch selten“, bemerkte er, während ein Kellner ein Glas Rotwein auf einem silbernen Tablett servierte. „Das ist für meinen Gast, Carlo. Danke.“

„Oh, ich dachte, der ist für Sie“, sagte Katie überrascht, als der Sassicaia, den er mit dem Essen bestellt hatte, vor sie hingestellt wurde. Die rubinrote Flüssigkeit funkelte im gefilterten Sonnenlicht.

„Ich trinke grundsätzlich nicht, wenn ich fahre.“ Er lächelte. „Das müsste Sie eigentlich beruhigen.“

„Es war sehr unhöflich von mir, Ihren Fahrstil zu kritisieren“, bemerkte Katie kleinlaut. „Bitte entschuldigen Sie.“

„Macht nichts. Ich trinke seit fünf Jahren keinen Tropfen Alkohol mehr, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin. Es bringt nichts.“ Seine letzten Worte klangen so düster, dass Katie aufhorchte. Er starrte mit zusammengepresstem Mund vor sich hin und wirkte so weggetreten, dass Katie sich aufgerufen fühlte, ihn aus seinen offenbar wenig angenehmen Erinnerungen herauszureißen. Deshalb streckte sie die Hand nach ihrem Glas aus, woraufhin er wie erwartet zusammenzuckte. Nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, stellte sie den Wein wieder beiseite und betupfte sich mit der Serviette die Lippen.

„Dann sind Sie bis jetzt mit meinen Vorschlägen also einverstanden, Signor Amato?“ Sie zögerte. „Obwohl Sie sich natürlich erst entscheiden müssen, nachdem Sie die Muster und Farbproben gesehen haben.“

„Ja, machen Sie ruhig erst mal so weiter. Falls nötig, kann ich ja später immer noch ein paar Ideen beisteuern.“ Er schien sich wieder gefangen zu haben.

„Anfangs habe ich überlegt, den Raum in den Farben Ihres Familienwappens zu dekorieren“, streute Katie beiläufig ein, während der Hauptgang serviert wurde. Das Essen duftete köstlich, und Giovanni schien der Anblick so milde zu stimmen, dass sie beschlossen hatte, diesen Moment zu wählen, um ihn mit der Frage zu konfrontieren, die sie in der vergangenen Nacht beschäftigt hatte. Mit Herzklopfen griff sie nach Messer und Gabel. „Gestern Abend habe ich mich noch einmal auf der Raucherempore umgesehen, und weil es bereits dunkel war, hatte ich meine Taschenlampe mitgebracht. Als der Lichtstrahl auf Ihren Stammbaum fiel, sah ich etwas, das ich mir nicht erklären konnte, aber inzwischen vermute ich, dass es sich um einen Materialfehler handelt. Direkt unter Ihrem Namen ist da auf dem Paneel nämlich ein heller Fleck, der aussieht, als hätte man dort …“

„Bestimmt ein Astloch oder so“, unterbrach er sie leichthin. Katie hätte es vielleicht dabei bewenden lassen, wenn da nicht etwas gewesen wäre, was sie stutzig machte. Er hatte sie beim Sprechen nicht angesehen, obwohl er das normalerweise immer tat. Es gehörte zu seinen provozierendsten Eigenschaften. Jetzt aber weigerte er sich sogar, in ihre Richtung zu schauen. Das weckte schlagartig Katies Neugier, doch sie wusste, dass es unklug wäre, an dieser Stelle nachzuhaken.

„Am Ende bin ich jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass Rot, Blau und Grün nicht unbedingt die erotischsten Farben der Welt sind.“

Ihre Worte entlockten ihm ein Lächeln. Als er jetzt wieder den Kopf hob, blitzten seine herrlich ebenmäßigen weißen Zähne auf.

„Hat Eduardo Ihnen erzählt, dass es die Amüsiersuite meines Vaters war?“

„Nicht direkt, aber mit etwas Fantasie könnte man seine Worte dahingehend deuten.“

Giovanni wirkte amüsiert. „Und deshalb haben Sie beschlossen, das Schlafzimmer so umzugestalten, dass Sie selbst gern darin verführt werden würden, oder wie sollte ich Ihre Worte deuten?“

Katie schaute ihn alarmiert an. Er hatte offenbar einen Scherz machen wollen, doch als er ihren Gesichtsausdruck sah, wurde er sofort ernst. Für die längste Sekunde seit Erfindung der Zeitrechnung starrten sie sich an. Katies Herz machte einen erschrockenen Satz, als sie die Turbulenzen in seinen Augen entdeckte. Er hütete irgendein Geheimnis, das spürte sie genau, obwohl sie keine Ahnung hatte, was das sein könnte. Plötzlich hätte sie gern die Hand nach ihm ausgestreckt und ihn berührt, aber natürlich tat sie es nicht. Katie war gerade dabei zu lernen, dass gewisse Dinge, die Giovanni Amato betrafen, besser unausgesprochen blieben.

Katie bemühte sich stets, denselben Fehler nicht zweimal zu machen. Deshalb fand sie sich am nächsten Morgen schon kurz vor sechs im großen Sommeresszimmer ein. Giovanni, in Anzug und Krawatte, saß bereits auf seinem Platz am Kopfende des Tischs. Er war in den Wirtschaftsteil der La Repubblica vertieft. Als er sie kommen hörte, hob er den Kopf und ließ die Zeitung sinken.

„Buon giorno, Miss Carter.“ Sein Blick folgte ihr, während sie einen Platz in der Mitte der langen Tafel wählte. Heute lag in seinen Augen weniger Wachsamkeit als Neugier.

Katie fühlte sich bemüßigt, etwas zu sagen. „Danke für die Einladung zum Frühstück, Signor Amato.“

Er lachte. „Nichts zu danken, Miss Carter. Sie sind mein Gast.“

Katie lächelte den Butler an, der unbemerkt an ihrer Seite aufgetaucht war. „Nicht wirklich, Signor. Ich arbeite für Sie. Damit stehe ich auf einer Stufe mit Ihrem Personal.“

„Wohl kaum. Mein Personal pflegt sich doch sehr anders zu kleiden.“ Mit erhobener Augenbraue schaute er auf ihr eng anliegendes rosafarbenes Top.

„Ach so … ja, natürlich.“ Katie errötete. „Das muss wohl an der Sonne zu liegen. Aus irgendeinem Grund habe ich heute Morgen beschlossen, die gestärkte weiße Bluse, die ich normalerweise trage, im Schrank zu lassen. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass es jemand bemerken könnte. Aber nach dem Frühstück ziehe ich mich sofort um. Dieses Oberteil ist ja auch wirklich nichts für die Arbeit“, schloss sie entschuldigend.

Giovanni musste peinlich berührt feststellen, dass ihn ihr Anblick erregte. Und er fragte sich, wie lange es wohldauern mochte, bis er ihren Reizen gegenüber immun war. Wenn sie noch mehr so hautenge Tops in ihrem Gepäck hatte, wahrscheinlich noch eine ganze Weile. Um sich abzulenken, vertiefte er sich wieder in seine Zeitungslektüre.

Doch als sich Katie für den Cappuccino bedankte, den man vor sie hinstellte, schaute er wieder auf und sah sie lächeln. Sie fing seinen Blick auf, und einen Moment später war die Atmosphäre zum Zerreißen gespannt.

Das Klingeln ihres Handys erlaubte ihr, als Erste den Blick abzuwenden.

„Oh …“ Hastig kramte sie ihr Mobiltelefon hervor und schaltete auf stumm.

„Nehmen Sie den Anruf ruhig entgegen, Miss Carter. Ich kenne das, ein verpasster Anruf kann leicht bedeuten, dass einem ein Geschäft entgeht.“

Erfreut über so viel Großzügigkeit, folgte Katie seiner Aufforderung.

„Hi, Dad. Lieb, dass du anrufst, ich bin nur gerade in einer Besprechung …“ Sie unterbrach sich, weil ihr Auftraggeber ihr ein Handzeichen gab.

„Familienangelegenheiten haben Vorrang, Miss Carter. Bitte, sprechen Sie weiter.“

„Aber ein paar Minuten kann ich immer für dich abzweigen.“ Sie lachte, gleich darauf wurde sie jedoch wieder ernst. Als Giovanni sah, dass sie besorgt die Stirn runzelte, ließ er seine Zeitung ganz sinken.

„Gibt es Probleme, Miss Carter?“, fragte er, nachdem sie das Gespräch beendet und ihr Handy wieder verstaut hatte.

„Ja und nein, Signor. Meine Mutter hat ihren Besuch angekündigt, das Problem dabei ist nur, dass sie …“

Sie zögerte. Wie sollte sie diesem Mann, der faktisch ein Fremder für sie war, von dieser unglückseligen Person erzählen, der sie ihr Leben verdankte? Wenn ihr Vater bloß nicht immer so sanft und verzeihend wäre. Katie wurde ganz elend bei der Vorstellung, dass er wieder verletzt werden könnte – und leider war absehbar, dass genau dies und nichts anderes passieren würde. „Das Problem ist, dass meine Mutter immer nur ankommt, wenn sie etwas braucht. Mein Vater hatte gerade erst eine Bypassoperation, und es ist ihm eigentlich nicht zuzumuten, sie bei sich aufzunehmen. Und dann auch noch für unbestimmte Zeit.“

„Er muss Rückgrat entwickeln und ihr Paroli bieten. Vielleicht sind ihm seine Gesundheitsprobleme dabei ja sogar behilflich. Es gibt Männer, die finden ihre Entschlossenheit erst, wenn sie vor einem Scherbenhaufen stehen … besonders wenn es um Frauen geht.“ Giovanni nahm seine Zeitung wieder auf und vertiefte sich in den Börsenteil.

Katie war verärgert. Natürlich stimmte es, ihr Vater hatte seine Grenzen, aber wie konnte Giovanni sich anmaßen, ihn quasi als Schwächling hinzustellen? Er kannte ihn doch gar nicht!

„Wie können Sie so etwas sagen, Signor Amato?“, fragte sie pikiert.

„Ich spreche aus leidvoller Erfahrung, Miss Carter, glauben Sie mir“, gab er zurück. „Frauen sind oft egozentrisch, heuchlerisch und berechnend, zumindest bis sich der gute Einfluss der Mutterschaft auf sie auswirkt“, behauptete er. „Da kann man gar nicht vorsichtig genug sein.“

Was war mit dem Mann los, hatte er Verfolgungswahn? Bei ihrer Mutter hatte sich der angeblich ach so gute Einfluss der Mutterschaft gar nicht positiv ausgewirkt – im Gegenteil. Nein, er redete Unsinn. Also schüttelte Katie entschieden den Kopf. „Sie können doch nicht alle Frauen in einen Topf werfen, Signor. Die Frauen gibt es nicht. Jede Frau unterscheidet sich von der anderen, und viele von uns arbeiten hart und sind nicht nur vertrauenswürdig, sondern auch loyal.“

„Hm …“, erwiderte er nachdenklich. „Ich muss gestehen, dass mir die Art, mit der Sie an die Dinge herangehen, durchaus imponiert. Mir ist vorher noch nie eine Frau begegnet, die ähnlich effizient organisiert ist wie ich.“

„Dann haben Sie sich wohl mit den falschen Frauen eingelassen, Signor.“